Max Pulver
Selbstbegegnung
Max Pulver

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Vorfrühling

1.

        Wer erbarmt sich meiner Fesseln, die mich an den Felsen schmieden?
Ach, mich stechen tausend Nesseln, tausend Qualen mich ermüden.
Brachtest du mir süße Labe, dem Verschmachtenden in Schwebe.
Nimm mein Herz für deine Gabe, denn du wirktest, daß ich lebe.
Matt lag ich in diesen Trümmern, eh' dein Streicheln mich berührte,
Doch du Gute spürst mein Wimmern, und den Schrei, den Elend schürte.
Wie ich atme, will ich danken, wie ich lebe will ich lieben,
Tausend zarteste Gedanken haben uns zu uns getrieben.
War es du, die mich befreite, hab' ich dich vom Fels gebunden?
Welche Fülle, goldne Weite, süßer Schmelz vereinter Stunden.

 
2.

        Spiegelnd darf ich dich gestalten,
Denn du suchst dein eigen Bildnis
Ohne Putz und Tand der Falten
In der Freiheit meiner Wildnis.
Willst dein Wesen dir beschauen
Ohne Maske, ohne Freier.
Mochtest ganz dich anvertrauen
Eignem Wesen still zur Feier.
Darf ich klarer See mich trüben,
Wenn dein Schatten auf mir zittert;
Darf ich leuchten, darf ich lieben,
Wenn dein Hauch mich zart umwittert.
Will das spröde Glas nicht springen,
Das mich von dem Draußen scheidet.
Schaust du doch mein stillstes Ringen,
Spürst du doch, was in mir leidet.

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