Max Pulver
Selbstbegegnung
Max Pulver

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Dem Selbstverlorenen

1.

            Ich bin den Weg mit dir gegangen,
Bis du im Werke dich verlorst.
Stets Hand in Hand wir weiter drangen
Durch schwüle Öde, schwarzen Forst.
Und blieb zu Tod erschöpft ich liegen,
Umschlang mich deiner Arme Kraft;
Du wußtest weich mich einzuwiegen
Und hast mir hellen Traum geschafft.
Und drang ich jäh und ungezügelt
Ins Weite ohne Halt und Rast,
Hast meinen Schritt du überflügelt
Und nahmst mich auf als deinen Gast.
Oft wenn ich mich in mich verirrte,
Vergeblich stumpfen Sinns bemüht,
Trugst du die Palme, trugst die Myrte
Zum Trost verwildertem Gemüt.
Und meinem Wesen bist du Leuchte
Und hältst mich, wenn des Ekels Graus
Mich trostlos aus der Welt verscheuchte.
Dann stehst du Hüter vor dem Haus.
Mit strenger Weisung, stillem Winke
Gibst du mich selbst mir selbst zurück.
Daß ich in meinem Tun versinke;
Was bleibt ist Werk, nicht Leid noch Glück.
Was bleibt ist Kraft, die sich gestaltet,
Nicht Stimmung in sich selbst genährt.
Dem Herzen, das sich nicht gespaltet,
Bleibt letzte, höchste Tat verwehrt.
Wem nicht die tödliche Verwundung
Der Seele Fasern ganz zerriß,
Kennt nicht die mächtigste Gesundung;
Die reiche Kraft der Finsternis.

 
2.

      Dich lockt das Fremde, das wir nie begreifen,
Das wacher Sinn nur ahnungsvoll umtastet,
Von einer Mitte wächst in zartem Reifen
Dein Wesen zirkelförmig und belastet
Mit Schätzen sich, die keine Wagen melden,
Mit Traum gewichtiger als Gold und Erze;
Demut und Schwäche schaffen starke Helden:
Am Altar flammt der Sehnsucht ewige Kerze.
Du gehst dahin in eigener Bahn verloren
Und prallst zurück an eignen Widerständen,
Du hast dich selbst zum zweitenmal geboren
Und baust dein Wesen auf mit eignen Händen.
Dein Werdendes hast innig du umworben,
Du lebst erfrischt vom Tod, den du gestorben.

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