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Zweites Buch.

Die Julirevolution und die deutsche Jugend.


IV.
Laube's und Gutzkows Anfänge.


» Ein Sumpfgewächs der großen Städte des Nordens« hat Herr von Treitschke das junge Deutschland von der Tribüne des akademischen Geschichtslehrers herab genannt. Diese Anklage kann aber nichts ändern an der einfachen Thatsache, daß die Wiege des Ersten, der in Deutschland im Namen einer neuen literarischen Jugend unter dem Einfluß der Julirevolution dem Althergebrachten den Krieg erklärt hat, in einem kleinen Landstädtchen des liederreichen Schlesierlandes gestanden hat und daß die Kinderzeit Heinrich Laube's von all den Nachtheilen der Verführungselemente des großstädtischen Lebens verschont, freilich auch entblößt blieb von den Vortheilen, welche die Erziehungs- und Bildungsmittel »der großen Städte des Nordens« bieten.

Dichter in ihren jugendfrischen Anfängen zu belauschen, ihren ersten stillen Werdeprozeß zu verfolgen, hat einen ganz besonderen Reiz, denn wie der linde erdfrische Duft des Lenzes lassen meist auch diese Anfänge schon Art und Kraft der vollen Blüthezeit ahnen. Auch in Laube's Dichtung zeigt sich ein solch organischer Entwickelungsgang des Talents: was unter seinen Werken die meiste Anwartschaft auf Dauer hat, was sein dichterisches Wollen in schönster Vollendung zeigt: seine Dramen »Die Karlsschüler« und »Essex«, seine Erzählungen aus dem Dreißigjährigen Krieg, die den Gesammttitel »Der deutsche Krieg« führen, sowie andererseits seine Verdienste als Dramaturg, die ihm in Wien den Ehrentitel des »deutschen Theatergenerals« eintrugen, weisen zurück auf die ersten Regungen seines Talents und auf die Idylle seiner Knabenzeit, welche die schlesische Landstadt Sprottau am still hinfließenden Boberflüßchen zum Schauplatz hatte. Hier wurde Heinrich Rudolph Constanz Laube am 16. September 1806 als Sohn eines durch den Krieg verarmten Bau- und Maurermeisters geboren.

Eine Idylle: in einer seiner Reisenovellen hat uns Laube selbst dieselbe später geschildert. Sandige Heidestrecken, Kiefer- und Birkenwäldchen umgrenzten das fruchtbare Acker- und Wiesenland, das die Handwerker und Krämer des Städtchens noch selber bebauten, und große Bauerngehöfte umgaben die Eingänge zu seinen Straßen und Gäßchen. Auf den grünen, mit Weiden bestandenen Uferwiesen des Bobers hat der Knabe in frühester Jugend bei den Schafen gelegen, Pfeifen geschnitzt, nach den Wolken gesehen und geträumt, »kleine unschuldige Träume« von der Tochter des Bäckers, welche ihn dereinst beglücken würde auf Sonntagsspaziergängen und später als Gattin im eigenen Hausstand. Die patriarchalische Ruhe des Feierabends, »wo man des Abends in Hemdärmeln vor der Thür sitzt, Ohlauer vaterländischen Knaster in die reine Lust bläst, friedliches Faßbier trinkt und von den Franzosen redet, die 1806 nichts als Wein getrunken«, die gleichmäßige Einförmigkeit der von der großen Poststraße abliegenden kleinen sauberen Stadt, die nur zweimal im Jahr von großen Festlichkeiten für die Honoratioren unterbrochen wird, dem Weihnachtsball und dem Pfingstschießen, sie bildeten den Gegensatz zu seinen lärmenden Knabenspielen, die überall auf der Straße die gleichen sind, sie erschwerten ihm später die heimlichen Zusammenkünfte im Birkengehölz neben dem alten Schießhaus vor'm Thor, dem verschwiegenen Paradies seines ersten Liebesglückes. Die Eingangskapitel des Romans »Die Böhminger« haben uns diese Oertlichkeit und diese Stimmungen mit lebendiger Anschaulichkeit geschildert.

Aber auf dem idyllischen Hintergrund seiner Heimathserinnerungen heben sich in jener Reisenovelle vom Jahre 1836, die uns von der Heimkehr des nunmehr als Demagog verfolgten Schriftstellers in die Vaterstadt erzählt, Begebenheiten ab, welche ganz anderes, bewegteres Leben in diese stillen Gassen flutheten, Begebenheiten, die sich tief in die Seele des Knaben einprägten und seine Geistesrichtung bestimmten. Dies waren vor allem die Durchzüge von französischen und rheinbündischen Truppen und dann der halbwilden Kosacken auf ihren kleinen Pferden im Jahre 1812 und 1813, die rauhe, rohe Franzosenzeit, da Feind und Freund in den Straßen und Häusern der Stadt sich blutig um Hab und Gut der armen Sprottauer rauften. Zu ihnen zählte weiter das große Reformationsfest vom Jahre 1817, das mit seinen Festschriften und Bilderbogen dem Knaben die höchsten Begriffe von Glaubensfreiheit und dem Kampf für sie in die Seele legte, und schließlich der wiederholte längere Aufenthalt einer Schauspielertruppe im Orte, deren Kunst den Enthusiasmus für das Theater in dem jetzt nur noch in den Ferien anwesenden Glogauer Gymnasiasten in solchem Grade weckte, daß er mitten im kalten Winter des Jahres 1823 »dem Heldendarsteller Herrn Matthausch und der Liebhaberin Fräulein Ennicke« zu Liebe eine Fußwanderung nach Berlin antrat, die gar romantisch, aber schließlich doch wie die Geschichte vom Peter in der Fremde verlief. In Berlin aber sah auch der Knabe eine erste, reich ausgestattete Aufführung eines Dramas, es war Schillers »Jungfrau von Orleans«.

Kriegsereignisse, ein Fest zur Feier des protestantischen Bewußtseins und romantische Theatereindrücke waren für Laube die bedeutendsten Erlebnisse der Kinderzeit; ein Theaterstück von kriegerischem und protestantischem Charakter, das einen Helden des Protestantismus feierte und in Kriegsscenen seine Treffer hatte, war dann das erste größere Werk, in welchem Laube als Student sein dichterisches Talent erprobte. Und dies Drama, das Trauerspiel »Gustav Adolf«, war bühnengerecht genug, um bald nach seiner Entstehung eine Aufführung im Breslauer Stadttheater mit Erfolg vertragen zu können. Dennoch hat es Laube im Bewußtsein der Schwächen dieses ersten Versuchs nie drucken lassen. Seit jenen Aufführungen im Jahre 1829 ist es nie wieder zum Vorschein gekommen. Das Manuskript aber hat sich erhalten und des verstorbenen Dichters Pflegesohn, der Reichstagsabgeordnete Professor Hänel, hat es uns zur Verfügung gestellt.

Den Krieg in seiner schaurigen Schrecklichkeit, aber auch poetischen Lebensfülle, wie ihn Laube später in seinen besten Romanen – »Die Krieger«, »Gräfin Chateaubriand«, »Der deutsche Krieg«, so realistisch wie kein deutscher Autor vorher zu schildern verstanden, hatte er als Knabe denn auch in all seiner Realität erlebt. Namentlich die Ereignisse des Jahres 1813, in welchem es in Sprottau zu einer förmlichen Schlacht zwischen französischen Chasseurs und russischen Reitern kam, blieben seinem Gedächtniß unzerstörbar eingeprägt bis an sein Lebensende. Noch als Siebziger hat er in seinen »Erinnerungen« viele Einzelheiten mit greifbarer Deutlichkeit schildern können. Wie er mit dem Vater des öfteren im Leiterwagen aus dem sechs Meilen entfernten Grüneberg Fässer voll Wein für die französische Einquartierung geholt; wie er mit demselben bei der ersten Ankunft der französischen Chasseurs auf der Boberbrücke gewesen und bei dem entstehenden Gedränge fast zu Tode gequetscht worden, während eine russische Batterie über diese gegen die Franzosen zu spielen begann; wie dann aus dem Markt gellende Trompetenstöße das Signal zur Plünderung gaben; was er alles mit der Mutter ausgestanden, die während der Plünderung im Keller sich versteckt hielt; was die marodirenden Chasseurs alles geraubt, selbst Vaters Ersparnisse aus dem Versteck im Kaminschornstein … und dann wieder die Zeit, wo der Landesfeind in ängstlicher Eile durch die Straßen floh und das ganze Land aufathmete – alles das ist lebendig in seiner Seele geblieben.

Zu Kriegsliedern aber haben die Eindrücke den Knaben denn doch nicht begeistert, als die angeborene Lust zum Dichten sich zunächst lyrisch hervorwagte. Seine ersten Gedichte waren Liebeslieder – anders thut es ein echter schlesischer Junge nicht, dem das Herz aus dem rechten Fleck und muntere blaue Augen im Antlitz sitzen. Sie waren nicht nach klassischen Mustern gestaltet, sondern im Ton der Volkslieder des liederreichen Schlesinger Landes. Den Text bot ihm das eigene Herzensleben, das leicht in Wallung gerieth. Der Sekundaner des Glogauer Gymnasiums, der Primaner des Schweidnitzer hatte sogar das Vergnügen, einige davon in den Wochenblättchen der beiden heimathlichen Festungsstädte abgedruckt zu sehen. Sprottau selbst hatte keine Zeitung, weder ein Wochenblatt, noch ein Tageblatt; es hatte keine Druckerei, keine Bibliothek, nur ein Gewürzkrämer im Ort hatte einige Regale von Schmöker-Romanen zu verleihen; Räuber- und Rittergeschichten von Vulvius, Cramer, Spieß; Liebesgeschichten im Geschmack der Tromlitz, van der Velde und Clauren. Bis in sein vierzehntes Jahr wuchs daher »Laube's Heinrich« fast ganz ohne eigentlich literarische Einflüsse auf – mehr im Freien, als in der Schule, lieber Pferde in die Schwemme reitend, als hinter den Schulbüchern hockend, vom Großvater wie vom Vater, die beide Maurermeister waren, zu praktischer Hantierung angehalten.

Den ersten starken literarischen Eindruck brachte jenes Reformationsfest vom Jahre 17. Laube war damals elf Jahre alt. Vor dreihundert Jahren hatte Luther seine Thesen an die Kirche von Wittenberg geschlagen – das, der Anfang der Reformation, die Thathandlung des Protestirens, wurde gefeiert. Volksthümliche Darstellungen der geschichtlichen Vorgänge, die der muthigen That Luthers vorausgingen und folgten, Festschriften mit den Bildnissen von Luther und Melanchthon, kamen damals in jedes Haus. Eine Bewegung von außerordentlicher Ausdehnung und Macht, geradezu eine volle Wiedergeburt der Reformationszeit, erschien sie dem Dichter noch im Alter.

Den nächsten großen literarischen Eindruck bot Glogau. Nicht das dortige Gymnasium, von dem es in Nowacks Schlesischem Schriftstellerlexikon heißt, daß »dort ebenso gewissenhaft lateinische Sprach- wie Betübungen« gehalten worden seien. Denn nicht auf den Geist der lateinischen und griechischen Schriftsteller wurde beim Unterricht eingegangen, auch nicht auf den Geist der klassischen Sprachen. Nur der Lehrer des Deutschen, Magister Röller, machte an sich und an seine Schüler höhere Ansprüche. Er gab guten stilistischen Unterricht. Deutsche Klassiker aber wurden damals in den deutschen Gymnasien noch nicht gelesen. Und doch war es ein deutscher Klassiker, der jenen neuen großen Eindruck auf den eigengeistigen Schüler machte – Friedrich Schiller. In jenen Jahren erschien die erste Cotta'sche Gesammtausgabe der sämmtlichen Werke Schillers zu volksmäßigem Preise. Ein Vetter Laube's, der Sohn des Wirths zum Grünen Löwen in Sprottau, »Cousin Fritz«, der bereits in der Glogauer Prima war, schaffte sie sich an. »Daß Fritz mir Prachtstellen vorlas und daß er mir sagte: dies ist unser Dichter fürs Leben, das wirkte auf mich, und die Dramen, deren ich in den abgerissensten Exemplaren habhaft werden konnte, die prägten sich ein wie mit glühenden Lettern,« heißt es in den »Erinnerungen«. Schillerkultus herrschte auch in der Familie, in die er als Freund des Sohnes vom Hause wie ein Adoptivsohn Aufnahme fand. Sie war wohlhabend und pflegte literarische Interessen. Die bessere belletristische Literatur des Tages kam ins Haus, auch das Cotta'sche Morgenblatt wurde neben dem Berliner »Gesellschafter«, Theodor Hell's Dresdner Abendzeitung gehalten. Am runden Tisch der Familie hat der jugendliche Schillerverehrer Schillers sämmtliche Werke – auch die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs – vom ersten bis zum letzten Bande vorgelesen. Damals spannen sich die geistigen Fäden an, die später in den »Karlsschülern« zu einem so ansprechenden künstlerischen Gebilde wurden. Erst nachdem Schiller Laube's jungen Geist so ganz für sich gewonnen, ging ihm die Schönheit Homers, die Kunst Virgils und Horaz' auf. Dies geschah in Schweidnitz, wohin er noch als Primaner ging, weil ihn – nach Nowack – »die am Glogauer Gymnasium herrschende strenge Klosterzucht und pietistische Richtung zu offener Opposition gereizt hatte.«

Sein kriegerischer Protestantismus, der ihm später die Stahlfeder als Waffe in die Hand drückte, war zur Entwickelung gekommen. Auch die Wander- und Reiselust, die ihn dann zum »Reisenovellisten« gemacht hat, begann sich jetzt – Angesichts der blauen Kette des Riesengebirges – zu entfalten. Als er dann Ostern 1826 nach Halle aufbrach, um dort ein firmer Burschenschafter und »leider« nur flauer Theolog zu werden, wanderte er zu Fuß dorthin, das Ränzel und – die Guitarre auf dem Rücken. In Schweidnitz ließ er ein blondes Mädchen zurück, deren Zukunftstraum Frau Pfarrerin Laube hieß. Mit dem Pfarrer werden sah's aber bald windig aus. Wohl zog ihn in Halle auch der protestantische Rationalismus Wegscheiders an, aber der Einfluß seiner kritisch zersetzenden Auslegung der heiligen Ueberlieferung entfremdete ihn nur erst recht dem theologischen Berufe und das Hingabebedürfniß seines Gemüths fand seine Befriedigung in dem Schwärmen und Treiben der Burschenschaft, deren Grundsätze und Interessen er bald, wo es galt, mit dem Rappier in der Faust gar schneidig zu verfechten wußte. Die Eltern hatten ihm zudem wenig Sparpfennige mitgeben können. Er war arm wie eine Kirchenmaus und wenn der flinke Fuchs nicht bei seinem Leibburschen auf kommunistische Grundsätze der Freundschaft gestoßen wäre, so hätte er sein Studententhum kaum durchführen können. Dafür aber machte auch die Burschenschaft Ansprüche an seine Zeit, die ihn vom Studium abhielten; bei allen Paukschwieten mußte er dabei sein und nach einem Duell mit blutigem Ausgang fiel es ihm zu, auf der Flucht des Schuldigen nach Hamburg dessen Begleiter zu sein. Eine andere Verbindungsangelegenheit ließ ihn an einer abenteuerlichen Wanderfahrt über Eisenach, die Wartburg, Kassel nach Göttingen theilnehmen; der Rückweg führte über den Harz und durch den Thüringer Wald. »Der Fechtboden und die Herbergen in und um Halle sahen ihn häufiger als die Hörsäle,« vermerkt der kleine Lebensabriß bei Nowack. Auch bei einem öffentlichen Aufzug im Winter, wobei das Geheimniß der verbotenen Farben unvorsichtig gelüftet wurde, fiel ihm eine Hauptrolle zu, weshalb er sich unter Denen befand, die als Rädelsführer in Untersuchung geriethen. Die Untersuchung verlief jedoch glimpflich, immerhin trug sie ihm aus seiner Matrikel einen verhängnißvollen Vermerk ein. »Der Burschenschaft verdächtig« lautete derselbe. Diese Verdächtigtheit sollte ihm später theuer zu stehen kommen. Sechs Wochen Untersuchungs-Karzer wurden ihm schon damals zu Theil; man wollte von ihm, der nicht in der Lage war, sich selbst zu beköstigen, Geständnisse erpressen; er brachte auch nicht die leiseste Andeutung eines Verraths über die Lippen. Ueber alledem traten seine poetischen Neigungen in den Hintergrund, auch die für das Theater, welche ein längeres Gastspiel der Butenop'schen Truppe in Sprottau drei Jahre vorher zur Entfaltung gebracht hatte. Die Burschenschaft als heimlicher Staat im Staat mit großen politischen Idealen nahm seine geistigen, die Realität des Halleschen Bundes seine persönlichen Interessen ganz in Anspruch.

Von Wichtigkeit für seine spätere Entwickelung war es, daß er auch das Theater gleich auf einmal in all seiner Realität kennen lernte und nicht auf dem Weg durch die Bücher und ästhetische Abstraktionen, wie so viele andere Epigonen der Schiller'schen Muse. Und er hatte dies gerade dem Umstande zu danken, daß er in einer Stadt ohne Theaterleben aufgewachsen war, und dem Zufall, daß sich gleich bei der ersten Berührung mit dem Theater auch die Welt hinter den Kulissen seinen neugierig forschenden Blicken öffnete. So hat er nie den Kampf mit romantischen Illusionen zu bestehen gehabt, an welchem so viele dramatische Autoren mit ihrem besten Streben zu Grunde gegangen. Die Reitbahn der Sprottauer war damals zum Tempel Thalias geworden. Diese Reitbahn hatte ein lustiges Dach; Sturm und Wind hatten aus ihm so manche Schindel entführt, und da die Hinterwand des Gebäudes an den Garten von Laube's Großvater stieß, so wußte der Enkel als entdeckungslüsterner Kletterer längst um diese Lücken Bescheid. Die Aeste eines Apfelbaumes im Garten erstreckten sich bis auf das Dach und auf einem derselben fand nun der Knabe einen erhöhten Sperrsitz gerade über der Bühne, von dem aus er sowohl die Vorgänge auf wie hinter der Scene überblicken konnte. Wer hätte damals geahnt, daß von diesem lustigen Sitz eines »Zaungasts« aus der Vogelperspektive der Weg zur Direktorialloge der ersten deutschen Bühne führen würde?! Und doch war derselbe der Ausgangspunkt für diesen Weg des Erfolgs. Von da oben aus gelangte der Knabe auch hinunter, sowohl hinter die Kulissen als auch in den Zuschauerraum, lernte er kennen, »wie es gemacht wird«, daß von der Bühne herab die wunderbaren Wirkungen auf die Zuschauerwelt ausströmen, begann er jener Kenner der Bühnentechnik zu werden, der er als Dramatiker immer auch dann geblieben ist, wenn ihn die Inspiration des echt dichterischen Schaffens im Stich ließ. Ritter- und Räuberstücke bildeten hauptsächlich das Repertoire der Butenop'schen Gesellschaft, aus der übrigens u. a. eine Künstlerin wie die Anschütz hervorgegangen ist; »Die Kreuzfahrer«, »Klara von Hoheneichen«, »Die Räuber aus Maria-Kulm«, namentlich aber Schillers »Räuber« waren die Zugstücke. Doch kümmerte man sich im Ort nicht um die Namen der Verfasser, und daß z. B. der Dichter der von ihm bewunderten »Räuber« Schiller hieß, erfuhr der Knabe erst später in Glogau, als er des Dichters Werke in die Hand bekam, wo auch öfter Theater gespielt wurde. So unliterarisch waren jene Anfänge. Was dagegen dem Knaben fest im Gedächtniß blieb, das waren dramaturgische Wahrnehmungen. Als Beispiel, das Laube noch im Alter gern erzählte, diene folgender Fall. Ein Stück spielte in Spanien, wo die Franzosen unter Napoleon erobernd eingedrungen waren und von den Spaniern aus Weg und Steg verfolgt wurden. Am Schlusse eines Aktes schoß der französische Offizier sein Pistol ab auf einen Spanier. Das Pistol versagte, und der Vorhang fiel unter großem Gelächter des Publikums. Der kleine Laube kroch eilig unter dem Podium hinaus, um Direktor Butenops Zorn anzusehen gegen den Requisiteur Krebs, den er immer auf dem Striche hatte. Richtig! er hielt ihn bereits am Kragen und schrie immerfort: »Das Publikum muß den Schuß hören, Kanaille! Das Publikum muß den Schuß hören!« – Pautz! knallte der Schuß. Neues, noch stärkeres Gelächter im Publikum. »Als der nächste Akt kam, entdeckte mein junger Verstand, daß der Direktor recht gehabt: der Schuß hatte Folgen, er mußte also losgegangen sein!« Solcher Gestalt war der Elementarunterricht, den damals unbeachtet und unbewußt Deutschlands erfolgreichster Dramaturg als Bube von zwölf Jahren empfing. Die Besuche der Truppe in Sprottau wiederholten sich in den folgenden Jahren, wie mit ihrer Kunst wurde der anstellige Bursche auch mit den Schauspielern bekannt. Die besseren derselben wohnten im Gasthaus seines Onkels, dem »grünen Löwen«. Welche Wirkung dieser Verkehr hatte, haben wir schon erwähnt. »Die ganze Welt war für mich verwandelt und erweitert, unabsehbar erweitert durch diese Schauspielergesellschaft«, heißt es in den »Erinnerungen«.

Eigentlich hatte der Junge die Kunst und das Handwerk seines Vaters ergreifen sollen, und für Laube's Laufbahn als Schriftsteller ist es von dauerndem Einfluß geblieben, daß sein Vater, wie bereits auch der Großvater, ein Bau- und Maurermeister war und beide es sich angelegen sein ließen, ihn früh in den Elementen des Baugewerks heimisch zu machen. Durch den Krieg war freilich die Laube'sche Familie wie fast die gesammte Bürgerschaft Sprottaus verarmt und Neubauten waren nur in geringer Zahl auszuführen. Aber immer gab es zu thun, und der flinke Heinrich tummelte sich auf den Baugerüsten; im Winter aber, wenn das Geschäft schlief, wurden Risse entworfen, ja es wurde gebildhauert. »Der Onkel Gastwirth brauchte einen neuen grünen Löwen an seiner Gasthoffronte. Wir machten ihn. Wir erfanden uns diese Kunst ganz selbständig, denn sie war völlig unbekannt im Städtchen. Wir modellirten in Thon und gossen in Gips.«

Wenn wir ihn später immer betonen hören, daß auch der Dichter Plastiker sein, Gestalt und Form schaffen müsse, ihn beim Drama auf architektonischen Aufbau, festes Gerüst, »Rückgrat« dringen sehen, so müssen wir zugeben, daß jene Uebungen im Baufach doch keine verlorene Zeit waren. Nur der mathematische Theil des Bauwesens war ihm stets lästig gewesen; wie so viele Poeten war auch Laube, wenigstens in jener Frühzeit »im Kopfrechnen schwach«, Darum wurde auch der Plan, ihn für das Baufach zu bilden, aufgegeben und beschlossen, ihn studiren zu lassen. »Was? Das war in jener Zeit eigentlich keine Frage bei armen Burschen aus kleinen Städten, die sich schon als Gymnasiasten im Stundengeben geübt hatten. Die wurden alle Theologen. Dies war das wohlfeilste Studium und brachte zuerst eine Anstellung, wenn auch zunächst nur die eines Hauslehrers.« Als er dann Halle, den Schauplatz manch siegreicher Paukerei, manch lustiger Studenten-»Schwiete«, aber freilich auch »der Burschenschaft verdächtig«, mit Breslau vertauscht hatte, wo er übrigens auch sogleich auf das Universitätsamt zitirt wurde, um sich wegen dieser »Verdächtigkeit« zu verantworten, studirte er zwar fleißiger als bisher die theologischen Wissenschaften, namentlich Kirchengeschichte, hielt auch Probepredigten und bereitete eine Dissertation »über die Erbsünde« vor, aber die Angelegenheiten der heimlich auch hier bestehenden Burschenschaft bildeten auch jetzt den Mittelpunkt seiner Interessen bis eine Aufführung von Kleists » Käthchen von Heilbronn« die ins Stocken gerathenen literarischen Triebe auf einmal wieder in Aufruhr brachte und jetzt mit Entschiedenheit zur Bethätigung drängte. Bis dahin hatte er als Student – »schon aus Geldmangel« – das Theater links liegen lassen, nur auf der Reise durch Leipzig nach der Heimath zurück hatte der Besuch einer Aufführung der »Minna von Barnhelm« mit dem jungen Emil Devrient als Tellheim eine Ausnahme gebildet; nach jenem ersten Wiedereintritt in seinen Zauberkreis wurde er ein eifriger Theaterbesucher.

Man kann sagen, das holde Käthchen von Heilbronn, das auf der Bühne sich so brav als Retterin bewährt, habe auch Laube gerettet, gerettet für die Dichtung, für die Bühne, das deutsche Theater. Es stand damals gerade recht bedenklich mit ihm. Als »gute Klinge« von Halle her geschätzt und gefürchtet, war er beim Aufbau der neuen burschenschaftlichen Verbindung in Breslau, dem »blauen Haus«, und im Kampf mit den dominirenden Landsmannschaftern in ein wildes »Landsknechtsleben« gerathen, wie er es selbst nennt. Die Duelle wurden leidenschaftlich geführt, hatten oft gefährlichen Ausgang; schlug Laube selber nicht, so mußte er doch sekundiren. Einmal war schon alles zur Flucht vorbereitet wegen der Folgen eines dieser wüsten Zweikämpfe. Es war eine Art Kriegsleben, dessen spannende poetische Elemente ihn berauschten. Auch sonst war das Leben wild; im Spiel war gleichfalls der »Landsknecht« die Parole, oft jagte erst die aufgehende Sonne die lärmenden Bursche draußen in Marienau von den Spieltischen. Das Geld zu solchem Treiben erwarb sich der wildgewordene Heinz durch Ertheilen von Fechtunterricht. Denn in der Führung der studentischen Waffe war er damals zu solcher Meisterschaft gelangt, daß er einen sehr guten Fechtmeister abgab. Als nun ein reisender französischer Fechtmeister eine Herausforderung an die Studentenschaft Breslaus zum öffentlichen Zweikampf – » au grand assault d'armes« – ergehen ließ, da trat Heinrich Laube als ihr Vertreter auf und führte den Franzmann zweimal mit klatschenden Hieben unter dem Jubel des versammelten Publikums ab. Eine Szene in Gustav Freytags in Breslau entstandenem Jugenddrama »Die Brautfahrt«, wo ein prahlerischer Franzmann von deutscher Klinge eine ganz ähnliche Abfuhr erleidet, hat vielleicht in dieser Fechterthat Laube's ihr Vorbild. Die Folge war, daß ihm in aller Form die gerade vakante Universitätsfechtmeisterstelle angeboten wurde. Er lehnte ab. Unklar fühlte er: zu was besserem sei er geboren. Und innerlich befriedigt von dem Sieg eines höheren Strebens über die Lust an den rohen Fechtkünsten und die ihm gebotene lockende Versorgung, stand er an einem der nächsten Tage beim Erblicken des Theaterzettels still, las ihn und meinte dann: »Ins Theater könntest Du auch mal wieder gehen!« Am Abend wurde ihm dann das »Käthchen von Heilbronn« zur rettenden Muse, die ihn wieder zurück in die Gärten der Poesie lockte. Die Aufführung wie das Stück waren von mächtigster Wirkung – ein sein geistiges Wesen im Innersten packendes Erlebniß. Desselben gedenkend, sagte Laube im Alter: »Die Vorhänge waren plötzlich in meinem Innern aufgezogen, die Vorhänge aus der Sprottauer Reitbahn; die Aussichten lagen wieder vor mir in reizende Gegenden, unklar gemacht durch farbige Nebel. Und diese nebelhafte Unklarheit gehörte zum Reize.«

Der literarische und künstlerische Sinn in dem Studenten war aus seinem Schlummer geweckt.

Und nun begann auf einmal für ihn – im Frühjahr 1829 – ein frisches fröhliches Treiben rein literarischer Art. Als er unter seinen Genossen vom Theater zu reden begann, zeigte es sich, daß mehrere von ihnen dieses Interesse theilten; über den Mensurdebatten, dem Kartenspielen und Kommersiren waren derlei Fragen zufällig zwischen ihnen nie zur Sprache gekommen. Da war einer unter ihnen, der im Anklang an die Falstaffszenen in Shakespeare's »Heinrich IV.« auf der Kneipe Fähnrich Pistol genannt ward und mit Vorliebe die drastischen Reden Falstaffs im Munde führte. Der Zufall, daß die Stammkneipe der durstigen Brüder »Zum wilden Saukopf« hieß, also gerade wie die Herberge in Eastcheap, in welcher des Prinzen Heinz verwegene Tafelrunde bei Shakespeare ihre Gelage abhält, hatte vielleicht die Anregung zu diesen und anderen Spitznamen des Kreises gegeben; jetzt zeigte sich, daß dieser Fähnrich Pistol nicht bloß für Falstaff, sondern überhaupt für Shakespeare's herrliche Dramenwelt schwärmte. Dieses Interesse befriedigte derselbe – sein bürgerlicher Name war Adolf von Mühlbach – in einem anderen Freundeskreis, der sich an bestimmten Abenden in seiner behaglichen Wohnung zusammenfand. In diesen Kreis gerieth jetzt Laube auch. Es war ein poetischer Verein. Man sprach in ihm nicht nur über Shakespeare, Schiller und Goethe, über Tieck und Uhland, die neuesten Musenalmanache; man zog auch abwechselnd dicke Manuskripte aus der Tasche und las sich selbstgefertigte Balladen und Dramen vor. Romantische Stoffe und Stimmungen herrschten vor; Uhlands Romanzen und Tiecks »Genoveva« und »Kaiser Oktavian« waren bevorzugte Muster. Laube fühlte bald die Ueberlegenheit der andern an literarischem Wissen, was ihn anspornte, die Lücken der eigenen Bildung zu füllen. Statt der Karten handhabte er jetzt des Abends und Nachts literarhistorische Kompendien, ästhetische Abhandlungen, die Werke der modernen Dichter. Aber was er mit Recht als Mangel empfand, war zugleich ein Vorzug. Er trat mit reiferen Lebensansichten und reicher Lebenserfahrung, aber von ästhetischen Doktrinen und Vorurtheilen ganz frei und unbefangen, an diese Fragen heran, in denen die andern meist mit fertigen, konventionellen Urtheilen operirten. Ihnen entging auch dieser Vorzug und die Anregung nicht, die seine naturalistische Ursprünglichkeit, sein ehrliches Fragen ihren Debatten brachte. Den Romantikern gegenüber war er sogleich Realist; die bestimmte Ausdrucksweise seiner späteren Kritiken entfaltete er bereits hier. Ihrem einseitigen Kultus, den sie Goethe und Shakespeare gerade der romantischen Elemente in ihren Dramen wegen widmeten, setzte er seine Schillerverehrung gegenüber. Daß Schiller bei allen Schwächen der Charakteristik und seiner Neigung zum schönrednerischen Pathos doch im eigentlichen Dramatischen, in der Kraft, treibende Leidenschaft und wachsende Handlung zu geben, Goethe überrage, fühlte er damals schon. Um Schiller gegen eine scharfe Verurtheilung seiner »Braut von Messina« in der »Schlesischen Zeitung«, die aus der Feder des Germanisten und Liederdichters Wilhelm Wackernagel stammte, zu vertheidigen, ergriff er die Feder zu seiner ersten öffentlichen Polemik in dramatischen Fragen; sein Organ war dabei Karl Schalls »Breslauer Zeitung«. Er hatte selbst aus Schillers formalistischster Dichtung den dramatischen Nerv herausgefühlt. Bald war er in vielen Dingen den anderen der Ueberlegene. Bei den Besprechungen, welche der Vorlesung eigener Dichtungen – auch Balladen wurden kultivirt – zu folgen pflegten, fand sein Urtheil bald die meiste Beachtung. Sein Ansehen wuchs, als er die Begabtesten des Kreises auf ihrem eigensten Gebiete schlug. Die »Schlesischen Provinzialblätter«, eine Monatsschrift, hatten einen Preis ausgeschrieben für das beste Gedicht. Sie alle bewarben sich und Laube erhielt den ersten Preis für eine spanische Romanze. Wie die »Breslauer Zeitung« nach Laube's Tod mittheilen konnte, hieß das damals in den Schlesischen Provinzialblättern veröffentlichte Gedicht »Der Kampf«. Die Romanze war trotz des spanischen Hintergrunds von burschenschaftlich-teutscher Tendenz. Don Pedro von Talavera hat ein Tournier ausgeschrieben. Der Sieger soll seine schöne Tochter Almeida heirathen dürfen. Erst besiegt der spanische Ritter Don Alsonso alle Rivalen. Dann reitet ein fremder Ritter in die Schranken, der auch ihn besiegt. Don Pedro fordert von diesem, ehe er die Tochter erhalte, müsse er sich zu Spanien bekennen. Doch Ritter Otto erwidert:

»Nicht um aller Erden Güter,
Um der süßen Liebe Glück nicht,
Ist dem Teutschen seine Heimath,
Sein geliebtes Teutschland feil.
Langsam wendet er sein Schlachtroß,
Langsam scheidet er für immer.«

Laube machte sich wenig aus seinem Sieg, aber den Kameraden imponirte es höchlich, und als dann gar demselben ein zweiter aus der Bühne folgte, Laube im Breslauer Stadttheater mit einer eigenen Tragödie den Beifall eines dichtbesetzten Hauses entfesselte und der Verein bald danach den Entschluß faßte, für seine Bestrebungen ein eigenes Organ zu gründen, da war es Laube, dem man die Redaktion dieser Zeitschrift einhellig übertrug.

Diese Tragödie war der schon erwähnte » Gustav Adolf« – historisches Trauerspiel in fünf Akten; die Zeitschrift führte den Titel » Aurora« und erschien vom 5. Juli bis zum 30. Dezember 1829. Wie von dem Drama das bisher verschollene Manuskript liegt mir von der Zeitschrift eines der wenigen vollständigen Exemplare vor, welche der Zufall uns davon erhalten hat und das im Besitze der Breslauer Universitätsbibliothek sich befindet.

In seinen »Erinnerungen« hat Laube in Bezug auf seinen ersten erfolgreichen Versuch im Gebiete des Dramas die Aeußerung gethan: »Ich weiß absolut nicht mehr, wie ich auf die Idee gekommen, und weiß ebensowenig, woher ich die Mittel geholt zu einer fünfaktigen historischen Tragödie.« Wir, die wir aus Zeitenferne sein bisheriges Werden überblicken, finden es natürlich genug, daß er nach den maßgebenden Eindrücken seiner Knabenzeit, nach den patriotischen Schwärmereien des Burschenschafters, unter den Anregungen des Breslauer Poetenvereins und des jetzt oft besuchten Theaters, nach der erneuten Wirkung von Schiller auf ihn und dem mächtigen Eindruck des Kleist'schen Ritterstücks nun an die Aufarbeitung gerade eines Dramas ging, das mit Schillers Wallenstein den historischen Hintergrund und eine der Hauptgestalten gemeinsam, einen kriegerischen Führer der Reformationszeit zum Helden, ein nationalpolitisches Motiv für seine Tragik, ein großes lärmendes Schlachtenbild zum Abschluß hatte und zur Heldin ein holdselig Bürgerkind, das zu König Gustav mit derselben magdlich demüthigen Liebe aussieht wie das Käthchen von Heilbronn zu ihrem »hohen Herrn«, den Grafen Wetter von Strahl.

Die Wahl des Stoffes und die Schürzung des tragischen Konflikts zeigten eine glückliche Hand. Daß Gustav Adolf aus einem gottbegeisterten selbstlosen Streiter für die Freiheit des lutherischen Glaubens durch die berauschende Wirkung des Erfolgs und die Einflüsterungen seines Kanzlers Axel Oxenstierna zu einem ehrgeizigen Eroberer wird, der nach der »Krone Karls des Großen« trachtet, dadurch aber die frohe Siegeszuversicht und das resolute Gottvertrauen verliert, das ihn bisher durch alle Schlachten begleitet: ist ein vortreffliches Motiv für ein historisches Drama; ebenso der Gegensatz des protestantischen heldenkühnen Schwedenkönigs zu dem klug zurückhaltenden düstern Wallenstein, der von den Sternen Hülfe erwartet, diese Hülfe aber nur für die Zwecke seines persönlichen Ehrgeizes zu verwerthen trachtet. Bleibt dieser Wallenstein aber in Laube's Stück nur ein schwacher Schatten der gewaltigen Charakterschöpfung Schillers, ist neben ihm die Figur des ungeduldigen feurigen Haudegens Graf Pappenheim mehr das Bild eines burschikosen Rappierschwingers, so ist dagegen in dem Charakterbild Gustavs ein glücklicher Anlauf zu einer selbständigen Gestaltung eigenthümlichen Seelenlebens genommen und der innere Kampf des Königs gegen die Verlockungen des Ehrgeizes ist in poetischen Zusammenhang gebracht mit seinem Tod auf dem Schlachtfeld von Lützen, den er sucht, weil er als reiner Held des Glaubens untergehen will. Die Fahne des Protestantismus flattert siegreich über seiner Leiche und der ritterliche Bernhard von Weimar übernimmt sie als Erbe.

Seinen Seelenzustand mit dem einstigen Glücksempfinden vergleichend, das ihn beseelte, als er zu Stockholm seine Schweden zum Krieg gegen die Bedränger des lutherischen Glaubens aufgerufen, ruft König Gustav:

                                     »Wohl auch ein Ehrgeiz
War's damals schon, der meine Schwingen hob,
Doch ein ganz anderer – ich sah die Züge
Des kühnen Helden, der dem deutschen Volk
Zu Hülfe kam, als es der Herrschergeist
Der finstern Kirche in die engen Formen,
Die todten Formeln, die den Geist verschlaffen,
Zurückzudrängen frech versuchte, als
Der Kaiser seine Macht mißbrauchte und
Den Herzen mit den Schwertern vorschrieb, was
Sie glauben und verehren sollten! Freund!
Solch einen Helden sah ich hell beglänzt
Vom Schimmer einer strahlenreichen Krone,
Die ihm der Tank der frommen Glaubensbrüder –
Die ihm die unparteiische Geschichte
Auf's Haupt gesetzt. (Düster.) Jetzt seh ich einen Andern,
Der eine Krone sucht, die dunkel glüht,
Von der das weite Meer das rothe Blut,
Das daran klebt, nicht waschen kann.«

So viel sich an diesen Versen in formeller Beziehung aussetzen läßt, so muß man zugeben, daß in ihnen ein dramatischer Konflikt von ebenso historischem wie menschlichem Interesse zu klarer deutlichster Schürzung gelangte und daß die Wahl desselben uns den Grundnerv der protestantisch-streitbaren Geistesart des jungen Dichters enthüllt.

In die kriegerische Handlung, die mit Gustavs Einzug in Nürnberg und der Begrüßung desselben durch den Bürgermeister der stolzen Reichsstadt, Christof Tucher, beginnt, ist eine romantische Nebenhandlung verlegt, deren Heldin die Tochter Tuchers, Agnes, ist. Wie Käthchen von Heilbronn den Grafen von Strahl im voraus liebt, weil sie sein Bild im Traume gesehen, ähnlich ist es dieser schwärmerischen Agnes ergangen; noch ehe König Adolf in die Stadt einreitet, hat ein Bild von ihm ihr Herz ganz eingenommen mit hingebender Begeisterung für den königlichen Helden des verfolgten Glaubens. Gustavs Vetter, Herzog Albert von Lauenburg, benutzt diese übersinnliche Neigung, um Agnes für sich zu gewinnen; als sie jedoch seine Absicht merkt, weist sie stolz und herbe ihn ab. Unter der Vorspiegelung, der König wolle sie um sich haben, lockt er sie dann ins Feldlager, wo sie ihm aber entflieht und dann auf dem Schlachtfeld von Lützen, im Begriff, den geliebten König zu suchen, einen ähnlichen Tod findet, wie in Schillers Fiesko dessen Gattin Leonore auf dem Wege zum Hafen von Genua. Daß Agnes den hohen Geliebten gelegentlich statt »mein hoher Herr« »mein höchster Herr« nennt, macht die Anlehnung an Kleist nicht weniger auffällig. Wenig glücklich ist die patriotische Tendenz des Stücks gerade auf die Lippen des verrätherischen Herzogs von Lauenburg gelegt. Seinen Abfall von der Sache des Königs begründet er mit den Worten:

»Kein Fremder, wär' er auch mein Blutsverwandter,
Steig' auf zu Karls des großen hohem Throne –
Nur teutsches Blut roll' unter Teutschlands Krone.
· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·
Europas Herz ist Teutschland und im Herzen
Des Herzens muß ein teutscher Pulsschlag leben …«

In solchen Stellen gelangte der Burschenschafter Laube zu Worte, und dieser patriotische Gesichtspunkt wurde verfolgt in einem zweiten historischen Drama, das Moritz von Sachsen dem spanischen Karl gegenüberstellte, die Schlacht bei Sievershausen zum Schluß haben sollte, aber Fragment blieb und verloren gegangen ist.

So naiv der Dichter in der Anlehnung an »berühmte Muster«, seine Lieblingsstücke, so schülerhaft er noch in Bezug auf tiefere Motivirung und charakteristische Sprache blieb, so zeigte er doch schon in der Anwendung der dramatischen Grundgesetze, in der klaren Exposition und dem straffen Aufbau der Handlung, in der Beschränkung auf das Nothwendige, im Freibleiben von Schwulst und Rhetorik, von Ballast jeder Art, ein künstlerisches Maßhalten, wie es die Jugenddramen der meisten unserer Dichter gerade vermissen lassen. Nur wenige Personen genügten ihm für die Darstellung der historischen Gegensätze und Konflikte; er ließ dieselben nur Gedanken und Gefühle äußern, die ihrem Charakter und der Bedeutung der Szene entsprachen; er ging immer resolut auf eine Bühnenwirkung los, die mit der Handlung zusammenhing. Und auch die Verwendung von Glockengeläut, Choral, Kriegsmusik &c. verrieth einen starken Sinn für das Bühnengemäße. Dennoch muß an dem guten Erfolg das lebhafte Spiel des Heldenspielers Kunst aus Braunschweig, der in der Titelrolle gastirte, einen beträchtlichen Antheil gehabt haben.

Eine noch größere Reife der Einsicht in das Wesen des Dramatischen bekundete Laube dann als Theaterkritiker von Karl Schalls » Breslauer Zeitung« und der Vereins-Zeitschrift »Aurora«, deren Leitung er bald darauf übernahm. Der Eindruck eines Gastspiels von Karl Seydelmann, des Stuttgarter Hofschauspielers, im besondern sein Spiel als Carlos in Goethe's realistischem »Clavigo« trug viel dazu bei, seine vom Zauber romantischer Stimmungspoesie noch vielfach befangenen Ansichten zu Grundsätzen des poetischen Realismus zu klären. Die Fehler des eigenen Dramas lehrten ihn auch die Schwächen seines großen Vorbilds Schiller erkennen. Unter dem Pseudonym »Alethophilos« (Freund der Wahrheit) stellte er dieselben in einem größeren Aufsatz »Allgemeine Kritik« zusammen. »Das Haupterforderniß jeder dramatischen Dichtung ist unserer Meinung nach die Natürlichkeit der Handlung und Sprache. Das Drama ist das Leben – zwar künstlerisch hypostasirt – aber voll Figuren, die der Wirklichkeit entnommen und nur durch die Dichtkunst in schöne Gewänder gehüllt sind, die der natürlichen Schönheit der Formen keinen Eintrag thun dürfen. Daß in der höheren Tragödie alles von einem höheren Standpunkte angesehen werden muß, als es das Leben bietet, daß alles veredelt und sogar der niedere Diener ans Ideal streifen muß, ist etwas oft Bestrittenes, was auch mir nicht so ausgemacht scheint, wenn auch ein Geist wie Schiller – sein Wallenstein'sches Lager ausgenommen, welches gewiß nicht den niedrigsten Platz seiner Erzeugnisse einnimmt – solch eine Richtung genommen hat. Shakespeare hat nicht so gethan; seine Gestalten aus der niederen Volksklasse sind treu und darum so ergötzlich kopirt, und es ist lächerlich, von Zerstörung der poetischen Illusion zu reden, wenn bei hochtragischer Katastrophe die plumpe Rede eines Niederen dazwischen klingt. Auf diese Weise kann es eigentlich gar kein poetisches Trauerspiel geben, dessen handelnde Personen nur dem niederen Stande entnommen sind. Hat wohl schon ein blinder Verehrer Schillers an solche Konsequenz gedacht?« …

Und weiter heißt es im Uebergang zu der Schauspielkunst: »Sind wir darüber einig, daß der Dichter eines Dramas vor allen andern Dingen das Leben kopiren und der Natur treu sein muß, daß er seine Helden und Heldinnen in psychologischer Hinsicht richtig, d. h. so, daß sie, wenn auch mit einigen Modifikationen, doch irgendwo unter vernünftigen Menschen lebend gedacht werden können, zeichnen muß, so ist auch damit schon dem Schauspieler der Fußsteig seiner Laufbahn angedeutet, von welchem leider so viele in den Sumpf und Moder der geschraubten Unnatur oder sonst wohin gerathen. Der Schauspieler muß im Lust- wie im Trauerspiele ein vollendetes Bild eines Menschen – nicht, wie so oft geschieht, eines Unmenschen im weitesten Sinne des Wortes – geben, dessen einzelne Theile so sorgfältig gearbeitet sind, wie der Maler etwas zur allgemeinen Beschauung Bestimmtes bis auf das Kleinste sorgfältig ausführt.«

In derselben Richtung bewegen sich die Xenien, von denen Laube im Wetteifer mit Heinrich Wenzel, in dem halben Jahrgang der »Aurora« gar manches Dutzend gegen Moderichtungen des Tages, gegen Raupach, Hell, Clauren, das romantische Drama veröffentlicht hat. Die einzelnen Kritiken führen die allgemeinen realistischen Grundsätze näher aus. Goethe's »Clavigo« und Lessings »Minna von Barnhelm« sind jetzt die von ihm am meisten gefeierten Muster. Bezeichnend sind gleich im Anfang die Lobsprüche auf Seydelmanns schlicht natürliche, aber ganz durchgeistigte Kunst, charakteristisch zu sprechen. Die Gedichte, die der damals dreiundzwanzigjährige Kandidat der Theologie in der »Aurora« veröffentlicht hat, »Der Student von Salamanca«, »Herr Ebbelin und die Nürnberger«, »Der lustige Jägersmann«, »Albano in Rom« ermangeln bei aller Frische der Gesinnung und Lust am fröhlichen Wagen der realistischen Kraft und Farbe und bewegen sich im Fahrwasser eines romantischen Dilettantismus, welchem auch die Freunde Laube's, Max von Oer, Leopold Bornitz, Adolf Mühlbach, Freiherr von Oelsnitz, Freiherr von Biedenfeld, Otto Hanisch u. a. mit mehr oder weniger Talent in Gedichten und Geschichten gehuldigt haben. Daß diese »literärische Zeitschrift« keinen großen Abnehmerkreis fand und am Ende des Jahres 1829 wieder eingehen mußte, ist nach dem Gesammteindrucke begreiflich genug.

*

Das folgende Jahr sollte seiner ganzen geistigen Entwickelung eine andere bedeutungsvolle Richtung geben. Dies anhebende Jahr der Julirevolution hat in seinem Verlaufe auch auf den Geist des jungen schlesischen Dichters revolutionirend gewirkt und in ihm das Bewußtsein entzündet, daß die hochgehende Zeit dem Schriftsteller höhere Aufgaben und Interessen zuweise als selbstgenügsames Dichten von Balladen und die Interessen der Bühne. Der Beginn des Jahres stand freilich noch im Zeichen der Resignation. Der geringe Erfolg der Aurora, die nachträgliche Einsicht in die Unzulänglichkeit seiner dramatischen Anfange – er hatte dem »Gustav Adolf« im Herbst ein parodistisches Bühnenstück »Zaganini« folgen lassen, zu dem ihn die übertriebene Aufnahme des Geigenvirtuosen Paganini in Breslau und der Einfall eines nothleidenden Schauspielers angeregt hatte –, im besondern aber auch die Nothwendigkeit, Geld zu verdienen, führten ihn zu der Erkenntniß, mit seinen literarischen Anfängen sich aus dem Holzweg zu befinden.

Wie leicht selbst die lebhafteste Beschäftigung mit ästhetischen Dingen bei mangelndem Talent und bloßer Unterhaltungsgabe zu einem unruhigen, plan- und ziellosen Dilettantismus führen kann, dafür mußte ihm als warnendes Beispiel gerade der Mann erscheinen, der während des letzten Jahres bei den verschiedenen literarischen Anläufen sein wichtigster Gönner gewesen, der Herausgeber der Breslauer Zeitung, Karl Schall. Karl Schall war der verkörperte Enthusiasmus für Kunst, Theater, Literatur, von jener Art, die nur Stimmung, nicht Urtheil und Produktion ist, in der Nüance der schlesischen Lebenslust und einer allgemeinen Genußsucht, der im Grunde die Beschäftigung mit dem ideal Schönen ein willkommenes Dessert ist nach ausgiebiger Mahlzeit an dem gedeckten Tisch der realen Lebensgenüsse. Wenn Heine den weltmännisch feinen Varnhagen ob seiner Verehrung für Goethe, als dieser gestorben war, den »Statthalter Goethe's auf Erden« genannt hat, so galt Karl Schall der Goethegemeinde in Schlesien wie in Berlin als begeisterter Tafelredner des Goethekultus, wo immer dieser sich in festlicher Vereinigung aufthat. Seine Liebe zur Kunst war stets Personenkultus und, wie er mit der schönen Stimme einer Sängerin die ganze hübsche Person zu lieben pflegte, so liebte er Goethe mit sammt seinen Titeln und Orden, Mängeln und Schwächen. Als Sohn eines wohlhabenden gebildeten Kaufmanns am 24. Februar 1780 geboren, hatte er nach seines Vaters Tod sein Geschäft verkauft, um ganz seiner Neigung zur Kunst, zu den schönen Wissenschaften zu leben. Er gründete, in Konkurrenz zu der Schlesischen Zeitung, die Breslauer Zeitung und hatte damit Glück, weil er das Prinzip der Unterhaltung der Trockenheit der alt eingesessenen Zeitung entgegensetzte. Seine kleinen Lust- und Scherzspiele wie »Die unterbrochene Whistpartie«, »Mehr Glück als Verstand«, »Trau, schau, wem«, waren eine Zeit lang beliebt, weil sie voll gutmüthiger Heiterkeit waren und den banaleren Ansprüchen der Bühne genügten. Mit Holtei vereinigte er sich 1823 zur Herausgabe der »Deutschen Blätter für Poesie, Literatur, Kunst und Theater«, die jedoch bald wieder eingingen. Durch Karl Schall, der mit gutem Blick die Anlagen des jungen Laube für dramaturgische Kritik erkannt hatte und mit liebenswürdiger Lust am Patronisiren dessen Beiträge in sein Blatt reichlich bezahlte, ihn auch gern zum Genossen seiner substantiellen kleinen Diners machte, wurde dieser in die Personalgeschichte der zeitgenössischen Literatur eingeführt, in die Literatur wie sie lebte. Er schwärmte übrigens nicht nur für Goethe, und weiter für Shakespeare, er kannte auch genau deren Werke, manche davon sogar auswendig und verstand vortrefflich mit realistischem Ausdruck zu rezitiren. Den damals so viel mißkannten, und doch so echten, bahnbrechenden Realismus in Goethe seinem jungen Adepten erschlossen zu haben, ist sein unstreitiges Verdienst. Als Schall, der immer erregte, immer beredte, immer verliebte, immer hungrige und durstige »Freudenmarschall« von »gruß Braßl«, am 18. August 1833 plötzlich starb, hat ihm Laube in der »Zeitung für die elegante Welt« einen größeren Nekrolog gewidmet, ein Musterstück liebenswürdigen Lobs, bei eingestandener Einsicht in die vorhandenen Schwächen und farbenfrischer Individual-Charakteristik. Das Naive seiner Lebenslust, das Bestrickende seines Gelächters, welches sich Selbstzweck war, »eine fraglose Lebenswelle heiteren Daseins«, die Komik seiner äußeren Falstaff-Erscheinung und die ästhetische Richtung seines Falstaff-Humors hat er dort vortrefflich geschildert, aber auch die Ursachen, warum ein solcher »Liebhaber des Schönen, der Schönen und der schönen Künste« nie über den Dilettantismus hinaus kommt.

Laube wollte kein Dilettant werden. Etwas Ganzes, Volles bei zielbewußter Thätigkeit schwebte ihm vor. Daß der Predigerberuf ihm dies bei seiner Ablehnung alles Dogmatischen in der Religion nicht bieten könnte, war ihm gewiß. Was sollte er werden? Eine Hauslehrerstelle sollte ihm zunächst die Muße gewähren, sich klar zu werden, wie dies Ziel zu erreichen. Sie war ihm durch einen seiner Freunde aus dem Poetenverein, die der Mehrzahl nach Breslauer Patrizierfamilien angehörten, vermittelt worden bei einem Oheim, der zwei Meilen von Breslau ein Gut besaß, früher hier Arzt gewesen war, jetzt privatisirte, und für seine Kinder einen »Hofmeister« brauchte …

Das Haus, in das Laube eintrat, stand der Bildung der Zeit nach allen Seiten offen und da in deren Gährungen die Politik zur Großmacht wurde, so gelangte der lerneifrige Hauslehrer jetzt zum ersten Mal zu einer täglichen Beschäftigung mit der politischen Tagesgeschichte. Der alte Herr hatte seine Freude daran, daß sein Kandidat kein theologischer Duckmäuser war, daß derselbe reiten konnte, sich um die allgemeinen Interessen bekümmerte und für ein anregendes Gespräch beim Glase Wein brauchbar war. Mit dieser Aufforderung zum Interesse an Politik kam aber von Frankreich her durch die Zeitung weit kräftigere Mahnung heran: der Abgang Martignacs, der Eintritt Polignacs in die Staatsleitung, die Erschütterung des kaum befestigten Throns und dann Lafayette's Sturmreden, die Sturmvögeln gleich der Revolution vorausgingen. Das wurde nicht mehr mit bloßer Neugierde gelesen, rein akademisch zwischen dem Jungen und dem Alten erörtert, das wurde von Laube erlebt als Herausforderung zur Parteinahme. Der Zusammenhang zwischen dem burschenschaftlichen Gedanken und dem in Frankreich so siegreichen Liberalismus trat ihm mit siegender Gewalt ins Bewußtsein. Der Spätherbst aber desselben Jahres drang noch mächtiger mit politischer Kunde in die Stille des Landhauses: »Revolution in Warschau!« hieß sie und der alte Doktor fügte hinzu: »Nun geht's über Europa.« Bei der Nähe der polnischen Grenze wirkte in Schlesien diese neue Revolution aufregend auf alle Gemüther. Nur bei wenigen mit Sympathie für die Sache Polens: historische Erinnerung und das Bewußtsein der Rassenverschiedenheit nährte hüben und drüben die Abneigung der Grenzvölker. Auch Laube, der in Breslau in steter Berührung mit Polen gewesen war, hatte etwas von diesem Mißtrauen im Blute. Er kannte zudem die sozialen Mißstände, den herrschenden trägen Adel, den geknechteten Bauernstand, den Mangel eines gesund entwickelten Bürgerthums, wie sie Heine in seinem Memoire über Polen auf Grund seines Besuchs beim Grafen Breza im Jahre 1821 geschildert. Der nationale Rigorismus der Burschenschaft hatte diese Bedenken nur verstärken können. Daß ihm jetzt dennoch die Bedeutung der polnischen Revolution für die liberale Sache in ganz Europa aufging, war nur dadurch möglich, daß er bereits ein leidenschaftlicher Parteigänger der liberalen Ideen geworden war. Letzteres war nun sein »Prinzipal« gerade nicht, aber dessen humanes Interesse begleitete doch die Polen in ihrem Kampf gegen Rußland und seine Einsicht sagte die Siege voraus, welche die vom Großfürsten Konstantin für Rußland vortrefflich geschulte polnische Armee zunächst über das russische Heer erfocht. Diese Siege, die näheren Nachrichten vom Heldenmuth der für ihre Freiheit kämpfenden Polen erhitzte die angeborene Kampfeslust in Laube's Naturell dermaßen, daß er sich eine Zeit lang mit dem Plane trug, als Freiwilliger über die Grenze zu gehen. Sein »Prinzipal« hielt ihn nur mit Mühe zurück. Historische Studien über Polen und das eifrigste Verfolgen aller Nachrichten mußten Ersatz für die wirkliche Theilnahme am Kampf mit der Waffe in der Faust bleiben. Da erschien der Aufsatz Lord Broughams, des alten englischen Reformpolitikers, der Aufruf an Europa, sich der polnischen Sache anzunehmen. Laube verschlang die Schrift; ein heißes Verlangen, an der öffentlichen Debatte zu Gunsten Polens theilzunehmen, bemächtigte sich seiner. Und so machte die polnische Revolution Laube zum politischen Schriftsteller.

Den Stoff zu seiner ersten Schrift brachte ihm wieder ein persönliches Erlebniß. Im Spätwinter war er mit der Familie seiner Schüler für einige Monate in die Stadt gezogen. In dem neu eröffneten russischen Dampfbad lernte er einen Verwundeten kennen, der vom Schlachtfeld bei Iganje nach Breslau zu seiner Heilung gekommen. Als der polnische Offizier Laube's Antheil wahrnahm, öffnete er bald alle Schleußen seiner Mittheilungslust, und als er hörte, daß der Frager ein Schriftsteller sei, der eine Arbeit zu Gunsten der Polen vorhabe, da wurde er Feuer und Flamme. »Schreiben Sie, schreiben Sie!« rief er. »Wir fahren nach Leipzig und lassen dort drucken, und dann fahren wir mit der gedruckten Broschüre nach Paris.« Und wirklich! Laube schrieb. Er löste sein Hauslehrerverhältniß und begleitete seinen polnischen Gewährsmann nach Salzbrunn ins Gebirge, wo dieser die völlige Heilung seiner Wunde abwarten wollte vor der ersehnten Rückkehr in die noch immer siegreiche Heimat. Sie bewohnten zusammen ein Zimmer und auch die Arbeit war eine gemeinsame. Der Blessirte erzählte, schilderte, Laube ordnete und schrieb. »Mein Pole kannte Alles und Alle bis in die verborgensten Falten, jeden Schlachtplan, wie er entworfen, wie er verändert, wie er ausgeführt worden, jeden General, jeden Minister. Ich lernte Strategie, für welche er Fähigkeit in mir zu entdecken meinte; ich lernte ein Staatstreiben mit all seinen Intriguen kennen, ich lernte lebensvolle Charaktere kennen und die Konstantin, Kaiser Nikolaus, Paskiewitsch, Chlopicki, Skrzynecki, Dwernicki, Czarnowski bis auf den unerschöpflich erfinderischen Strategen Prondzinski wurden mir sämmtlich nach dem Leben porträtirt. Auch in Betreff der Fassung lernte ich reichlich. Die Schrift hatte einen bestimmten Zweck, einen diplomatischen, und mein Pole beanstandete oft meine schönsten Phrasen. »Nicht zu viel, nicht zu stark!« rief er einmal über das andre, »keinen Superlativ, der macht die Staatsmänner scheu.« So eilte die Schrift ihrem Ende zu. Da ward die Schlacht bei Ostrolenka geschlagen und Polen war, trotz des Trotzworts seiner Patrioten – verloren. Laube's Freund eilte, nur unvollkommen geheilt, nach Warschau, vor dessen Thoren er dann in der letzten Verzweiflungsschlacht fiel.

Trotz dieser Enttäuschung schrieb Laube die Schrift zu Ende und machte mit ihr dann den Versuch zum öffentlichen Debüt als politischer Schriftsteller. Er sandte das Manuskript noch von Salzbrunn aus an Hoffmann & Campe nach Hamburg, die ihm als Verlag von Heine's und Börne's Schriften bekannte liberalste aller deutschen Buchhandlungen. Und Campe nahm an. Im Salzbrunner Pfarrhaus, in dem er die Freundschaft des Pfarrherrn und die Neigung einer Haustochter bald als Mächte empfand, die ihn mit der Theologie als seinem Beruf wieder aussöhnen wollten, empfing er den Brief Campe's, der die neue Wendung seines Lebenslaufs besiegelte. Die damals entstandene Schrift, als »Brief an Brougham« geplant, ist übrigens nie als selbständiges Buch erschienen, dafür aber von Spazier in sein großes Werk über die polnische Revolution aufgenommen worden und im folgenden Jahre darin erschienen. Campe verzögerte den Druck und fand sie dann von den Ereignissen allzusehr überholt, als Laube ihn mahnte. Er zahlte dennoch das ausgemachte Honorar, stellte aber die Schrift dem Autor zu anderer Verwendung wieder zu. Dieser war inzwischen nach Leipzig gegangen und hatte bereits ein anderes Werk über Polen, eine Geschichte von Volk und Land bis zur Gegenwart, in Angriff genommen. Der Entschluß, seine Zukunft ganz auf seine Feder, den Beruf des Schriftstellers zu gründen, wie es Heine und Börne gethan, deren Schriften jetzt seine Lieblingslektüre, war zum Durchbruch gekommen. Eine dritte revolutionäre Thatsache hatte die Entscheidung herbeigeführt: der Saint-Simonismus. Leipzig sollte nur eine Zwischenstation auf der Reise nach Paris sein: dort wollte er das neue Welterlösungs-Evangelium an der Quelle studiren. Wie er aber von sich selbst später gesagt hat: »Gestalt, greifbare Gestalt brauchte ich, wenn ich Antheil hegen sollte«, so bereiteten auch hier reale Lebenseindrücke erst in seiner Seele den Boden, aus welchem die phantastischen Reformideen des Saint-Simonismus dann schnell und keck in die Halme schossen.

Diese Erlebnisse vermittelte eine zweite Hofmeisterstelle, die sich ihm in verlockender Form gerade damals darbot, als er im Pfarrhause von Salzbrunn sich von dessen Bewohnern zur Beendigung seiner theologischen Examenarbeit über die Erbsünde mit sanfter Mahnung gedrängt fühlte und zugleich von künftigen Erfolgen als politischer Schriftsteller im Dienste der Freiheit träumte. Schon hatte er begonnen, als Vertreter des Pfarrers auf dessen Kanzel sich wieder einmal im Predigen zu üben, als er von einer Dame einen Brief erhielt. Diese Dame hatte er kennen gelernt auf dem Gute jenes Prinzipals, bei dem er bisher Hauslehrer gewesen. Sie wohnte auf der andern Seite der Oder in einem schloßartigen Herrenhause. Dort war er einige Male zu Besuch gewesen und dort hatte es ihm sehr wohl gefallen. »Die Dame selbst, die Herrin des Hauses, war literarisch gebildet, war eine Freundin Karl Schalls, sah öfters die Koryphäen Breslaus in Kunst und Wissenschaft bei sich und verfügte über eine ausgesuchte Bibliothek.« Diese Bibliothek voll ausgesuchter guter Bücher gehörte einem jener deutschen Kavaliere, die, in ihrer Jugend im Geiste Voltaire's erzogen, das Bestehende in Staat und Gesellschaft verachteten, ohne doch praktisch Theil zu nehmen an der Herbeiführung besserer Zustände, sondern sich an geistreicher Kritik und einer möglichst freien Gestaltung des eigenen Lebens genügen ließen.

Er hieß Baron von Vaerst und befand sich auf Reisen. Seine Bibliothek sollte dem neuen Hofmeister zur Verfügung stehen, was der Einladung der Schloßherrin an Laube, als Erzieher ihrer zwei Kinder nach Jäschkowitz zu kommen, doppeltes Gewicht gab. Schlesien, dessen Adel wiederholt der deutschen Dichtung liebenswürdige Talente gestellt, wie den Freiherrn Eichendorff und den Grafen Strachwitz, lieferte auch dem Kontingent der liberalen Zeitkritik aus dem Heerlager der privilegirten Stände eine Reihe der merkwürdigsten Originale. Von allen der bedeutendste war der Fürst Pückler-Muskau, der damals gerade viel von sich reden machte durch den Freimuth, mit welchem der bis vor kurzem mit einer Tochter Hardenbergs verheirathete preußische Standesherr in seinen »Briefen eines Verstorbenen« (Stuttgart 1830, 1831) an den politischen Zuständen und sozialen Einrichtungen voll satirischer Laune Kritik geübt hatte. Fürst Hermann von Pückler, geboren zu Muskau am 30. Januar 1785, auch bekannt durch Erfindungen auf dem Gebiete der Kochkunst und die großartigen Parkanlagen, die er aus Muskau im Stil des englischen Naturalismus anlegte, lebte, nachdem er als Offizier am Krieg theilgenommen, seinen Liebhabereien und am liebsten auf Reisen. Seine 1817 mit der Gräfin Pappenheim, geborenen Hardenberg, eingegangene Ehe, welche kinderlos geblieben war, ließ er 1826 scheiden, blieb aber in freundschaftlichem Verhältniß zur Fürstin, welcher er auch seine Reisebriefe aus England widmete, in denen er die ritterlichste Ergebenheit für sie zur Schau trug. In seinen Reisebriefen blieb er, was er im Leben war, ein geistreicher Sonderling, der mit wechselndem Glück und mit Wahrung eines überlegenen weltmännischen Grundtons die Reisebilderweise Heine's nachahmte. Als Schüler Heine's hat er sich denn auch wiederholt bekannt, vor allem in jenem liebenswürdigen Briefe an diesen vom 10. Februar 1834, in welchem es mit Bezug auf die eigenen Tutti frutti heißt: »Es ist in jeder Hinsicht nichts als ein hors d'oeuvre – fänden Sie indessen, liebenswürdigster und witzigster unserer Humoristen, daß es mir bei Betretung der Bahn, welche Sie so glänzend eröffnet, auch nur einmal gelungen wäre, mit jener graziös originellen Natürlichkeit und Laune zu schreiben, die Ihre Schriften so unwiderstehlich anziehend macht, gleich Ihnen gelungen wäre, einer ernsten Wahrheit lachend Eingang zu verschaffen, oder mit Erfolg dumme Vorurtheile furchtlos bekämpft zu haben – ich würde mit Stolz und Freude mehr für mich gewonnen glauben, als ich bis jetzt noch zu hoffen wage.« Aber so dilettantisch Pücklers Schriftstellerthum, so inkonsequent und launenhaft sein Liberalismus blieb, der politischen Aufklärung hat er, sobald es ruchbar wurde, daß der anonyme »Verstorbene« ein Fürst sei, in den Jahren nach der Julirevolution fast noch mehr Vorschub geleistet als die Redner des Freisinns in den Parlamenten und z. B. Rotteck und Welcker als Systematiker des Liberalismus in ihrem »Staatslexikon«. Denn daß ein preußischer Fürst als Apostel des Freisinns auftrat, daß ein solcher an den Privilegien und Vorurtheilen seines Standes rüttelte, wirkte auf die große Masse des deutschen Philisterthums überzeugender und ermuthigender als die begeistertste und vernünftigste Ansprache von irgend einem Bürgerlichen hätte wirken können. Auch auf Laube, der einst als Knabe den Fürsten vierspännig vom nahen Muskau her durch die Hauptstraße von Sprottau hatte fahren sehen mit voraufreitendem Kurier, und inzwischen mit Staunen erfahren, daß derselbe Herr zu den liberalen Schriftstellern zähle, unter die auch er zu treten im Sinne trug, wirkte die Thatsache befreiend von mancher Befangenheit. Als er sich dann in Leipzig in einem eigenen Blatt als solcher bethätigte, hat er auch dieses Einflusses dankbar gedacht und geschildert, wie nach dem Erscheinen der »Briefe eines Verstorbenen«, als in Schlesien von Schloß zu Schloß das Gerücht flog, daß ein angesehener, ihnen allen bekannter Vertreter des schlesischen Hochadels der Verfasser dieses Aufsehen erregenden Buches sei, plötzlich mit dieser Nachricht das literarische Interesse in die Schlösser dieses Adels eingezogen sei als eine neue Lebens- und Bildungsmacht. Was Goethe und Schiller nicht gelungen, den preußischen Adel als solchen für die deutsche Literatur zu interessiren, gelang jetzt dem Standesgenossen. Und der liberale Gährstoff des Buches wirkte als Sauerteig der politischen Aufklärung auch in dieser Welt exklusiver Bevorrechtung.

Zu den Ausnahmen in Schlesien hatte schon früher das Herrenhaus gehört, das in einem Teiche auf einer Insel, also sehr weltabgeschlossen gelegen, dennoch im lebhaftesten Rapport stand mit allem, was die Welt bewegte. Daher kam es auch, daß der geistreiche Weltenbummler von Vaerst seine schöne Bibliothek dorthin in Pension gegeben hatte und sie nun zur Benutzung offen stand nicht nur dem lernbegierigen neuen Hofmeister, sondern auch dem lebhaft angeregten geselligen Kreis, den die Gastfreundschaft der Baronin von Niemptsch in buntem Wechsel um sich zu sammeln wußte und zu dem auch mehrere der alten Freunde Laube's gehörten. Diese Bibliothek und diese Geselligkeit erweiterten den Horizont des jungen Schriftstellers, der heimlich an einer Geschichte Polens schrieb, ungemein. Börne, Heine, Pückler, die neuere vaterländische Geschichte, wie sie in den Memoirenwerken A. von Woltmanns u. A. zu Tage trat, die liberalen Ideen, wie sie in der Allgemeinen Zeitung, den Cottaschen Annalen vertreten wurden, und dann wieder die konservative Staatsphilosophie, wie sie in dem Politischen Wochenblatt Jarcke begründete und vertheidigte, gaben den täglichen Gesprächstoff an dem Tisch der Baronin, wobei er deren frisch belesener Sekundant war. Der polnische Freiheitskampf und dann sein klägliches Ende, die Unterstützung, die Preußen Rußland im Niederschlagen der Insurrektion geleistet, bildeten dabei noch immer das aktuellste Thema. Auch dieses spaltete die Tischgesellschaft in zwei Parteien. Vater und Sohn waren konservativ und russisch, Mutter und Tochter liberal und polnisch, die Schweizer Gouvernante kosmopolitisch, Karl Witte, ein Verwandter des Hauses, derselbe, der später namentlich durch seine Danteforschungen bekannt ward, vertrat mit besonderer Leidenschaft den Jarcke'schen Standpunkt, Laube mit wachsender Ueberzeugung die demokratische Stimmungspolitik der süddeutschen Liberalen. Da ihm aber in diesem Lebenskreise alles Angenehme und Schöne, geistige Uebereinstimmung und förderndes Interesse von Seiten adeliger Damen zu Theil ward, da er als scharfer Beobachter der aristokratischen Sitten diese sich als guter Gesellschafter, gewandter Reiter und in ritterlicher Galanterie zu eigen machte, erhielt sein Demokratismus sogleich beim Entstehen einen Zug der Toleranz, ja auch der Anerkennung aller Vorzüge aristokratischen Lebens. Es erwuchs ihm zugleich auch aus den gemeinschaftlichen Eindrücken des buntverzweigten Verkehrs im Herrenhause, wo nicht nur die Ehegeschichte des Fürsten Pückler, sondern noch gar mancher andere Roman aus den Familiengeheimnissen des schlesischen Adels von Kennern wie Karl Schall eingehend besprochen ward, das Lieblingsthema seiner späteren Poesie: der Demokratismus der Liebe des weiblichen Herzens, insofern diese auf Stand und Rang nicht achtet, wenn sie zur Leidenschaft wird, die Anziehung vornehmer Weiblichkeit auf Bürgerliche von Geistesadel, die im Kampf gegen die aristokratischen Privilegien in Liebe entbrennen zu schönen Damen der Aristokratie. Wir können bei dem Mangel an direktem Nachweis nicht mehr konstatiren, welches wirkliche Vorbild der Fürstin Constantie in Laube's Roman »Das junge Europa« zu Grunde gelegen hat, diese einzige weibliche Gestalt des Romans, die in allen drei Theilen in die Handlung eingreift; daß aber für diese Gestalt ebenso reale Lebenseindrücke den Stoff boten, daß sein Herz jetzt selbst Erfahrungen zu machen hatte, welche die Dialektik dieses im Jahre darauf begonnenen Romans verarbeitet hat, ist um so wahrscheinlicher, als für das Treiben der Helden des ersten Bands, »Die Poeten«, in Grünschloß, der Verkehr aus Jäschkowitz zweifelsohne als Vorbild gedient hat. Jene Schloßherrin, die Gattin des Landesältesten von Niempsch, eine geborene von Gilgenheimb, hat, wie ich bei Altersgenossen unseres Dichters in Breslau feststellen konnte, den Ruf einer sehr emanzipirten Dame hinterlassen, und ihre Tochter, Laube's Schülerin, die bald nach jener Zeit den preußischen Gesandten in Rom, Herrn von Buch, nach dessen Tode den Fürsten Hatzfeld aus Trachenberg heirathete, hat ein ebenso romantisches Leben geführt, wie ihr Bruder Paul, der im Jahre 1848 in Schlesien von sich reden machte. Aus diesem Familienkreise ging auch jene Fürstin Hatzfeld hervor, für welche Lassalle im Kassettenraubprozeß so ritterlich eintrat und die zu dem Sozialistenführer Mende das vielbesprochene Verhältniß gewann. Hiermit stimmt es auch überein, daß von den Ideen des Saint-Simonismus, nach der Tendenz desselben Romans zu urtheilen, diejenigen vom Recht der Liebe auf Freiheit im besondern es waren, die seinen Geist in jener Zeit am mächtigsten erregten.

Um dieselbe Zeit, da verschiedene der Flüchtlinge aus Polen, die am Freiheitskampfe Theil genommen und jetzt nach der Kapitulation in Schaaren über die Grenze kamen, die Gastfreundschaft dieses Hauses genossen, und er nach deren Erzählungen einen Nachtrag zu seinem »Memoire« über die polnische Revolution schrieb, war ihm eine populäre deutsche Darstellung des Saint-Simonismus in die Hände gerathen, welche der Buchhändler Veit in Berlin über die neue Geistesbewegung in der französischen Hauptstadt hatte erscheinen lassen.

Hier kam ihm der Liberalismus im Gewande einer Religion entgegen, die für alle seine Zweifel und Sorgen Erlösung zu bringen schien und allem Schwanken in Betreff seiner theologischen Laufbahn ein Ende machte. Auch die Bedenken, welche sein junges, für Frauenreiz so empfängliches Herz, die Untreue gegen das Salzbrunner Pfarrerskind und eine neue Leidenschaft in ihm erregt, brachte es zum Schweigen. Die reformatorischen Ideen St.-Simons ergriff er wie Leitfaden eines befreienden, beglückenden Evangeliums. Dasselbe erschien ihm, dem Kandidaten der Theologie, wie eine Herstellung des ursprünglichen echten Christenthums. Seine theologische Wissenschaft hatte ihm ja deutlich gemacht, daß von Jahrhundert zu Jahrhundert die hohe Lehre des Heilands verfälscht und verdorben worden sei. »Die große liebevolle Demokratie der christlichen Lehre war eingesargt worden in eine herrschsüchtige Aristokratie der Kirche, welche dem Worte und Wesen Christi schnurstracks widersprach.« Luther war mit seiner Reformation auf halbem Wege stehen geblieben. Jetzt waren ihm die Grundsätze des Liberalismus eine »neue Bergpredigt, welche ihr Thema in alle Winkel des Unrechts, wenigstens der Ungerechtigkeit hineinführen, welche alles Unrecht und alle Ungerechtigkeit bloßlegen und abschaffen, wenigstens grundsätzlich tödten sollte.« Ist der Staat und die Gesellschaft auf die Grundsätze der Gerechtigkeit und Liebe zurückgeführt, dann – meinte er – wird auch die religiöse Anstalt der Gesellschaft, dann wird auch die Kirche jene Wandlung finden nach dem Ideale hin, dessen Grundlinien uns das Urchristenthum gezeichnet hat. Als ein Apostel des neuen Freiheitsglaubens zu wirken, war jetzt sein Entschluß. »Ziehe hin nach Paris, rief es in ihm, studire an der Quelle die neue Lehre. Schreibe ein Buch drüber, ohne philosophischen Schwulst, klar und deutlich. Laß alles Alte und Veraltete. Suche und treibe Lebendiges!« Er wollte Schriftsteller werden – wie Heine, wie Börne –, ein Lehrer des Fortschritts. Ob nicht auch quälende Herzensbeziehungen, die er enden wollte, mitwirkten? ihn zu einer Art Flucht drängten? auch jene Melancholie und Krankheit erzeugten, die ihn bald nach seiner Ankunft in Leipzig, wo er für seine neue Schrift über Polen zunächst einen Verleger suchte, den Lebensmuth lähmten und schließlich zu einer Kur in Karlsbad nöthigten; wir können es nur – doch dies müssen wir auch – als wahrscheinlich bezeichnen.

An einem Herbsttag des Jahres 1832 reiste er von Breslau mit der Schnellpost nach Leipzig. Die sächsische Hauptstadt des deutschen Buchhandels sollte nur eine Station auf der Reise nach Paris sein. Doch sind noch Jahre vergangen, ehe er dorthin gelangte. Die fleißige Buchhändlerstadt an der Pleiße fesselte ihn; bald hatte er Arbeit die Fülle, Arbeit als Schriftsteller im Kampf für die liberalen Ideen.

*

Um dieselbe Zeit, in welcher der fünfundzwanzigjährige Laube in Salzbrunn sein erstes Buch über die polnische Revolution schrieb, reiste ein um fünf Jahre jüngerer Gesinnungsgenosse von Berlin nach Stuttgart, um dort gleichfalls als Schriftsteller im Dienst der liberalen Ideen zu wirken. Nicht in ländlicher Umgebung war dieser junge Geist emporgeblüht; seine Kindheit hatte das Leben einer großen Stadt zum Resonanzboden; dennoch war der Schauplatz der ersten Anfänge auch hier ein Idyll.

Der Ursprung dieses Idylls führt uns in die jetzt stolze Kaiserstadt des neuen deutschen Reichs, in eine Zeit zurück, da sie noch die kleinmüthige Hauptstadt des von Napoleon arg bedrängten Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. war, zurück in jenes Jahr, wo ein mächtiges Kometengestirn am Himmelsgewölbe lange Monde hindurch die Bewohner Deutschlands mit unbestimmten Ahnungen großer Dinge erfüllte, unter dessen Zeichen der beste Wein des Jahrhunderts, der »Elser« gedieh, das dem Brande von Moskau und den Siegesflammen des deutschen Befreiungskrieges vorausleuchtete. Und ähnliches Feuer, wie das jenes Weins, sehen wir auch in dem jungen Menschenleben erglühen, das unter diesem Zeichen als ein seltenes Gestirn über Deutschland aufging, um kometengleich neue Bahnen zu wandeln.

Karl Gutzkow, mit dem Zunamen Ferdinand, ward am 17. März 1811 in Berlin unter ärmlichen Verhältnissen, aber großartigen Umgebungen geboren. Dicht in der Nähe jenes weltberühmten Gegenübers von stolzen Palästen, Unter den Linden, wo sich schon damals die Organe des geistigen und politischen Lebens berührten, wo das königliche Schloß, die Akademie mit ihrer Normaluhr, die Universität dicht bei einander liegen, stand seine Wiege. Die eigenthümliche Stellung, die abenteuerreiche Vergangenheit, die Erzählungslust des Vaters brachten es mit sich, daß die Kindheit des Knaben unter einem Reichthum verschiedenartigster Eindrücke verlief, wie ihn die glänzendste Stellung der Eltern nur selten Kindern gewähren kann. Dieser – er führte denselben Vornamen wie sein zweiter Sohn Karl – war Bereiter des Prinzen Wilhelm von Preußen und der königliche Marstall im hinteren Theile des Akademiegebäudes, dessen mächtiges Häuserquadrat zwischen der jetzigen Dorotheenstraße, die damals die »letzte« hieß und »Unter den Linden«, wo seine stolze Front sich befindet, zu jener Zeit, wie heute, einen Tempel der Minerva in allen Beziehungen darstellte, ist die Heimath des Knaben. Hier im nordöstlichen Marstallpavillon (Stallstraße Nr. 17) wurde Gutzkow geboren.

Als Vierziger hat der Dichter die Tage seiner Kindheit, »das Jugendmärchen, das Alle erlebt haben und wahrer ist, als alle Geschichte,« uns selbst geschildert. Sein Buch »Aus der Knabenzeit«, eine wahre Perle unserer Literatur voll köstlicher Offenbarungen eines tiefinnerlichen Seelenlebens, ist zwar mehr in der Absicht geschrieben, ein Bild der Zeit und der Lebenskreise, in denen er aufwuchs, denn ein Bild seiner eigenen Entwickelung zu geben, hat wenigstens in diesem kulturgeschichtlichen Charakter seinen besonderen Werth; aber es enthält daneben auch das feste Gerüst der biographisch wichtigen Thatsachen dieser Periode, welche sehr gewissenhaft zusammengetragen sind. Es ist mir gelungen, diese Angaben noch um Mittheilungen ihn überlebender Mitschüler und um Einzelheiten seines Studiengangs aus den Akten der Berliner Universität zu ergänzen. In diesem Jugendleben hat das Studium und die gelehrte Wissenschaft eine ganz andere Rolle gespielt als bei Laube, dem von früh an nur das Leben selbst die Schule war, in der er mit Eifer studirte. Aber indem wir von dem Berliner Schul- und Studiengang Gutzkows ein eingehenderes Bild entwerfen, kennzeichnen wir auch die Bildungssphäre, in welcher Laube als Glogauer und Schweidnitzer Gymnasiast, als Hallenser und Breslauer Student aufgewachsen.

Die Familie Gutzkow stammt aus Pommern, Kenner der Geschichte dieser Landschaft wissen die Gründung der jetzt zu Mecklenburg gehörenden Stadt gleichen Namens auf ein Grafengeschlecht Gutzkow (mhd. Gutzgauch = Kuckuck, anal. den Adelsgeschlechtern von Fink, Hahn, Geyer) zurückzuführen, das unter den Ottonen aus Franken in Pommern eingewandert war, der Insel Rügen eine Zeitlang Regenten, und dem Kampf gegen das obotritische Heidenthum mannhafte Kämpen gestellt hat. Die ältesten direkten Familientraditionen führen auf Wollin an der Ostsee zurück. Ein Abkomme des fränkischen, nur im Namen slavisirten Rittergeschlechts war daselbst Bischof. Eine Cölibatübertretung desselben scheint dem Stammvater einer bürgerlichen Seitenlinie Ursprung gegeben zu haben. Wir finden deren Abkömmlinge in dortiger Gegend ansässig, nicht als Bauern, sondern als Gerichtsschreiber, Schulmeister und Küster. Der Großvater des Dichters war anfangs Patrimonialgerichtsschreiber, dann Schullehrer und Küster der eine Gemeinde bildenden pommerschen Dörfer Löckenitz, Klempenow und Dorotheen- (»Dorten«-) walde an der Uckermärker Grenze. Er starb früh und hinterließ eine kranke, bettlägerige Wittwe und zwei unmündige, kräftige Jungen August und Karl. Der Sinn dieser beiden Schulmeisterswaisen erstrebte Höheres, als ihnen eine Knechtsstellung auf den Bauerngütern, zwischen denen sie aufwuchsen, gewähren konnte. Als sie flügge waren, machten sie sich auf, den goldenen Boden des Handwerks zu suchen. Sie kamen nach Stettin, und August, der ältere, trat bei einem Schneider, der uns speziell interessirende Karl bei einem Maurer in die Lehre. Nach fünf Jahren wurden sie zünftig gesprochen und beide wandten sich nun nach Berlin. Unruhiges, unternehmungslustiges Blut scheint das Erbtheil der jungen Gesellen gewesen zu sein. Der ältere hing bald die Elle an den Nagel und ward Diener beim Grafen Brühl, dem Erzieher der Kinder des Königs. Der Maurer blieb zunächst seinem Berufe treu; als ihm aber das Unglück zustieß, durch aufspritzenden heißen Kalk eine schwere Verletzung des einen Auges davon zu tragen, folgte er nach überstandenem Krankenlager dem Beispiele des Bruders, durch dessen Vermittelung er zunächst der Stallaufseher des Grafen wurde, und bald darauf, auf dessen Empfehlung, eine Stelle im Marstall des Prinzen Wilhelm, dem zweiten Bruder des Königs, übertragen erhielt, welcher gerade damals seinen ersten eigenen Hofstaat einrichten durfte. Als Bereiter der prinzlichen Rosse wurde er des Prinzen ständiger Begleiter auf dessen ersten selbständigen Reisen in Böhmen, Sachsen und Schlesien, auf dem unglücklichen Feldzuge von 1806 und dem fluchtähnlichen Rückzuge; er war Theilnehmer der einsamen Spazierritte während des dreijährigen Aufenthalts in Königsberg; er war sein treuer Knappe in den glorreichen Befreiungskriegen, wo der Prinz anfangs zu Blüchers Hauptquartier gehörte, bei Großgörschen einen Kavallerieangriff kommandirte, an der Katzbach, bei Leipzig, dann unter York als Brigadegeneral bei Laon und am Montmartre mitfocht und schließlich an dem Siegeseinzug der Deutschen in Paris theilnahm. Auch noch manches Jahr des Friedens und des gerüsteten Manövers hat Gutzkows Vater sich in seinem Dienste als wackerer Reitersmann bewährt, bis er später durch eine Zivilanstellung im Kriegsministerium einen ruhigeren Beruf fand.

Von diesem Vater hat der Knabe sowohl im Aeußeren wie in innerer Beziehung manch wichtigen Zug geerbt. – In der Jugend und im ersten Mannesalter war er voll Lebenslust, ein flotter, muthiger, zu froher Unterhaltung geneigter Reitersmann; erst die Monotonie des Dienstes in Friedenszeit und der Einfluß des am Hofe geltenden Tons auf dessen Bedienstete machten ihn in sich gekehrt und pietistischen Stimmungen zugänglich. Sein reich entwickeltes Gemüthsleben offenbarte sich dem Knaben im Besonderen nach der Richtung des Patriotismus, der Liebe zur Natur und eines festen Gottglaubens. Und was hatte dieser Mann nicht Alles erlebt und gesehen, in sich aufgenommen mit seltener Fassungsgabe. Als Kind auf sich selbst angewiesen, in ländlichen Umgebungen aufwachsend, dann fremde Gegenden mit ihren Sitten, Eigenthümlichkeiten durchreisend, erst als Handwerksbursch, dann als Diener eines noch jungen Königssohnes, als bewaffneter Reiter mit dem Marschall Vorwärts durch Deutschland bis nach Paris galoppirend, dort schöne Tage im angenehmen Quartier genießend. Fürsten hatte er in ihrer Schwäche und Demüthigung, den gehaßten Korsen als stolzen Sieger gesehen; die begeisterte Erhebung des Preußenvolkes gegen den Unterdrücker hatte er miterlebt, miterlebt die blutigen Opfer, die schweren Kriegszeiten, welche damals dem Volk in Waffen der Kampf für König und Vaterland gekostet hat.

Gutzkows Vater hatte sich früh, wie es scheint im Jahre 1798, verheirathet. Sein Weib war das älteste Kind eines Siedemeisters Berg. Frau Sophie, »eine untersetzte Gestalt von rundlichen Formen, von zarter Haut, mit blauen Augen unter schwarzen Haaren und Wimpern, sanften, aber immer belebten Gesichtsformen« war ein echtes Berliner Kind. Sie wird vom Sohn als Gegensatz des Vaters geschildert. »Ein wie ein Strichvogel immer Schweifender, Unruhiger, ein Herz voll Enthusiasmus, Liebe und Zorn, je nachdem, hatte sich die Maßhaltende, Besonnene, Vernünftige, Zügelnde und Lenkende gewählt.« Ihr heller Verstand, ihr lebhafter Sinn, wurden durch Neigung zu grübelndem Zweifel und innerer Aufgeregtheit getrübt. Ihr Herz stand der Sorge offen und hatte nicht die Elastizität, sie schnell zu bemeistern. Der Vater brauste leicht auf, aber versöhnte sich auch leicht wieder. Sie war eine tüchtige Hausfrau, die wohl heiter sein konnte und ihr gut Theil Evaschlauheit geerbt hatte, aber das Leben selbst ernst nahm. Freilich hatte solch haushälterische Tugenden diese Mutter nöthig, die mit drei Kindern verschiedenen Alters – der älteste Sohn August war 13 Jahre alt, als Karl geboren wurde – wörtlich auf die vier Wände ihrer Wohnung angewiesen war, denn diese bestand aus einer einzigen großen Stube; die Küche hatte sie mit der Frau eines Kollegen ihres Mannes, des schwarzen Lorenz, welcher die geringere Charge eines Vorreiters beim Prinzen Wilhelm bekleidete, zu theilen. Und zwischen diesen Frauen bestand ein bitterer Haß, der die Küchenhälfte der anderen wie Feindesland mied und Grenzverletzungen grimmig ahndete. Doch ein herbes Geschick, das die eine der Frauen traf, ward zum Friedensstifter. Der Todesengel ward zum Engel des Friedens. Dieser raubte der Nachbarin ein herziges Töchterchen – den Spielkameraden des kleinen Karl. Der Sarg konnte nicht in der Wohnstube bei den weinenden Geschwistern und Eltern bleiben, er mußte in der Küche die drei Tage, welche Pietät die Todten der Erde vorenthält, aufgestellt werden. Da schmolz der Haß der Frauen, die Demarkationslinie schwand. »Das Kind mit dem Lockenhaupt lag halb im Gebiet seiner Mutter, halb im Gebiet der Nachbarin, hier das Haupt, da die Füße, der Feuerherd wurde zum wirklichen Altar. Ueber dem zum Tage der Bestattung weißgeschmückten, rosen- und myrthenumkränzten kleinen Kinde reichten sich die Mütter weinend die Hände und blieben ihr Lebenlang verbunden, verbunden in aller Liebe.« Von der Schilderung, die später der Sohn in dem genannten Buche dieser traurigschönen Episode gegeben, hat der im Lobe karge Hebbel gegen den Dichter brieflich geäußert, daß sie zu dem Rührendsten, was er kenne, gehöre.

Jene Scene giebt uns aber auch ein volles Bild von der proletarischen Beengtheit, die das Alltagsleben der Menschen umgab, welche die Jugend des Knaben überwachten. Nicht zu oft schien die Sonne der Behaglichkeit in das Pavillonzimmer, nicht immer spielte der wirkliche Sonnenschein in dem Laube des großen Nußbaums, der in dem Hofe des Marstalls die Natur vertrat. In solchen Lebenskreisen, wo die Armuth alle Schritte zügelt und hemmt, der Vater tagsüber seinem Berufe nachgeht, während die Mutter von früh bis Abends mit Nadel und Scheere, Topf und Löffel, Bürste und Besen beschäftigt ist, prägt sich der Vater der kindlichen Erinnerung ein in festlichem Sonntagsstaat, der Mutter Bild haftet im Werkelkleide. Ihr fällt das schwierige Amt der Erziehung zu – und wie wenig Zeit kann auf sie verwendet werden, wie schnell wird zur Strafe geschritten ohne theilnehmende Untersuchung, ohne Rücksicht auf das sensible Gerechtigkeitsgefühl des Kindes. Oft blieb der Knabe der Obhut seiner acht Jahre älteren Schwester anvertraut. Früh auch wurde der Knabe allein gelassen. Der Bruder war als Soldat in der benachbarten Artilleriekaserne, der Vater in seinem Dienst, die Schwester in der Nähschule. Doch war der Knabe gern allein, er ward »ein Virtuose der Einsamkeit«, der gern träumte und statt Furcht eine Freude am Gruseln empfand. Mit besonderer Liebe weilten die Erinnerungen des Mannes bei diesem Traumleben und der Welt, in der es seine Anknüpfungen fand. »Was grübelt sich da nicht, eingeschlossen im Zimmer, den hohen Fußtritt erklettert, beim Hinausblick auf die damals nicht allzubelebte ›letzte Straße‹ hinter dem Käfig der Lerche, hinter Blumenstöcken und der an Fäden rankenden türkischen Kresse! Durch ein verpapptes zweites, aber in den Stall gehendes Fenster schnoberten die Rosse des Prinzen und rissen an ihren Ketten, oder in dem großen, von Säulen getragenen Stall lärmte die Trommel und gewöhnte die Thiere an die kriegerische Welt. Wo ließ sich schauerlicher träumen, als innerhalb der großen Gebäulichkeit der Akademie, dicht unter dem Präparirtisch der Anatomie, wo aus einer grünen, kleinen Rundung die zu lüftenden Betten oder die trocknende Wäsche der einsamen Hut des Knaben tagelang überlassen blieben! Die Kürassier- oder Ulanenrosse wieherten zwar dicht in der Nähe oder tummelten sich daneben auf dem Sande im Kreise, aber Mittags wurde es still und gegen Abend traten die Sagen deutlich vor die Phantasie des Wächters von manchem dort wimmernden Selbstmörder, manchem nächtlichen Hilferuf aus den großen, jetzt vom Abendlicht durchblitzten Fenstern des Schlachtsaales und von Manchem, der wieder erwacht sein sollte, sich an Stricken hinuntergelassen hatte, stürzte und nun doch den Professoren Rudolphi und Knabe geopfert blieb! Oder auf den jetzt von Neubauten noch nicht ganz verdrängten, großen umzäunten Wiesen der Georgenstraße – früher ›Katzenstieg‹ genannt – und des ›Bauhofs‹, fanden sich stille Plätze zum hingestreckten Dämmern an einem moosbewachsenen, umgestürzten und defekten, hierher verirrten Gartenamor, hinter Remisen und Schobern, unter kraut- und lattig- und brennnesselumwachsenen Brettern und Balken, überall, wo es nur etwas zu kauern, bauen, spielen, den Großen nachzuahmen gab.«

Aber dies blieb nicht die einzige Welt des kleinen Knaben. Noch bevor er zur Schule ging, eröffnete ihm die Hand des Bruders, der als freiwilliger Kanonier auf Avancement diente, die Pforten seiner nahegelegenen Kaserne, und wenn auch nur schüchtern und allmählich, wagte der tastende Schritt des Knaben in die Umgebung seines heimischen Spielplatzes Entdeckungsreisen, welcher letztere durch den nachbarlichen »Kastanienwald« vermehrt ward, der, größer als das jetzige »Wäldchen«, von einer hohen Mauer umgeben und von der Seite des »Bauhofs« aus, dessen Stelle jetzt der botanische Garten ausfüllt, überklettert werden mußte. Verlockend war ihm das Ufer der Spree, – an der Stelle, wo jetzt die Singakademie steht, floß ein Arm derselben –, da sah er Flöße vorüberziehen, die seine Gedanken ins Weite lockten. Unter den Fichten der Hasenhaide lagernd, schuf er sich ans Sonnenstäubchen zauberische Welten. Fast scheint es, als habe in diesen ersten Lebensjahren die Phantasie zu lebhafte und einseitige Entwickelung gefunden. Oft war er krank; bei Erkältungssfiebern verfiel er bis ins Jünglingsalter in aufgeregtes Phantasiren.

Gutzkows Eltern waren beide fromm. Der Vater ward es in übertriebenem Maße durch den Einfluß der Prinzessin Marianne, der Gattin seines prinzlichen Gebieters, welche mit hoher Herablassung auch für die Erweckung der Seelen ihrer Untergebenen sorgte, und eines Schwagers, den ältesten Bruder seiner Frau. Von Natur war er keineswegs zum Pietismus geneigt. »Sein Glaube war kavaliermäßig: entweder Christus ist Gottes Sohn oder nicht, und ist er das, so ist ihm ein Lazaruswunder eine Kleinigkeit.« Luther war sein Mann. Das Jubelfest der Reformation (1817) – dem Knaben tief erinnerlich – ward der Ausgangspunkt eines dem feurigen Gottesmann gewidmeten Kultus. »Vetter Wilhelm« – so wurde jener Onkel auch vom Neffen genannt – war ein aufrichtig gläubiger Pietist der alten Spener'schen Schule. Ein kleines vertrocknetes Männchen, imponirte er dem Knaben durch seine Beredtsamkeit, seine seltsamen Orakeleien, seine feurigen Augen, wenn er sprach. Und er war immer weiser Rede voll. Der alte Junggeselle war kein Kopfhänger, er konnte über einen harmlosen Spaß lachen und war in seiner Weise mitleidig duldsam gegen die »Weltlichkeit«. Die meisten Menschen betrachtete er als »dahinfahrende«, andere erschienen ihm des Versuches werth, zur Erleuchtung und Wiedergeburt in Jesu Christo erweckt zu werden. Dieser Onkel war ein Musselinweber seines Zeichens, zwar Meister, aber zu arm, um selbst einen Webstuhl aufstellen zu können. War er ohne Arbeit, schlief er bei seinem Schwager, dicht neben dem Knaben, der oft durch sein lautes mächtiges Beten nächtens aufgeweckt und erschreckt wurde. In die Kirche ging man jeden Sonntag, oft auch des Nachmittags. Der Kirchgang im »guten Anzug«, mit reiner Wäsche, ist für solche arme Leute mehr als ein Gottesdienst, er ist ihnen auch ein weltliches Fest, wie oft – besonders für die Frau – das einzige der Woche. Diese Leute beten auch nicht nur zu ihrem Gott, sie zanken auch mit ihm, machen ihm Vorwürfe, grollen ihm. Ja, in Tagen der Sorge können sie bei all ihrer Frömmigkeit an ihm verzweifeln. Auch in dieser Beziehung war der Knabe, dem die Kontraste des Lebens in seltener Schärfe vor's Auge gerückt waren, frühreif; auch er lernte früh, was es heißt, an Gott verzweifeln. Die Schule – für alle Kinder eine Wohlthat, »eine jener gewaltigen Hülfeleistungen, welche die bestehende Welt für das junge tastende Leben bereit hält« – die Schule mußte dies für diesen Knaben in ganz besonderer Weise werden. Sie war ihm, was frische Lust demjenigen, der ein Gewächshaus mit seiner bedrückenden Treibluft verläßt. Die Schule brachte seinem Lerneifer bestimmte Ziele, setzte dem träumenden, grübelnden Sinn feste Schranken, stellte der Zerstreuung die Konzentration gegenüber, brachte Ordnung in das Chaos von Gedanken und Empfindungen, dem Einsamen gleichaltrige Gefährten, sie öffnete ihm durch Freundschaften eigner Wahl Einblick und Eintritt in ruhige, geordnete, behäbige Lebenskreise, in denen die höhere Bildung daheim war.

Die Pforten der Schule öffneten sich dem Knaben verhältnißmäßig spät. Er war sieben Jahr alt, als er von der Schwester zum ersten Mal nach der dorotheenstädtischen Parochialschule dem ersten Lehrer – Schubert war sein Name – zugeführt wurde. Es geschah unter hartnäckigem Sträuben von Seiten des Knaben, der weinte, – »weil er ja noch nichts wüßte«. Der Zug ist beachtenswerth. Gutzkow hat es zeitlebens nicht ertragen können, etwas zu thun, bei einer Sache betheiligt zu sein, wo seine Leistung hinter der Anderer hätte rangiren müssen. Das war nicht nur Ehrgeiz. Das Gefühl der Zurücksetzung, des Benachtheiligtseins, welches die soziale Stellung seiner Eltern früh in ihm erzeugt und sein ganzes Jugendleben hindurch ihn gemartert hatte, drängten schon das Kind zu dem Bestreben, durch Bewährung der Kraft, des Könnens, durch die Leistung, das Verdienst einen Ausgleich zu suchen. Hier liegen die Wurzeln, deren Entwickelung ihn zum Apostel der Toleranz und zum intoleranten Feind jedweder Ungerechtigkeit machte, Keime zu seiner eigenthümlichen Bedeutung und Größe als Autor wie zu vielem Unheil, das seinen Lebenspfad mit Dornen umrankte. Der Lehrer Schubert paßte zu diesem empfindsamen, ehrgeizigen, strebsamen Knaben. Er war gerecht, streng und auf Autorität haltend gegenüber der Klasse; für den Einzelnen aber hatte er milde Freundlichkeit und Geduld. Lesen wurde hier aus der Bibel gelernt; das Gesangbuch und eine Hanstein'sche Hauspostille von 1740 bildeten die erste Außerschullektüre. Er mußte seinen Eltern aus beiden vorlesen. Dieses Uebermaß an religiöser Anregung in Verbindung mit dem vielen Kirchenbesuch weckte in dem Knaben früh eine religiöse – Skepsis. Namentlich der letztere Umstand. Denn man ging nicht beständig in eine Kirche; man suchte abwechselnd diese und jene auf: heute die der böhmischen Brüder, dann wieder die lutherische Parochialkirche, und gelegentlich auch die katholische Kirche. Bald kannte er nicht nur alle Kirchen und Geistlichen Berlins, er erkannte auch allmählich, erst ahnend, dann immer klarer, die Widersprüche im Kultus, in der Predigtweise, im Glauben selbst, die Schwächen der Geistlichen, die Ueberhebung des Einen, die Heuchelei des Andern, die Beschränktheit eines Dritten. Die widersprechenden Urtheile der nächsten Umgebungen, des apokalyptischen Vetters, des rationalistisch das Leben betrachtenden Bruders im Soldatenrock thaten ein Uebriges. Der düsteren Welt des Pietismus, einer überreizten religiösen Stimmung ward er entrissen; aber er ward auch allzu früh der Stütze eines bestimmten religiösen Anhalts beraubt.

Auf diesen Kirchgängen – erst mit den Eltern, später allein – erschloß sich denn auch dem Knaben zuerst intensiver die preußische Hauptstadt in ihrer Ausdehnung. Obgleich damals nur 200 000 Einwohner zählend, bot sie dieselben Kontraste wie heute. Auf Schritt und Tritt gaben dem fragenden Kinderauge neue Eindrücke Räthsel auf, die zur Lösung drängten, zu Privatexkursionen in fremde Straßen und Stadttheile, zu Umwegen auf dem Heimgang von der Schule lockten. Wie die Schule des methodischen Lernens nach dem allzu phantastischen Seelenleben der Kinderjahre, so ward der einseitigen Beschäftigung mit religiösen Fragen gegenüber die Schule der realen Welt, des öffentlichen Lebens, dem Knaben zum besonderen Segen. Die frischen, lebendigen Eindrücke des Straßen- und Geschäftslebens, des im Detail gar nicht so poesielosen Kasernenlebens, in das ihm der Verkehr mit dem zum Bombardier, ja zum Oberfeuerwerker avancirenden Bruder Einblick gewährte, der freien Natur und der ländlichen Einfachheit, deren Reize er auf Familienspaziergängen nach Tempelhof, nach Schönhausen, wo im Sommer der Prinz residirte, nach Charlottenburg, Potsdam kennen und unendlich lieben lernte, die der Entwickelung der physischen Kraft günstigen Spiele mit den Kameraden boten ein wohlthätiges Gegengewicht für jene Welt unheilvoller Grübeleien. Wie gut seine Knabenaugen schon die Vaterstadt beobachten lernten, davon enthalten die Abschnitte seiner »Ritter vom Geist«, welche Berlin und seine Umgebung zum Schauplatz haben, tausend kleine Belege. Dann gesellten sich auch zu den geistlichen Erbauungsbüchern Bücher weltlicher Unterhaltung. Ein eigener Zufall spielte als erstes – Goethe's Faust in seine Hände. Natürlich empfand er noch nichts von der Größe und dem Werth dieser Dichtung. Zweierlei aber machte ihm dauernden Eindruck. Die Komik der Hexenküche mit ihren Meerkatzen und Zaubersprüchen, und dann das Vorspiel, in dem Gott der Herr selber auftrat. Diese erste Bekanntschaft mit einer dramatischen Dichtung regte in Gemeinschaft mit der Anschauung regelmäßiger Puppenspiele, die in der Mittelstraße im »Theater von Freudenberg« stattfanden, auch den Sinn für das Theater an. Die Hexenküche ward bald Gegenstand eigener Darstellungsversuche. Ein zweites Buch, das heilsam und durch die Macht des Humors klärend auf ihn wirkte, war eine Uebersetzung des » Don Quixote«, welche beim Onkel, dem Bruder des Vaters, vorgelesen wurde. Zum vollen Verständniß dieser derben Realistik, dieser feinen Satire, die im Vater die Rückerinnerung an die pommersche Heimath mächtig erregte, kam der zum Sublimen hinneigende Sinn des Knaben damals noch nicht. Jene befreiende Macht des spanischen Romans, die in den »Rittern vom Geiste« gerühmt wird, erkannte natürlich erst später der Mann. Schnell mehrte sich der Kreis der Lektüre. Zu Gumal und Lina und Robinson kamen Märchen, Geschichtsbilder, »pädagogische Romane«, ländliche Idyllen, Campe's vortreffliche Jugendbibliothek. Nun ward er der erworbenen Kunst des Lesens froh. Sein Leseeifer war und blieb Leidenschaft. Fragen wir nach dem, was den Knaben am meisten fesselte, so zeigt sich, daß der Sinn für das gemüthlich Rührende und der Sinn für Heldenverehrung den Ausschlag gaben.

»In alle diese Eindrücke einer nun schon immer bewußter werdenden Jugend, in diese oft wie ein physischer Druck schmerzende Sehnsucht nach einem Leben voll reinerer und höherer Anschauungen fiel endlich ein Sonnenstrahl, der dem Knaben Licht, Erlösung, Freiheit brachte« – mit solchen enthusiastischen Worten charakterisirt unsere Quelle dann eine weitere Lebenswendung. Die Welt des Reichthums und der höheren Bildung öffnete dem Knaben ihre Pforten.

Karl Friedrich Minter, derselbe, dem Gutzkow in seinem Buch »Aus der Knabenzeit« unter dem Pseudonym »Kleanth« ein schönes Denkmal des Dankes gesetzt hat, stammte wie Gutzkows Vater aus Pommern. Ebendaher seine feingebildete Gattin, deren Vermögen ihm eine unabhängige Stellung gewährte. Nicht ohne Talent hatte er sich der Malerei gewidmet. Seine natürliche Beanlagung führte ihn zu einer praktischen Bewährung in allen Zweigen der Technik. Die damals neue Erfindung Senefelders, die Lithographie, fand in ihm einen eifrigen Förderer. Die mächtigen Fortschritte auf dem Gebiete der Technologie nahmen ihn allmählich ganz gefangen. Anfang des Jahres 1821 folgte er dann einer Berufung des russischen Czaren nach Warschau, wo er der Ausführung einer Karte von Polen oblag und später eigene Fabrikanlagen gründete. Er war Voltairianer und eifriger Freimaurer. Die Kirche war für ihn ein fremdes Gebiet; Anstand, Sittlichkeit, Bethätigung der Kräfte waren die Forderungen seiner Religion. Als Erzieher war er streng und verfolgte – wie in Allem auch hier – Methode, Prinzipien. Wegen gewisser stoischer Grundsätze, die hier zur Geltung kamen, hat ihm wohl Gutzkow jenen Namen eines bekannten griechischen Stoikers »Kleanth« gegeben.

Die Minter'schen Eheleute fanden Wohlgefallen an einem Geschwisterpaar, das, in bescheidensten Verhältnissen aufwachsend, durchaus den Eindruck guter Erziehung und strenger »Propretät« machte, und sahen den näheren Anschluß des Knaben Karl und seiner Schwester Karoline an ihre eigenen Kinder, die gleichen Alters und nach einem ansprechenden Spiel des Zufalls gleichen Namens waren, daher sehr gern. »Das Haus des Malers wurde allmählich eine neue Heimath. Alle Lebensfäden verspannen sich in dem Doppeldasein. Eine Alltags-, eine Sonntagsexistenz begann. Beide bekämpften einander.« Als nach einiger Zeit Herr Minter in der Behrenstraße ein eigenes Haus bezog und sehr bald auch dieses mit einem andern vertauschte, das, ein wahrer Palast, einen Schenkel des Achtecks am Potsdam-Leipziger Thor bildete, that dies der Intimität dieses Verkehrs keinen Abbruch, sondern erweiterte nur immer mehr die Erfahrungswelt des Knaben nach dieser Seite. Herr Minter ließ seinen eigenen Sohn zu Hause unterrichten, nach seinem eigenen pädagogischen System, das er selbst mit zur Ausführung brachte und auf das Utilitätsprinzip gegründet hatte. Sonntags wurde jetzt der Knabe immer seltener in der Kirche, desto öfter in dem Zimmer des väterlichen Gönners gesehen, wo er von diesem in Gemeinschaft mit dem Gespielen Zeichnenunterricht erhielt. Zwei Stunden mußte ausgedauert werden, dann begann eine goldene Freiheit, die bei günstigem Wetter in dem großen Garten zugebracht wurde, der sich hinter dem Hause bis an die Parkgärten der Wilhelmstraße ausdehnte. Hier wurden Beete gepflegt, hier wurde gejätet, begossen, gerechet, die Obsternte eingebracht. Planloses Spielen duldete Herr Minter nicht. Die Spiele der Knaben mußten einen pädagogischen Werth, die Nebenabsicht haben, eine geistige Funktion zu üben, eine mechanische Fertigkeit zu entwickeln. Alles Träumen war Herrn Minter ein Gräuel. Die Lektüre von Märchen war gleichfalls verpönt. Dagegen sorgte er für die besten Bücher, welche Liebe zur Naturkunde, zur Geschichte zu wecken, geeignet waren. Die frohe Lernbegier des Knaben kannte auch hier keine Abneigungen. In Raffs Naturgeschichte, in Büffons Kupfern, besonders aber in Beckers Weltgeschichte fand er sich bald zurecht. Diese letztere ward ein Lieblingsbuch für dauernde Zeit. Theaterspiel mußte naturgemäß dieses System ausschließen. Daß ein Puppentheater dennoch den Kindern gewährt wurde, war eine Konzession, die Minter den Wünschen der Gattin machte. Die Stücke, die der Knabe früher in der »Tabagie« der Herren Linde und Freudenberg in der Mittelstraße gesehen, wenn er sich ab und zu das Eintrittsgeld von 2 Groschen vom Vater erbettelt hatte – der bairische Hiesel, Abällino, der Freischütz, vor allen aber das Puppenspiel Faust, in welchem Kasperl die Stelle des Goethe'schen Wagner vertrat – spielte er hier nun in eigener Auffassung nach. Auch in das wirkliche Theater verschaffte ihm Herrn Minters Güte Zutritt. Die erste dramatische Dichtung, die er zu sehen bekam, war – zufällig wie bei Laube – Schillers » Jungfrau von Orleans«, die einen aufregenden, tiefen, unvergeßlichen Eindruck auf ihn hervorbrachte.

Das Glück einer behaglichen Häuslichkeit ging dem Knaben in dem Minter'schen Hause auf. Aber auch dieses Paradies hatte für den Knaben einen Baum der Erkenntniß, dessen Früchte ungesucht und naturnothwendig ihm zufielen. Schon die unwillkürliche Entfremdung gegenüber dem Vaterhaus, wenn sie auch der natürlichen Liebe zu den Eltern keinen Abbruch that, mußte sich rächen, den Verlust dieser glänzenden Welt, als er eintrat, um so schmerzlicher machen. Wie jeder starke Kontrast die Brücke zur klaren Erkenntniß der Vorzüge, aber auch der Nachtheile der Vergleichsobjekte bildet, so mußte der hier vom Knaben immer schärfer empfundene Gegensatz nach beiden Seiten hin für den Verstand klärend und läuternd, für das Gemüth, den Lebensgenuß störend und verkümmernd zurückwirken. In jener schönen Welt war er ja doch immer nur ein Geduldeter. So festlich ihm der stille Genuß des alltäglichen Familienkomforts im Minter'schen Hause war, so unbehaglich wurden ihm die Räume, wenn sie vornehmen Gästen festlich erschienen. Zum Händeküssen, Französisch parliren, Komplimentiren und Tanzen – Dinge, auf die der Gönner hielt – zeigte er kein Geschick, und die Angst, sich lächerlich zu machen, verkümmerte seine Versuche. Dann war ihm die Welt der Sorgen daheim als Sitz gesinnungsvoller Ehrlichkeit, biederer Einfachheit doch lieber. Jene skeptische Richtung seines Verstandes fand wiederum reichliche Nahrung und zwischen zwei Lebenssphären stehend, die ihm beide nicht voll das Gefühl des Heimischseins gewähren konnten, fühlte sich der das zehnte Lebensjahr vollendende Knabe oft namenlos unglücklich. Einen Trost in Thränen gewährte ihm damals noch der früh mit Inbrunst aufgenommene naive Glaube an den Vater im Himmel, der den Armen das Himmelreich bereit hält. Als im Jahre 1821 Minters nach Moskau zogen, war der Abschied von ihnen für den Knaben wie seine Schwester trotz alledem vergleichbar mit dem Verlust eines Paradieses. Die Eltern brachten jetzt den Kindern zwei Opfer. Sie bezogen eine größere, behaglichere Wohnung, »ein Häuschen dicht in der Nähe des alten Ziethen«, für welches sie nun Miethe bezahlen mußten, während der Pavillon Dienstwohnung gewesen war. Sie entschlossen sich auch, dem Bitten des Knaben nachzugeben, ihn in das Gymnasium zu schicken.

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Nicht wie Gervinus, Liebig und der Zoologe Kaup, die famosen »Klassenletzten« des Darmstädter Gymnasiums, nicht wie Laube in Glogau, war er Gegenstand der Verzweiflung seiner Lehrer, und nicht Scheltworte und Strafen, sondern Belobungen, Prämien, ja selbst die am schwersten zu erringende Anerkennung durch seine Mitschüler waren sein Theil. Das Friedrich-Werder'sche Gymnasium in Berlin, das um Weihnachten des Jahres 1881 die Feier seines zweihundertjährigen Bestehens gefeiert hat, und welches in seinen Anfängen den berühmten Hallenser Theologen Joachim Lange und von 1779 bis zum Beginn unseres Jahrhunderts den verdienten Philologen Friedrich Gaedike zu Direktoren gehabt, hatte unter letzterem, der den Ideen der Aufklärung huldigte, und unter dem auch durch schöngeistige Arbeiten bekannten Schwager Ludwig Tiecks, Bernhardi (1809-21), welcher eine romantische Richtung vertrat, seine Blüthezeit bereits erlebt, als der Vater Gutzkows, jetzt ein Subalternbeamter im Kriegsministerium zu Berlin, seinen Knaben Ostern 1821 dem neuen Rektor, dem Mathematikus Professor Zimmermann, vorstellte. Die Zeit, während welcher unser Freund dies Gymnasium besucht hat, gilt als eine Periode des Verfalls in dessen Entwickelung, deren Ursachen zum Theil wohl in dem Zwiespalt wurzelten, den die romantische Richtung Bernhardi's in die rationalistischen Schultraditionen hineingetragen hatte. Als Zimmermann Anfangs Oktober 1827 wegen andauernder Kränklichkeit vom Berliner Magistrat als dem Patron des Gymnasiums seine Entlassung erbat und erhielt, wich er nach Gutzkows späterer Darstellung in der 1871 verfaßten Fortsetzung der »Knabenzeit« (»1821-1829«) einer Kabale, die von einer Verschwörung dreier Lehrer ausging. Durch seinen Rücktritt kam Gutzkow in die Lage, als Primaner wenigstens noch Zeuge des Aufschwungs zu werden, den die Schule vom Oktober 1828 an unter der straffen Leitung des berühmten Philologen A. F. Ribbeck nahm. Schon in Professor Zimmermann, dem zerstreuten, für körperliche Züchtigung eifrig begeisterten Rektor und vorzüglichen Mathematiker, fand der Knabe einen Beschützer, obgleich gerade sein Lieblingsfach des Knaben Schwäche war und blieb. Seinem Wohlwollen hatte er später den Mitgenuß eines Freitischs zu verdanken. Alle Berichte über Gutzkows damaliges Wesen schildern ihn als einen ernsten stillen Knaben, der jedoch über einen guten Witz herzlich lachen konnte, alles leidenschaftlich und tief ergriff, weshalb sich auch jedes Begegniß, und wär' es eben nur ein guter Witz gewesen, dauernd seinem Gedächtnisse einprägte. In der Freundschaft war er wählerisch, gegen den Erkorenen voll Hingabe. Ausgelassenen, in beständigem Uebermuth hintollenden Gesellen wie Adolf Glaßbrenner, der in den unteren Klassen sein Mitschüler war, konnte dies Wesen schüchtern und blöde, dagegen wirklich blöden und öden Kameraden mußte es stolz, ja anmaßend erscheinen. Glaßbrenner, in dem schon damals derselbe schelmische Kobold rumorte, der dem Autor des »Neuen Reinecke Fuchs« nachmals die Feder geführt hat, hat später, als der Bundestagsbeschluß gegen das junge Deutschland ergangen war, in einem Briefe vom 28. Juni 1836, seine Verwunderung ausgesprochen, wie »solch ein blöder stiller Junge aus dem kleinen Hause in der Mauerstraße, der mit mir zusammen Maikäber gebuddelt und Knippkieler jespielt hat, sich unterstehen kann, Deutschland und die umliegenden Ortschaften zu erschüttern und der Literatur eine neue Perspektive zu geben«.

Der Unterricht war in vielen Stücken ein zopfiger, trocken scholastischer. Die Pflege der alten Sprachen, die Lektüre der lateinischen und griechischen Klassiker mit Rücksicht auf ihre sprachliche Merkwürdigkeit, ohne Rücksicht aber auf ihren Geist, ihren eigentlichen Inhalt, füllte die größere Hälfte der Schulstunden aus. Eine Beziehungnahme auf Analogien der vaterländischen Geschichte, der eigenen Rechts- und Kulturzustände, eine Verwerthung der klassischen Studien für die Erziehung von Staatsbürgern kannte das damalige System, welches unter dem Druck der »Karlsbader Beschlüsse« stand, weniger denn je. Der Geschichtsunterricht wurde von einem Manne gegeben, der zugleich Gesangsprofessor war und dessen einzige Weisheitsquellen die Geschichtswerke von Rühs und Luden bildeten, die er im letzten Drittel der Stunde offen abzulesen pflegte. In dem Wahn, durch das völlige Ignoriren der politischen Welt jede politische Meinung und Antheilnahme von den heranwachsenden Jünglingen fern halten zu können, wurde die Stellungnahme zu derselben den zufällig wirkenden äußeren Einflüssen überlassen. Aufklärungen über die neuere Geschichtsentwickelung der eignen Nation blieben der Jugend vorenthalten; selbst die glorreichen Befreiungskriege gegen die napoleonische Zwingherrschaft blieben aus dem Unterricht verbannt. Nicht besser war es mit der Literaturgeschichte bestellt. Der mit diesem, eigentlich so wichtigen Fach betraute Lehrer variirte den Wortlaut der sentimental kraftlosen Literaturgeschichte Franz Horns oder las sie in wenig anregendem Vortrag ab. Auch hier war die neueste Entwickelung eine verbotene Welt. Bei Wieland hieß es: »Dieser Schriftsteller ist kein deutscher Dichter, er ist ein Grieche im französischen Frack und mit französischen Schönpflastern in der Physiognomie. Deshalb überschlagen wir ihn. Franz Horn thut es auch.« Gerade einige vorzüglichere Lehrkräfte, welche das Sonnenlicht einer freieren, selbstständigeren und geistvolleren Unterrichtsmethode in diese Dumpfheit fallen ließen, blieben nur vorübergehend da. So war der Horazübersetzer Karl Passow, der Sohn des Lexikographen, vorübergehend ein Literaturlehrer, der den Muth hatte, auch einen Dichter der Gegenwart, Uhland, zu nennen und zu rühmen. Ein Angehöriger der weitverzweigten Lehrerfamilie Giesebrecht erörterte den Tacitus nicht nur sprachlich philologisch, sondern auch stofflich archäologisch. Ribbeck dagegen, der schon bis 1820 Lehrer am Gymnasium und nur von da bis zu seinem Rektoratsantritt interimistisch am »Grauen Kloster« angestellt gewesen war, blieb zwar im Unterricht reiner Philologe, wußte aber durch seine lebendige Methode weit mehr als die anderen Lehrer anzuregen und zu fesseln.

Da Gutzkows heller Verstand und sein durch keine festlichen Störungen in der ärmlichen Häuslichkeit gehemmter, vom Ehrgeiz genährter Fleiß die Anforderungen dieses Unterrichts spielend überwand und sich den klassischen Studien mit Eifer widmete, galt er in den höheren Klassen bei Lehrern und Kameraden durchaus für Einen, den Neigung und Beruf zum Philologen bestimmten. Ein Schulgenosse, Adolf Licht, später Justizrath in Potsdam, giebt als gedächtnißfrischer Gewährsmann folgende Schilderung. »Er war kräftig untersetzt gebaut, hielt sich aber etwas krumm in Folge seiner inzwischen eingetretenen Kurzsichtigkeit, die jedoch die Ausdrucksfülle seines hellen Blicks nicht beeinträchtigte. Sein Hals saß etwas kurz zwischen den kräftigen Schultern. Er war ein mehr innerlich fröhlicher Knabe, erschien äußerlich ernst, zum Absondern geneigt. Seine Kleidung war sehr einfach, aber stets sauber. Solchen, mit denen er es nicht hielt, galt er für stolz. Mir, der sehr heiterer Gemüthsrichtung war, die in behaglichen häuslichen Verhältnissen Nahrung fand, war dieser einfache Knabe lieber als alle andern. Er war ein geistig höchst begabter und gescheiter Junge und imponirte uns allen durch sein reiches positives Wissen und seinen unermüdlichen Fleiß. Nur einzelne Momente störten die näheren Freunde in dem Glauben, in ihm einen zukünftigen Professor der Philologie erblicken zu müssen. Ich erinnere mich noch, als wir in der Klasse die catilinarischen Reden lasen, trat er zuerst aus seiner Verschlossenheit heraus. Kam das Uebersetzen an ihm, dann donnerte er sein › quo usque tandem‹ oder sein › evasit, erupit‹, als stände er selbst auf den Rostren. Wir doch zum Spotte geneigten Kameraden fühlten uns von seiner Art lebhaft ergriffen und auch der Lehrer lohnte die Leistung in seinem Berlinisch mit einem ›Jut, sehr jut, mein Kind‹. Seine deutschen Aufsätze waren nach unserer Anschauung etwas trocken, weil wenig blumenreich, mehr körnig, er war ein Feind jeder Phrase. Freilich waren die Aufgaben zu diesen Aufsätzen auch wenig anregend und oft so trivial, daß Gutzkow sich eines Tages veranlaßt fand, das gegebene Thema parodistisch zu behandeln. Es gelang ihm ganz allerliebst, der Lehrer war bei guter Laune, lachte und las unter großen Lobeserhebungen die Arbeit der Klasse vor, wollte aber natürlich den Fall nur als Ausnahme gelten lassen.« In Prima, wo gerade die Hauptspaßmacher gewöhnlich still und kleinlaut werden, scheint überhaupt der Humor bei Gutzkow erst ordentlich in Fluß gekommen zu sein. So erzählt Licht, wie er eines Tages ganz außer dem Häuschen gewesen sei unter dem Eindruck einer Ausführung von Angeli's »Fest der Handwerker« im Theater der Königsstadt. Zu Aller Verwunderung agirte er in den Pausen das ganze Stück vor, hielt Klucks bekannte Rede: »Wilhelm, du bist von's Gerüste gefallen«, oder rief uns mit Kluck, dem Maurerpolier, zu: »Darum keene Feindschaft nich« … Und so trieb er es mehrere Wochen lang.

Doch als Grundzug von Gutzkows damaligem Wesen bezeichnete der genannte Schulfreund, mit dem er sehr intim ward und auch gemeinsame Privatstudien trieb, eine »innerliche Fröhlichkeit«. Ja, wir dürfen annehmen, daß trotz der Hemmungen der Armuth, die er überall empfand, trotz des Zwiespaltes mit den häuslichen Lebensbedingungen, die ihn »unerträglich« drückten, welche aber ertragen werden mußten, die Gymnasialjahre des heranwachsenden Dichters eine glückliche Lebensperiode darstellen. Den Genuß einer regelrecht »lateinischen« Bildung, deren er sich später anderen Schriftstellern gegenüber so bewußt zeigen konnte, hat er sich allerdings gar mühsam erkämpfen und erringen müssen. Nur durch einige Stiftungsvergünstigungen und das Verdienst, das er sich durch »Stundengeben« erwarb, konnte er seinen Platz im Gymnasium behaupten. Seine freien Nachmittage und einen Theil seiner Abende mußte er benutzen, denklahmen Mitschülern die griechische und lateinische Grammatik einzupauken. Mühseliges Wandern von einer Wohnung zur andern durch die kahlen langen Straßen Berlins im Sonnenbrand oder im Wintersturm! Dies Stundengeben eröffnete ihm aufs Neue den Einblick in behäbige, glänzende Verhältnisse, die seinen Sinn für die Entbehrungen der ärmeren Klassen schärften. Ein Schüler war ein Enkel des Staatskanzlers von Hardenberg, ein anderer der Sohn des damals berühmten Kartographen Engelhardt; in beiden Familien gewann er tieferen Einblick, auch erste Eindrücke des sinnebethörenden weiblichen Schönheitsreizes. Hoffnungslos wie die hier erweckten Träumereien blieb auch eine tiefere Neigung, welche, obgleich zurückhaltender Natur, zur Uebergabe von Gedichten schritt, die leider statt in den Händen der Tochter zu bleiben in die der Mutter geriethen, die nun nicht nur die poetischen Versuche, sondern das ganze Verhältniß einer vernichtenden Kritik unterwarf.

Diese eine Hälfte einer Privatexistenz, welche dürftigste und glänzende Verhältnisse in der Erfahrungswelt des Jünglings schroff einander gegenüberstellte, fand eine wesentliche Bereicherung durch die Gönnerschaft, welche der Minister von Kamptz dem aufgeweckten Schulkameraden seines eigenen Sohnes schenkte. Von diesem gefürchteten und vielgehaßten Präsidenten der Untersuchungskommissionen, dem Direktor der Unterrichtsabtheilung im preußischen Kultusministerium, dem geschworenen Feinde der Burschenschaft, hat damals der Sekundaner und Primaner, »Wohlwollen, die liebenswürdigste Güte und jede Förderung« erwiesen erhalten. »Oft bin ich mit diesem Mann des Schreckens«, erzählte er später (›Lebensbilder. 2. Bd. Das Kastanienwäldchen in Berlin‹), »den die Geschichte des deutschen öffentlichen Geistes seit 1815 für immer zu den Todten geworfen hat, durch die Straßen Berlins geschlendert, um ihn ins Schloß zu begleiten, wenn er in den Staatsrath ging. Diese Ehre wurde einem Sekundaner zu Theil, der neben ihm schritt mit umgeschlagenem Hemdkragen und ohne eine Spur von Handschuhen. Kamptz war nicht groß, er war breitschulterig und behäbig … Sein gerötheter Kopf saß tief in einer weißen Halsbinde und hatte angenehme Züge, einen kleinen zierlichen Mund, sogar einen Mund wie eine alte Dame der Aristokratie. Wenn ich mit ihm vom ›alten Ziethen‹ auf dem Wilhelmsplatz, wo ich wohnte, bis zu den ›Werder'schen Mühlen‹ gegangen war, so brauchten wir dazu fast eine Stunde. Denn Se. Exzellenz schritten höchst gemächlich, standen oft still, sahen sich um, wer in der Mohrenstraße, am Schauspielhause, in der Jägerstraße ihnen begegnete und trugen ihre Ansichten mit einer an Widerspruch nicht gewöhnten Behaglichkeit vor, ohnedies durch ihre Neigung zum ›Anstoßen‹ sehr im Reden behindert. Natürlich waren es nicht die Schriften von Jahn und Arndt, von Görres und Steffens, die uns beschäftigten, sondern Cicero und Sallust, Racine und Corneille und die Fragen, wie man die Autoren lesen und erklären sollte, ob kursorisch oder statarisch, und welches die besten Wörterbücher wären.« Der Herr Minister zog also den durch vielversprechende Fähigkeiten und Klarheit des Urtheils ihm auffallenden und angenehmen Freund seines Sohnes zu sich heran, um durch ihn einen klaren unbefangenen Einblick in gewisse gymnasialpädagogische Fragen vom Standpunkt eines Schülers, dem das Lernen Freude macht, zu gewinnen. Er gab ihm auch die Prachtexemplare, die ihm als Chef des Unterrichtswesens von den Autoren gelehrter Werke zugesandt wurden und ließ sich über sie erzählen, wogegen er sie nicht selten dem Gymnasiasten zum Geschenke machte. Diesem »Herzog Alba der Studenten- und Professorenwelt« hat er neben mancher anderen, seine Kenntnisse fördernden Aufmerksamkeit, als Sekundaner sogar den Zutritt zu einem der glänzendsten Feste, die überhaupt die preußische Königsstadt bieten konnte, zu danken gehabt. Zur Feier der Hochzeit eines königlichen Prinzen fand eine großartige Redoute im Opernhause statt. Zu dieser erhielt der Knabe ein Billet – mit der Weisung, »in hof- und redoutenmäßiger Toilette zu erscheinen«, die allerdings eine schlimme Ironie gewesen wäre, wenn die Enveloppe des Billets nicht ein – Fünfzigthalerschein gebildet hätte. Er »genoß den ersten Zauberabend seines Lebens, vertilgte am Buffet, wo die Diener des Königs seinen Winken gehorchen mußten, eine Menge ihm bisher unbekannt gewesener Backwerke und Getränke und sog eine solche Fülle von Licht, Glanz und Schönheit, von reizendsten Toiletten, prachtvollsten Uniformen ein, daß diese Bilder Wochen lang nicht mehr vom Auge zu verbannen waren.«

So sehr diese Gunst des Ministers ihn mit gerechtem Stolz erfüllen konnte und Eindrücke gewährte, die dem späteren Dichter und Psychologen zu Gute kamen: wenn wir nach den Ursachen wirklichen Glückes forschen, so müssen wir uns von ihm ebenso abwenden, als von dem dürftigen Heim der Eltern, wo die Sorge und Noth ihm stille Vorwürfe für die Genüsse einer höheren Welt machte und seufzte über zuviel in Nacht- und Morgenstunden beim Studiren verbrauchtes Oel, wo der von bigotten Ansichten befangene Vater ihn einen dem Teufel Verfallenen nannte, wenn er von einem, selten genug ihm werdenden Theaterbesuch heimkam, wo ein unglücklicher Verehrer seiner ihm übrigens herzlich zugethanen, fein gebildeten Schwester ihn mit Unterricht im Flötenblasen ennuyirte, um einen Vorwand zu öfterem Kommen zu haben. Glücklicher fühlte er sich in der Schule, wo ihm der wohlerworbene Beifall der Lehrer entschädigte, glücklicher des Mittags unter den Freunden am Freitisch, der von der Wittwe Hausmann, die im Eckhause der Kur- und alten Leipzigerstraße, gegenüber dem jetzt noch bestehenden Gasthof zum rothen Adler wohnte, in liberaler Weise verabfolgt wurde. Die eigentliche Welt seines Glückes war eine innerliche und erblühte ihm im stillen Arbeitsgemach unter seinen Büchern. Sie baute sich auf aus den immer lebendigeren Beziehungen, die seine Seele zur Welt der Alten, zu der lebendigen Literatur seines eigenen Volks, zu dessen Schicksalen und Lebensfragen gewann.

Die Poesie der antiken Welt, wie sie uns zu reinen Anschauungen künstlerisch verklärt aus Homer, den Tragikern, den großen Historikern entgegentritt, ging ihm ganz und voll auf und entzückte sein enthusiastisches Herz. Nicht in der Schule, – wo an einer Seite der Odyssee Stunden lang herumkommentirt ward, war die Stätte dieses Kultus, nein, hier die kleine heimliche Bücherwelt, in der er Homers Gesänge in Vossens Uebersetzung im Fluge durchlas, wo sich sein Bücherbrett mit den gelben und blauen Heftchen zweier Uebersetzungsbibliotheken klassischer Autoren, der Metzler'schen von Osiander und Schwab und der in Prenzlau erscheinenden, auf welche er subskribirt hatte, füllten, wo er die von Kamptz ihm überlassenen Werke bedeutender Alterthumsforscher las. Noch öfter war er in der freilich arg defekten Bibliothek des Gymnasiums und in den Leihbibliotheken der Stadt, unter denen die Petri'sche einen bedeutenden Rang einnahm, zu sehen. Als er später in Prima das Ehrenamt des Bibliothekars verwaltete, eignete er sich den geistigen Inhalt der ihm übergebenen Schätze vollends an. Es waren vornehmlich rationalistische Schriften aus der Zeit Nicolai's, Reiseschilderungen, Romantik, die Studien von Creuzer und Daub und jene Berliner Monatsschrift Gaedike's und Biesters, in welcher er Goethe's Genius von dem Standpunkt nüchterner Moralität und einer beschränkten Nützlichkeitsphilosophie beurtheilt fand. Außer der Welt der Alten gehörte sein Herz vor allem der neueren Nationalliteratur und in ihr im besonderen der Romantik und Jean Paul. Zuerst hatten die farbenreichen, lebensvollen Romane Walter Scotts ihn ganz gefesselt und seinen Geschmack derart beeinflußt, daß er für die exotische Wunderwelt Coopers und Irvings, die bald danach Mode wurden, unempfänglich blieb, wie er ebenso die flache Belletristik des Tages, die Clauren, v. d. Velde, Wachsmann und Tromlitz verachten mußte. Seine Freunde waren Novalis, Achim von Arnim, Brentano, Tieck, dessen romantische Lustspiele er höher schätzte, als seine Novellen. Während E. T. A. Hoffmann, der damals viel Gefeierte, ihm unnatürlich und unpoetisch erschien, begeisterten den Träumer die »Hymnen an die Nacht« von Hardenberg-Novalis zuerst zu selbstständiger Nachahmung in einer Apostrophe an die Sterne, die auch in einer Nummer des Häring'schen »Konversationsblattes« erschien. Mehr als Goethe, in den er sich damals nicht besonders vertieft zu haben scheint, ergriff ihn Schiller, mehr noch als dieser Jean Paul. »Die stille Welt des Kleinlebens, die dieser mit Betrachtungen über das Höchste belebte, war so wohlthuend, daß der Umgang mit ihm auch die Verbindung mit jener vornehm geistigen Welt erhielt, in der sich der erste wissenschaftliche Eifer der Jugend und so hochmüthig bewegt. Jean Paul war gelehrt; er vergaß nie über seinen Helden, und wenn sie den untersten Lebensstufen angehörten, die Quellen seiner eigenen Bildung. Bald giebt er ein Citat aus den Alten, bald eine Vergleichung mit einem kürzlich erst entdeckten Vorkommniß des chemischen Laboratoriums. Dann wieder bringt er nichtsdestoweniger das der Jugend so wohlbekannte Platteste aus der Werkstatt des Schusters und Schneiders, des Schmieds und des Schlossers und bringt es in eine Beziehung zu den Aeonen der Geisterwelt. Den Jugendsinn reizt nichts so sehr als der Kontrast. Er wird immer lachen über die Unterbrechung alles Steifen, Feierlichen und Eingelernten durch die Bedingungen der Natur.« Von den neueren deutschen Dichtern, die von sich reden machten, gewann er Uhland am liebsten; seine Gedichte nahm er, wie die Romane Jean Pauls, mit sich auf seine Spaziergänge, um sie in freier Natur auf abgelegenen Sitzen in erhöhter Stimmung zu genießen. Ein so gearteter Geschmack mußte in Wolfgang Menzels » Die deutsche Literatur« ein Evangelium finden, dem er sich denn auch als eifriger Jünger anschloß und dessen oberster, aus den damaligen Zuständen sehr einleuchtend gefolgerter Grundsatz: »Die nationale Literatur muß Zusammenhang haben mit den großen allgemeinen Fragen und Interessen der Nation und der Zeit« hinfort der seine wurde. »Die Wiedergeburt des Vaterlandes zunächst durch die Belebung unserer geistigen Spannkraft, aber auch die noch selbst in dem Leben der Heroen der idealen Revolution, die wir durchmachten, so vielfach vorkommende Charakterlosigkeit in politischen Dingen, Kriecherei und Schmeichelei gegen Große, alles das hat W. Menzel meisterhaft geschildert!« Mit diesem Aufruf gedachte Gutzkow noch 1852 dieses Buches am Schlusse des seinen »Aus der Knabenzeit«. »Er zeigte, wie trotz all unserer Philosophie und Poesie das Reich in Stücke ging und die Trümmer zum Spielball der Brutalität des Korsen wurden. Er schilderte die Keime neuer Hoffnungen, die Gedanken des Tugendbundes, wie sie genährt und verbreitet wurden während des Drucks, die Thaten Steins, die Aufrufe Jahns, Arndts, Görres' an ein neues Geschlecht von antiker Bürgertugend und spartanischer Sittenstrenge, den Kampf um die Erhaltung dessen, was aus dem Zusammensturz des Alten noch mit den Erkennungszeichen ehemaliger schönerer Bewährung zu retten war, die Enthüllung und Neuverklärung altgermanischer Gedanken und Institutionen, ohne darüber den Rechten der Gegenwart, selbst der Ironie, dem Witze, sogar dem vollsten Gepräge des Modernen, dem Wohlgefallen am Esprit, selbst eines Voltaire, etwas zu vergeben … Erst spätere Einsicht entdeckte Lücken und Irrthümer, wie sie sich aus dem leichten desultorischen Gange der Behandlung doch nicht entschuldigen ließen. Doch der erste Eindruck war für mein Jugendgemüth überwältigend. Für jede Form der Dichtkunst, für jede Disziplin der Wissenschaft suchte Menzel die Verbindung mit den theuersten Gütern der Nation herzustellen, mit dem verlorenen und zurückzuerobernden Palladium der Nationalgröße, mit ständischer Freiheit, mit öffentlicher Jugenderziehung, mit Reform nach allen Seiten hin.«

Der Drang zu eigener literarischer Bethätigung erwachte in Gutzkow verhältnißmäßig früh. Und zwar waren diese Anfänge poetischer und theilweise wissenschaftlicher, aber keineswegs negirend kritischer Natur, wie bisher in den meisten Literaturgeschichten von ihnen behauptet ward. Die Ode an die Sterne und die Anfänge erlebter Liebeslyrik erwähnte ich schon, in Saphirs »Schnellpost« erschien damals auch eine erste Novelle. Als Primaner feilte er ferner an einer Uebersetzung der Oden der Sappho, arbeitete an den Anfängen eines (nicht zu Stande gekommenen) Werks über die öffentlichen Spiele der Römer, ja, er ging in Gemeinschaft mit dem genannten Freunde Adolf Licht, mit welchem er seine Neigungen für Poesie und Belletristik theilte, sogar an die Gründung einer geschriebenen Wochenschrift, der » Versuche in Prosa und Poesie«, deren erste Nummer mir heute vorliegt, nachdem sie sechzig Jahre eines unermüdlichen Schaffens, dessen Anfänge sie repräsentirt, überdauert hat. Ein vergilbtes Kleinfolioblatt von vier Seiten, die zweispaltig von der damals schon männlich klaren, ansprechend flüssigen Handschrift Gutzkows beschrieben sind. An der Spitze steht als Einführung, ohne besondere Ueberschrift und »A. L.   K. G.« unterschrieben ein Programm. Früh schon seine Kräfte in dem Fache, in welchem arbeitend man sich einst öffentlich zeigen will, zu üben, früh schon seine, wenn auch noch mittelmäßigen Erzeugnisse einem Kreise nachsichtiger Freunde mitzutheilen, sei namentlich auf dem Gebiete der schönen Wissenschaften der Weg, zu Besserem zu gelangen. Daher stamme die Idee, »wöchentlich die Erzeugnisse unsrer Mußestunden vor das Forum nachsichtiger Freunde zu bringen, deren urtheilende Bemerkungen uns den richtigen Takt zu halten immer mehr lehren könnten. Natürlich haben wir kaum zu erinnern, daß, wenn sowohl die Urtheile sich in hämische und höhnende Kritteleien verwandeln sollten, als auch wenn nicht mehrere unserer Freunde, von gleichen Gesinnungen erfüllt, das Beginnen unterstützend, uns beitreten, wir auf der Stelle diese Bekanntmachung unserer Versuche aufgeben werden.« Hieran schließt sich als erste Publikation »Sappho an Aphrodite« aus dem Griechischen von K. G. – »Liebesrache«. Eine Novelle von A. L. Erstes Kapitel. – »Kleinigkeiten«, mitgetheilt von K. G., bilden den Schluß. Der Ode hatte Gutzkow die Bemerkung beigefügt: »Der Uebersetzer bittet die Leser, vorliegende Uebersetzung in metrischer Hinsicht nicht nach dem ängstlichen strengen Schema der Sapphischen Ode beim Horaz, sondern nach der hellenischen Freiheit des Grundtextes zu beurtheilen.« Sie selbst ist schwungvoll und flüssig. Die »Kleinigkeiten« boten eine Reihe von humoristischen Findlingen aus Gutzkows gelehrten Studien, auf klassische Wortwitze hinauslaufende Anekdoten, zu denen die alten Klassiker und Kommentare den Stoff gaben. Wie diese Nummer, zeigten auch die übrigen, wie Licht mittheilt, den Freund durchaus im Banne seiner klassischen Studien. Ein Aufsatz »Der Apostel Paulus« deutet auch an, was der Liebhaber von Schleiermachers Predigten in der Dreifaltigkeitskirche damals für ein künftiges Brodstudium ansah. Er sollte Theologie studiren, so wollte es der Wille der Eltern und die Rücksicht auf ein Stipendium. Von den wenigen Mitarbeitern, die zu dem heimlichen Unternehmen Beiträge lieferten, nennt Licht: Hermann Böttcher, der nach anderer Seite hin Gutzkows intimsten Umgang bildete, und einen Bernhard Ulrici, der eine nicht üble Satire auf die Faulheit schrieb. Dafür waren die beiden Redakteure um so eifriger. Pünktlich des Montags kam das Journal, in einem von Gutzkow geschriebenen Exemplar in die Klasse und zirkulirte während der Woche in derselben, worauf es an Licht zurückkam. Dazwischen wurde zwischen beiden in gewissen uninteressanten Stunden unter den Bänken eine heimliche Korrespondenz über die nächsten Nummern gepflogen. So ging es fort, bis etwa zwölf Nummern erschienen waren. Da wurde Lichts Novelle »Liebesrache« der Ausgangspunkt eines Konfliktes zwischen den beiden Redakteuren. Trotz der auf einen tragischen Schluß anspielenden Ueberschrift wollte der junge Autor, der einer eigenen Herzensneigung einen glücklichen Ausgang wünschte, zur guten Vorbedeutung seiner Erzählung nachträglich einen gleichen geben, wogegen Gutzkow opponirte und dies Verlangen gutmüthig ironisirte. Die gekränkte Autoreneitelkeit führte auf Lichts Seite Verstimmung herbei, wie dieser selbst mit liebenswürdiger Offenheit schreibt, auch trugen an der Erkaltung Meinungsverschiedenheiten politischer Natur die Schuld.

In der That war das Interesse für die politischen Fragen des Tages, die damals die meisten begeisterungsfähigen, dem Idealen zugewandten Köpfe unter der Jugend erregte, zu jener Zeit in schnell wachsender Stärke im Innern des schwärmerisch gestimmten Primaners zur Geltung gelangt. Und wenn das Wecken und Schüren politischer Leidenschaft eine Verführung genannt werden dürfte, so wäre jener Hermann Böttcher, wie dies damals Licht in seiner Eifersucht gethan, als der Mephistopheles unseres jungen studirsamen Faust zu bezeichnen.

Das Interesse des Jünglings an den Zeitverhältnissen kam nicht plötzlich über ihn, wie die apostolische Begeisterung über jenen Saulus, der zum Paulus ward auf der Fahrt nach Damaskus. Jener Apostel des burschenschaftlichen Geistes warb einen wohl vorbereiteten Jünger. Die Erzählungen des Vaters hatten, wie wir sahen, den Knaben frühe mit den Befreiungskriegen, mit dem glorreichen Kampfe bekannt gemacht, in welchem das deutsche Volk in Waffen den Völker- wie Fürstenbedrücker Napoleon niedergeworfen hatte. Der Leseeifer hatte zu diesen allgemeinen Eindrücken klare Vorstellungen gesellt. Das Lutherfest (1817), mit welchem das Volk einen der Ihren als mächtigen Umgestalter der kirchlichen und politischen Verhältnisse des Vaterlandes feierte, hatte Vorstellungen und Ideale angeregt, welche durch die Parteinahme für und gegen Vater Jahn und die Turnübungen der Altersgenossen auf der Hasenhaide, die öffentlichen Meinungsäußerungen, welche der Tod Napoleons und die Ermordung Kotzebue's durch Sand erregte, weiter entwickelt wurden. Selten waren Zeitverhältnisse geeigneter, in der lateinischen Welt eines eifrigen Gymnasiasten Widerhall zu finden. Zufällige Beziehungen flochten ein magisches Band zwischen der idealen Anschauung einer klassischen Vergangenheit und der unmittelbaren Gegenwart. Es waren ja die Nachkommen von Homers herrlichem Griechenvolk, welche da einen heldenmüthigen Befreiungskampf gegen das türkische Joch fochten, und ihre Thaten fanden lebhaftes Echo in den Herzen der heranwachsenden Jugend, die im alten Griechenland und Rom eine geistige Heimath hatte. Die Phantasie sah in den Helden dieses Befreiungskampfes, von denen einer sogar den theuren Namen Odysseus führte, die unmittelbaren Nachkommen jener kühnen Helden, von denen Herodot, Thukydides, Xenophon erzählten. Zu dem weltenerobernden Alexander bot die Gegenwart in Napoleon ein düsteres Gegenbild, dem korsischen Usurpator, den der Vater persönlich gesehen, dessen Leben selbst in der Gefangenschaft noch Europa mit einer Furcht erfüllte, von welcher erst sein Tod befreite, der gerade in den Anfang dieser Gymnasialzeit (5. Mai 1821) fiel. Wie bei dieser Gelegenheit in den Straßen Berlins Karrikaturen des einstigen Tyrannen verkauft wurden, so war noch lange, nachdem Ludwig Sand sein Attentat auf Kotzebue durch seine Enthauptung (20. Mai 1820) gebüßt hatte, das Bildniß des unglücklichen Schwärmers in den Schaufenstern Berlins, auch auf Pfeifenköpfen, Tabaksdosen u. s. w. zu sehen, zur Parteinahme für und wider auffordernd. Dem der Universität entgegenreifenden Jüngling erschien Sand im Lichte der Brutusse, der Märtyrer des Alterthums, welche in ähnlicher Weise für ihr Vaterland Leben und Ehre aufs Spiel gesetzt hatten. Noch lastete der Druck der durch die Karlsbader Beschlüsse geschaffenen Zustände schwer auf dem deutschen Volke, als an den schwärmerisch gestimmten, alle Ungerechtigkeit von Klein auf hassenden Primaner die Frage herantrat, wie er sich zur Burschenschaft stellen wolle, wie sie heimlich noch auf vielen Universitäten bestand. Er verschlang die ihm von jenem Böttcher zugesteckten Schriften von Haupt (»Landsmannschaft und Burschenschaft«, 1820) und Herbst (»Ideale und Irrthümer des akademischen Lebens unserer Zeit«), die seinen Enthusiasmus in Flammen setzten. Menzels Buch ward ihm auch in dieser Richtung zum Evangelium. Die »Zeit des Trugs und der Lüge, des Trotzes der Machthaber und der Schlaffheit ihrer Beamten, die Zeit der Kongresse und Protokolle, der politischen Verfolgungen und der Verschwörungen, der Hoffnungen und der Täuschungen« wie der ehrliche Schlosser diese schlimme Periode deutscher Geschichte genannt hat, ward von da ab in Gutzkows Seele zu einem persönlichen Erlebniß. In dem Fürstenhause, in das 1826 sein Gymnasium verlegt ward, hatten die jungen Burschenschafter in Gefangenschaft geschmachtet, ehe sie nach Köpenick abgeführt wurden. Die Hinrichtung Sands hatte nach Gutzkows eigenen Worten (»A. d. K.« S. 239) bereits »den Grund zu einer Lebensanschauung gelegt, die mit wohlgemuther Ergebung auf eine Laufbahn zur Märtyrerschaft hinausgehen wollte«. »Durch die glühendste Freundschaft für jenen Hermann Böttcher und einige Gleichgesinnte wurden die Wirrsale des Kopfes immer heißer und bedenklicher.« Die entgegengesetzte Richtung der Eltern blieb ohne Einfluß, schon weil sie auf eine allzugeringe Bildung begründet war. Hermann Böttcher, der Sohn eines Landpfarrers, wohnte als Berliner Gymnasiast selbstständig in Aftermiethe. Damals, als der jugendliche Primaner in Karl Gutzkow einen Genossen der Schwärmerei für die Ideale der Burschenschaft warb und fand, hauste er in der Jägerstraße bei einigen »spitznasigen alten Jungfern«. Hier bildete sich der Mittelpunkt einer anderen geistigen Welt, als die belletristisch-ästhetische Lichts, die sich Samstag Nachmittags in der Konditorei von Giavanoli zusammenfand. Bei den regelmäßigen Zusammenkünften, an denen auch Studenten theilnahmen, ertönten hier die patriotischen Lieder Arndts und Körners, die Streit- und Klagelieder Follens und Binzers, und da bei Gesängen wie »Das Volk steht auf, der Sturm bricht los«, der Sturm für die Mitbewohner und Wirthsleute allzumächtig anschwoll, bekam der junge Feuergeist, »eine ideale, schwunghafte Natur, mit feuriger Rede, langen, hellblonden, ungelockt auf die Schultern fallenden Haaren und sprühenden Augen, dem die Natur für sein heißes Blut in einem lahmen Fuß einen Dämpfer mit auf den Weg gegeben«, sowohl hier wie in seinen weiteren Wohnungen bis zu seinem Abgange als Student nach Halle in kurzen Terminen baldigst gekündigt, während die Schaar der Genossen diesem Rattenfänger von Hameln von Hausnummer zu Hausnummer folgte.

Als dann Ostern herankam, wurden von den sämmtlichen Primanern nur sieben zur Maturitätsprüfung zugelassen, darunter Licht, Böttcher und Karl Gutzkow. Das Thema des lateinischen Aufsatzes war » Cur Pericles aetas Graca aurea nominabatur«. Gutzkows Abgangszeugniß schmückte die Eins. Beim Abgangsaktus am 15. April 1829 hielt er schließlich noch über das Thema: qui fiat, ut quum multi in veterum scritorum lectione versentur perpauci tamen illorum dignitatem et praestantiam aut oratione aut moribus repraesentent einen Vortrag. Skeptisch und dialektisch, wie ein aus schärfsten Gegensätzen zusammengesetztes Jugendleben seinen Geist entwickelt hatte, hätte er auch den gegentheiligen Standpunkt, welchen Rousseau in seiner berühmten Preisarbeit für die Akademie in Dijon behandelt hat, mit demselben Geschick vertreten können. Bei den Dingen wie bei den Personen, überall auf die Möglichkeit und Berechtigung einer doppelten Betrachtungsweise zu achten, eine die von einem gegebenen und zu vertretenden Standpunkt aus urtheilt, die andere, welche den Gegenstand analytisch auf ihre Wurzeln und Entwickelung hin prüft, hatte das Leben ihn früh gewöhnt. Noch neuerdings hatte er den Verfolger der Burschenschaft, den Minister von Kamptz, glühend für Ideale, die dieser verachtete und haßte, persönlich achten und schätzen und doch im Prinzip verabscheuen müssen. Auch das gelehrte Studium hatte noch zuletzt in seinem Innern in dieser Richtung gewirkt. Die kühne Hypothese F. A. Wolfs, daß es keinen Homer gegeben, sondern nur ein Zeitalter der Homeriden, welche die einzelnen Gesänge geschaffen, die später überarbeitet worden seien – »sie warf,« sagte er selbst (S. 230) »mit Begeisterungsschwingen – den Zweifel in die Brust als Führer fürs ganze Leben!« »Die Bahn war gebrochen, sich gegenüber allen Anfängen der Geschichte, jedem mythischen, über das Maaß der Gegenwart hinaufragenden Begriffe, am meisten der Bibel selbst, nur prüfend zu verhalten und alles Ungeheuerliche, Unverhältnißmäßige, Wunderbare natürlich zu erklären.«

*

Hätte ein entsprechend gebildeter Vater den seine Schulzeit so rühmlich absolvirenden Primaner fragen können: Nun, Karl, was willst du werden? – er würde dasselbe zur Antwort bekommen haben, was einst der zehnjährige Knabe, vor dem Entschluß, ihn ins Gymnasium zu geben, bittend gestammelt: »Studiren möcht' ich, lernen, lernen!« – jetzt mit dem Zusatz: um in die Entwickelung der Zeit nach besseren, höheren Zuständen thätig, fördernd mit einzugreifen! Ueber seinen Beruf zum Dichter war er sich noch nicht im Klaren. Den Kindheitstraum ein Bildhauer zu werden, hatte er längst aufgegeben; die Sehnsucht nach der Bühne, für die er sich durch ein bedeutendes deklamatorisches Talent berufen glaubte, hatte er überwunden.

Der Vater aber würde trübe gelächelt haben: »Solches Studiren um des Lernens und freien Wirkens willen ist das Vorrecht der Reichen; minder Bemittelte studiren auf ein Amt, sie wählen ein Brodstudium, und du armer, auf Stipendien angewiesener Junge hast gleich gar keine Wahl, dir steht ein Stipendium für einen Theologen offen, also mußt du Geistlicher werden.«

Der junge Gutzkow sollte Pfarrer werden, so hat der Dichter später in seiner »Knabenzeit« erzählt. Dem gegenüber steht die Angabe in den »Lebensbildern« (Bd. 2) daß seine Immatrikulation in der philosophischen Fakultät erfolgt sei. Diesen Widerspruch hat der Einblick in die Universitätsakten beseitigt. Nach diesen wurde Karl Gutzkow in der That am 18. April 1829 unter dem Rektorat des Juristen Klenze als studiosus philosophiae immatrikulirt, trat dagegen am 9. Juli desselben Jahres, also noch im ersten Semester zur theologischen Fakultät über, aus der er später, am 25. August 1831, wieder in die philosophische Fakultät zurückgetreten ist. Der junge Student scheint demnach erst den Versuch gewagt zu haben, ob sich die Unterstützung denn durchaus nicht auch für einen Philosophen erlangen lasse; als derselbe fehlschlug, kroch er formell zu Kreuze, befreite sich aber, als die Examenfrage näher rückte, von dem Schein eines Studiums, das ihn als solches wohl lebhaft interessirte, dessen Probleme ihn mächtig beschäftigten und zeitlebens beschäftigt haben, dem er aber schon als Gymnasiast zu kritisch gegenüber stand, um je mit gutem Gewissen den vom Staate geforderten Amtseid eines Geistlichen ablegen zu können. Zum Pfarrer fühlte er sich von vornherein verdorben, ob er auch theologische Kollegia belegt und fleißig besucht, sowie der Drang, seine Kräfte zu erproben, ihn bereits im Herbst dieses ersten Jahres auf die Kanzel getrieben hat. Wie er als Stellvertreter eines ihm befreundeten Geistlichen in der Dorfkirche zu Weißensee damals eine geharnischte Bußpredigt gehalten, noch dazu ohne Erlaubniß des Propstes, hat er uns in seinem Romane, »Blasedow und seine Söhne«, wo der Bericht dem Vater Blasedow als eigenes Erlebniß in den Mund gelegt ist, acht Jahre später mit humoristischer Laune erzählt. Auch auf Schleiermachers Kanzel in der Dreifaltigkeitskirche hat er zur Probe gepredigt.

Die Eltern hatten daher nicht Unrecht, wenn sie den Sohn im Geiste bereits in einer der Kirchen, die sie besuchten, als regelmäßigen Prediger sahen; ebenso wenig Professor Ribbeck, der im Vertrauen auf die damals so lebhaften philologischen Neigungen seines Günstlings fest darauf baute, daß in ihm ein Licht seiner Wissenschaft im Aufgehen begriffen sei; ebenso wenig er selbst, wenn in späteren Semestern das mächtige Drängen seiner Natur nach reformatorischer, weithin wirkender Bethätigung in der Welt des Geistes die Gestalt des Wunsches annehmen konnte, die Probleme der Zeit philosophisch zu lösen und vom akademischen Lehrstuhl herab hierfür zu wirken. Thatsächlich richtete er sein Studium so ein, daß er sich für alle drei gelehrte Berufsarten gleichmäßig vorbereitete. Das aus den Akten gewonnene Verzeichniß der Vorlesungen, die er nacheinander während seines Trienniums belegte, ergiebt, daß er dabei ebenso systematisch wie wählerisch maßvoll verfuhr und die daneben stehenden Urtheile der betreffenden Professoren über seine Frequenz der Kollegien, wie »sehr fleißig«, »mit dem rühmlichsten Fleiß und der lobenswerthesten Aufmerksamkeit« u. s. w. beweisen, daß er, wie früher ein vorzüglicher Schüler, jetzt ein selten eifrig den Wissenschaften ergebener Studiosus war.

Die Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin entstammte dem Geiste des nationalen Aufschwungs in Preußen nach der tiefen Erniedrigung des Jahres 1806. Die allgemeine, auch vom König empfundene Erkenntniß, daß, was an physischer Kraft verloren sei, durch geistige Kraft ersetzt werden müsse, und der Verlust Halle's im Frieden zu Tilsit bildeten die Beweggründe zu ihrer Stiftung. Diese war nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine politische That. Durch Kräftigung wissenschaftlichen Lebens wollte man den Staat erretten. Ihre liberale Konstitution hatte kein geringerer als Wilhelm von Humboldt auf Grund von Vorentwürfen F. N. Wolfs, Fichte's und Schleiermachers ausgearbeitet. Am 15. Oktober 1810, am Jahrestage der Schlacht bei Jena, wurde sie eröffnet. Das Professorenkollegium war von Beginn an ein Kranz leuchtender Namen der Wissenschaft, damals schon weit über die Grenzen des Vaterlandes berühmt, jetzt dauernd in den Annalen der Geschichte der Wissenschaft glänzend. Viele derselben feiern wir als Führer und Begründer neuer Entwickelungsphasen in derselben und der junge Gutzkow fand auf den Kathedern seiner drei Interessengebiete noch mehrere der bedeutendsten Männer dieser ersten Generation in rühmlicher Thätigkeit, wenn auch leider nicht mehr in der Frische, die sie berühmt gemacht hatte. Noch wirkte in der theologischen Fakultät Schleiermacher, bei dem er nach einander »Theologische Enzyklopädie«, »Einleitung in das neue Testament« und »Dogmatik« hörte. Neben ihm waren Neander (»Kirchengeschichte«, »Erklärung des Evangelium Johannis«) und der Hegelianer Marheineke (»Prologomena zur Dogmatik und Moral« und »Dogmatik«) seine Lehrer in der Theologie. Unter den Philosophen thronte als Oberhaupt Hegel, dessen Vorlesungen über »Logik und Metaphysik« und »Naturphilosophie« er im 1., über »Philosophie der Geschichte« er im 4. und über »Religionsphilosophie« er im 5. Semester besuchte, während er bei Hegels Schülern von Henning »Logik und Metaphysik« und Hotho ein Kolleg über die Schriften Solgers, Tiecks, Novalis', Schlegels hörte und bei dem Naturrechtslehrer Eduard Gans nur hospitirte. Neben der Schule Hegels wahrte der wackere, einfach klare Heinrich Ritter (»Die platonische Philosophie«, »Ueber die Erkenntniß Gottes«) und der als ewiger Privatdozent gleich Schopenhauer vom herrschenden System arg vernachlässigte Beneke, bei dem er »Einleitung in das Studium der Philosophie«, »Psychologie« und »Logik« mit ganz besonderer Theilnahme hörte, eine charaktervolle Selbstständigkeit. Für seine klassischen Studien fand er einen Lehrer ersten Ranges in Boeckh, dessen »Enzyklopädie und Methodologie der Philologie« und »Erklärung der Platonischen Republik« er im 1., dessen »Griechische Alterthümer« im 2. und »Griechische Literaturgeschichte« er im 3. Semester besuchte, während die junge aufblühende Germanistik ihm ihren nächst J. Grimm bedeutendsten Bahnbrecher und Förderer Lachmann (»Deutsche Grammatik«, »Walther von der Vogelweide«) und den mehr schöngeistig gestimmten von der Hagen (»Nordische Mythologie«, Gottfrieds von Straßburg »Tristan und Isolde«) als Führer bot. Bei dem berühmten Historiker der Hohenstaufenzeit Fr. v. Raumer hörte er im 5. Semester »Universalgeschichte« und im letzten Semester, das er nur noch zum Theil in Berlin verbrachte, war das einzige Kollegium, das er noch belegte, die epochemachende Universalgeographie des Reformators dieser Wissenschaft Karl Ritter. Ueberblicken wir die chronologische Reihenfolge der genannten Vorlesungen, so ergiebt sich, daß die Studien der ersten Hälfte des Trienniums einen vorwiegend theologischen und klassisch- sowie deutsch-philologischen, die zweite dagegen einen philosophischen und enzyklopädischen Charakter trug. Als Ganzes hat die getroffene Auswahl nicht im entferntesten die ängstliche Physiognomie eines Brodstudiums. Die berühmtesten wissenschaftlichen Namen des damaligen Berlin sind mit wichtigen Vorlesungen vertreten.

Freilich die Zeiten, wo Schleiermacher vor keinem Forschungsresultat zurückschreckte, wann es die Wahrheit, vor keinem kühnen Wort, wann es das Wohl des Vaterlandes galt, waren vorüber. Er wie Hegel hatten ihren Frieden mit dem herrschenden System gemacht, ein kühler Hauch der Resignation und des Alters statt des warmen Athems echten Forscherfeuers strömte von ihnen aus. Von den berühmten Professoren, bei denen Gutzkow hörte, hatte sich nur August Böckh, der große Erforscher des griechischen Alterthums, die ursprüngliche liberale Gesinnung bewahrt, und auch dieser vermied, seine akademischen Vorträge mit Anspielungen auf die Zeit zu würzen, wie dies allein der Hegelianer Gans in seinen Geschichts- und Rechtsbetrachtungen that.

Schleiermacher, welchem Gutzkow wenige Jahre später (im Februar 1834) den Nekrolog in der »Allgemeinen Zeitung« schreiben sollte, war ein angehender Sechziger, als jener sein Schüler war. Es ist bekannt, daß der – nach Zeller – »größte Theologe, welchen die protestantische Kirche seit der Reformationszeit bis dahin gehabt hat«, damals nur noch wenig Aehnlichkeit mit dem Bilde hatte, das die heranwachsende Jugend von dem Patrioten der Stein'schen Zeit im Herzen trug. Der mannhafte Vorkämpfer einer liberalen Durchführung der evangelischen Union gegenüber den reaktionären Tendenzen Altensteins und der Orthodoxie hatte in den Tagen des Alters, deren Stimmung durch den Verlust des Sohnes einen unheilbaren Riß erhielt, wesentlich an Frische und Ueberzeugungsmuth Einbuße erlitten. Den dialektischen Geist Gutzkows konnte auf die Dauer das träumerische Ausspinnen der Gedanken und Auflösen in Gefühle nicht befriedigen, es befriedigte ihn nicht, den Werth der evangelischen Schriften gänzlich in Frage gestellt und dem theologischen Dogmatismus alle Gültigkeit abgesprochen zu sehen ohne einen andern Ersatz als die Anerkennung des religiösen Gefühls und die Mahnung zur Pflege desselben, denn, sagte er sich, damit ist wohl einer ausgewählten Schaar von Gebildeten, aber nicht der Allgemeinheit, der Nation, der Menschheit geholfen. Dagegen ist das Streben Schleiermachers nach Ueberbrückung der Kluft zwischen Glauben und Wissen ihm fürs Leben ein leuchtendes Beispiel geworden.

Auch Hegel war nicht mehr der junge kühne Denker, der einst den Glauben an eine Glückseligkeit im Himmel und den asketischen Geist des Christenthums aus der Unfreiheit und dem Elend der von den Römern unterjochten Völker, welche die christliche Dogmatik ausgebaut haben, gefolgert hatte: ein selbstzufriedener Baumeister, der dem weiten Bau seines Systems, mit allerhand Kunstgriffen freilich, eine äußere Vollendung gegeben, ruhte er, des nahenden Tods nicht gewärtig, von der Arbeit seines Lebens aus, ohne gegen den Mißbrauch, den die Staatsgelehrten der Reaktion mit seiner Lehre trieben, Einsprache zu erheben. Der Satz, daß alles was ist, auch vernünftig sei, weil das Denken gleich dem Sein, war ursprünglich ja keineswegs von ihm ersonnen worden, um dem »absoluten Staat« als Heiligsprechung zu dienen. Und schon fing auch die radikale Auslegung des Satzes an, sich geltend zu machen; unter den ersten, die ihn auf die Resultate des Fortschritts anwandten, befand sich jetzt bereits der junge Gutzkow. Die dialektische Methode, dieses rapide Umkehren der Begriffe in ihr Gegentheil, dieses Vermitteln des Gegensatzes zu höherer Einheit reizte den beweglichen Geist, der schon in Prima, wo Ribbeck den Schülern die Hegelsche Propädeutik eingedrillt hatte, sich an dieser Objektivirung des Denkprozesses berauscht hatte. Die Materie des Hegelschen Systems fesselte ihn nicht und ward begreiflicher Weise auch von ihm nicht völlig begriffen – hat doch Hegel, als er Gabler zu seinem Nachfolger vorschlug, von diesem geäußert: er ist der einzige der mich verstanden hat, und doch auch er hat mich mißverstanden –, aber die Methode gewann einen tiefen Einfluß auf seinen Geist. In dieser Methode lag nicht das Prinzip der Stabilität, sondern das der Entwickelung; gründete sich doch die »Wissenschaftslehre« auf den Satz: die Versöhnung von Sein und Nichtsein ist das Werden. Dieses Prinzip, von Hegel selbst noch nicht genügend, zum Theil nur äußerlich verwerthet, der Staatsgewalt gegenüber in sein Gegentheil verkehrt, ist das Samenkorn, welches in der weiteren Entwickelung aller Wissenschaft unendlich reiche Früchte getragen. So konnte Hegels eigene Erklärung der »Religion« als der »Form in der sich die absolute Wahrheit dem vorstellenden Bewußtsein darstellt« in ihrer Dunkelheit ihm ebenso wenig genügen als die »gebildete« Vermittelungstheologie Schleiermachers, die dann David Friedrich Strauß als eine Halbheit bekämpft hat; aber das Prinzip kam ihm in seinem Ringen nach Klarheit gegenüber den letzten und höchsten Fragen tröstend zu Hülfe. Er selbst erzählt von einem »Damaskuswunder, einer mystischen Verzückung«, die ihn im Frühwinter 1830 auf einem Spaziergange im Thiergarten überkam. »Alles was ist, ist vernünftig« – wohl, sagte er sich, dann war die antike Gottanschauung ebenso vernünftig, wie der Christenglaube, wie der Gott im All des Spinoza. »Sie war keine Abirrung vom Gottesbegriff, sondern eine Entwickelung innerhalb desselben, ein nothwendiges Stadium seiner irdischen Darstellung … Jeder Schritt vorwärts auf der Bahn des Lichtes und der Tugend, jeder Sieg der heiligen Sache der Vernunft und Aufklärung erschien mir ein Schritt näher zum allmählichen Offenbarwerden der Gottheit.«

Diese Gedankenreihe entsprang der Beschäftigung mit einer vorherrschend philologischen Arbeit, einer Preisarbeit, welche die philosophische Fakultät ausgeschrieben hatte und an die sich der arbeitsfreudige Student bereits im zweiten Semester, noch nicht neunzehn Jahre alt, gemacht hatte. Durch Lösung derselben schloß er seine klassischen Studien mit einem Triumph, der einem Doktorexamen gleich kam, wie denn auch die philosophische Fakultät in Jena ihm später auf diese Arbeit hin den Doktorgrad ertheilt hat. De diis fatalibus , über die Schicksalsgottheiten, hieß das Thema, das in der That für seine Kenntnisse und Neigungen sehr verlockend war. »In ihm trafen beide Interessen, die im Gemüthe lebten, der künftige Lehrberuf und die gesteigerte Leidenschaft für Dichten und Denken wie in einem Brennpunkte zusammen. Die anregendsten Werke mußten studirt werden, Schlegels Weisheit der Inder, Windischmann, viele Ausläufer der Naturphilosophie, Schelling. Vor allem aber führte es noch einmal eine intime Berührung mit den Alten, Sophokles, Aeschylos, im besondern mit Homer herbei, der mit der Feder in der Hand von Anfang bis zu Ende durchgelesen werden mußte. Frühe Morgen- und späte Nachtstunden wurden zu Hülfe genommen.« Und der Fleiß fand seinen Lohn, die Schicksalsgottheiten zeigten sich günstig. Der Tag der öffentlichen Preisvertheilung, der 3. August 1830, kam heran. » In auditorio maximo« kritisirte der Rektor Hegel die eingelaufenen fünf Arbeiten und bezeichnete die eine mit dem Motto: » A parvis viros magnos abstinere non tam facile, quam parvos magno aggredi« für die beste und des Preises würdig. Dann fuhr er fort: Aperio schedulam et invenitur Carolus Ferdinandus Gutzkowe, Berolinensis. Auf seine Frage, ob der Autor anwesend sei, wollte Gutzkow schweigen. Einer seiner Freunde, dem diese Notiz zu danken, saß neben ihm und drang darauf, sich zu melden. Er that's und empfing aus Hegels Hand die goldene Medaille im Werth von 72 Thalern.

Diese Preisarbeit De diis fatalibus, viel genannt, in allen biographischen Skizzen erwähnt, ist nie gedruckt worden und dem öffentlichen Interesse dauernd entzogen geblieben. Ein Versuch, die Uebersetzung als Broschüre an einen Verleger zu bringen, scheiterte. Bei den Akten der Berliner Philosophischen Fakultät befindet sie sich nicht mehr. Es entspricht dies durchaus der Sitte, die Preisarbeiten, gekrönte wie nicht gekrönte, an die Verfasser zurückzugeben. Dagegen liegt die Beurtheilung der sechs eingereichten Arbeiten seitens des Archäologen Professor Tölken vor, auf Grund welcher die Preisvertheilung erfolgte. Eine Abschrift der Arbeit selbst aber, ist mir gelungen, in der zwei Jahre später in Jena unter dem Titel » Philosophorum Graecorum de providentia divina placita« eingereichten Doktordissertation zu entdecken. Zur Charakteristik seien einige Stellen aus Tölkens Gutachten mitgetheilt. »Der erste Abschnitt de fato giebt eine Geschichte der Ansichten vom Schicksal, zwar bisweilen in derben Zügen, um die Gegensätze augenfälliger zu machen, doch merkt man bald, daß alles aus den Quellen geschöpft ist. Ueber Homer wird zu rasch weggegangen, allein Interesse erregt, was von Pindar, besonders was von den Tragikern, und daraus über die Ansichten des Herodot und Thukydides gesagt wird. Auch die Lehren der älteren Philosophen bis auf Plato werden recht gut zusammengestellt. Die zweite Abtheilung de diis fatalibus führt das Gesagte näher aus, aber nicht ohne Wiederholungen. Die dritte Abtheilung handelt de Parcis.« Die indische Maja gebe die Grundidee, die Nornen werden mit der hetrurischen Nortia, diese mit der römischen Nona zusammengefaßt. Für vollendet wollte Tölken auch diese Arbeit nicht erklären; dem Zweck dieser jugendlichen Wettkämpfe sei indeß auf eine erfreuliche Art Genüge geleistet.

An dem Fleiß und Eifer des jungen Scholaren kann nach allem nicht gezweifelt werden. Aber wo bleibt die Poesie der Jugend, des Studentenlebens, wo bleibt der Poet? Blieb dem wissensdurstigen Jüngling denn jene Welt verschlossen, von der Wilhelm Hauff in seinen »Phantasien im Bremer Rathskeller« so schön schwärmt: »Wie soll ich dich nennen, du hohes, rohes, edles, barbarisches, liebliches, unharmonisches, gesangvolles, zurückstoßendes und doch so mild erquickendes Leben der Burschenjahre? Wie soll ich euch beschreiben, ihr goldenen Stunden, ihr Feierklänge der Bruderliebe?« Und war die enthusiastische Schwärmerei der Primanerzeit nur ein Rausch gewesen, der vor dem Lerneifer des Studenten zurücktrat mit dem Abgang des Freundes Böttcher nach Halle? Im Gegentheil! Mächtiger noch als sein jugendlicher Lerneifer wirkte in ihm das Interesse für die politischen Fragen der Zeit, sein Zorn über die Despotie und Dumpfheit des herrschenden Systems. Nirgends war ja auch dieser Geist so fühlbar wie in Berlin, am Sitz der Regierung. Während der Ferien nach Absolvirung des Gymnasiums hatten ihn Pläne beschäftigt, Berlin wider den Willen der Eltern zu verlassen und dem Freund nach Halle zu folgen. Er gab sie auf aus Rücksicht für diese. Aber der Unfreiheit der kleinlichen häuslichen Existenz entzog er sich wenigstens. Er bezog ein eigen Quartier, Kronenstraße 65, das er die Zeit seiner Studien über inne behielt. Sein Stipendium und das nach wie vor eifrig, wenn auch ohne Neigung, fortgesetzte Ertheilen von Privatstunden gewährten ihm genügende Mittel zur Bestreitung seiner Bedürfnisse, selbst zur Anschaffung eines echt studentischen altdeutschen Schnürrocks und zum Genuß der akademischen Freiheit, auch höherer Lebensgenüsse. Freilich waren diese Verhältnisse doch derart, daß jene Preismedaille nicht in pietätvoller Werthschätzung ihrer ideellen Bedeutung daheim ausgestellt werden konnte, sondern eine Umsetzung in Silber sich gefallen lassen mußte.

Das burschenschaftlich gestimmte Kneipkränzchen der Primanerzeit bestand fort und als Böttcher nach halbjähriger Abwesenheit nach Berlin zurückkam, konstituirte sich dasselbe heimlich unter dem unschuldigen Namen » societas bibatoria« zu einer regelrechten burschenschaftlichen Verbindung, trotzdem der § 3 der zweiten Abtheilung der Karlsbader Beschlüsse jedes Mitglied einer solchen von jeder öffentlichen Anstellung ausschloß. Dennoch befanden sich unter den Genossen Söhne der Professoren Hegel und Böckh; so mächtig war die Gährung in der akademischen Jugend des Jahres 1830, daß selbst der Sohn des privilegirten preußischen Staatsphilosophen inmitten der königlichen Residenzstadt dem verpönten Geheimbunde beitrat. Im ersten Semester führte Kämmerer das Präsidium, Gutzkow gehörte zu den Chargirten und war im Wintersemester 1830/31 auch Präses. Zu seinen Intimen zählte noch August Bürger, ein Enkel des Dichters, der aus Aschersleben stammte, und ein Holländer, van der Smissen. Das Kneiplokal lag in einem entlegenen Stadttheil, auf der Splittgerbergasse, im Schutze einer Freimaurerloge. Der Wirth hieß Kaumann und verzapfte das reichlich genossene Weißbier, das damals noch nicht vom braunen Lagerbier verdrängt war, vielmehr gerade erst den Kampf um seine Hegemonie mit dem fremden Eindringling begann. Entlegen mußte die Stätte wohl sein, wo der Enthusiasmus, der gegen zwanzig junge Leute zur Verletzung eines allerdings herausfordernden Gesetzes getrieben hatte, seine Feste feierte. Alle hatten damit ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt und die »Füchse« mußten den Frieden der Kneiptafel mit derselben Vorsicht überwachen, wie jetzt etwa die Stätte eines verbotenen Duells behütet wird. So kam es denn auch, als im Laufe des Jahres 1831 das Mitglied Chambeau eines Tages die Meldung brachte, sein Onkel, ein zu Besuch in Berlin aufhältiger russischer Staatsrath, habe ihm sub sigillo anvertraut, daß die Existenz des Bundes und die Namen der Mitglieder dem Ministerium bereits bekannt seien und dieses demnächst das Netz zu schließen beabsichtige, daß die meisten der Freunde vom Schrecken zum Austritt veranlaßt wurden und die Auflösung eintrat, zu welcher auch Gutzkow gerathen.

Ein überlebender Genosse jener burschenschaftlichen Schwarmzeit, der Prediger Schlemüller in Arensberg, dem ich diese Mittheilungen danke, weiß von seinem Verbindungsbruder und Präses Gutzkow ein gar ansprechendes Bild zu entwerfen. Blauäugig, blond, von kühnem Profil, schlank und wenn auch leicht in eine vorgebeugte Haltung verfallend, doch kräftig, konnte von dem Studenten Gutzkow das Wort gelten: sana mens in corpore sano. Rüstig, unermüdlich in der Arbeit, war er bei der wissenschaftlichen Diskussion wie beim Vergnügen immer ganz bei der Sache. Meist ernsten Wesens, war er im Kreise der Freunde froh und heiter. Er war die Seele des Bundes und in allen Wissensgebieten den Kommilitonen ein Orakel. Obgleich er durch das Ertheilen von Privatstunden seinen Unterhalt verdiente, war sein Auftreten stets flott und nobel. Mit dem Rappier wußte er trotz seiner Kurzsichtigkeit gut umzugehen, aber das Bewußtsein seiner Kraft verleitete ihn nie zu Herausforderungen und leichtsinnigen Händeln. Die Bestimmungsmensur kannte die echte Burschenschaft nicht. Als Basso I zeichnete er sich beim Rundgesang wie bei Ständchen aus, die damals trotz des strengen Polizeireglements in Berlin noch sehr in Uebung waren. Für Gesang hatte er besondere Neigung und auch Talent. Schon als Gymnasiast hatte er als Mitglied der ersten Singklasse unter Prof. Kranzlers Leitung bei der zum öffentlichen Schulexamen bestimmten Aufführung größerer Partien der »Schöpfung« von Haydn und des »Ostermorgens« von Neukomm mitgesungen. Dieselben Lieder, von denen der Student heute die meisten nur absingt, ohne ihren lebendigen Inhalt zu empfinden, waren für die heimlichen Burschenschafter Bekenntnisse des innersten Empfindens, und Gutzkow gab sich dem patriotischen Choral mit heiligem Feuereifer hin. Zeremonien, wie der »Landesvater«, für welchen die Burschenschaft das »Vaterland« substituirt hatte, wurden mit der Weihe einer erhaben-feierlichen Handlung ausgeführt. Noch weiß sich Schlemüller lebhaft eines Kommerses zu entsinnen, der am 17. Dezember 1830 stattfand, bei welchem Gutzkow in vollem schwarzrothgoldenen Wichs präsidirte und in späterer Stunde mit exaltirter Begeisterung den Tisch beschritt, die Mützen der Freunde auf den Schläger bohrend.

In dem Werke des Alters »Rückblicke auf mein Leben« unterbricht der Dichter den ersten Anlauf einer Analyse seiner Entwickelung mit der Bemerkung, daß mit der »Zeit«, deren Schwingungen seine Seele mächtig ergriffen, eine andere mächtige Herrscherin sich in den Besitz seines jungen Herzens getheilt habe: die Liebe. Er schildere ein Dichterleben und in dieses habe der Zauber des weiblichen Reizes früh hineingestrahlt. »Das Gefühl der Vereinsamung eines gegen den Strom Schwimmenden, der Druck, welcher immer und immer auf dem verkannten Gemüth lastete, der Mangel an äußerem Glück kam diesem Zuge des Herzens und der Sinne entgegen … Frühe schon hatte ich gegen die Rabbinenweisheit der Entsagung und Selbstkasteiung geeifert, hatte ich Heinrich Heines Unterscheidung zwischen den beiden Lebensprinzipien, dem Nazarenerthum und dem Hellenismus, einen seiner Lichtblicke gefunden, hatte das, was sich die Menschen ihre Tugend nennen und an sich und Andern glorifiziren, so oft nur für eine körperlich bedingte Empfindlichkeit oder Stumpfheit der Nerven, nach späteren Erfahrungen für die Alleinbeschäftigung mit ihrem Ehrgeiz, die Narzissusgenüge an der Widerspiegelung ihres geliebten Ich erkannt … Früh schloß ich leidenschaftliche Freundschaften; Frauen gegenüber fühlt dann freilich der Jüngling nicht Freundschaft, sondern sofort Liebe. In dem Spiegel eines Mädchenauges fängt sich ihm die ganze Welt. Und sie fängt sich ihm nur in harmonischer Schöne. Des Mondes blasses Licht, das Geflüster einer vertrauenden Seele beim Wandeln unter den sanft bewegten Wipfeln eines Baumganges, die Berathschlagungen über künftige, vielleicht schon gemeinsam gewordene Lebensziele – in diese bestrickenden Zauber, die nicht minder von Neander, Schleiermacher, Böckh, Lachmann abzogen, war ich allzufrühe gerathen. Der erste Theil meiner »Seraphine« (erschienen Hamburg 1837) ist selbsterlebt. Die dort geschilderte Beklagenswerthe hieß Leopoldine Spohn.«

Beklagenswerth ist in dieser Liebesverwickelung, die im ersten Studienjahre sich abspann, für uns in erster Reihe der Dichter. Wir müssen es tief bedauern, daß auch nach dieser Seite hin das Seelenleben des Dichters frühe zur Skepsis gelenkt ward, umsomehr gerade dieses Moment an dem oft herben, kritischen Charakter seiner ersten Schöpfungen – Seraphine, Wally, Blasedow – die Schuld trägt und seinem glühenden Herzen den Vorwurf der Kälte Seitens der Kritik zugezogen hat, »Jünglinge, Männer können zuweilen in die Lage kommen, an Frauen Empfindungen zu verrathen, die nur formelle Erwiderungen ohne Betheiligung des Herzens sind. Irgend eine Schonung fremder Schwäche galt es da, irgend ein mildes Entgegenkommen gegen einen Wahn, der sich so schnell, wie wohl die Wahrheitsliebe mochte, nicht im verirrten Frauengemüth heilen ließ. Verstrickt dann zu sein in die Folgen solcher Unwahrheit, die sich das Herz um seiner thörichten Schwäche willen vorwerfen muß, leiden zu müssen um etwas, was man in dieser Weise noch gar nicht empfunden, in dieser Weise noch gar nicht gewollt hatte, das sind Qualen der Seele, die an ihr brennen können, wie das Kleid des Nessus« (Zauberer von Rom, 2. Aufl., Bd. 8, S. 89). Diese tragische Schuld ist wiederholt des Dichters Schicksal gewesen. Sie machte den heißblütigen Studenten in seinem ersten Semester zum – Verlobten, legte ihm den quälenden Kampf auf, ihm fast wider Willen angelegte und doch heilig erscheinende Fesseln zu lösen, in die ihn die schlaue Koketterie eines in ihn verliebten und einer Stütze bedürftigen Mädchens geschlagen. Das Verhältniß, wie es uns aus dem Bekenntniß Arthur Stahls in dem zweiten Abschnitt des bezeichneten Romans entgegentritt, das in der That den Stempel einer eigensten Beichte des Dichters trägt, so zwar, daß die Wiedergabe des persönlichen Erlebnisses zu Realitäten wie die Einführung des Freundes Hermann (Böttcher) mit seinem lahmen Fuß und stürmischen Feuerherzen greift, – ist kein sonniges Bild, kein »Blumenstück«, sondern ein »Dornenstück« der Liebe. Eine ergänzende Quelle bildet die ebenso unmittelbar dem Leben entnommene, wohl damals entstandene, zwei Jahr später im Stuttgarter »Morgenblatt« erschienene Bambocciade »Die Singekränzchen«.

Ein solches Singekränzchen, wie sie damals in Berlin mit dem doppelten Zweck, die Kunst und die Geselligkeit zu pflegen, in Blüthe standen, hatte den jungen Studenten zum Mitglied gewonnen und ihm Gelegenheit gegeben, sich in ein Mädchen von »rosigen Wangen, dunklem Haar, mit tiefblauen Augen, quellenden und mit dem Netz einer durchsichtigen Haut umsponnenen Formen« zu verlieben. Seine Bemühungen, Gegenliebe zu wecken, blieben erfolglos. Dagegen näherte sich ihm ein anderes Mädchen des Kreises. Sie war blaß, ihre Stirne frei, ihr Antlitz oval, ihr Temperament wechselnd. Die tiefsinnigste Trauer wurde bei ihr vom ausgelassensten Scherz abgelöst. Sie war von seltener Bildung, aber in ihren Ansichten verworren, überspannt. Bei einer Landparthie (am Himmelfahrtstag) hatte er sich, ärgerlich über seine dauernden Mißerfolge bei jener, zurückgezogen, als ihm die Andre entgegentrat, ihn in ein Gespräch verwickelte und so zu fesseln wußte, daß er für diesen Tag ihr Begleiter blieb und auf der Rückfahrt der Vertraute ihres Kummers wurde. Sie war unglücklich und bezeichnete den Haß einer Stiefmutter und unwürdige Behandlung von deren Seite als Quelle ihrer Leiden. Er suchte sie zu trösten, am folgenden Tag auch brieflich. Die Antwort war die Bestellung zu einem Stelldichein und bei diesem kam es unter Thränen und Trostworten zu Umarmungen und Küssen: er zu jeder Hülfe bereit, sie einwerfend, daß er bedenken müsse, sie nicht zu kompromittiren. Am Tage darauf führte sie ihn, der in der Aufregung getroffenen Verabredung gemäß, zu ihrem Vater und dieser, ein schmächtiges, gutmüthiges Schulmeisterlein, begrüßte ihn als – den Verlobten seiner Tochter. Seine Häuslichkeit war ein Idyll dürftiger Bescheidenheit, dessen Demant eine zweite Tochter, sein Kind zweiter Ehe war, die jetzt Glück wünschend dem jungen Mann entgegentrat, welcher in ihr, zu seinem Entsetzen und Entzücken zugleich, den spröden Gegenstand seiner wirklichen Neigung erkannte. Daß die ungleichen Mädchen Schwestern, hatte er nicht geahnt. Durch das Haus hallte freudig die Kunde: Leopoldine ist Braut, während das Wort dem achtzehnjährigen Bräutigam durch die Seele schnitt.

G. A. Bürger – dessen Enkel Gutzkows Freund – war damals der Lieblingsdichter des Letzteren. In dessen Doppelverhältniß zu Dorette und Molly sah er sein eigenes Geschick. Er sprach von dieser seltsamen Liebe zu den Schwestern. Nach einem solchen Gespräch führte »Seraphine« den Bräutigam zu ihrer Schwester und flüsterte ihm in's Ohr: »Sie wird dich lieben!« Er wendet sich zu ihr, ihr Auge ist ohne Thränen. Diese Szene bildete den Wendepunkt des trüben Verhältnißes. »Nach den höchsten Gipfeln wissenschaftlicher und Welteinsicht ringend«, heißt eine Stelle in Arthur Stahls Bekenntniß, die wir als autobiographisch wegen ihrer Analogie mit Stellen in Gutzkows Lebensaufzeichnungen ansprechen dürfen, »war ich auf einem steten dornigen und blutigen Hinaufklimmen begriffen. Alle Ideen, welche die Zeit erfüllten, fanden in meiner Brust Widerhall. In Liebe und Haß war ich leidenschaftlich. In der Politik tollkühn, in der Religion Phantast, in der Philosophie Schattenspieler, in der Moral ein Narr, gährte und siedete ich und mordete meine nächste Vergangenheit immer für die nächstfolgende Zukunft. Seraphine war das Herz, das zwischen die Räder eines wildstürmenden Schöpfungs- und Zerstörungsdranges gerieth. In den Sitten das Philisterhafte hassend, in den Gefühlen jede Weichheit, die ich Egoismus nannte, brachte ich Alles, was mich auf meinen Wegen reizte, in Verbindung mit meinen idealen Sympathien. Ich sah in meinen Umgebungen nur falsche und lügnerische Manieren und fand darin Stoff für die Polemik gegen die Tendenzen der Zeit. Mein Symbol war: Natur und Ehrlichkeit in der Politik, Natur und Leidenschaft in der Moral. Ein Herz das liebt, liebt um jeden Preis! war meine Voraussetzung, und ein Herz, das entsagen kann, liebt nicht, das war meine Folgerung. Seraphine muß dich nicht opfern, Seraphine muß ihre Schwester hassen, da ich sie liebe, Seraphine muß sich an meinen Besitz klammern. So dachte ich und – nun verwarf ich sie.«

Es darf uns nicht Wunder nehmen, wenn unter solchen Erlebnissen, die er in der Hauptsache allein durchzukämpfen hatte, im Bunde mit den Fesseln der Armuth, die jeden Aufschwung des Lebens hemmten, des Jünglings Wesen immer ernster ward und sich immer mehr der Welt der Ideale zuwandte, die seine Seele erfüllten. Wir dürfen annehmen, daß das Ende der geschilderten Herzensbeziehung noch vor jenen 6. August des Jahres 1830 fiel, an welchem sein wissenschaftlicher Eifer durch die Zuerkennung der philosophischen Preismedaille einen schönen Triumph feierte. Nicht blos in dieser Beziehung, auch in Bezug auf den Gang seiner Studien stellen diese Augusttage des Jahres 1830 einen Wendepunkt in dem von uns zu schildernden Lebenslauf dar, gilt von ihnen jenes Wort von der nächstfolgenden Zukunft, für welche er die jüngste Vergangenheit mordet. Eben noch ganz erfüllt von wissenschaftlichen Interessen und dem Ehrgeiz eines jungen Gelehrten, welche seine beste Zeit und Kraft verbrauchten, wandten in diesen Tagen die Nachrichten von den Vorgängen in Paris, der Julirevolution, sein ganzes Denken und Empfinden mit der Kraft eines den Damm überschäumenden Bergstromes jener anderen Welt seiner innersten Antheilnahme zu, der Welt der allgemeinen öffentlichen Interessen. »Es war die Zeit und das ungelichtete Chaos ihrer Forderungen, die über die Menschheit hinwegzogen, es war das deutlich vernehmbare Läuten einer zur Zeit noch unsichtbaren neuen Kirche des freien Geistes, das die Jünglingsseele fast nur noch allein erfüllte!« (»Rückblicke« S. 7.) An jenem selben 6. August brachten die Zeitungen Berlins ausführliche Berichte von dem dreitägigen erfolgreichen Kampf und der kühnen Erhebung der Pariser Bevölkerung, welche das Echo der berüchtigten Ordonnanzen Karls X. vom 25. Juli gebildet hatten, mit denen dessen tollkühne absolutistische Politik den Willen der Nation zu beugen und zu brechen beabsichtigt, er sich aber nur selbst um Thron und Heimath gebracht hatte. Mächtig wirkte die That der französischen Nation auf das Ausland; Furcht und Schrecken erregend bei den reaktionären Regierungen, Hoffnung und Muth erweckend bei der Bevölkerung, soweit sie für den Druck der dumpfen Zeit noch Empfindung hatte. Gerade der geordnete ruhige Verlauf dieser Revolution, die nicht ein Werk des Pöbels, sondern der Gebildeten war, die in der Bergung ihrer Errungenschaften so maßvoll verfuhr, machte sie vielen Fürsten so schreckenerregend, daß sie die Ereignisse, welche erst siebzehn Jahre später ihre Throne erschütterten, bereits vor der Thüre sahen. Ihre Bedeutung ward in Deutschland wohl überall gleich empfunden, verschieden war die Wirkung. Während sie in Westdeutschland und den Mittelstaaten zur Gewährleistung von Verfassungen trieb, führte sie in Preußen nur zur weiteren Konsolidirung des Polizeistaats nach ganz kurzem Aufflackern einer freieren Regung, die vorübergehend noch einmal W. von Humboldt, Boyen und Andere zu Einfluß brachte. Als Metternich »Beweise« einer revolutionären Gährung in Deutschland aufweisen konnte, wurde der selbständige Bernstorff im Ministerium des Auswärtigen durch Ancillon, einen Verehrer und Schützling Metternichs, und durch Kamptz ersetzt, der in seinen Gesinnungen immer reaktionärer wurde. Von dem Enthusiasmus, welchen die Nachricht von den Pariser Vorgängen in Naturen wie die unseres Helden erregte, kann sich der nüchterne Geist unserer Periode kaum eine Vorstellung bilden. Man muß die Werke lesen, in denen diese Begeisterung zur unmittelbaren Aussprache gelangte, nicht nur Börne's »Pariser Briefe« oder die Briefe politischen Charakters in Heinrich Laube's Roman »Das junge Europa«, um die Worte Levin Schückings voll zu empfinden: »Der öffentliche Geist wachte aus dem Schlummer auf, ein Drang nach Leben, nach Bewegung, nach der That wurde fühlbar, die erregten Geister drängten sich über die Schwelle der neuen Aera, deren Thore die Donner der drei heißen, glorreichen Tage aufgesprengt hatte.« Noch der Tag der Preiskrönung fand seinen Helden in einem der Berliner Kaffees, vertieft in die Zeitungen, das Journal des Debats. Dieses Blatt war ihm schon seit einiger Zeit eine geläufige Lektüre, da der Zufall gerade in jenen Wochen den später so berühmt gewordenen Politiker St. Marc Girardin, der sich als junger Pariser Professor Studien halber damals in Berlin (»Stadt Rom«) aushielt, zu seinem Schüler im Deutschen gemacht hatte und dieser für das Journal korrespondirte.

Was ihm die Katheder Berlins versagten, suchte er nun in der Tagesliteratur, in den Zeitungen. Die regelmäßige Lektüre der letzteren ward von da an ein Bedürfniß auf Lebensdauer. Wie er später als berühmter Dichter, wo er auch weilte, immer ein regelmäßiger Besucher der besten Lesehalle am Orte war, so ward er jetzt einer der eifrigsten Besucher der berühmten Konditorei von Stehely an der Ecke des Gensdarmenmarkts und der Jägerstraße. Hier fand er die gelesensten Journale des In- und Auslands, und zu gleicher Zeit in dem Publikum, das dort verkehrte, eine Verkörperung der gesellschaftlichen und politischen Gegensätze Berlins. (Vergl. »Vertraute Briefe über Preußens Hauptstadt«. Stuttgart 1837. Rieger & Co. S. 154 u. ff. Der anonyme Verfasser war Beurmann.) »Stehely's Besucher«, schrieb Gutzkow bald darauf über dieses Kaffee (im »Forum der Journal-Lit.« Hst. 2. S. 156), »bilden natürlich zwei Klassen, die Jungen und die Alten, mit der näheren Bezeichnung, daß die Jungen ans Alter, die Alten an die Jugend denken. Jene sind Literaten in der guten Hoffnung, einst sich so anzusehen, wie man jetzt die Klassiker sieht, weihrauchumnebelt; diese sind Beamte, alte Offiziers, die in einem Athem von den politischen Stellungen des preußischen Staats, den Füßen der Elsner, den Koloraturen der Sontag, dem Spiel der Schechner sprechen. Nichts Unerbaulicheres! … Triumphirend rufen sie um die Staatszeitung, forschen nach den privat-offiziellen Erklärungen eines H., v. R., v. Wsn. Hieraus lesen sie die Berliner Korrespondenzen in der Allgemeinen Zeitung, die ja wohl der Ausdruck der Berliner öffentlichen Meinung, als wenn es eine solche gäbe, sein sollen, und wenn sie sich dann noch an den logischen Demonstrationen der Mittheilungen aus der Posener Zeitung gestärkt haben, fallen sie über das Theater her.« – So sammelte er Gift für seine Stimmung. Die öffentliche Meinung sah er durch eine kleinliche Zensur untergraben und ohne eine solche sah er kein Heil für die Zukunft.

In diese neue geistige Welt, das Labyrinth der »Presse«, wurde ihm Börne zum Führer. Dessen »Schriften« kamen ihm um dieselbe Zeit in die Hände. Er schildert ihre Wirkung auf ihn selbst, wenn er in seiner Biographie Börne's (S. 204) ihren Eindruck auf die deutsche Jugend einen bezaubernden nennt. »Diese Frische, dieser Witz, diese großartige Perspektive in Welt- und Zeitanschauungen, die man aus der Schule kaum ahnte und die auf der Universität zu dem Verbotenen gehörte! Von den Fesseln des Systems sah man sich erlöst, die freiste Ungebundenheit war doch zugleich zu einer in bunten Farben schimmernden Krystallisation der Darstellung kunstvoll verhärtet. Alle Formeln und Gesetze lösten sich hier vor der freien Gesetzgebung eines mächtigen Individuums auf, das nicht aus dem Hörsaal, sondern aus dem grünen Walde der Erfahrung und der Geschichte heraustrat. Verklungene Debatten sah man hier wieder ausgenommen, ein patriotisch freier Sinn reagirte gegen die ästhetische Verflachung, in welche wir gegen die Zeit hin, wo die Julirevolution ausbrach, uns zu verlieren fürchten mußten.« Börne ward der dritte Schriftsteller, zu welchem Gutzkow die Stellung eines Schülers nahm. Wie Menzels »Deutsche Literatur« sein Verhältniß zur Literatur beeinflußt hatte, so wurde jetzt Börne für ihn bestimmend gegenüber den politischen Fragen des Tages. Bei Beiden hatte er die Beibehaltung Desjenigen vom Alten gefunden, was ihm wohl that, bei Menzel die romantische Schule, bei Börne Jean Paul, und doch bei Beiden die volle Zuthat des Neuen. »Ich hatte«, sagt er (»Das Kastanienwäldchen«, S. 108) »bei Beiden die Literatur unter dem Gesichtspunkt der Zeit und des Volksgeistes, vollends die Poesie in ihrem Zusammenhang mit dem Bedürfniß der Erneuerung auf dem Gebiet aller Disziplinen, jedenfalls mit den Bedürfnissen des nationalen Lebens, unserer Erziehung und Geselligkeit. Mächtig ergriff mich der Kampf für die gute Sache der Schönheit, Freiheit und Wahrheit. Das Nächste in dem was mich umgab, war mir verdächtig geworden. Nicht einen Offizier, nicht einen Geistlichen, keinen mit dem Ordensband Geschmückten konnte ich sehen, ohne mich im Bruch zu fühlen mit Allem, woran sich die gegebene Welt lehnte. Ueberall nur sah ich freiwillige Knechtschaft, Entäußerung besserer Erkenntniß, Heuchelei im Festhalten von Institutionen, die sich überlebt hatten. Auf dem literarischen Gebiet erschien mir alles Unselbständigkeit, Nachahmung, affektirte, in Berlin durch besondere Gesellschaften geförderte Vergötterung unserer klassischen Periode.«

In den Zeitungen, in der Presse erkannte er die Organe zur Herbeiführung besserer Zustände, aber die schlaffe Art, wie sie ihr Amt verwalteten, erfüllte ihn mit Grimm. Bei ihrer Lektüre – und er las Alles ihm Zugängliche –, die sein inneres Leben mehr und mehr der Welt seiner Freunde entzog, reifte in ihm die Erkenntniß seines schriftstellerischen Berufs, das Verlangen, diese Organe dem Kampf für seine Ideale dienstbar zu machen. Er selbst hat seiner natürlichen Beanlagung einen polemischen Charakter zugesprochen. (Vergl. »Rückblicke«, S. 65.) Wie diesen Zug das Leben bisher entwickelte, haben wir gesehen. Zorn wie Liebe trieben ihn zur That. Ende des Jahres 1830 faßte er den Entschluß, selbst ein Journal zu gründen, das sich die Kritik und womöglich die Beeinflussung der gesammten deutschen Journalliteratur zum Zweck setzte. Zu Anfang des folgenden Jahres erschien dann das erste Heft der in Antiquaschrift gedruckten Zeitschrift » Forum der Journal-Literatur. Eine antikritische Quartalschrift«, auf deren letzter Seite »Karl Gutzkow« als Herausgeber genannt war, im Verlag von Wilhelm Logier. Der Drucker hieß Feister, seine Offizin war im Hinterhause des berühmten Jagor'schen Restaurants »Unter den Linden« gelegen. Logier, in dessen Hause in der Friedrichsstraße im Winter 1827 Börne während seines Berliner Aufenthalts gewohnt hatte und dessen Verlag eine liberale Richtung verfolgte, hatte sich bereit gefunden, das in der That originelle Unternehmen des kaum zwanzigjährigen Studenten versuchsweise zu übernehmen, nachdem dieser – wohl nicht ohne Befürwortung Seitens des alten Gönners von Kamptz – nach einer Vernehmung bei einem Rathe des Polizeiministeriums das Privilegium dazu erhalten hatte. Versuchsweise – denn nur zu einem Vorschuß der Herstellungskosten verstand sich der vorsichtige Verleger. Der Vertrag vom 15. März 1831 zwischen den beiden Kontrahenten stellte fest, daß der Herausgeber zur quartalweisen Abzahlung der Kosten mit je 10 Reichsthalern verpflichtet sei, mit dem Vorbehalt der späteren Ausgleichung nach dem fraglichen Verkauf der Exemplare. Die erste Zahlung mußte schon am 1. April erfolgen und war gewiß kein kleines Opfer für einen unbemittelten Studenten, den seine Verhältnisse nöthigten, Privatstunden zu ertheilen. Welch kleine Mittel für eine Aufgabe von Riesenumfang! Und der Absatz blieb hinter allen Erwartungen zurück; auch die Verwandlung der Vierteljahrsschrift in Oktavformat, nachdem zwei solche Hefte erschienen waren, in eine Wochenschrift in 4°, von der vom 4. Juli ab bis 1. Oktober 13 Nummern erschienen, fruchtete nichts. Das Blatt brachte es im ganzen aus ungefähr 70 Abonnenten, Gutzkow aber hatte nach vorliegenden Briefen noch im Jahre 1843 – er wird wohl mit den Zahlungen pausirt haben – an der durch sein Wagniß entstandenen Schuldenlast zu laboriren.

Bis in die neueste Zeit haben die Literaturgeschichten, die sich mit Gutzkow beschäftigten, von diesem »Forum der Journal-Literatur« nicht mehr als den Titel anzugeben gewußt, und für die Charakteristik des Dichters ist diese erste naive unabhängige Aussprache der ihn bewegenden Ideen bisher völlig unbenutzt geblieben. Aus einem sehr einfachen Grunde: die 70 verkauften Exemplare haben sich bei der damaligen Unberühmtheit des Verfassers fast sämmtlich verloren; die lagernde Auslage ist bald eingestampft worden, und selbst Gutzkow hat sich später vergeblich bemüht, ein vollständiges Exemplar aufzutreiben. Dem obengenannten Prediger Schlemüller und der Unterstützung der Berliner kgl. Universitätsbibliothek habe ich es zu danken, daß meine Bemühungen dieses Ziel doch erreichten. Ich war in denselben um so eifriger, als in diesem Jugendunternehmen der Schlüssel zu gar manchem Räthsel in Gutzkows Entwickelungsgang zu vermuthen war. In wie hohem Grade sich diese Erwartung bestätigt findet, kann ein Beispiel genügend darlegen: bereits in dem »Forum« wurde die Grundidee der »Ritter vom Geist« ausgesprochen, der Wunsch eines Zusammenschlusses der für das Gemeinwohl des Vaterlandes Begeisterten.

Das erste Heft von 148 Seiten brachte als Einleitung eine Auseinandersetzung der Zwecke der Zeitschrift mit dem sehr gelehrt hegelisch klingenden und die Zensur gewiß vor näherer Prüfung abschreckenden Titel »Emanation des Objekts aus dem Subjekt«, den Aufsatz »Wolfgang Menzel und die über ihn ergangenen Urtheile« und eine bunte Sammlung kritischer Notizen unter dem Titel »Ausgelesenes«. Die 101 Seiten des zweiten Heftes haben zum Inhalt »Vom Berliner Journalismus«, »Die Gubitz'sche Preisbewerbung« (unterschrieben R. O.) und daran anknüpfend ein Nachwort, mit G. unterzeichnet. Die Wochenblätter von je 4 zweispaltig gedruckten Seiten enthielten sich dann der größeren Aufsätze und beschäftigten sich mehr mit Spezialkritik als mit umfassenden Ausführungen. Interessant ist im besonderen ein durch mehrere Nummern laufender Artikel »Ueber Kritik«.

Ein seltsames Werk, halb wissenschaftlich, halb schöngeistig, dieser erste Versuch eines antikritischen Journals. Durch das Ganze weht der Geist eines hochgespannten Idealismus; eine Fülle origineller Gedanken, geistreicher Bemerkungen, gährender Ideen und paradoxer Hypothesen tritt uns in einer Fassung entgegen, deren barocker Stil zwischen philosophischer Deduktion und bilderprunkenden »Streckversen« in Jean Paul'scher Manier die Mitte hält. In Form und Ausdruck sehen wir den Schüler Börnes, Menzels und Hegels mit Mühe, aber mit fortschreitendem Erfolg bestrebt, die aus der doppelten Beeinflussung auf Geschmack und Denkweise, der Bildersprache der Einen und der philosophischen Dialektik des Anderen sich ergebende Schwerfälligkeit zu überwinden und zu dem Farben- und Gedankenreichthum seines Stils elastischen Redefluß und Klarheit zu gewinnen. Den Zweck des »Forums« finden wir am einfachsten in der Einleitung zu Nr. 1 der Wochenausgabe ausgesprochen: es beabsichtige, durch eine Uebersicht des deutschen Journalwesens die Vereinigung hie und da zerstreuter Elemente und die Aussicht aus den Strom der öffentlichen Meinung, dessen Wellen die Zeitungen seien, um so freier zu gewinnen. Die eigentliche Einleitung »Emanation des Objekts aus dem Subjekt« war von Schwulst nicht frei. In ihr suchte der Herausgeber aus den gegebenen Zuständen und seinem Verhältniß zu ihnen die Nothwendigkeit seines Unternehmens abzuleiten. Dabei bildet seine Grundlage die Ueberzeugung, daß das Heil der Literatur sowie eine befriedigende Gestaltung des Lebens von einer gegenseitigen Befruchtung abhänge. Eine gleiche Wechselwirkung sei von der Wissenschaft und dem Leben zu fordern. Die Journale seien die berufenen Vermittler hierzu. Die Fachjournale müßten Rücksicht auf die allgemeinen Interessen, die Unterhaltungsblätter Rücksicht auf die Fortschritte der Wissenschaft nehmen. Er läßt daraus sämmtliche kritische Journale Deutschlands wissenschaftlicher und unterhaltender Art Revue passiren, charakterisirt sie mit vieler Sachkenntniß, oft auch mit Ironie, und findet, daß sie ihre Pflicht nicht erfüllen.

»Das Einzige, was den alten Wust verdrängen und ein frisches Leben vermitteln kann, ist die Erweckung höherer und allgemeiner Interessen, das allgemeine Festhalten an einer gemeinsamen Idee, die würdigere Verhandlungen aufzuregen im Stande ist. Die noch nicht durchweg ersetzten Heroen des ersten Kampfes unserer Literatur mit dem Ungeschmack der Zeit, jene ihnen gefolgten sogenannten Klassiker umfaßten, als sie sich ihrer Aufgabe mehr bewußt zu werden anfingen, mit allseitigem Interesse das ganze Feld der Literatur; während sie ihre Kräfte nicht in zu große Vereinzelung zersplitterten, konnten auch nur wenige jener üppigen Pflanzen hervorschießen, die überall hin sich verbreiten, wo feste Stämme keinen Schatten werfen, und ihnen die Sonnenwärme nicht entziehen.« Er weist damit hin auf den Dilettantismus und die platte Nachahmerei, die nach dem Hinschweigen jener Großen sich breit zu machen begonnen. »Herder, Lessing, Goethe machten so die Literatur, und ähnliche Genien haben bis zu den letzten Kriegen ihre Kräfte so entwickelt, daß man nicht in Verlegenheit geräth über die Stellung, die man ihnen im Entwickelungsgange unseres geistigen Lebens anweisen muß. Was sie im Einzelnen gedichtet und gesungen haben mögen, ist für diesen Standpunkt untergeordnet, die Universalität ihres Geistes war es, die überall Neues hervorrief, das Alte verdrängte oder berichtigte, und jenen ungeheuren Umschwung, jene beispiellosen Fortschritte bewirkte, die das Ende des vorigen und den Anfang des jetzigen Jahrhunderts bezeichnen. Ausgestattet mit den gediegensten Kenntnissen, die heute noch von den krassesten Zünftlern anerkannt und geschätzt werden, durften sie nur, wie erfahrene Ruthengänger, ihre Wünschelstaude anlegen, und unter ihren Händen blinkte ihnen Gold und Edelstein entgegen. Was haben die Schulmeister für ihren Abgott, das klassische Alterthum, gethan? Hat die Legion Kommentare das Eine geleistet, was der tiefpoetische Blick der Schlegel aufgefunden? Durch die einzige, aus dem alleinigen Interesse wahrer Poesie hervorgegangene Unterscheidung zwischen klassischem und romantischem Wesen hat sich uns eine freie Aussicht in die weiten Fernen der Geschichte eröffnet; wir sahen ein, daß sie nicht so ein Wechsel irrer und wirrer Atome, sondern nach den ewigen Gesetzen des Geistes harmonisch geordnet wäre … Bis zu den letzten Kriegen wird es Jedem ein Leichtes sein, die Haupttendenzen der Zeit als wesentliche Bedingungsmomente der Literatur aus einander abzuleiten und das Bild einer konsequent- und systematisch-nothwendigen Literaturgeschichte aufzustellen; seitdem aber hat sich Alles vereinzelt, die Einseitigkeit des Fakultätengeistes fand die freudigste Aufnahme, die Fächer der einzelnen Disziplinen wollte man überdies zu Fächern gegen die Stürme der Zeit brauchen, die erleuchtetsten Köpfe verfolgten eben Ideen, die auch ihre ganze Wirksamkeit in Anspruch nahmen, in ihrer isolirten Seltsamkeit aber überall Anstoß erregten. Die Naturphilosophen geriethen in Verwirrung …, gegenseitiges Mißtrauen trennte die Gemüther und den lauernden Federhelden, den Sumpf- und Morastreitern, war Thor und Thür geöffnet. Und nun reiten diese herum auf den jämmerlich zertretenen Feldern, auf Steckenpferden und Mistgabeln, und machen allerlei Kapriolen und Bocksprünge. Dort braut man herzbrechende Tragödien und wärmt Lustspiele auf, in denen wir noch immer in Zöpfen und Reifröcken paradiren, hier frißt ein toller Nebukadnezar Heu für Grashalme, und tausendmal abgekaute Blumen des Feldes und Blüthen des Frühlings, dort schleichen Androgynen mit verschämten Blicken hinter Sträuchern und Alleen, sehnsüchtig liebäugelnd mit des Mondes silberfalbem Dämmerlicht, und dazwischen dann und darüber die wilde Jagd und das höllische Halloh der Verleger und Industriemänner. Daß diesem Interregnum sein Ende nahe, wer wünscht es nicht? Diejenigen, denen das Feld genommen ist, haben sich es wieder zu gewinnen, und tröstet uns für jetzt der Trost, daß ein gut gedüngert Land gesegneter sei und die Früchte besser gedeihen lasse. Die Literatur muß Nationalinteresse werden und ferner das Band ersetzen, das zerschnitten ist und durch sie wieder gewoben werden mag nach Gottes Rathschluß: die Untersuchungen und Verhandlungen, denen die Kriege und ihnen gefolgte Bedenklichkeiten ein Ende machten, sollen wieder angeknüpft werden und in Jedes Brust einen Ort finden, damit wir das Zeichen und die Farbe haben, woran wir uns wiedererkennen. Werden diese Wünsche anerkannt, verlassen wir unsere Höfe, auf denen jedes Kleinste sich immer das Größte dünkt, erkennen wir die Blöße eigener Gerechtigkeit und treten mit Liebe und Treue zusammen: so muß es besser werden im Leben, wo die jetzt verpönten Aussprüche dann anerkannt auftreten, im Schriftenthum, dann dem reinsten Spiegel unseres Lebens. Daß aber die Literatur lebt, und dies Leben so und nicht anders, dafür sei dann ein ewiges, stets frisches und munteres Zeugniß im Journalismus, wo der Eine weiß, was des Andern Wunsch und Begehr, wo Dieser Jenen und Jener Diesen versteht.«

Es war der Menzel'sche Gesichtspunkt (den, wie wir sahen, Börne zuerst als Prinzip aufgestellt), welchen Gutzkow auf die deutsche Journalliteratur angewandt wissen wollte. In dem Aufsatz, der Menzeln gewidmet war, räumte er dies auch ein. »Menzel hat es zum ersten Male frei ausgesprochen, daß in unserer sturmbewegten Zeit ein anderer Hauch durch die Saiten wehen müsse, als künstlicher Blasebalgwind, und ein ander Feuer in uns lodern als ein künstlich angefachtes Zunderfeuer. Nicht in verschlossenen Tempeln kleinen Götzen zu opfern frommt jetzund, sondern im großen Tempel der Welt und der Natur müssen die Flammen von den Windstürmen bewegt werden … Daß die höchste Kunst die reinste Natur durchdringe, ist Ideal aller Poesie: nur die höchste Klarheit des Gemüths und des Geistes und das treuste lebendigste Abbild der Natur, sind in ihrer Durchdringung wahre Poesie auch ohne Vers und Rhythmus … Nicht mehr die hergebrachten Gefühle und Empfindungen, der von tausend Poeten schon tausendmal abgeleierte Notencyklus, nicht die ewigen Refrains und Dacapos weltkundiger Gassenhauer sind die unserer Zeit würdigen Momente wahrer Begeisterung. Der Geist der Zeit hat sich wunderbar genährt und gestärkt an all den Richtungen, die der brausende Sturm vergangener Tage einer schwankenden und wogenden Fluth gegeben hat. Es frommt nicht mehr, in stiller Abenddämmerung hinter Hollunderhecken seiner Flöte arkadisch-idyllische Klagen zu entlocken, nicht mehr, in affektirtem Sehnsuchtsschmerz mit den lieben Sternlein zu liebäugeln. Wer jetzt in die Saiten greifen will und angehört zu werden beabsichtigt, muß die Vergangenheit in sich haben aufgehen lassen, und mit prophetischem Seherblick uns die Zukunft enträthseln. Und die Wünsche und Hoffnungen vergangener Tage, ihre glorreiche Erfüllung hier, und ihr leises Verhallen dort – das Alles hat sich in Menzels Brust konzentrirt; seine Aufgabe ist, die ideelle Konstruktion der Zukunft in die Literatur allseitig einzuführen, und darum bildet er für die Literatur den Anfang einer neuen Periode. Noch ringt auch Menzel mit den bösen Geistern der Tiefe, und wir Alle werden noch zu kämpfen haben mit den Ungethümen einer trübseligen Vergangenheit. Doch sollten wir auch sinken und untergehen im Kampfe, so werden doch aus unseren Gräbern Blumen blühen, die, zum Kranze gewunden, ihr dem Sarg des heldenmüthigen Vorkämpfers weihen möget!«

Dies war freilich nicht das Programm eines politischen Journalisten, sondern das eines Schriftstellers, dem eine Reform des gesammten gegenwärtigen Geisteslebens als Ideal vorschwebte, und welcher der Literatur die Führerschaft im Gesammtleben der Nation zum Zwecke der nationalen Wiedergeburt in geistiger wie politischer Beziehung zuweist. Schon hier findet sich klar der Grundsatz ausgesprochen, der ihn als Leitstern durchs Leben begleitet hat: alles geistige Wirken, in der Wissenschaft wie in der Kunst, ist sich nicht Selbstzweck, sondern hat seinen Zweck wie seine Heimath im Leben – und daneben der andere, in freier Auslegung des Hegel'schen Systems gewonnen: alles Geschehen – und sei es die machtvollste That – ist nur ein Glied in der ununterbrechbaren Kette der geschichtlichen Entwickelung. Wir finden hier wie in anderen Aufsätzen und kleineren Artikeln und Notizen bereits fest und bestimmt eine Reihe der Grundsätze ausgesprochen, deren theoretische Vertheidigung und praktische Verwirklichung Gutzkows Lebensaufgabe wurden. Und überall, wo es sich wie hier um das Bekenntniß solcher Ansichten handelt, da ist die Feder in Herzblut getaucht, da schwindet das in Bildern schwelgende Wortgepränge, und Kraft und Schärfe treten an seine Stelle. Es zeigen sich hier bereits die beiden Stilarten, welche Gutzkow eigenthümlich blieben: im offenen Bekenntniß der Stil des Enthusiasmus, in der Kritik der ironische Stil, zwei Stilarten, die wir – bald getrennt, bald vereinigt auftretend – durch sein ganzes Schaffen verfolgen können und die dem Doppelstrome eines reizbaren Empfindungslebens und eines skeptischen Verstandes in seinem Wesen entsprechen.

Das Feld seiner eigentlich kritischen Thätigkeit zog sich der Kandidat der theologischen wie philologisch-philosophischen Fakultät sehr weit. In der Abtheilung »Ausgelesenes« spiegelt sich in Angriffen, Einwendungen und Zitaten eine verblüffende Belesenheit. Hier tritt auch sein Interesse an der Politik offen zu Tage, aber im Ausdruck mit kluger Vorsicht, Konflikte mit der Zensur vermeidend: »Wir müssen,« sagt er einmal, »uns das Catonische ceterum censeo angewöhnen und bei jeder Gelegenheit mit einem ceterum ne censeatur einfallen.« Wo immer sich philiströser Sinn und Reaktionsgelüst regt, ob in den Zeitschriften wissenschaftlicher Kritik, ob in den Literaturblättern, von denen besonders die Leipziger viel Stoff zu Ausstellungen geben, ob in theologischen Parteiblättern oder in den Berliner und Dresdner Unterhaltungsblättern des Tages, wie Gubitz' »Gesellschafter« und Hells »Abendzeitung«, überall richtet er gegen sie seine Waffen, die Geißel des Hohns und die Pritsche des Spottes. Aber immer gilt es der Sache, fast nie ist er »persönlich«. Auch unruhige Neuerungssucht liegt ihm fern; er will nur Fortentwickelung, Anknüpfung, Aufschwung; er haßt nur den gewollten Stillstand, den Rückschritt, die Unterdrückung. So fügt er sich auch hier nicht den Prinzipien einer bestimmten Partei, ist nichts weniger als doktrinär; jeden Fall betrachtet er für sich unter dem Gesichtspunkt des nationalen Fortschritts, der allgemeinen Wohlfahrt. Er wendet sich gegen die Uebersetzungswuth der Deutschen, ebenso aber auch gegen die modische Teutschthümelei; er befehdet jegliche Kundgebung feilen Streberthums, aber auch jenen Liberalismus, der sich mit der Wiederholung abgedroschener Phrasen begnügt; er greift den Jesuitismus in jeder Form an, weist aber den thörichten Dünkel der protestantischen Welt zurück, der alles, was von Katholiken ausgeht, ungeprüft verdammt. – Ebenso auf dem Gebiete der Literatur. In Menzels Goethe-Verketzerung stimmt er durchaus nicht ein, aber auch nicht in den einseitigen Goethe-Kultus, der damals in den herrschenden schöngeistigen Kreisen Berlins oft lächerliche Formen gewann. Auch sonst zeigt er Menzel gegenüber im Einzelnen Selbstständigkeit und die Rubrik »Kritische Kontrole«, in welcher Menzels »Literaturblatt« und die »Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik« eine besondere Revue passiren, zeigt ihn wiederholt in Wahrung derselben begriffen. So, wenn er Menzel tadelt, Grabbe's Napoleon gelobt zu haben, Grabbe sei kein Genie und ein Drama kein Kunstwerk, das neben anderen Fehlern den Mangel jedes Plans, die Verachtung aller Gesetze der Technik zur Hauptschwäche habe. Während er Börne preist und im Gegensatz zu den Berliner Hegelianern als »Naturkritiker« rühmt, äußert er sich schon hier ablehnend gegen Heine's ihm zu sentimentale Liebeslyrik: »Wir sind auf alle Anderen, die gegen Heine schreiben, bös, denn wir können es uns nicht denken, daß es ihnen einen Kampf gekostet hat, so wie uns, ehe der leuchtende Sonnenschein unserer Jugend und ihrer Mitgift fürs Leben hindurchgebrochen ist durch seine magischen Zaubereien, durch die ganze plattirte Wagenburg seiner Frühlinge, versilberten Sterne und in Jasminöl getauchten Taftblumen.« Gegen Simrock und Wackernagel, die, damals beide mit poetischen und gelehrt-germanistischen Arbeiten beschäftigt, in Berlin privatisirten und, durch Saphir'sche Ausfälle gereizt, in der »Estafette« und ähnlichen Blättern gegen das Judenthum in der Literatur polemisirten, hält er den auch später festgehaltenen Grundsatz aufrecht, man müsse unterscheiden zwischen jüdelnder Literatur, der eigentlichen Literatur des Judenthums und Schriftstellern jüdischer Abstammung, deren Produktion nichts mit dieser zu thun hat. Auch für Görres fand er Worte objektiven Verständnisses

Weltklug war das Debüt des jungen Schriftstellers aber trotz alledem nicht. Mit Hülfe seines Blattes sich Freunde zu werben, lag ihm fern. Menzel war der einzige, den er sich gewann und aus reinster Begeisterung zu Danke verpflichtete, womit zugleich ihm aber die ganze Schaar von dessen Feinden zufiel. Der Erfolg seines Journals in der Presse bestand – abgesehen von einer glänzenden Empfehlung in Menzels Literaturblatt (21. Febr. 1831) – aus einigen Angriffen von solcher Seite.

Je enthusiastischer die Stimmung war, aus welcher die Idee zu dem Unternehmen entsprang, um so herber mußte den Jüngling der Mißerfolg bedrücken, welcher selbst bescheidene Erwartungen betrog. Sein heiligstes Innere zu offenbaren und dann entdecken, daß man tauben Ohren gepredigt, erzeugt eine Stimmung ähnlich der des hungrigen Wanderers, dessen Blick Früchte zu finden wähnt und der auf Steine beißt. Diese herbe Stimmung kommt denn auch in dem Schlußwort des zweiten Hefts bei Ankündigung der Absicht, dem Forum die Gestalt einer Wochenschrift zu geben, zu schmerzlichem Ausdruck (S. 248): »Wie konnt' ich auch Theilnahme erwarten bei einer Tendenz, wie die von mir ausgesprochene? Das Einzige, was mich hätte ergreifen und einen Augenblick zur Selbstprüfung vermögen können, wäre etwa ein solches Wort gewesen, da Einer zu mir gesagt hätte, ob ich es nicht bei reiferer Ueberlegung auf die Länge als unbedachtsam ansehen müßte, ein Leben, das sich unstreitig den Interessen der Wissenschaft und Kunst geweiht hat, auf eine so rigorose Weise zu beginnen? ein Herz, das bei seinem ersten Oeffentlichwerden doch unstreitig nur von Allen das Beste und Edelste hoffen sollte, das in voller Begeisterung sich liebebringend und liebewollend einem unbekannten Allgemeinen hingeben mußte, so ganz nur Dingen zu öffnen, die es umdüstern und in die Nebel des Hasses oder der Leidenschaft hüllen müssen!«

Als nun nach Ausgabe der 13 Wochennummern der Verleger die Flinte ins Korn warf und das Unternehmen eingehen mußte, ward ihm die Existenz in Berlin immer unerträglicher. Eine »verzweifelte Galeere«, wie einst der junge Lessing die preußische Hauptstadt genannt hatte, erschien sie auch ihm schon längst. Angeekelt von dem schalen Treiben, das ihn umgab, gescheitert in seinen hochgespannten Hoffnungen, fühlte er sich verlassen und einsam. Einsam: die Genossen der societas bibatoria hatten sich zerstreut und das Examen im Kopfe, für seine ideale Welt hatte der treueste unter den Freunden, August Bürger, der in einem späteren Briefe (vom 24. August 1838) von dieser Zeit sagt: »Jeder Schritt, den Du weiter thatest, freute mich zwar, denn ich liebte Dich …, aber bei jedem Schritt fühlte ich mich auch Dir mehr und mehr entrückt« – kein Verständniß; ein wissenschaftlicher Verkehr mit einem jüdischen Studenten, Joel Jacoby, der, wie er, bereits als Autor aufgetreten war und sich ihm mit der Aufforderung genähert hatte, mit ihm zusammen Hegels Enzyklopädie kritisch durchzuarbeiten, gewährte ihm wegen der unsympathischen Persönlichkeit Jenes wenig Freude; die Welt seiner Familienbeziehungen ward ihm zu einem Schrecken durch die beständige Mahnung, ans Examen, an die Uebernahme eines Amtes zu denken, während bei ihm die Stimme des innern Berufs bereits ganz anders entschieden hatte. Aber das Auge der Liebe leuchtete in diese düstere Einsamkeit. Schon zu Anfang des Jahres hatte er die Neigung eines jungen Mädchens gefunden, die der Erwiderung völlig würdig war. Wenn der erste Artikel des »Forum« nach Erwähnung des Vereinsbuchhändlers Gubitz mit den Worten schließt: »Von meinem Ich bin ich ausgegangen, laßt mich jetzt wieder in seine Tiefen zurückkehren, in die geheimen Falten des Herzens! Hab' ich bis jetzt durch des Weltalls unermeßliche Räume gepoltert, gönnt mir zuletzt nur noch so einen Schäfergedanken beim trüben Dämmerschein der düstern Lampe. – Doch Nichts ohne Logik, meine Herren! – ich halte viel auf Ideenassoziation! – Gubitz – Vereinsbuchhandlung – Kochstraße – Ja! die Kochstraße –«, so giebt das uns die Direktive, wo wir des ernsten Jünglings heitere und glückliche Stunden zu suchen haben. Hier in der Kochstraße war bei dem genannten Herausgeber verschiedener Unterhaltungsblätter Freund Bürger Hauslehrer, dort auch, in dem Hause Nr. 70 an der Ecke der Friedrichsstraße, wohnte der Gegenstand seiner Liebe, die Tochter des Chefs einer Filiale der Stohwasser'schen Lampenfabrik in jener Straße, Rosalie Scheidemantel. Wenn solche Vergleiche nicht unfruchtbar und herausfordernd wären, so möchte ich, um vieler Analogien willen, dieses Mädchen Gutzkows Friederike von Sesenheim nennen. In dem Verhältniß zu ihr ging dem jungen Dichter die poetische Schönheit der Liebe mit allen Reizen des Lenzes auf. Wie jene starb sie später unvermählt; – auf dem Tempelhofer Ufer in Berlin steht das Haus, in welchem sie vierzig Jahre nach jener Zeit hinüberschlummerte, in welcher die Tragik der Verhältnisse ihr den einzig Geliebten geraubt. Rosalie, »eine sechzehnjährige Brünette von mehr kleinem als mittlerem Wuchse, mächtigen, schwarzbewimperten blauen Augen, blendend weißen Zähnen«, war »keine Schönheit an sich, aber anziehend in allem, was in und an ihr mit geistigem und leiblichem Auge gesehen, mit dem Ohre gehört werden konnte. Am meisten fesselte sie durch ihre Stimme, die so sonor, so tiefliegend war, daß sie allem, was sie sprach, schon dadurch allein den Charakter bedeutungsvoller Reife gab.« Zeugen jener Zeit, die sie kannten, wie der in Leipzig lebende Biograph Humboldts, J. Loewenberg, sind ihres Preises voll. Sie brachte dem Geliebten außer dem Sonnenschein ihres jungen keuschen Gemüths, der die düsteren Schatten seiner Gedankenwelt lichtete, die wohlthuendste Lebensluft, die einem jungen Dichter zu Theil werden kann, die Verehrung seines poetischen Genius entgegen. Im Verkehr mit ihr kostete er die Süßigkeit, Zeuge der Wirkungen seines höchsten Strebens zu sein. Die Verhältnisse, in denen sie lebte, waren bescheidene, aber der gebildete Vater hatte für eine gute Erziehung gesorgt, ihre Bildungsfähigkeit war eine seltene und ihre Seele bereit, sich an dem Geist des Freundes emporzuranken.

Und dieser Geist war nicht allein mit Reformgedanken im Hinblick auf Kirche, Staat, Wissenschaft und die auf diese drei Faktoren fußende Literatur erfüllt, wie immer lebte er auch gediegenen häuslichen Studien besonders literarhistorischer Natur, er las, exzerpirte; für den Professor von der Hagen kopirte er aus Gefälligkeit die altdeutsche Handschrift des »Titurel«; er erprobte sein poetisches Können in lyrischen und dramatischen Versuchen. Leider sind in der späteren Sammlung seiner Gedichte »Wechselnde Stimmungen in Liedern und Epigrammen« (in Bd. 1 der 2. Ges.–Ausg. der Werke) nur wenige Gedichte mit Jahreszahlen versehen. Daß die Beziehung auf die »Zeit«, welche ihn nun einmal mit einer Stärke ergriffen hatte, wie sie sonst nur der Liebesleidenschaft eigen, auch seine Lyrik beeinflußte, zeigt uns das einzige Gedicht, welches darin mit der Jahreszahl 1831 ausgezeichnet ist (das. S. 267):

»In Alles hänge Deine Lieder,
In Blumenglocken,
Blüthenflocken,
In einer Sennin bunten Mieder.

Am alten Thurm die Epheuranken,
Das Spatzenlärmen,
Mückenschwärmen –
Um Alles winde die Gedanken!

Ein Eisenring hängt an der Mauer,
Dran eine Kette –
An dieser Stätte
Gedenk des Vaterlands mit Trauer.«

Das Klirren der Kette, welche die Unfreiheit der ihn umgebenden Zustande bedingte, vermochten die Worte der Liebe nicht zu übertönen. Die Geliebte ward nicht zur Armida ihres Helden und die Bande, in die sie sein Herz geschlagen, konnten nicht seine Sehnsucht, Berlin zu verlassen, betäuben. Dafür fehlte es dem Verhältniß, das noch geheim war, auch an Gelegenheit zu beglückendem Ausleben. Der germanische Wandertrieb in Gutzkow, schon in den Vorfahren lebendig, fing an sich immer mächtiger zu regen. Der Gedanke, umgehends ein Kandidat des höheren Schulamts werden zu sollen, war ihm entsetzlich. Eine Einladung, die von Seiten seines Jugendfreundes Karl Minter im Oktober an ihn nach Warschau erging, wo soeben die polnische Revolution blutig erstickt worden war, erschien ihm verlockend genug; die russische Gesandtschaft jedoch verweigerte ihm in brüskester Form den nachgesuchten Paß. (»Aus Empfangszimmern« in »Lebensbilder«. Bd. 2.) Indessen winkte ihm auch schon ein andrer Hafen. Auf Grund des Forums war Wolfgang Menzel zu seinem jungen Berliner Verehrer in Beziehung getreten, und auf seine Klagen hatte er ihn ermahnt, doch versuchsweise nach der süddeutschen Hauptstadt zu kommen, wo eine bessere Lebensluft für ihn wehe. Er sicherte ihm eine feste Beschäftigung am »Literaturblatt« zu und Gutzkow ging daraus nach einigem Zögern ein. Es war an einem regnerischen Spätherbstabend, als er Berlin, in dessen Straßen und Häusern die Cholera, der fürchterliche Gast, welchem auch Hegel erlag, Tod und Schrecken verbreitete, nach einem schweren Abschied in der Kochstraße verließ. Er ging einer bewegten literarischen Sturm- und Drangperiode entgegen, in welcher er dem Kampf für die allgemeinen Interessen das Rüstzeug einer selten gediegenen klassischen Bildung weihte und mit dem Bewußtsein eines Aristokraten des Wissens, eines Ritters vom Geiste begann, den Idealen der Demokratie und des Fortschritts zu dienen.

Nichts charakteristischer für die hier von uns geschilderte Epoche deutscher Geistesgeschichte als die Thatsache, daß das entschieden geistreichste, fruchtbarste und in seiner Weiterentwickelung auch gestaltungsmächtigste poetische Talent, das sie ausweist, mit einem »Forum der Journalliteratur«, einem Organ der Kritik der Zeitungskritik, zuerst an die Oeffentlichkeit trat; daß seinem in ernster Selbstzucht aufstrebenden Geiste bereits in der Primaner- und ersten Studentenzeit das Lesen der Tagesblätter und Wochenschriften die liebste Erholung war; daß ein Mann der literarischen Kritik, ein Journalredakteur, es wurde, den er sich zunächst für die eigene Schriftstellerlaufbahn zum Vorbild erwählte und an den er sich wandte um Rath in seinen Nöthen, solcher Laufbahn einen guten Anfang zu geben … »Es ist die Zeit des Ideenkampfs und Journale sind unsere Festungen.« …



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