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IX.
Zusammenschluß und Katastrophe.


Dasselbe Jahr, dessen Schluß dann auch Gutzkow wegen »literarischer Verbrechen« ins Gefängniß wandern sah, begann für ihn als Schriftsteller unter den glücklichsten Auspizien; fast allen Träumen seiner Hoffnung und seines Ehrgeizes brachte es, wenigstens scheinbar, die Erfüllung. Es brachte ihm Macht und Ruhm und sah ihn eine geistige Fruchtbarkeit entwickeln, die, heute von uns überblickt, kaum zu fassen ist als Blüthe und Ernte eines einzigen Jahres. Und wer siderischen Aberglaubens die Abhängigkeit des Schicksals von den Gestirnen annimmt, unter deren Zeichen der Sterbliche zur Welt kommt, würde sich kaum der Meinung erwehren können, der glänzende Komet, der schöne Halley, der im Jahre 1835 mit seinem Scheine die Reben im Herbst so zaubermächtig segnete, daß der von ihnen gespendete Wein an Fülle und Feuer noch den des Kometenweins vom Jahre 11 übertraf, habe eine geheimnißvolle Macht auf das Kind desselben Jahres 11 ausgeübt, alle Kräfte seines Geistes und Gemüths in höchste Wallung versetzend, aber auch seine Nerven mit unruhvollem Drang erfüllend und seinen Schicksalsgang verhängnißvoll bestimmend.

Am 7. Januar erschien in Frankfurt a. M. bei J. D. Sauerländer die Nr. 1 des Literaturblatts zum » Phönix«, der »Frühlings-Zeitung für Deutschland«, dessen Inhalt nun Woche für Woche – 8 Spalten Folio – von Gutzkow persönlich geschrieben wurde; in demselben Monat verfaßt er die Vorrede zu der von ihm veranstalteten Ausgabe von Schleiermachers Vertrauten Briefen über die Lucinde; für die »Allgemeine Zeitung« schreibt er fortgesetzt an den biographischen Charakterbildern berühmter Männer der Zeit, die im August dann als »Oeffentliche Charaktere« (1. Bd.) bei Hoffmann und Campe erscheinen; am 7. März ist »Nero« beendigt, die bereits in München entworfene Tragödie, zu deren Ausführung er aber erst jetzt kam; im April tritt Sauerländer mit dem Prospekt einer Uebersetzung der Werke Victor Hugo's hervor, deren Redaktion und Bevorwortung Gutzkow übernommen und für die dieser den jungen Freiligrath, Adrian, Kottenkamp, Laube, G. Büchner als Uebersetzer gewonnen; am 16. Juli kann er Cotta melden, daß er im Laufe der letzten drei Wochen in Heidelberg einen ganzen Roman geschaffen – es ist »Wally, die Zweiflerin«; am 20. August schickt er eine neue dramatische Dichtung »Hamlet in Wittenberg« nach Stuttgart für Lewalds Theaterrevue; es folgen Verhandlungen zur Gründung einer »Revue« großen Stils und Vorbereitungen zum Zusammenschluß der Gleichgesinnten um dies Organ; es folgen Artikelreihen neuer Art für die »Allgemeine Zeitung« und am 5. November ist er bereits mitten in der Arbeit an einem zweiten modernen Roman, welcher »Seraphine, die Entsagende« heißen soll.

Auf allen Gebieten reformatorischen Denkens tummelte er seinen freiaufathmenden Geist. Erlöst aus dem Konflikt: Dichter oder Journalist? Redakteur oder freier Berufsschriftsteller? – zum ersten Mal im Vollbesitz der Freiheit bei guten Einnahmen, erlöst aus den Fesseln eines Herzensverhältnisses, das seine Willenskraft mit Klammern der Sorge gelähmt, genesen von langem Siechthum, im Vollgefühl seiner Jugendkraft, empfohlen durch sich selbst und seine Leistungen, aber auch von einflußreichen Freunden an deren Freunde von Einfluß, kam er nach Frankfurt, der schönen alten Reichsstadt am Main, in deren »Römer« zwar schon lange kein deutscher Kaiser mehr gekrönt worden, in deren Eschenheimergasse das Taxis'sche Palais aber immerhin der Sitz des Regierungsorgans war, das allein noch den Schein deutscher Einheit wahrte, des Bundestags. An der Ecke derselben Eschenheimergasse, im Wolfseck, Paradeplatz Lit. E, Nr. 208, dessen Front den belebtesten Stadttheil, da wo Zeil und Roßmarkt zusammenstoßen, beherrschte, fand der junge Schriftsteller sein Quartier. In Frankfurt gefiel es ihm sofort außerordentlich gut. »Nichts Behaglicheres von einem städtischen Leben kann man sich denken als das Ensemble, in dem man damals in Frankfurt alles, was zu des Lebens Anmuth, Bequemlichkeit und höherer Würde gehörte, in nächster Nähe beisammen fand. Da lag das Theater mit mehr als mittelmäßigen, zuweilen trefflichen Leistungen. Unmittelbar daneben die Post, ringsum lagen Gasthöfe, die für die Kunst der Hotelhaltung als Akademie galten; Kaffeehäuser, gemüthlich eingerichtet, noch nicht durch die Fremden aus den nahegelegenen Bädern verfranzösirt. Ein Lesezimmer ersten Ranges lag auf dem Roßmarkt. Eine Gasse voll Buchhandlungen, die Buchgasse, war im Nu zu erreichen; dazu die Senckenberg'sche Stiftung, eine Art Akademie für die Naturwissenschaften, sogar mit einer Sternwarte und Anatomie. Nicht zu vergessen das Städel'sche Museum, eine lehrreiche Gemäldegallerie mit vielem Schönen und Werthvollen älterer und neuerer Kunst. Und unmittelbar nahe sorgsam gepflegte Promenaden, die sich um die Stadt zogen und sich immer mehr vervollkommneten, mit der Zeit Staffagen immer zahlreicherer Neubauten. An Konzerten, geistigen Genüssen dabei kein Mangel. Was nur an berühmten Namen auftauchte, holte sich, wenigstens hielten die Frankfurter auf diesen Glauben, das Diplom seines ob wirklichen oder nur gemachten Werthes erst von der Frankfurter Beweisführung für sein Talent. Der Cäcilienverein, der Liederkranz, beide waren von Dirigenten ersten Ranges geleitet. Ein geschlossener Verein, die Museumsgesellschaft, bot einen Mittelpunkt für geistige Geselligkeit.«

Vor diesem Forum erbrachte sehr bald auch der neue Ankömmling den Beweis für sein Talent, und er bestand dabei glänzend. Eingeladen, an einem der Museumsabende einen Vortrag zu halten, beschloß er statt irgend einer ernsten Belehrung etwas Humoristisches zu bieten, aber auch etwas, das der Richtung seines Geistes entsprach. In der leichten Plaudermanier Jules Janins, dessen damals vielbesprochenes Phantasiestück über die Hunde ihm dabei als Vorbild vorschwebte, arbeitete er eine »Naturgeschichte der deutschen Kameele« aus, eine witzige Uebersicht der verschiedenen Arten des deutschen Philisters. Der Vortrag, der im Hauptblatt des »Phönix« Nr. 49 abgedruckt ward, erregte ein solches Ausschütten der Lachlust, einen solchen Sturm des Beifalls, daß Gutzkow seine Stellung in Frankfurt – »den Bundestag und die mit diesem kokettirende Sphäre des Adels und der großen Bankiers ausgenommen« – für mehr als leidlich begründet halten konnte. Der Erfolg war ein solcher, daß nach Ablauf des Sommers er wieder einer der ersten war, welche den neuen Vortragscyklus eröffneten. Und wiederum – er sprach »über die Natur der Kometen« – war es die Keckheit seiner Anspielungen auf die politischen Zustände, was die Wirkung zu einer zündenden machte – zugleich ein Beweis für die Grundstimmung, welche das gebildete Bürgerthum der alten freien Reichsstadt beseelte, vor dessen Augen die Mehrzahl der Bundestagsgesandten ein üppiges Genußleben führte, während im Geheimen die Zentralkommission Verhaftung auf Verhaftung dekretirte. Die Untersuchung, welche dem Attentat auf die Frankfurter Wachen gefolgt war, hatte gar rauh in den Frieden so mancher Familie gegriffen und der vaterländische Gedanke glimmte in der alten Mainstadt auch jetzt noch fort, nicht nur in den damals die Mission desselben aufnehmenden Männergesangvereinen, sondern auch in geheimen Gesellschaften von rein politischem Charakter. So fand ein öffentliches Auftreten wie das Gutzkows eine Theilnahme von ermuthigender Wärme. Von den Persönlichkeiten, die ihm damals vor allem Theilnahme und Förderung angedeihen ließen, rühmen die »Rückblicke« den liebenswürdigen Liederkomponisten Wilhelm Speyer, der seinen Beruf eines Börsenbeamten mit dem regsten und reinsten Streben auf dem Gebiet der Musikpflege in Frankfurt zu vereinigen wußte, den Theaterarzt August Clemens und den Direktor des Senckenberg'schen Stifts, Dr. Cretzschmar, welch letzterem Gutzkow später manche Züge des Oberpräsidenten von Harder in den »Rittern vom Geist« entlehnt hat.

Nicht mehr zwischen seinen Büchern, weltabgewandt an die Gelehrtenstube gebannt, nein, getragen von einem buntbewegten, eindrucksreichen Leben in der Gesellschaft, auf Reisen offenen Sinnes hingegeben neuen Genüssen und Eindrücken, bald in Heidelberg, Baden-Baden, Schwalbach, Wiesbaden, am Rhein ein Leben in der Natur genießend, das der Sohn der staubigen Spreestadt in der Jugend hatte entbehren müssen, entfaltete er frei und unabhängig diese reiche Schriftstellerthätigkeit. Und wie lockte der Frühling und der Sommer dieses Jahres 35 hinaus vor die Thore, zum Reisen, zum Genuß der Natur. »Ueber alle deutschen Gaue schien ein goldenes Netz ausgespannt,« so schilderte er später diesen Sommer, »das überall glitzerte und schimmerte, wie von Sonnenstrahlen, die sich allabendlich an viel tausend Fensterscheiben brechen. Nie schienen die Wogen des Rheins meergrüner zu wallen, nie die Aehrenfelder goldener sich zu wiegen, die Fruchtbäume nie schwerer zu tragen, die Bienen auf der Flur und in Blumengärten wohliger zu summen als in diesem frucht- und weingesegneten Wunderjahre.« So schien es wenigstens der deutschen poetischen Jugend, die sich in demselben in Frankfurt am Main zusammenfand, um dem Frühlingsglauben, der durch die Vorgänge in der Natur aufs neue belebt ward, Frühlingsworte zu geben und Frühlingsthaten. Man kann sich diese Bewegung im Empfindungsleben der Nation nicht allgemein genug denken. Unter dem Eise der Metternich'schen Reaktion hatten die Keime der freiheitlichen Ideen doch nicht ersterben können. Während die Erlasse des Bundestags und ihre Vollstrecker das Verfassungsleben der Kleinstaaten erstickt, die Anfänge einer freien Presse vernichtet, die idealen Schwärmer für ein einiges freies Vaterland in die Kerker geworfen oder zu einem Flüchtlingsleben in Elend verurtheilt hatten, während der letzte Rest der patriotischen Volksbewegung in planlos zersplitterten, nur für ihre Theilnehmer verderblichen Geheimverschwörungen versiechte, hatte sich doch die politische Aufklärung und die Ueberzeugung, daß die Zustände unhaltbar seien, nicht nur in den Schichten des gebildeten Bürgerthums, sondern auch in den privilegirten Ständen wie in der Masse der Enterbten weithin verbreitet.

Den durch so viele begeisterte Apostel verkündeten Glauben an die Nothwendigkeit von Reformen, die Sehnsucht nach einer Erlösung von der Stagnation alles öffentlichen Lebens theilten auch in Preußen Tausende unter der gebildeten Jugend, die sich als Altersgenossen von Gutzkow und Laube auf den Richter-, den Lehrer-, den Predigerberuf vorbereitet hatten. Selbst die starrsten Doktrinäre und die eifrigsten Diener des Absolutismus und seiner »Beruhigungspolitik« begannen sich im Hinblick auf den Schwächezustand des Königs und die dem Polizeiregiment sich abgeneigt zeigenden Anschauungen des Kronprinzen in ihrem Innern ein Geheimkabinet einzurichten, in dem sie in aller Stille ein Stelldichein von Neuerungsideen zuließen. Als Laube nach der Entlassung aus der Berliner Hausvoigtei zwangsweisen Aufenthalt in Naumburg vorgeschrieben erhielt unter Aussicht des dortigen Landraths, fand er in diesem – es war der Vater des späteren Orientalisten Lepsius – einen liberalen Mann, der ihm volle Freiheit ließ, und in den Auskultatoren und Referendaren am Oberlandesgericht, die seine Tischgenossen wurden, lauter Vertreter der neuen Zeitrichtung. Einer von ihnen, der auf der Kegelbahn und bei Ausflügen besonders kühne Ansichten über Staats- und Sozialreform äußerte, wurde später der Schöpfer des Genossenschaftswesens – Schulze-Delitzsch. Auch von Staatsbeamten gingen liberale Reformvorschläge aus, so von Rehfues, dem Kurator der Universität Bonn, einem geistvollen Mann, der auch auf dem Gebiet des historischen Romans eine außergewöhnliche Begabung entwickelte, die Gutzkow in einer Besprechung seines »Scipio Cicala« im Menzel'schen Literaturblatt anerkannt hatte. Das Interesse für Literatur war überall im Wachsen und die Meinung, daß von ihr aus erlösende und befreiende Wirkungen zu erwarten seien, war so verbreitet, daß der Unternehmungsgeist des Buchhandels allenthalben mit ihm zu rechnen begann, ja – ergriffen vom allgemeinen Aufschwung der Industrie – in seiner Entwickelung von ihr zunächst bestimmt ward. Die stille Konkurrenz zwischen dem Cotta'schen Zeitschriften-Verlag und dem Campe'schen Buch-Verlag wurde von einem lärmenden Wetteifer neuer Firmen mit diesen alten abgelöst. In Stuttgart allein begannen in jener Zeit vier große Verlagsfirmen eine erhöhte Thätigkeit von liberaler Richtung. Ein älterer Verleger, Liesching, bot Gutzkow 100 Carolin unbesehen für ein Buch, das er ihm schreiben sollte, aus Rücksicht auf Cotta aber nicht bekam. Karl Hallberger zahlte dem Fürsten Pückler Tausende für die Fortsetzungen seiner liberalisirenden Reiseplaudereien, die dieser unter dem Namen Semilasso herausgab, Schraishuon, ein pensionirter Hauptmann, und Scheible verbanden sich mit August Lewald zur Begründung einer neuen belletristischen Zeitschrift, der » Europa«. In Mannheim etablirte sich Karl Hoff, ein eifriger Demokrat, der 1849 nach Amerika fliehen mußte, und suchte die Autoren der Campe'schen Verlagsrichtung für sich zu gewinnen, wie er denn auch »Das junge Europa« und Laube's Reisenovellen von Otto Wigand für seinen Verlag erwarb. Die »Frühlings-Zeitung« des Frankfurter Verlags von J. D. Sauerländer war so recht ein Zeichen der Zeit.

Die Frage nach neuen Talenten, nach neuen Gesichtspunkten lag in der Luft. Hatte doch der Tod in den Reihen der berühmten Namen seit dem Cholerajahr Lücke auf Lücke gerissen. Wo aber noch ein großes Talent aus einer früheren Zeitbewegung hineinragte in die neue, mochte es oder konnte es sich kaum dem Einfluß des Umschwunges entziehen. Da Uhland, Chamisso und Rückert mit ihrem ganzen Wesen an sich schon im bürgerlichen Freisinn und einem pantheistischen Humanismus wurzelten, kann deren Verhalten als besonderes Merkmal nicht dienen. Das Lager der Romantik verlassend, ging Immermann jetzt daran, der Epoche den Spiegel des Zeitromans vorzuhalten, schrieb dieser die »Epigonen«, die freilich nur die Zweifel und Leiden der Uebergangszeit, aber nicht ihre Hoffnungen und Thaten zum Ausdruck brachten und zwar auch in einer Uebergangsform, in welcher romantische Ironie und realistische Darstellungsweise mit einander im Kampfe lagen. Ludwig Tieck, der einsam in Dresden thronende, durch einseitigen Verkehr mit ihn bewundernden Damen verweichlichte Dichterfürst der Romantik, kämpfte zwar gegen die Anmaßungen der jungdeutschen Heißsporne und suchte sie lächerlich zu machen in seinem Märchen von der Fee Gloriane und der Novelle »Eigensinn und Laune«, aber die Ideen, die jene bewegten, besiegten auch ihn, zwangen auch ihn zu dichterischer Gestaltung, und, wie bald im Jungen Tischlermeister den sozialen Ausgleich der Stände, behandelte er dann auch in Vittoria Accorombona das Problem des »freien Weibes«. Daß auch die Epigonen der Romantik, wie der aus Wien nach Frankfurt verschlagene Eduard Duller einer war, ihr Gemüth den Frühlingsahnungen der Zeit öffneten, war danach nicht verwunderlich. Diese sanften Geister, deren Muse sich am liebsten im Dämmerlicht der Sage erging und im Schatten alter Burgen und Abteien eine Poesie pflegte, die sich am Reim von Minniglich auf Inniglich und Traurig auf Schaurig begnügte, begannen jetzt auch, solange und soweit es ungefährlich war, von Freiheit, Licht und Aufklärung zu singen. Rückert aber sandte aus seinem Erlanger Gelehrtenasyl im Namen der »Aelteren« einen Gruß an die »Jüngeren«, welcher am 27. März im »Phönix« erscheinen konnte:

»Freilich muß es weiter geh'n,
Ueber uns hinüber!
Daß wir kühn-voraus euch seh'n,
Machet uns nicht trüber.

Aber stürmt ihr vorwärts schon,
Wie der Geist euch leitet,
Tretet nicht auf die mit Hohn,
Ueber die ihr schreitet.

Sondern sprecht: Mit Ehren sind
Sie im Kampf gefallen! –
Und ein frischer Hoffnungswind
Laß' euer Banner wallen!«

Das Fortschrittsbanner, das der »Phönix« in den frischen Hoffnungswind der Zeit flattern ließ, führte aber nicht Duller, sondern Gutzkow. Wohl hieß die erste Novelle, die das Hauptblatt brachte »Der arme Konrad« und spielte im Bauernkrieg; diese Arbeit eines inzwischen längst Verschollenen, Gustav von Herringen, war aber durchaus im Wasserblau der historischen Romantik gehalten, welche Fouqué zum Führer hatte, und verrieth nichts von den Stürmen der Zeit. Was Duller und Dullers Freunde boten im Sinne des Titels der Zeitschrift, waren Anempfindungen und Zugeständnisse. Dagegen waren die Artikel Gutzkows im Literaturblatt elektrische Entladungen eines von den Gewittern der Zeit in allen Fasern beeinflußten, von ursprünglicher Ideenkraft überquellenden Geistes. Seinen Beziehungen hatte auch das Hauptblatt zumeist diejenigen Beiträge zu danken, welche demselben Farbe und Charakter liehen: von Georg Büchner das dramatische Fragment »Dantons Tod«, von Grabbe Scenen aus »Hannibal«, von Wienbarg die gegen die anwachsende Plutokratie gerichtete Novelle »Das goldne Kalb«, vom jungen Freiligrath Uebersetzungsproben aus Victor Hugo's Gedichten, von einem bis dahin unbekannten Lehrer am englischen Fräuleininstitut zu Rücklingen bei Hannover mit Namen Franz Dingelstedt eine humoristisch-kecke »Abschiedsrede an den Kometen« und Aufsätze wie »Börne, Görres und Rothschild« von Ludwig Wiehl und »Beranger«, »Heine« von O. L. B. Wolff. Die literarischen Programmartikel und Leit- und Streitaufsätze, welche allwöchentlich das Literaturblatt brachte, sie aber waren es, was dem ganzen Unternehmen seinen besonderen Charakter verlieh.

Das Programm zu diesen Programmen bot einen Rückblick und einen Ausblick. Der Rückblick schilderte den Kampf der kritischen Periode, für welche Börne und Menzel den Ton angaben, gegen die Restaurationsperiode, in welcher das Andenken an die großen Dichter der klassischen Zeit zu einem unfruchtbaren Kultus des Ruhms erstarrt war. »Die Anbetung brachte die Nachbetung, die Nachbetung die Mittelmäßigkeit, die Mittelmäßigkeit den Plunder.« Aber der Geist der Kritik, der, von den Folgen der Julirevolution getragen, den Kampf aufnahm gegen diese Herrschaft des marmornen Ruhms, habe seitdem das Terrain für neue Entwickelungen geöffnet. »Sie deckte die Blößen der Nachahmung auf und machte die Orgien der Mittelmäßigkeit lächerlich.« Vaterland, Geschichte, Menschheit waren Begriffe, welche jetzt tiefer in unsere Literatur eindrangen, als einst in Klopstocks labyrinthische Oden oder in Herders humanistische Träume. Es bekam alles, was geschrieben und gesprochen wurde, ein blankes neues Gepräge, das Gepräge des Augenblicks, der Notwendigkeit und der Wahrheit. Das Auftreten dieser reinigenden Kritik war lachend und keck, denn damals war viel Sonnenschein, Hoffnung und poetische Thatsache in Deutschland. Aber die Kritik sei nicht dabei stehen geblieben. Mit der Vergötterung habe sie auch die Erinnerung vernichten wollen. »Die Kritik wurde eine Integration der Literatur, bekleidete sich mit dem Scheine der Position, die Kritik wollte das ersetzen, was sie weggeräumt hatte. Es ist eine Literatur der Negation im Anzuge, welche alles zerbröckelnd und auseinander schälend, die Schranken der Objektivität niederreißen will und alles auflöst in Reflexion. Das Urtheil und die Meinung sind an die Stelle der Kunst getreten. Hier ist der Punkt, wo die jüngere Generation die Fortführung unserer literarischen Interessen übernehmen wird. Bis hieher sind wir im Augenblick gekommen, bis zu dem Grundsatze: die kritische Periode ist vorüber

Der Ausblick räumt ein, daß die neue Literatur vorerst mehr Hoffnungen und Versprechungen aufzuweisen habe, als positive Leistungen, aber selbst auf dem Wege der Kritik wolle sie solche fördern. Und darum werde auch er, der noch selber in einem Alter stehe, wo die Leidenschaften und der Enthusiasmus nicht abgekühlt sind, von Ahnungen, Hoffnungen und von der Zukunft reden. »Unsere junge Generation hat die Aufgabe, positiv zu verfahren, selbst zu schaffen; zu lärmen und zu perhorresziren würde ihr schlecht stehen. Da ich mich selbst zu ihr rechne, so schlender' ich als Kritiker gemüthlich fort, ohne viel Aufhebens zu machen, nur rechts und links meine Meinung sagend und den, welcher mir im Wege steht, schon aus der Ferne ersuchend, bei Seite zu treten. Ich fühle, wie nothwendig es ist, daß die Literatur zusammenhält. Die Literatur ist zerstreut durch die Kritik, die Polizei, durch den Buchhandel und ein unschlüssiges Publikum: sie muß zusammenrücken, nicht encyklopädisch, realistisch, zum Pfennigpreise, sondern bunt, mannigfach, wenn nur erreichbar und übersichtlich. Die Literatur ist zerstückelt genug: die Kritik hat jetzt ein chirurgisches Geschäft zu übernehmen, sie soll heilen, wiederherstellen und ergänzen. Sie soll die panische Furcht, welche über die Autoren gekommen ist, beschwören, die Wildheit einfangen; sie soll Rath geben, Vorschläge machen und nichts so sehr vermeiden, als durch übertriebenen Lärm die Theilnahme des Publikums zu erkälten, durch Appelliren an eine Menge, welche man nicht sieht und hört, diese altklug und vornehm zu machen. In der That, es herrscht viel Mittelmäßigkeit im Lande; aber es ist unverantwortlich, selbst die Mittelmäßigkeit an den Indifferentismus, an Menschen zu verrathen, welche für gar nichts sind.«

»… Auch giebt es viele Dinge, nach welchen man nicht vergebens in diesen Blättern suchen wird: Zauberworte, deren Klang eine süße Musik für die Jugend ist; Sympathien, welche die Herzen Tausender erwärmen; große Thatsachen, welche elektrisch wirken. Gleichaltrige Jugend, du hast einem treuen Kastellan die Schlüssel deiner Luftschlösser übergeben, einem Freunde, der denen gleicht, welche du mit Liebe empfängst; einem ehrlichen Vertrauten deiner Wünsche, welche du nur in Feierstunden, in den Umarmungen der Freundschaft ausgesprochen hast! Hier sind all deine Geheimnisse niedergelegt; es spricht ein Mund zu dir, welcher mit dir sang, jubelte; ein Herz, das dich liebt, und eine Ahnung, welche Alles versteht, wenn sie mitten unter dich träte und die Worte auf euren Lippen stockten! Ich verkünde nichts, als eure Evangelien: eure Götter sind die meinen; die Arbeit dieser Blätter ist ein Kultus, in welchem ich, als Priester, die Opfer verrichten will!«

Und in diesem Sinne ging er dann frohgemuth an ein umsichtiges Wirken im Dienst der Idee, Poesie und Wissenschaft fruchtbar zu machen fürs Leben. Er that es ausgreifender, ungestümer und kühner, als dies im Morgengrauen der klassischen Literaturperiode der junge Goethe mit Merck ebenfalls in Frankfurt als Herausgeber der Frankfurter »Gelehrten Anzeigen« thaten. Man vergleiche die von Wilhelm Scherer besorgte kritische Ausgabe derselben. Es that dies gleich im ersten dieser kritischen Gänge » Der Hofrath Tieck«, indem er sich gegen das mächtigste Bollwerk der romantischen Schule zum Sturm wandte. Dieser hatte Heine, ihn und die junge Literatur angegriffen; wie Mundt antwortete er, indem er Tiecks Anspruch darauf, als Hüter der Würde unserer Literatur aufzutreten, kritisch untersuchte. Ihm sei die Literatur immer nur Spiel gewesen. Er habe nicht einmal die ersten Grade der Weihe, die ihn befähigten, sich »dem großen Bunde der neuen Zeit« anzuschließen. »Wir wollen Schönheit, aber die Schönheit des Erhabenen. Wir wollen Kunst, aber die, welche sich aus großen Ideen entwickelt. Wir wollen neue poetische Position, aber weder die blaue Blume noch die Ironie noch die Manie für die alte Literaturgeschichte.« In den »Phantasien über Seydelmann« reklamirt er das Theater für eine Literatur, welche die Ideen der Zeit künstlerisch wiederspiegelt, die jungen Talente müßten die deutsche Bühne wieder nationalisiren, die Leitung müsse an die Sachverständigen kommen und den Hofchargen, die nichts verstehen, entwunden werden. Hinweisend auf Lewalds Berichte in seinem »Panorama von München« über die kirchlichen Bauernspiele in den Gebirgsthälern der bayrischen Alpen (Mittenwald), wo das Theater wie bei den Griechen noch Religion und Volksehre sei, stellt er Zukunftspläne auf, um die Kunst der Bühne zu reformiren, wie sie später in den Meininger Gastreisen, in »Bayreuth« (freilich nur für die Wagner'sche Oper) erfüllt und ganz neuerdings in der Propaganda für Volkstheater und Volksspiele wieder aufgenommen worden sind. Er bekämpft die Bücherindustrie und die bequeme Romanmacherei, welche die Wirklichkeit einfach nach dem Geschmack der Philister kopirt, und verlangt, daß die Wirklichkeit nur den Boden und das Material gebe für die Gestaltung der ideellen Wahrheit. Er bekämpft in » Thron und Altar« die kirchliche Reaktion und fordert Trennung der Kirche vom Staat: das Christenthum sei ausdrücklich als Weltreligion gestiftet und müsse sich seiner Natur nach unabhängig vom Staat, wie dieser unabhängig von der Kirche, entwickeln. Er bekämpft in » Gans und die Doktrinäre« jenen politischen Freisinn, der genug gethan zu haben meint, wenn er die Grundsätze der politischen Aufklärung in ein System bringt, womit er aber nur diese wieder dem Leben entfremde. Er wendet sich in » Theodor Mundt, Willibald Alexis und die pommersche Dichterschule« gegen das Kokettiren mit den Ideen der Freiheit als einer literarischen Modesache, gegen das planlose Spekuliren, das die Beglückung der Welt in den Sternen sucht. »Die ›Zeit‹ ist nicht allgemein und ist kein Atom; um die Zeit zu fassen, muß man sich an ein Stück klammern. Nicht an die Meridiane ist es angeschrieben, was die Zeit gebietet, nicht am Aequator ist es zu lesen, sondern an der Landstraße, an einem Vizinalwege, welcher zwei Pfarreien verbindet. Auf den kleinen Geßlerhut, der in deinem Dorfe auf der Stange prangt, drücke deine Bolzen ab, dann wird man bald in den Alpen freier wohnen! Aber Schmach dem, der wie der Geier von dem Schmerze des Prometheus mitzehrt, der aus der großen Verwirrung unserer Tage seinen speziellen Nutzen zieht und Veranlassung nimmt, über sein Jahrhundert zusammenhanglose und unkünstlerische Bücher zu schreiben. Es ist grundfalsch, daß unsere Zeit negativ sei. Sie ist so positiv, wie irgend eine. Von dem ersten Brausen, als die Ventile der Schöpfung losgelassen wurden, bis auf den heutigen Tag ist nie Stillstand gewesen; und die Kunst war immer positiv. Sie warf niemals ihr Winkelmaß von sich, und spannte den Zirkel nie so weit aus, als sollt' er die unendliche Lust umkreisen. War die echte Poesie je etwas anderes, als die Kraft, sein Zeitalter zu übersehen, wie es wacht, und an die Nachwelt zu verrathen, was es träumt?« …

Mit Schärfe und Geist markirt er seine Stellung zu Heine und Börne, denen das junge Deutschland soviel zu danken habe und doch nicht folgen dürfe auf die Bahn ihrer Einseitigkeiten. In tiefgreifender Parallele charakterisirt er ihr gemeinsames Verhältniß zum Vaterland, zu ihrer Zeit, zu den Idealen der Freiheit und mit treffendem Wort auch ihre Verschiedenheiten. Sein Urtheil ist jetzt weit gerechter gegen Heine als früher, da er die Blüthen seiner Poesie mit parfümirten Tastblumen verglichen und seiner politischen Wirksamkeit allen tieferen Ernst abgestritten. Gegen Börne's Angriffe in den neuesten Bänden der Pariser Briefe, in der Balance und im Reformateur nimmt er Heine in Schutz, dessen nunmehr im zweiten Band des »Salon« vereinigte Bücher »über Deutschland« sichtlich seine Sympathie gewonnen, wenn auch nicht so unbedingt, wie dies bei Laube und Wienbarg geschehen. Sein Vergleich gipfelt in der Unterscheidung: Börne ist Parteimann, Heine Dichter. »Börne klagt Heine der Frivolität an; aber ist es nicht der größte Leichtsinn, das Jahrhundert auf nichts zu reduziren als die konstitutionelle Frage? Indem Börne die theologischen Debatten in die Vergangenheit verweist und von den Angriffen auf das Christenthum wie von einer antiquirten und verbrauchten Maxime spricht, schneidet er für unsere Zeit die Spekulation ab. Indem er geringschätzig redet von den Bestrebungen, über die Schönheit neue Bestimmungen festzusetzen, tödtet er die Keime künstlerischer Ausbildung, mit deren Blüthe die nächste Zukunft unseres Vaterlandes bedacht zu sein scheint.« Börne an sich habe ein Recht, sich so abzuschließen, es sei Charaktergröße in seiner Einseitigkeit. Aber die deutsche Jugend, welche die Feder führt, müsse sich vor seiner Einseitigkeit hüten. Die Literatur nur auf die Politik, auf die starre liberale Kritik zu beschränken, hieße sie vernichten, ohne der Sache, dem Vaterlande zu nützen.

Gutzkows Besprechung von Heine's » Salon II«, die am 11. März im »Phönix« erschien, brachte daneben seine Auseinandersetzung mit Heine's Ansprüchen auf die Führerschaft in der neuen deutschen Literatur. Wegen Heine's Beginnen, für Franzosen in französischer Sprache zu schreiben, wolle er nicht mit ihm rechten. Derselbe habe ja wohl daran gedacht, ganz in die französische Literatur aufzugehen. Aber – und damit weist er darauf hin, daß seinen Aufsätzen de l'Allemagne in der Revue des deux Mondes Uebersetzungsproben aus der »Harzreise« und den Gedichten von Gerard de Nerval vorausgingen – er habe den schönen Stolz besessen, sich Frankreich gegenüber nicht zu verleugnen, und sei »in seiner ganzen Deutschheit, mit seinem Mondschein, seiner Blässe, seiner Melancholie und dem Hasse, der alle deutschen Schriftsteller dieser Zeit charakterisirt, in die Salons der jungen französischen Literatur getreten. Und es möchten kommen St. Beuve, Chasles, A. Pichot, die ganze französische Kritik mit ihren Feuilletons: sie werden nie begreifen können, was es heißt, wenn Heine lächelt. Dieses deutsche Heine'sche Lächeln, diese Mischung von Nachtigallengesang, harziger Waldlust, von versteckter Satire auf ganz versteckte Menschen, diese Mischgabe von Skandal, von Sentimentalität und Weltgeschichte: wer verstünde das in Frankreich? Wer kennt dort das Hotel de Brühbach in Göttingen, die Hamburger Gasbeleuchtung, den Berliner Jungfernkranz, den Professor Krug, die Münchener Riegelhäubchen, die deutsche Kritik, die Judengassen, alles, was man wissen muß, um Heine zu verstehen.« Er verweist auf Jules Janins, dieses journalistischen Genies der Franzosen, Kritik der französischen Ausgabe der Reisebilder. Nur das Pikante habe er an Heine verstanden und gelobt – nicht die Satire, die Hauptsache, welcher das Pikante nur zur Folie diene. »Wozu die ganze Misere der Politik, habe er gefragt, unter all den sylphenhaften Scherzen, der Moniteur unter Rosen und Veilchen?« Frankreich habe Heine nicht verstanden, nicht verstehen können, weil es Deutschland nicht kenne und nicht verstehe, und Heine wisse das sehr genau. Wenn er zu den Franzosen rede, »in den französischen Wind«, so sei es immer auf uns berechnet, denen er den Rücken zukehrt. Und so könne man diese Urtheile Heine's über unsere Bekanntschaft mit Gott, Natur und Welt, wie sie früher und jetzt wieder aufgeboten wurden, eine Sammlung von Anzüglichkeiten nennen. Die Satire sei wieder die Hauptsache; »alten gepuderten Autoritäten bohrt er Esel und die ganze Historie deutscher Theologie und Philosophie wird von ihm so aufgespielt, daß die langen Schleppkleider sich zu drehen anfangen und die schweren Männer der Wissenschaft im Menuette tanzen, und sich das hintere Ende der Perrücke nach vorne setzen &c.« »Im Allgemeinen kann ich mich nicht mit dem Ernste über den Salon II aussprechen, welchen Heine wenigstens von der jungen Literatur dabei zu erwarten scheint. Heine hatte immer das Verdienst eines Tirailleurs, der plänkelnd im Vordertreffen steht und nur sich, keineswegs eine gewonnene oder verlorene Schlacht einsetzt. Heine arbeitete scherzend der Julirevolution vor. Er arbeitet jetzt in Scherz dem großen Ernste vor, welche sich mit der Revision der Offenbarung und mit allen sozialen Fragen des Jahrhunderts beschäftigen wird. Für den Kampf im Großen selbst ist Heine nicht geeignet. Er ist dazu nicht massiv und systematisch genug. Sollte man es glauben! Heine hat Vorurtheile. Es giebt gewisse Dinge, für welche Heine, wenn auch nicht sterben, doch den Schnupfen haben könnte. Heine will die Hüter unserer morschen Institutionen nur ärgern. Es macht ihm Spaß, die Geheimnisse fremder Ueberzeugungen zu profaniren; doch thut ihm wieder leid, was er thut. Er spricht in diesem Buche viel von der Kirche; aber er will nur Angst einjagen, er will nur den Triumph genießen, in einer christlichen Gemeinde die Lorgnette gebrauchen zu dürfen.« Einen neuen Glauben zu verkünden, sei ihm nicht gegeben. Denn müßte dieser nicht positiv sein? Das ist es, Heine hat Furcht vor dem, was noch nicht ist. »Wie ihm das Beil der Republik Schrecken einflößt, so eine Religion, welche am Ende neue symbolische Bücher erfindet, die möglicher Weise in einem nicht so guten Stile geschrieben sein könnten wie die Bibel. Heine befindet sich bei unseren Zuständen, wie sie sind, ganz wohl. Er will nur hinter dem Spiegel stecken als Schreck, als Drohung, mit der Geberde dessen, wie er sein könnte, wenn er wollte. Stil und Witz gedeihen bei dieser Indifferenz vortrefflich. Heine kann ohne Deutschland nicht fertig werden; er sehnt sich zurück nach unseren Dienstags- und Donnerstagsgerichten, nach unserer dummen, aber feurigen Liebe, nach dem Alsterpavillon und dem Bergedorfer Boten, und dieser Schmerz steht ihm schön. Dies ist ein Motiv, das sich bei einem so reichen Genius wie Heine zu Dante'scher Erhabenheit steigern kann. Es wäre ein ganz neues Kolorit seiner Poesie die Sehnsucht nach Deutschland quand même und müßte eine Konsequenz werden dieses wunderbaren Menschen, die ihn den deutschen Herzen immer näher brächte.« Ist es nicht merkwürdig, mit welchem scharfen Blicke Gutzkow hier Heine ins Innerste schaute, ohne Kenntniß der intimeren Lebensdokumente, die uns heute zwingen, sein Urtheil zu bestätigen; ist die Intuition nicht bewundernswerth, mit der er hier im Geiste vorsah, daß das Beste, was Heine hinfort noch an Poesie hervorbringen werde, sein deutsches Heimweh zur Quelle haben würde? In den pathetischen Stellen von »Deutschland – ein Wintermärchen« hat sich Heine's Genius in der That zu Dante'scher Erhabenheit gesteigert.

So war Gutzkow endlich zur öffentlichen Aussprache der Prinzipien gekommen, die er schon vor Jahresfrist in dem Briefe an Cotta aufgestellt hatte; und einen ähnlichen Standpunkt vertrat auch Laube, als er bald darauf in seinem Tomi an der Saale die charakteristischsten seiner Aufsätze aus der »Eleganten Zeitung« für eine Buchausgabe bearbeitete und mit Einleitungen versehen als »Moderne Charakteristiken« auf Gutzkows Rath und durch Gutzkows Vermittelung bei Löwenthal in Mannheim erscheinen ließ. Ihm war daran gelegen, das historische Moment seiner übermüthigen Reformkritik vom Jahre 33 mit seinen inzwischen abgeklärten und abgekühlten Ansichten zu versöhnen, und er bekannte dies offen in der Einleitung, in welcher er gegen eine nach einseitigen Parteidoktrinen urtheilende Kritik Protest einlegte. Er habe in den Aufsätzen aus der »Eleganten Welt« vieles mildern und ändern müssen, um wirklich gerechte Beurtheilungen, Charakteristiken von Individualitäten zu bieten. Den Parteiprogrammen stellt er das Prinzip des Modernen gegenüber, das in der Hingabe an das organisch-fortschreitende Leben bestehe. Die moderne Poesie sei überall, wo aus Gefühlen, Leidenschaften, Ideen und ihrem Zusammenhang mit der realen Erscheinungswelt, dem Leben, der umgebenden Natur sich eine Gestaltung losringe, die den Charakter ihres Urhebers trage. Während früher zum Wesen der modernen Poesie vor allem der Umsturz des Veralteten, der Kampf gegen alles Unlebendige ihm gehörte, betont er jetzt ihren positiven Charakter: die innige Hingabe an die Thatsachen und Bedürfnisse des nationalen Lebens. Noch in einem zweiten wesentlichen Punkte begegnete sich Gutzkow mit Laube, der für diesen ein alter, für ihn selbst ein neuer Standpunkt war: er weist in dem Pantheon seines Literatur-Blatts Goethe'n den Ehrenplatz an. Er vertheidigt ihn gegen Börne und Görres, er ruft ihn zu Hülfe in seinem Kampf gegen G. Pfizer, Schwab und die Nachahmer Uhlands und schmettert diesen unter liebevoller Anerkennung des letzteren, in einem Aufsatz » Goethe, Uhland, Prometheus« mit dem Hinweis auf Goethe's Urtheil über Gustav Pfizers Gedichte, das sich im vierten Bande vom Goethe-Zelter'schen Briefwechsel findet und von dem »sittig-religiös-poetischen Bettlermantel« dieser Art Poesie spricht, die Frage entgegen: »Wo ist – bei Euch Prometheus? Wo ist der Gott in Euch, der Euch zu Boden wirft, daß Ihr Thränen der Verzweiflung weint? Wo ist der Schmerz, daß ›wir schier nichts wissen können‹? Ich sehe genug Gelbveigelein und Sternblümchen; wo aber sind die Palmen, wo der Lotos? Ich sehe Haberrohr und Holderblätter, auf welchen Ihr pfeift; wo hängen Eure Harfen? Goethe hatte die Welt überwunden: er hatte mit Aeschylos gesprochen, Menschengeschick bezwungen. Er hatte die Ewigkeit, Goethe kann Vieles geben, und hat doch noch Alles hinter sich … Dies ist die Frage: habt Ihr Euch selbst gefunden? Ueberwandet Ihr die Welt in Euch? Habt Ihr Eurem Volk etwas Großes und Neues gegeben? Goethe leugnet es, er sagt: Ihr habt dem Bettler seine Lumpen gestohlen und Eurem Taufschein Euren Glauben, und der Gewohnheit Eure Sitte, dem Herkommen Eure Grundsätze, fremder Poesie Eure eigene.« … Er gründet seine Kritik auf Goethe's Beispiel und Forderung: in der Poesie die Entwickelung eines Menschen aufzuzeigen, der durch Kampf mit der Welt und sich selbst seinen Charakter gewinnt, in welcher die Begriffe und Gefühle hervorgebildet werden aus einem eigenen, innigst ergriffenen und bewegten Leben … Er findet bei Besprechung von Lenau's Faust markige geistvolle Worte für Goethe's Faust: »in jenem fragmentarischen Faust des ersten Theils leuchtet die Morgenröthe des neuen Jahrhunderts.« »Kants Kritik der reinen Vernunft war für die Revolution der Geister die Berufung des Parlaments, Faust war die Tragödie des Dings an sich. Da stand die alte Welt mit ihren verrosteten Sätzen der Scholastik, mit ihrer konventionellen Tyrannei der Formen und der Sitten, und war ohne Trost und Erquickung für die denkende Seele. Von außen sehen wir alle Dinge, daß sie grau, weiß, daß sie rund, von Holz oder von Eisen sind; was ist ihr Kern? Wie ist die Stellung des Subjektes zu dem Prädikate? Wie gleichen die Eigenschaften der Dinge sich unter einander aus? Woher die Materie? Woher das Licht in die Finsterniß? Woher der Zufall? Wie die Freiheit des Willens bei der Nothwendigkeit des Schicksals? Ach, es muß schier das Herz verbrennen, daß wir nichts wissen können! So wehklagte das neue Jahrhundert: es war der erste Fund, der der Menschheit glückte, das Ding an sich: und doch war es der alte Schmerz: nur tiefer wußte man, daß man nichts wissen kann. – Wir, die wir fünfzig Jahre jünger sind, sind wir näher dem Ziele? Weh' uns! Noch quillen in dunklen Nächten unsre Augen von Thränen der Verzweiflung über: noch wissen wir nicht, wie wir kommen, gehen und stehen, wie die Welten geschaffen wurden, wie Zeit und Raum, das Sichtbar-Unsichtbare sich ausspannte über die Dinge und Thaten. Es ist der alte Schmerz. Wir hatten eine glänzende Philosophie, welche fünfzig Jahre hindurch die Geister beschäftigte, sie hat kein Problem gelöst; sie ist nur da gewesen, den Schmerz zu verhüllen und durch bunte Erfindungen unseren gierigen Augen einige Nahrung zu geben. – Die Faustfrage ist vielleicht eine ewige, denn die Wahrheit wird nur erschaut im Jenseits. Sie ist täglich einer neuen Aufnahme fähig: alle Tage geben die Zeit, die Unmöglichkeit ihrer Lösung auszusprechen. Nicolaus Lenau durfte sich ungescheut neben Goethe mit seinem Versuche stellen; es schmerzt uns aber für einen hochbegabten Dichter, daß er ihm gänzlich mißlungen ist. – Lenau verstand die Frage des Faust nicht. Er wußte wohl, daß der Teufel Fausten noch immer nicht geholt hat; aber er vergaß, daß ein halbes Jahrhundert seit der Verschreibung an den Teufel hingegangen ist; daß der Kontrakt verjährt war und aufs neue eingegangen werden mußte, unter neuen Bedingungen. Lenau wußte nicht, daß die Völker seit dem gerittenen Weinfaß in Auerbachs Keller auf Sturmrossen flogen, daß statt kleiner Weinbäche aus eichenen Tischen Riesenströme aus Felsenwänden sprangen, Lenau kannte die Revolution nicht, Napoleon nicht, die Entfesselung eines neuen Welttheils, die zahllosen Keime neuer Entwickelungen nicht, welche merkantilisch, industriell, moralisch, politisch, religiös unsern Planeten bevorstehen. Lenau wollte Faust unter modernen Verhältnissen vorstellen. Wozu macht er ihn? Zu einem Maler. Freilich sehr modern! … Auch Lenau's Faust leidet an Zweifeln … Aber wie kann man jene alten Goethe'schen Zweifel so naiv wieder aufwärmen und eine alte wohlbegründete Seelenstimmung zum Lirumlarum herabsetzen? Mir scheint, der Lenau'sche Faust ist nur deshalb verzweifelt, nicht, weil er nichts weiß, sondern weil er nichts gelernt hat. Der gute Mann hat die Geschichte übersehen, er hat nicht einmal die Schriften von Kant, Fichte, Schelling, Hegel gelesen: dieser Gute hat gar kein Privilegium, zu zweifeln. Man sollte doch meinen, die großen Geister unserer Nation, diese Männer, welche die politische Schmach unseres Vaterlandes mit so viel wissenschaftlichem Ruhm vergoldet haben, wären würdig, beachtet zu werden, und hätten auf Manches Antworten abgegeben, an denen man zuletzt vielleicht dennoch verzweifelte, wo aber die Verzweiflung anders herauskommen muß, als bei Lenau geschieht. Es ist trivial, nach so vielen Fortschritten, die in unserer Zeit der menschliche Geist gemacht hat, jetzt plötzlich einen Maler auftreten zu lassen, der, wie jener Herkules in einem alten Stück seine Keule vor sich her auf die Bühne wirft, gleich von vorn herein über seine Zweifel ungeschickt stolpert. Wissenssehnsucht! Erkennen! Die alten Floskeln müssen anders motivirt werden heutzutage; die Wahrheit selbst (nämlich das, was man dafür nehmen darf) hat eine andre Physiognomie bekommen.«

In der Art, wie sich hier und im Kampf gegen die »Wald- und Wiesenromantik« der schwäbischen Uhland-Nachahmer Gutzkow auf Goethe berief, zeigt sich aber auch deutlich der Unterschied zwischen seinem idealistischen und Laube's realistischem Standpunkt. Wohl heischt auch er von der poetischen Literatur Beziehung auf Leben und Gegenwart, aber sie soll nicht an der Schilderung der Wirklichkeit ein Genüge finden, sie soll vielmehr die Darstellung des Lebens zum Symbol erheben für neue eigenartige, fruchtbare Ideen, für den Fortschritt geistiger Erkenntniß. Laube feierte Goethe wegen seiner Plastik, seiner Ruhe, seiner Objektivität; Gutzkow weist mit Wienbarg darauf hin, daß auch er in seinen größesten Leistungen der Vertreter einer Literatur war, die auf die allgemeinen Zustände reformatorisch wirkte. In Nr. 12 (25. März) brachte das Literaturblatt einen Aufsatz »Der deutsche Roman«. Hier sprach er es direkt aus: die Literatur müsse der Revolution der Sitten immer vorausgehen. Die Romane seien entweder aus der Initiative oder dem Absud unserer Kulturgährungen hervorgegangen. Zu den ersteren zählt er die didaktischen Romane Goethe's und Heinse's, sowie Fr. Schlegels Lucinde. »Hier ist Tonangabe, primäre Absicht, hier ist der Roman die Blendlaterne des Ideenschmuggels.« Die andere Art bestehe aus der Masse, »die die Ideen Anderer breitschlägt, aus der Manie eines Genies eine Manier macht, aus Werther einen Siegwart für die Nätherin. Er schafft das Neue ins Bequeme, das Geniale ins Genießbare um.« In der Mitte stünden die historischen Romane, welche Zustände der Vergangenheit ohne die Durchdringung des Stoffs mit Ideen, die dem Dichter eigenthümlich wären, mit mehr oder weniger Bildung und Kunst schilderten. Scott habe solche Ideen gehabt, wenn auch die eines Tory. Romane wie sie nach Scott die Deutschen König, Rehfues, Steffens, Tieck, Spindler, Rellstab und Wilibald Alexis geschrieben, sie seien Werke interessanter Unterhaltung, man befinde sich mit ihnen in guter Gesellschaft, Poesie, echte Poesie, Poesie mit dem Anlaufe eines Titanen seien sie nicht. Das Echte und wahrhaft Klassische in der Poesie sei die Idee. Im Vereine mit Leidenschaft und Kunst müsse die Idee den Roman regieren. Das Geniale wurzle im Ideellen.

*

In diesem Sinne selbst einen Roman zu schreiben, beschäftigte Gutzkow schon damals. Gleich nach seiner Ankunft in Frankfurt hatte er an Cotta geschrieben: er werde zum nächsten Herbst einen Roman schreiben, »etwas Schöngeistiges, was ihn drücke«. Der Eindruck, den der Tod der unglücklichen Charlotte Stieglitz auf ihn geübt, drängte zu poetischer Gestaltung. Die Frage, wie ein Mädchen Rahels Grübelsucht aushalten könne, dessen Geist nicht solchen Anstrengungen gewachsen sei, gab diesem Trieb seine Richtung. Das von Schlesier in Leipzig in ihm angeregte Interesse für George Sand hatte ihn zur Beschäftigung mit dieser geführt; sie hatte ihn mächtig gepackt, ihre Gefühlsschwelgerei aber abgestoßen. Es trieb ihn ein Gegenstück zur Lelia zu liefern, aber in einem Stil, der von männlicher Beherrschung des Gefühls seinen Charakter erhalte.

Zuvor aber hatte er ältere Pläne zu erledigen, theils dramatischer, theils editorieller Art.

Gleich im Programm zum Literatur-Blatt hatte er unter Hinweis auf Heine's »Hefte zur deutschen Literatur« diese Art apologetischer Kritik empfohlen und sie »Rettungen in Lessings Manier« genannt. Die kühnen Reformationsideen, welche die großen Aufklärer, Dichter und Denker der vorangegangenen Epochen gehegt, als sie jung waren, die das Wirken ihres Alters in Vergessenheit hatte gerathen lassen, dem lebenden Geschlecht wieder vorzuführen, erschien ihm als herrliches Mittel, die Gegenwart selbst zu verjüngen. Zu einer solchen Rettung von gerade jetzt wieder zeitgemäß gewordenen Ideen kühn denkender Fortschrittsgeister hatte er den Plan im vergangenen Herbst mit aus Hamburg gebracht. Im Verkehr mit Wienbarg, dem als Theologie-Studenten Schleiermacher durch die geistvolle Skepsis seiner früheren Schriften der Wegführer zur Freiheit geworden, im Verkehr im Hause des Arztes Dr. Assing, des Schwagers von Varnhagen und Rahel, hatten die Nachwirkungen von Schleiermachers und Rahels Tod, die Nekrologe auf diesen und Rahels »Vermächtniß« jene Zeit oft zum Gesprächsstoff erhoben, in welcher Schleiermacher als Seelenfreund der Henriette Herz seine Vertrauten Briefe über Schlegels Lucinde geschrieben. Als es ruchbar wurde, daß die hohen Berliner Geistlichen, die mit der Vorbereitung einer Gesammtausgabe von Schleiermachers Werken beauftragt waren, diese fatalen Freigeistereien des Gottesmannes über das Wesen der Liebe von Geschlecht zu Geschlecht bei Seite lassen wollten, war Gutzkows Entschluß schnell gefaßt, die kleine Schrift, mit einer geharnischten Vorrede versehen – »ein kecker Schuß in die Stickluft dieser Tage« – neu herauszugeben. Das Thema von Laube's »Poeten«, das nun auch Mundt in seiner »Madonna«, Gustav Kühne in seiner »Quarantäne« behandelt, für welches Heine in Anlehnung an die Saint-Simonisten das Stichwort »Emanzipation des Fleisches« über den Rhein gerufen, es war ja in diesen Briefen eines deutschen Denkers mit erstaunlicher Kühnheit und doch edler Beherrschung erörtert worden, und dieser Denker ward jetzt von der protestantischen Pfaffheit der preußischen Hauptstadt als erlauchtes Kirchenlicht und hohes Vorbild orthodoxer Gläubigkeit gepriesen. Weil er nach Schleiermachers Tod die Wahrheit über Schleiermachers Abfall von der Wahrheit gesagt, war er in folgenschwere Entzweiung mit dem Mädchen seiner Liebe gerathen, war er Gegenstand verketzernder Angriffe in den Organen der Berliner Geistlichkeit geworden. Rosalie konnte er nicht vergessen. Trotz des »poetischen Selbstbefreiungsversuchs« mit dem »Sadduccäer von Amsterdam« hatte er den Schmerz nicht verwunden. Der selbstquälerische Hang seines Gemüths konnte nicht ablassen, über seinen Schuldantheil an der Katastrophe zu grübeln. Er rang nach Trotz dieser inneren Stimme gegenüber. Er wollte nicht wieder zurück, wollte frei bleiben. Und der Trieb, der mißtrauische Feldherren veranlaßt, hinter ihren Truppen die Brücken abzubrechen, die Schiffe zu verbrennen, wurde so an diesem scheinbar rein literarhistorischen Unternehmen betheiligt. Mit dieser Vorrede zu Schleiermachers Lucinde-Briefen wollte er den Bruch mit den heimischen Verhältnissen, mit der Braut, die ihn aus pietistischem Kleinmuth und ängstlicher Prüderie aufgegeben, besiegeln, wollte er sich selbst ein für alle Mal die Rückkehr in die Engigkeit der heimischen Verhältnisse, einer Versorgung im Amt, endgültig unmöglich machen. Daher ihr leidenschaftlicher Charakter, welcher der Mißdeutung Thür und Angel offen ließ, der lodernde Pfaffenhaß, der durch diese hitzige Rede flammt, daher ihre Wirkung. Daher schließlich auch seine Anknüpfung darin an jene Predigten Schleiermachers in der Dreifaltigkeitskirche, die er mit Rosalien besucht, unter deren Einfluß er den Weg in ihre Augen, zu ihrem Herzen gefunden: »Ich sehe zuerst weiß gekleidete Mädchen, die jüngeren Schwestern jener Reizenden, welche zu meiner Zeit dem sonntäglichen Christenthume zur heil. Dreifaltigkeit so viel verführerische Ueberredung gaben.« Daher der Schluß, der sich dahin verstieg, den Vornamen des Mädchens, an welches er beim Schreiben dachte, zu nennen.

Noch im Januar schrieb er diese Vorrede. Sie gab sich als Beitrag zu den »Gedächtnißauffrischungen«, die Rahels Vermächtniß damals in Menge anregte, als ein Protest gegen die »glattgescheitelte« Orthodoxie, welche Schleiermachers Jugend todtschweigen wollte, als ein Sprenggeschoß hinein in all' die verlogene Respektabilität und Prüderie, »welche den Töchtern der gebildeten Stände die Kraft nimmt, sich ihr Eheglück frei und einsichtsvoll und gesund zu gestalten.«

Was Gutzkow, bestimmter als es Schleiermacher in den Briefen gethan, hier forderte, war die Emanzipation der Ehe von der Kirche; seine Vorrede war die erste klare Aussprache der Gedanken, die im Bund mit anderen Fragen nach langen Kämpfen viel später zur Einführung der Ziviltrauung geführt haben. Was er im übrigen mit Bestimmtheit als Bedürfniß der Zeit verlangte, war: die Emanzipation von dem Vorurtheil, das nur der »ersten Liebe« Reinheit und Weihe zuerkannte. Was Schleiermacher vom »ersten Versuch« der Liebe philosophirt hat, erhob er zur Forderung einer sozialen Reform. Wohl sei die erste Liebe die reizendste, aber nur in seltenen Fällen sei sie reif und stark genug, um auf ihr alles Liebesglück des Lebens zu gründen. Die Furcht, der ersten Liebe untreu zu werden, trage an allen jenen schon »im Brautstand verkümmerten Ehen, jenen Wassersuppen-Hochzeiten und der ganzen Misere ordinärer Kinderzeugung und schimmelichter Broderwerbung« die Schuld. »Sie wird sich mit ihren kleinen Freuden, mit ihren kindischen Liebkosungen, mit ihren zärtlichen Billets und Rendezvous, mit ihrem unerschöpflichen Erfindungsgeiste, um die Alten zu hintergehen, in jedes Herz, das der Liebe werth ist, unvergeßlich einschreiben; sie wird immer eine Art Paradies bleiben, an das denkend wir uns besser vorkommen, aber wehe, daß sie bindende Kraft hat.« Eine andere Quelle des Elends sei der eitle Egoismus der Männer, welcher verlange, »daß er die Liebe immer aus erster Hand bekommt, und daß seine Wahl erst da Augen für die Männer gehabt haben soll, als er welche für sie hatte.« Im Verein damit wirke die zaghafte Scheu der Mädchen, »so wenig wie möglich Biographie zu haben«, bis sie in den sicheren Hafen der Ehe gelangen. Da dies nicht ohne Zwang, ohne Unterdrückung natürlicher und berechtigter Triebe, ohne Selbstkasteiung möglich sei, so müsse viel frisches und bestes Empfinden verkümmern, werde der Charakter der Liebe im Keime verdorben. Fr. Schlegel habe sich die Lösung der Frage in der Lucinde zu leicht gemacht, da dort die Heldin keine Jungfrau mehr sei und Julius als Maler und Genie nicht in, sondern über der Gesellschaft lebe. Gutzkow verwahrt sich ausdrücklich dagegen, als sei ihm »die Resignation auf das Prinzip aus der ersten Hand« gleichbedeutend mit der Resignation auf die Jungfräulichkeit der Erkorenen. »Hier hat sich Schlegel auf dem Verhältnisse ertappen lassen, das ihm selbst vorschwebte, auf der Liebe zu einer Verheiratheten, die er entführte und die ihn begleitet hat durch tausend Thorheiten, den Katholizismus, die Weisheit der Inder, den Absolutismus – bis zu jener Gänseleberpastete, an welcher er in Dresden verstorben ist. Es kommt hier alles auf die Situation an. Man wird der Genialität vielleicht das verzeihen können, was der einzige Reiz der Naivetät ist. Der Aufruf ist der: Schämet Euch der Leidenschaft nicht und nehmt das Sittliche nicht wie eine Institution des Staates! Vor allen Dingen aber denkt über die Methodik der Liebe nach und heiliget Euren Willen dadurch, daß Ihr ihn frei macht zur freien Wahl! Der einzige Priester, der die Herzen traue, sey ein entzückender Augenblick, nicht die Kirche mit ihrer Zeremonie und ihren gescheitelten Dienern. Die Sittlichkeit im Verkehr der Geschlechter, wenn ihn die Liebe heiligt, hängt am schlechtesten mit der Gewohnheit zusammen, welche auch immer das Gewöhnliche ist!«

Der Herausgeber würde seine literarischen und sozialethischen Zwecke besser erreicht haben, wenn er sich mit diesen »Explosionen« begnügt und hier geschlossen hätte mit dem Hinweis auf jene Stellen in Schleiermachers Briefen, welche mit feinster ethischer Prüfung die Elemente der »Methodik der Liebe« auseinandersetzen und in dem Satze gipfeln, daß die gesunde weibliche Natur, ohne fremdes Gebot, von selbst unterscheiden könne, was nur unreifer Versuch und was jenes volle Hingabeverlangen sei, das sich als Anfang eines schönen und gediegenen Lebens in ehelicher Gemeinschaft bewähren könne. Der jugendheiße Schwärmer würde sich viel Verfolgung und Kummer erspart haben, wenn er sich weiter mit der eigenen Erklärung begnügt hätte, »daß er das Thema nur anregen wolle, zu welchem der doktrinelle Ton nicht passe«. »Dem Romane sey es empfohlen, diese Grundsätze zur Anschauung zu bringen, der Poesie, die energischer zu Herzen spricht und nicht zu nennen braucht, wo es genügt, nur zu zeigen.«

Aber sein Geist konnte sich nicht versagen, zum Schluß noch einmal seinen Haß und Groll gegen Diejenigen laut auszugellen, welche ihm sein eigen Herzensglück durch ihre Eingriffe in das Herzensleben der Geliebten vergiftet und vernichtet hatten und so schrieb er anklingend an Lessings Ton bei Herausgabe der Wolfenbütteler Fragmente: »Wer es nicht nachzufühlen weiß, daß meine Bedenken aus einem tiefen Gefühl für das wahrhaft Sittliche und aus einem historischen Enthusiasmus entsprungen sind, der halte die Erscheinung dieses Buches für das nicht Unterlassenkönnen eines gewissenhaften Bibliothekars, welcher, wenn ihr nicht wollt, daß die Geschichte erhebend, anregend und geheimnißvoll sey, doch nicht ertragen kann, daß sie unvollständig ist und ihr Etwas genommen wird, das ihr angehört. Die Vikare des Himmels aber, welche bei einer mißlichen und negativen Gelegenheit recht ausdrückliche und positive Verachtung in dieser Vorrede genossen haben, mögen mir ihre Kirchthüren verschließen, die ich nicht suche, und Sakramente entziehen, deren Symbole ich im Herzen trage! Auch zur Ehe bedarf ich Eurer nicht: nicht wahr, Rosalie? … Ach, hätte auch die Welt nie von Gott gewußt, sie würde glücklicher seyn!«

Und jener Trieb, die Brücken hinter sich zu verbrennen, den Rückweg in die Welt sich abzuschneiden, der er sich eben erst unter Schmerzen entrissen, jene Furcht vor den Ueberfällen gemüthsweicher Stimmungen, die ihn noch öfter zu später bereuten Handlungen drängte, hatte ihm nicht nur diese höhnische Absage an die Kirche, deren Jünger er einer gewesen, diktirt, sondern auch vorher schon die aus verbissenem Grimm unbedacht hervorgequollenen ironischen Sätze: »Nicht wahr, Rosalie; erst seitdem Du Sporen trägst an Deinen seidenen Stiefelchen und es von mir gelernt hast, den Carbonaro in Falten zu schlagen und ich eine neue Art von Inexpressibles für Dich erfinden mußte und Du überall als meinen jüngsten, innigstgeliebten Bruder giltst, weißt Du, was ich sprach, als ich sprach: Ich liebe Dich? Komm, küsse meine Hand, daß sie begeistert schreibe!«

Er hatte dabei wohl kaum an die Wirkung solcher Wendung gedacht, welche das arme schlichte Bürgerkind in Berlin, wenn sie das Buch in die Hand bekam, tief kränken, die Welt, die nichts von ihm wußte, aber so verstehen mußte, als sei der Verfasser der Vorrede ein Anhänger jener Art äußerlicher ungesunder Frauenemanzipation, die damals George Sand als Genossin ihres Freundes Jules Sandeau in Paris zur Schau trug.

Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,
Das schwer sich handhabt wie des Messers Schneide –

Gutzkow gönnte sich keine Zeit zu solchen Ueberlegungen; auch diese Vorrede war nur eine Abschlagszahlung aus dem Reichthum von Plänen, die ihn erfüllten, Plänen zu Dichterthaten. Während das Büchlein für Hoffmann und Campe gedruckt ward, war er mit Eifer dabei, seinen » Nero« zu beenden. Welche Sprünge muthete sich dieser Geist zu! Eben noch bei Schlegel, Schleiermacher, Rahel und den modernsten Wirren der Theologie, daneben im Literatur-Blatt auf der Mensur mit den Führern älterer Literaturrichtungen und nun dieser Rückschwung der Phantasie ins kaiserliche Rom des Nero, wie es ihm erschienen war als in's Maßlose gesteigertes Hohlspiegelbild der Zustände am Hofe des Kunstmäcenaten und Freiheitsfeindes Ludwig I. von Bayern. Am 27. Februar konnte er an Cotta melden, daß das Drama bis auf die letzte Szene, das brennende Rom, fertig sei. »Es giebt ein mäßiges Bändchen bei splenditem Druck … Zensurwidriges ist nicht drin, obschon manches Freie, was die Lebensphilosophie betrifft: es ging nicht anders: denn was ich schildere, ist der Kampf der Frivolität mit der Ehrenhaftigkeit, der Kunst mit der Wahrheit und zwar so, daß sich welthistorisch eins am andern aufreibt.« Am 7. März war das Drama druckfertig. Proben aus demselben hatte das Morgenblatt in mehreren Nummern gebracht.

In diesem Drama hatte er Nero als abschreckendes Beispiel einer rein ästhetischen Kunstpflege, die des sittlichen Gehalts entbehrt und Hand in Hand mit der ausschweifendsten Wollust und Grausamkeit geht, gezeichnet. Diesem Tyrannen, der mit dem Ausruf gestorben sein soll: »Welch ein Künstler stirbt in mir!« waren das echte Leben und darum auch die echte Kunst fern geblieben, weil ihn die Folge des Cäsarismus, die Furcht, mit Lüge, Schmeichelei und Verstellung, statt offener Wahrheit und natürlichem Leben, umgab. Er gestaltete Nero, umgeben von Philosophen, die ihr System seiner Willkür anpassen, von Hofpoeten, die ihm eine speichelleckerische Afterkunst vorlallen, von unterwürfigen Kreaturen, deren Knechtssinn ihn tief mit Menschenverachtung erfüllen. Diese Schattenwelt, die ihn umgiebt, ist daher dem Kaiser gleich nichts; seine Künstlernatur sucht die Welt ihrer Ideale in ferner Vergangenheit, im Griechenland des Homer. Weil er mehr Talent hat als seine Hofpoeten, hält er sich für einen großen Künstler; weil ihm die Wirklichkeit schaal und schattenhaft ist, erscheint ihm der Traum, das Schweben des Geistes in romantisch verklärte Fernen, als das eigentliche Leben.

Das Ganze der in Versen geschriebenen Dichtung besteht aus 7 Bildern, in denen satirisch-komische Scenen mit tragisch gemeinten abwechseln. Sie schildert, wie ein römischer Patriziersohn, Julius Vindex, als er von langen Reisen in das kaiserliche Rom zurückkehrt, seine Eltern durch Nero ermordet, seine Geliebte, Poppäa, von Nero verführt und zu seiner Kebse erhoben, die Römer zu feilen Sklaven erniedrigt findet, und wie er sich entschließt, dem Tyrannen als Rächer entgegenzutreten. Er fällt an der Spitze germanischer Legionen im Kampf, Galba übernimmt sein Rächeramt, trifft Nero aber erst, als sich derselbe schon von einem Freigelassenen, und zwar beleuchtet von dem Flammenschein des brennenden Rom hat tödten lassen – zum Selbstmord fehlte ihm der Muth. – In der Wahnvorstellung Nero's: dies brennende Rom sei das eroberte Troja, das er dithyrambisch besingt, gipfelt die grausame Parodie des Gedichts. Die auf vernichtende Kritik der romantischen Wirklichkeitsflucht gerichtete Tendenz desselben tritt ganz besonders hervor im zweiten Bild, in welchem Nero seinen Traum für Wirklichkeit und die Wirklichkeit für Traum hält. Dann im sechsten Bild, welches uns den Tyrannen in Unterhaltung mit den Hofpoeten begriffen zeigt, wobei er rhapsodisch von Liebe schwärmt, während er gleichzeitig verschiedene Todesurtheile ertheilt. Boten melden ihm den Verlauf der Verschwörung des Piso, und wie geistesabwesend, empört über die Unterbrechungen seines poetischen Seins durch die Prosa des Lebens, giebt er die Befehle, wie die Verschwörer umzubringen seien. Schließlich in dem letzten Bilde, nachdem auch Poppäa seinem Mordsinn zum Opfer gefallen, hat er Rom anzünden lassen und aus der Villa des Mäcenas, von Todessehnsucht erfüllt, stimmt er jenes Lied von Troja's Vernichtung an, während er, purpurgeschmückt, lorbeergekrönt, seinen Blick am brennenden Rom weidet.

Durch dies phantastische Satirspiel ziehen sich Chöre von Dryaden, Satyrn, Nymphen, Korybanten und Mänaden, Wechselgespräche der Hofsophisten, der Hofpoeten, der Höflinge und gewöhnlichen Straßenphilister, in denen mit oft drastischem Witz die Konsequenzen der romantischen Weltanschauung für Wissenschaft, Staatsleben und Kunst parodirt werden. Zur Entwickelung echter Dramatik kommt es dagegen nicht. Platen mit seinen Literatur-Komödien, welche unter Verzicht auf alle dramatische Wirkung die Form des Aristophanischen Lustspiels verwerthet hatten im Dienst einer glänzenden Verskunst und scharfgeschliffenen Satire, hatte bei der Konzeption der originellen Dichtung als Vorbild gewirkt. Auch die antiromantische Tendenz klingt an Platen an, nur verfolgt Gutzkow dieselbe nach allen Richtungen hin – bis auf den Thron und das Forum. Wenn D. Fr. Strauß später das Leben des Kaisers Julian erzählte unter dem Titel »Der Romantiker auf dem Thron der Cäsaren« und mit versteckter Parallele zu Friedrich Wilhelm IV., so folgte er – vielleicht nur unbewußt – dem Beispiel, das hier Gutzkow gegeben, indem er im Schicksal Nero's dem romantischen Cäsarenthum modernen Datums ein Menetekel wies. Nur wenige Kritiker haben damals diese Grundtendenz der Dichtung in ihrer Zeitbeziehung voll erkannt; am treffendsten hat ihn Mundt gewürdigt, wenn er sagt: es sei Gutzkows Absicht gewesen, die ganze Gemüthsstimmung des heutigen Zeitunglücks an ferne und fremde Gestalten einer ähnlichen Vergangenheit zu hängen. »Seine große, fast dämonische Gabe, die feinsten Adern im Getriebe der Gegenwart zu belauschen, hat er mit sichtlicher Satisfaktion im Ausmalen jener Zustände des alten Rom walten lassen, und wenn sich geschichtlich auch noch so viel dagegen einwenden ließe, das Verderben dieser Zeiten zu parallelisiren, so wird doch eine auf unser eigenstes Selbst zurückgehende Wirkung hervorgebracht, die so gewaltig, daß wir uns mit unsern nächsten Zuständen ihr nicht entziehen können.« Der Eindruck sei freilich mehr ein spekulativer als ein künstlerischer, zumal die Tendenz nicht ganz und gar in die Innerlichkeit der Konflikte aufgegangen sei, sich vielmehr in einem grellen Gegenüberstellen einzelner Gedankenmomente und kecker Situationen auspräge. Doch bedeute auch in künstlerischer Beziehung das Werk einen Fortschritt.

Originell ist der Dichter in seiner Verwendung von Vers und Prosa. Der Vertreter des sich auflehnenden Humanitätsprinzips hält seine Reden in der deutschen Reimzeile nach dem Muster von Goethe's Faust; Nero variirt allerlei antike Strophenformen, ebenso sind die Chöre gehalten; dem Philisterthum ist eine körnige, humoristisch gestimmte Prosa zuertheilt. Die hier an den Tag gelegte Fähigkeit, sich schwieriger Versformen zu bedienen, wenn sie auch nicht entfernt an diejenige Platens heranreicht, war ein vollgültiger Beweis seines Talents für den Versbau, doch hatte sein Stil dabei an Schwung und Feuer eher verloren als gewonnen. Verhängnißvoll hatte ihn auch die Ideensymbolik im zweiten Theil des Faust bei der Dichtung beeinflußt. An kühnen Gedanken fehlte es nicht, auch nicht an einer zeitgemäßen Idee, die das Ganze beherrschte, aber die Menschen mit ihrem Thun, ihren Reden waren nur Marionetten in der Hand eines scharfäugigen und scharfzüngigen Zeitkritikers und jene Kunst fehlte dem Drama, welche aus wirklichem Leben neues Leben, Leben voll Blutwärme, schafft. Als »Nero« zur Michaelismesse erschien, zu einer Zeit, wo Gutzkows Name bereits ein Spielball der Parteileidenschaften geworden war, fehlte es dem neuen Werk nicht an enthusiastischen Lobern und fanatischen Tadlern. Die beiden Freunde Mundt und Kühne gingen dabei am weitesten auseinander; Duller – trotz seiner Verfeindung mit Gutzkow – schrieb im Phönix, daß dieser »Nero« durch brausende Poesie betäube und durch tausendarmige Gedanken alle unsere Gedanken anziehe! »Hier ist die keckste und genialste Auffassung der Geschichte, vor welcher einem Nüchternen wohl schwindeln kann. Hier ist überall Leben und Gegenwart. Hier ist ein Kampf auf Leben und Tod, den die Gegensätze im Menschen und die Gegensätze des Menschen zu den Dingen echt tragisch ausfechten.« Wir Heutigen fassen unser Urtheil am knappsten dahin zusammen: die Dichtung war eine geistvolle Satire auf die Romantik und auf die romantische Willkür, wenn diese sich mit der absoluten Herrschergewalt verbündet, mit klassisch-romantischen Mitteln zu Gunsten des Liberalismus und Realismus.

Dem Verfasser konnte es nicht so leicht wie Laube fallen, aus seinen Anfängen den geraden Weg zu einer realistisch-poetischen Kunst zu finden. Nicht ohne Nachwirkung war er bei Hotho und Menzel in die Schule gegangen, waren ihm in der Gymnasiasten- und ersten Studentenzeit Tieck und Novalis neben Jean Paul und Börne die Lieblingsschriftsteller gewesen. Von allen seinen literarischen Freunden hatte er das Meiste gelernt, war seine Bildung von dem größten Wissensvorrath belastet, war sein Geist mit Achtung vor »Vernunft und Wissenschaft«, mit Andacht für das Bedeutende in der Geschichte erfüllt. Ehe er ein Autoritätenstürmer wurde, war er ein Autoritätenverehrer gewesen. Aus dem Anerzogenen, Angelernten, Ueberlieferten, aus dreifacher Verpuppung, hatte sein Geist unter schmerzhaften Wehen sich empor gerungen zum Bewußtsein der eigenen Persönlichkeit und zu einem freien selbständigen Verhältniß zu Geschichte und Gegenwart. Auf allen Gebieten seines literarischen Könnens, in der Politik, der Kritik, der Poesie, war er vom Doktrinären zum Charakteristischen, vom Abstrakten zum Konkreten, vom Allgemeinen zum individuell Lebendigen, vom Idealistischen zum Realistischen vorgeschritten, aber er trachtete nach einer Verschmelzung der entgegengesetzten Prinzipien. Noch war alles im Werden, im Uebergang, war Vieles, was sein Talent beschäftigte, einer kritisch schon halb überwundenen Geschmacksrichtung entsprungen. Dies gilt auch von der andern Arbeit in dramatischer Form, die jetzt in Frankfurt entstand, der dramatischen Phantasie » Hamlet in Wittenberg«. Sie ist als dichterisches Experiment interessant, als dramatische Schöpfung hat sie nicht zu wirken vermocht. Während er als Kritiker bereits die realistische Darstellkunst Seydelmanns über die aller anderen Schauspieler der Gegenwart stellte, ließ er den Anfang einer bühnengemäßen Charaktertragödie »Marino Falieri« unvollendet liegen, reizte ihn hier ein ästhetisch-literarisches Problem zu einer allerdings höchst originellen Phantasmagorie.

Tieck hatte als Shakespeare-Kritiker die Hypothese aufgestellt, daß Hamlet bereits, ehe er nach Wittenberg gegangen sei, im allernächsten Verhältniß zu Ophelien gestanden hätte. Gutzkow, der damals – durch die Eindrücke von Goethe's Vaterstadt, durch Heine's, Wienbargs und Rahels Hinweisungen, wohl auch Lenau's »Faust« angeregt – sich mit Goethe's Faust viel beschäftigt haben muß, erfand, unter Hinblick auf Fausts mystische Vermählung im zweiten Theil und die Gretchenvision im ersten, die Möglichkeit: Hamlet sei als Wittenberger Student mit Faust und Mephistopheles zusammengetroffen, diese hätten ihm auf seinen Wunsch Ophelien erscheinen lassen, wobei sich Hamlet in mystischer Weltentrücktheit vermählt habe. Das war ein genialer Einfall – nicht mehr. Die Bewunderung, die er damit bei Freunden fand, lockte ihn zur Gestaltung. Die Helden der größten Dichtungen der Neuzeit im Zauberspiegel der Poesie zu einem Stelldichein zu bitten, das war dem hochfliegenden Geist des sinnlich-übersinnlichen Freiers um die Gunst Melpomene's gerade gut genug. Treitschke hat, wie wir sahen, den jungdeutschen Dichtern den besonderen Vorwurf gemacht, sie hätten sich um das Erscheinen des zweiten Theils vom Faust nicht gekümmert. Thatsächlich war es gerade Gutzkows Epigonengeschick, von dieser undramatischsten Dichtung Goethe's im Beginn seiner Dramatikerlaufbahn stark beeinflußt zu werden, und wir haben nur zu bewundern, daß es ihm in wenigen Jahren gelang, sich von dem Bann zu befreien und, wie zum Beispiel im »Werner« nach dem Muster des jungen Goethe im Clavigo, frei aus sich heraus, das zu dichten, was er selber erlebt. Und vom »Nero« zum »Hamlet in Wittenberg« war es trotz der direkten Anlehnung an jenes Vorbild immerhin schon ein bedeutendes Stück voran in der Kunst poetischen Gestaltens. Namentlich vom ersten Austritt hat dies zu gelten. Da waltet eine charakteristische Prosa, eine vorwärts drängende Handlung kommt in Fluß: so exponirten die Stürmer und Dränger der Geniezeit ihre Dramen.

Der Studiosus Hamlet, der da auf dem Marktplatz von Wittenberg mit seinem Leibfuchs Horatio und allerhand wildem Studentenvolk kneipt, hat ebenso viel Verwandtschaft mit Schillers Karl Moor wie mit Shakespeare's Hamlet. Da ihm sein Oheim, der »Prinzregent«, keinen Mammon sendet, holt er sich die nöthigen Wechsel mit Prinz-Heinzlichem Uebermuth auf der Heerstraße. Doch sobald er Geld hat, verschenkt er's und dann schwelgt er aufs neue in dem Gedanken, daß er als Prinz gelernt habe, was Armuth sei. Das Auftreten Fausts, den Mephisto in Hundegestalt begleitet, hat Anklänge an das alte Volksstück: »Gebt uns ein Stück zum Besten, wie ihr dem Kaiser Maximiliano in Inspruck den großen Alexandrum und dessen Gemahlin fürgestellt habt«, ruft Horatio: »Teufel auch! Dem Kaiser standen die Haare zu Berge, als er ganz verlegen der Macedonischen Majestät, die ein winzig Männlein mit rothem Barte war, die Hand bot.« Hamlet fragt dazwischen: »Weckst du nur Todte?« Faust: »Auch Lebendige kann ich rufen.« – Er läßt Opheliens Bild erscheinen. Als Hamlet entzückt den Namen ruft, verschwindet es wieder. Dem Zorn der Studenten entzieht sich Faust, indem er auf dem Hund durch die Luft reitet. Aber des Abends, als er in seiner Herberge mit seinem höllischen Bundesgenossen tiefsinnige Gespräche über das Wesen des Bösen führt, kommt Prinz Hamlet in aller Heimlichkeit zu ihm. Er ist von Sehnsucht zu dem Bild Opheliens gequält, will es um jeden Preis noch einmal sehen. Faust warnt ihn, Hamlet beharrt bei der Bitte. Und Ophelia erscheint wieder, mit all dem Reiz, den er an ihr kennt, »mit all den Schüchternheiten, die bei den ersten Küssen an ihr aufflatterten, wie ein Schwarm verjagter Tauben«. Wieder entschlüpft ihm der Name. Als sie aber jetzt verschwindet, stürzt er ihr nach. Raum und Zeit hören für ihn auf. Geisterstimmen: »Seht, seht, er stürzt dem Schatten nach, wie berauscht vom Liebestrank! Unter seinem Fuße sengt das Grün des Feldes! Immer enger, enger drängen sich die Hügel! Die Hindernisse, die unter seinen Füßen wachsen, hemmen den stürmischen Lauf. Hamlet! Hamlet! Wahnsinnverblendeter! Dort ist Ophelia! An dem hohen Fenstergitter des Thurms flattert und weht ihr Schleier. Sie winkt. Sie weint. Sie streckt die Hände, die hülflosen, gefesselten Hände, aus nach dir – rette sie!« … Und die heiße Liebesgluth treibt ihn auf zauberhaften Pfaden den Weg zu ihr empor. »Nur dem Gelüst, nicht der keuschen Liebe, hält der Zauber Stand«, raunen die Geister. Oben empfängt ihn ein wilder Tanzesreigen: sie schwebt mitten inne, er sucht sie zu fassen, sie flieht in den Schatten eines Gemachs. Er folgt ihr, glühend wirft er sich ihr in den Schooß. Und die Geister flüstern: »Die Geigen weinen nicht mehr … Alles wird dunkel. Nur wir, wir, die Zeugen der Natur, decken leise den Vorhang auf und lauschen, wie sie sinken« … Faust aber hebt den Vorhang seines Bettes zurück, wo Hamlet neben dem Hunde liegend gesehen wird. Der Hund kriecht wedelnd zu Faust herunter. »Stör' ihn nicht, Satan, aus seinem Himmelstraume. Er wird nun hingehen in die Welt – zerrissen – unkräftig – nur lebend in dem Schatten, den er wirft. Alle seine Worte werden an dem haften, was er flieht. Seine Entschlüsse werden gerade daran scheitern, womit er sie auszuführen sucht. Wie ein schwankendes Rohr wirst du hin und her gewiegt werden, armer Knabe! Du wirst den Himmel zu umarmen glauben und nie ahnen, daß die Hölle dir einen untilgbaren Fleck wie einen Stempel aufgedrückt hat. Diese Bewußtlosigkeit aber, diese Unklarheit wird dich retten; ja das, was du der Hölle verdankst, wird dich vielleicht dem Himmel erhalten. Sieh! Die Sonne langt schon über den blauen Rand der Fichtenwälder herüber. Der Hahn kräht zum zweiten Male. Es wird Zeit. Draußen wird es laut. Allons, Prästigiator.« Faust und der Hund verschwinden. Von draußen klingen Rufe: »Hamlet, Hamlet!« Horatio und die Andern suchen ihn, um ihm den Tod seines Vaters zu melden, der ihn selber zum König macht. Alle: »Heil, König Hamlet!« – Hamlet (träumend): »Ich danke Euch! Ja! Ja! Nach Dänemark.«

Die kleine Dichtung erschien am Ende des Jahres in Lewalds Theater-Revue bei Cotta. In Gutzkows Gesammelten Werken ist sie mit der Jahreszahl 1832 bezeichnet. Diese Angabe beruht aber auf Irrthum; »Hamlet in Wittenberg« ist wirklich auch erst im Jahre 1835 entstanden. Ein Brief an Cotta vom 20. August giebt uns darüber bestimmte Auskunft. Aus demselben geht hervor, daß diese Arbeit dem Roman » Wally, die Zweiflerin« folgte. Diese Zeitfolge läßt uns erst begreifen, welchen Zusammenhang die »Phantasie« mit Gutzkows übrigem Schaffen und den Stimmungen seines Gemüths hat, von denen es bisher ganz losgelöst erschien.

*

Das Seelenbild des Verfassers der »Wally« hat sich als ein recht düsteres der Mit- und Nachwelt eingeprägt. Je offenbarer wurde, wie viel Selbsterlebtes dem vielverketzerten Buche zu Grunde lag, desto allgemeiner hat man sich auch veranlaßt gesehen, sich jenes Seelenbild nach dem Bilde Cäsars, des Helden der Geschichte, auszumalen. »Cäsar stand im zweiten Drittel der zwanziger Jahre. Um Nase und Mund schlängelten Furchen, in welche die frühe Saat der Erkenntniß gefallen war … Cäsars Bildung war fertig. Was er noch in sich aufnahm, konnte nur dazu dienen, das schon Vorhandene zu befestigen, nicht zu verändern. Cäsar hatte die erste Stufenleiter idealischer Schwärmerei, welche unsere Zeit in jungen Gemüthern erbaut, erstiegen. Er hatte einen Friedhof todter Gedanken, herrlicher Ideen, an die er einst geglaubt, hinter sich … Cäsar begrub keine Todten mehr: die stillen Ideen lagen so weit von ihm, daß seine Bewegungen diese nicht mehr erdrücken konnten. Er war reif, nur noch formell, nur noch Skeptiker; er rechnete mit Begriffsschatten, mit gewesenem Enthusiasmus. Er war durch die Schule hindurch und hätte nur noch handeln können; er war, wozu ihn seine todten Ideen machten, ein starker Charakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätigkeit ist dir verschlossen, im Strome der Begebenheiten kann deine wissensmatte Seele nicht wieder neu geboren werden; du kannst nur lächeln, seufzen, spotten, und die Frauen, wenn du liebst, unglücklich machen.«

Aber dieser skeptische Charakter Cäsars war nur ein Element im Entwickelungsprozeß Gutzkows, den wir hier zu schildern haben. So verhält sich Werthers Sentimentalität zu den sentimentalen Stimmungen Goethe's, die ihn beherrschten, als er sich von Lotte Kestner resignirt löste, aber lebensdurstig sein Interesse dem neuen Stern, Maximiliane Laroche, zuwandte. In Cäsar wollte Gutzkow ein Produkt der zersetzenden Wirkung der herrschenden Zustände zeichnen, einen idealistischen Denker, dem das Leben den Glauben an seine Ideale geraubt, wie an Wally ein Produkt der oberflächlichen Mädchenerziehung, deren Geist dem Ansturm skeptischer Gedanken nichts entgegenzusetzen hat und die aus diesem Grunde über den Zweifeln Cäsars verzweifelt. Durch die Zweifelsucht und die Hoffnungslosigkeit schien ihm der Charakter der Epoche bestimmt zu werden, welche Rahels skeptische Briefe und die Verzweiflungsthat der Stieglitz als Zeichen der Zeit empfunden hatte; an einem Beispiel in Romanform hatte er die Krankheit der deutschen Volksseele aufweisen wollen, wie Goethe im Werther die Empfindsamkeit seiner Zeitgenossen, von der auch er sich angekränkelt fühlte, als Krankheit dargestellt hatte. Beide standen als Dichter über derselben, wollten im Selbstmord von Werther und Wally keineswegs den Selbstmord als »schöne That« feiern: der Unterschied war nur: daß Goethe mit dichterischer Naivität im Drange, tief Erlebtes darzustellen, zu diesem Ergebniß gelangt war und eine ewig frische Dichtung – trotz Sentimentalität, trotz Selbstmord – von befreiender Wirkung seiner Nation dargeboten hatte, während Gutzkow, als Kritiker und Seelenarzt der Zeit, den »Fall« Wally sich aus vielen Einzelheiten zusammengesetzt und in der Schilderung einer skeptischen Zeit den Roman hatte geben wollen, der nach Inhalt und Wirkung ihr das sein müßte, was »Werther« der Empfindsamkeitsperiode gewesen.

Will man die persönlichen Stimmungen kennen lernen, die das eigene Leben dem Dichter für diesen eigenartig kühnen Versuch zuströmte, so muß man die subjektiven Stellen seiner Vorrede zu Schleiermachers Lucinde-Briefen, die vielen spontanen Aeußerungen eines beherzten Fortschrittsglaubens im »Phönix«, die Aeußerungen seiner Zeitgenossen und seiner späteren autobiographischen Schriften über sein damaliges Sein zusammenfassen. Da stellt sich ein lebensfrischer, frohgemuther, liebenswürdiger Jüngling an die Stelle des düsteren Cäsar, ein junger Denker, der wohl viel gezweifelt hat und im Zweifel das Mittel schätzt, zur Wahrheit zu gelangen, dessen geniale Geistesart und zuversichtlicher Denkermuth in seiner Umgebung aber den Glauben nährt, daß er zu hohen Dingen berufen sei, ein Glaube, der sich ihm selbst mittheilt und ihm das Gefühl giebt, ein Führer in dem Befreiungskriege der Menschheit zu sein, als Sprecher einer Jugend, die ein »Leben im Licht« einem verzweifelnden Geschlecht zu erobern hofft. Da ist er der Prophet eines neuen Glaubens, dessen Ahnungen sich rosig am Horizonte malen. »Es will sich eine falsche Prophezeihung einnisten,« schrieb er in der »Vorrede«, »die Zukunft werde die Herrschaft des Elends sein. Und sollte diese Drohung Etwas für sich haben, so ziemt es uns, gegen die Nothwendigkeit zu kämpfen. Ein blasser Tod müßte ja plötzlich all unser Leben tilgen, unsern Geist entnerven, gäben wir uns der Meinung hin, die Zukunft ringe nur um ihre Existenz. Die Materie wird nicht müde sein; das wissen wir; sie hat zu keiner Zeit Ruhe gehalten. Und wenn uns auch der ideale Schmerz bedrückt, daß die Geister so satt und müd sind vom Wissen und vom Ideal, das Gedächtniß so überladen von den Begriffen des Schönen und Wahren, so ist dies Kapital darum doch nicht todt und der Geist doch unsterblich. Soll das Große und Schöne nur vorhanden sein, um unsern Scharfsinn zu beschäftigen? Sollen wir nicht in ihm leben, und es uns zurecht machen zu eigenem Genuß? Ach, die Zeit, so reich an Ahnungen, so voll Licht, voll Idee und Geschichte, will und wird sich erwärmen an der Größe und ein breites positives, genußspendendes Leben etabliren, das endlich einmal unsres Geistes würdig ist. Fluch jener Meinung, welche glaubt, daß je klüger wir werden, desto elender.«

Wohl klagt er in derselben Vorrede, daß die Mehrzahl der Frauen und Mädchen in ihrer Bildung hinter der der Männer so weit zurückgeblieben seien, daß sie deren Streben kaum verstehen könnten. Er thut es aber doch nur, um von dem Berufe der Frauen zu schwärmen, die ebenbürtigen Kameradinnen des geistigen Strebens der Männer zu sein. »Das Unglück dieser Zeit ist, daß die Frauen hinter den Männern so unendlich weit zurückgeblieben sind. Die Reaktion gegen die Sentimentalität ist Schuld daran; auch die Zeit, welche sich mit ihren ernsten Fragen an die ungetheilte Kraft des Mannes wandte. Man sagte uns, daß die Frauen nur da seyen, von den Anstrengungen des öffentlichen Lebens uns angenehm zu erholen, oder wohl gar, daß sie die Ableiter unserer Leidenschaften wären, welche uns nur stören würden draußen in der Welt … So kam es, daß die Frauenherzen zusammenschrumpften. Ihre empfängliche Seele vertrocknete an kleinen Dingen; sie verstehen uns ja gar nicht mehr … Sie scheinen nur da zu seyn, um durch ängstliche Rücksichten den Flug unsres Wesens niederzuhalten … Ihr seyd gebildet, in Ideen getaucht und wunderlich in Euren Worten: so tretet Ihr ein in einen Kreis von Mädchen, die eben vom Strickzeug oder Tiefe und Höhe der Taille sprachen: Ihr werft nun plötzlich über Idealismus, Poesie, Götterwesen ganz verrückte Worte, nur Euch und Eures Gleichen verständlich, unter sie, und die guten Kleinen … strengen sich sogleich an und beantworten, wie sie können, Euer tolles Geschwätz, weil sie eben glauben, es verriethe Unbildung, wenn sie nicht ernsthaft Euern hingeworfenen Brocken Rede ständen! Was man heutigen Tages geistreiches Gespräch unter den Geschlechtern nennt, ist in der That eine Hanswurstjacke von Redensarten, die wir aus Grausamkeit und die Mädchen aus Angst zusammenflicken.« Bei diesem Zustand könne die Liebe nicht gedeihen. Nur bei gleicher Bildung wäre dies möglich. »Wenn auch nicht im Umfange der Ideen, doch in ihrer dynamischen, allem Seelischen angebornen Kraft sollten uns die Frauen gleich stehen; sie können unsre Liebe nur tragen, wenn sie sie fassen.«

Diese Ansichten, Nachklänge seiner Erfahrungen mit Rosalie, Nachklänge auch aus dem »Sadduccäer von Amsterdam«, fanden ihre Zuspitzung in dem Wally-Problem durch Eindrücke, die ihm sein gesellschaftliches Leben in Frankfurt a. M. bereitete. Wir erwähnten schon, daß er sich in den gesellschaftlichen Kreisen der reichen Handelsstadt bald ausgezeichnet fand. Der Erfolg seines Museumsvortrags, seine hervorragende Mitarbeiterschaft an der »Allgemeinen Zeitung«, die Mischung von tiefem Ernst und elegantem Spott in seiner Unterhaltung, sein Ruf als jugendkühner Verfechter der Emanzipation des Bürgerthums, der Frauen, der Juden, dessen erstes Buch bereits von Börne mit dem enthusiastischsten Lobe bedacht worden, gaben ihm ein anziehendes Relief. Einen philosophirenden Demokraten mit Salonmanieren – diese Mischung war neu und pikant. Mitte Februar ließ er als Ausdruck seiner gehobenen Stimmung in einen Brief an Cotta den Satz einfließen: »Eine Vorlesung von mir im Museum hat, ohne mir zu schmeicheln, Furore gemacht; ich bin nahe daran, hier eine öffentliche Figur zu werden.« In einer solchen Gesellschaft hatte er eine junge Dame kennen gelernt, deren lebensheitere Koketterie und Anmuth ihn besonders anzogen, und – überhaupt von dem Triebe beseelt, die Erinnerung an Rosalie durch neue Eindrücke zu betäuben – machte er ihr den Hof. Als er einmal auch ihr seine freigeistigen Ideen, seine Skepsis der Bibelgläubigkeit gegenüber zu entwickeln begann, unterbrach sie ihn jäh mit dem Aufruf: »O schweigen Sie, darüber nachzudenken macht wahnsinnig!« Als ein Gegenbild zu dem der verlorenen Geliebten ging ihm da das Wesen der bisher so leichtlebig erschienenen Weltdame auf. Rosalie, deren Geist in ihrem Glauben seinen unerschütterlichen Halt gefunden, hatte das Gleichgewicht des Herzens verloren, weil er ihren Glauben nicht theilte; hier fürchtete ein Mädchen, dessen Herz bisher von kirchlichen Dingen unbehelligt geblieben, über dem Zweifel an ihrer Sicherheit das Gleichgewicht des Geistes zu verlieren. Seine Phantasie reizte es, das Schicksal, das in jenem Aufruf angedeutet war, auszudenken, während sein Herz das Interesse an ihr einbüßte. Auch verlor er selbst an Boden in jenen Gesellschaftskreisen je mehr das Anathema sich verbreitete, das die Herren vom Berliner Oberkirchenrath in der Hengstenberg'schen Kirchenzeitung und anderen Organen der Orthodoxie gegen das verlorene Schaf der Kirche ertönen ließen, als die Vorrede zu den Lucinde-Briefen ihre Wirkung zu thun begann. Die »Glattgescheitelten«, – so hatte er sie genannt – warnten die gläubige Christenheit vor diesem »neuen Wiedertäufer und falschen Propheten«. Sie sagten ihm nach: er wolle die Ehe ganz abschaffen, Grisetten sollten nach ihm an die Stelle der Hausfrauen treten. Der Umsturz aller sozialen, sittlichen und religiösen Verhältnisse sei sein letztes Ziel. Und was die Kirchenzeitungen schrieben, druckten die offiziösen Blätter nach. Das blieb nicht ohne Erfolg. Scheu wich jetzt so mancher Familienvater, so manche Mutter und Tochter dem »Gottesleugner« und »Sittenverderber« aus, der vorher ihnen so liebenswürdig erschienen war. Duller, damals noch in diesen Dingen ein begeisterter Parteigänger, der sich vor der Katastrophe noch selbst zu dem »literarischen jungen Deutschland« zählte, von dem die Zeitungen nunmehr zu reden begannen, nahm sich des jüngeren Freundes im Hauptblatt des »Phönix« sehr warm an, erklärte, was Gutzkow eigentlich unter »Emanzipation der Liebe« verstehe, und eiferte kühn gegen Diejenigen, »welche es dem Plebejer nie verzeihen werden, daß er, dessen geistreiches Wesen und angenehme Gaben ihnen schon eine Anwartschaft auf ein Soireenmöbel gedünkt hatte, als literarischer Volkstribun dasteht, in aller Liebenswürdigkeit, in allem Selbstbewußtsein, aber auch mit aller Gereiztheit und Empfindlichkeit eines solchen, daß er gewappnet bis an die Zähne in Willenskraft, sich um kein Theelöffelgeklapper kümmert. Diese Clique umtrippelt ihn schwänzelnd, lächelt ihm freundlich ins Gesicht, während sie ihn vergiften möchte, sie ladet ihn zu Soireen, wo er gern mit hübschen Mädchen plaudert, und möchte ihn eigentlich gern zur Thür hinauswerfen; aber, was das Schlimmste ist: sie fetirt seine Eitelkeit, sie sucht die Ferse am Achilleus. Sie wähnte ihn jetzt endlich eingeschläfert zu haben, und siehe da, mit Eins kommt er und sprengt durch einen kurzen Minengang von 38 Seiten ihre ganze Kuchen- und Tortenfestung in die Luft, Der Undankbare! Das ist zu viel! Das kann ihm die Vornehmheit nicht verzeihen, das ist eine Blasphemie.«

Jener Karl Löwenthal, der seit Ostern d. J. wieder zu Gutzkows intimstem Umgang gehörte, ihn auch bald darauf zu längerem Aufenthalt in Mannheim bewog, wo er von seinen Eltern endlich die Erlaubniß und die Mittel erhielt, der neuen Zeit als Verlagsunternehmer zu dienen, dessen erster Verlagsartikel die »Wally« wurde, hat beim Beginn des Prozesses gegen ihn und Gutzkow eine Aussage zu Protokoll gegeben, welche das Bisherige in interessanter Weise bestätigt. »Ich kam Ostern d. J.,« erklärte er zu den Akten des Mannheimer Stadtgerichts am 1. Dezember, »hier mit Gutzkow, der mit mir in München und Berlin studirte und ein genauer Bekannter von mir ist, zusammen, wobei er mir erzählte, er habe in Frankfurt, seinem damaligen Aufenthalt, in einer Gesellschaft mit einer Dame über Gegenstände der Religion gesprochen, wobei dieselbe in ein Zittern verfallen und wie in Verzweiflung ausgerufen habe: es sei ihr nicht möglich, hierüber nachzudenken (diese Stelle findet sich auch merkwürdiger Weise in dem Buch). Dies habe ihn auf die Idee gebracht, aus dem Vorfall einen Roman zu bilden. Er spann diese Idee in der Folge weiter aus und es entstand gegen sein erstes Vorhaben ein ganzes Buch daraus, in welchem der Gedanke entwickelt werden sollte, wie er mir hier persönlich sagte, daß ein Mädchen, welches erst ganz oberflächlich über alle ernste Dinge hinweggeht, wenn es nach und nach durch unglückliche Ereignisse zu ernsten Betrachtungen geführt, sich zu Gott wenden möchte, aber zu wenig Gemüth hat, um ihn zu erkennen, in dieser Verzweiflung an der Gottheit untergehen muß. – Dieser Gedanke, der so schön und wahrhaft moralisch ist, wurde mir von Gutzkow als wesentlicher Inhalt des Romans ›Wally‹ bezeichnet und ich konnte mir nicht denken, daß die Durchführung desselben in dem Buch je einen Grund abgeben könnte, mich oder ihn hierüber zur Verantwortung zu ziehen. – Da ich zu jener Zeit damit umging, eine Verlagsbuchhandlung zu gründen, bat ich Gutzkow, mir dies Buch in Verlag zu geben. Nach einigem Zögern willigte er ein und reiste hierauf, nachdem er zwei Monate in Mannheim zugebracht hatte, nach Frankfurt, wo er sich bis jetzt aufhielt. – Fünf bis sechs Wochen, nachdem Gutzkow von hier abgereist war, schrieb er mir, er arbeite an der ›Wally‹, es seien bereits fünf bis sechs Bogen des Manuskripts fertig, er wollte mir dasselbe unter dem Beding in Verlag geben, daß es in Frankfurt gedruckt werde, letzteres um deßwillen, weil die elegante Ausstattung der Druckschrift dort eher zu erlangen sei als in Mannheim, weil das Buch klein und ihm in Frankfurt möglich sei, die Korrektur des Druckes selbst zu besorgen … Freilich ist die Ausführung jener Idee in dem Buch hinter meiner Erwartung zurückgeblieben; die Gründe sind folgende: Gutzkow war nämlich damals unglücklicher Weise mit der Berliner Geistlichkeit in heftigen Streit gerathen. Heftig, wie er manchmal ist, benutzte er die Ausführung dieses Buches, der ›Wally‹, zur Durchführung seines Streites mit der Geistlichkeit. Da er mir von diesem Streite nichts schrieb, ich auch hier in Mannheim, meinem Aufenthalte, die norddeutschen literarischen Blätter nicht zu sehen bekomme, so blieb mir jener Streit ganz fremd und ich wartete fort und fort unbesorgt, daß das Buch ›Wally‹ eine selbst von den strengsten Moralisten zu billigende Tendenz haben würde. – Meine Behauptungen kann ich alle mit Briefen von Gutzkow belegen, der Hauptbrief, worin er mir den Antrag und die Bedingungen des Verlags der ›Wally‹ mittheilte, ist dem Herrn Minister Winter zur meiner Rechtfertigung über die Tendenz des Buches vorgelegt. Dies geschah, als ich kürzlich in Karlsruhe war … Ich blieb den Sommer über hier und erhielt von Wiesbaden aus Ende Juli die Nachricht von Gutzkow, daß der Druck des Buches nächstens vollendet sei. Ich ging dann nach Wiesbaden und von dort mit Gutzkow nach Frankfurt, wo ich fand, daß der Satz des Buches vollendet war … Ich las das Buch und sah mit Schrecken, daß die ursprüngliche Tendenz darin so versteckt war, daß man eher das Gegentheil in dem Buch finden konnte.« …

Löwenthal scheint nach diesem Geständniß, dessen Charakter durch den Zweck der Vertheidigung bestimmt war, nicht gewußt zu haben, was uns Gutzkow später, als er die »Wally« den gesammelten Werken einverleibte, in den »Rückblicken« (1874) über den Zusammenhang seines »Streits mit der Geistlichkeit« mit dem Roman mitgetheilt hat. Durch die Anklagen seiner Widersacher war er zu einer zweiten »Rettung« angefeuert worden. Das Erscheinen von Dav. Friedr. Strauß' epochemachendem Werk »Das Leben Jesu« und der Entrüstungssturm, den es erregte, wirkten als weitere Motive bei dem Entschluß, einen Auszug aus den Wolfenbüttler Fragmenten des Lessing'schen Ungenannten zum Zweck der Popularisirung des schwerfällig-wissenschaftlichen Werks herzustellen. Strauß, damals auch ein Junger, siebenundzwanzigjährig, wie Gutzkow im Jahre 1830 aus Denkerträumen in die Welt getreten, gleichfalls ein Schüler Schleiermachers und Hegels, die er nach Verlassen des Tübinger Stifts noch 1831 in Berlin persönlich gehört hatte, war in der ersten Ausgabe seiner »kritischen Bearbeitung« des Lebens Jesu noch weit über die Kritik herausgegangen, welche Lessing, Reimarus, die Rationalisten und Schleiermacher an der biblischen Ueberlieferung als göttlicher Offenbarung geübt. Dieser kühne Schwabenkopf hatte, ausgerüstet mit glänzenden Kenntnissen und einer wissenschaftlichen Methode, welche die Hegel'sche Dialektik mit eiserner Konsequenz ohne die Hokuspokuskünste des Meisters durchführte, das Ganze der evangelischen Geschichte als ein Gewebe von Mythen zu erweisen gesucht, das um einen schlichten historischen Vorgang entstanden, dessen mythische Deutung auf der alttestamentarischen Messiasidee und der allegorischen Bildersprache ihrer Propheten beruhte. Die Wirkung des Buches war eine unmittelbare; dasselbe aber war doch zu gelehrt, um weit über die theologischen Kreise hinaus zu dringen. Die Zeit jedoch war voll Zündstoff für das Feuer dieser Gedanken. Der Freiheitsdrang der Deutschen, vom Gebiet der Politik mit Gewalt vertrieben, suchte Befriedigung auf dem Gebiete der Religion. Die Stützen des kirchlichen Lebens fühlten das und standen bereit für den Kampf zum Schutze der Kirche, ihrer Autorität und ihrer Privilegien. Mit dem wild gewordenen Stiftler wurde kurzer Prozeß gemacht. Er wurde seiner Repetentenstelle am Tübinger Seminar enthoben und zunächst auf einem Lehrerposten in seiner Vaterstadt Ludwigsburg kalt gestellt. Doch er trug nicht lange die Fesseln dieses Amtes; schon im nächsten Jahr legte er es nieder, um hinfort ganz der Vertheidigung seiner Ueberzeugung als Schriftsteller zu leben. Der Kampf gegen ihn von Seiten der Orthodoxie wurde geführt, als wäre die ganze Geistesarbeit der großen Aufklärer Lessing, Herder, Kant, Schleiermacher nie gewesen, als hätte die wissenschaftliche Theologie nicht längst vorher alle Offenbarungswunder der Bibel auf Thatsachen der Vernunft zurückgeführt. Mit dem Erfolg seiner Schleiermacher-Rettung zufrieden, reizte es Gutzkow jetzt einen ähnlichen Trumpf auf den ersten zu setzen und dem kühnen Schwabenkopf mit Lessings »Ungenanntem« zu Hülfe zu kommen. Lessings Veröffentlichung der Fragmente aus der »Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes« des Hamburger Arztes Reimarus, die er 1774-78 in die Welt schmuggelte unter dem Vorgeben, es seien Findlinge, die er unter den Manuskripten der Wolfenbüttler Bibliothek gefunden, sie hatten nicht in dem Grade das Aufklärungswerk gefördert, die der kühne Herausgeber erwartet. Das weitläufige, etwas schwerfällig geschriebene Buch war im großen Publikum nicht gelesen worden. Diesem die Quintessenz in der Sprache der Gegenwart mundgerecht zu machen war die Absicht eines Manuskripts, das Gutzkow nun schnell verfaßte und dann Hoffmann und Campe zusandte, damit sie es in der Art der »Vertrauten Briefe« zur Herausgabe brächten. Der sonst so muthige Verleger Julius Campe hatte aber diesmal Furcht, und zwar vor den Hamburger Pastoren. »Metternich, Kaiser Nikolaus, nichts war im Stande, ihm Vorsicht anzurathen, Börne und Heine mochten bringen, was sie wollten, aber die Nachfolger Johann Melchior Goeze's zu reizen wagte er nicht. Als Besitzer eines ansehnlichen Buchgeschäftes wollte er im eigenen Weichbild Ruhe haben. So erhielt ich diesen Auszug aus den Wolfenbüttler Fragmenten von ihm zurück.« Dies geschah gerade damals, als er jenem Aufruf aus weiblichem Munde »An all das zu denken macht wahnsinnig« träumerisch nachhing. Die Frage nach den Zuständen, in welche die Menschheit fallen würde, auch wenn sie aufhören würde zu glauben, was im Katechismus steht, hatte ihn tief ergriffen. Sie verwob sich mit dem anderen Thema von der Emanzipation der Ehe von der Kirche, der Emanzipation des Fleisches, wie es die Saint-Simonisten nannten. Auch von einer Wiedergeburt der Religion im pantheistischen Sinne auf Grund der Wirklichkeit und Vernunft schwärmten diese. Jetzt erst ging er tiefer auf ihre Theorien ein, deren falsche Ausführung und Anwendung ihn früher abgeschreckt und zu seinem ablehnenden Urtheil in den »Narrenbriefen« bewogen. Sein damaliger Standpunkt war derjenige Börne's gewesen, wie er ihn im 66. der »Briefe aus Paris« zum Ausdruck gebracht: »Bei einer flüchtigen Betrachtung scheint es zwar Gewinn, wenn das weibliche Geschlecht emanzipirt würde, wenn es gleiche sittliche, gleiche politische Rechte mit den Männern erhielte – aber es ist eine Täuschung. Selbstständigkeit des Weibes würde nicht allein die Bestimmung des weiblichen, sondern auch die des männlichen Geschlechts vereiteln. Nicht das Weib, nicht der Mann allein drücken die menschliche Natur aus; nur Mann und Frau vereinigt bilden den vollkommenen Menschen. Nur in der Ehe und im Familienleben wird der Zweck der Menschheit erreicht.« Schon in der »Vorrede« hatte er erklärt, daß es Sache des Romans sei, die Reform der ehelichen Sitten, der Anschauungen über Treue und Liebe vorzubereiten.

»Unter den Blüthenbäumen der Bergstraße, an der kühlen Schlucht des Wolfsbrunnens,« erzählen die »Rückblicke« weiter, habe er der Ausdehnung dieses Begriffs viel nachgeträumt. Auf dem theologischen Gebiete ist das »Fleisch« ein gangbarer Begriff; die katholische Welt hört ihn alle Tage, wenn sie die Messe besucht. »Aus dem Fleische geboren« – »Das Wort ward Fleisch.« Woher die Berechtigung, unter Emanzipation des Fleisches die Entfesselung der Leidenschaften, die Zerstörung der Sitte vorzustellen? Er selbst verstand darunter die Wiedereinsetzung des Natürlichen in allen Lebensverhältnissen, so auch im Leben der Geschlechter. Die in der Vorrede zu den Lucinde-Briefen angesponnenen Gedanken führte er weiter aus: Wenn der Kirche die Ehe entzogen werden soll, muß deshalb die Besiegelung des Herzensbundes aller symbolischen Weihe verlustig gehen? Gewiß nicht. Sache der Poesie ist es, Ersatz zu schaffen. Da fiel ihm die Sigunen-Szene aus »Titurel« ein. Die keusche Poesie derselben hatte sich, als er bei von der Hagen Germanistik getrieben, seiner Seele tief eingeprägt. Um den Abschied nehmenden Geliebten gegen alle verführerische Anfechtung zu feien, vermählt sich dort Sigune diesem geistig dadurch, daß sie ihm den Anblick ihrer ganzen natürlichen Schönheit gewährt. Die Poesie des mittelalterlichen Gedichts, dem Schönheitsbedürfniß und der Sinnlichkeit eines christlich-asketisch erzogenen Geistes entsprossen, mischte sich in die realistischen Spekulationen seines kritischen Verstandes. Es trieb ihn, die Sigunenszene aus dem romantischen Duft der Sage, aus dem verschwiegenen Waldesdunkel zu versetzen in die schwüle Atmosphäre eines modernen Boudoirs. Er übersah dabei, daß die Poesie der Szene im Titurel untrennbar ist von dem Umstand, daß Tschionatulander und Sigune fast noch Kinder sind, voll der reizenden Naivetät jugendlicher Thorheit, und daß diese sofort schwindet, wenn ein Geschöpf moderner Verbildung wie Wally und ein verstandeskühler Skeptiker wie Cäsar an ihre Stelle treten. Er fühlte den Mißgriff nicht, mit dem er eine Wirkung voll naiven Reizes in den Eindruck raffinirter Absichtlichkeit verkehrte. Die Dichtung, in der er den Selbstmord der Stieglitz aus geistigen Verzweiflungsmotiven hatte wiederspiegeln wollen, der Eindruck einer jungen Dame, die von den Zweifeln des Deismus fürchtet, sie könnten sie wahnsinnig machen, der Roman, der aus den Fragen der Emanzipation des Fleisches die eine heraushob, welche dem Treuverlöbniß eine höhere poetische Weihe zu geben bemüht war, diese Pläne, von denen jeder einen ganzen Dichter forderte, mußten sich zu einem einzigen zusammenfügen und dieselbe Heldin, die am Schluß sich das Leben nimmt, um der Qual ihrer Zweifelsucht zu entgehen, mußte im Vordergrund des Romans nach dem Vorbild Sigunes eine neue Art geistiger Anverlobung einführen. Um den Kern jenes Auszugs aus den Wolfenbüttler Fragmenten entstand »Wally, die Zweiflerin«.

Selten ist ein Werk poetischer Art aus so vielen und vielerlei Antrieben und Absichten hervorgegangen. Dichterisches, kritisches, sozialreformatorisches Wollen hatten an ihm gleich starken Antheil, aber vorlaut, ungestüm waren der Kritiker und der Sozialreformator dem Dichter ins Wort gefallen, hatten sie den Vortrag direkt an sich gerissen, wo sie nur dem Dichter ihre Ideen hätten ins Ohr flüstern dürfen. Vor Fülle an Gedanken war die Handlung zu kurz gekommen. Die rein dichterischen Elemente waren zu Episoden herabgedrückt, das didaktische Element überwucherte dieselben nicht nur der Wirkung, sondern der Ausdehnung nach. Die Tagebuch-Einschiebsel in Goethe's Romanen wirken als Episoden, »Wallys Tagebuch« mit Cäsars Geständnissen über Religion und Christenthum sind dagegen so sehr Hauptsache, daß die skizzenhafte Schilderung der Personen und Begebenheiten daneben schattenhaft erscheint. Kein Wunder! Die Gedanken und Probleme, die seine Personen äußerten, interessirten ihn selbst so mächtig, daß das künstlerische Interesse an der Gestaltung derselben dagegen nur schwach war. Wohl hatte er die Motive für ihre Charakteristik dem eigenen Erleben entnommen, mehr aber als von den Eindrücken, welche er zu der Gestalt Wallys und ihres Gegenbildes Delphine verdichtete, beherrschten sein Gefühlsleben die Reflexionen, welche der Bruch mit Rosalie in ihm noch immer erregte. Ein vom Zweifeln Blasirter und eine durch Zweifel Verzweifelnde in ihren Wirkungen aus einander sind an sich ein schwerer Vorwurf für einen lebensvoll vorwärtsstrebenden Roman. Denn nichts wirkt so lähmend auf den Willen als der Zweifel und wie soll eine fesselnde Handlung zu Stande kommen, wenn auf Seiten der Betheiligten die Unlust zum Handeln gerade das Charakteristische ist. Dieser Mangel an Handlung wird gerade erst recht fühlbar durch die Mittel, wodurch ihn Gutzkow zu verdecken suchte: eine knappgeschürzte, kleine Szenen aneinander reihende Vortragsweise, das Einflechten von Episoden, die voller dramatischer Handlung sind, aber von den Personen des Romans nur erzählt, nicht miterlebt werden, eine Fülle geistvoller Erörterungen über heikle Gegenstände der Religion und Moral, an sich höchst interessant, anregend, in einem Roman jedoch störend, vom Leser als Ballast empfunden! Um den Kern eines Auszugs aus den Wolfenbüttler Fragmenten einen Roman zu gestalten, der mit diesem zusammen als poetisches Ganze wirkte, dieser Versuch mißlang, war von Anbeginn ein verfehlter. Die Kritik, welche nicht nur von literarischer Seite, sondern auch von Seiten des Bundestags, von Seiten eines badischen Untersuchungsrichters und Oberstaatsanwalts an dem Buche geübt ward, erhielt, wie wir sehen werden, ihre Handhaben hauptsächlich durch die ästhetischen Schwächen des Romans, welche die Tendenz desselben extremer erscheinen ließen, als sie es vom Autor aus war.

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Auf feinem Papier in zierlichem Duodezformat gedruckt, erschien das Buch am 16. August in »C. Löwenthals Verlagshandlung« in Mannheim. Nur durch sehr splendiden Drucksatz war der Umfang von 20 Bogen erreicht worden, der dem Roman die Zensur ersparte. Das Ganze zerfiel in drei Bücher, von denen das erste in einer kleinen deutschen Residenz und im Taunusbad Schwalbach, das zweite wieder in jener und in Paris, das dritte wiederum in der Residenzstadt spielt. Zeit: die Gegenwart. Auf die Schilderung der Oertlichkeiten, auf die Charakteristik allgemeiner Zustände, der Sitten, der Landschaft, der Einrichtung des Hauses, der äußeren Erscheinung der Personen sind kaum wenige Seiten verwandt. Den Charakter der letzteren lernen wir, wie sichs gehört, nicht durch direkte Schilderung, sondern allmählich durch das, was sie reden und thun, kennen; weß Standes Wally und Cäsar sind, erfahren wir gelegentlich durch zwei hingeworfene Bemerkungen. Im 3. Abschnitt des ersten Buchs blättert Wally bei der Toilette in einigen ihr vom Buchhändler zugesandten Novitäten, »einigen Schriften vom jungen Deutschland«. »Wienbarg,« sagt sie, »ist zu demokratisch: ich habe nie gewußt, daß ich vom Adel bin, aber mit Schrecken denk' ich daran, seit ich diesen Autor lese.« Cäsars Stellung in der Gesellschaft lernen wir erst im 2. Buch kennen, wo seine Anwesenheit »auf einem glänzenden Hofball« den Autor zu der Bemerkung veranlaßt, daß Cäsar nicht tanze, um der Möglichkeit auszuweichen, auf den Wink eines Kammerherrn mit einer der Prinzessinnen tanzen zu müssen. Das Thema der sozialen Unterschiede, Laube's Lieblingsthema, wird sonst aber nicht berührt, Gutzkows Thema ist und bleibt das Verhalten zweier skeptischer Naturen, von denen der Mann Skeptiker aus Ueberzeugung, das Mädchen Zweiflerin aus Mangel an Wissen und Erkenntniß ist bei angeborenem Hang über religiöse Dinge zu grübeln, beide unter dem Einfluß der modernen Emanzipationsideen. Das 1. Buch schildert auf 104 Seiten in zwölf äußerst kurzen Kapiteln, wie Cäsar Wally kennen lernt, als gefeierte Schönheit, verwöhnt, kokett in der Lust, ihre Verehrer zu hänseln, aber natürlich und, wie er selbst, von dem Drange beseelt, wahr zu sein über sich und auch gegen sich selbst. Zu Wally's Eigenart gehört es, daß sie durch die Berührung religiöser Fragen sofort ihren heiteren Leichtsinn einbüßt, ohne doch geneigt zu sein, auf den Ernst derselben einzugehen. Noch ehe Cäsar sie näher kennen lernt, muß er fünf Duelle ausfechten, in die ihn eine Laune ihrer Koketterie verwickelt. Ihr erstes Gespräch nimmt gleich eine ernste Wendung, da Cäsar seiner Geistesart nach auch im Scherz stets in philosophische Spekulationen verfällt. Er ergeht sich in allerhand Paradoxien über Muth, Höflichkeit, Liebe, über Musik, die neue Literatur, E. T. A. Hoffmann, Naturschönheit. Ueberall sind seine Einfälle der Ausdruck einer gemachten Empfindungslosigkeit, einer forcirten Blasirtheit. Wally belustigt sich an diesem sprühenden Ideenschaum. Sie selbst nimmt keine Frage ernst. Da gebraucht Cäsar einmal gleichnißweise das Bild eines Schmetterlings. »Schmetterlinge sind zu Gleichnissen verbraucht,« ruft sie. »Wie die Unsterblichkeit selbst,« ist seine Antwort. Das stimmt sie ernst. Cäsar nimmt das Thema aus. Da unterbricht sie ihn: »O Gott, lassen Sie, ich kann darüber nicht nachdenken.« »Sie stockte. In ihrem Auge sprach sich ein zerreißender Schmerz aus. So hatte sie Cäsar noch nicht gesehen. Sie erhob sich unruhig und war für diesen Abend verschwunden. Cäsar begriff davon nichts. Er war so leichtsinnig, an Alles zu denken, nur nicht an die Religion. Aber Wally hatte ihn entzückt. So weit Menschen dieser Art noch lieben können, war Cäsar außer sich. Er folgte Wally ohne Aufenthalt.«

Als sie ihre Tante ins Bad begleiten muß, folgte er ihr auch dahin – nach Schwalbach. In der Langenweile des Bades macht er ihr auf seine Weise den Hof. Er erzählt ihr, was man sich in Schwalbach erzählt. Zwei traurige Geschichten werden zu Episoden, Ein Bürgermädchen im Ort war in einer früheren Saison von einem vornehmen Badegast verführt worden. Er versprach ihr wieder zu kommen und über dem Warten ist das Mädchen verrückt geworden. Auf der Emser Landstraße vor dem Hotel ›Zu den beiden Indien‹ steht das Bärbel jetzt jeden Tag und bricht in Thränen aus, wenn Wagen auf Wagen den Erwarteten nicht bringt. Wally hat für dieses Schicksal kein Mitleid. Sie bittet Cäsar, ihr keine solche Geschichten zu erzählen. Noch weniger gefällt ihr die nächste: ein Tambour aus Wiesbaden war von einem Mädchen in Schwalbach geliebt, bis ihn ein Trompeter von der Artillerie, der Schöneres blasen konnte und eine schönere Uniform hatte, bei ihm ausstach. Der Tambour nahm sich das schwer zu Herzen und als schließlich die beiden Glücklichen Hochzeit hielten, schlich er sich in tiefer Mitternacht unter die Fenster ihrer Wohnung mit seiner Trommel und begann seinem Instrument eine schwermüthig sanfte Trauermusik zu entlocken – immer zu, immer zu: die Töne hoben sich, die Schlegel wurden dringender, die abgestoßenen Punkte folgten Schlag auf Schlag: da mußte das Weib oben aufspringen vom süßen Lager; die ganze Straße schien zu grollen. Sie riß das Fenster auf. Doch draußen war's still; der Tambour war nirgends zu sehen, am andern Tag schifft man seine Trommel und später ihn an der Rheinbrücke auf. – Wally verweist Cäsar solche traurige Geschichten. – Bisher hatte es geregnet. Jetzt bringt der Sonnenschein tausend Aufforderungen zu Ausflügen. Auf einem solchen bricht auch die künstliche Starrheit des Empfindens in Wally. Auf einem schönen Fleck Erde, wo ein Baumstamm ihnen einen Ruhesitz geboten, überkommt sie das Bedürfniß der Hingabe. Cäsar ist beglückt; aber selbst jetzt stört ihn die Reflexion. Nicht die Liebe zieht ihn zu Wally's Füßen, sondern ein Gedanke, der Gedanke an jene Augenblicke, wo wir, überdrüssig der konventionellen Formen des Lebens, zu aller Welt herantreten möchten und ihr zurufen: »O warum dies Gehäuse von Manieren, diese Verhüllung des Menschen in und an dir. Warum Zurückhaltung, du, mein Bruder, du, meine Schwester, da du doch gleichen Wesens mit mir bist, eine Hand wie ich zum Drucke, einen Mund wie ich zum Kusse hast.« Und Wally läßt die Umarmung Cäsars zu: nicht, weil sie ihn liebte, oder aus Egoismus, aus Stolz, einen Mann überwunden zu haben, sondern weil sie sich als das schwache Glied der großen Wesenkette fühlte, die Gott erschaffen hat. Ihr ist, als ob die Küsse Cäsars allen Millionen gölten unterm Sternenzelt. Der Autor schließt diesen Abschnitt: »Sehet da eine Szene, wie sie in alten Zeiten nicht vorkam! Hier ist Raffinirtes, Gemachtes, aus der Zerrissenheit unsrer Zeit Geborenes – aber was ist die egoistische Geschlechtsliebe gegen diesen Enthusiasmus der Ideen, der zwei Seelen in die unglücklichsten Verwechslungen werfen kann.« Zu einem innigeren Anschluß kommt es bei diesen kranken Seelen nicht. Die Melancholie eines nach Schwalbach gekommenen Freundes von Cäsar scheint beide zu bedrücken. Als Waldemar darüber klagt, daß die Religion ihm keine Stütze sei in der Schwermuth, die ihn bedrücke, und Cäsar dazu bemerkt, daß Religion ja das Produkt der Verzweiflung sei, wie dieselbe dann die Verzweiflung heilen solle, wird Wally in große Aufregung versetzt. Die Entdeckung, daß Waldemar der Verführer des tollen Bärbel und die Nachricht, daß dieses sich das Leben genommen, rührt sie weniger als die Trostlosigkeit seiner Skepsis. Auch die Episode vom verrathenen Tambour findet ihre Fortsetzung im Roman: Wally wird durch einen Zufall Zeugin des gräßlichen Todes der seit jener Nacht von einem unheimlichen Wahn gefolterten Trompetersfrau. Die Töne jenes nächtlichen Trauermarsches klingen ihr plötzlich im Ohr, stärker und stärker werdend: vor den gräßlichen Tönen flieht sie schließlich in den Tod. Am nächsten Tage erklärt Wally ihrer Tante, daß sie nicht länger mehr an dem Orte bleiben könne, der sie andernfalls umbringen werde. Ihre Abreise, bei welcher Cäsar das Nähere über jenen Todesfall berichtet, beschließt das erste Buch des Romans, dessen poetische Partien in jenen Episoden bestehen, während Wally und Cäsar, an sich unerquicklich als Charaktere, uns deshalb noch besonders kalt lassen, weil der Erzähler selbst in einer künstlichen Kälte und Knappheit des Ausdrucks ihre Seltsamkeiten ohne nähere Motivirung läßt, sondern hinstellt als Selbstverständlichkeiten nach den Bedingungen ihres Charakters.

Der Mangel dieser Technik macht sich noch fühlbarer im zweiten Buch. Wally geht eine Konvenienzehe mit einem abgelebten Diplomaten, dem »sardinischen Gesandten« ein, der nur ihre Mitgift liebt und sich später als ganz gemeiner Gesell erweist. Sie thut dies, während ihr Herz die Neigung für Cäsar weiter empfindet, die sie ihm erst jetzt, nachdem die Verlobung vollzogen, ganz gesteht. Sie ladet ihn zu einem Stelldichein bei sich und hier ist es, wo Cäsar die Bitte an sie richtet, sich mit ihm, vor der Hochzeit mit dem Gesandten, nach dem Vorbild Sigune's geistig zu vermählen. Wally verläßt ihn nach diesem Antrag empört. Von Cäsar aber heißt es, daß er in kindlichster Unschuld diese Forderung gestellt, ohne jeden sinnlichen Nebengedanken. Wally fühlt dies nachträglich und bereut ihr Benehmen. Die Vorstellung hat sich ihrer Phantasie bemächtigt; sie liest im Titurel nach, wie Wolfram diese Scene geschildert; sie schämt sich ihrer Scham und schreibt an Cäsar, sie wolle seinen Wunsch erfüllen. Der Vorgang selbst ist nur andeutend, auf wenigen Zeilen geschildert. Sie bleibt dann auch Cäsar treu trotz ihrer Ehe, die sie mit ihrem Mann, dem sardinischen Grafen, in getrennten Schloßflügeln führt. Warum, wozu diese unnatürliche Ehe? dieses unnatürliche Verhalten Cäsars, der jene geistige Vermählung auch gleich einer Treuverpflichtung auffaßt? Eine neue Episode lenkt uns ab von diesen Fragen. Wally lebt in Paris, wohin ihr Gatte versetzt ward. Dieser »sardinische Gesandte« ist ein Ausbund von Schlechtigkeit. Er hat einen Bruder, einen exzentrischen Menschen. In diesem nährt er eine unselige Neigung zu Wally, damit er sein Vermögen nicht in Pariser Vergnügungen und Ausschweifungen verschwende. Dieses Vermögen hat er in Verwaltung und sucht es an sich zu bringen. Er arbeitet planmäßig, um das Hirn des Bruders zu verrücken, ihn zum Selbstmord zu treiben. So wird Wally, während sie aus Sehnsucht nach Cäsar erkrankt, das Werkzeug einer nichtswürdigen Intrigue. Ihr erscheint Jeronimo einfach albern und sie behandelt ihn danach. Der unglückselige Jeronimo gelangt schließlich auf die fixe Idee, sich vor Wally's Augen das Leben zu nehmen. Er schießt sich vor ihrem Fenster todt, nachdem er den Sims erstiegen. Aus dieser Situation befreit sie Cäsar, der zur rechten Zeit kommt, nach ihr zu sehen. Auf ihren Wunsch entführt er sie nach Deutschland und bringt sie in ihre heimischen Verhältnisse zurück. Damit schließt das zweite Buch. Von einer Pflicht Cäsars, nun Wally zu heirathen, ist hier und auch später nicht die Rede.

Das dritte und letzte Buch (113 Seiten) besteht aus drei Theilen: Wally's Tagebuch, Cäsars Geständnisse über Religion und Christenthum und wenige Blätter, die Wally's Ende melden. Das Tagebuch beginnt mit der Versicherung, wie sie Cäsars Liebe beglücke. Doch bald gesteht sie, daß eine Freundin von ihr Cäsar mehr anziehe. Delphine ist Jüdin, aber frei erzogen. Sie besitzt die Bildung der Christen, ohne den Zwang der christlichen Dogmen. Glücklich sei Delphine zu nennen, denn niemals werde ihr die Religion irgend eine Aengstlichkeit machen. Für christliche Männer, welche widerspenstig gegen den Katechismus sind, müsse die Liebe einer Jüdin von besonderem Reize sein. Sie nähmen hier weder Bigotterie noch eine Zerrissenheit wie die ihrige in den Kauf. Bei Cäsar komme hinzu, daß er die Ehe nicht als kirchliche Institution gelten lassen wolle. Das Sakrament der Ehe sei nach seiner Theorie die Liebe, nicht des Priesters Segen. »Eine Ehe zwischen einer Jüdin und einem Christen kann zwar nicht bei uns, aber in andern Ländern geschlossen werden; es ist eine rein zivile Ehe vor den Gerichten, ein Akt der geselligen Uebereinkunft. Ich glaube fast, Cäsar könnte deshalb seine Neigung zu Delphinen ins Aeußerste treiben. Schon bemerk' ich, wie eifrig er sie sucht.« Sie verliert auch richtig Cäsar an Delphine. Der Zauber der Sigunenscene bewährt sich also nicht. Wally, von Cäsar zu skeptischer Spekulation erzogen, findet sich ohne ihn – allein, dem wachsenden Chaos ihrer Zweifel gegenüber. Es folgen nun Tagebuchblätter, welche ihre Lektüre reflektiren. Sie liest die Fragmente des Wolfenbüttler Ungenannten. Es jammert sie der »kindlichen märchenhaften Sage«, die der Autor mit so vieler Grausamkeit vernichtet. Sie kann den Spott geistreicher Denker über das Heilige nicht ertragen. Je mehr sie studirt, je mehr fühlt sie, daß sie nur glauben und nicht denken könne in göttlichen Dingen, daß sie Trost und Halt und nicht Erkenntniß suche. Sie schreibt an Cäsar, er solle ihr seine ernsthafte Meinung über Religion und Christenthum aufschreiben. Inzwischen liest sie »Rahel« – »Bettina« –, aber bei beiden findet sie nicht den Frieden der Seele. Ihr Zustand wird immer erregter, verzweifelter. Da erhält sie Cäsars Glaubensbekenntniß.

Diese »Geständnisse« sind mehr, als was Gutzkow später von ihnen gesagt hat: ein Auszug aus des Reimarus Fragmenten. Es sind in großen Zügen angestellte Betrachtungen über die Versuche der Menschheit, über die Gottheit ins Klare zu kommen: »Religion ist Verzweiflung am Weltzweck.« Kennten wir die großen Zwecke des Weltganzen mit all seinen Einzelentwickelungen, wir brauchten nicht das Surrogat einer Religion. Aus dieser Thatsache ergebe sich der natürliche Ursprung derselben, die Akkomodation der göttlichen Begriffe an den jedesmaligen Bildungsgrad, und zuletzt die Unmöglichkeit historischer Religionen bei steigender Aufklärung. Die Entstehung des Christenthums und die Darlegung des historischen Elements der Christuslegende klingt an den Geist der Wolfenbüttler Fragmente, auch an Strauß an; in dieser knappen Bestimmtheit fällt die Schärfe der Kritik noch mehr auf als dort. Jesus wird darin zwar der edelste Mensch der Geschichte, aber auch als ein Schwärmer bezeichnet, »der durch eine bedenkliche Verwirrung seiner Ideen auf den Glauben kam, er sei schon seinen Vorfahren als Befreier seiner Nation verkündigt worden.« Im weiteren Verlauf wachsen die Geständnisse aber aus zu einem Gegenstück von Heine's Buch über die protestantische Philosophie. Auch sie sprechen von Luthers, Kants, Schellings, Hegels Verdiensten und – Versäumnissen. Beachtenswerth ist besonders der Ausspruch, daß die deistische Philosophie des 18. Jahrhunderts darum ohne größere Wirkung blieb, weil sie bald zu frivol, bald zu witzig war. »Der unsittliche Reformator macht nirgends Glück. Der Witz ist einer so großartigen Institution, wie das Christenthum, gänzlich unangemessen.« Ueber Hegels Philosophie heißt es, daß sie sich auf den Geschichtsprozeß gründe und daher auch gut im Stande sei, das Christenthum als solchen aufzufassen: Hegels Maßstab sei aber überall die Vergangenheit. Der gesunde Theil der Menschheit werde auch das Christenthum der Vergangenheit überlassen. Unser Zeitalter sei politisch, aber nicht gottlos; was sich der politischen Befreiung entgegenstelle, werde von ihm bekämpft. Daher das Streben rechts und links, die Religion zu einer Sache der Politik, die politische Freiheit zu einer Religion zu machen. In letzterer Beziehung verweist er auf den St. Simonismus und Lamenais' »Worte eines Gläubigen«. Der erstere wolle den Staat von der Kirche, dieser die Kirche vom Staate befreien. Der St. Simonismus wolle das Christenthum beseitigen und durch neue Institutionen auf materieller Basis ersetzen, die Worte eines Gläubigen wiesen auf den demokratischen Ursprung des Christenthums zurück und verkündeten unverhohlen dessen republikanische Tendenz. Beide seien unklar, der eine zu philosophisch, der andere zu katholisch, beide aber seien Symptome idealer Bedürfnisse der modernen Menschheit. Das Weitere sei in die Hände die Zeitgenossen gegeben. Die Geständnisse schlossen mit folgendem prophetischen Ausklang: »Ich höre draußen simultanes Glockengeläut: katholische und protestantische Töne. Es ist Pfingsten, ein Fest, wo man zwar nicht mehr so plötzlich wie einst in Jerusalem, gut Englisch, Spanisch und Sanskrit lernt, was mir sehr lieb wäre: wo aber der heilige Geist auf alle Welt ausgegossen wurde. Wir leben in der Zeit des heiligen Geistes, von dem Christus selber sagt, daß er uns in alle Wahrheit führen und freimachen würde. So scheint es sogar jener Mann gewußt zu haben, daß die Geschichte immerdar ihre eigene Autorität bleibt, daß der Weltgeist rastlos wirkt und in uns schafft und die Wahrheit zuletzt nur der Gottesdienst im Tempel der Freiheit ist. Wir werden keinen neuen Himmel und keine neue Erde haben; aber die Brücke zwischen beiden, scheint es, muß von neuem gebaut werden.«

Für die Leserin dieser Geständnisse hat dieses simultane Glockengeläute keinen Klang und sie sieht nicht die neue Brücke zwischen Erde und Himmel, sie hört nur den Einsturz der alten. »Wally saß da, versteinert wie Niobe, der man das Liebste und Theuerste wegschießt. Sie flüsterte sich zu: Ich sterb' auch mit ihnen.« Immer fester wurde in ihr die Ueberzeugung, daß ohne Religion das Leben des Menschen elend sei. Sie hatte nichts in sich, nichts um sich, was sie zurückhielt. Die wenigen Blätter, aus denen uns Gutzkow ihren Entschluß, ihre Vorbereitungen zum Selbstmord und diesen selbst schildert, sind in poetischer Beziehung das Beste von den so ungleichen Bestandtheilen des Romans.

Derselbe schließt mit den Worten: »Sie wurde mit Gepränge bestattet. Die, welche am Grabe standen, beweinten nicht sie selbst, sondern nur ihre Jugend.« Wem fällt da nicht der Schluß von Werthers Leiden ein: »Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.« In seinem Nekrolog auf Ch. Stieglitz (Phönix, Literatur-Blatt Nr. 8, 25. Februar) hatte Gutzkow geschrieben: »Wer das Genie Goethe's besäße und es schon aushalten könnte, daß man von Nachahmung sprechen würde, könnte hier ein Seitenstück zum Werther geben. Denn es sind ganz moderne Kulturzustände, welche sich hier durchkreuzen, und doch ist der Grabeshügel, der aus ihnen hervorgeht, wieder so sehr Original, daß die Phantasie des Dichters nicht lebendiger befruchtet werden kann.« Den Roman »Charlotte Stieglitz« hat Gutzkow nicht geschrieben. Mundt bot dafür einen Ersatz in dem »Denkmal« Charlotte Stieglitz. Aber ein Seitenstück zum Werther glaubte er allerdings zu schaffen, als er aus den Gährungen seines Geistes und den Erlebnissen seines Gemüthes einen Roman zu gestalten begann. In seinen Phönixkritiken finden sich noch mehrfache Spuren, wie sehr ihn in jenem Sommer der Gedanke an Goethe's Frankfurter Jugendroman beschäftigt hat. Auch in technischer Beziehung finden sich Analogien, z. B. in der Ausnutzung der Episode. Aber der Vergleich hat im übrigen nur das niederschlagende Ergebniß, daß alles, was dem Werther den unsterblichen Reiz von ins Herz greifender Poesie verleiht, der Wally fehlt. Die Ursachen schilderten wir. Sie lagen zum Theil im Stoff, sie lagen in der Absichtlichkeit, im ungeschickten Aufbau, vor allem an der Verquickung poetischer Elemente mit rein didaktischen. Hier trug die Poesie nicht nur »die Blendlaterne des Ideenschmuggels«, hier schwang der radikale Aufklärungseifer des jungen Schwärmers flackernde Brandfackeln in das Helldunkel der Lebensschilderung. Unheilvoll hatte das Studium der »Lucinde« so kurz vor diesem dichterischen Versuche gewirkt. Und die Schlegel'sche Weise fiel dem jungen »Spekulativus« leichter als die Goethe'sche naiv-realistische Art. So wurde, was als Seitenstück zu Werther geplant war, ein Seitenstück zur Lucinde, von welcher Gutzkow selbst in der Vorrede zu Schleiermachers »Briefen« treffend gesagt hatte, daß sie nicht eigentlich ein Roman, sondern das »Programm zu einem Roman« sei.

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Und doch müssen wir den Aufwand von Geist, von Talent und Willenskraft bewundern, der dieser Arbeit zu Grunde liegt. Und doch spiegelt dieser beunruhigende Roman des Zweifels und voll Zweifel eine Einheit im Charakter seines Autors, dessen geistige Gährung typisch war für die geistige Gährung der Zeit. Wie in einem Rausch seines ganzen geistig-seelischen Wesens hatte er das Werk geschaffen, aus diesem war es schließlich in einem Gusse erflossen, das Gefühl, etwas ihm Ureigenthümliches und doch der Zeit Gemäßes literarisch gestaltet zu haben, durchzitterte ihn noch, als er kurz nach Beendigung der Arbeit – am 16. Juli – an Cotta schrieb: »Sie zürnen mir, der A. Zeitung wegen, wo ich nicht Alles einhalte, was ich versprochen habe. Aber Sie erinnern sich, daß wir nur ungefähre Maßstäbe festsetzen wollten. Ich habe mich durch einige Reisen erholt, habe in einer fieberhaften Aufregung von drei Wochen einen ganzen Roman geschrieben; jetzt bin ich wieder ruhig, objektiv besonnen und denke in solchen Stimmungen immer an die A. Zeitung. Gestern sandt' ich zwei Artikel ›Rhapsodien über England‹ nach Augsburg, denen alsbald unter gleichem Titel weitere Fortsetzungen folgen werden.« Etwas mehr als drei Wochen hatte er allerdings trotz der fieberhaften Hast, in die er gerathen war, zu der Arbeit gebraucht. Bei den Akten des Wally-Prozesses, die im Badischen Landesarchiv zu Karlsruhe lagern und mir von deren Direktor Herrn Geheimrath Fr. von Weech zur Benutzung anvertraut wurden, hat sich jener Brief Gutzkows an Löwenthal vom 5. Juni erhalten, in dem dieser davon spricht, daß er täglich an der Wally arbeite. In vierzehn Tagen hoffe er fertig zu sein, ein Drittel sei bereits fertig. Er arbeite con amore, und wisse, daß er etwas Hübsches liefere. Wenn Löwenthal das Buch durchaus haben wolle, so solle er veranlassen, daß es in Frankfurt unter Gutzkows Aufsicht gedruckt werden könne. »Ich möchte gern, daß Du nicht eine Zeile von dem Roman sähest, ehe er nicht im Druck fertig ist und sich Dir sauber zu Füßen legt!« »Die höchste Eleganz ist erforderlich … Versieh hierin um Gotteswillen nichts.« Es ist dies der Brief, von welchem Löwenthal in dem Verhör sagte, daß er ihn dem Staatsminister Winter eingereicht habe.

Derselbe enthält aber auch interessante Ergänzungen der wenigen Nachrichten, die uns den jetzt erfolgenden Zusammenschluß der »jungen Literatur« näher veranschaulichen. Wie Löwenthal, der später nach seinem Uebertritt zum Christenthum den Namen Löning annahm und als solcher dann in Frankfurt Begründer der Literarischen Anstalt (Löning und Rütten) wurde, in welcher die erste Ausgabe von Gutzkows Gesammelten Schriften erschien, noch kurz vor seinem Tod mir des Näheren erzählt hat, hatte er nach Erledigung seines Doktorexamens von den Seinen die Zustimmung erhalten, sich dem Verlagsbuchhandel im Sinne der neuen Richtung zu widmen. In verschiedenen Blättern hatte er darauf eine Aufforderung an die »Schriftsteller des jungen Deutschland« erlassen, sich mit Verlagsanträgen an ihn zu wenden. Gutzkow war ihm in allem Führer und Berather. Auf die Freundschaft mit diesem war sein ganzer Lebensplan gestellt. Als im August eine kleine Verstimmung eintrat, schrieb er an ihn: »Ich sage Dir nicht mehr, was ich für Dich innerlich fühle, daß mir Deine Freundschaft, Dein Wohlwollen unentbehrlich geworden ist, daß Du allein seit zwei Jahren der unwillkürliche Lenker und Leiter aller meiner Gedanken, meiner Gefühle, meiner Entschlüsse, meiner Handlungen warst.« Auf diese Zeit kühner Unternehmungslust zurückblickend, die ihm doch so verhängnißvoll ward, hatte er noch im Alter für seinen Führer und »Verführer« die wärmsten Worte aufrichtiger Bewunderung. Von all den jungen Autoren habe Gutzkow allein das Wesen einer genialen Persönlichkeit gehabt. Trotz aller geistigen Energie sei er im Umgang bescheiden, treuherzig, anspruchslos gewesen. Er war von innerster Natur geneigt zu freundschaftlicher Hingabe und konnte in Ernst und Scherz eine hinreißende Liebenswürdigkeit entfalten. Offen, natürlich, lebensfroh, durchaus nobel im geselligen Verkehr, freilich auch empfindlich und reizbar, im Affekt aufbrausend und unbesonnen. Ein guter Haushälter, nie Schulden machend, für die Seinen sorgend, bei guten Einnahmen stets bereit, vom Arbeitstag auch festliche Stunden zu pflücken. So schilderte ihn Löning aus der Erinnerung des Alters … Zu den Unternehmungen, die sofort geplant wurden, gehörte ein » Almanach« der jungen Literatur. Die Theilnahme für das traurige Geschick des auf das Weichbild von Naumburg gebannten Laube bestimmte sie, diesem die Herausgeberschaft zu überlassen. Laube, Kottenkamp, Beurmann, Schlesier, der inzwischen in einer Schrift »Goethe und die Weltliteratur« seine Ansichten niedergelegt hatte, Wienbarg, der als Redakteur der Literarischen Blätter der Hamburger Börsenhalle zu keiner Einigung über die Ziele mit dem Besitzer gelangt war und eben bei Campe seine »Wanderungen im Thierkreise« hatte erscheinen lassen, wie noch eine ganze Reihe anderer Autoren – auch Mundt – gliederten sich damals innig um Gutzkow. Bis auf Laube kamen die Erstgenannten nach Frankfurt, um hier als Schriftsteller der neuen Aera Stellung zu finden. Im Archiv der Cotta'schen Buchhandlung befinden sich Briefe, aus denen hervorgeht, daß Gutzkow damals Schlesier und Wienbarg für bestimmte Zwecke sehr warm an Cotta empfahl. Der Brief an Löwenthal vom 25. Juni eröffnet in das Treiben Einblick. Gutzkow verwendet sich darin für Kottenkamp, der ein sehr guter Uebersetzer sei und erwähnt Bauernfeld in Wien als Beisteurer zum Verlage. Weiter heißt es: »Deine Fragen beantworte ich folgendermaßen: Erstens, der Almanach bringe alles, was die Autoren geben wollen. Zweitens: Mitarbeiter seien: Laube, Pückler, ich, Lewald, Wienbarg, Schlesier, Julius Mosen, Louis Lax, Heine; Namen genug! Die Schwaben laß mir weg! Rückert aber fordere auf. Drittens, Honorar für die Mitarbeiter bestimmt sich nach dem Autor … bei 16 Seiten also 2, 3, 4 Louisdor je nachdem, … Laube soll mäßig sein und bedenken, daß Correktur &c. für ihn ganz wegfällt, und sich für seinen Namen mit 10 Friedrichsdor begnügen: für die Beyträge soll er mit 2½ Friedrichsdor zufrieden seyn, er, der die Ehre hat und für die Zukunft denken muß und mit dem Buchhändler Hand in Hand geht. Fünftens, das j((unge)) Deutschland schleppt aus Wi((e))n((barg))s Buch nach und ist unnütz.« Die von ihm veranlaßte Sammlung von Laube's besten Aufsätzen aus der Eleganten, die dann unter dem Titel »Moderne Charakteristiken« bei Löwenthal erschien, bewegt ihn zu folgender Bemerkung: »Moderne Schilderungen ist sehr trivial. Das Wort Modern sollte ganz fehlen: warum nicht Charakteristiken zur Geschichte und Literatur?« Laube ließ sich sein Lieblings-Schlagwort »Modern« freilich nicht nehmen, akzeptirte aber die »Charakteristiken«. In seinen »Erinnerungen« hat er hervorgehoben, daß diese substantivische Ableitung von »charakteristisch« von Gutzkow damals erfunden worden sei … So sorgte dieser für alle und alles. Daß er bedacht war, die Schlagworte der Andern nicht aufkommen zu lassen, ist allerdings nicht zu übersehen.

Denn er fühlte sich mit wachsendem Stolz als Führer der neuen Literaturströmung, deren Werden er immer vorausgesagt und die jetzt – allem Anschein nach zu Macht und Ansehen gelangte. Ob er nicht besondere Gründe hatte, sich auf einmal gegen den Gebrauch des Namens »Junges Deutschland« auszusprechen, vermögen wir nicht zu sagen. Im »Phönix« war der Name wiederholt gebraucht worden als Bezeichnung für »die neue literarische Schule, welche überall die Natur und Natürlichkeit fordert«, so in einer Berliner Correspondenz von M. (Mügge), in welcher weiter steht: die literarische Koterie Mundts, welche den »Zodiakus« herausgiebt, sei eine Annäherung an diese Richtung. Aber auch in anderen Blättern und im feindlichen Sinne war von dem »jungen Deutschland« die Rede und er, neben Heine und Börne, als »Führer« bezeichnet. Denn nicht ohne Folgen konnte eine Wirksamkeit bleiben, die jede Woche mindestens eine andere Persönlichkeit von Macht und Ansehen zum Kampfe herausforderte wider ein junges Geschlecht neuer Schriftsteller, für das er die Waffen führte. Er stand immer auf der Mensur, und ihn kümmerte wenig, wie die Wunden heilten, wenn nur die Hiebe saßen. Und viele der von ihm geschlagenen Wunden sind nie vernarbt. Bald sah er sich selbst von allen Seiten angegriffen. Die »schwäbische Dichterschule« ließ im Morgenblatt einen gewissen Friedr. Rohmer gegen die neue Richtung vorgehen. Victor Aimé Huber, der Rostocker Professor, setzte seine Polemik fort in einem eigenen Organ, den Mecklenburgischen Blättern (»Das junge Teutschland und das alte Mecklenburg«, »Kritik, Witz und Freiheit des jungen Teutschland«), in denen auch Lenau zum jungen Deutschland gerechnet wurde, in Hamburg wüthete unter dem Pseudonym G. Stephani ein gewisser Grabau, sowie Wienbargs Spezialgegner Wurm gegen die Neuerer, in Berlin fand das Anathema der Zionswächter vielfältiges Echo. Aber andererseits fehlte es auch nicht an jubelndem Zuruf, der ihn als Führer des jungen Deutschlands begrüßte. Als solcher hatte er Sauerländer zu dem Unternehmen einer Uebersetzung von Victor Hugos sämmtlichen Werken angeregt, für die er über den Führer der gleichzeitigen Literaturbewegung in Frankreich die Einleitung zu schreiben übernahm. Adrian, Laube, Kottenkamp u. A. wurden daran als Uebersetzer beschäftigt. Aus einem Brief Freiligraths an Gustav Schwab geht hervor, daß Gutzkow es war, der ihn als Verdeutscher der Lyrik Hugo's an Sauerländer empfahl; die ersten Resultate dieser für Freiligraths Entwickelung so bedeutsamen Aufgabe erschienen im zweiten Halbband des »Phönix«. Als Führer und Helfer der jungen Freiheitsdichtung hatte ihn schon Ende Februar ein bis dahin völlig unbekannter Dichter begrüßt, der Verfasser eines genialen Tragödienfragments » Dantons Tod«, dem ersten Versuch eines realistischen Geschichtsdramas aus dem Stoff der französischen Revolution. In der Sammlung »Götter, Helden und Don Quixote« (Hamburg, 1838) hat Gutzkow diesen Brief mitgetheilt. Büchner, tief verwickelt in die letzte deutsche demagogische Verschwörung, die dem Bundestag und Metternich zu trotzen wagte und in Hessen im Pfarrer Weidig von Butzbach ihren thatkräftigsten Führer besaß, hatte »Dantons Tod« in Darmstadt kurz vor der über ihn verhängten Verfolgung geschrieben, der er sich nach Annahme des Manuskripts für den »Phönix« durch die Flucht entzog. In diesem Briefwechsel berührte sich das politische junge Deutschland, von dem wir im nächsten Abschnitt zu sprechen haben, mit dem literarischen, das Gutzkow vertrat.

»Mein Herr!

Vielleicht hat es Ihnen die Beobachtung, vielleicht, im unglücklichsten Fall die eigene Erfahrung schon gesagt, daß es einen Grad von Elend giebt, welcher jede Rücksicht vergessen und jedes Gefühl verstummen macht. Es giebt zwar Leute, welche behaupten, man solle sich in einem solchen Falle lieber zur Welt hinaushungern, aber ich könnte die Widerlegung in einem seit kurzem erblindeten Hauptmann von der Gasse aufgreifen, welcher erklärt, er würde sich todtschießen, wenn er nicht gezwungen sei, seiner Familie durch sein Leben seine Besoldung zu erhalten. Das ist entsetzlich. Sie werden wohl einsehen, daß es ähnliche Verhältnisse geben kann, die Einen verhindern, seinen Leib zum Nothanker zu machen, um ihn von dem Wrack dieser Welt in das Wasser zu werfen, und werden sich also nicht wundern, wie ich Ihre Thüre aufreiße, in Ihr Zimmer trete, Ihnen ein Manuskript auf die Brust setze und ein Almosen abfordere. Ich bitte Sie nämlich das Manuskript so schnell wie möglich zu durchlesen, es, im Fall Ihnen Ihr Gewissen als Kritiker dies erlauben sollte, dem Herrn Sauerländer zu empfehlen und sogleich zu antworten.

Ueber das Werk selbst kann ich Ihnen nichts weiter sagen, als daß unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben. Ich sage dies, um Ihr Urtheil über den Verfasser, nicht über das Drama an und für sich, zu motiviren. Was ich daraus machen soll, weiß ich selbst nicht, nur das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber roth zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß, Shakespeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen.

Ich wiederhole meine Bitte um schnelle Antwort; im Falle eines günstigen Erfolgs können einige Zeilen von Ihrer Hand, wenn sie noch vor nächstem Mittwoch hier eintreffen, einen Unglücklichen vor einer sehr traurigen Lage bewahren.

Sollte Sie vielleicht der Ton dieses Briefes befremden, so bedenken Sie, daß es mir leichter fällt, in Lumpen zu betteln, als im Frack eine Supplik zu überreichen und fast leichter, die Pistole in der Hand: la bourse ou la vie! zu sagen, als mit bebenden Lippen ein: Gott lohn' es! zu flüstern.

G. Büchner

Georg Büchner, zwei Jahre jünger als Gutzkow, Sohn eines angesehenen Arztes in Darmstadt, von dessen Fürsorge er sich in Folge seiner politischen Umtriebe vorübergehend losgelöst hatte, bot in den dramatischen Fragmenten »Dantons Tod« eine Probe von so ausgesprochen genialer Begabung, wie sie seit Schillers Räubern kein junger deutscher Dramatiker hervorgebracht hatte. Gutzkow erkannte dies auf den ersten Blick, lud einige Freunde, darunter auch seinen Verleger Sauerländer zu sich und las ihnen die mächtigsten Scenen vor, welche die großen Führer und kleinen Intriguanten der französischen Revolution der Danton'schen Periode in der vollen Nacktheit ihrer Leidenschaften und Begierden darstellte, eine Sprache redend, deren Naturalismus von der Gewohnheit an die tägliche Blutarbeit der Guillotine und dem Mordbrennerton der Tribüne ihre grelle Farbe erhielt. Da war nichts beschönigt, aber um so ergreifender trat aus diesen grauenhaft wahren Scenen in Gefängniß und Straßen, vor Tribunal und Schaffot die Poesie der thatfrischen Begeisterung eines Danton, eines Desmoulins, die Freundschaft hochstrebender Idealisten, die Liebe kühner Freiheitsheldinnen hervor und die Poesie der Geschichte, welche der unterliegende Danton in dem Ausruf zusammenfaßt: »Ich bin nicht stolz auf meine Thaten. Das Schicksal führt uns die Arme, aber nur gewaltige Naturen sind seine Organe.« Trotz mancher Uebertriebenheiten einer jugendheißen Kraftgenialität, trotz der mangelhaften Architektur des scenischen Aufbaues, der man die Uebereile der Produktion anmerkte, war die Bewunderung vor dem jugendlichen Talent des Verfassers einmüthig. Auch heute hat noch dieses Urtheil Bestand; »seine Figuren sind alle lebensvoll, interessant und bedeutend … es ist alles individuelles, unmittelbar aus den Charakteren hervorquellendes Erlebniß« heißt es nach ähnlichen Einschränkungen in der Geschichte des neueren Dramas von Rob. Proelß. Nachdem Gutzkow sich bereit erklärt, daß Stück für den »Phönix« zensurmöglich zu machen, d. h. durch künstlerisch schonende Handhabung des Rothstifts der dreinfahrenden Scheere des Zensors zuvorzukommen, erklärte sich Sauerländer noch am selben Abend bereit, die Dichtung für den »Phönix« wie für seinen Buchverlag zu erwerben. In Nr. 73 (26. März) der Zeitschrift erschien der Anfang des bearbeiteten, vielfach gekürzten »Danton«. Der ächte Danton von Büchner ist nie erschienen. Karl Emil Franzos, der Biograph und Herausgeber der Gesammelten Werke des schon am 19. Februar 1837 verstorbenen Dichters, hat mit Recht bedauert, daß das Original-Manuskript damals verloren ging. Gutzkow hat sich aber in dieser Sache, indem er nach Möglichkeit den Dichter vor irgend einer Verzweiflungsthat, sein Werk aber möglicher Weise vor völligem Untergang schützte, als wahrer Retter bewährt. Noch war Büchner nicht im Besitz des Honorars von 100 Gulden, das ihm Sauerländer unter der angegebenen Adresse schickte, so eröffnete auch schon ein Steckbrief im Frankfurter Journal ihm und Gutzkow, daß dieses junge Genie nicht nur ein Dichter der Revolution sei, sondern ihr auch mit Leib und Seele sich verschworen habe. Er hatte seit Beginn der Untersuchungen gegen Weidig wegen der Verbreitung des revolutionären »Hessischen Volksboten«, den Büchner mit Schulz verfaßt, sich nur noch heimlich in Darmstadt aufgehalten und der Verhaftung noch in der letzten Stunde durch die Flucht entzogen. Er ging nach Straßburg, wo er schon früher studirt hatte. Der Steckbrief bezeichnete Büchner als »Student aus Gießen«. Das war Alles, was Gutzkow und Sauerländer über die politischen Umtriebe ihres neuen Mitarbeiters damals erfahren konnten. In Straßburg, wo Büchner eine Braut hatte, brachte er mit Eifer seine medizinischen Studien zum Abschluß. Für die Sauerländer'sche Hugo-Ausgabe übersetzte er die Marie Tudor und Lucrezia Borgia. Die Goethe-Erinnerungen Straßburgs, das Gedenken an jene klassische Sturm- und Drangperiode, der jetzt die politische gefolgt war, führten ihn zur Beschäftigung mit Lenz. Das Fragment einer Novelle, das er hinterließ, als er 1837 in Zürich einem Nervenfieber erlag, hatte den unglücklichen Jugendfreund Goethe's, dessen Drama »Sturm und Drang« der Genieperiode ihren Namen gegeben, zum Gegenstand In den »Errata« S. 804 heißt es zu dieser Stelle: »S. 587 Zeile 11 von oben ist Lenz mit Klinger verwechselt«. – Aus sachlichen Gründen muss daher dieses Erratum im vorliegenden Text stehen bleiben. – Anm.d.Hrsg.. Von Gutzkows Versuchen »die Gesellschaft mittels der Idee, von der gebildeten Klasse aus zu reformiren«, erwartete er nichts. Er glaubte nur an radikalere Mittel von unten auf, aber seine Erfahrungen hatten ihn auch hierin zur Resignation getrieben. Der Geist der Zeit sei allenthalben zu materiell. Kurz vor seinem Tode hatte er die Philosophie zu seiner Wissenschaft erhoben. »Büchner würde,« so schrieb Gutzkow nach demselben, »wie Schiller seine Dichterkraft durch die Philosophie geregelt und in der Philosophie mit der Freiheitsfackel des Dichters die dunkelsten Gedankenregionen gelichtet haben. Alle diese Hoffnungen knickte der Tod.« Daß Büchners »Danton« nicht ohne Einfluß aus Gutzkow als Dramatiker blieb, davon war dann, wenige Monate nach der Bekanntschaft, dessen »Hamlet in Wittenberg« ein Beweis. Die dramatische Prosa, die hier gesprochen wird, weist Nachklänge auf aus der Sprache des »Danton«.

Ein anderer junger, später berühmt gewordener Dichter, der damals noch unbekannt und nur im Vorhof der Poesie, der idealistischen Spekulation stehend, dennoch viel in sich hatte, was auf Gutzkow bleibenden Eindruck machte, war Berthold Auerbach, der in jenem Sommer sich in Heidelberg aus einem zweifelvollen Rabbinatskandidaten zu einem begeisterten Apostel des Pantheismus Spinoza's entwickelte. Von Mannheim aus, wo Gutzkow als Gast Löwenthals im April und Mai weilte, war er viel in Heidelberg. Hier dürfte das Manuskript, das Cäsars Geständnissen zu Grunde lag und auch sonst ein Theil der Wally entstanden sein. Von den Bekanntschaften, die er hier machte, trat ihm der jugendliche Dialektiker aus dem Schwarzwalddorf Nordstetten besonders nahe. Am 10. Juli schrieb dieser an seinen Vetter Jakob: »Gutzkow war mehrere Wochen hier, er ist mir Freund geworden.« Er erwähnt eines Artikels im »Phönix«, den dieser über jüdische Theologie geschrieben und der Ideen enthalte, die sie beide mit einander ausgetauscht hätten. Wir finden den Aufsatz in Nr. 22 des Literatur-Blattes. Er beschäftigt sich mit dem eben erschienen Probeheft einer wissenschaftlichen Zeitschrift für die jüdische Theologie und im allgemeinen mit der Frage, was von konservirenden Reformen des Judenthums zu erwarten sei. Er wendet sich gegen die jüdische Orthodoxie, die den frischen Emanzipationsbestrebungen eines Gabriel Rießer und seiner Gesinnungsgenossen fern bleibe. Wie die meisten dieser Phönix-Artikel Gutzkows schließt derselbe mit einer begeisterten Prophetie, die er bittet, »nicht dem Christen, sondern dem Denker anzurechnen«. Als Religion der Offenbarung sei das Judenthum ein morscher zerfallener Rest. »Das Judenthum war für ein Volk berechnet, das kein Volk mehr ist. Es war für ein Land, für einen Erdtheil berechnet, aus dem seine Bekenner herausgerissen sind. Das Judenthum hörte schon auf als es keine Opfer mehr bringen durfte.« Dagegen als Religion der Natur sei das Judenthum ein Glaube, der Verheißung habe. »Fixirt euer Judenthum nicht: laßt es krachen und brechen, laßt ihn auf dem Sinai, euren Rachegott, diesen anthropomorphistischen Jehova, dessen Namen ihr nicht aussprechen dürft, und bereitet euch vor, auf die große universelle Weltreligion, deren Taufe und Beschneidung im Handschlage liegen, deren Symbol aber lauten wird: Thuet recht und scheuet niemand!« Durch diese Prophetie tönt dasselbe simultane Pfingstgeläute, mit dessen Friedensgruß die »Geständnisse« in der Wally ausklingen, dort über die Grenzmauern schwingend, welche die christlichen Confessionen scheiden. Und wie dasselbe in dieser Richtung später von Gutzkow symphonische Ausgestaltung gefunden hat in dem Romane »Der Zauberer von Rom«, so schwillt der hier für das Judenthum angeschlagene Ton zum mächtigen Choral in dem Trauerspiel »Uriel Acosta« –

»In's Allgemeine möcht' ich gerne tauchen,
Und mit dem großen Strom des Lebens gehn!«

Dieser Sehnsuchtslaut des Acosta hat zusammengefaßt, was er damals schon fühlte als er mit Berthold Auerbach unter dem Epheu der Ruinen des Heidelberger Schlosses disputirte, mit einem jugendfrischen, für alles Große und Schöne begeisterten Juden, der mit funkelnden Augen und dunkelbraunem lockigen Haar, dieselbe Werde- und Freiheitslust kundthat, dasselbe Interesse für die Bildungsfragen der Zeit, für die höchsten Interessen der Nation hegte, wie er. Auch dieser ein früherer Burschenschafter, wofür er sogar auf den Hohenasperg gekommen war. Als Schriftsteller hatte er sich bisher nur durch eine populäre Darstellung des Lebens und der Werke Friedrichs des Großen bewährt, die er unter dem Namen Chauber für Scheible in Stuttgart schrieb, ging aber jetzt schon damit um, das Leben Spinoza's womöglich dichterisch zu gestalten.

Eine andere Heidelberger Bekanntschaft von viel gesetzterem, ruhigerem Wesen war ein junger Dozent der Philosophie, Karl Fortlage, der spätere Jenenser Psychologe. Daß auch er den Frühlingsglauben Gutzkows theilte, bestätigt ein Brief, der sich in dessen Nachlaß erhalten hat. Derselbe, Heidelberg, 23. Juni geschrieben, begleitete ein Exemplar seiner »Meditationen über Plato's Symposion«. »Schon einmal las ich von Ihnen die Aeußerung, daß ein gewisses gefühlloses Bramarbasiren gegen unterdrückte und niedergetretene Kräfte vorzüglich jetzt einer kräftigen Opposition bedürfe, wenn sich die Blüthen der Zukunft entwickeln sollen. Jene Rohheit lebt aber nicht bloß in den Erscheinungen, wo Sie dieselbe rügten, sondern sie ist es, welche an sehr vielen anderen Verhältnissen unseres Lebens die schon unter der Decke schlummernde Zukunft noch niederdrückt. Denn diese lebt in den keimenden und unterdrückten Kräften, und ihre Pflanzen trinken den Thau der Thränen und Verzweiflung. Ueber sie triumphirt der kalte Hohn, für welchen dasjenige nicht vorhanden ist, welches sich in ungünstiger Atmosphäre noch keinen Glanz zu verschaffen weiß. Glauben Sie mir, die von Ihnen im Maha Guru Th. 2 S. 164 ff. so trefflich geschilderten Menschen sind es, in welchen jetzt der Progreß der Zukunft liegt, und gerade derjenige, welchen Sie selbst erstreben, wie ich aus Allem, was ich von Ihnen kenne, schließen muß. Ein edleres Leben in Religion, Sitte und Wissenschaft bedarf fast nur der lauten Aussprache, daß es vorhanden sey, um vorhanden zu seyn. Ich weiß nicht, ob ich mir selbst einige Kräfte zur Herbeiführung eines besseren Zustandes zutrauen darf, denn ich habe meine Wohnung in den abstrakten Gegenden der Philosophie aufgeschlagen, und werde stets und unter allen Umständen in ihnen beharren, weil ich hierin meine Bestimmung erkenne. Die Metaphysik schärft den Blick gewöhnlich nicht für nahe Lebensverhältniße, sie schärft ihn aber oft für die Umfaßung des Fernen und Großen. Und ich kann mir, wenn auch gegen den Anschein des Augenblicks, nicht anders einbilden, als daß ich in meinen Meditationen einige Töne angegeben habe, welche an vielen Orten in der Stille mächtigen und wirksamen Anklang finden dürften. Und so wünsche ich, daß auch Sie meine Meditationen befreundet aufnehmen mögen, als die Stimme eines zwar nur abstrakten Theoretikers, welcher sich aber eben so tief in das allgemeine Schicksal des Jahrhunderts verflochten fühlt, als irgend Jemand.«

Daß auch in der katholischen Welt jene Bewegung in Gang war, aus welcher die freien Gemeinden hervorgingen, die im nächsten Jahrzehnt die »freie Glocke« des Schlesiers Johannes Ronge zusammenrief, dies vergegenwärtigte dem kühnen Streiter der gelegentliche Besuch von Heinrich König aus Hanau, dem Verfasser des Romans »Die hohe Braut«, den er schon im Jahre 1831 auf der ersten Reise nach Stuttgart kennen gelernt hatte, als ihm die Cholerasperre den Eintritt in Frankfurt verlegte. Seit der damals gerade vom Bischof von Fulda über den freisinnigen Dichter verhängten Exkommunikation, war er ein eifriger Vorkämpfer des politischen Fortschritts in Kurhessen, auch als Mitglied der ersten Kammer, geworden, welche zwei Mal aufgelöst wurde. Schweres Unheil hatte die kirchliche Verfolgung über ihn gebracht. König, armer Leute Kind, hatte früh geheirathet, als er noch Schreiber auf der Mairie seiner Vaterstadt Fulda war; die Bildung seiner Frau hatte sich seinem Bildungsdrange nicht gewachsen gezeigt. Ueber der Exkommunikation ihres Mannes und die diese begleitenden Lebensstürme war sie gemüthskrank geworden und hatte sich in einem Anfall von Wahnsinn das Leben genommen. Daß auch dies Schicksal sich in Gutzkow reflektirte, als er an der »Wally« schrieb, ist nicht zu übersehen. Jetzt war König mit einem neuen historischen Roman beschäftigt, der die Freiheitskämpfe der »Waldenser« zum Hintergrund hatte. Einem solchen Manne mußten die kecken Worte Gutzkows in der Vorrede zu den Lucindebriefen aus der Seele gesprochen sein. Seinen ersten Besuch bei dem jüngeren Genossen kündigte er diesem mit folgenden Worten an: »Ich weiß schon, daß Sie bei einem Friseur wohnen, was nicht alle Literaten zu wissen scheinen, weil so viele sich bemühen und abarbeiten, Ihnen – die Haare zu schneiden. Werfen Sie Ihnen ein für alle Mal den Puderbeutel an den Kopf oder ins Gesicht.«

So fand sich Gutzkow von vielen Seiten begrüßt und ermuntert als Wortführer der Freiheit und Aufklärung nach allen Richtungen des geistigen Lebens, und wenn er wie Hutten scharf und mit jugendlichem Ungestüm vorging in diesen Kämpfen und ein Heer von Feinden gegen sich ins Feld rief, so durfte er sich bis zum Erscheinen der Wally getrösten mit dessen Wahlspruch: »Viel Feind – viel Ehr!« Es konnte aber nicht fehlen, daß die subjektive Art, wie er das Literaturblatt des »Phönix« zu einem ausschließlichen Organ seiner Ansichten und Absichten machte und statt in ihm die Leistungen der Gegenwart objektiv zu besprechen, Maßstäbe an sie legte, die er seinen Hoffnungen und Wünschen auf die Zukunft entnahm, ihm von Vielen, die sonst ebenso liberal dachten wie er, verübelt wurde. Es konnte nicht fehlen, daß die Rückwirkung seiner Ausfälle gegen die Geistlichkeit ihm nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in seiner Stellung zum Sauerländer'schen Verlag schadete, dessen Besitzer ohnehin über die von Gutzkow unterstützte, von Löwenthal in Mannheim ihm bereitete Konkurrenz mißgestimmt wurde. Während an Gutzkow immer mehr Anforderungen herantraten, Platz für Beiträge seiner Freunde im »Phönix« zu machen, klagte Duller über diese Eingriffe und rieth dem ihm befreundeten Verleger, das Honorar für eine besondere Redaktion des literarischen Theils lieber ganz zu sparen und ihm reinen Tisch zu machen. Es kam denn auch vor dem Herbst noch dazu; die literarische Kritik wurde in das Hauptblatt verwiesen und bald konnte Duller sich des gefährlichen Rivalen entledigen. Daß Gutzkow sein Literaturblatt benutzt habe, für sich und seine Freunde Reklame zu machen und alle übrigen literarischen Bestrebungen niederzuschlagen, ist dagegen eine falsche Behauptung. Er war von einem so kritischen Wahrheitseifer erfüllt, daß er auch in den Besprechungen von Mundts »Madonna«, von Laube's »Liebesbriefen«, Fürst Pücklers »Semilassofahrten« bei aller fördernden Anerkennung den Tadel nicht unterdrückte, der sich ihm aufdrängte. Von seiner Polemik gegen Schwab und dessen Anhang wußte er den Ausdruck der Verehrung für Uhland zu trennen; sein Kampf gegen das selbstgenügsame Spiel der Romantik mit den Formen der Poesie ohne ideelle Zwecke hinderte ihn nicht, für Eichendorffs »Dichter und seine Gesellen« Sympathie auszudrücken. Ueber Wienbargs »Aesthetische Feldzüge« schrieb er gar nichts, dagegen empfahl er ihn, noch ehe er nach Frankfurt kam und eine Reise nach Belgien vorhatte, sehr warm an Cotta als Korrespondenten der Allgemeinen Zeitung. In der Stille bereitete er angesichts des Drängens nach Zusammenschluß der Genossen und im Gefühl der gewonnenen Macht auf eigene Hand eine neue Zeitschrift vor, der alte Plan eines Organs der jungen Literatur sollte nun endlich zur Ausführung kommen. Gelehrte und Dichter von freisinniger Richtung wurden zur Mitarbeit eingeladen; den »ästhetischen« Feldzeugmeister aus Kiel lud er ein, sich mit ihm in die Redaktionsgeschäfte zu theilen. Wie weit dabei der Zusammenschluß der Gleichgesinnten ging, läßt sich auch von uns nicht im Einzelnen nachweisen; alle Briefe, die Gutzkow, Wienbarg, Laube, Mundt u. A. in dieser Sache gewechselt, sind in der Zeit der Verfolgung konsfiscirt, verbrannt worden oder verloren gegangen. Nur im Nachlaß des unbetheiligten Kühne hat sich ein Zeugniß vorgefunden, ein Brief von Mundt, aus dem allerdings hervorgeht, daß in jenen Sommertagen ein viel innigerer Zusammenschluß geplant war, als später von den Betheiligten je zugegeben worden ist. Der Brief (ohne Datum) lautet: »Das junge Deutschland sammelt sich jetzt in Frankfurt a. M.! Auch Wienbarg ist dort und wird sein Domizil auf längere Zeit dort aufschlagen. Ich habe neulich wieder sehr dringende Mitteilungen vom jungen Deutschland gehabt, und will mit diesen Männern, die sehr lebhaft einen festen Bund wünschen, wenigstens einen Kongreß verabreden, auf dem man sich persönlich zu vereinigen und zu vermitteln suchen sollte! Gutzkow übernimmt mit dem nächsten Jahre wahrscheinlich den ganzen ›Phönix‹. Seine entsetzliche Taktlosigkeit, durch die er Einen kompromittiren kann, ehe man sich's versieht« (Gutzkow hatte, wie schon bemerkt, in der ›Wally‹ Wienbarg, Laube und Mundt als die Schriftsteller vom jungen Deutschland genannt, welche die Heldin bei der Morgentoilette liest), »mit der er es jedoch gar nicht so übel zu meinen scheint, ist das größte Hinderniß zu einer planmäßigen Verbindung. Man höre aber wenigstens, was werden kann und soll!«

Am 20. August fühlte sich Gutzkow mit seinen Vorbereitungen so weit, um sich nach einem Verleger für das Unternehmen umzusehen. Er schwankte noch, ob der alte Plan der Deutschen Revue oder der einer Literatur-Zeitung großen Stils für seinen Titel und Rahmen bestimmend werden sollte. Mit Löwenthal war er in ein gespanntes Verhältniß gerathen, weil dieser das Porträt einer jungen Mannheimerin, Delphine Ladenburg, in der Delphine des Romans (die spätere Ausgabe in den Gesammten Werken nennt sie Adolphine) zu ähnlich gefunden hatte und wohl auch von den »Geständnissen«, die das Buch zu seiner Ueberraschung enthielt, nicht erbaut war. Um so unbeirrter fühlte sich Gutzkow in dem Entschluß, zunächst den Versuch zu machen, Cotta zur Uebernahme des Unternehmens zu bestimmen. Im letzten Herbst bei den Verhandlungen in Stuttgart hatte dieser – wenn auch reservirt – sein Interesse für das Vorhaben bekundet, inzwischen auch seinem Wunsch erneuten Ausdruck gegeben, Gutzkows Kraft ganz für den eignen Verlag zu gewinnen.

Nunmehr schrieb er:

»Einen neuen Artikel von mir: ›England, Frankreich, Spanien‹ werden Sie vielleicht schon in diesen Tagen in der Allgemeinen Zeitung lesen, da er sich bereits seit einer Woche in Augsburg befindet.«

»Jetzt eine Eröffnung, auf welche ich um Ihre kurze und baldige Antwort bitte. Meine Verhältnisse am Phönix sind unerträglich. Ich allein habe durch meine Anstrengungen dieses Blatt einigermaßen in die Höhe gebracht; aber die fortwährenden Rechtsverwahrungen und Kautelen der Hauptredaktion verbittern mir den geringen Vortheil, den ich davon ziehe. Herr Duller, ein aus der Spindler'schen Schule hervorgegangener mittelalterlicher Novellist, ein Autor, der in der Literatur das ist, was die Kulissenreißer auf der Bühne sind, machinirt und intriguirt gegen mich auf eine Weise, die mich bewogen hat, dem Buchhändler Sauerländer seinen ganzen Kram aufzukündigen. Ich weiß, Herr Baron, Sie sahen diese Folgen einer falschen Stellung voraus: ich muß gestehen, daß sie trotz meiner eingebildeten Weisheit eingetroffen sind.

Vor 6 Monaten würd' ich mir aus einer literarischen Stellung nichts gemacht haben. Jetzt aber, wo ich die Erwartung einmal gespannt habe, wo auf meine Ausdauer etwas (das dem Interesse der Wahrheit anheimfällt) ankommt, muß ich Stand halten und darauf sehen, daß dies unter den günstigsten Nebenverhältnissen geschieht. Ich werde den Phönix aufgeben – und mir ein neues Terrain schaffen. Meine Verpflichtungen, die ich gegen Ihren Namen und noch mehr gegen Ihre Freundschaft und immer bewiesene Gefälligkeit habe, zwingen mich, Sie über meinen Entschluß auf fait zu setzen und Sie zu fragen, ob Sie mir die Hand bieten wollen?

Es handelt sich um eine Stuttgarter Literatur-Zeitung, die ich mit meinem Freunde Ludolf Wienbarg jedenfalls spätestens vom 1. Januar k. J. herausgebe, um ein Institut im großen Stil, das Aufsehen machen und sowohl die alten Universitäts-Lit.–Zeit., wie auch Brockhaus' Blätter, die Berliner Jahrbücher und die Münchner projektirte Zeitung unterdrücken muß. Was ich Ihnen in Betreff junger Gelehrter schon bei dem von Ihnen früher beabsichtigten Review sagte, bring' ich hier in Erfüllung. Von mir und Wienbarg, Schlesier und einigen Anderen geht die Tendenz und das System aus, von den engagirten Mitgliedern alles, was in Betreff der Fach- und Fakultätswissenschaften geleistet werden muß in einem solchen Institut. Nichts ist erwiesener, als die Collision mit dem Lit.-Blatt zum Morgenblatt. Das ist eine Sache, die wir nicht verschweigen und auf welche jede Handlung, die uns ihre Hand bietet, gefaßt sein muß,

Ich fordere Sie, verehrter Herr Baron, auf, unser Unternehmen in Verlag zu nehmen. Ich muß Ihnen die Priorität lassen; denn um jeden Preis möcht' ich unsre Verbindung befestigen und wie erwünscht wäre uns der Name Ihrer Handlung. Herr Buchhändler Hoffmann forderte mich kürzlich auf, ein ähnliches Unternehmen unter seinen Auspizien zu beginnen. Er wollte es im größten Stile beginnen und wandte sich direkt an mich, weil er mir die Ehre anthat, mich nächst Menzel für denjenigen zu halten, der einem Institute dieser Art Einigkeit und Farbe geben könne. Liesching projektirt längst eine kulturwissenschaftliche Zeitung. Kurz, ich zweifle nicht, bei der Stuttgarter Unternehmungslust und der Rivalität auf Ihren Namen Anklang zu finden. Nehmen Sie diese Sache in gefällige Erwägung, verehrter Herr Baron, und sei'n Sie versichert, daß ich nichts Besseres wünschen kann, als Sie dafür zu gewinnen.

Nur dies noch. Als ich Ihnen den Plan der Deutschen Revue, eines Blattes, das gewiß jetzt den muntersten Succes haben würde, machte, wandten Sie Ihre Institute ein. Aber, verehrter Herr Baron, Ihre Institute sind nichts Absolutes und verlangen, will man sie integriren, eine unendliche Vorsicht. Der Augsburger Zeitung z. B. kann ich nicht mehr bieten, als was sie von mir genommen hat: alles Weitere, und wenn es sich in den loyalsten Grenzen hielte, würde eine Reformation bedingen, die den Gesichtspunkt jenes Instituts vor Fürsten und Ministern verrückte. Das Ausland erfüllt seinen Zweck und das Morgenblatt ist mir verschlossen durch Menzel, neben dem es perfid wäre, sich oppositiv hinzustellen. Schaffen Sie die Stuttgarter Lit.-Zeit.! Bei der großen Wichtigkeit, die Stuttgart für den Buchhandel gewonnen hat, ist dies ein Plan, der nicht zeitgemäßer sein kann.

Ich bitte Sie umgehend um Ihren Entschluß. Selbst in dem mir unwillkommenen Falle, daß Sie zögerten, würd' ich mich auf die Post setzen, um das Weitere dieses Plans an Ort und Stelle zu betreiben. Wär' es mit Ihnen!«

Fest entschlossen, seinen Plan – so oder so – auszuführen, reiste er denn auch – ohne eine schriftliche Antwort abzuwarten, zwei Tage später nach Stuttgart.

Und am 26. Aug. schreibt er in Stuttgart, auf Grund der mündlichen Verhandlungen, in denen sich Cotta zwar entgegenkommend, aber doch sehr bedenklich und unschlüssig gezeigt, die Bitte um ein Ultimatum.

»Verehrter Herr Baron.

Ich muß Sie dringend bitten, ein aufrichtiges Ultimatum in unserer Verhandlung zu geben. Durch Ihre letzte Erklärung paralysiren Sie nur meinen Entschluß, den ich, einmal gefaßt, unmöglich wieder rückgängig machen kann, ohne meinen Ruf aufs Spiel zu setzen. Erinnern Sie sich gütigst der Verhandlung vor dreiviertel Jahren! Wie unzuverlässig erschien ich damals Herrn Liesching, dem ich etwas zugesagt hatte, was ich nachher zurücknahm, nicht um Ihnen einen Gefallen zu thun (so eitel bin ich nicht), sondern weil mir Bereitwilligkeiten von Ihrer Seite durch andere gar nicht können aufgewogen werden.

Ich habe zwei auswärtige Handlungen, die mir meine Idee ganz bestimmt realisiren, und drei hiesige, mit denen ich bei gewissen Accomodationen (und sollte es die des Honorars sein!) jedenfalls zu einem Ziele komme. Wenn ich nun entschiedene Schritte thue, nahe an einem Kontraktabschluß bin und würde dann durch Ihre etwaige plötzliche Bereitwilligkeit so umgestimmt, daß ich die in Frage stehende andere Firma wieder preisgäbe – so müßt' ich vor mir selbst erröthen – und würde sicher in so widerliche Debatten gerathen, wie ich sie einst mit Herrn Liesching hatte und in die ich jedenfalls noch einmal komme, wenn ich der A. Z. Säkularbilder schreibe.

Versetzen Sie sich doch in meine Lage! Ich möchte um keinen Preis gegen Ihr Interesse, wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen darf, verfahren, ich weiß, daß wenn Sie meine Idee verlegen, sie sich in dem mäßigsten und versöhnendsten Geleise halten würde, warum soll ich leugnen, daß ich Ihre Hand hier gern im Spiele sähe! Aber ich muß einen Entschluß fassen, ich habe Ihnen den Ihrigen heute um so Vieles erleichtert und weiß immer noch nicht, soll ich dort zuschlagen oder hier noch warten. Bringen Sie mich nicht in diese mißliche Lage und tragen Sie durch eine offene Erklärung dazu bei, mir von den hiesigen Verhältnissen keine so feindselige Meinung zu bilden, daß Sie fortwährend in mir nachhallte in Zukunft. Ich erinnere Sie an meine Konzessionen: 1) auswärtige Firma, 2) auswärtiger Druck, 3) Mäßigung in meinen Verhältnissen zu Menzel, 4) Aufforderung der hiesigen Notabilitäten, 5) selbst im Fall der Abweisung in Zukunft das Versprechen, Niemandem etwas nachzutragen und sogar gleich beim Beginn der Deutschen Revue durch einen coup de main mir Sympathie zu erwecken.

Was Sie sonst überlegen müssen, das kann Ihnen unmöglich Zeit rauben. Befreien Sie mich von dem Verdachte, als sollt' ich erst so weit vorgehen, als die äußerste Grenze ist, bis Sie sich erklären, und geben Sie mir noch heute Nachricht. Erhalt' ich sie nicht, so thu' ich die Schritte, welche mich zum Ziele führen und die ich nachher nicht wieder zurücksetzen kann. Ich wiederhole meine Bitte; halten Sie, soweit es geht, alles was bewegend und belebend auf die Literatur wirkt, in Ihrer Hand! Das wäre eine Maxime, deren Befolgung in unserm Falle niemanden mehr erfreuen könnte als

Ihren aufrichtig ergebenen
Gutzkow.«           

Was Cotta auf dieses dringende Ersuchen geantwortet, entzieht sich unserer Kenntniß. Feststellen konnten wir nur, daß am 6. September in der Allgemeinen Zeitung eine Frankfurter Correspondenz vom 2. September erschien, in der u. A. stand: »Aus Stuttgart erfährt man, daß Dr. Gutzkow von dort in den ersten Tagen wieder hierher zurückkehren werde, um mit dem bekannten Literaten Wienbarg und anderen Schriftstellern von hier auf eine in der J. G. Cotta'schen Verlagshandlung wöchentlich erscheinende neue literarische Zeitschrift, die »Deutsche Revue« zu redigiren.« Und weiter, daß dagegen acht Tage später in der Außerordentlichen Beilage der Allgemeinen Zeitung eine »Erklärung« der C. Löwenthal'schen Buchhandlung in Mannheim, vom 9. September erschien, »daß die ›Deutsche Revue, herausgegeben von Gutzkow und Wienbarg‹, zwar allerdings demnächst, aber nicht aus der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, sondern aus der Unterzeichneten ins Leben treten wird.«

Noch vor seiner Abreise nach Stuttgart hatte Gutzkow von Löwenthal einen von Freundschaft und Anhänglichkeit überströmenden Brief erhalten, in dem dieser ihn inständig bat: »wegen der Zeitschrift doch noch keinen entschiedenen Schritt zu thun. Wenn er doch mit Cotta abschließe, werde er wohl auch seine Interessen wahren.« Ich erwähnte bereits des Briefes und einer Stelle daraus. Wir entnehmen ihm (R. Fester hat ihn im Anhang seiner Schrift »Eine vergessene Geschichtsphilosophie« Hamburg 1890 ganz abgedruckt) noch folgende Sätze: »Dein Brief hat mich zu schmerzlich berührt, als daß ich durch die Erklärung darüber nicht gleich meinem Herzen Luft machen sollte. Ich sehe die Sache klar: Du denkst mir eine innerliche Geringschätzung, eine nur durch Spekulation gebotene Verehrung Deines Talentes, Deiner Richtung an; meine durch nüchterne Altklugheit und alltägliche Weisheit in Anspruch genommene Bewunderung Menzels hältst Du für den Grundtypus meiner Seele. Dein Mißverständniß thut mir weh; denn Du solltest mich soweit kennen, daß Liebe, Hingebung, Bewunderung bei mir eins und dasselbe ist. Und ist es nicht grausam von Dir, daß Du meine Liebe mit einer Aeußerung über Wally, die viel mehr dem Kopfe als dem Herzen angehörte (und wie darf das den Dichter kränken?) nach Einem Maßstabe missest? … Nimm diese Erklärung als die aufrichtigste, die ich je machte; und sie ist um so aufrichtiger, da gerade jetzt, wo sich Mißverständnisse zwischen uns zu drängen suchen, mein tiefstes Herz in Liebe zu Dir aufsprudelt, und ich mit voller Seele das Glück Deiner Freundschaft fühle. Ich weiß, daß ich jetzt schwärme; Du wirst auch lachen darüber, aber wenigstens ist meine Schwärmerei keine Illusion, und meine Liebe zu Dir eine tiefe Wahrheit … Also bis Montag sehen wir uns wieder? Komme aber gewiß … Und Menzel? – qu'est ce que m'importe? …«

Ja wohl! – Und Menzel?

*

An demselben Tage, da Löwenthals Erklärung in Augsburg eintraf, am 11. September erschien in Stuttgart in Menzels Literatur-Blatt der erste Artikel über oder vielmehr gegen Gutzkows »Wally, die Zweiflerin«, der sich zu einem maßlosen Ausfall gegen das »sogenannte junge Deutschland«, zu einem wilden Protest gegen dessen Unterfangen, eine Revue großen Stiles zu gründen, erweiterte. Wie ein Felsblock, der am Abgrund ins Rollen kommt und wuchtigen Falls zur Lawine anwächst, wirkte dieser Angriff.

Voll lauernden Grimmes hatte der ans Alleinregieren gewöhnte kritische Diktator der Restaurationsepoche das Treiben seines von ihm abgefallenen einstigen »Adjutanten« beobachtet, seitdem derselbe in das Lager der Laube'schen »Modernheit« übergegangen war. Laube war schon im Anfang seines Wirkens in der »Eleganten« als sein offener Gegner aufgetreten und was damals dieser junge Landsmann gegen ihn vorgebracht, tischte er ihm jetzt im 2. Bande der Charakteristiken von Neuem auf. Das Urtheil Laube's über Menzel entbehrte keineswegs einer gewissen Anerkennung, aber das Fazit seiner Antikritik war doch, daß er ins »Ausgedinghäusel« gehöre. Er rühmte ihm nach, daß er an die Stelle der Müllner'schen Willkür feste Kategorien ins Literaturblatt gebracht habe, in welchen Kategorien ein Quantum mystischer Theologie, kräftiger patriotischer Geschichte, lyrisch anfänglicher, phantastisch allegorischer Poesie seltsam durcheinander gemischt sei. Nach diesen Kategorien richte er alles, es mag gewachsen sein, woraus es will; der Patriotismus der Burschenschaft jener Tage, die im Turnen noch die höchste Bewähr deutscher Kraft sah, sei immer sein Maßstab geblieben. Je mehr sich die patriotische Jugend einer anderen Generation von jenem Maßstab der Körperkraft entfernt und der Entfaltung kühnen Geistesschwungs zugewandt habe, sei er in Anwendung des seinen ein Fanatiker geworden. »Ein Kritiker, dessen System keine Perspektive hat, kann für ein Land ein Unglück werden, wenn er sich Einfluß und Glaubwürdigkeit errungen, denn er erkennt kein Werden, keine Knospe, er zertritt die Zukunft. Ein Kritiker, der nicht spekulirt, ist ein Mensch, der nicht wächst, ein Kritiker ohne Schönheitssinn ist ein Karikaturenmaler … Menzel ist ein Patriot, aber kein Aesthetiker; auf die Aesthetik ist er gerathen, weil man eine Zeitlang auf nichts anderes gerathen konnte, wenn man laut sprechen wollte. Dahin gehört sein krasses Urtheil über Goethe, womit er unsre Jugend ansteckte … Aber dies Urtheil über Goethe, womit er uns ansteckte, wird leider Menzel ewig bleiben, es ist leider sein ganz und gar und ehrlich über und über, weil er für die ruhige Schönheit Goethe's nie einen glücklichen Blick, viel weniger ein stetiges Auge hat. Es ist in Menzel nur ein gewisses musikalisches Gefühl der Schönheit, daher seine Vorliebe für Tieck, Schiller, Jean Paul, daher seine Vorliebe für Romantik, wenn sie nicht duftig wird und wenn ihn seine Derbheit nicht in den Nacken schlägt, seine Vorliebe für Mystik, für die breit klingende Lyrik, für den Rhythmus der Sprache, für Rhetorik und was da hineinschlägt, z. B. die Allegorie … Einsam steht er mit altem rostigem, schartigem Schwert an der Heerstraße und schlägt nieder, was ihm nicht gefällt vom vorübergehenden Gesindel, gegen die Höhen aber, wo die früheren Kameraden fürbaß eilen, stößt er donnernde Flüche aus, um so heftigere Flüche, je mehr er alte geliebte Waffen und alte geschmähte Waffen an ihrem Leibe sieht.«

Wenn in etwas, so waren Die vom jungen Deutschland einig in der Ueberzeugung, daß der fanatische Mann, der da unter dem Patronat Cotta's Lorbeerkränze, zuckende Blitze, und Blumenkörbe vertheilte (derartige Vignetten gab er ja den Nummern seines Blattes je nach dem Charakter der Hauptkritik) dem Auskommen ihrer spekulativ-realistischen Richtung ein Haupthinderniß sei. Auch Gutzkow konnte sich der Ansicht nicht verschließen, so schwer es ihm ankam, gegen Den als Opponent aufzustehen, der ihn theilnehmend und fördernd ins literarische Leben eingeführt. Als er in Nummer 11 seines »Phönix«-Literaturblattes ein neues Buch Menzels » Der Geist der Geschichte« (Stuttgart, Liesching) zum Gegenstand der Hauptbesprechung gemacht, hatte er die Gelegenheit wahrgenommen, dieser Regung der Dankbarkeit genug zu thun, ohne doch seinen gegen früher gereiften Standpunkt zu verleugnen. In glücklicher Parallele der deutschen Restauration bis 1830 mit der Encyklopädisten-Bewegung in Frankreich vor 1789 rühmte er hier die Verdienste Menzels und Börne's im Sinne des ersten Theils seines Programms in der 1. Nummer des Blattes. Aber er schließt die Betrachtung mit dem Hinweis auf Menzels verhängnißvolle Neigung, in der Ideenbewegung der eigenen Zeit nichts als die Keime eines entsetzlichen Weltuntergangs zu sehen. »Menzel sieht nichts als Blut in der Zukunft, Menschen, welche wie losgelassene Bestien sich zerfleischen, Krieg und immer Krieg, und er lächelt darüber, wenn unser humaner Glaube eine friedliche Beilegung der großen Weltfrage ahnt … Man sollte keinen ›Geist der Geschichte‹ schreiben, ohne nicht auch statt immer von Rassen, Völkerunterschieden, von Geologie und Reisebeschreibungen zu reden, einmal auf die Frage der Ideen zu kommen und zu untersuchen, ob die Geschichte denn in der That kein neues Problem, das die alte nicht hatte, entdeckt hat, nämlich das Problem der Humanität. Liegt in dieser Idee nichts, was zähmt, und Tiger zu Menschen macht? Ist alles Frage der Existenz, der Farbe und der Erdrevolution? Ist, wenn die Herrschaft der Ideen eine Täuschung ist, dennoch ihre Proklamation nicht ebenso gerechtfertigt als die apokalyptischen Kombinationen, in welchen sich Menzel gefällt? Nein, man zeige den Zeitgenossen die Zukunft lachend und voller Ersatz für die Mühe des Augenblicks! Wer wird noch die Tyrannei hassen und die Freiheit lieben, wenn unsre Enkel nichts von uns erben sollten, als eine Zeit, die ewig blutet?« … Eine neue Ausgabe von Menzels »Geschichte der Deutschen« gab ihm dann am 30. April Anlaß zu einer tiefer greifenden Auseinandersetzung mit dem einstigen Lehrer. » Menzel und der Tiersparti« hieß dieser Artikel. Er enthält die Anklage, daß Menzel das Geniale, das Auftreten neuer Ideen zu Gunsten der Philistermoral und des Philistergeschmacks bekämpfe. Sein einst ursprünglicher Patriotismus sei jetzt nur ein Parademantel, um den deutschen Philister, den er früher bekämpft, zu girren. Er weist dies an Einzelheiten nach: an seiner Kritik des Werther, den er einen »niederträchtigen Menschen« genannt hat, an seinem Urtheil über Amerika, das er verketzert. Der Widerspruch dieses Standpunkts und seines traditionellen Liberalismus löse sich leicht. »Die Poesie ist ihm ein Sonntagskleid, ein Bratenrock, Zukost zum Schwarzbrot des Lebens. Bei uns aber läuft sie nicht so nebenbei. Sie ist unser Leben, was man auch nennen kann, unser Tod. Wir emanzipiren uns von der Sitte und Tradition und schaffen uns neu aus unserem Herzblut heraus. Wir haben keine Schule und kein Vorbild; aber wir wissen, daß das, was wir ausathmen, Poesie ist. Hier noch Zerrissenheit, dort schon Keime der Objektivität. Nach dieser Theorie, der Theorie der Natur, braucht Amerika keine Gedichte zu haben und kann doch poetisch sein. Und so ist es zuletzt gekommen, daß wir Goethe und die Freiheit mit einem und demselben Herzen lieben.«

Keines dieser Worte war Menzel entgangen, aber er hatte dieselben mit Schweigen beantwortet, nur indirekt gegen die Verwälschung und Verhegelung der deutschen Literatur geeifert. Von Heine's Versuchen auf dem Gebiet der philosophischen Aufklärung hatte er nichts wissen mögen, dagegen ihn auf das durch die Memoiren des Herrn von Schnapelewopski bereicherte Gebiet als die eigentliche Domäne seines Talents verwiesen. Es ist kein Zweifel, daß die Richtung, welche Laube, Mundt, Wienbarg, Gutzkow verfolgten, ihm, dem behaglichen Familienvater, dessen Hauptumgang jetzt Geistliche bildeten, an sich schon im höchsten Grade unsympathisch war. Es ist auch nicht zu verkennen, daß das Sturmlaufen gegen ihn, wenn die »junge Literatur« bei Cotta noch zu größerem Einfluß gelangte, ihn direkt schädigen mußte, daß die Verwirklichung des Gutzkow'schen Planes in Stuttgart, wäre sie erreicht worden, einen Sturz seiner Position bedeutet hätte. Nur diese Ueberlegung, aber auch nur diese, kann die Maßlosigkeit des Angriffs einigermaßen rechtfertigen, zu dem er jetzt überging, als gerade im letzten Moment das Erscheinen von Gutzkows »Wally« ihm einen Vorwand bot für einen Vernichtungskampf gegen die andrängenden Rivalen eines jüngeren Geschlechts, in dem er seine Hauptkraft, das Pathos sittlicher Entrüstung, mit dem Schein vollster Berechtigung ins Feld führen konnte. Wie sehr aber an dieser Entrüstung persönlicher Groll, leidenschaftliche Vernichtungswuth und wieder kluge Berechnung in Verwerthung seiner Trümpfe betheiligt waren, das beweisen mehr als die Uebertreibungen nach Inhalt und Ausdruck die vielen Behauptungen des Gegentheils der ihm bekannten Wahrheit, das beweist vor allem das wiederholte Ueberspringen auf das Projekt der »Deutschen Revue« mitten im Kampf gegen die Tendenzen der »Wally«.

Zwei ganze Nummern (93 und 94 vom 11. und 14. September) brauchte Menzel um unter dem Zeichen des finsterem Gewölk entzuckenden Blitzes seinen Zorn auszutoben. Der Artikel gab sich als gewöhnliche Buchbesprechung, hatte den Titel des Gutzkow'schen Buches zur Ueberschrift, aber als Gruppenbezeichnung flammten darüber die Worte: »Unmoralische Literatur«.

Die Methode, welche er einschlug, war die allerpersönlichste. Er rühmte sich erst seiner Verdienste um Gutzkow, um diesen dann des schnödesten Undanks zu zeihen. Wir wissen, daß die Verdienste darin bestanden, daß er Gutzkows dargebotene Hülfe, als er sie brauchte, zeitweilig annahm, und ihm dafür den Verdienst von 30 fl. den Monat zuwies. Er rühmte sich ferner, dem jungen Mann, dessen Talent er auch heute nicht verkenne, auf der Bahn der Tugend und Ehre ein Muster gewesen zu sein. Als dann der Geist der Unsauberkeit sich in ihm zu regen begonnen, habe er ihn von seiner Schwelle gejagt. Seitdem seine Kritik selbständig sei, wäre ihre Seele die Mocquerie; der Berliner Gassenjunge sei wieder auferstanden. Nie habe er sich in einen Prinzipienstreit eingelassen, immer nur boshafte Anmerkungen über Persönlichkeiten gemacht. So habe er sich auch an ihm seit Jahresfrist gerieben – ohne irgend eine Begründung des Angriffs. – Von all diesen Behauptungen beweist jede Nummer des Literaturblattes zum »Phönix« das Gegentheil. Das Wesen der hier angewandten Reform-Kritik bestand ja gerade darin, daß von Ideen und Prinzipien immer die Rede war, wo auch die objektive Kritik sich an die Beschreibung der Bücher und Charakteristik ihrer Verfasser gehalten haben würde. Und Menzel ist in ihr nur mit Anwendung des Fortschritts-Prinzips auf sein Thun und mit Begründung des sich ergebenden Urtheils bekämpft worden. Nach dieser Einleitung, die den Gegner recht klein zu machen und die eigne Größe ins rechte Licht zu setzen suchte, holte er plötzlich gegen ihn aus, als gölte es, den Gottseibeiuns selbst mit dem Richtschwert zu treffen. Bisher habe er den »von der Natur gezeichneten Schwächling« aus Verachtung und Mitleid ignorirt. »Jetzt aber, da Herr Gutzkow es unternommen hat, an der Spitze eines sogenannten jungen Deutschland unsere bisherige Sitte und Denkart zu reformiren, muß ich doch sehen, was hinter dem Ofen vorgeht und ob denn der Pudel wirklich zum höllischen Rhinozeros geworden ist. Ich finde da einen Roman des Herrn G., der in der That von Frechheit und Immoralität schwarz angeschwollen ist und muß nun meines Amtes warten. So lange ich lebe, werden Schändlichkeiten dieser Art nicht ungestraft die deutsche Literatur entweihen.« Eine galoppirende Ruhmsucht lasse Gutzkow nach dem Lorbeer des Casanova geizen. Er habe jedoch die Spekulation mit der Unzucht auf das höhere philosophische Gebiet der Gotteslästerung gehoben, »Der Verfasser glaubt nicht pikant genug sein zu können und entblößt seine Geliebte gleichsam aus offner Straße, um sich bemerklich zu machen. Die gute Person muß sich schämen, sich geschämt zu haben, und das ist die witzige Pointe.« Doch noch ehe er nun auch der Gotteslästerungen des Buchs gedenkt, springt er über auf das, was ihn vor allem erregt, daß sich dieser Schriftsteller anmaße, sich als Haupt eines sogenannten jungen Deutschlands aufzustellen, das dem alten feindlich gegenüber trete. Das junge Deutschland, dessen Führung sich Gutzkow anmaße, bestehe aber nur aus »Huren und Buben«, sei die verspätete Nachgeburt der alten verdorbenen Zeit, Auswurf der Nation, nicht Repräsentant einer neuen besseren Zeit. Deutsche Jugend und frischer Geist gehe diesen Gotteslästerern und Nuditätenmalern ab; sie seien von französischer Krankheit angesteckt; »krank, entnervt und dennoch jung, wankt es aus dem Bordell heraus, worin es seinen neuen Gottesdienst gefeiert hat.« Diese edlen Jünglinge seien alle klein, schwächlich, von eckigem Benehmen und so vollkommen unliebenswürdig, daß es nicht erst ihres literarischen Schmutzes bedürfte, um sie dem schönen Geschlecht widerlich zu machen. Mit einem gewissen Behagen verweilt er bei der Ausmalung dieser Schwächlichkeit, »mark- und wadenlos« wie sie sei. Er sei nicht prüde und kein Pedant. Er werde nie einem Rabelais und Juvenal ihre Zoten vorwerfen. Aber etwas anders sei es mit der unzüchtigen Poesie, welche aus dem, was ein gemeines Laster ist, eine vornehme Tugend machen will, welche das Schamgefühl als Schwäche erkläre und den Salon wie den Tempel zum Bordell mache. – Dies letztere Wort kann Menzel in diesen unfläthigen Schimpfereien überhaupt nicht oft genug anwenden, obgleich die Abälardphantasie der Sigunenscene, das einzige Objekt dieser Angriffe in der ganzen »Wally«, sich gerade als Gegensatz giebt von jeder Art geschlechtlicher Ausschweifung, und wohl als Geschmacksverirrung aber nicht als Verirrung des Lasters getadelt werden kann. – Unzucht und Gotteslästerung stünden freilich in uraltem Bunde, schon im Alten Testament. Viele unzüchtige Schriften des vorigen Jahrhunderts, besonders in Frankreich, machten sich durch einen glühenden Haß gegen das Christenthum bemerklich. Doch unserer Zeit und unserm Vaterlande sei es vorbehalten gewesen, die Sache noch weiter zu treiben, und an Stelle des Hasses, sogar Verachtung und vornehme Geringschätzung, ein süffisantes Mitleiden zu setzen. Auf S. 271 sei Jesus der uneheliche Sohn eines Zimmermanns &c. genannt. Doch auch dies sei nur »potenzirte Nachahmung der neufranzösischen Frechheit.« Ohne den Roman irgendwie sachlich zu besprechen, greift er über auf das »Libell gegen Schleiermacher«, wo auch schon stehe, es wäre besser, wenn die Welt nie etwas von Gott gewußt hätte. (Gutzkow hatte dort, wie sich der Leser erinnert, gesagt: hätte die Welt nicht von Gott gewußt, sie würde glücklicher sein.) Dieser Satz entlockt Menzel den Weheruf: »Nur im tiefsten Kothe der Entsittlichung, nur im Bordell, werden solche Gesinnungen geboren.« Sie stammten aus dem Palais Royal, von dort brachte sie Voltaire unter die Leute. »Herr Gutzkow hat es über sich genommen, diese französische Affenschande, die im Arme von Metzen Gott lästert, aufs neue nach Deutschland überzupflanzen, in einem Zeitalter, das Gott sei Dank gereifter und männlicher ist als das Jahrhundert Voltaire's. Damals schon scheiterte das Laster am Sinn unsres Volks; jetzt wird es um so weniger durchdringen. Die Literatur wird es ausstoßen, die öffentliche Meinung wird es brandmarken.«

Und nun warnt er Deutschland vor dem Unternehmen, das vom Jungen Deutschland zur Verbreitung seiner verruchten Tendenzen im Schilde geführt werde. Herr Gutzkow drohe mit einer neuen literarischen Revue im großen Stil, mit einem mächtigen Organ des »sogenannten jungen Deutschland«, das große Wunder wirken und alles umgestalten soll im alten Deutschland. »Aber ich will meinen Fuß hineinsetzen in Euren Schlamm, wohl wissend, daß ich mich besudle. Ich will den Kopf der Schlange zertreten, die im Miste der Wollust sich wärmt.« Und nun folgt eine tendenziös entstellende Schilderung von Gutzkows kritischer Thätigkeit am »Phönix«. Ihm sei es stets nur darauf angekommen, ein Chaos der Meinungen herzustellen, um in dieser allgemeinen Anarchie der Geister den Thron seiner gottlosen Unzucht aufzuschlagen. Er geht dann geradezu über zu den Zeitungsstimmen, die in der letzten Woche für Gutzkow Reklame gemacht hätten, um die Stuttgarter Verleger zu Gunsten der neuen Zeitschrift zu beeinflussen. »Wenn man eine solche Schule der frechsten Unsittlichkeit und raffinirtesten Lüge in Deutschland aufkommen lassen wollte, wenn sich alle Edeln der Nation nicht dagegen erklärten, wenn sich deutsche Verleger nicht vorsähen, solches Gift dem Publikum feil zu bieten und anzupreisen, so würden wir bald schöne Früchte erleben. Aber diese Schule wird nicht aufkommen!« – Er schließt mit einer düsteren Prophetie aus dem Mund eines der echten Propheten des alten Testaments, in welcher besonders die folgenden Sätze auf Gutzkow und das verruchte junge Deutschland gemünzt waren: »Und der Herr wird seine Stimme erschallen lassen und sagen: ›Du hast eine Hurerstirn und willst dich nicht mehr schämen … Siehe, ihr seid aus Nichts und euer Thun ist auch aus Nichts und euer Wühlen ist ein Greuel … Ich will ihnen wehe thun, daß sie sollen zu Schanden werden, zum Sprichwort, zur Fabel, zum Fluch, zum Fluch an allen Orten!‹«

Diese unerhörte Kritik erregte allenthalben in Deutschland unerhörtes Aufsehen. Und eine Weile schien es, als solle es Menzel in der That gelingen, seine Feinde »zu Schanden zu machen, zum Sprichwort, zur Fabel, zum Fluch …«

Die erste Wirkung war eine Herausforderung, die der so niederträchtig beleidigte Gutzkow durch Wienbarg an Menzel gelangen ließ. Wienbarg und Beurmann bestimmten als Sekundanten ein Wäldchen bei Heilbronn als Ort für den Zweikampf; der in Sachsenhausen kommandirende Oberst der Oesterreicher, Freiherr von Cuddenhove, lieh die Pistolen. Da kam aber von Stuttgart die Antwort: »Nicht hinter Hecken und Zäunen erwarte ich meine Gegner, sondern aus dem offenen Felde der Literatur.« Wienbarg schrieb lakonisch an Menzel zurück – ein alter Burschenschafter dem andern – »Pfui Menzel«. Ein Duell, wäre der Ausgang, wie er wolle, gewesen, hätte freilich das Recht und die Ehre des Angegriffenen in nichts gefördert. So blieb zunächst der Strauß auf das Feld der Literatur beschränkt. »Erklärungen«, »Abfertigungen« und Streitschriften wurden – Hieb auf Hieb – gewechselt; leider mit ungleichen Waffen. Bereits am 19. September erschien in der »Allgemeinen Zeitung« (ao. Beil.) eine »Erklärung gegen Dr. Menzel in Stuttgart« von Gutzkow, deren Aufnahme Cotta selbst, auf des so schwer angegriffenen Mitarbeiters Ersuchen, veranlaßt hatte. Georg von Cotta befand sich damals gerade in Frankfurt in Familienangelegenheiten; in früherer Zeit, da er selbst der württembergischen Bundestagsgesandtschaft attachirt war, hatte er sich mit der Tochter eines der wenigen altfrankfurter Adelsgeschlechter, des Freiherrn von Adlerflycht, verheirathet und schwere Krankheit seines Schwiegervaters hatte ihn hergerufen. Er fand sich selbst durch Menzel in die größte Verlegenheit gesetzt, ja vielleicht hatte dessen Vorgehen auch eine Spitze gegen ihn; er stellte daher Gutzkow nichts in den Weg, sich der »Allgemeinen Zeitung« für seine Vertheidigung zu bedienen. Kolb selbst und seine Kollegen wollten schon längst nichts mehr von Menzel wissen. Aber da es Gutzkow verschmähte und seiner ganzen Art nach auch nicht vermochte, Menzel in dem von ihm ergriffenen Ton unfläthiger Verlästerung zu antworten, da er sich auch beengt fühlte durch die Erinnerung an die Gastfreundschaft, die er einst bei Menzel und seiner Gattin genossen, so beschränkte er sich auf eine Zusammenfassung der Gründe, die ihn zum Gegner Menzels gemacht, und der Prinzipien seines eigenen literarischen Standpunkts, und damit brachte er wohl einige ernst Theilnehmende, aber nicht die große Menge auf seine Seite, der Menzel durch die saftigen Derbheiten seiner Tugendpredigt ein so sensationell-pikantes Amüsement geboten. Eine Vertheidigung seiner »Wally« hielt Gutzkow gar nicht für nöthig; er begnügte sich am Schlusse zu sagen: wenn er sich vielleicht im Eifer für die sozialen Fragen der Zeit zu weit herausgewagt habe, so dürfe ihn der Stolz trösten, von einem zwingenden Wahrheitsdrange dazu getrieben worden zu sein. Als aber Menzel mit einer »zweiten Abfertigung« hervortrat, die ein Siegesgeschrei darüber anstimmte, daß »der Ausbruch einer moralischen Cholera, mit dem ihm sein Gegner die Fußzehen besudelt«, nur beweise, wie »sehr, sehr betroffen er sich fühlt«, und daß er »seine schlechte Sache so verloren« gebe, daß er sie gar nicht zu vertheidigen wage, widmete Gutzkow seiner Vertheidigung eine besondere Streitschrift: » Vertheidigung gegen Menzel und Berichtigung einiger Urtheile im Publikum«, der Wienbarg äußerst kräftig in einer anderen Broschüre sekundirte: » Menzel und die junge Literatur«. Beide Hefte erschienen am 6. Oktober in Löwenthals Verlag und beide athmeten den frischen Geist, den das Bewußtsein verleiht, für eine gute Sache zu fechten. Wienbarg schmetterte mit burschikosem Behagen wuchtige Hiebe auf das Haupt des Gegners, »damit die Maske sittlicher Entrüstung mit dem angeleimten Prophetenbart am Kinn vor aller Welt herunterfalle«. Gutzkow vertheidigte sich mit ehrlichem Pathos, aber mehr tapfer, als klug, gerade die Stellen hervorhebend, von denen er zugab, daß sie im Ausdruck zu beanstanden seien. Er vertheidigte die Sigunenscene aus ästhetischen Gründen, seine Freigeistereien über die Ehe aus sozialethischen Gründen, er verwies zur Rechtfertigung seines Klagerufs, daß ohne Religion die Menschheit wohl glücklicher geworden wäre, auf den Fluch des Aberglaubens, den Fanatismus der Inquisition, die Schrecken der Religionskriege. Er habe zu eifrig im Rousseau gelesen, um sich in dem Glauben irre machen zu lassen, daß neue Gefühle und neue Erkenntnisse neue Institutionen fordern, wenn sie auch einstweilen unausführbar erscheinen. Und voll froher Hoffnung schloß er mit den Worten: »Von allen Seiten wird mir die Kunde, daß man sich wider Menzel wie gegen Geßler empöre. Jeder Brief, den ich erhalte, ist ein Feuerzeichen, von einem Berg zum andern getragen … Es ist der Geist des todten Goethe, der in uns gefahren ist und von dem Schänder seiner Leiche Rache heischt. Wir ahnen es, daß der jetzt beginnende Kampf für die Literatur eine Epoche wird.«

Und so von Menzels Drohungen und Beschwörungen keineswegs entmuthigt, ließen sie die Ankündigung der Deutschen Revue voll Siegeszuversicht hinausgehen in die Welt. Die Aufnahme, die sie zunächst bei Denen fand, die zur Mitarbeiterschaft geworben wurden, durfte ihnen ein Trost sein. In Nr. 431 der Beilage zur »Allgemeinen Zeitung« konnten Wienbarg und Gutzkow den wiederholten Angriffen Menzels gegen den bloßen Plan der Deutschen Revue erklären, daß die empfangene Zusage der Herren Börne, Heine, Laube, Mundt, Veit, Varnhagen von Ense, Grabbe, Spazier, König, Kottenkamp, Lewald, Kolloff, Zimmermann, Beurmann, G. Büchner und W. Schulz, von Universitäts-Professoren wie Gans, Hotho, Schwenck, Ulrici, Rosenkranz, Fortlage, Bobrik, Trendelenburg Herrn Menzel eine Vorstellung von dem Erfolg machen könnten, den sie trotz seiner Angriffe in der öffentlichen Meinung gewinnen werden.

Das Programm der Deutschen Revue lautete:

»Der Augenblick ist erschienen, wo die deutsche Literatur sich aus den jüngsten Umwälzungen, die sie erlebt hat, in eine freie unabhängige, nur von Minerven und den Musen beherrschte Region entwickeln will. Die kritischen Kämpfe einerseits, andererseits eine frühzeitige Anwendung ihrer neuen Prinzipien auf widerstrebende Thatsachen unserer gesellschaftlichen Bildung verhinderten bisher die Kette der Literatur, sich in allen ihren Ringen zu gliedern, und eine mit Gewalt zersprengte Ordnung ihrer einzelnen Theile wieder herzustellen. Ist die Literatur eines Volkes der Ausdruck aller Empfindungen, Hoffnungen und Ahnungen desselben, so besitzen wir eine Literatur, die nicht sprechender seyn kann; ist sie aber auch das Organ wissenschaftlicher Forschung und die Bewahrerin gelehrter Resultate, so muß man den Zwiespalt beklagen, der auf ihrem Felde eingerissen ist, und kann nichts für ersprießlicher halten, als eine Vereinbarung der gesonderten literarischen Interessen im Sinne der Versöhnlichkeit. Die künstlerische Richtung unserer Tage hat dasselbe Interesse wie die wissenschaftliche; jene will von dieser den Inhalt, diese von jener die Form entlehnen. Der Ruhm und das Vertrauen wollen sich wechselweise austauschen. Den poetischen Genius ermüdet das ewige Ideal; er stirbt an dem fortgesetzten Herauswenden seiner subjektiven Eingeweide: er lechzt nach Inhalt, Thatsache und jenem unendlichen Kreise von spekulativer Bewegung, der aller Welt offen steht, und den die jugendliche Neuerung bisher umgangen hat, weil sie anderweitig eingegangene Verpflichtungen erst erfüllen wollte. Die Wissenschaft selbst aber sehnt sich aus ihren dumpfen Sälen heraus in die Natur, der Vogel Minervens ist nicht mehr die Eule, welche das Licht scheut, sondern der Adler, der mit offenem Auge in die Sonne fliegt. Welcher Gelehrte würde nicht eilen, aus den ihm dargebotenen Blumenkränzen der Poesie eine Frühlingsrose zu nehmen und sie an den weiten Talar seiner Inauguration zu stecken! Wer würde für seine todten Abstraktionen nicht gern jene blendenden Gewänder hinnehmen, welche ihm die Genien der Dichtkunst aus tönenden Worten und lachenden Gleichnissen weben!

Betrachtungen dieser Art veranlagen die Herausgeber zu einem Institute, das eine europäische Stellung einnehmen wird. Die Deutsche Revue entstand in einem Augenblicke, wo wir auf dem Antlitz der Göttin unsres Vaterlandes eine drohende und wehmüthige Falte entdeckten, wo wir den Schmerz empfanden, daß so zahlreiche Kräfte, statt einen gemeinsamen Tempel des Nationalstolzes zu bauen, sich in isolirten Zwecken zersplittern. Die Achtung vor deutscher Kunst und Wissenschaft ist aller Orten da im Auslande; aber das Ausland kennt nur einzelne Gelehrte, einzelne Bücher, einzelne Dichter unserer Sprache: es hat so wenig einen Ueberblick unserer Kulturzustände, daß z. B. jenseits des Rheins in kurzer Zeit zwei periodische Versuche entstehen konnten, von den vereinzelten Bestrebungen der Deutschen eine Gesammtanschau zu haben. Die Franzosen fangen an, uns in einer Werthschätzung, die wir gegen einander selbst empfinden sollten, zu übertreffen.

Die Deutsche Revue fordert alle deutschen Dichter und Gelehrten auf, die sich von einer Verschmelzung unserer alten Horen, Athenäen u. s. w. mit der Revue de Paris, Revue de deux Mondes eine billigende Vorstellung machen können, unter die Aegide ihrer Herausgeber und in den zahlreichen Kreis von Autoren zu treten, welchen sie zu ihrem Zwecke schon um sich versammelt haben. Die Deutsche Revue wird eine ursprüngliche Farbe haben, aber mancherlei Schattirungen derselben zulassen. Sie läßt ihren Aufruf ergehen sowohl an den Katheder, wie an die Dachstube, vor Allen aber an die, welche gern im Angesichte des gestirnten Himmels oder an stillen Schattenplätzen des Waldes dichten und denken. Auch nicht blos an Renommeen knüpfen wir die Hoffnung eines glänzenden Erfolgs. Wir kennen die tausend Kräfte, die in Deutschland schlummern, die schaffenden Gedanken, die sich vergebens nach einer Bühne für ihre Gestalten umsehen, die jungen Dichter, denen das Wort auf der Lippe verglüht, die jungen Gelehrten, die vergebens den Weg vom Katheder zur Nation suchen – allen diesen Gehemmten, Schweigenden, stolzen Unberühmten wird das Organ der Deutschen Revue so willkommen seyn, als ihr Beitritt uns. Wir rechnen auf die Zeit und die Genossenschaft der Edlen.

Was die »Deutsche Revue« bringen wird, soll seyn:

I.  Poesie in allen Offenbarungen.

II.  Spekulation aus allen Fakultäten.

III.  Kritik der vorzüglichsten Erscheinungen in der deutschen Literatur.

IV.  Korrespondenz aus allen Ecken des Vaterlandes, wo etwas geschieht, das würdig ist, gewußt, verstanden, belobt, beweint, mißrathen oder nachgeahmt zu werden.

Jede Woche ein Heft – jedes Heft von drei Bogen – wird die Deutsche Revue den Charakter als Journal und Buch vereinigen, und sowohl das Stockende der Monatsschriften wie das Verschlissene der Tagsblätter vermeiden. Im gehaltenen Strome ihres Erscheinens wird die zerstreute und eilende Zeit sich einigermaßen würdig gesammelt und reflektirt wiederfinden.«

*

Die so angekündigte Deutsche Revue ist nie erschienen.

Noch bevor ihre erste Nummer hatte erscheinen können, war der Löwenthal'sche Verlag unterdrückt, war ihr Erscheinen verboten, war die Vereinigung deutscher Schriftsteller, die sich um das zu gründende Blatt als Organ des geistigen Fortschritts und des nationalen Aufschwungs geschaart hatte, auseinander gesprengt, waren die Führer der Bewegung in Acht und Bann gethan, war Gutzkow ins Gefängniß geworfen und Wienbarg irrte, polizeilich von Stadt zu Stadt »geschoben«, um all die stolzen Hoffnungen, die ihn nach Frankfurt geführt, betrogen, ein Geächteter der nordischen Heimath zu.

Der Bundestag hatte die Verfolgung des jungen Deutschlands begonnen.



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