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XII.
Aufschwung und Ausblick.


»Verehrtester Mann!

Ich sinne hin und her, der prosaische Ausdruck meiner Gedanken will mir zu wenig bedünken, wo eine so großartige Produktion, wie Ihr › Savage‹, Geist und Phantasie ergreift. Ihr Triumph hat mich selbst in einem Grade aufgeregt, der es mir unmöglich macht, im Augenblicke meine Gedanken in gemessene Silben zu fassen und Ihnen im Namen der echten Dichter und Freunde der Literatur ein jubelndes Wort des Dankes zuzurufen. ›Leonhard Falk‹ beschäftigt mich Tag und Nacht, seit ich den ersten Wink von der Existenz seines ›Savage‹ bekommen. Ich hatte das Drama nicht gelesen und kenne bis heute erst das Gerippe, wie es die Zeitungen zeichnen, nun stellen Sie sich vor, mit welcher Angst ich auf den Erfolg der ersten Darstellung harrte. Eine dichterische Schöpfung ist die beste, ist eine gefeyte Waffe gegen die niederträchtigste Verläumdung. Ihr ›Savage‹ wird Ihre böswilligen Gegner zum Schweigen bringen – hat Mundt, hat Kühne eine Produktion aufzuweisen, die die Sympathie der Masse erwecken könnte? Ihr Versuch ist der erste unserer jungen Literatur, dem Verständniß der Nation sich zu nähern und ein anderes Publikum sich zu schaffen als das bloßer Literaten.

Was Sie bei Immermanns ›Epigonen‹ bemerkten, scheint mir auch bei Ihrem ›Savage‹ der Fall zu sein. Gestehen Sie es, die Stimmung, aus der dieses Werk hervorgegangen, war eine schmerzliche, mißvergnügte. Die Journale loben diese, loben jene Scene, und keines weist auf die symbolische Bedeutung hin, die jede ächte, und somit auch diese Normaldichtung der jungen Literatur êáô' ?îï÷Þí haben muß. Ihr Drama ist eine bittere Anklage unserer socialen Verhältnisse, ein Schmerzensruf über die unglückselige Stellung des Dichters in der modernen Gesellschaft.

Die Heimathlosigkeit des Dichters ist es denn doch, was in so concreter, lebendiger Weise in Ihrem Drama bewiesen werden soll. Oder nicht? …

Wie immer mit Leib und Seele

Ihr Herwegh,

Emmishofen, im Kanton Thurgau (Juli 1839).«

»Zürich, den 20. I. 40.

Daß ich Ihnen so lange nicht schrieb, ist nicht Nachlässigkeit, oder Mangel an Theilnahme für einen Freund, der mir unter keinen Umständen gleichgültig werden konnte – noch Flauheit gegen Ihr Geisteswerk, das mich so unaussprechlich interessirt und meine Gedanken in Anspruch nimmt – sondern lediglich der Materialismus des Theatertreibens! Erst wollte ich Ihnen erst nach der Ausführung des Stückes schreiben, um Ihnen zugleich den Erfolg melden zu können, aber da verschob sich die Darstellung von einer Zeit zur andern. – Anfänglich wollten es zwey meiner ersten Mitglieder zu ihren Benefizien haben – als sie aber hörten, was es koste, kamen sie nach kurzer Zeit wieder und hatten sich anders besonnen. – Nun hatte ich es für mich im Januar angesetzt, und studire mit wahrer Wollust – denn lange, sehr lange hat sich mir keine geistige Aufgabe der Art geboten, und lange hat mir nichts solches Interesse eingeflößt, als diese undankbare, gräßlichschöne Lady! Aber – da kam zu Anfang d. M. der Maskenball von Auber in Scene, und nun ist das Publikum wie in einem Rausch, Oper und Ballet ist das dritte Wort, die Oper füllt fortwährend so das Haus, daß Hunderte zurückgehen müssen – alles, was vom Schauspiel in der Zwischenzeit gegeben ist, steht leer – und so habe ich Richard in Mitte Februar hinausgeschoben. Denn die Riesenarbeit, welche diese Vorstellung macht, und das Werk eines Freundes – mag ich diesem, jetzt nur für Sinnliches empfänglichen Publikum nicht vorwerfen. – Ein Streit, der sich über die Rolle des R. entspann, ist von Ihrer Seite mit ein paar Worten geschlichtet! Mein erster ›Liebhaber‹ (ein niedliches Dutzend-Männchen, schmachtend und geschniegelt – wie sie eben sind diese jugendlichen Herrchen, die sich für Schauspieler halten, weil sie nicht im Stande sind, einen Carlos, Ferdinand und Max Piccolomini umzubringen) bildet sich ein – er müsse den Richard spielen, das sey seine Rolle. Ich aber habe die Rolle meinem Charakteristiker Wilhelm Gerstel zugetheilt, einem jungen Manne, der ein höchst beachtenswerthes Talent, und viel Verstand besitzt. Ich glaubte dies um so mehr thun zu müssen, als Gerstel vollkommen in den Geist Ihrer herrlichen Dichtung eingedrungen ist, und weil ich nimmermehr glauben kann, daß Sie Richard von einem schmachtenden Seladon dargestellt haben wollen, der am Ende den göttlichen Trieb dieses Genies, die Liebe zur Mutter – in der Gestalt des Geschlechtstriebes zum Vorschein brächte, eine Farbe, die die Liebhaber neuerer Zeit nur allzu leicht geneigt sind dem Dinge zu geben, was in den französischen Dramen Liebe heißt … Daß ich übrigens bei Ihrem Stück Mehreren eingefallen bin, beweist mir ein Brief des Badischen Gesandten in München, Baron von Rackau, der mir auch jüngst von Ihrem Stück (das er wahrscheinlich von Küstner zu lesen bekam) das Vortheilhafteste schrieb, und auch auf die Rolle, als für mich geeignet, aufmerksam machte. – Nun – ich wünsche, daß Ihr Euch Alle nicht täuschen mögt – vielleicht komme ich dann im Sommer – wenn ich mich von meinen himmlischen Bergen trennen kann – zu Ihnen, und spiele sie Ihnen in Hamburg vor. – Ihr Brief hat mir recht wohl gethan, denn es quälte mich längst, mich über eine Thorheit mit Ihnen entzweyt, und so gänzlich losgerissen zu haben! Ich gedachte Ihrer unzähligemale – Schlesier hätte Ihnen das sagen können, denn nur Ihr Name hat ihm unser Haus geöffnet. Nun sagen Sie mir auch etwas über Ihr Leben – und ob nun Ihr Herz befriedigt ist? – Birch und Louise grüßen Sie innig. – Ihr Stück wird auf das Brillanteste in Scene gehen. – Das erwarten Sie wohl nicht anders von

Ihrer Freundin

Charlotte Birch (-Pfeiffer)

Das Stück, von welchem in diesen beiden Briefen die Rede ist, war das erste, mit dem sich die jungdeutsche Richtung das deutsche Theater eroberte, war das fünfaktige Trauerspiel » Richard Savage, oder Der Sohn einer Mutter«, welches Gutzkow, weil sein Name noch immer ein verpönter war, unter dem Pseudonym »Leonhard Falk« im Sommer 1839 den Bühnen eingereicht hatte. Daß diese Eroberung ein epochemachender Sieg war, die Eröffnung eines Triumphzugs der Gutzkow'schen Muse über die deutschen Bühnen, der den Verfasser zum Regenerator derselben machte, zum Bahnbrecher für eine ganze Generation anderer Dramatiker, zum Hort einer neuen Aera deutscher Schauspielkunst, dürfte kaum lebendiger veranschaulicht werden, als durch die beiden vorangestellten Briefe, von denen der eine die enthusiastische Zustimmung von einem jungen lyrischen Dichter, der nur auf den poetischen Gehalt sah, wie Georg Herwegh, der andere die aufrichtige Bewunderung eines Bühnenpraktikers, wie Frau Birch-Pfeiffer, enthält, welch letztere damals die Direktion des Stadttheaters von Zürich führte. Wir hätten statt dieser Briefe andere Zeugnisse mittheilen können, die nicht aus der Schweiz, sondern aus deutschen Theaterstädten direkt nach der Ausführung in Frankfurt, Stuttgart, Hamburg, Berlin u. s. w. geschrieben wurden; den weiten Umkreis der Wirkung in seinen polaren Gegensätzen veranschaulichen am besten diese zwei: der Brief des jungen allem Theatertreiben fernstehenden Freiheitsdichters, der als ein Flüchtling in der Schweiz sich aufhält, um dem Dr. Wirth, dem »Hambacher« Wirth, an der Redaktion der »Deutschen Volkshalle« zu helfen, und bisher nur einzelne der Gedichte hat drucken lassen, deren Sammlung ihn bald im Nu zum Liebling der demokratischen Jugend Deutschlands erheben sollte, und der andere, den aus überströmender Seele heraus die Schauspielerin und Theaterdirektorin schreibt, ohne von dem Gedanken befangen zu werden, daß ihr als Schauspieldichterin zugleich ein gefährlicher Rivale erstanden ist. Herwegh fühlt auf einen bloßen Bericht hin: hier ist die Tragödie der jungen Literatur geschrieben, die er, wie alle jungen Dichter der Zeit, als eine Angelegenheit seiner selbst mitempfindet, als eine symbolische Darstellung ihres Schicksals; Charlotte Birch fühlt das echte Theaterblut der Gestalten, die Zeitgemäßheit des Themas, das Neue des Stoffs, das Bühnengemäße der Gestaltung, die Wirksamkeit der Rollen, welche die Eifersucht ihrer ersten Darsteller herausfordern. Sie vergißt über der Freude an dieser Gabe den alten Zwist, sie selbst knüpft Pläne des Ehrgeizes an die ihr zufallende Rolle, und sie kann es getrost, denn um dieselbe Zeit feiern zwei der bedeutendsten Darsteller, die eine neue Generation der Bühne geschenkt, in den beiden männlichen Hauptrollen auf Gastspielreisen Triumphe: Karl Döring und Emil Devrient.

Das Junge Deutschland, wie es als schreckendes Phantom die Gespensterfurcht und das böse Gewissen der am Bundestag vertretenen Staatsweisheit geschaffen, das Junge Deutschland, wie es durch den Federkrieg der Rivalen zu einem Begriff öffentlicher Geringschätzung herabgesunken war, diese Trugbilder sanken jetzt dahin vor der Wahrheit und Wirklichkeit des Geistes, der in früher Jugendzeit ein literarisches Junges Deutschland als Bund der Gleichgesinnten und Organ einer sich frisch erneuenden Nationalliteratur erträumt und unter all den inneren und äußeren Kämpfen, die wir geschildert, das Ziel erreicht hatte, das er erstrebt: durch die künstlerische Gestaltung seiner Ideale die Zeitgenossen hinzureißen und zu begeistern zur Nachfolge auf den Bahnen des Fortschritts, auf welche diese Ideale verwiesen. Der »sprühende blitzende Geist«, der in die dumpfe Schwüle der Metternich'schen Triumphzeit gewetterleuchtet hatte, jetzt ließ er sich zum Dienst der Musen meistern. Wir haben Ursprung, Ausgang, Entfaltung der geistigen Bewegung, die Konflikte, in die sie mit den Machtfaktoren des Staats und der Kirche gerieth, Zusammenbruch und Verfolgung, mit treuestem Eingehen in diesem Buche geschildert, hier sei zum Schluß der Sieg betrachtet und gefeiert, den der Geist der Bewegung im Geistesleben der Nation schließlich doch errungen hat durch »schöne Thaten« in den lebensvollsten Formen der Kunst, denen des Dramas. Und wir haben dabei zu zeigen, daß nicht – wie es jetzt, zu meinen, Uebung ist – diese fruchtbare und erfolgreiche Bühnenthätigkeit Gutzkows die Folge reuiger Abkehr war von dem »ganz verfehlten« Streben seiner literarischen Jugend, sondern das reife Ergebniß eines organischen Wachsthums, die schließliche Frucht seines von kalten Nachtfrösten und vorzeitiger Wärme in schroffem Wechsel gestörten und dennoch so trotzig-triebkräftig gebliebenen Lebens- und Dichtungslenzes.

Dieser Durchbruch zum Sieg, diese dem modernen Schaffen im Allgemeinen zu Gute gekommene Neubelebung der Bühne, welche auch den politischen Aufschwung der Nation mächtig beeinflußt hat, ist Gutzkow allein zu verdanken. Das heutige junge Geschlecht weiß wenig mehr von der Bedeutung dieses Verdienstes. Aber Männer, wie Karl Frenzel, die damals Jünglinge waren und von da an das gesammte literarische Leben der Nation mit durchlebt haben als Stimmführer einer berufenen Kritik, sie haben im Alter nicht mit Uebertreibung von der damals durch Gutzkow herbeigeführten Epoche deutschen Bühnenlebens gesagt, daß sie in unserem Jahrhundert die einzige Zeit gewesen, in welcher das deutsche Theater sich nicht von den Brosamen der französischen Komödie genährt hat. Rudolf Gottschall, Hermann Hettner u. A. sind ihr in gleicher Weise gerecht geworden. »Höhere Wallungen, tiefere Gedanken, edlere Anregungen gingen von diesen Stücken aus, als sie das Publikum seit Jahren vom Theater her empfangen hatte,« sagt Frenzel in seinem geistvollen Gutzkow-Nekrolog, der neuerdings im ersten Bande seiner Gesammelten Werke (Leipzig 1890) neu abgedruckt wurde. »Seine Gestalten redeten die Sprache der gebildeten Gesellschaft und waren erfüllt von den Problemen des modernen Lebens. In dem Kampfe der Geister fochten sie mit. Die Vergleichung mit der Arbeit Lessings im vergangenen Jahrhundert ist um so weniger abzuweisen, je inniger ›Zopf und Schwert‹ an ›Minna von Barnhelm‹, ›Uriel Acosta‹ an ›Nathan‹ sich in der Tendenz und im Geiste anschließen.« An die bürgerlichen Schauspiele Lessings, Goethe's, Schillers anknüpfend, hat es Gutzkow damals verstanden, die Welt der Bühne und das Leben einander wieder zu nähern. Aber nicht indem er der sklavische Nachahmer dieser unnachahmlichen Vorbilder wurde, sondern indem er dem eigenen Erleben, wo es zugleich ein Erleben allgemeiner Zustände der Zeit war, den poetischen Kern seiner Stoffe entnahm und diesem das Gepräge seines eigenen Empfindens gab, das vom Geist und dem Trachten des von ihm vertretenen Geschlechts deutscher Jünglinge und Männer so mächtig beeinflußt war. Ein Wort aus dem geistvollsten seiner Lustspiele »Das Urbild des Tartüffe« bezeichnet seinen der herrschenden Kunstströmung entgegengerichteten Standpunkt. »Die Bühne,« ruft da Lefèvre, »soll das Leben mit der Kunst, die Kunst mit dem Leben vermitteln. Stellt doch Menschen hin, die nicht vergangenen Jahrhunderten, sondern der Gegenwart, nicht den Assyriern und Babyloniern, nein, euren Umgebungen entnommen sind!« Damals diesen Grundsatz zur Maxime eines kraftvollen Schaffens zu machen, war eine erlösende That. Die Zustände des deutschen Bühnenwesens, die einst Börne in der »Wage« bekämpft, waren seitdem nicht besser geworden, trotz einzelner Ausnahmewirkungen, wie die sporadisch von Grillparzer ausgeübten. Tiecks, des genialen Shakespeare-Verdeutschers, verdienstvolle dramaturgische Thätigkeit hatte nichts weniger als belebend auf die neue Produktion gewirkt. »Zweierlei ist an dem Verfall des deutschen Theaters Schuld,« hatte noch im April 1837 Karl Zimmermann, der Dichter der Ghismonda, an Friedrich Halm, den Dichter der Griseldis, geschrieben, aus einer Stimmung heraus, die ihn an seinen eigenen Düsseldorfer Versuchen einer Reform des Theaters hatte verzweifeln lassen, »erstens, daß es sich außer Kontakt mit der Literatur und dem Ideenkreise des Kerns der Nation gesetzt hat, zweitens, daß die Darstellung selbst allen Begriff der Schule und der Kunst verlor und die Idee von der Nothwendigkeit eines bis in das Kleinste harmonischen Ganzen kaum noch in der abgeschwächtesten Erinnerung kennt.« In ähnlichem Sinne mag er sich in Hamburg gegen Gutzkow ausgesprochen haben, als er diesen im folgenden Jahre besuchte und nach einer gemeinsam erlebten Vorstellung von »Kabale und Liebe« auf seine Düsseldorfer Theaterreform zu reden kam.

Schon im Sommer 1833, als Gutzkow mit Heinrich Laube in Wien weilte und dort Grillparzer und Bauernfeld aufsuchte, war er zu der Erkenntniß gekommen, daß der darniederliegenden Bühne und Bühnenkunst allein aufgeholfen werden könne, wenn Ideen und Interessen, welche um ihrer selbst willen sowohl das Publikum als die Schauspieler tief und mächtig ergreifen könnten, also die Ideen und Interessen der Zeit, in neuen Dramen zum Ausdruck gelangten. Wienbarg hatte ferner in Frankfurt bei Besprechung Raupachs ausgeführt, daß nicht darin die nationale Bedeutung eines Dramatikers bestehe, daß er Stoffe aus der nationalen Geschichte behandle, sondern daß er, wie Schiller, aus dem Geistes- und Empfindungsleben der Nation inneren Gehalt seinen Stoffen gewinne. Im »Nero«, im »Saul« hatte Gutzkow solche Dramen geschaffen, aber aus Abstraktionen gewonnene, und das Zeitgemäße in ihnen war den Stoffen oft aufgedrungen, den Forderungen der Bühne wenig angepaßt. Wenn auch nicht Assyrier und Babylonier, so waren es doch Römer, Israeliten, Philistäer, welche moderne Gedanken und Gefühle äußerten, ohne moderne Menschen zu sein. Aber das für richtig erkannte Ziel ließ er nicht aus den Augen, das Fehlschlagen der ersten Versuche schreckte ihn nicht. Und je mehr es ihm gelang, das wirkliche Leben in der Kunst zu meistern, je vertrauter er mit den Geheimnissen der Bühnenwirkung durch fleißigen Besuch des Theaters, durch das Studium der Klassiker, durch den Verkehr mit Schauspielern und die kritische Beschäftigung mit der Bühne wurde, um so lebhafter regte sich in ihm auch der Trieb, das Zeitgemäße in bühnengemäßer Form zu gestalten. Seydelmann, Lewald, die Birch-Pfeiffer, Döring, Moritz, Jerrmann lenkten ihn zur Erkenntniß, daß nächst dem Leben die wichtigste Schule für den Dramatiker das Theater, und eine unentbehrliche, sei. Als Kritiker schrieb er jetzt, daß der Verfall der deutschen Bühne nicht nur seine Ursache in der Unfähigkeit ihrer Leiter habe, sondern namentlich auch darin, daß die wirklich dichterische Produktion stagnire. »Zedlitz, Schenk, Immermann dringen nicht durch. Es fehlt das Mächtige, Gewaltige, Große, Herrliche, Freie. Diese Dichter opfern sich nicht« Man mißachte die Technik der Bühne, verfalle der Nachahmung, verliere die Fühlung mit dem Leben wie dem Theater. Wie Shakespeare und Lessing müsse auch heute das dramatische Talent unter den Schauspielern groß werden. Er selber befolgte den Rath; namentlich als er in Hamburg zunächst allein war und ihm das dortige Stadttheater unter des alten Friedrich Ludwig Schmidt Leitung eine Fülle von Anregung entgegenbrachte. Und ein gewaltiger Entwickelungssprung führt ihn nun vom Nero zum Saul und vom Saul (im Frühjahr 1839) in der Spanne weniger Monate zum Richard Savage. Auch für diesen letzteren gab ihm die Geschichte den Stoff zur Darstellung seiner Ideen, seines inneren Erlebens, aber ein Kapitel moderner Geschichte, dessen Analogien zur Gegenwart unmittelbar in die Augen sprangen und von einer Art waren, daß sie direkt mit den Bestrebungen, Kämpfen und Leiden der jungen Literatur zusammenfielen, welche Metternich, Tzschoppe, Hengstenberg zu vernichten bestrebt gewesen. Herwegh traf das Richtige: in diesem Dichterleben aus der englischen Aufklärungszeit, in welcher sich aus den Kämpfen mit Walpole's Polizeiregiment die freie Presse als Waffe des öffentlichen Geistes losgerungen hatte, gestaltete Gutzkow das Schicksal der deutschen Dichtergeneration, der er selbst angehörte. Doch was ihm zum Symbol diente, war ein echter theatermäßiger Stoff voll Spannung und Verwickelung, der auch ohne diese Beziehungen das große Publikum unterhalten und ihm bis zum Schluß ein rein menschliches Interesse eingeflößt hätte.

Auch das historische Schicksal des früh im Elend verkommenen Dichters Richard Savage hat diesen romanhaften Reiz bei typischer Bedeutung für die Zeitepoche, in der es sich abspielt. In Johnsons Lives of English Poets, Gutzkows Quelle, löst es sich vom Bild einer Zeit ab, von welcher Swifts scharfe Zunge gesagt hat: daß damals ein von Zigeunern fortgejagter Betteljunge mehr Aussicht hatte, in Kirche und Staat Carrière zu machen, als Jener, den Phöbus in seinem Zorn mit poetischem Feuer begabt hat. Savage, ein entschiedenes, besonders durch Schwung der Phantasie und leidenschaftliches Temperament hervorragendes Talent, verkam im Elend, weil ihn der Groll über den Kontrast zwischen Ideal und Wirklichkeit verführte, sein Leben zwischen arbeitsamer Zurückgezogenheit in kargsten Verhältnissen und Ausschweifungen der Selbstbetäubung in Londons Tavernen zu theilen. Dieser Groll und Zerfall hatten jedoch noch einen besonderen Grund. Savage, in Elend und Armuth als Waise erzogen, war der natürliche Sohn der Gräfin Macclesfield und eines Lords, dem sie ihre Gunst geschenkt hatte, ehe sie dem Grafen die Hand zum Bunde reichte. Die stolze Dame übergab den verhaßten Zeugen eines Verhältnisses, aus dem sie selbst als Verrathene hervorgegangen, der Amme, die ihn als ihren Sohn erzog und später zu einem armen Handwerker in die Lehre gab. Erst nach dem Tode dieser Frau gelangt der inzwischen dem dunklen Trieb seines Genius gefolgte Jüngling zur Kenntniß seiner Abstammung. Er sucht die Mutter auf. Seiner aufquellenden Liebe setzt die Lady jedoch kälteste Ablehnung entgegen. Ja, ihre Abneigung verwandelt sich in Haß, als sie von dem Sohn das erbetene Stillschweigen nicht erzwingen kann, und dieser Haß geht so weit, daß sie sich, als ihr Sohn wegen eines im Verzweiflungsrausch begangenen Todtschlags zum Tode verurtheilt wird, bemüht, die königliche Begnadigung zu hintertreiben.

Der Bericht von diesem Schicksal eines Dichters, den nicht nur seine Zeit und Nation, sondern die eigene Mutter im Elend verkommen ließ, ja zum Tode verfolgte, regte in Gutzkow, als er ihn in Verfolg von Studien über die englische Literatur des 18. Jahrhunderts las, das Bewußtsein seines eigenen Geschicks in revolutionirender Weise auf. Auch er, auch die Dichter des jungen Deutschlands, waren ja von ihrer Aller Mutter, dem Vaterland, verleugnet und verstoßen worden; und so verschieden die beiden kürzlich verstorbenen deutschen Dichter Graf Platen und Grabbe auch sonst gewesen, darin war ihr Schicksal das gleiche. Aehnlich war es in England auch dem stolzen Byron gegangen, auch Shelley … Und über Shelley, dessen Leben er um dieselbe Zeit zum Gegenstand eines Aufsatzes erhob, schrieb er aus dieser Stimmung heraus: »Er war ein Sohn der Zeit wie keiner, und seine Mutter, gerade unser materielles leichtsinniges Jahrhundert, stieß ihn von sich, wenn er sich auf sie berief, sich nach ihrem Namen nannte und die Male zeigte, an welchen er erkannt sein wollte.« Aus dieser Stimmung erwuchs ihm das dichterische Bedürfniß, den Stoff »Richard Savage« zum Drama zu gestalten, diese subjektive Auffassung ward zur Quelle seines poetischen Schaffens. In dem Schicksal dieses Sohns einer Mutter, die ihn verleugnet und der er sich dagegen innig verbunden fühlt, schilderte er symbolisch sein eigenes Weh.

Mit vielem Geschick wußte er das historisch Gegebene zu verwerthen. Nur erhob er den Wüstling zum naiven Verschwender, der hierin einer geheimen Stimme des Bluts folgt, steigerte er die Bedeutung der positiven Leistungen Richards als Dichter, erfand er die Intrigue eines abgewiesenen Liebhabers der Lady, der aus Rachsucht gegen diese Richards Ansprüche unterstützt und ihn selbst mit Reichthümern ausstattet, von denen er wähnen muß, sie kämen von seiner Mutter, gewann damit für diesen den wirksamen Auftritt, in welchem er dem Lord allen Schmuck und Reichthum, den er von ihm erhalten, stolz vor die Füße wirft, verwandelte den Todtschlag aus Trunkenheit in den siegreichen Ausgang eines Zweikampfs, in den ihn die edle Aufwallung seines Stolzes nach einer Beleidigung verwickelt, die ihm von dem Schwager der Lady zu Theil ward; er vertiefte ferner psychologisch das kalte Verhalten der letzteren und führte eine, jedoch zu späte Versöhnung zwischen Mutter und Sohn vor dessen Ende herbei. Als Savage's tragische Schuld erscheint die Maßlosigkeit seines Eifers, sich eine Mutter zu erobern, die er mit Verblendung liebt. In allen diesen Aenderungen bewährte er, wie auch im technischen Aufbau, einen außerordentlichen Sinn für das theatralisch Wirksame und auch viel künstlerischen Takt. Neben dem genialen Schwärmer, dem die leidenschaftliche Liebe zur wiedergefundenen Mutter so sehr das Herz einnimmt, daß in demselben kein Raum für die Erwiderung einer rührenden Neigung bleibt, die ihm eine, von Anderen vergötterte liebenswürdige Schauspielerin, Miß Ellen, widmet, hat er ferner die ruhig urtheilende Humanität des geistvollen Steele und die hingebende Liebe der Genannten gestellt, von denen die eine durch ihr Eingreifen im Spectator, die andere durch ihr Fürwort an den Stufen des Throns Richards Begnadigung erwirkt. In Steele, dessen dramatische Verwendung an das Vorbild des Carlos im »Clavigo« erinnert, schuf Gutzkow ein ausgezeichnetes Charakterbild. Dem geisteskühnen Begründer der modernen Presse konnte er so manches seiner eigenen Geisteswelt entstammende Wort über die Sitten und Zustände im damaligen England auf den Mund legen, die haarscharf auf die heimischen Verhältnisse der Gegenwart paßten. Das war ein Mann nach seinem Herzen, dieser Steele, »der die Literatur des Tages erfunden hatte, der jene olympischen Blitze der öffentlichen Meinung schmiedete, die zerschmetternd aus seiner Hand in den Lug und Trug unserer verdorbenen Sitten und Meinungen niederfahren.« Dieser Charakter war die eine Hälfte seines Ichs. Steele durfte darum auch sprechen wie er: zu Gunsten der Preßfreiheit, zu Gunsten der Oeffentlichkeit der Gesetzgebung, vom Berufe der Wahrheit, Gemeingut aller Strebenden zu werden. Was in der deutschen Presse zu sagen verboten war, darauf ließ sich durch ihn ganz sachlich und historisch von der Bühne herab anspielen. Und auch die Lady, mit ihren geheimen Sünden, mit ihrer Angst vor dem Urtheil der Gesellschaft, mit ihrem verbildeten Herzen und der Unnatur, welche das höchste Recht des Weibes nicht einmal als Pflicht anerkennt, war sie nicht ein zeitgemäßer Typus jener verlogenen Moralität, die noch immer in der Gesellschaft herrschte? So war es auch sachlich und ganz historisch, wenn Steele als Journalist und Savage als Dichter gegen die konventionelle Lüge zu Felde zogen mit Worten, die in das sittliche Bewußtsein der Zeit mit zündender Kraft trafen. Steele kritisirt diese Sittenzustände mit Witz und Satire, Savage verzweifelt an ihnen und stirbt, den prophetischen Schwärmersinn hoffend der Zukunft zugewendet. Steele aber schließt das Stück mit den Worten: »Zeiten und Sitten, seht eure Opfer! O spränge doch die Fessel jedes Vorurtheils, daß mit dem volleren Athemzuge der Brust die Herzen muthiger zu schlagen wagten und nicht im Getümmel der Welt mit ihrer kalten Bildung und ihren sklavischen Gesetzen auch die Stimme der Natur dem mahnenden Gefühl die Antwort versagte! Glaubt dem Gott, der aus eurem Innern spricht! Denn in der Liebe ist selbst der Irrthum besser, als im Haß die Wahrheit.«

An einem heißen Julitage erlebte im Frankfurter Stadttheater dieses Drama und mit ihm Gutzkow seine erste Aufführung. Der Zettel verschwieg des Dichters Namen, er nannte auch den Hüllnamen des Verfehmten nicht; hier folgt er.

Theaterzettel

Die Nachricht, daß mit »Savage« ein erstes Bühnenwerk des Führers vom Jungen Deutschland, dem vor 3½ Jahren wegen literarischer Kühnheiten in Frankfurt schwere Verfolgung getroffen und der mitten in dieser Zeit eine Frankfurterin geheirathet hatte, jetzt hier seine Erstausführung erleben sollte, war ein öffentliches Geheimniß; das Haus trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit bis auf den letzten Platz besetzt. Der Erfolg war ein durchschlagender. In einer der folgenden Wiederholungen, am 26. August, gastirte dann in Frankfurt der auch noch jugendliche Emil Devrient in der Rolle des Savage mit glänzendem Erfolg. Und das Interesse für das neue Stück und die neuen Rollen von Seiten dieser Darsteller, die beide noch im Beginn einer ruhmreichen Laufbahn standen, war typisch für die Aufnahme, welche das Gutzkow'sche Drama überhaupt auf den deutschen Bühnen und in der deutschen Darstellerwelt fand. Zu den Städten, in denen das Drama noch im Jahre 1839 ausgeführt wurde, gehörte auch Stuttgart und es durfte dem Dichter eine Genugthuung sein, daß das Cotta'sche Morgenblatt, in dessen Literaturbeilage er acht Jahre vorher als Kritiker seine literarische Laufbahn vor der größeren Oeffentlichkeit unter so günstigen Auspizien begonnen, vor vier Jahren aber seine ganze literarische Zukunft in Frage gestellt hatte sehen müssen, und das selber damals eine scharfe Ablehnung der »jungen Literatur« gebracht hatte, jetzt die Anerkennung aussprach: daß er, der früher so viel negativ behauptet, es verstanden habe, ein positives Stück Welt hinzustellen, das fesseln, rühren, erschüttern und am Ende befriedigen könne. (Vgl. Adolf Palm, Briefe aus der Bretterwelt.)

Was auch im einzelnen von der Kritik gegen das Drama eingewendet wurde, daß hier ein zeitgemäßes Stück der Bühne geboten, das zugleich bühnengemäß, wurde allgemein anerkannt. Und die Bedenken, welche in künstlerischer Beziehung erhoben wurden, beanstandeten mehr gewisse Eigenschaften des Stoffes als Fehler seiner Behandlung. Was wir heute als Hauptschwäche empfinden, die Sentimentalität des Richard und des Schlusses, entsprach dagegen völlig dem Geiste der Zeit. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Aufführung am Wiener Burgtheater nur gestattet wurde, wenn am Schlusse des Stücks die Variante eintrete, daß die Lady Macclesfield thatsächlich nicht die Mutter Richards sei, da nur so dasselbe den Logeninhabern gefallen könne, so erhalten wir von dem maßgebenden Geschmack ein bezeichnendes Bild. Man braucht nur Holtei's Rührstück »Lorbeerbaum und Bettelstab«, das auch das Thema des Dichterelends behandelte und gleichzeitig seinen Gang über die Bühne machte, mit dem Gutzkow'schen Drama zu vergleichen, um zu erkennen, welche herbe Kraft des Empfindens und Denkens dieser ins Feld führte gegenüber dem, was in jenen Tagen der großen Menge tragisch erschien. Andrerseits aber hatte er in der strengen Schule eines täglichen Kampfs mit der Zensur wie kein anderer die Kunst erlernt, im Ausdruck seiner Tendenz die Grenzen des Möglichen, des Erlaubten zu wahren.

Was ihm bisher zum Fluche gereicht hatte, die Acht des Bundestags, gereichte ihm jetzt zum Segen, zumal als im Sommer des nächsten Jahres der Thronwechsel in Preußen eintrat und die ihn begleitende Amnestie den Glauben im deutschen Volke nährte, daß nunmehr auch im Staatsleben der langersehnte Frühling eines gemeinsamen Aufschwungs im Sinne der Freiheit tage. Wie wenn auf einmal die Ventile einer zum Sprengen überheizten Maschine geöffnet werden, so wirkte dieser Umschwung, wirkte die Amnestie, welche viele hundert von Patrioten auf einmal der Freiheit wiedergab, Männer, von denen mancher mit blondem Gelock um die Denkerstirn für seine Ideale in den Kerker geschritten war, der nun mit früh ergrautem Haar wieder ans Licht trat. Nun sah man auch im Geiste, der allgemeinen Freiheit die Kerkerthüren geöffnet und die sanguinischsten Hoffnungen wurden laut in den neu begründeten Zeitungen, in den demokratischen Klubs, in der politischen Lyrik eines Herwegh, Dingelstedt und Hoffmann von Fallersleben. Daß Friedrich Wilhelm IV. im Grund seines Wesens dem auffluthenden Freiheitsverlangen ein geschworener Gegner war, weil er mit dem Fanatismus des Doktrinärs die Ideale der romantisch-historischen Schule im Staat verwirklicht sehen wollte, während sein Vater dieser doch nur aus Abneigung gegen das Neue mehr passiv hatte gewähren lassen, zeigte sich erst allmählich. Ehe er begann, mit seinen Grundsätzen und Plänen scharf hervorzutreten, vermied er es einige Zeit, die an seinen Regierungsantritt geknüpften Hoffnungen allzu herb zu enttäuschen. Auch war er mit seiner hochgespannten Auffassung vom Gottesgnadenthum seiner königlichen Mission von dem Glauben beseelt, er werde durch persönliche Verständigung mit den Vertretern ihm entgegenstrebender Ansichten eine Versöhnung der Parteien anbahnen. Der stärkste Beweis von seiner Bereitwilligkeit, mit sich reden zu lassen, war die Audienz, die er im Jahre 1842 dem Dichter Georg Herwegh gewährte, dessen Brief an Gutzkow über Richard Savage wir an die Spitze dieses Kapitels gestellt haben und der inzwischen mit seinen »Liedern eines Lebendigen« einen Enthusiasmus im gesammten liberalen Deutschland geweckt hatte, dem selbst der Romantiker auf dem Hohenzollernthron Rechnung zu tragen für angezeigt hielt. Auch Gutzkow wurde jetzt von der allgemeinen Volksgunst aufs Schild gehoben, das Schicksal des Jungen Deutschlands schien in seiner Person verkörpert, der Märtyrer der Freiheit wurde im Dichter gefeiert. Daß »Richard Savage«, wenn auch gekürzt, vom Grafen Redern zur Aufführung für das Berliner Hoftheater hatte angenommen werden dürfen, gehörte nicht minder zu den Symptomen der neuen Zeit. Der Ausspruch Rahels, daß die Kunst nicht von oben herab dekretirt werden könne, sondern von unten heraufwachsen müsse, bestätigte sich jetzt zu Gunsten Gutzkows in glänzender Weise. Die Berufung Tiecks' nach Berlin, die Einstudirung von Sophokles' »Antigone« mit der Musik Felix Mendelssohns für die Chöre und ähnliche Aeußerungen der Kunstliebe des Königs führten keine Belebung der deutschen Bühne herbei, keinen Aufschwung; der kam von unten auf, aus dem Volke, dem der Dichter entwachsen war, dessen Wiege in einer ärmlichen Stube zu Berlin gegenüber dem Königsschloß gestanden hatte.

Zur Aufführung des »Richard Savage« im Hoftheater seiner Vaterstadt war dieser wieder einmal nach Berlin gegangen. Die Ausnahme dieses Dramas voll freisinniger Ideen von einem jener Jungdeutschen, denen vor fünf Jahren das Dichten ganz untersagt worden war, in das Repertoire der königlichen Hofbühne wurde als bedeutsames Symptom des Umschwungs der Zeiten im Volke wie in den Kreisen der Vornehmen empfunden. Der nun neunundzwanzigjährige Dichter, der bei seiner letzten Anwesenheit von alten Freunden nur scheu begrüßt, von Geheimpolizisten unheimlich überwacht worden war, fand sich jetzt als Gegenstand ehrenvoller allgemeiner Beachtung, gefeiert in vornehmen Gesellschaften, wo er Ehrensitze neben einem Alexander von Humboldt, einem Meyerbeer erhielt, und Hofbeamte sahen sich genöthigt, ihn mit Ehrerbietung zu begrüßen. Die alte Freundschaft mit Seydelmann führte ihn in das intimere Leben der Berliner Hofbühne ein und wie vorher in Frankfurt, Hamburg, Weimar, Dresden hatte er auch hier die Freude zu sehen, daß gerade die besten künstlerischen Kräfte, vornehmlich die Jugend, es dankbar empfand, daß er in seinem »Savage« mit dem Conventionellen gebrochen und die Sprache des Lebens, die Sprache der modernen Ideen an ihre Stelle gesetzt. Gern, Rüthling, Rott, Charlotte von Hagn wurden ihm befreundet. Auch der Kreis der Theatergelehrsamkeit, in welchem Eduard Devrient, der kluge Bruder des genialeren Emil, herrschte, öffnete sich ihm. In dem »Tagebuch eines alten Schauspielers« von Genast, dem Weimaraner, ist der Eindruck fixirt worden, den der Dichter damals in der Theaterwelt machte. »Die äußere Erscheinung war anziehend und entsprach wohl dem Bilde, das ich mir von ihm gemacht hatte: lichtblaue Augen und blondes Haar, eine feine, etwas gebeugte Gestalt, die Züge des Gesichts edel geformt. Die Art und Weise, mit welcher er sein Stück vortrug, war markig und geistreich, besonders gut gelang ihm die feine Nüancirung des sarkastischhumoristischen Charakters des Steele.« Dagegen hat uns Feodor Wehl, der spätere Intendant des Stuttgarter Hoftheaters, in seinen Tagebüchern »Zeit und Menschen« (Hamburg 1889) ein Bild von der Stellung vermittelt, in die sich jetzt Gutzkow im Berlin des Jahres 1840 versetzt fand. Wehl, der Sohn eines schlesischen Rittergutsbesitzers, der damals gerade seinen Uebergang aus der Offizierslaufbahn in die literarische vollzogen hatte und zu Gutzkow »wie zu einem ehrfurchtgebietenden Oberhaupt« aufblickte, lernte diesen kurz nach der Berliner Premiere des Savage kennen, und zwar wurde er demselben in den Gängen des Berliner Schauspielhauses durch seinen Oheim vorgestellt, der ein Reiteroffizier und Stallmeister des Prinzen Karl von Preußen und ein großer Theaterliebhaber war. Wehl schildert sich selbst als einen Schüler Laube's: edelmännisches Wesen und feiner Umgangston erschienen ihm als wichtige Eigenschaften für den modernen Schriftsteller; er wollte in der guten und vornehmen Welt etwas gelten, in dieser das Ansehen und den Einfluß der Literatur erhöhen. Er erzählt, wie damals in Ermangelung einer sich freibewegenden politischen Presse in Berlin die politisch-literarischen oder »belletristischen« Blätter, wie Gutzkows »Telegraph«, Kühne's »Elegante Welt«, die 1842 wieder in Laube's Leitung überging, Lewalds »Europa« in den Kaffeehäusern von Stehely, Spargagnani, Kranzler &c. einen so eifrigen Leserkreis fanden, daß sie, in mehreren Exemplaren aufliegend, doch Vormerkungen nöthig machten, um erlangt werden zu können. »Stundenlang warteten die Geheimräthe, die Ministerialbeamten, die Kunstfreunde, die Journalisten, die Studenten, bis die Reihe sie traf und das gewünschte Blatt ihnen zu Händen kam … Wenn ein Mann wie Gutzkow in Berlin erschien, konnte es demzufolge nicht ausbleiben, daß er die allgemeine Aufmerksamkeit erregte und der Löwe des Tages wurde.« Gutzkow nun hatte bei der Vorstellung etwas spitz auf Wehls äußerliches Zurschautragen des Schriftstellerberufs angespielt und gesagt, es sei erfreulich, das Handwerk in so ansprechender Erscheinung begrüßen zu können. Doch das hielt diesen nicht ab, ihm im »Hotel de Russie«, wo er abgestiegen war, seine Aufwartung zu machen, und als ihn einige Wochen später der Zufall nach Hamburg brachte, auch dort zu besuchen. Dies geschah in Begleitung des schon erwähnten Onkels, der für den Prinzen Karl eine Mission nach England hatte. Nach dem Abstieg in Streits Hotel und der Erledigung der Geschäfte wurde ein Besuch bei Gutzkow beschlossen. Dieser wohnte auf der Esplanade in einem oberen Stockwerk, sehr bescheiden, aber durchaus anständig und anheimelnd eingerichtet. »Er begrüßte uns freundlich, fragte nach unseren Absichten in Hamburg, nach meinen Arbeiten und manchem Andern. Eine halbe Stunde war bald verplaudert und nachdem wir uns verabredet, am Abend im Stadttheater zusammenzutreffen, schieden wir. Nach dem Theater lud mein Oheim Gutzkow ein, uns ins Hotel zu begleiten und hier wurden bei Austern und Champagner ein paar angeregte Stunden verbracht, die mich in eine Beziehung zu dem berühmten Autor setzten, welche bis an sein Ende gedauert hat. ›Wenn meine erste Begrüßung Sie beleidigt hat,‹ sagte er auf Wehls entsprechendes Geständniß, ›so bedaure ich das und bekenne zugleich, daß, wenn sie ein wenig satirisch klang, dies daher kam, weil ich, der ich in meinem allzeit arbeitsamen Leben wenig Gelegenheit hatte, mich gesellschaftlich auszubilden, eine Art von Neid über Ihr gefälliges Auftreten empfand. So ein junger Mensch, dachte ich, hat von Natur, was du vielleicht durch alle Uebung nicht erreichst. Das mag meinem Ton etwas Bitteres gegeben haben; beabsichtigt oder schlimm gemeint war er jedenfalls nicht.‹ Diese unumwundene Erklärung versöhnte mich und machte mich zum aufrichtigen Freunde Gutzkows auf Lebenszeit.« So wie Wehl haben sich in jenen Tagen ihm noch viele jüngere Schriftsteller als Führer angeschlossen, sich um seine Freundschaft beworben und dabei die Schroffheiten seines Wesens in den Kauf genommen, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, daß er nicht nur einen ihnen allen überlegenen, starken und stets kampfbereiten Geist, nicht nur einen dämonischen Wahrheitsdrang, der im Aufflammen keine Rücksicht kannte, sondern auch ein Herz hatte, in dem neben dem glühendsten Verlangen nach Freundschaft und Liebe doch auch jene weicheren Stimmungen mächtig waren, die der Gutmüthigkeit entstammen.

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Wir haben bei der Mehrzahl seiner Sturm- und Drangschriften, die fast immer nur als Kundgebungen jenes starken kampfbereiten Geistes betrachtet worden sind, zu zeigen gehabt, welch lebhaften Antheil an ihnen dieses hingabebedürftige, leidenschaftliche, reizbare Herz gehabt hat, wie sein Kampf gegen die Geistlichkeit, für die Emanzipation unseres Denkens und Fühlens vom Herkommen aufs innigste mit den Erfahrungen seines Herzens zusammenhing. Und auch jetzt wieder war es ein solches Erlebniß, was sich ihm nach der Rückkehr aus Berlin zum Stoff eines neuen Werkes gestaltete, diesmal eines ganz realistischen Kunstwerks, eines Dramas, dessen Zeithintergrund die Gegenwart gab, das soziale Zustände schilderte, die er selber erlebt. Gehoben von dem Erfolg des »Richard Savage«, schrieb er ein zweites bürgerliches Schauspiel, das dann sofort von fast allen deutschen Bühnen gegeben wurde, mit einem Erfolg, der vielfach den des ersten in Schatten stellte: am 21. Februar 1840 wurde » Werner, oder Herz und Welt« zum ersten Male im Hamburger Stadttheater aufgeführt und fand eine enthusiastische Ausnahme. Christine Enghaus, die spätere Gattin Hebbels, spielte die weibliche Hauptrolle mit so hinreißender Wirkung durch einfach herzliches Spiel, daß das Publikum sie immer aufs neue hervorrief. Auch dieses Stück war erfüllt mit Bezügen zu dem Kampf der liberalen Ideen um ihre Verwirklichung; die große Wirkung verdankte es aber diesmal der rein poetischen Darstellung ergreifenden Herzenslebens. War in »Richard Savage« das eine Hauptthema der jungdeutschen Sturm- und Drangzeit, das Trachten der Poesie nach politischen Wirkungen und ihr Kampf mit der Staatsgewalt auf die Bühne gelangt, so hier das zweite Hauptthema der Bewegung, das Recht des Herzens auf natürliche Entfaltung seiner Triebe im Kampf mit den Fesseln der Konvention.

Schon in seinem »König Saul« hatte eine Eigenschaft von Davids Braut, Michal, einen Zug aus Gutzkows jungem Eheleben reflektirt: dieselbe ist unfähig, zu begreifen, daß David sie um seiner höheren Aufgaben willen so oft allein lassen kann. Als der Dichter Ende 1837 erst nach Berlin, dann nach Hamburg gegangen war, um für seinen »Telegraphen« einen besseren Vertrieb zu gewinnen, hatte er seine Frau bei ihren Pflegeeltern zurücklassen müssen. Erst im folgenden Frühjahr war er im Stande gewesen, in Hamburg einen selbständigen Haushalt zu gründen und seine Gattin nachkommen zu lassen. Doch die Hamburger Verhältnisse behagten der verwöhnten Frankfurter Haustochter nicht und zu dem Heimweh gesellte sich die Sehnsucht nach einem minder aufgeregten, kampfdurchschütterten Leben, als ihr an der Seite ihres streit- und reizbaren Mannes unter fremden Menschen gewährte; die Aussicht auf ein neues Kindbett veranlaßte sie zu einer Rückkehr in das Haus der Pflegeeltern nach Frankfurt und nach der Aufführung des »Richard Savage« blieb sie wieder auf längere Zeit dort, während Gutzkow allein nach Hamburg zurückging – ein Alleinsein, das dem Glück dieses aus reinster Liebe geschlossenen Ehebundes zum Verhängniß gereichte. Natürlich konnte es auch nicht fehlen, daß die Kenntnißnahme seiner früheren Schriften sie verwirrte und daß die ideale Anhänglichkeit seiner Erinnerung an Eine, die er vor ihr geliebt, ihre Eifersucht rege machte. Bei seinem Aufenthalt dann in Berlin sah er Rosalie wieder; er sprach sie selber nicht, aber wohl besuchte er ihren Vater. Die Wirkung dieser Eindrücke ging ihm in Hamburg nach. Die alte Liebe regte sich wieder in seinem Herzen, das sich doch auch der fernen Gattin in Treue verbunden fühlte. Und die ihm eigenthümliche Norm des poetischen Schaffensprozesses, die sich schon wiederholt aus der retrospektiven Zweifelfrage ergeben: »Was wäre aus Dir geworden, wenn –« gelangte in seinem Geistesleben wieder zur Macht. Dem genialen Schauspieler Jean Baptiste Baison, mit dem er sich intimer befreundet hatte, vertraute er sich an. Er erzählte ihm von dem Besuch bei dem Vater Scheidemantel. »Ich wurde gütig von ihm aufgenommen. Die Angebetete, die zu meiner Beglückung nichts hatte wagen wollen, die sich nicht hatte entschließen können, sich für mich zu bekennen, hat dennoch alle Bewerbungen, die sie reichlich empfing, abgelehnt. Ich gestehe Ihnen bei aller Achtung vor meiner Gattin, daß ich vor dem Vater der ehemaligen Geliebten, einer edlen idealen Mannesnatur, mit Erschütterung stand, ja daß ich noch zuweilen über dies Verfehlthaben eines Zuges meines Herzens vor Schmerz und Wehmuth – doch ich will nicht fortfahren in einem Tone, der vielleicht nur posthume Berechtigung hat« – so bricht diese intime Mittheilung in der Einleitung zu den »Rückblicken« ab. Baison war Feuer und Flamme für eine dramatische Gestaltung dieses Seelenkonflikts und in wenig Wochen entstand – aus einem Guß – das Schauspiel »Werner, oder Herz und Welt«.

Das Bedeutsame dieses Dramas und seines Erfolgs für unsere Betrachtung bestand aber darin, daß das psychologische Charaktergemälde mit realistischer Kunst sich vom Untergrund eines aktuell gestimmten Zeitbildes abhob. Die Reue des Heinrich von Jordan über eine Treulosigkeit seines Herzens war dargestellt als Hauptsymptom eines Seelenkampfs, der aus der allgemeinen Untreue eines Hochbegabten gegen die eigene Vergangenheit, gegen die Ideale seiner Jugendzeit beruht. Heinrich Werner, der Sohn armer, aber braver Eltern, den die Auszeichnung, die seinen wissenschaftlichen Arbeiten wurde, verleitet hat, sich dem Staatsdienst zu widmen, der in seinem Amt sich so ausgezeichnet, daß sein erster Chef, Präsident von Jordan, ihn als Schwiegersohn willkommen hieß; der sich bei dieser Gelegenheit bereit fand, dem Wunsche des hohen Beamten nach einem adeligen Schwiegersohn Rechnung zu tragen, indem er sich von ihm adoptiren ließ und seinen schlichten elterlichen Namen Werner zu Gunsten des stolzen »Heinrich von Jordan« aufgab, und den nun doch bei all seinem Glück, seinem Wohlleben, seiner Carrière der Gedanke an die Ideale seiner Jugend quält, an die Zeit reinen idealen Strebens, freien unbeschränkten Forschens – er war ein Typus jener Zeit, in der tausende begabtere Männer in ähnlicher Weise sich in dem Staat »zurecht gefunden« hatten, welcher die Ideale ihres besseren Bewußtseins verfolgte. Gutzkow selber hatte die Versuchung wiederholt erlebt und, sie ablehnend, ihre Lockung empfunden. In frechbeleidigender wie ehrendster Gestalt war sie an ihn herangetreten: wie Joel Jacoby hatten erst neuerdings der Pflegevater seiner Frau und der Präsident von Rehfues in dieser Richtung auf ihn zu wirken gesucht. Doch zurück zu Werner: Marie Winter, die Jugendgeliebte, das Opfer seiner Treulosigkeit, wird, ohne eine Ahnung zu haben, wohin sie kommt, von seiner jungen Frau als Erzieherin der Kinder engagirt. Das Wiedersehen zwischen beiden wirkt als ein Rachewerk der geopferten Vergangenheit, indem es ihn wie sie mit der Erinnerung an das ihnen einst gemeinsame, nie verschmerzte Glück so machtvoll überkommt, daß sie dem Zauber nicht zu widerstehen vermögen. »Meinem Weibe bleib' ich treu, ich werde sie nicht betrüben, aber schon glücklich sein, wenn ein vergebender Blick deines Auges mein Gewissen beruhigt.« Sie will fliehen; er fleht, daß sie bleibe. Sie giebt nicht nach; nur einen Tag wolle sie aushalten, bis ein Vorwand gefunden ist, der ihre Entfernung entschuldigt. Sie findet ihn nicht. Das Engagement hat ein Freund des Hauses, ein Kollege Heinrichs, der Assessor Wolf, vermittelt, der dem Mädchen nachstellt und auf diese Weise Gelegenheit zu gewinnen sucht, der Spröden sich öfter zu nähern. Marie Winter ist zugleich der Gegenstand einer ehrlichen Liebe eines alten Universitätskameraden von Heinrich, des Referendar Fels, der sich ihm nun anvertraut. Eine Zudringlichkeit des Assessors Wolf verleitet Heinrich, durch allzu heftiges Auftreten gegen diesen seine Leidenschaft für Marie zu verrathen, wovon Julie, die Gattin, Zeugin wird. Die darauf folgende Aussprache zwischen dem Ehepaar hat den Entschluß Juliens zur Folge, das Haus zu verlassen und zu ihren Eltern zurückzukehren; Heinrich aber trotzt dem Geschick, das ihn zwingen will, Pflichten des Herzens und die Stimme einer höheren Sittlichkeit dem heuchlerischen Zwange der Rücksichten zu opfern. Die Ankunft des Präsidenten, Juliens Uebersiedelung zu diesem, die Entführung der Kinder bringen Heinrich zur Besinnung. Marie giebt der Werbung des jungen Fels, den sie zwar noch nicht liebt, aber achtet, Gehör, was dessen Vater, ein lebenskluger Arzt, vermittelt, indem er ihr zeigt, daß es der beste Ausweg sei, um Heinrich vor übereilten Schritten, die das Glück seiner Familie vernichten würden, zu schützen. Wolf, der Intriguant, hat aus Rache für die Abweisung den Verdacht leichtfertiger Amtsführung auf den Rivalen gelenkt. Aus der Verwickelung geht Heinrich als geläuterter Sieger hervor und Julie gewinnt das bedrohte Familienglück zurück durch ein Opfer. Heinrich Werner giebt sein Amt auf, das ihn dem Dienst seiner Ideale untreu werden ließ, er legt den adeligen Namen ab, der ihn um den alten ehrlichen Namen seiner Eltern gebracht hat, er widmet sich der akademischen Laufbahn, um als Lehrer und Schriftsteller die Aufgabe wieder aufzunehmen, wenigstens theoretisch »den Staat mit dem Geist des Jahrhunderts zu versöhnen«. Nur wenn Julie unter diesen Bedingungen zu ihm zurückkehren will, erklärt er, wolle er ihr übereiltes Handeln vergeben. Und sie kehrt zurück, um als Frau Julie Werner die Wiedergeburt ihrer Liebe zu feiern. Des beglückten Gatten Schlußworte lauten: »Julie, durch das, was dir begegnete, hast du einen Blick in die Geschichte der Herzen gethan, die euch Liebe schwören, einen Blick in die Region, die wir Männer euch Frauen so gern verborgen halten! In tausend Seelen unserer Zeit schlummert der Widerspruch des Herzens mit der Welt still und schmerzlich verborgen. Wohl dem, der ihn so lösen kann, wie ich – durch dich.«

Was an diesem auch heute noch interessanten bürgerlichen Drama damals so mächtig wirkte, war die unmittelbare Anknüpfung der individuellen Seelenkämpfe an die allgemeinen Zustände und die spezifische Zeitfärbung auch der Seelenmalerei. Gerade diese Eigenschaften haben die Dauer seines Bühnenlebens beeinträchtigt. Doch hat die Kunst eines Emil Devrient und eines Sonnenthal lange nachher noch dem Drama eine starke Wirkung gesichert und das gleiche zeigte sich stets, wo die Rolle der Julie eine glückliche Besetzung fand. Bei der Kritik erregte schon damals der schwankende Charakter des Helden Bedenken; mit Recht konnte sich dagegen der Dichter auf Goethe berufen, der eine ganze Reihe Bühnengestalten, wie Weislingen, Clavigo, geschaffen hat, welche dieselbe Eigenschaft theilen. Waren jene sentimental, so ist Werner skeptisch. Für eine historische Beurtheilung des Stückes ist aber gerade dadurch der Charakter des »Helden« für unsre Literaturperiode so typisch. Man vergleiche, was Immermann in seinem Tagebuche zur Rechtfertigung ähnlicher Eigenschaften seiner »Epigonen« gesagt hat. Im Allgemeinen fand denn auch das Drama, das den Bühnen als Zugstück diente, auch bei der ernsten Kritik viel Anerkennung. Die »Halle'schen Jahrbücher«, welche in ihrem Jahrgang 1840 über Richard Savage eine absprechende Kritik gebracht hatten, druckten im folgenden (Nr. 48-51) einen größeren Aussatz »Dramaturgische Didaskalien bei Gelegenheit des ›Werner, oder Herz und Welt‹ von Karl Gutzkow«, der, an Diderots und Lessings bürgerliche Schauspiele anknüpfend, dem neuen Drama warmes Lob zollte und es als Sieg des Realismus über die Romantik feierte: »die Macht der Verhältnisse, dieses moderne Schicksal, spielt dabei jene würdige Rolle, die von Zufälligkeiten, die wieder durch Zufälligkeiten gehoben werden, ganz absieht.«

Dies zweite von Gutzkows siegreichen Bühnenwerken übte noch auf vielen deutschen Theatern seine frische Zugkraft, da erschien der Verfasser schon mit einem dritten Stück aus dem Plan: » Patkul, ein politisches Trauerspiel«. Dieses erlebte 1841 seine erste Ausführung im Hoftheater Berlins (mit Seydelmann, Rott, Ed. Devrient in den Hauptrollen) und der Erfolg war ein solcher, daß am nächsten Tag der Generalintendant Gras Redern ihm die Eröffnung machte, er wolle beim König in Sanssouci seine Anstellung als Theaterdichter der königlichen Schauspiele beantragen. Die Rücksicht auf Raupach vereitelte diesen Plan. Der Antrag selbst aber brachte in ehrenvollster Weise zum Ausdruck, was bei der Wahl dieses neuen historischen Stoffs eines der aktuellen Motive gebildet hatte. Der Sieg der jungdeutschen Schriftsteller, die man als politische »Abenteurer« verfolgt hatte und jetzt doch zulassen und anerkennen mußte als Führer des geistigen Lebens der Nation, lenkte den Blick zurück auf die geistesverwandten Märtyrer, die in noch schlimmeren Zeiten ähnliches Streben mit ihrem Blute besiegeln mußten. Die Idee der Ritter vom Geist, die vom Volke sich loslösen, um als Verfechter der Freiheit in die Welt der Geburtsprivilegien emporzudringen, suchte hier zuerst dramatische Gestalt. Auch Patkul, der kühne Deutsch-Livländer, der, um sein Vaterland von der Herrschaft der Schweden zu befreien, zum politischen Schriftsteller und Agenten, zum Staatsmann und Verschwörer wurde, war ja ein geistiger Vorkämpfer der Demokratie und ein Grübler über theologischen Zweifeln gewesen, ehe er als russischer Gesandter an den Dresdner Hof Friedrich Augusts von Sachsen und Polen kam. Aber das eigentlich dramatische Motiv für diese Tragödie des politischen Märtyrerthums lieferte dem Dichter ein anderes Merkmal der von ihm selbst durchlebten Zustände: Patkul, der Demokrat, konspirirt, um sein Livland zu befreien, mit dem Auslande, mit Rußland und Polen, und diesen politischen Irrthum, den in Bezug auf Frankreich seit 1830 ein starkes Element der deutschen Demokratie theilte, erhob der Biograph Börne's hier zum Motiv von Patkuls tragischem Schicksal. Es war ja dasselbe Schicksal, das Heine und Börne der Heimath entfremdet hatte, und dies ward, ohne besonderen Hinweis darauf, vom Publikum mit empfunden. Die Liebe einer sächsischen Hofdame, Anna von Einsiedel, für den ritterlich-genialen Freiheitsmann, dessen Befreiung sie bei Friedrich August, der sie umsonst zur Maitresse begehrte, mit Erfolg durchsetzt, ohne jedoch dies Ziel selber erreichen zu können, verliehen dem »politischen Trauerspiel« ein Element rein menschlichen Interesses. Die politische Tendenz aber herrschte vor, sie blitzte auf mit satirischen Spitzen in der Schilderung der Hofkamarilla des schwächlichen Tyrannen, den die Geschichte August den Starken nennt, und auch hier äußerte sich am Schluß der liberale Grundgedanke des Dichters als Sentenz: »Die Pflugschar der Tyrannei,« sagt der verhaftete Patkul, »muß in den Erdboden tiefe Furchen reißen, damit die Freiheit daraus erblühe! Nicht der erste bin ich; noch werden andere kommen, bis sich die Nachwelt unserer Saaten freut! Kein Ach, kein Tropfen Blutes, so vergossen, geht verloren! Jedem Freiheitsseufzer aus dem kleinsten Erdenwinkel antwortet donnernd einst der Jubel der Jahrhunderte!« Die Vereinigung der liberalen mit der patriotischen Tendenz, welche das ganze Stück durchdrang, macht seine Annahme zur Aufführung im Hoftheater Berlins wie die jubelnde Aufnahme desselben erklärlich. Die Möglichkeit eines Krieges mit Frankreich hatte gerade in jenem Jahr dem nationalen Bewußtsein einen bedeutenden Aufschwung gegeben; Thiers drohte mit Rüstungen, Sänger der Freiheit und Führer des Freisinns feierten wieder die Einheitsidee als Hauptmotiv des Freiheitsverlangens: in demselben Jahr ließ in Köln Nikolaus Becker sein Rheinlied »Sie sollen ihn nicht haben« ertönen, sandte Hoffmann von Fallersleben sein »Deutschland, Deutschland über Alles« von Deutschlands nördlichstem Felseneiland über die Wogen der Nordsee.

Mit »Richard Savage«, »Werner« und »Patkul« hatte Gutzkow schnell hinter einander den Hauptrichtungen der geistigen Bewegung seiner Jugend auf der Bühne zum Ausdruck verholfen, der literarischen, der sozialethischen, der politischen. In allen drei Stücken hatte er gleichmäßig den ästhetischen Prinzipien entsprochen, welche in den Jahren vorher Wienbarg, Laube und er als diejenigen bezeichnet, aus denen sich eine neue Nationalliteratur der Deutschen entwickeln könne. Wenn Savage dem stolzen Lord all seine Geschenke vor die Füße warf, weil er diesen nur als Zeichen der Liebe seiner Mutter vorher geschätzt hatte, wenn Heinrich Werner alle Vortheile seiner Heirath von sich wies, um zu einem wahren Glück der Ehe zu gelangen, wenn Patkul alle Vorsicht außer Acht ließ, weil all sein Denken von dem Wunsche, sein Volk zu befreien, geleitet war, so trat hier jene »schöne That« in die Erscheinung, welche Wienbarg als Ideal für die moderne Poesie aufgestellt hatte. Die hier entfaltete Poesie war ferner »modern« nach der Auffassung Laube's, der als solche jene Dichtung bezeichnet hatte, die »aus Gefühlen, Leidenschaften, Ideen und ihrem Zusammenhang mit der realen Erscheinungswelt, dem Leben, eine Gestaltung erstehen läßt, welche den Charakter ihres Urhebers trägt.« Und schließlich trug hier auch die Muse der Bühne jene »Blendlaterne des Ideenschmuggels«, welche Gutzkow als Attribut jeder bahnbrechenden Dichtung gefeiert hatte, und der skeptische Hang seines Geistes, den Fortschritt aus seinen Gegensätzen zu begreifen, löste sich auf in dem rein künstlerischen Element des dramatischen Dialogs. Diese Dramen waren das folgerichtige Kunstergebniß der ästhetischen Errungenschaften der jungdeutschen Uebergangsepoche. Hier erfüllte sich, was den Schluß des Buchs über »Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte« gebildet hatte, die Vorhersage: die Kunst der Tendenz kann beginnen, wenn die Talente für sie erstarkt seien; dann könne man anfangen, wieder auf Schillers Beispiel zurückzugreifen. In den drei Stücken hatte er aber auch in schneller Folge die poetischen Grundtöne markirt, auf denen sein weiteres Schaffen gestimmt blieb. Der Steele seines »Richard Savage« wuchs sich in den nächsten Jahren auf zu der mächtigeren Gestalt seines Molière im » Urbild des Tartüffe«, Steele's Mahnung an Savage, der Bühnendichter der Zeit müsse jetzt satirische Lustspiele schreiben, fand hier durch ihn selbst die Erfüllung. » Uriel Acosta«, dessen Stoff wir in den Kapiteln dieses Buchs vom Leben selber gestalten sahen, bis er nun in dem Drama das erhöhte Leben des echten Kunstwerks gewann, hätte ebenso gut den Nebentitel »Herz und Welt« tragen können wie der »Werner«, denn, steht auch die Tragik des Wahrheitssuchers, der im Kampf mit seinen eigenen Zweifeln erst widerruft und dann doch der Wahrheit vollen Lauf läßt, im Vordergrund des Interesses, so wirkte auch hier die Rücksicht des edlen Denkers auf die Stimme des Herzens, die Mahnungen der Welt, wirkte das Mitleid mit dem unterdrückten Volk seiner Stammesgenossen, mit dem von seiner That auf Mutter und Brüder heraufbeschworenen Unglück, als Hauptmotor der Verwicklung. » Das weiße Blatt« und » Ottfried«, zwei nach Problem wie Stoff ganz moderne Stücke, in welchem der Dialog sich immer mehr dem Vorbild der Wirklichkeit näherte, standen dem Werner noch näher. An Patkul schlossen sich: » Zopf und Schwert«, » Pugatschew«, » Wullenweber«. Alle diese Dramen, denen nach 1848 noch andere folgten, in denen aber mit dem machtvollen Bezug zur Zeit auch die Frische und Kraft der früheren vermißt wurde, haben in dem Jahrzehnt ihres Hervortretens mächtige, zum Theil außerordentliche Wirkungen ausgeübt. Und fördernd, anregend und befruchtend hat er mit ihnen gleichzeitig auf die Produktion anderer Talente gewirkt, sowohl durch ihre Vorzüge, als auch durch ihre Schwächen. Denn was ihnen den Feuerathem lebendiger Wirkung lieh, ihr Zusammenhang mit den Interessen der Zeit, was als Frucht und Blüthe des jungdeutschen Frühlings hier von den Zeitgenossen bejubelt wurde, was als offenes Bekenntniß in seines Molière's Aufruf ins Wort sprang: »In der Poesie suche ich eine Waffe zu finden für den Kampf der Aufklärung gegen die Lüge«, das nährte auch ein unkünstlerisches Element in diesem Schaffen, das Element rhetorisch sich äußernder Tendenz, und auch dies war ein Erbe aus den »vergangenen Tagen«. Gegen die Mächte des Wahns, der Konvenienz, der politischen und kirchlichen Unterdrückung waren alle diese Dramen gerichtet. Und er überließ den Ausdruck dieser Tendenz nie ganz der unmittelbaren Wirkung der Handlung und Charakteristik. Neben dem Poeten schlummerte in ihm der Agitator, der Vorkämpfer für politischen, sozialen, religiösen Fortschritt. Der erwachte bisweilen zur Unzeit und ergriff das Wort, während es dem Dichter noch zukam. »Seine Gestalten waren bewegt von den Problemen der Zeit«, wie Frenzel sagt, und das ist ihr großer unveräußerlicher Vorzug; sie debattirten aber auch über sie, und das war ein schon damals von der Kunstkritik empfundener Fehler. »Im Kampfe der Geister fochten sie mit«: für die damalige Generation war dies ein Genuß und Gewinn, dem heutigen Geschlecht muß ein Theil dieser Gedanken und Mahnungen als Gemeinplatz und Ueberlebtes erscheinen.

Wenn aber dieses Hervordrängen der Tendenz ihm, schon damals, und später mit wachsender Opposition, von der ästhetischen Kritik so ausgelegt ward, als hätte er sich mit ihr aus Berechnung wohlfeile Triumphe bereitet, so geschah ihm das bitterste Unrecht. Sichtlich war er in seinem Weiterschreiten bemüht, sich von der Neigung, deren künstlerische Schwäche er selbst empfand, möglichst ganz frei zu halten; ganz hätte er es nur auf Kosten der Beseelung des Stoffes gekonnt. Sein Leben und seine Geschichte, die Geschichte des jungen Deutschlands, hatten diese Tendenz zur Seele gemacht seines Schaffens, sie war historische Nothwendigkeit in ihm, die Erfüllung seines Jünglingstraums von dem Berufe der Literatur, die Wiedergeburt des zerstückelten und in seinem geistigen Leben brutal unterdrückten Vaterlands vorzubereiten. Noch vor Beginn seiner dramatischen Laufbahn hatte er diese ihm zum Geisteselement gewordene Auffassung in jenen Gesprächen mit Immermann scharf zum Ausdruck gebracht, wie uns des letzteren Tagebuchaufzeichnungen, die Putlitz 1870 herausgegeben, überliefert haben. Immermann sagte: »Die Literatur und Poesie erzeugen die Zustände nicht, sondern sie gehen aus denselben hervor.« Gutzkow aber »hielt dafür, daß eine Umbildung oder vielmehr Belebung der zartesten Nerven des sozialen Organismus von großen Dichterwerken ausgehen müsse. Die Phantasie der Menschen müsse durch zeitgemäße Bilder und Töne erst aus dem Schlummer erweckt werden, dann werde von selbst eine Erweichung der in Stockung gerathenen Organe folgen.« Adolf Stern, der in seiner Geschichte der neueren Literatur auch auf diese Stelle Bezug nimmt, knüpft daran die Bemerkung: »Gutzkow hatte die ganze Geschichte der poetischen Literatur für sich, wenn er annahm, daß das, was in einer Generation Empfindung der am stärksten Fühlenden, Bildung der Freiesten ist, in der nächsten auf größere Kreise übergehe. Allein die unerläßliche Vorbedingung solcher Wirkung des Dichters auf das Leben bleibt die innige Verbindung eines poetischen, empfindenden und gestaltenden (nicht reflektirenden) Idealismus mit der Natur, die Wärme und Leidenschaft der Hingebung an die Welt, die er fortreißen und erheben will, und darum geht diese Wirkung immer nur von den Werken aus, welche energisch gestalten, energisch widerspiegeln und darstellen oder das innerste Geheimniß einer poetisch gestimmten Seele in schwungvollen Formen aussprechen.« Da wo Gutzkow seinen Gestalten Lebensvoraussetzungen und Lebensstellungen verliehen, in denen die Bildungselemente, der Antheil der Reflexion am Dasein vollberechtigt sind und Bedeutung haben, sei darum dieser auch zu echten poetischen Wirkungen gelangt. Und dies trifft denn auch gerade bei denjenigen Schöpfungen zu, welche wie » Zopf und Schwert«, » Uriel Acosta« und das » Urbild des Tartüffe« sich als bühnenmächtig bis in unsere Tage und als in ihrer Art klassische Werke erwiesen haben, die – in vielen Sprachen übersetzt, in zahlreichen Auflagen verbreitet – ihrem Dichter einen bleibenden Ehrenplatz im Pantheon der Weltliteratur sichern.

Die Jahre 1843 bis 46, in denen er diese Dramen schrieb und ihre ersten Aufführungen erlebte, sind als Gutzkows glücklichste Zeit zu bezeichnen. Wohl haben die Jahre des sechsten Jahrzehnts, in denen die großen Zeitromane »Die Ritter vom Geist« und »Der Zauberer von Rom« in Dresden entstanden, ihm ähnliche Stunden begeisterten Schaffens und ähnliche Erfolge gebracht, die er noch dazu in der Hut eines glücklichen Familienlebens an der Seite seiner zweiten Frau, Bertha, geb. Meidinger, der Cousine seiner früh am Typhus verstorbenen ersten, genießen durfte. Aber durch sein Dichten ging nunmehr wieder, nach den politischen Enttäuschungen des Jahres 49, die Wehmuth der Resignation, sein ideales Hoffen als Dichter zehrte von der Erinnerung. In diesen vier Jahren aber, während deren er eine Freiheit genoß, die er bisher nicht gekannt, und die er sich selbst zu danken, seiner Kunst zu danken hatte, während deren sein poetischer Genius sich in die heiteren Höhen des Humors und jene seligen Gefilde reinsten Kunstschaffens aufschwang, von denen er sich mit seinem Grüblergeist schon als ausgeschlossen betrachtet hatte, während deren ihm das Leben der Weltstadt Paris in all seiner Großartigkeit aufging, er Wien und Italien unter den angenehmsten Lebensbedingungen besuchte und die Gunst der Verhältnisse, die Größe seiner Erfolge ihm die in der Jugend mit seltsamer Ahnung erträumte Führerrolle im Literaturleben der Nation wirklich zuwies, da war's ihm wie dem Wanderer, der nach langem Klimmen über weglose Pfade durch Nebel und Thalfinsterniß auf freier Höhe ins Licht hinaustritt und vor sich den ersehnten Gipfel erblickt, hoch ins Blau emporragend, aber klar zu überschauen und nunmehr geraden Wegs zu erreichen. Das Jahr 1842 hatte ihm zuvor eine demüthigende Niederlage gebracht – sein viertes Bühnenstück, das satirische Lustspiel »Die Schule der Reichen«, war um dieselbe Zeit, als es in Wien einen schönen Erfolg erlebte, in Hamburg von einer feindlichen Koterie ausgezischt worden. In der tiefen Mißstimmung, welche dieser Schlag in dem Einsamen hervorrief, wurde ihm ein Erlebniß zu Theil, welches in sein verdüstertes Gemüth belebenden Sonnenschein brachte und ihm selbst – wonach sein Naturell lechzte – poetisches Erleben. Während er im Abenddämmer trübseligen Stimmungen nachhing, klingelte es an seiner Thür. Ein Diener in eleganter Livree, den betreßten Hut ziehend, brachte ein gefälteltes Billet und bat um sofortige Antwort. Eine Dame der höheren Gesellschaft Hamburgs, die als schriftstellerische Dilettantin ein Reisetagebuch veröffentlicht hatte und mit dieser originellen Bekenntnißschrift vorher schon Gutzkows Interesse geweckt hatte, bat ihn in liebenswürdigster Form, sie zu besuchen, um in ihrem Hause sich über die Niederlage zu trösten. Sie sei entrüstet über die Machinationen der siegreichen Partei und ihr Gatte und sie seien gewillt, dieser zu opponiren. Am besten, wenn er sogleich am nächsten Tage zu Tisch käme. Diese Dame war Therese von Bacharacht, die Tochter des russischen Gesandten von Struve, die Gattin des russischen Generalkonsuls. Gutzkow folgte der Einladung und – so lautet die kurze Andeutung in den Rückblicken – erlebte, daß sein Hamburger Schicksal der »Schule der Reichen« der Anlaß zu einer durchgreifenden Neugestaltung seiner Lebensbeziehungen wurde. Er lernte durch sie die höhere Gesellschaft kennen, Diplomaten, die in späteren Jahren zu hohen Stellungen kamen, Senatoren, Bürgermeister, durchreisende Staatsmänner. Als er bald darauf zum ersten Mal nach Paris ging, eröffnete ihm sein Bezug zur Familie der so romantisch gewonnenen Freundin die ersten Kreise der französischen Hauptstadt und eine Fülle von nicht leicht zu gewinnenden Eindrücken, die er in seinen ebenso geist- wie lebensvollen » Briefen aus Paris« dann schilderte. Therese von Bacharacht war eine junge, unglücklich verheirathete Frau, von fesselnder Schönheit und bezaubernder Liebenswürdigkeit, wie dies alle, die sie bis zu ihrem früh erfolgten Tod kennen lernten, in Worten des Entzückens bekundet haben. Diese Frau, ganz aufgehend im Interesse für Literatur und Kunst, erfüllt von den Idealen der George Sand'schen Liebesromantik, warb sich Gutzkow zu einer Seelenkameradschaft, die in einer tiefen Begeisterung für seinen Genius ihre Quelle hatte und in diesen ersten Jahren beglückend, beschwingend und befruchtend auf diesen wirkte. Was diese Freundin ihm im Laufe der Jahre gewesen: zwischen den Zeilen so manchen Kapitels der »Ritter vom Geist« steht es geschrieben, welche Konflikte aber auch ihre Liebe seinem Innern bereitete, ist im »Ottfried« dramatisch gestaltet worden.

Er hatte nach dem Hamburger Brand die Redaktion des »Telegraphen« einem jüngeren Freund, Georg Schirges, übertragen und sein Heim wieder ganz nach Frankfurt verlegt, wo er bis zu seiner Berufung nach Dresden als Dramaturg des Hoftheaters (Ende 1846) in angenehmen Verkehrsverhältnissen wohnen blieb. Für die Literarische Anstalt, welche der Jugendfreund Löning mit dem Buchhändler Rütten gegründet hatte, ordnete er hier seine Schriften für die erste Gesammtausgabe. Auch fehlte es ihm nicht an anregendem Umgang: da war die »Ganges-Gesellschaft«, zu deren Mitgliedern die Künstler Moritz v. Schwind, Rustige, Hessemer, die Musiker Schnyder v. Wartensee und Wilh. Speyer, die Schriftsteller H. Hoffmann, L. Braunsels, Th. Creizenach zählten; da war das offne Haus von Marie Belli-Gontard, in welchem dem jungen Talent Friedrich Stoltze's Gelegenheit wurde, bei Anwesenheit Laube's und Berth. Auerbachs als Gästen diese mit Gutzkow als Führer des jungen Deutschlands in schwungvollen Versen zu feiern. An Besuchern fehlte es nicht; auch Rosenkranz stellte sich ein. Dies Leben in der Mainstadt wurde zudem gar viel von Reisen unterbrochen. Und wenn wir lesen, daß »Zopf und Schwert« mit seinem gutmüthigen Spott auf den altbrandenburger Zopf und dem kraftvollen Hinweis auf das Schwert, das unter der Herrschaft dieses Zopfes für die Hand des großen Fritz geschmiedet wurde, 1843 während eines Frühlingsaufenthalts in Mailand geschrieben wurde, daß im Jahre darauf ein anregender Aufenthalt in Wien das »Urbild des Tartüffe« erstehen sah, worin ohne kleinlichen Bezug auf kleinliche Tagesereignisse das Walten der Zensur mit ihren kleinlichen Rücksichten in die Beleuchtung jenes überlegenen Humors gerückt wurde, dessen helle Reflexe über das ganze Menschheitsbild blitzen, daß im Winter von 1845 zu 1846 das Trauerspiel »Uriel Acosta« in Paris in jener klaren Künstlerstimmung gestaltet wurde, mit der ein Meister der Plastik einem wiederholt skizzirten völlig beherrschten Stoff mit sicher arbeitender Hand die von ihm gewollte Form der Vollendung giebt, so haben wir uns Erholungsstunden dazu zu denken, in denen die Freundin Therese mit feinfühligem Takt bemüht war, durch ernstes Eingehen in sein Planen und heitere Anregungen, des Dichters Schaffensstimmung in freudigem Schwung zu erhalten.

Wohl hob in diesen Jahren die Reaktion in Preußen aufs neue das Haupt empor. Der König, der im ersten Uebermaß seines Selbstvertrauens mit dem bureaukratischen System seines Vaters gebrochen, so manche drakonische Bestimmung zurückgenommen, zu ständischen Reformen sich bereit erklärt, die unentbehrlich gewordenen Eisenbahnen genehmigt und die kühne Schrift des Oberpräsidenten der altpreußischen Provinzen von Schön, »Woher und wohin«, mit dessen Berufung ins Ministerium beantwortet hatte, änderte sehr bald diese Richtung und suchte das alte Bündniß von Autokratie und Hierarchie aufs neue zu befestigen. Schön wurde wieder entlassen und die »Vier Fragen« des Königsbergers Johann Jakoby mit einem Hochverrathsprozeß beantwortet. Metternich bekam wieder freie Hand. Diesmal aber ließ sich die Volksbewegung nicht unterdrücken. Der Mechanismus des Bundestags klappte nicht mehr. Das Bedürfniß nach zeitgemäßen Reformen beherrschte jetzt auch die Beamtenwelt. Die alten Mittel wollten nicht mehr verfangen. Die Presse mit ihren neuen Organen, in Köln, in Bremen, in Leipzig, die fester organisirten Parteien waren jetzt zu mächtig. Die patriotische Lyrik, von Herwegh herausgefordert, wurde auch in Hoffmann von Fallersleben, in den rheinischen Sängern, in Freiligrath revolutionär und in hunderten von deutschen »Liederkränzen« schwellte sie die Brust hoffnungsfreudiger, zur Thatenlust erstarkender Männer. Wohl hatte jetzt Heine, zerfallen mit den Hoffnungen einer früheren Epoche seines Lebens, von Paris her voll Resignation in den Liederjubel Herwegh's gesungen:

»Herwegh, du eiserne Lerche,
Mit klirrendem Jubel steigst du empor
Zum heiligen Sonnenlichte!
Ward wirklich der Winter zu nichte?
Steht wirklich Deutschland in Blumenflor?

Herwegh, du eiserne Lerche,
Weil du so himmelhoch dich schwingst,
Hast du die Erde aus dem Gesichte
Verloren – nur in deinem Gedichte
Lebt jener Lenz, den du besingst.«

Wohl mußte Herwegh den Uebermuth, zu dem ihn das Entgegenkommen des preußischen Königs verleitet, mit erneutem Exile büßen. Im Volke aber war jetzt dieser Frühlingsglaube, den Heine's und Börne's revolutionäre Prosa schon vor Jahren gepredigt und in ihrer jetzt erst recht wachsenden Verbreitung schürte, eine unzerstörbare Macht, die nach Thaten drängte, und die Regierungen fühlten dies wohl und suchten mit ihm zu paktiren. In Württemberg, Baden und Sachsen behielt der politische Freisinn die Oberhand, während in Kurhessen freilich ein Sylvester Jordan als muthmaßlicher Verfasser einer Reichsverfassung im Kerker schmachten mußte, in Rheinhessen der von Weidig im Gefängniß begangene Selbstmord blutige Schatten auf das herrschende Regime warf, in Hannover der Verfassungsbruch des Königs nach Sühne schrie, und in Bayern erst die Reaktion unter Abel und dann die Mätressenwirthschaft der Lola Montez die drohende Macht des neuerwachten Volksgeists mißachtete. So konnte auch die an jeder deutschen Bühne mit anderen Bedenken und Rücksichten arbeitende Theaterzensur nicht verhindern, daß die neuen Dramen Gutzkows, wenn auch nicht in München und Kassel, zur Aufführung gelangten, um so weniger, als das Theaterbedürfniß einmal geweckt und in der angeregten Richtung nun auch befriedigt sein wollte, um so weniger auch, als in diesen Dramen die politische Tendenz nichts von dem Geiste direkter Aufwiegelung hatte, der immer hitziger in der Presse, in den Parlamenten, in Liedern und Flugschriften zum Ausdruck gelangte.

Wie diese Dramen aber nun bei ihrem Hervortreten wirkten, gleichzeitig hellen Enthusiasmus für ihren Geist wie echte Bewunderung für die in ihnen offenbarte Kunst weckend, darüber ließe sich ein Band zusammenstellen von Briefen und Kritiken aus allen Theilen Deutschlands, der ein schönes Zeugniß abgäbe für die ideale Empfänglichkeit jener Zeit. Gerade die Vielheit der deutschen Bühnen, dies Produkt der deutschen Kleinstaaterei, machte das Theater für den liberalnationalen Ideengehalt dieser Dramen zu einem Organ der Verbreitung in allen Theilen Deutschlands. Urbild und Acosta haben damals Triumphe gefeiert, welche als mächtiges Erlebniß in das Bewußtsein der Nation übergingen. Da wurden selbst skeptische Geister, persönliche Neider hingerissen, wie Aeußerungen von Rutscher, von Hebbel u. v. a, beweisen. »Was sind Sie für ein prächtiger Kauz!« schrieb spontanem Impulse folgend Laube's damaliger Intimus Robert Heller nach der ersten Aufführung des »Urbild des Tartüffe« in Leipzig (2. Januar 1844), »Und wie schön ist uns das Stück vorgestellt worden. Marr ist ein Lemoignon, wie Sie sich keinen besseren wünschen können. Ein übermäßig gefülltes Haus, das Orchester deshalb geräumt, was sonst niemals geschieht, und der rauschendste Beifall für alle Szenen. Marr hatte mir schon vorher von dem Stück gesagt und daß er es als ein Meisterstück betrachte und bewundere. Er hat recht gehabt. Seit gestern bewundere ich es eben so sehr, da ich es nun kenne. Sie haben eine Leichtigkeit der Bewegung, eine Straffheit der Handlung, eine Sicherheit der Charakteristik darin, daß ich beim Zuschauen und Zuhören ordentlich den Athem in mir zurückgehalten habe, weil ich immer voll fröhlichen Erstaunens war.« So schrieb ein Berufskritiker von scharfer Feder, den Laube in seinen Erinnerungen als verwöhnten Epikuräer anführt. Und als zweites Beispiel ein Bild aus Frankfurt (wo übrigens auch in späterer Zeit der Bundestagsgesandte Herr von Bismarck-Schönhausen aufmerksamer Zuhörer einer Gutzkow'schen Premiere war), uns übermittelt vom treuherzig-ehrlichen Freiligrath. Der war im Januar 1844 in der Mainstadt gewesen, in der jetzt Gutzkow bis zur Berufung ans Dresdner Hoftheater lebte, und war diesem zum ersten Mal persönlich nahe getreten. »Ich habe bei dieser Gelegenheit,« schrieb er an einen seiner Landsleute, »nicht nur ›Zopf und Schwert‹, ein prächtiges Stück voll echter wirksamster Komik, über die Bretter gehen sehen, sondern auch Gutzkows persönliche Bekanntschaft gemacht. Wir haben uns gut verstanden, ich bin ohne Vorurtheil an Gutzkow herangetreten und gestehe gern, daß der Eindruck, den er mir zurückgelassen hat, ein reiner und erfreulicher ist … Den letzten Akt von ›Zopf und Schwert‹ war ich bei ihm in seiner Theaterloge. Es war in der That eine Lust, diesen Applaus zu erleben. Ich bin, Gottlob, in solchen Fällen so durchaus Kind, so durch und durch unblasirt, wie vor 15 oder 20 Jahren, und war auch bei dieser Gelegenheit so mitelektrisirt, daß ich noch diesen Augenblick mit Freude daran denke. 'S war übrigens ein Stück Literaturgeschichte, wie Heinrich Laube sagen würde. Vorne der herausgerufene Gutzkow, dankend und vor dem donnernden Publikum sich verneigend – hinten im Schatten der Lyriker Freiligrath, über den Erfolg des Dramatikers neidlos sich freuend und innerlich jubelnd, daß er wieder einmal aus voller Seele etwas Gutes anerkennen konnte. Unten im Parterre dann B…… und anderes nergelndes Gesindel.« … Im Sommer desselben Jahres entstand dann zu Aßmannshausen am Rhein Freiligraths »Glaubensbekenntniß«, mit dem er in die vorderste Reihe der Freiheitsdichter der Zeit trat, um sie bald alle zu überflügeln an hinreißendem Schwung zornentfesselnder geistentzündender Lyrik … Und drittens einen Gruß vom Rhein als Dank für den »Uriel Acosta«. Ihn sandte Levin Schücking vom Redaktionspult der »Kölnischen Zeitung«. »Erst heute komme ich dazu, Ihnen meine Begeisterung für Ihren Uriel auszudrücken; meinen heißen Dank für die Emotionen, die mir dies Stück gemacht hat! Ich habe nur einmal im Leben – als ich Eßlair in Wallensteins Tod sah, solch einen Eindruck mit aus dem Theater genommen und die ganze Nacht nicht schlafen können. Durch dies Stück haben Sie sich den Besten unserer geistigen Welt an die Seite geschwungen, und es ist gewiß Niemand in Deutschland, der Ihnen freudiger dazu Glück wünscht als ich. Ich habe meinen Enthusiasmus schwarz auf weiß drucken lassen und er hat sich wie ein elektrischer Funken dem Publikum mitgetheilt. Ich habe nie so viel Redens von einer meiner Arbeiten vernommen; alle Blätter drucken nach – du lieber Gott, über solche Werke ist es leicht interessante Kritiken zu schreiben.« – Freilich fehlte es, neben den kleinlichsten Zensurchikanen, auch nicht an Stimmen, die sich schon jetzt an den im Stoff und Gutzkows Auffassung bedingten Schwächen des Dramas stießen. Und daneben übten gerade solche, welche den Geist dieses Stückes mit doppeltem Dank hätten begrüßen sollen, an ihm ihren in Saphirs Schule gezüchteten Witz, wie jener Alexander Weill, der sich, als Gutzkow das Stück im Hotel Bergère der Cité Bergère schuf, an ihn geheftet und ihm aus seiner Kenntniß der Synagoge sachliche Rathschläge hatte ertheilen können, und der gleichzeitig hinter seinem Rücken den Börsenwitz in die Welt setzte: »Nur Juden und doch keine Handlung!«

*

Aber nicht nur die Kritik der Rivalen forderten diese Erfolge heraus; auch ehrliches Schaffen und ehrlichen Wettkampf. Wie Laube, Mundt und Kühne, fühlte sich eine ganze Schaar junger Schriftsteller, die bisher auf dem Gebiete der Lyrik und Erzählung, der ästhetischen oder politischen Kritik sich als Verfechter der Fortschrittsideen bewährt hatten, durch Gutzkows Erfolge verlockt, auf den von ihm gezogenen Bahnen seinem Beispiel als Dramatiker zu folgen. »Alles drängt zum Theater,« schrieb 1842 Mundt an Kühne, mit dem er sich wieder versöhnt hatte, und machte ihm gleichzeitig die Mittheilung, daß er ein Drama »Rosaura von Kastilien« beendet habe, worauf auch dieser an den Stoff für ein Drama (»Die Prüfung«) schritt. Probleme aus dem Leben der Gegenwart mit Beziehungen zu dem Kampf zwischen Demokratie und Feudalismus, historische Stoffe, in denen sich die noch in Gährung begriffene Gegenwart auf eine bereits vollendete Vergangenheit zurückspiegeln ließ, wie dies Heinr. König als Tendenz seiner historischen Romane bezeichnet und Lenau in den »freien Gesängen« der »Albigenser« bethätigt hatte, wurden zum Gegenstand eines lebhaften Wettbewerbs vor den Schranken der Bühne. Da schrieb Dingelstedt »Das Gespenst der Ehre«, A. Dulk, E. Duller, U. Horn, Fr. Fröbel warben im Dienst von Zeitideen um die Gunst der tragischen Muse. Rob. Prutz bearbeitete seinen Moritz von Sachsen neu, Rud. Gottschall machte Ulrich von Hutten, Robespierre, Byron zu Helden von Dramen, Otto Müller: Rienzi, Messenhauser: Demosthenes, Levin Schücking: Maria Theresia, Herm. Marggraff das »Täubchen von Amsterdam«, und während die Muse Grillparzers verstummte, erstarkte unter dem Anhauch der modernen Geistesströmung das heitere Talent Bauernfelds und die ernste Muse eines Friedrich Halm, Hebbel und Mosen.

Von Allen aber gelang es zunächst Heinrich Laube allein, in ebenbürtigem Wettkampf mit Gutzkow sich den heißen Boden der Bühne zu erobern. Er folgte hiebei seinem Beispiel, aber durchaus dem inneren Drange seiner selbständigen Persönlichkeit gemäß. Sein eigenes Schicksal bot auch ihm die Lebenselemente für die zeitgemäß gestimmten Spiegelbilder geschichtlicher Charaktere und Katastrophen; Ideen der Zeit, die ihn selbst bewegt hatten, machte auch er zum bewegenden Prinzip dramatischer Handlung. Wir haben im 4. Kapitel dargelegt, wie Laube als Breslauer Student sich viel früher dem Theater und dem Drama zugewandt hatte als der politischen Schriftstellerei. In der Einleitung zum 1. Bande der 1. Ausgabe seiner dramatische Werke (Leipzig 1845) ist ferner erzählt, daß er als Gefangener in Berlin und in Muskau allerdings wiederholt die Lust verspürt habe, vereinzelte poetische Visionen dramatisch zu gestalten, aber Verzweiflung an den bestehenden Zensurverhältnissen solche Gedanken immer wieder zurückgedrängt habe. Jetzt, nach fast zweijähriger Abwesenheit, in welcher ausgedehnte Ausflüge von Paris auf ihn in die Bretagne, die Normandie, ja bis Algier geführt, war er, von den freieren Zuständen ermuthigt, welche der Thronwechsel in Preußen gebracht, in die Heimath zurückgekehrt. Anfangs nahm er die ihm dargebotene Gastfreundschaft des Fürsten Pückler im Jagdschloß zu Muskau – jetzt ein Freier – in Anspruch, dann richtete er sich mit seiner Familie in Leipzig häuslich ein, wo er bald der Mittelpunkt des literarischen Lebens wurde, das jetzt in der von Gustav Julius, H. Franck und Fr. Bülau redigirten Brockhaus'schen »Deutschen Allgemeinen Zeitung«, in Kuranda's Grenzboten neue, weithin beachtete Organe des Freisinns besaß und im Schutz günstiger Preßgesetze und Zensurbestimmungen einen frischen Aufschwung genommen hatte, an welchem, neben Laube und Kühne, die Literaten des »jungen Böhmen« mit Kuranda, J. Kaufmann und Moritz Hartmann an der Spitze, Alfred Meißner, dem Ziskadichter, als gelegentlichem Gaste, ferner die Altpreußen Wilhelm Jordan, dessen »Glocke und Kanone« kräftig in die Freiheitslyrik der Zeit eingestimmt, und Otto von Corvin, der mit Held das demokratische Volksblatt »Die Lokomotive« herausgab, Robert Blum, der noch als Sprecher der deutschkatholischen Bewegung sich der Vaterlandsblätter bediente, O. Marbach, W. Wuttke, Rob. Heller, die Brüder Marggraff Theil hatten. In Paris hatte ihn die wirkliche Welt, in welche Heine's Freundeshand ihn eingeführt, weit mehr interessirt als die Bretter, die die Welt bedeuten; weder das Spiel der Rahel noch die lebendige Erinnerung an die Tage, da er in Leipzig als Redakteur der »Eleganten« die Aufführung von Victor Hugo's »Marie Tudor« durchgesetzt und in Naumburg den »Bug Jargal« für die deutsche Bühne übersetzt hatte, vermochte hier seinen schlummernden Sinn für die dramatische Kunst mächtiger zu beleben. Seit ihm im Gefängniß Ranke's Geschichte der Päpste durch ihren Realismus zum inneren Erlebniß geworden, seit er bei seinem Versuch einer Geschichte der französischen Revolution den Mangel persönlicher Kenntniß des modernen Paris empfunden, war ihm das Studium der Geschichte Frankreichs unter dem Eindruck seiner Wirklichkeit ein Bedürfniß geworden, das sich ihm nun ausweitete zu Aufgaben theils schildernder, theils erzählender Natur, für welche er auf der Nationalbibliothek die Dokumente, auf Spaziergängen und Reisen die Monumente der Wirklichkeit studirte: den Kulturbildern » Französische Lustschlösser«, den Romanen » Gräfin Chateaubriant« und » Der Prätendent«. Das Vaudevilletheater, das ihm Einblick in die Volkssitten gewährte, erschien ihm interessanter als das Théâtre français. Wohl übersetzte er auch jetzt ein französisches Bühnenstück; es war aber keine Novität höheren Stils, sondern eine Posse, über die er sich so amüsirt hatte, daß er, spontanem Drange folgend, sie für seinen Landsmann, den Komiker Beckmann, übersetzte; aus » Passé minuit« entstand der Schwank »Mitten in der Nacht«.

Die Anregung, an die dramatischen Anfange seiner Jugendzeit anzuknüpfen, kam ihm allein durch den Aufschwung des deutschen Theaters, den er nach seiner Rückkehr vorfand und mit dem er das Beispiel des einstigen Genossen seines Jugendschwärmens so innig verwachsen sah. In Gutzkows »Savage«, in »Werner«, in »Patkul« fand er ein Element, das an das Hauptmotiv seiner »Poeten« anklang und diese Gestalten verwandt machte mit seinem Valerius, der kraft seiner überlegenen Persönlichkeit die Kluft überbrückt hatte, welche die Sphäre seiner Herkunft von den Höhen des Lebens trennt. Im besonderen Werner, der aus Armuth und engen Verhältnissen mit Hülfe des Glücks als Vertreter des Freisinns in die Kreise des Wohllebens und der Priviligirten tretende Bürgerliche, aber auch Patkul, der »Demokrat bei Hofe«, berührten in ihm Saiten, die seit den Jugendtagen auf Jäschkowitz den Grundton seiner eigenen Poesie angegeben hatten. Gleichzeitig forderten auch diese Stücke seine dichterische Eigenart, die auf sinnlichen Reiz, auf plastische Schönheit ausging, welche Abenteuerlichkeit, Farbenpracht, das Walten sinnlicher Leidenschaft als wesentliche Elemente der Poesie geltend machte, zum Andersmachen heraus. Was – wie er empfand – die Stücke Gutzkows entbehrten, erotischen Reiz, ein stärkeres Hervortreten des weiblichen Elements, das schien ihm ein Stoff zu besitzen, mit dem er sich eben in Paris als schildernder Historiker beschäftigt hatte, als Verfasser des Werks »Die Lustschlösser der französischen Könige seit Franz I.« In der Geschichte des Schlosses Fontainebleau spielt eine Hauptrolle der in der Hirschgallerie daselbst am 10 November 1657 vollzogene Mord an dem Günstling der unglücklichen Christine von Schweden, Monaldeschi, den diese selber veranlaßt. Auch Monaldeschi war wie Patkul ein abenteuerlicher Verfechter der Freiheit an fremdem Hof. Er hatte seinen Untergang aber nicht durch Intriguen politischer Gegner gefunden, ihn hatte die Liebe einer Königin auf die Bahn des Verhängnisses getrieben, einer Königin, die ihn durch ihren Geist angezogen, aber als Weib nicht zu fesseln vermocht hatte, einer Königin, die aus Sehnsucht nach rein menschlichem Glück sich ihm hingegeben und auf Krone und Szepter verzichtet hat, während sein stolzer Abenteurersinn gerade in ihrer Liebe als der einer Königin einen bestrickenden Reiz empfunden. Im Wesen dieser Königin Christine, der grüblerischen Schülerin eines Grotius und Descartes, welche die Freiheit höher schätzt als die Macht, aber ohne die Macht, die sie aufgab, auch nicht das Glück zu finden vermag, das sie in der Freiheit gesucht, die in Männertracht nach Frankreich aufbricht und, von Monaldeschi verrathen, diesen ohne Landesherrenrecht zum Tode verurtheilt, zitterte etwas vom Drange der modernen Frauenemanzipation, für welche Laube als »Jungdeutscher« eingetreten. In ihrer Abneigung gegen den nüchternen Protestantismus, deren sich Geheimagenten der Jesuiten zum Vortheil der katholischen Kirche bemächtigten, lebte andererseits bereits jener romantische Zug, dessen politische und literarische Ausschreitungen das Junge Deutschland bekämpft hatte. Mit der Wahl dieses Stoffs zu einem Bühnenwerk knüpfte Laube an alle Hauptrichtungen seines bisherigen Wirkens an; war doch nebenbei auch Königin Christine die Tochter Gustav Adolfs, des Helden seiner ersten dramatischen Jugendarbeit. Daher der warme Lebensathem, der von dem Trauerspiel » Monaldeschi, oder die Abenteurer« ausging, als es am 12. Nov. 1841 auf der Stuttgarter Bühne zuerst erschien, daher die lebendige Wirkung, die es trotz seiner mancherlei künstlerischen Schwächen entfaltet hat. Die kräftigsten Bezüge seiner Empfindungswelt zu den Geistesströmungen der Zeit wirkten in diesem Trauerspiel als bewegende Mächte. Seiner Lust an Szenen voll Sinnenreiz hatte er in der Ausmalung des berückenden Zaubers genügen können, welchen der italienische Abenteurer gleichzeitig auf das naive Gemüth der Tochter des Kanzlers Brahe und auf die abenteuerliche Phantasie der sich ihm hingebenden Königin ausübt.

Auch in der Stoffwahl für seine nächsten Dramen, das historische Lustspiel » Rokoko, oder die alten Herren«, das Schauspiel »Die Bernsteinhexe«, das sich aus Meinholds Erzählung gleichen Namens stützte, offenbarte sich seine jungdeutsche Eigenart wie seine jungdeutsche Geistesverwandtschaft mit Gutzkow. Auch hier Kritik an dem absterbenden Absolutismus, dem Höflingswesen des alten Regimes, der Verfolgungssucht gegenüber der Neuerungskühnheit des Geistes als Tendenz von künstlerisch gestimmten dramatischen Lebensbildern. Am eigenthümlichsten offenbarte er seine Eigenart aber in jenen Dramen, wo er das bezeichnete Lieblingsthema seiner ersten Sturm- und Drangzeit wieder aufnahm, wo der von unten mit keckem Muth auf die Höhen des Lebens stürmende Mann durch geniales oder heldisches Wesen die Liebe gesellschaftlich über ihm stehender Frauen gewinnt und durch sie entweder in Konflikte mit seinem Mannesstreben geräth oder aus solchen Konflikten befreit wird. Seine erfolgreichsten und besten Stücke: »Struensee«, »Die Karlsschüler«, »Essex« haben diese Gemeinschaft. In » Struensee« wird der Held, ein bürgerlicher Posa am dänischen Königshof, durch seine Liebe zur Königin seiner freiheitlich-politischen Mission entfremdet. Im » Essex« wird die Liebe der Königin Elisabeth zum Werkzeug eines ehrgeizigen Strebers, bis diese sein Spiel durchschaut und in maßlos beleidigtem Stolze zur Rache schreitet. In den » Karlsschülern« verwandelt sich das keimende Interesse Franziskas von Hohenheim für Schiller in mütterliches Wohlwollen, die schüchtern-naive Neigung Lauras in echte leidenschaftliche Liebe und dieses Wohlwollen, diese Liebe heben den vom Herzog Karl gedemüthigten und verfolgten Dichter der »Räuber« aus Verzweiflung und Noth zum frohen Glauben an sein Talent, zu heldenhafter Zuversicht empor. Die »Karlsschüler« Laube's, die 1847 unter dem Einfluß der wachsenden Begeisterung für Schiller als Verkündiger der nationalen Einheit und politischen Freiheit entstanden, sind Laube's gelungenstes Bühnenwerk. Sie bilden das lichte Gegenbild zu Gutzkows »Uriel Acosta«. Beide Dramen sind die Gipfelpunkte der Entwickelung des jungen Deutschlands im Bereiche der Bühne. Dort: die Liebe als Fessel des Wahrheitskämpfers, aber der Sieg der Ueberzeugungstreue umstrahlt von der Gloriole des Märtyrerthums und getheilt von einer opferfreudigen Mädchenseele. Hier: die Liebe als helfender Genius des Freiheitsdichters und der Sieg des neuerungskühnen Talents, anerkannt von dem Gewaltherrn einer überwundenen Zeit. In beiden hat das Streben, Wagen und Leisten des Jungen Deutschlands nicht nur sein künstlerisch verklärtes Sinnbild, sondern auch harmonisch schöne, wirksame Gestaltung gefunden. Was sie als junge Geister im unruhvollen Kampf um Erweiterung und Vertiefung des Lebens an Leiden und Freuden erfahren, brachten sie beide in diesen Werken als dramatische Dichter zu begeisternder Darstellung, und in der Apotheose des jungen Schiller fand dieser künstlerische Sieg berechtigte Spiegelung. Es ist daher falsch, Gutzkows Gelegenheitsstück zur Feier des hundertsten Geburtstags von Goethe, » Der Königslieutenant«, weil es den Knaben Goethe zum Helden hat, als dessen Gegenleistung zu Laube's Karlsschülern aufzufassen, wenn auch die Thatsache dieser Analogie für das Verhältniß der Dankbarkeit beider Dichter zu unsern beiden größten Klassikern ein beide ehrendes Denkmal ist. Der »Königslieutenant«, dessen Hauptrolle noch heute die beste Leistung eines Fr. Haase u. A. bildet, hat für unser Geschichtsbild keineswegs die gleiche Bedeutung wie Laube's »Karlsschüler«. Nein, in »Uriel Acosta« ist Gutzkows ernstenergische, tragisch-dämonische Apostelnatur ebenso übergegangen, wie in die »Karlsschüler« Laube's fröhlicheres Gemüth, sein Glaube an das Glück, seine Lust am fröhlichen Wagen. Der Erfolg der letzteren ebnete diesem auch den Weg zu der Laufbahn, aus welcher er von 1849 an die reichste Gelegenheit fand, seine praktischen und poetischen Talente zum Heil der deutschen Bühne in harmonischer und fruchtbringender Weise zu entfalten, der Laufbahn des artistischen Theaterleiters, als welcher er nunmehr für die Entwickelung des modernen deutschen Theaters ebenso richtunggebend gewirkt hat, wie Gutzkow vorher als dramatischer Dichter. Seine Berufung an das Wiener Hofburgtheater im Jahre 1849, deren nähere Besprechung außerhalb des Rahmens unseres Buches fällt, war für das von Metternich befreite Oesterreich und sein Bildungsleben ebenso eine weithin sichtbare amtliche Besiegelung des mit dem modernen Zeitgeist eingegangenen Friedens, wie es vorher schon die Berufung Gutzkow's zum Dramaturgen an das Dresdener, Dingelstedt's an das Stuttgarter, Mosens an das Oldenburger Hoftheater gewesen. Auch in dem heute noch schwebenden Kampf für die Emanzipation des deutschen Theaters aus der Abhängigkeit, die seine Eingliederung in das Interessengebiet der fürstlichen Hofhaltungen verursacht, sind die jungdeutschen Dramatiker Vorbereiter gewesen. Als 1848 Gutzkow's Königsberger »Nikodemus«, Professor Rosenkranz, in Berlin vortragender Rath im neuen Kultusministerium wurde, reichte er diesem einen ausgearbeiteten Plan für eine durchgreifende Theaterreform ein, die jedoch mit so vielem anderm von der neuhereinbrechenden Reaktion vereitelt wurde.

In jenen beiden Dramen hat aber auch ein Element der Geschichte des jungen Deutschlands wie der deutschen Freiheitsbewegung ein dauerndes Denkmal erhalten, dessen Ruhm in diesen Kapiteln deutscher Geistesgeschichte wiederholt zu verkündigen war: die opferfreudige Liebe und Freundschaft deutscher Frauen und Mädchen. Weil die Dichter, denen wir diese Mädchen und Frauen Liebe, Freundschaft, Schutz oder Förderung widmen sehen, Verfehmte und Verfolgte waren, Verfechter von Ansichten, deren Bekenntniß Gefahr brachte und bei den Lenkern des Staatslebens anrüchig machte, so sehen wir fast alle diese weiblichen Naturen verschönt und verklärt durch eine Eigenschaft, die aller Charaktertugenden höchste ist – den Muth. Den Herrinnen der berühmten Pariser Salons wie den Frauen, welche unsern großen Dichtern die Liebe spendeten, die diese in ihren schönsten Schöpfungen dargestellt, in ihren berauschendsten Liedern gefeiert haben, brachte der Verkehr mit den Denkern und Dichtern gleichzeitig Ehre und Ruhm ein; in der Epoche der »Demagogenverfolgung« erheischte das Sichbekennen zu den öffentlichen Bekennern freier Ansichten über Religion, Staat und Gesellschaft von Seiten gleichempfindender Mädchen und Frauen Opferfreudigkeit und fast immer auch Opfer. Der Muth, sich selbst treu zu sein und sich selbst einzusetzen für das, was man für gut und heilig, schön und begehrenswerth erkannt, vor allem für die Liebe des eigenen Herzens – wie dieses in Gutzkows »Uriel Acosta« die geliebte Schülerin des Denkers thut – er ist in jener Zeit politischer Verfolgung patriotischer Dichter durch eine ganze Schaar hochherziger starkempfindender Vertreterinnen des »schwachen« Geschlechts vielfach reiner und nachhaltiger bethätigt worden, als von der Mehrzahl der über dem Jammer der allgemeinen Zustände den Muth verlierenden Männer ihrer Wahl. Diese waren an sich, an ihrer Zeit, an ihrem Wollen und Können unter dem Druck der Verfolgung irre geworden, aber wie sie von der Poesie dieses Frauenmuthes zum Kampf begeistert worden waren – Rahel Varnhagen, Bettina v. Arnim und die unglückliche Charlotte Stieglitz hatten sie ihnen in entscheidendem Moment offenbart – so war diese Poesie des weiblichen Muthes auch wieder die Kraft, welche den gescheiterten eigenen Lebensmuth ihnen zurückgab und stählte. Sie alle, die Vertreter des »Jungen Deutschland« und die ihren Bahnen folgenden Männer der patriotischen Freiheitslyrik, haben bis auf wenige Ausnahmen diese Poesie am eigenen Herzen erfahren; ihre Geschichte hat mit leuchtenden Lettern diesen Ruhm des deutschen Frauenthums zu buchen, wie ihrerseits diese Dichter selbst zu Darstellern desselben geworden sind in ihren glückgesegnetsten Schaffensstunden, in den anmuthendsten Kapiteln ihrer Dichtung. Aus der Erinnerung an das treue Einstehen der Braut Amalie für ihn, da er als »Gottesleugner« verschrieen und wie ein Verbrecher behandelt wurde, erstand dem Dichter des »Uriel« die arielhafte Lichtgestalt seiner Judith; aus der vor allem seinem Genius geltenden Freundschaft der Therese von Bacharacht entstammt der Glaube an eine Geistesgemeinschaft so inniger Art, wie sie dieselbe Judith mit ihrem ernsten Lehrer theilt; nach dem Bilde derselben Therese, die ihm in trüber Verzweiflungsstunde seines Lebens als Engel des Trostes zur Seite getreten war und sich als solche bewährte, bis ihre Leidenschaft sie für ihn zur Furie werden ließ, hat er die Gräfin Helene in den »Rittern vom Geist« gestaltet. Eine wirkliche Fürstin, die Gattin des Fürsten Pückler-Muskau, war es, die für den jungen Heinrich Laube als guter Schutzpatron wirkte, wie er es in seinem Roman »Die Böhminger« geschildert hat, während ihn die Liebe seiner Braut Iduna die Wonnen kennen lehrte, die er dann den verfolgten Schiller in seinen »Karlsschülern« nachempfinden ließ. Auch Henriette Harkort, Luise Mühlbach, die Bräute von Kühne und Mundt, haben ihren Männern das Glück solcher Liebe geboten, wie es in der Form höchsten geistigen Antheils von fördernder Wirkung Börne von Jeanette Wohl, Heine von Rahel Varnhagen, Mundt von Charlotte Stieglitz, Kühne von der Wittwe Augusts von Goethe, Ottilie, zu Theil ward, welche Ende der dreißiger Jahre die Versuche begann, Weimar aufs neue zu einem Musenhof zu erheben, die dann der Großherzog Karl Alexander nach seiner Thronbesteigung mit unbeirrter Energie aufnahm. Johanna Kinkel, Emma Herwegh, Ida Freiligrath, Helene von Corvin, Dor. von Lieven sind bekannte Beispiele von ungezählten andren deutschen Frauen, die in den Jahren der politischen Freiheitskämpfe des deutschen Volks sich als hochsinnige Gefährtinnen ihrer Männer bewährt haben, wie auch schon der Redner von Hambach, Dr. Wirth, und der in unserem fünften Kapitel besprochene Wilh. Schulz von ihren Frauen aus dem Gefängniß befreit wurden. Auch der markige Konrad Bolz in Freytags »Journalisten« und die Liebe der Adelheid Runeck, welche dem Resignirten das Selbstvertrauen zurückgibt und ihn mit dem heimlichen Ankauf der »Union« überrascht, deren Redakteur er mit Leib und Seele, sind geschaffen in solchen Weihestunden eines dankerfüllten Dichterherzens.

Daß auch Gustav Freytag (geb. 1816), der Landsmann Laube's, bei seinem Uebergang von der realistisch-gestimmten Romantik seines ersten Bühnenwerks »Die Brautfahrt« zu dem modernen Realismus der »Valentine«, vom Gelehrtenberuf zu dem des Publizisten, ganz im Banne dieser Bewegung gestanden und im direkten Sichmessen mit Gutzkow zu dem künstlerischen Realismus erstarkte, in welchem er ihn später eine Zeitlang übertroffen, daß letzteres ebenso bei Hebbel und Otto Ludwig der Fall war, an deren beste Leistungen sich später ein erbitterter Kampf gegen das jungdeutsche Tendenzdrama knüpfte, dies läßt sich ebenso aus ihrem Jugendschaffen wie aus ihren Briefen an Gutzkow nachweisen, doch würde dieser Nachweis die Grenzen, die unserm Buche gesteckt sind, weit überschreiten. Der Geist des Jungen Deutschlands war über ihnen, als sie selbst aus Sturm und Drang sich mit ihrem Genius in der Welt zurecht zu finden suchten, und was ihnen als Schwäche ihrer Vorläufer auffiel, erkannten sie und pflegten sie als ihre Stärke. Das hielt sie aber nicht ab, sich mit ihren Anfängen Gutzkow als Führer zu nahen und für dieselben seine starke Hülfe zu erbitten und zu empfangen. Die erste wahrhafte Würdigung seines Erstlingsdramas » Judith« (1840) hatte Hebbel nach seiner vorher an Gutzkow ergangenen Bitte diesem zu danken, und das Hauptmotiv desselben findet sich in dessen »König Saul«, Die Initiative für die Erstaufführung von Freytags » Valentine« (1847) ergriff Gutzkow als Dramaturg des Dresdner Hoftheaters und sie scheiterte nur an dem Widerstande des Intendanten von Lüttichau, der das Stück für unmöglich erklärte. »Dieser Erbprinz,« jammerte die Exzellenz in ihrem Ablehnungsschreiben, »der des Nachts mit Hülfe seiner Helfershelfer auf der Strickleiter bei einer anständigen Dame einsteigt, mit den entschiedensten Absichten, wo wir hier den Prinzlichen Hof mit jungen Prinzen haben, die das Theater besuchen und sich ein schlechtes Beispiel nehmen könnten, wenn sie an sich nicht schon gesitteter erzogen wären!« Mit solchen Rücksichten hatten noch Gutzkow, Laube, Mosen und Dingelstedt als Dramaturgen zu kämpfen, Otto Ludwig aber wandte sich mit seinen Erstlingsdramen, noch ehe sie gedruckt waren, am 9. Februar 1847 an Gutzkow, indem er diesen an die Hülfe, die er einst Georg Büchner erwiesen, erinnerte. »Ich muß Ihnen gegenüber meinen ganzen Stolz zusammenraffen, damit ich nicht zu sehr im Nachtheil stehe. Der Stolz ist wenigstens der Stoff der Thaten und am Platze, wenn man zum Bescheidensein noch kein Recht hat. Den Gedanken, an Sie mich zu wenden, hatt' ich, seit ich las, wie freundlich Sie sich des verstorbenen Büchner angenommen. Jede edle That eines Mannes ist ein Versprechen.« Der Brief schloß: »Doch ich will mich nicht länger an Ihrer Zeit und Geduld versündigen. Berufsgeschäfte rauben Ihnen von ersterer, die der Produktion ganz gehören sollte, schon zuviel. Daß der kleine Rest von beiden durch zahlreiche Ansinnen von der Art des meinigen noch unbillig geschmälert werden mag, kann ich mir zu gut denken, als daß ich, wenn Sie mir meine Arbeiten ungelesen oder auch gelesen, aber ohne Trost für mich zurücksendeten, Ihnen dies verdenken dürfte. Was Sie, verehrter Herr, thun mögen, die Hochachtung wird es nicht vermindern, mit welcher ich mich schreibe – Ihren ergebensten Otto Ludwig aus Eisfeld.« Freytag schließlich schrieb, als er im Januar 1847 von Breslau aufgebrochen war, um aus der »Gelehrten«-Stube »ins Volk zu gehen« und seinen Beruf ganz im Schriftstellerthume zu finden: »Ich habe an dem großen Erfolg des Uriel in Leipzig große Freude gehabt, denn der Geist des Stückes hatte mich von Breslau aus aus meine Reise begleitet, es war die letzte Vorstellung, welche ich im dortigen Theater sah; die Darstellung war nur mittelmäßig, aber die Wirkung eine ungeheure. Es war da so recht der Boden für das Stück, wir haben eine starke jüdische Gemeinde und Sie wissen, wir Schlesier kämpfen in allen Konfessionen denselben Kampf für das Leben mit angestammter Lebhaftigkeit durch.«

*

Wenn sich trotzdem schon während der Periode des Siegs eine wachsende Bewegung gegen die »Zeittendenz« im jungdeutschen Drama erhob und diese nach dem Bankrott der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt und der ihr folgenden allgemeinen Enttäuschung auf dem Gebiet der politischen Interessen, nun ihrerseits wieder zur Herrschaft gelangte; wenn ferner in ihr als Führer gerade Hebbel und Freytag hervortraten, während andere Otto Ludwig, den Makkabäer-Dichter, aufs Schild hoben, so ist dies damit zu erklären, daß hier sich wiederum eine natürliche Reaktion auf prinzipielle Einseitigkeiten vollzog, wie die Bewegung des Jungen Deutschlands vorher eine gewesen. Auch sie hatte berechtigte Bestrebungen auf die Seite gedrängt, das höchste Freiheitsrecht der Dichtkunst, das der Persönlichkeit, erschien durch ihre Herrschaft gefährdet, die künstlerische Phantasie, von dem Kampf gegen die Romantik mitbetroffen, suchte ihre Provinzen zurückzuerobern. Nach der Ueberfluthung des politischen Interesses auf alle andere Interessengebiete war ein entsprechendes Zurückströmen unausbleiblich. Was Börne im Anfang seiner Laufbahn Angesichts der Nachwirkungen der großen Erhebung des Nationalgeistes gegen Napoleon der Literatur als wichtige Aufgabe zuerkannt, die Leser »von der bestäubten Heerstraße der Politik in die freundlichen Gärten der Kunstblüthen und der Früchte des Wissens« zu locken, auf daß man sich »von dem Bürger an dem Menschen« erhole, wurde jetzt wieder ein Bedürfniß, für welches neue führende Geister in die Schranken traten. Der von Börne eingeleitete Prozeß der Durchgeistigung der schönen Literatur mit politischen Ideen hatte seinen Höhepunkt erreicht. Die Hülfe, welche die Literatur dem politischen Fortschritt darin geleistet, den allgemeinen Interessen in Tribüne und Presse die unentbehrlichen Machtmittel zu erobern, war jetzt entbehrlich geworden, die Mission des Jungen Deutschlands, das Geistesleben der Nation aus den Fesseln und Knebeln des Metternich'schen Polizeistaats zu befreien, war erfüllt. Und wie Gutzkow im »Phönix« bereits gegen den Börne der »Balance« geäußert, es sei eine unhaltbare Einseitigkeit, die ganze Literatur auf die konstitutionelle Frage beschränken zu wollen, so erklärten jetzt neue Elemente ähnliches von einer Literatur, in welcher die poetische Gestaltung ausschließlich auf politische Wirkungen auszugehen schien.

Daß die parteipolitische Tendenz mit dem Wesen eines rein künstlerischen Realismus im Widerspruch stehe, hatten Gutzkow und Laube ja selbst längst erkannt, als sie aus Journalisten zu Dichtern geworden waren, wie wir an den »Modernen Charakteristiken« des Einen, dem Goethe-Buch des Andern gezeigt haben. Der Geist der Zeit, dessen bevorzugte Organe sie waren, hatte sich aber mächtiger erwiesen, als ihre ästhetische Einsicht. Und als die politischen Ideen, die sie zu Schriftstellern gemacht, gerade in der Zeit zum Siege drängten, in der sie dahin gelangt waren, in den Formen des Dramas gleichzeitig der Kunst und ihren Idealen zu dienen, da erfüllten sie eine historische Mission, indem sie diesem Geist der Zeit als Dichter dienten, ohne danach zu fragen, ob sie der dauernden Wirkung ihrer Werke damit nicht Abbruch thäten. Sie hatten in der Jugend gelernt, die Poesie als das mächtigste Mittel zu schätzen, das eine Wiedergeburt der Nation, ein in Freiheit geeintes Deutsches Reich herbeiführen könne. Sie hatten sich nicht geirrt. Der Literatur fiel in diesem Prozeß eine gewaltige Aufgabe zu, und wozu sie sich berufen gefühlt hatten im Sturm und Drang ihrer Jugend, dafür erwiesen sie sich als gereifte Talente auch auserwählt. Patriotische Begeisterung und politisches Wollen hatten einst das Ziel und das Maß ihrem poetischen Wirken vorgeschrieben und als die Zeit des Handelns kam, als ihre Ideale diejenigen des gebildeten Bürgerthums geworden waren, als die Nation ihre Vertreter nach Frankfurt sandte, um die Grundlagen einer Reichsverfassung festzustellen, da war von den Jungdeutschen auch jeder dabei, für die gemeinsamen Ideale auf seine Weise mit der That einzustehen. Gutzkow riskirte seine Dramaturgenstelle in Dresden durch den Freimuth seiner Schrift » Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe«; als Redner von Arbeiterschultern herab unter den Fenstern des Königsschlosses zu Berlin bewirkte er in den Märztagen die Volksbewaffnung zur Einrichtung einer Bürgerwehr; unter Gagerns Vorsitz nahm er im Hotel de Russie an den Verhandlungen Theil, welche eine organisatorische Verwerthung der Errungenschaften bezweckten. Laube trat auf der Reise von Karlsbad nach Leipzig in Ellbogen als Kandidat für die Frankfurter Nationalversammlung auf und wurde als Mitglied der großdeutschen Erbkaiser-Partei ihr Historiograph (» Das erste deutsche Parla ment«). Wienbarg wirkte im Freiheitskampf seiner schleswig-holsteinischen Heimath als Stabsadjutant in einem Freikorps und verfocht mit der Waffe, was er vorher in seiner Flugschrift »Der dänische Fehdehandschuh aufgenommen« mit flammender Rede verfochten hatte; dann wurde auch er Darsteller dieser Kämpfe. Der Berliner Märzaufstand fand Mundt unter den Barrikadenkämpfern, als Redner in den Volksversammlungen; sein »Katechismus der Politik«, seine »Staatsberedtsamkeit«, sein »Machiavelli«, seine Geschichte der deutschen Stände spiegeln seinen leidenschaftlichen Antheil wieder. Und Kühne, der mit Robert Blum und Wuttke nach Frankfurt gegangen war, stellte seine »Europa« in den Dienst der Freiheitsbewegung.

Von allen bewährte sich auch hier wieder Gutzkow als der bedeutendste und konsequenteste, als der umsichtigste und weitsichtigste. In seiner Schrift »Deutschland« stellte er als Ideal für die Zukunft einen deutschen Bundesstaat auf, der durch Verträge und Abkommen, im Nothfall durch gewaltsame Krisen, befreit sein sollte vom Fluche der Kleinstaaterei. Alles was die Wiedergeburt des Reichs so lange verhindert, die dynastische Eifersucht, die habsburgische Hauspolitik, aber auch die falschen Hoffnungen der Liberalen auf ein Bündniß mit Frankreich und den Polen, suchte sein Plan zu beseitigen. Sieben, etwa gleich große, konstitutionell verfaßte Königreiche, von denen eines Deutschösterreich, sollten in einer Zentralgewalt ihr Regierungsorgan, in einem Reichstag ihre Volksvertretung finden; im Zusammenwirken mit beiden sollte als Vertreter der sieben Könige ein verantwortlicher Reichskanzler die Geschäfte des Reiches leiten. Dem berufenen und erprobten Geist, nicht dem Zufall der Geburt, wollte er die Leitung des Reichs anvertraut wissen. Die Führung des deutschen Reichsheeres aber sollte das Vorrecht der preußischen Könige sein. Er bekämpfte ferner den Irrthum, als sei mit einer parlamentarischen Reichsvertretung die Wiedergeburt des Vaterlandes erreicht; mit der politischen Reform müsse die der Kirche, der Schule, der sozialen und wirthschaftlichen Einrichtungen Hand in Hand gehen. Mit dem scharfen Blick für die sozialen Fragen, der ihn von Jugend an ausgezeichnet, sagte er die Bewegungen voraus, welche unsere Gegenwart erschüttern. »Der Sozialismus,« führte er aus, »wird mit der zunehmenden Bildung der unteren Volksklassen eher zu- als abnehmen, aber er wird mit dieser Bildung, wenn es eine wahre ist, auch anfangen minder gefährlich zu werden.« Nicht das Eigenthum, aber das Privilegium des Eigenthums werde fallen. Mit einer tüchtigen Volksschule, einer gereinigten, allgemein freien Religion und einer aufrichtigen Demokratisirung des Staates würden die sozialistischen Forderungen nicht mehr in so bedrohliche Extreme ausarten, wie es nothwendig die Folge des alten mittelalterlich-hierarchisch-bureaukratisch regierten Polizeistaates war. Auch der politische Fortschritt, dies war sein Grundgedanke, ist ein Prozeß der Bildung, und auch in Machtfragen spreche das letzte Wort immer der Geist des Fortschritts. Seine Vorschläge befriedigten damals freilich weder die großdeutsch-demokratischen, noch die kleindeutsch-monarchischen Parteien; aber daß von den vielen hundert Programmen, die damals aufgestellt wurden, dieses die weiteste politische Voraussicht verrieth, dürfte heute wohl Niemand leugnen.

Als dann aber auch diesmal dem großen Aufschwung der Nation eine Zeit trostloser Reaktion folgte, als in der Literatur jene ästhetische Gegenbewegung auf die Herrschaft der politischen Ideen entstand, die ihm mit persönlicher Spitze entgegentrat und der er als persönlicher Herausforderung begegnete, da raffte sich sein Geist empor, um in der Form des Romans und in streng realistischer Ausführung ein großkomponirtes Spiegelbild der Bewegung zu geben, die er mit so leidenschaftlicher Antheilnahme von Jugend auf prophezeit, erstrebt, durchlebt und die er nun gescheitert sah an dem Mangel praktischer politischer Einsicht, an dem Mangel an Macht zur Durchführung der siegreichen Ideen. Die an strenge Zeitfolge gebundene Form des Dramas genügte diesem dichterischen Drange nicht. Es entstand in den Jahren 1850 und 1851 in Dresden der Roman » Die Ritter vom Geist«. Hier schilderte er mit anschaulicher Kraft den Kampf der liberalen Ideen mit den Grundsätzen des Feudalismus und der geistigen Stagnation; er verfolgte das Parteigetriebe und das Wirken der Hofkamarilla bis in ihre geheimsten Schlupfwinkel; in einer Reihe von Herzensbündnissen und Herzenskonflikten schilderte er die einigende Macht der Liebe in ihrer Mission, das Trennende der Vorurtheile und Stände zu überbrücken, wie auch die sittenzerstörenden Wirkungen des Polizeistaats auf die Verhältnisse in Familie und Ehe. Die reiche Fülle seiner Personenkenntniß in allen Schichten des Volks, seiner Anschauung von Berlin bis hinaus auf die Tempelhofer Haide und in die verlorensten Gäßchen, benutzte er als Material für ein reich gegliedertes, sich lebensvoll vorwärts entwickelndes Nebeneinander von typischen Vertretern der einzelnen Richtungen, aufgefaßt in charakteristischem Handeln; er reflektirte die Zustände am preußischen Königshof und in den Höhen und Tiefen der Berliner Gesellschaft, verfolgte das Wirken der Freiheits- und Fortschrittsideen in den Köpfen und Herzen rauhhändiger Arbeiter und Arbeiterinnen, in Vertretern des Staats, der Kirche, der Künste, des Heers. Aber die bunte Folge von Szenen durchdrang er mit einer Idee und diese Idee war die Essenz der Bestrebungen des Jungen Deutschlands: die Wiedergeburt des Vaterlandes und der Befreiungsprozeß der Menschheit muß eine Sache der Bildung sein. »Mit der Isolirung ist es nichts, mit der breiten Masse und Zahl auch nichts, die Elite muß sich finden – die Ritter vom Geist – aber rascher finden, rascher erkennen als bisher und sicherer handeln,« so bezeichnete er gegen Schücking die Grundidee des Romans. Nicht Armuth und Reichthum, nicht Geburt und Erbe, nicht Talent und Wissen entscheidet dies Ritterthum, sondern die Fähigkeit, den Geist uneigennützig hinzugeben an die Ideale des nationalen und menschlichen Fortschritts. Einen »politischen Wilhelm Meister« hatte er schreiben wollen und als solcher wurde das großartige Werk von Männern begrüßt wie A. W. Riehl, M. Carriere, K. Rosenkranz, Fr. Dingelstedt, G. Kolb, R. Gottschall, Fallmeraner, Zabel, Levin Schücking u. A. Es wurde als eine hochragende Grenzsäule der deutschen Literatur gefeiert und als solche wirkt es noch heute. Alexander Jung in Königsberg, der eben erst ein Werk über Goethe's Wanderjahre und deren modernen Ideengehalt geschrieben, widmete den »Rittern«, die im Laufe der nächsten drei Jahre trotz ihres vorherigen Erscheinens im Feuilleton der Deutschen Allgemeinen Zeitung und trotz ihrer 9 Bände drei Auflagen erlebten, ein ganzes Buch. Eine besondere Genugthuung für Gutzkow, in Erinnerung an seine Anfänge, bildete die warme Aufnahme, welche der Roman auch in der Augsburger Allgemeinen Zeitung fand.

Freilich erhob sich gleich damals gegen die bewundernden und anerkennenden Stimmen auch eine leidenschaftliche Opposition, deren wirksamster Sprecher Julian Schmidt in den »Grenzboten« wurde und die aus ästhetischen Gründen dem Dichter auch jetzt wieder den frischen Lorbeer vom Haupt zu reißen suchte. Und gerade in dem, worin Gutzkows Eigenart sich am schärfsten offenbarte, ward er am wenigsten verstanden, in der Symbolik und der Ironie des Romans: die eine auch jetzt das Organ seines Idealismus, die andere das Organ seiner nie ganz erschweigenden Skepsis. In der realistisch durchgeführten Symbolik der Gründung eines Bundes der Ritter vom Geist, wie er ihn in Anwendung eines Heineschen Wortes nannte, schilderte er das Ideal, das ihm in den Tagen des eigenen burschenschaftlichen Schwärmens in der Gartenwirthschaft bei Kaumann neben der geheimnißvollen Freimaurerloge in der Seele erstanden, zeichnete er die Wiedergeburt der alten Templerei im Sinne des politischen und sozialen Fortschritts: das Werden eines freien Geister-Bunds, dessen Phantom Metternich und Tzschoppe in dem »jungen Deutschland« gesucht, um dessen willen die jungen Geister verfolgt worden waren und der doch nur bestanden hatte in Gutzkow's und seiner Freunde Phantasie – eine Schöpfung des deutschen Idealismus, geträumt von einem deutschen Idealisten als Organ für die Erfüllung seiner Ideale. Aber zu dem Idealismus gesellte sich die Skepsis des Autors. Aus den Stimmungen der Enttäuschung des Jahres 1849 heraus war der Roman erwachsen. Der deutsche Idealismus hatte schwere Niederlagen erlitten; hunderte, tausende seiner begeistertsten Anhänger waren im Kampfe gefallen, schmachteten in den Kerkern, irrten im Exil. Das blinde Walten einer unorganisirten, aufgeregten, kopflosen Menge, die Anarchie brutaler Instinkte hatte den Kampf der organisirten Revolution entschlossener Patrioten um seine Früchte betrogen, »Thal und Ereigniß« hatten sich wieder einmal auf Kosten des Ideals befehdet, die Gewalt mechanischer Gesetze hatte edelstes Wollen vernichtet. Was war das Ergebniß all der Anstrengungen, die ihrem Ziele schon nahe geschienen? Die erneute Reaktion des Polizeiregiments! Eine »Ironie des Satans«! Diese weltgeschichtliche Ironie verlangte in seinem poetischen Zeitbild eine symbolische Spiegelung. Wir finden sie in der scheinbar unwichtigen und darum vielen Lesern zu breit erscheinenden Geschichte von dem Schrein, der die Dokumente des großen Vermögens enthält, auf das die Brüder Wildungen Anspruch haben und das sie nach gewonnenem Prozeß dem Bunde der Ritter vom Geist überweisen wollen. Diese Geschichte vom Schrein, über welche Julian Schmidt seine plumpen Spässe nicht oft genug wiederholen konnte, hat nicht nur die technische Absicht geschaffen, eine stoffliche Spannung im Gang zu erhalten; in dem Schicksal dieses Schreins, der nach langer Verschollenheit im alten Templerhaus zu Neurode von Dankmar Wildungen gefunden, aus der Reise nach Berlin verloren, vom Justizrath Schlurck gestohlen, von den Eigenthümern vergeblich gesucht, und nach endlicher Wiedererlangung von dem Sohne der Tiefe, dem elenden Hackert, im Nachtwandeln den Flammen überantwortet wird, sollte sich die Unzulänglichkeit aller vereinzelten Versuche spiegeln, ideale Aufgaben zum Besten Aller zu lösen, sollte symbolisch die Mahnung sich aussprechen, daß der fortschreitende Geist nicht durch Inanspruchnahme privilegirter Rechte, sondern nur aus eigner Kraft durch das Recht der Wahrheit seine Siege erringen kann. Darum den zerstörenden Flammen zum Trotz erstrahlt nur leuchtender die Idee des Fortschritts, das Ideal der »Ritter vom Geist«, an dem sie festhalten, auch nach dem Verluste, und das – so ist ihr und des Dichters unerschütterlicher Glaube – auch durch Flammen der Nation und der Menschheit voranschreitet, um schließlich doch die Verwirklichung auf Erden zu finden.

Was Wienbarg in seinen »Feldzügen« als die Aufgabe des modernen Romans bezeichnet, was Laube in seinen »Kriegern« auf seine Weise in dem gegebenen Rahmen der zyklischen Anlage des »Jungen Europa« erprobt, die Darstellung der die Zeit erschütternden Kampfe und in ihr sich vollziehenden idealen Bestrebungen in dem Schicksal von Zeitgenossen, die an ihnen betheiligt sind, auf dem Untergrund und in innigem Wechselbezug mit der Wirklichkeit der sozialen Verhältnisse, der Oertlichkeit, des Bodens, der dem Verfasser vertraut ist; aber auch der in »Wally« gescheiterte Versuch, die Darstellung des realen Lebens mit einer in die Zukunft hinausweisenden Idee so zu durchgeistigen, daß das Ganze als Symbol der Wandlung dieser Idee zur Wirklichkeit erscheine, das war in den »Rittern von Geist« in einer Weise Erscheinung geworden, die alle ähnlichen Versuche weit hinter sich ließ. Wir können hier nicht verfolgen, in welch außerordentlichem Umfang Gutzkow's Beispiel auch jetzt wieder bahnbrechend und anregend wirkte. Mundt's » Matadore«, Laube's » Böhminger« (die er unvollendet liegen ließ, bis er sie im Alter vollendete), Kühne's » Freimaurer« sind Beispiele einer ganzen Literatur von Tendenzromanen, als deren Eckstein die »Ritter vom Geist« zu gelten haben, auch insoweit das Neue mit bewußtem Gegensatz zu diesen ins Leben trat. Der innere Widerspruch zwischen den von der Romantik ererbten Elementen der Ironie und Symbolik in Gutzkows Roman und den Prinzipien des Realismus, weckte diese Gegenbewegung. Sie machte sich bald genug geltend. Freytags » Soll und Haben«, das drei Jahre später erschien, war denn auch in der Komposition klassischer gefügt, gleichmäßiger gearbeitet, in der Darstellung des wirklichen Lebens frei von jenen Elementen, und die drei Bände lasen sich bequemer als die neun Bände der »Ritter«: aber was Originalität der Schöpfung, Fülle der erschaffenen Gestalten, Reichthum an Beziehungen zu den allgemeinen Interessen, Tiefe des Griffs in das Volksleben und Höhe des idealen Ausblicks betrifft, so überragt Gutzkows Werk das Freytag'sche hoch. Frei sich haltend von optimistischer wie pessimistischer Einseitigkeit, hat er zum ersten Male unsrer Nation gezeigt, wie viel Armuth und Elend, Verführung und Laster, aber auch wie viel Tüchtigkeit und Tugend in den Dachkammern und Kellerstuben der deutschen Großstadt haust, über welche die vornehme Welt sich bis dahin gewöhnt hatte, kalt hinweg zu sehen. Und ohne Zwang hat er das Leben in diesen tiefsten Schichten des Volks verflochten mit den idealen Bestrebungen, die dem Aufschwung des Gemeinwohls und der nationalen Gesammtheit gelten. Wo Freytag's Realismus mit Behagen an den Einzelheiten der äußeren Erscheinungen weilt, drang Gutzkows Forscherauge in das Wesen der Menschen und Zustände. So in den Rittern vom Geist – so im » Zauberer von Rom« (1859, 60), dessen neun Bände uns in gleicher Weise das Walten alter und neuer sich bekämpfender Ideale im katholischen Kirchenthum dargestellt haben, in Schicksalen und Personen, deren Lebenswahrheit ihre Bewunderer selbst im damaligen katholischen Klerus fand, und in welchem er, wie in den »Rittern« das ideale Streben nach einer Wiedergeburt der deutschen Nation, das ideale Streben nach einer Wiedergeburt des Christenthums als Organisation der bethätigten Nächstenliebe – wie sie auch Mazzini erstrebt – zur leitenden Idee der Handlung gemacht hat. Er brachte dieses Bild idealen Strebens wiederum auch hier in engsten Zusammenhang mit spannenden Verwicklungen und erschütternden Konflikten, die episch an den Folgen veranschaulichten, was er früher kritisch bekämpft, den Eingriff der Kirche in das Herzens- und Familienleben der Menschen, an den Folgen des Zölibats, der Unauflöslichkeit der katholischen Ehe, des Verbots und der Bevormundung der gemischten Ehen. Das individuelle Glück stellte er als Zweck hin aller allgemeinen Bestrebungen zum Wohle der Menschheit, aller politischen, sozialen, kirchlichen Reform – als etwas Werdendes, organisch Wachsendes, das nun und nimmer selbst zum Dogma erstarren dürfe. Wie Lessing sich beschied auf das Streben nach Wahrheit, so lehrt er, daß auch die Freiheit nicht Sache des Besitzes, sondern des Strebens sein und bleiben müsse und offenbarte sich in dieser seiner Mission als ein Lessing der Freiheit. Und war er einst in seiner Polemik mit der Geistlichkeit weit über das Ziel hinausgeschossen, hatte er dann als Verfolgter seinen Anklägern stolzen Muthes den Widerruf geweigert, so glich er jetzt mit künstlerischer Freiheit und Wahrheit die Fehler seines Jugendübermuths aus, indem er in beiden Romanen mit dichterischer Objektivität neben die typischen Gestalten scheinheiligen Streberthums und befangenen Glaubenswahns liebenswürdige Vertreter des geistlichen Standes, edle Apostel eines werkthätigen Christenthums stellte: das schöne Dichtergemüth des protestantischen Oleander und katholische Priester wie den geistesmilden Dechanten von St. Zeno und den gottbegeisterten Reformgeist Fra Federigo, Und weil diese, einen großartig reichen Bildungsstoff bergenden Romane in ihrer Konzeption und Durchführung, im Realismus ihrer Darstellung wie im Idealismus ihrer Tendenz so überaus zeitgemäß waren, so können sie freilich in Manchem nicht dem Geschmack ganz anderer Zeiten entsprechen, darum werden sie aber auch andererseits als die charakteristischsten literarischen Denkmäler eben jener Zeit bestehen und der Zukunftsdrang in ihnen wird auch späteren Geschlechtern wie ein Prophetengruß aus ferner Vergangenheit in die glücklichere Nachwelt klingen. Die »Ritter vom Geist« im besonderen werden, wie heute uns, auch unseren Enkeln in poetischem Abbild eine Vorstellung von dem idealen Gährungsprozeß im Geistesleben der Nation vermitteln, der dem praktischen Einigungswerk der Bismarck'schen Politik vorausgegangen ist und vorausgehen mußte, um deren entscheidende Siege möglich zu machen.

Wir Heutigen aber, die Erben der positiven Errungenschaften jenes Jungen Deutschlands, dessen Leistungen und Wirkungen wir hier bis zu ihrem Höhepunkt verfolgt, wir wollen die Worte beherzigen, welche Gutzkow am Schlusse seiner Vorrede zum Neudruck der »Wally« an die Nation gerichtet: »Die Dichter gleichen den einsamen Botenläufern, die des Morgens in der Winterfrühe, wenn kaum noch die Hähne gekräht haben, schon auf den des Nachts vom Schnee verschütteten Wegen die ersten Fußstapfen eindrücken müssen. Ihr habt Mittags gut spazieren wandeln! Gedenket derer, die zwischen Feld und Wald und Weiler im ersten Morgengrauen auf zuweilen doch unübersehbaren Schneeflächen zuerst die Wege wieder suchen mußten und dabei keinen andern Führer hatten als den Rauch aus jenen fast unsichtbaren, weiß verhangenen Schornsteinen, wo dem so Bequemgebetteten schon in aller Frühe der labende Mokka dampft.« Was die Patrioten des Exils, das politische junge Deutschland durch Verschwörung hatten erreichen wollen, hatte das literarische junge Deutschland zum Bildungsprozeß gemacht. Und als dann im Jahre 1870 die Kriegserklärung Napoleons die deutschen Stämme zur Abwehr vereinigt fand, schrieb Venedey, einst der Herausgeber des »Geächteten« in Paris, an Gutzkow: »Ist es nicht eine große Genugthuung, daß die Einheit Deutschlands – die wir vor 40 Jahren kaum zu Hunderten predigten und dafür auf die Festung kamen, endlich doch zur That wird und die Bluttaufe erhalten soll.« (Stuttgart, am 23. Juli). So begegneten sich die Geister beider Richtungen jetzt in derselben gehobenen Stimmung.

Unser Ausblick hat die Grenzen der uns gesteckten Aufgabe weit überschritten. Die Andeutungen, die er geboten, müßte ein anderes Buch deutscher Geistesgeschichte ausführen, dessen Mittelpunkt »das Jahr 1848« mit seinen literarischen Voraussetzungen und Ausstrahlungen, seinen geistigen Revolutionen und Reaktionen zu bilden hätte. Uns galt es nur, die Wirkungen hier zu verfolgen, welche als das direkte Ergebniß der Bewegung des Jungen Deutschlands zu betrachten sind. Es kamen auf dem Gebiete der Politik klügere Denker, praktischere Führer, mächtigere Geister; die Kritik der kirchlichen Dogmatik fand neben D. F. Strauß gewaltige Systematiker in Ludwig Feuerbach und Bruno Bauer; die radikalen Konsequenzen der Hegel'schen Entwickelungsidee fanden in den Männern der Halle'schen Jahrbücher, in Arnold Ruge u. A. energischere Verfechter, wie andererseits diese selbst auf dem Gebiete der Geistesgeschichte in Kuno Fischer, Herm. Hettner, M. Carriere, Friedr. Vischer, Meister historischer Darstellung und theoretischen Aufbaus. Die besiegte Romantik fand neben schärferen Kritikern ihrer Schwächen, neben Neubelebern des Echten in ihr, in R Haym ihren klassischen Darsteller; der erstarkende Realismus setzte die Naturwissenschaft auf den Thron des gesammten geistigen Lebens und bahnte jenen Aufschwung der Technik an, der den ganzen gesellschaftlichen Organismus von Grund aus verändert hat; der sozialen Reformideen bemächtigten sich einsame Denker und weitgegliederte Parteien; die Ehe ward zur bürgerlichen Institution erhoben, die Presse entwickelte sich in freier Entfaltung zu einer allumspannenden Kulturmacht, das Reich erstand und der deutsche Reichstag: für all dies geistige Wachsthum war die von uns geschilderte Bewegung die keimtreibende Frühlingszeit. Auch die poetische Kunstblüthe, welche der Herrschaft der politischen Ideen in der deutschen Literatur folgte, hat, wie wir zeigten, jene Sturm- und Drangzeit junger Geister zur Voraussetzung. Als versöhnte Rivalen, wenn auch auf getrennten Bahnen, haben Gutzkow und Laube an dieser Fortentwickelung persönlichen Antheil genommen, Laube, leichten Muths, seine Hauptkraft dem Theater zuwendend und diesem noch einige seiner besten Dramen darreichend, rüstig bis in ein hohes Alter, in dem er seine »Erinnerungen« mit einer fröhlichen Seligpreisung seines Lebens schloß; Gutzkow, auch weiterhin mit bitterem Ernst seine Dichtermission als Apostelberuf auffassend, immer bestrebt, mit den Wirkungen seines Geistes und seines Talents den menschlichen und bürgerlichen Fortschritt zu fördern, bis aus dem Zwiespalt seines Idealismus und seiner Skepsis, seines Glaubens an die Menschheit und seiner Verzweiflung an den Menschen, den Menschen, die ihn von früh an verfolgt und sein bestes Wollen verlästert, ihm jenes tragische Schicksal erwuchs, das ihn den Tod als Erlöser begrüßen ließ. In der Hingabe des Lebens an große ideale Aufgaben leuchtende Beispiele, als Verfechter ihrer Grundsätze – trotzalledem – echte Ritter vom Geist, haben beide ihr kühnaufstrebendes, fruchtbares Wirken an die Läuterung der hohen Ideale gewandt, das Leben mit der Kunst, die Kunst mit der Wirklichkeit, die Wahrheit mit der Schönheit, die Freiheit mit dem Gemeinwohl zu versöhnen, der Ideale, für die ihre Jugend froh und verwegen ihre frische Kraft eingesetzt, um ihnen, im Morgennebel einer tagenden neuen Zeit zur einstigen Verwirklichung neue Wege zu bahnen.

»Voran, voran, ihr Bittern,
In fegenden Gewittern!« –

hat auch ihnen Gottfried Keller in seinem schönen Versöhnungslied »Denker und Dichter« zugerufen, in welchem er ausführte, daß solch bahnbrechende Geister, die mit der Fackel in die Finsterniß der Zukunft dringen, denen die Dichtkunst Kampf, die Kritik Aufklärung, das Wort reinigendes Feuer ist, nicht »mit hellgestimmten Zithern« ihres Berufs warten können.



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