Max Pulver
Selbstbegegnung
Max Pulver

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Abschied

Karfreitag im Schnee

          Mit weißem Bartuch ist ihr heißes Leben
Zur Ruh gebracht. Ein Schneesturm am Karfreitag.
Die Erde hemmt mit innerm Widerstreben
Des Werdens Saft, den angebrochnen Maitag.
Schwarz und verwelkt die frischen Knospen beben
Im harten Nordwindatem am Karfreitag.
Und wie der süße Frühlingsschmuck verdorrte,
So traf auch uns das tödlichste der Worte.

Krieg, klang es, Krieg. Es rauschte in den Ähren
Des Schnitters Sichel nicht zum Fest der Garben.
Ein dunkler Würger stapfte vor den Heeren,
Und wo er hintrat, sanken sie und starben.
Noch vor der Reife wonnigem Vermehren,
Halb mit des Sommers, halb mit Herbstes Farben;
Wie junge Kerne, naher Frucht Gebilde,
Und doch nicht ausgereift zu süßer Milde.

So riß der Tod, was schüchtern kaum begonnen
Aus warmen Erdreich, sanften Keim mißachtend.
Und Mond um Mond sind blutig so zerronnen.
Die Seele darbt in eignem Schmerz verschmachtend.
Des Winters Lust, des Frühlings zarte Wonnen
Verdeckt ein böser Dunst, das Licht umnachtend.
Das Herz geht gramgebückt in schweren Ketten.
»Wo ist ein Trost, wer kann uns Arme retten!«

So rief ich weh im Traume wilder Klagen.
Da reißt mich eine Kraft, ich steige, plane
Gespannt und ausgereckt, ans Kreuz geschlagen,
Als blutiges Banner, lebend tote Fahne,
Hoch übers Kampfgewühl emporgetragen.
Fünf Nägel stechen mich mit spitzem Zahne.
Im Sturme ächzen meine harten Masten;
Zu mir sucht jedes Aug sich aufzulasten.

Und jeder Sterbende, der roh zertreten
Im Acker liegt und seine Wunden preßte,
Erhebt die bleiche Hand in heißem Beten,
Die letzte Lebenskraft noch blutig näßte.
Ans Kreuz, zum Heiland, Retter und Propheten
Ergeht ihr Schrei. Sie suchen seine Äste
Mit letzten Willens Not herabzubeugen.
Dann sind sie still, und mich umlagert Schweigen.

Das Tal wird blau. Der schmale Kreuzesschatten
Reckt sich nach Osten bei verschweltem Lichte.
Viel zarte Lilien – paarweis – blasse Gatten,
Erstehn im Tal. Von eigenem Gewichte
Beugt sich ihr Haupt ins feuchte Schwarz der Matten.
So stehn sie blendend weiß wie beim Gerichte
Die Seligen an Gottes Seite glühen.
Nur eine schwarze stört ihr helles Blühen.

Sie sprießt und wächst und wuchert mir vor Augen
Gleich einem Schwert, das durch den Boden dränge.
Sie scheint der andern Leben aufzusaugen
Und stört die Ruhe himmlischer Gesänge.
Aus Asche sind die Blätter, giftige Laugen
Der Mordstatt reichen ihr die Nahrungsmenge.
So wächst sie näher stets, rankt wie zur Rache
Am Kreuz empor – ich schreie und erwache.


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