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III.
Heine als Zeitschriftsteller.


Der alte Goethe, dessen »Sachdenklichkeit« in politischen Dingen dem Kritiker Börne so großes Aergerniß gab, während der junge Heine dem großen »Zeitablehnungsgenie« – weil es Genie – die Reverenz nie versagte, ist nicht taub für die Angriffe geblieben, welche gegen ihn um seiner politischen Indifferenz willen von Seiten einer jüngeren Generation gerichtet wurden. »Um diesen Leuten recht zu sein,« sagte er kurz vor seinem Tode zu Eckermann, »hätte ich müssen Mitglied eines Jakobiner-Clubs werden.« Wohl habe Napoleon Recht gehabt, der Politik die Bedeutung des Schicksals für die moderne Welt zuzuweisen, aber für den Poeten sei die Politik dennoch kein passender Gegenstand. »Sowie ein Dichter politisch wirken will, muß er sich einer Partei hingeben, und sowie er dieses thut, ist er als Poet verloren.« Als Mensch und Bürger werde der Dichter sein Vaterland lieben, aber das Vaterland seiner poetischen Kräfte und seines poetischen Wirkens sei das Gute, Edle und Schöne, und dieses nicht an eine besondere Provinz, an ein besonderes Land gebunden. »Wenn ein Dichter lebenslänglich bemüht war, schädliche Vorurtheile zu bekämpfen, engherzige Ansichten zu beseitigen, den Geist seines Volkes aufzuklären, dessen Geschmack zu reinigen und dessen Gesinnungs- und Denkweise zu veredeln«, so habe er der Vaterlandsliebe seinem Berufe gemäß in bester Weise genügt. Und im weiteren Verlauf dieses Gesprächs – es war das letzte der langen Reihe – tadelte er darum auch die politische Richtung, die Uhland genommen: »Geben Sie Acht,« sagte er, »Mitglied der Stände sein und in täglichen Reibungen und Aufregungen leben, ist keine Sache für die zarte Natur eines Dichters.«

Aber es finden sich in Goethe's Gesprächen mit Eckermann aus früherer Zeit auch Stellen, die beweisen, daß auch er begriffen, wie die politischen Zustände einer Zeit den Charakter eines Dichters in so hohem Grade bedingen und beeinflussen können, daß sein mächtigstes Erleben, sein leidenschaftlichstes Empfinden ihn zur Darstellung von politischen Zuständen, zur Aussprache von politischen Gedanken und Gefühlen drängen muß. So war es ja bereits den »Stürmern und Drängern« gegangen, denen er selbst in begeisterter Jugendzeit angehört, als Rousseau's Flammengeist sich in seinem »Werther« reflektirte. Die Eindrücke der französischen Revolution und ihrer Folgen hatte auch er nicht ganz »ablehnen« können. Er ist Bérangers herzentquollener politischer Lyrik mit Worten der Erkenntniß gerecht geworden, daß auch das »Allgemeine« als »besonderes« Erlebniß wirken und poetische Bedeutung erlangen kann; er hat über Lessing geäußert: »Daß er immerfort polemisch wirkte und wirken mußte, lag in der Schlechtigkeit seiner Zeit«; er sagte von Byron, dem größten schöpferischen Phantasiegenie der Epoche, das auf die revolutionären Dichter Europas mächtiger eingewirkt hat als irgend ein anderer: »Hätte Byron Gelegenheit gehabt, sich alles dessen, was von Opposition in ihm war, durch wiederholte derbe Aeußerungen im Parlament zu entledigen, so würde er als Poet weit reiner dastehen. So aber, da er im Parlament kaum zum Reden gekommen ist, hat er Alles, was er gegen seine Nation auf dem Herzen hatte, bei sich behalten, und es ist ihm, um sich davon zu befreien, kein anderes Mittel geblieben, als es poetisch zu verarbeiten und auszusprechen. Einen großen Theil der negativen Wirkungen Byrons möchte ich daher verhaltene Parlamentsreden nennen.«

Dieses Goethe'sche Wort kommt aber nicht nur Byron zu gut. In noch viel höherem Grade gereicht es den deutschen Dichtern zur Rechtfertigung, die für die Aussprache ihrer Unzufriedenheit mit den allgemeinen Zuständen, ihres leidenschaftlichen Antheils an den Forderungen einer neuen werdenden Zeit nicht einmal das Parlament zur Verfügung hatten, das dem britischen Lord offen stand, sondern die vielmehr gerade ein solches erst zu erkämpfen als nächsten Zweck ihres literarischen Wirkens empfanden. Wenn Byron, abgestoßen von der starren Gemessenheit und innerlichen Verlogenheit der heimischen Gesellschaftszustände, grollend sein Vaterland verließ, so trat er seine »Pilgerfahrt« nach dem freieren Süden doch nicht an, weil er für freies Wort und freie Rede seine persönliche Freiheit gefährdet sah. Anders die deutschen Freiheitsdichter, die – wollten sie solche Gefahr vermeiden – für ihre »verhaltenen Parlamentsreden« Formen und Wendungen zu wählen hatten, die vor dem Richterstuhl ängstlicher Zensoren bestehen konnten. Und, fürwahr, diejenigen Talente, welche in dieser Uebergangsepoche von romantischen Phantasiespielen und lyrischer Selbstbespiegelung sich abwandten und, bei klarer Erkenntniß der Gefahren, die sie sich zuzogen, der Opfer, die sie brachten, den zeitbewegenden Ideen nach ihrer subjektiven Auffassung lebendigen Ausdruck gaben – sei's im Zeitgedicht oder in poetisch gestimmter Prosa, sei's in erzählender oder erörternder Form – auch sie haben ein Recht, daß man ihr oppositionelles, polemisches Wirken an der »Schlechtigkeit ihrer Zeit« bemesse. Ihre politische Negation, ihre zersetzende Zeitkritik war fruchtbar in politischer Beziehung, wie es die Kritik Lessings auf dem Gebiet von Kunst und Wissenschaft gewesen. Die Ideale ihrer Generation brachten sie gerade mit ihrer verneinenden Tendenz zu positiver Gestaltung.

Von allen diesen Talenten aber das größte war der Dichter, der von seinem ersten Auftreten an von Vielen mit Byron verglichen worden ist und den auch neuerdings wieder Professor Jakob Mähly, sein Biograph in der »Deutschen Biographie«, den deutschen Byron genannt hat. Heinrich Heine, der als Ersatz für seine »verhaltenen Parlamentsreden« sich und der Literatur die lyrische Prosa seiner »Reisebilder« schuf, die Hunderten späterer Schriftsteller zum Vorbild geworden, jene Mischung von Schilderung und Poesie, Spott und Schwärmerei, deren Ironie sich kritisch gegen die Zustände der Gegenwart wendet, er hat sich direkt unter dem Einfluß von Byron entwickelt. Gleichzeitig mit seinen ersten Gedichten entstand seine Uebertragung von Byrons » Fare well«, an die Seite von » Childe Harolds Pilgrimage« stellte er seine »Harzreise«, dem literarischen Streitgedicht » English bards and skotch reviewers« ließ er seine literarischen Streitschriften gegen Platen, die »Romantiker«, die »schwäbische Dichterschule« folgen. Aber nach Form und Inhalt waren seine Dichtungen und Streitschriften durchaus originell, entstammten sie wie seine Ueberzeugungen dem eigenen persönlichsten Erleben. Mit Byron theilte er die »Zerrissenheit« des Gemüths, das Vulkanische seiner Entschlüsse, die Ungebundenheit und Unbändigkeit seines Geistes und seiner Begierden: den starken Trieb der Sinne zum Genuß, die nie befriedigte Unrast im Genießen, den Zug des Geistes, sich aus innerer Erschlaffung durch kühnen Aufschwung in die höchsten Sphären des Idealen zu erheben, den Trieb des Blutes, nach Enttäuschungen des Herzens im Strudel wilden Genußlebens unterzutauchen. Er theilte mit ihm den »Weltschmerz«, eine reizbare Feinfühligkeit für den Zusammenhang der eigenen Schmerzen mit den Schmerzen einer ganzen Welt, das Bewußtsein, daß die allgemeinen Zustände die Quelle des persönlichen Leids, das Bedürfniß, im Kampf gegen jene sich von diesem zu befreien, den unruhvollen Wandertrieb, das Fliehen aus beengender Umgebung nach erfreulicheren Zuständen. Aber so ähnlich die poetische Natur Beider, so sehr verschieden war doch ihr Wirken und also auch der Prozeß, in dem sich Beide von ererbten und anerzogenen romantischen Vorstellungen zu emanzipiren und für ihre neuen eigenen Gedanken und Gefühle neue und eigene Formen zu schaffen suchten. Bei Byron die bei weitem größere Gestaltungskraft, ein heroisch-epischer Zug, ein langaushaltendes Pathos, ein titanischeres Wesen, ein stolzeres Selbstbewußtsein, ein freierer Humor; bei Heine eine süßere Innigkeit des Naturlauts im Lied, eine größere Gedrungenheit des Stils, ein stärkerer Wirklichkeitssinn mit den schärfsten Augen für das Komische, ein jähes Ablösen jedes Gefühlsstromes der Begeisterung durch grelle Gedankenblitze eines skeptischen, schlagfertigen, von Witz sprühenden Verstandes, der das Träumen und Schwärmen, Glauben und Hoffen verlacht und vom Ernst des Empfindens überspringt zu hohnlächelnder Selbstverspottung.

Und so verschieden ihre den doch verwandten Naturen entströmende Poesie – verschieden wie die Schicksalsbahnen des Erben von Newstead-Abbey und des Neffen von Salomon Heine, des seiner Privilegien spottenden englischen Peers und des durch die neue preußische Herrschaft um die von Napoleon den Juden bereits gewährten Rechte gebrachten Rheinländers, verschieden wie Byrons Liebe zum leuchtenden Südmeer und Heine's Liebe zur wolkenbeschatteten Nordsee, wie dessen glorreicher Tod mitten im Heldenkampf für Griechenlands Freiheit und das trübselige Hinsiechen des deutschen Dichters in der Pariser Matratzengruft – so verschieden war auch ihre Theilnahme an der Thatsächlichkeit der politischen Kämpfe der Zeit. Byron wurde fern der Heimath ein Verbündeter der Carbonari, ein Führer des Griechenvolkes in seinem Verzweiflungskampf gegen fremdherrliche Tyrannei, die Pistole im Gürtel, die Damaszenerklinge an der Seite; Heine wurde fern der Heimath ein Parteigänger des französischen Liberalismus zu Gunsten des deutschen, ein Vermittler der Bildung der zwei Völker, denen er durch seine Kindheit im napoleonischen Rheinland gewissermaßen gleichzeitig angehörte, und seine Waffe blieb die des Dichters, die Feder, die er in Paris als Journalist für das bedeutendste deutsche Journal zu führen lernte.

Es gehört zu den bisher fast unbekannt gebliebenen Merkwürdigkeiten der Epoche, die wir hier schildern, daß der geistige Urheber der nationalen Einigung Italiens, der große Organisator der nationalen Conspirationen, Giuseppe Mazzini, als politischer Flüchtling im Jahre der Begründung des jungen Europa über Byrons Verhältniß zu der von ihm selbst vertretenen Freiheitsbewegung Worte tiefster Erkenntniß geschrieben hat. In einem Aufsatz »Byron und Goethe«, der erst 1837 in einer englischen Revue erschien, aber schon im Jahre nach Goethe's Tod entstand, schilderte er beide Dichter als den höchsten Ausdruck des aristokratischen Individualismus nach den entgegengesetzten Seiten der Subjektivität und Objektivität, als die Höhepunkte dieses Lebensprinzips vor seinem Absterben. »In Byron wird das Ich in allem Stolz seiner Macht, seiner Freiheit und seines Verlangens, in der unermeßlichen Fülle aller seiner Fähigkeiten enthüllt, die Existenz mit allen Poren einathmend, begierig, ›das Leben des Lebens‹ zu ergreifen. Die Welt um ihn her beherrscht ihn weder, noch mäßigt sie ihn. Das Byron'sche Ich strebt darnach, sie zu beherrschen, aber einzig der Herrschaft wegen, um über sie die titanische Kraft seines Willens zu üben.« Aber die Freiheit, die er für sich in Anspruch nehme und, wo er sie nicht findet, mit Titanentrotz heische, sei die Freiheit einer überlebten Weltanschauung, die auf dem Prinzip der Aristokratie begründet sei; seine Poesie wird die »Todtenhymne der aristokratischen Idee«, die sich jedoch in ihrer höchsten Entfaltung bereits zur Verkündigung einer neuen Zeit, des Zeitalters der Demokratie, der auf Association begründeten Freiheit ausschwingt. »Er wählt seine Typen aus der Mitte derer, welche durch Kraft, Schönheit und individuelle Macht bevorzugt sind. Sie sind groß, poetisch, heroisch, aber vereinsamt; sie haben keine Gemeinschaft mit der Welt um sich her, anders als um über dieselbe zu herrschen … Jeder von ihnen ist eine nur wenig modifizirte Personifikation eines einzigen Typus, einer einzigen Idee – des Individuums, frei, aber nichts weiter als frei … Sie haben keine Verwandten, sie leben nur von ihrem eigenen Leben: sie stoßen die Menschheit zurück und betrachten die Menge mit Verachtung … Sie alle trachten nach Macht und Glück. Beides entgeht ihnen gleichmäßig; denn sie tragen in sich, unausgesprochen, sogar ihnen selbst unbekannt, das Vorgefühl eines Lebens, welches bloße Freiheit ihnen niemals gewähren kann … Was können sie mit der so mühsam gewonnenen Freiheit machen? An wen sollen sie die überschwängliche Lebenskraft, die in ihnen wohnt, auslassen? Sie sind allein, dies ist das Geheimniß ihres Elends und ihrer Ohnmacht … Byron zertrümmert sie einen nach dem andern, als wäre er der Vollstrecker eines im Himmel beschlossenen Richterspruchs.« Nur er selbst rafft sich auf; auf seinen Streifereien durch die Welt, auf seiner Jagd nach dem Glück, lernt er das allgemeine Unglück, lernt er die Unfreiheit der Schwachen, das Elend der Unterdrückten kennen. Und den verklärenden Abschluß seines an der Idee der Aristokratie verzweifelnden Dichterkampfes wird die befreiende That, die ihn selbst für das Wohl Anderer einsetzt, wird der Kampf für die Freiheit eines ganzen Volkes, für die Idee der politischen Freiheit: er bricht auf und eilt nach Griechenland, »um sein Vermögen, seinen Genius und sein Leben dem ersten Volke als Opfer darzubringen, das sich im Namen der Freiheit und Nationalität erhoben.« Dieser Tod sei das Symbol der hehren Mission, welche in der neuen Zeit der Poesie zufalle, das Symbol für die heilige Allianz der Poesie mit der Sache der Völker, für die Vereinigung der Kunst mit der Aktion, welche die »große Solidarität aller Nationen in der Eroberung der Rechte, welche Gott für alle seine Kinder gewährt hat«, bethätigen soll.

Der erste moderne Dichter, der bei gleicher Hinneigung zur subjektiven Aussprache eines aristokratisch-individualistischen Lebensdranges, schon vor Mazzini der begeisterte Verkündiger dieser heiligen Allianz der Poesie mit der Sache der Völker wurde, ist Heinrich Heine. Bei ihm treibt der Kontrast zwischen seinem persönlichen Glücksverlangen und einer schalen nüchternen Gegenwart, zwischen poetischen Idealen, welche der schwärmerische Wahn der Romantik in der Vergangenheit sucht, anfangs zur ironischen Schilderung der Gegenwart in ihrer Wirklichkeit, dann aber auch zur Verkündigung der neuen Ideale dieser Gegenwart, deren Erfüllung ein neues Geschlecht von der Zukunft erwartet. Aber er gelangt dazu nur durch einen gewaltigen Zersetzungsprozeß des ihm eingeborenen ungebändigten Selbstgefühls und es erscheint als seine historische Mission, die Poesie, welche die subjektive Willkür zum Prinzip erhoben, die romantische, in seiner eigenen Dichtung gleichzeitig zur glänzendsten Entfaltung zu bringen und wegen ihrer Unzulänglichkeit zu entthronen. In diesem Sinne ist in Robert Proelß' Heinebiographie der Satz aufzufassen: der Dichter sei immer ein Romantiker geblieben, jedoch einer, der sich von der Vergangenheit ab und der Gegenwart und Zukunft zugewandt habe. Und in ähnlichem Sinne ist Ernst Elsters Bemerkung über Heine's Verhältniß zur Hegel'schen Philosophie aufzufassen, jener die Welt als Denkprozeß begreifenden, das Selbstbewußtsein des denkenden Einzelgeistes auf's Höchste steigernden Philosophie; Heine habe aus Hegels Vorträgen die philosophische Berechtigung entnommen, seine eigene Persönlichkeit der Welt gegenüber mit rücksichtsloser Selbstgewißheit geltend zu machen. Gewiß, er that dies als Dichter wie als Denker; aber zugleich war es sein Schicksal, das Unzulängliche dieser Selbstgewißheit an sich zu erweisen und ihre Niederlage im Kampf gegen die Gemeinsamkeitsideale der Menschheit vorauszusagen und wiederzuspiegeln in ergreifender Rede und bezauberndem Lied. Die vier großen geistigen Mächte, die er im deutschen Geistesleben an der Herrschaft vorfindet, die Romantik, das Hegelthum, der Goethekultus und der Teutonismus, beherrschen und befruchten im Anfang auch seinen Geist; er wird ein bevorzugter Schüler von A. W. Schlegel wie von Hegel, ein Burschenschafter unter Arndt, ein Goetheaner unter Rahel Varnhagen, aber die Freiheitsideale der Zeit ergreifen ihn und bewirken in ihm erschütternde Umwälzungen; er erkennt die großartige Einseitigkeit der Romantik wie des Goethe'schen Kunstprinzips, des Hegel'schen Systems und des sich abschließenden Nationalitätsprinzips der Burschenschaft; aus ihrem Anhänger wird er ihr Kritiker, und weil er damit zugleich der Kritiker seiner eigenen Jugend wird, weil er bekämpft, wozu er selbst sich als glänzend begabt erwiesen, darum wirkt diese Kritik auf die Zeitgenossen so mächtig.

Seine Polemik gegen die Idealmächte, welche dem absolutistischen System und der Reaktion Metternichs nach irgend einer Seite Vorschub leisteten, wirkte darum so überzeugend, weil sie als Selbsterlebniß und Selbstbekämpfung in Erscheinung trat, weil man ihn vorher selbst befangen gesehen von dem Zauber romantischer Naturbelebung und Phantasieberauschtheit, durchdrungen von Bewunderung für die plastische Schönheit und natürliche Wahrheit der Goethe'schen Dichtung, geschult in Hegels dialektischer Methode, die durch das Spiel der Gegensätze zur Wahrheit vordringt, und voll Sympathie für die Märtyrer des nationalen Aufschwungs in Deutschland, welche die Wiedergeburt des deutschen Reichs nach einem in die Vergangenheit gedichteten idealen Vorbild erträumten. So ward auch ihm, wie Byron, zur Mission, dem Geiste einer neuen Zeit, dem Fortschrittsglauben einer neuen Jugend, seinen Genius darzubringen; er aber that es bereits als Dichter und zum Schwert wurde ihm die Feder des Zeitschriftstellers. Als Mazzini noch im Kerker von Savona saß, fünf Jahre bevor es dieser unternahm, das Reich der Freiheit und das Glück der Nationen aus den Prinzipien der Solidarität und Assoziation aufzubauen, schuf Heine's prophetischer Genius die Formeln für dies Beginnen, gab er das Signal für die »heilige Allianz der Poesie mit der Sache der Völker«. Und indem er die unvergänglichen Elemente der romantischen Bildersprache und Ironie, eines plastischen Kunstgefühls, einer in scharfen Gegensätzen vorwärts schreitenden Dialektik, und die Grundstimmung patriotischer Begeisterung den von ihm bekämpften Systemen und Prinzipien entlehnte und zu Elementen seiner Kampfprosa machte, erhielt dieselbe jenen Zauber, der selbst für seine Gegner etwas Bestrickendes hatte. Aber seine poetische Natur verläugnete sich auch hier nicht: Unterordnung, Kämpfen in Reih und Glied war ihrer Subjektivität zuwider. Auch im Kampf der politischen Parteien war Heine nur sich selber treu, seiner Natur, dieser aber auch ganz. Darum ist er in der Auffassung der politischen Prinzipien wandelbar, und die allgemeine Freiheit, der er dient, ist untrennbar von der persönlichen; aber sein Leben lang bleibt er auch, was er in der Morgenröthe seiner Laufbahn auf der Harzreise der kleinen Bergmannstochter versichert: ein Ritter vom Geist, von dem heiligen Geiste, dessen Ruf er aus den Gewittern der Zeit vernommen:

»Jetzo, da ich ausgewachsen,
Viel gelesen, viel gereist,
Schwillt mein Herz und ganz von Herzen
Glaub' ich an den heil'gen Geist.

Dieser that die größten Wunder
Und viel größre thut er noch:
Er zerbrach die Zwingherrnburgen
Und zerbrach des Knechtes Joch.

Alte Todeswunden heilt er
Und erneut das alte Recht:
Alle Menschen, gleich geboren.
Sind ein adliges Geschlecht. …

Tausend Ritter, wohl gewappnet,
Hat der heil'ge Geist erwählt,
Seinen Willen zu erfüllen,
Und er hat sie muthbeseelt.

Ihre theuren Schwerter blitzen,
Ihre guten Banner weh'n!
Ei, du möchtest wohl, mein Kindchen,
Solche stolzen Ritter seh'n?

Nun so schau mich an, mein Kindchen,
Küsse mich und schaue dreist:
Denn ich selber bin ein solcher
Ritter von dem heil'gen Geist.«

Ein Ritter vom Geist, ja, aber – wie Hutten – einer vom Stegreif, der auf eigenem Roß und mit eigenem Gewaffen seine Straße zieht, bis er, mächtigem Heerruf folgend, gelegentlich aus eigenem Entschluß zu den regulären Truppen stößt, kampfesfroh, todesmuthig …, der nach der Schlacht aber sein Roß wieder aus den Reihen lenkt, den eigenen Pfad verfolgend; oft in wildem Galopp der Erholung bei den Freudenmahlen der Lust entgegen; matt und müd bisweilen, nach Pflege der erhaltenen Wunden verlangend; dann auch wieder in Hinterhalt sich legend, um einem persönlichen Gegner aufzulauern und ihn zum Kampfe zu fordern. Dann trägt sein Dichterroß die eigenen Dichterfarben, dann gilt es Rache für seine beleidigte Dichterehre, dann sprüht sein Schwert die blitzendsten Funken – in solchem Kampfe Mann gegen Mann!

Nur von diesem Gesichtspunkt läßt sich der politischen Laufbahn des Dichters gerecht werden, von ihm aus ist gerechterweise auch nur das Bild seiner Entwicklung zu dem Zeitschriftsteller zu zeichnen, der für das »junge Deutschland« ebenso bahnbrechend wie verhängnißvoll wurde. Mit Byron muß man ihn vergleichen, nicht mit Börne, mit dessen Namen die Geschichte und das Schicksal den seinen so unzertrennlich verwoben hat, und dessen Nachfolger er wurde in den Versuchen, die Poesie und Politik in zeitgemäßer Weise zu versöhnen. Als Dichter ein weit stärkeres Talent, fühlte er auch die Disharmonie der beiden geistigen Mächte, die Verschiedenheit derselben nach Mitteln und Zwecken, viel stärker als Börne. Darum sehnte er sich immer aufs neue aus dem »Guerrilla-Krieg« für die politische Freiheit heraus nach einem Zustand, »wo er sich seinen natürlichen Neigungen, seiner träumerischen Art und Weise, seinem phantastischen Sinnen und Grübeln ganz fessellos hingeben könne.« »Welche Ironie des Geschickes, daß ich, der ich mich so gerne auf die Pfühle des stillen beschaulichen Gemüthslebens bette,« schrieb er im Jahr 1830 aus Helgoland unter dem Eindruck der »großen Woche« – »daß eben ich dazu bestimmt war, meine armen Mitdeutschen aus ihrer Behaglichkeit hervorzugeißeln und in die Bewegung hineinzuhetzen! Ich, der ich mich am liebsten damit beschäftige, Wolkenzüge zu beobachten, metrische Wortzauber zu erklügeln, die Geheimnisse der Elementargeister zu erlauschen, und mich in die Wunderwelt alter Märchen zu versenken – ich mußte politische Annalen herausgeben, Zeitinteressen vortragen, revolutionäre Wünsche anzetteln, die Leidenschaften aufstacheln, den armen deutschen Michel beständig an der Nase zupfen, daß er aus seinem gesunden Riesenschlaf erwache!«

*

Heine war achtundzwanzig Jahre alt, als um dieselbe Zeit, da sich Börne's Verhältniß zu Cotta löste, an Heine dasselbe Anerbieten erging, das sechs Jahre vorher von Cotta an Börne gerichtet worden: »die politischen Annalen herauszugeben.«

»… Meine Adresse ist hier: H. H., Dr. jur., abzugeben in der Literarisch-artistischen Anstalt der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in München. Vor einigen Tagen bin ich hier angelangt, halb todt. Ich bin langsam gereist, überall, in Kassel, Frankfurt a. M, Heidelberg und Stuttgart mich aufhaltend. Ich bin so krank, daß ich bis jetzt fast immer das Zimmer gehütet. Cotta, der mich hier erwartete und gleich nach Stuttgart abreiste, sowie der Dr. Lindner und Andere, womit ich hier zusammenstehe, haben mir sehr gut gefallen. Alle Verhältnisse zu meiner Zufriedenheit regulirt. Ich mag nun ein Amt nehmen oder nicht nehmen, für mein Lebensbedürfniß ist gesorgt. Ich brauch nicht mal zu schreiben, wo ich nicht will. Die ›Annalen‹ redigire ich mit Dr. Lindner, sowie ich auch einige Hauptartikel des ›Auslandes‹ redigire. Sein Sie ohne Sorge, Campe, der dritte ›Reisebilder‹-Band leidet nicht darunter, und ihm sollen meine besten Stunden gewidmet sein. Wären nicht dergleichen Rücksichten gewesen, so hätte ich mich vielleicht beschwätzen lassen, das ›Morgenblatt‹, dessen Redakteur eben gestorben« ((Wilhelm Hauff)) »oder die Hauptredaktion des ›Auslandes‹ zu übernehmen und dabei sehr, sehr viel Geld zu verdienen. Aber ich will frei sein, und wenn das Clima wirklich so fürchterlich ist, wie man mir droht, will ich nicht gefesselt sein; finde ich meine Gesundheit gefährdet, so packe ich meinen Koffer und reise nach Italien. Ich werde nirgends verhungern, an Ehrenbezeugungen &c. liegt mir wenig, und ich will am Leben bleiben. Ueberall auf meiner Reise fand ich die Reisebilder en vogue, überall Enthusiasmus, Klage und Staunen, und ich hätte wirklich nicht geglaubt, schon so berühmt zu sein …«

Mit diesen Worten theilte am 1. Dezember 1827 Heinrich Heine dem Verleger seiner »Reisebilder« und des eben erst erschienenen »Buchs der Lieder«, Julius Campe in Hamburg, das Ergebniß der Verhandlungen mit, zu denen ihn schon im Sommer der Chef der Cotta'schen Verlagsinstitute nach München eingeladen hatte. Der Brief ist ungemein bezeichnend für die chevalereske Auffassung, mit welcher er das ihm angebotene Amt übernahm: so spricht kein ernsthafter Politiker in dem Augenblicke, da eins der wichtigsten Organe öffentlicher Stimmführung seiner Leitung anvertraut wird, so spricht ein Dichter, dem die persönliche Freiheit über Alles geht, dessen Ehrgeiz aus literarischen Ruhm erpicht ist und der aufs Gerathewohl einen Streifzug ins Gebiet der Journalistik unternimmt, wie ein Abenteuer, an dessen Erfolg er selbst nicht recht glaubt und aus dem er sich den Rückzug von vornherein sichert. Wohl hatte er sich selber dem Baron Cotta als Mitarbeiter angeboten, aber nicht für die »Annalen«, sondern für das »Morgenblatt«, nicht als politischer Journalist, sondern als Dichter; der dritte Theil der »Reisebilder« hatte ihm auch hierbei als eigentliche Aufgabe vorgeschwebt, als er am 1. Mai von London aus an seinen in der Berliner Kandidatenzeit gewonnenen einflußreichsten Freund, den Gatten »Rahels«, den als Historiker in Berlin privatisirenden Geh. Legationsrath Varnhagen von Ense, die Anfrage gerichtet: »Wenn Sie in Correspondenz mit Cotta sind, so fragen Sie ihn doch, ob er mich für sein ›Morgenblatt‹ hier oder in Paris beschäftigen will.« Er dachte dabei gewiß an Arbeiten sitten- und kunstschildernder Art, wie er sie 1821 schon von Berlin aus, als Student, in den »Berliner Briefen« für den Rheinisch-westfälischen Anzeiger oder Börne in den »Schilderungen aus Paris« für das »Morgenblatt« von Paris aus geschrieben; Aehnliches, aber im Stil seiner Harzreise, seines Buches »Le Grand«, der Prosadichtung »Norderney«, von denen er erstere ja auch in einer Zeitschrift, dem Berliner »Gesellschafter« seines Freundes Gubitz, hatte erscheinen lassen. Jene Verschmelzung von realistischer Lebens- und Naturschilderung mit politischer Satire, burschikosem Humor und poetischer Stimmungsmalerei, die so beifällige Aufnahme fand, hatte er aufs neue ins Spiel setzen wollen zunächst zur Darstellung der Eindrücke, die er in England empfing. »Ich sehe hier viel und lerne viel,« schrieb er einen Monat später – noch in London – über den Werth dieser Ernte an einen Freund. Aber da er inzwischen Cotta's Antwort erhalten, einen »offenen süddeutschen Brief«, der ihm Aussicht eröffnet, »Liberalenhäuptling in Bayern zu werden«, giebt er den Plan auf, fürs »Morgenblatt« seine Londoner Eindrücke zu schildern: »Ich muß mich darin politisch zähmen, und die Sachen verlören ihr Interesse, wenn ich sie als Buch wieder abdrucke. Das beste ist, ich gebe gar nichts. Was ich seitdem aufgefaßt, kommt desto schöner in späteren Produkten … Cotta werde ich seiner Zeit zu benutzen wissen.« Und auch zum »Liberalenhäuptling in Bayern« fühlte er sich in jenen Tagen des Schauens und Genießens, im Besitze des schönen Wechsels, den ihm sein reicher Onkel aus Respekt vor dem Londoner Hause Rothschild sehr hoch bemessen, unter dem Eindruck der Ehrenmale der Westminster-Abtei, der Redefreiheit des englischen Parlaments und der liebeheischenden Schönheit der Engländerinnen keineswegs berufen.

Aber Johann Friedrich Cotta war nicht der Mann, einen einmal gefaßten Plan vorschnell fallen zu lassen, Das Anerbieten war gerade zu einem Zeitpunkt erfolgt, da der bei seinen 64 Jahren noch immer jugendlich unternehmende, rüstige Großbuchhändler unruhig ausschaute, nicht nur nach einem Ersatz für den so saumselig gewordenen Börne, sondern auch nach geeigneten Kräften zur Leitung und Ausgestaltung der »Politischen Annalen«, die eine zeitgemäße Auffrischung erfahren sollten, und einer neuen Zeitschrift »Das Ausland«. Angezogen von den umfassenden Kunstbestrebungen und anfänglich liberalen Regierungsmaßnahmen des neuen bayerischen Königs, Ludwig I., hatte er soeben den alten Instituten der Cotta'schen Handlung in Stuttgart, Tübingen und Augsburg ein neues, die Literarisch-Artistische Anstalt in München, an die Seite gestellt. Von dem Wunsche beseelt, dem aufblühenden Kulturleben in dem zu einem Isar-Athen sich wandelnden Monachum monachorum, der neuen Universität mit ihren bedeutenden Kräften, dem frischen Schaffen der Cornelius-Schwanthaler-Klenze'schen Künstlergemeinde, wie dem hoffnungsvoll sich entfaltenden bayerischen Verfassungsleben neben der »Allgemeinen Zeitung« noch besondere publizistische Organe zu geben, stellte er seine Pressen für Kupfer- und Steindruck, wie für den Buch- und Zeitungsdruck in München auf. Das »Ausland« gehörte zu diesen Unternehmungen. Die damals in Bayern vollzogene Aufhebung der Zensur für alle nicht politischen Journale weckte – wie auch anderwärts – die Lust, belehrende Unterhaltungsblätter zu gründen, die auch den politischen Reformgedanken eine Freistatt boten. Die älteste Zeitschrift des Cotta'schen Verlags, die »Politischen Annalen«, sollten in diesem Sinne eine Umwandlung erfahren. Seit Murhards Verwicklung in einen politischen Kriminalprozeß wurden diese von Friedrich Ludwig Lindner redigirt, dessen Enthüllungen über Kotzebue's Spionenmission in Deutschland, dessen »Manuskript aus Süddeutschland« in den Jahren 1819 und 1821 so großes Aufsehen erregt hatten, der aber inzwischen unter dem Wohlwollen des Königs von Württemberg recht zahm geworden war. Für die Umwandlung der Annalen in ein mehr unterhaltend als akademisch geschriebenes Organ der zeitgenössischen Länder- und Völkerkunde brauchte Cotta eine frische Kraft, einen Redakteur von liberaler Richtung und gefälliger Schreibweise. In einer Zeit, wo das moderne Berufsschriftstellerthum sich erst entwickelte, war der Gewinn einer solchen nicht leicht. Da kam der Brief seines alten Mitarbeiters Varnhagen, der ihm Heine empfahl unter Hinweis auf die ungewöhnlichen schnellen Erfolge dieses noch jugendfrischen Talents, das neuerdings, im 2. Band der »Reisebilder«, neben glänzendem Stil und origineller Denkweise auch einen lebhaften politischen Sinn bekundet hatte, von einer Richtung, die dem Liberalismus in den früheren Rheinbundstaaten in hohem Grade entsprach. Auch die Verehrung Heine's für den Franzosenkaiser entsprach der hier herrschenden Strömung. Es war nur natürlich, daß nicht nur die deutschen Fürsten, die bis 1813 Napoleons Bundesgenossen gewesen, sondern auch die Völker, die unter Napoleon mehr Gerechtsame genossen hatten als früher, für ihre ehemalige Fügsamkeit unter das Joch des Imperators als innere Rechtfertigung unwillkürlich das Mittel anwandten, sich seine Größe so glänzend wie möglich vorzustellen. Unter den Enttäuschungen, welche der Wiener Frieden und der deutsche Bund dem Vaterlande gebracht, war allmählich auch selbst in Patriotenkreisen eine natürliche Reaktion erfolgt auf die verächtliche Behandlung des Napoleonischen Namens, wie sie der Stimmung der Befreiungskriege entsprochen hatte. Byrons Verehrung für das so tragisch endende große »Genie der That« hatte als Beispiel gewirkt. Viele deutsche Liberalen erkannten, wie Großes die Feldzüge des gewaltigen Völkerbedrückers, den die französische Revolution emporgehoben, doch auch für die Verbreitung der Ideen von Volksrecht und Volksfreiheit, wenn auch unabsichtlich, bewirkt. Nicht nur der Rheinländer Heinrich Heine feierte jetzt Napoleon, auch ein Kernschwabe wie Wilhelm Hauff hatte dies im »Bild des Kaisers« gethan und der märkische Freiherr von Gaudy sang seine »Kaiserlieder«. Bei Heine waren dieselben um so natürlicher, als die glänzendsten, unvergeßlichsten Eindrücke seiner Düsseldorfer Knabenzeit den »großen Kaiser« und seine Grenadiere zum Mittelpunkt gehabt hatten. Daß ferner dieser interessante vielversprechende Schriftsteller gerade im Begriff war, im Heimathlande des Parlamentarismus diesen an der Quelle zu studiren, wo eben Cannings triumphirendes Wort den Sieg der Liberalen über Wellington besiegelte, empfahl ihn bei Cotta ebensosehr wie die glückliche Mischung von Sympathien für die historische Größe Napoleons mit seiner Begeisterung für die politische Freiheit in dem in Preußen verpönten 2. Bande der »Reisebilder«. Cotta's Antwort auf Heine's indirekte Anfrage war daher von dem Wunsche diktirt gewesen, den so schnell berühmt gewordenen Schriftsteller für seine Pläne zu gewinnen. Und als sich Heine nun lau und zögernd verhielt, wurde Cotta nur um so energischer im Werben. Der Dichter ging bereits wieder in Hamburg ganz anderen, älteren Plänen nach, als er von Cotta eine so dringende und vielverheißende Aufforderung, nach München zu kommen, erhielt, um mit ihm über eine entsprechende Verwendung zu berathen, daß er dieser nicht mehr zu widerstehen vermochte.

Die Pläne, die ihn schon vor seiner Abreise nach England und nun auch jetzt wieder beschäftigten, waren dieselben, die ihn auch mit zur Annahme der evangelischen Confession bewogen hatten; er erstrebte eine Staatsanstellung in Preußen, womöglich eine Professur. Gleich nach bestandenem Doktorexamen hatte er ja von Hamburg aus bei seinem Freund Moser in Berlin angefragt, ob es ihm, nachdem er zu diesem Zwecke konvertirt, in Berlin wohl gestattet werden dürfte, sich in der juristischen Fakultät als Dozent zu habilitiren, was dieser verneinend beantwortet. Dann hatte er sich mit ähnlichen Fragen an Varnhagen von Ense gewendet, in dessen Hause er als Student viel verkehrt, mit dessen geistreicher Frau, der Priesterin der Berliner Goethegemeinde, ihn besondere Sympathien verbanden, und von dessen Einfluß – der geheime Legationsrath war zwar zur Disposition gestellt, hatte aber durch seine Freundschaft mit Humboldt, Hegel u. A. eine im Kultusministerium wohlbeachtete Stimme – er die beste Förderung seines Wunsches erwarten durfte. Was er damit bezweckte, war eine Versorgung, die ihm als Dichter der Staat versagte, war Unabhängigkeit und Freiheit, um als Dichter auf seine Façon selig zu werden. Mühsam, aber erfolgreich, hatte er bisher in dieser Richtung gekämpft: gegen den Willen der Eltern, gegen den Widerstand des Onkel-Millionärs, der ihm die Tochter versagt hatte und jenes Leid bereitet, das in seinen Liedern unsterblich geworden, auf dessen Zuschüsse er aber zeitlebens angewiesen blieb. Dem Drange seines Genius folgend, war er der Schwüle der ihm aufgezwungenen Handlungslehre in Frankfurt, dem eigenen Hamburger Bureau von »Harry Heine u. Comp.« entronnen, um nachträglich noch zu studiren, hatte er nach der mit wechselnden Stimmungen genossenen Studentenzeit in Bonn, Göttingen und Berlin, dem Versuch, als Rechtsanwalt in Hamburg zur Selbständigkeit zu gelangen, nach den ersten Erfolgen als Dichter und Schriftsteller ein Ende gesetzt, um sich forthin ganz dem Berufe, zu dem ihn die Natur bestimmte, zu widmen. Als er 1826 die »Harzreise«, die »Lieder der Heimkehr« und die erste Abtheilung der freien Hymnen an die Nordsee zum 1. Band der »Reisebilder« vereinte, hatte er von Campe ein Honorar von 50 Louisdor erhalten. Für den 2. Band erhielt er ebenso viel. Von solchen Einkünften konnte er – auch wenn er zu den Bedürfnißlosen gezählt hätte – nicht leben. Die Familie, der reiche, ihn jedoch knapp haltende Onkel – nicht im Stande, die Gaben seines überquellenden Talentes ihrem Werthe nach zu schätzen, von der selbständigen Bedeutung des literarischen Berufs ohne Ahnung, überhäufen ihn mit Vorwürfen ob seines planlosen Lebens! Sie drangen ihn, sich eine Stellung, ein Amt zu suchen, das ihm gestatte, seine Universitätsstudien zu verwerthen. Gern mochte er ihnen genügen; von ihnen unabhängig zu sein, ist ja sein eigener sehnlicher Wunsch. Und sein häufiges Kränkeln macht seine Stimmung nachgiebig. Als sein junger, schnell sich entfaltender Ruhm sein Selbstbewußtsein wieder stärkt, dessen strahlend Leuchten ihn berauscht, beginnt er freilich auch eine Erfüllung dieser Wünsche zu erhoffen, die zugleich seinem Dichterberufe Rechnung trägt. Aber durch die sanften Träume von einer friedlichen Sinekure, welche ihm Muße verleihen soll, der Kunst zu leben, bricht immer aufs neue das Bedürfniß seines kampflustigen Geistes, die ihm verliehenen Waffen schlagfertigen Witzes, berauschender Rede, hinreißenden Spottes, bezaubernder Schwärmerei den freien Ideen zu weihen, die der Geist der Zeit ihm zuträgt und die ihm gefallen, weil er ihr Gegentheil haßt. Die Brücken, die er sich sorgsam – Stein um Stein – in die Welt bürgerlichen Behagens, gesicherter Existenz gebaut, sprengt er dann plötzlich, von dämonischem Triebe ergriffen, mitten im Wachsthum hohnlachend in die Luft und die Trümmer verlegen ihm dann für immer den Weg. Die »Ideen« seines Buches »Le Grand« hatten, wie schon früher die Verhöhnung der verzopften Universitätszustände in der »Harzreise«, für Preußen als solcher Sprengstoff gewirkt. In der Erkenntniß hiervon war er sogar im ersten Schrecken nach England gegangen; er hatte gefürchtet, die Verfolgung, die das Buch traf, könne sich auch auf den Autor ausdehnen. Dieselbe Erkenntniß hatte ihn wohl auch zu der Anfrage bei Varnhagen, Cotta betreffend, veranlaßt; was der Heimathstaat ihm versagte, Sicherheit des Einkommens, eine gefestete Stellung: der engere Anschluß an das »Morgenblatt«, wie ihn z. B. früher Börne gefunden, konnte es ihm gewähren. Aber flößte ihm nun der Sieg Cannings, dessen baldigen Tod er nicht ahnte, die Hoffnung auf einen Umschwung der Dinge auch in Preußen ein, oder war es der Ausfluß einer veränderten Stimmung seines damals im Hoffen wie im Verzweifeln gleich überschwänglichen Gemüths; nach der Rückkehr aus England gab er wieder der Hoffnung Raum, daß, wie er es etwas später gegen Cotta in Bezug auf den König von Bayern ausdrückte, man ihm gegenüber »weise genug« sein werde, »die Klinge nur nach ihrer Schärfe zu schätzen, und nicht nach dem guten oder schlimmen Gebrauch, der schon davon gemacht worden.« So kam es, daß er auf der Reise nach München, auf welcher er, wie wir sahen, in Frankfurt Börne's Bekanntschaft machte und dessen Freundschaft erwarb, und in Stuttgart auch Menzel besuchte, mit dem er die Bonner Studentenbeziehung erneute, von der Erwägung begleitet war, was ihm der Heimathstaat versagte, werde ihm vielleicht der bayerische Staat bei den liberalen Gesinnungen seines neuen Königs freundlich gewähren. In der Beurtheilung seiner journalistischen Begabung hatte Cotta sich nicht geirrt; aber daß er ihn auch für den politischen Charakter gehalten, den er an der Spitze seiner »Annalen« brauchte, darin hatte er sich verrechnet. Die später in den »Englischen Fragmenten« zusammengestellten Aufsätze, welche er im folgenden Jahr als Mitherausgeber der »Annalen« in dieselben geliefert hat, beweisen, daß er hier nicht nur die von Cotta gewünschte »löbliche Mäßigung des Ausdrucks« ohne Preisgabe der Lebendigkeit seines Stils zu treffen wußte, sondern entwickeln auch Gedanken von reifer politischer Einsicht, wie die Unterscheidung der englischen liberty und der französischen liberté in ihrem Verhältniß zum politischen Gleichheitsprinzip – sowie einen echt journalistischen Instinkt für den Barometerstand der Zeitatmosphäre. Auch war seine schriftstellerische Thätigkeit für die Zeitschrift keineswegs gering. Nachdem der Jahrgang 1827 seinen Aufsatz über Napoleon gebracht, brachte der neue unter dem Titel » Neue politische Annalen. Herausgegeben von H. Heine und F. L. Lindner« fast in jedem Heft einen größeren Beitrag von ihm. Es waren in Band 26 »Gespräch aus der Themse« (Heft 1), The life of Napoleon Buonaparte by Walter Scott (Heft 2), »Die Emanzipation der Katholiken« und »Das neue englische Ministerium« (Heft 3), »Die englischen Finanzen« (Heft 4); in Band 27 »John Bull« (Heft 1), »Die deutsche Literatur von W. Menzel« und »Die Erläuterung einer Paraphrase einer Stelle des Tacitus«, die auf das Vorbild Camille Desmoulins verweist, dessen Vieux Cordelier 1794 eine Paraphrase jenes Kapitels des Tacitus gebracht hatte, in welchem der Zustand Roms unter Nero geschildert ist (Heft 2), ferner im 4. Heft: Nachbemerkungen zu einem anonymen Aufsatz über »Körperliche Strafe«. Im übrigen aber hat er sein Münchener Gastspiel als Redakteur nur dazu benutzt, sich als Dichter ein Unterkommen zu schaffen und seinen jungen Dichterruhm zu genießen, über dessen schnelles Wachsthum er eine naive Freude äußert.

Da die Biographen Heine's, im besondern Adolf Strodtmann und neuerdings Robert Prölß, nicht nur dessen Briefe, die er aus München an Berliner und Hamburger Freunde, sondern auch die gleichzeitig an Cotta geschriebenen – letztere freilich nur im Auszug – benutzen durften, ist der Verlauf dieses mißglückten Versuchs, den Dichter der Reisebilder an ein Redaktionspult zu fesseln, bereits hinlänglich bekannt. Wie er von Cotta's »Generosität« ebenso entzückt ist, wie von der Liebenswürdigkeit der Frau Baronin, die seine Verse mit Vergnügen liest, wie er sich zu nichts verpflichtete, als auf ein halbes Jahr, vom 1. Januar 1828 an, sich versuchsweise an der Herausgabe der »Annalen« zu betheiligen und in jedes Heft einen Beitrag zu liefern, wofür er 100 Carolin erhält, dagegen sich in Gesellschaft fideler Künstler, ja selbst eines zweideutigen Charakters wie Witts von Törring, an den schönen Kneipverhältnissen und »wunderschönen Weiberverhältnissen« im »aufblühenden Bier-Athen« ergötzt, wie er ferner die Kreise der radikalen Politiker meidet, dagegen durch den Dichtergenossen Michael Beer, durch Cotta's Protektion und die Empfehlungsbriefe Varnhagens in ein Leben geräth, das er selbst als das eines »Grandseigneurs« bezeichnet; wie er namentlich den Dichter-Minister Eduard v. Schenk für sich einzunehmen bestrebt ist, von dem er das Versprechen erhält, er werde seine Ernennung zum Professor an der Münchener Universität durchsetzen, ja sogar durch Cotta dem König seine Werke überreichen läßt, alles dieß ist bei den genannten Biographen des näheren nachzulesen. Bekannt ist auch, daß er allen weiteren Anlockungen Cotta's damals hartnäckig widerstanden hat und nicht nur Krankheit, sondern auch das Verlangen, für einen dritten Band der »Reisebilder« dankbaren Stoff zu gewinnen, ihn dann im Sommer nach Italien getrieben, wo er in den Bädern von Lucca mit der Genesung auch die galanten Abenteuer fand, deren drastische Schilderung in dem betreffenden Reisebild vielen bisherigen Freunden seiner kecken Muse zum Aergerniß wurde. Bekannt ist, daß er aus Italien keine politischen Aufsätze mehr für die »Annalen«, sondern die freilich auch mit politischen Gedanken durchtränkten Reiseschilderungen »Von München nach Genua« für das »Morgenblatt« sandte, daß er aber von Florenz aus im November der erneuten Anfrage Cotta's gegenüber sich nicht abgeneigt zeigte, auch weiterhin auf seine Weise als Mitherausgeber der »Annalen« zu wirken, ja daß der an den Quellen von Lucca Gesundete jetzt zum ersten Mal mit echtem Pathos von dieser Aufgabe sprach. Aus einem Brief an Cotta geht hervor, daß er sich dort lebhaft mit Byron, seinen Werken und Leben beschäftigte, und sich verschiedene biographische Werke über ihn, welche damals gerade in England erschienen waren, zur Besprechung in den »Annalen« bestellte. Nicht nur für erotische Freiheit hatte er sich im kühlen Thale von Lucca begeistert, auch auf seine Mission in den Kämpfen der Zeit hatte er sich hier besonnen, als er »berauscht von Uebermuth und Liebesglück auf den Höhen der Apenninen umher jauchzte und große, wilde Thaten träumte«. Und ein Wiederklang dieser Ermannung findet sich in den beiden Briefen aus Florenz an Cotta und an den jüngsten der Redakteure der »Allgemeinen Zeitung«, Gustav Kolb, mit dem er sich in München befreundet hatte. Der humoristische Brief an Cotta, der das Manuskript »Von München nach Genua« begleitete und diese Sendung begründete mit der echt Heine'schen Wendung: »Damit Sie nicht glauben, ich sei in eine Tänzerin verliebt und bliebe deßhalb hier und wär' recht Börnisch faul«, spricht sich sehr ernsthaft über Cotta's erneuten Antrag aus. »Was die Fortsetzung der ›Annalen‹ betrifft, so weiß ich nicht, was ich Ihnen Bestimmtes darüber sagen soll. Wenn Sie den Wunsch hegen, sie nicht fallen zu lassen, so habe ich mir gedacht, es sei gut, den Titel einigermaßen beizubehalten und nur bequemer zu machen. ›Neue Annalen; eine Zeitschrift für Politik, Literatur und Sittenkunde‹; dieß wär ein Titel, der dem Redakteur die größte Freiheit ließe, ein Titel, der ihm auch gestattet, das belletristische Publikum ins Interesse zu ziehen und diejenigen Materialien, die das ›Ausland‹ nicht brauchen kann, vollauf zu benutzen. Was die Redaktion betrifft, so gestehe ich Ihnen, daß weder meine politischen Kenntnisse oder vielmehr meine Kenntnisse von der Tagespolitik, noch meine Schreibart mich zum Redakteur eines solchen Journals geeignet machen. Sollten Sie aber dennoch, Herr Baron, ganz besonders wünschen, meinen Namen als Redakteur auf den Titel der ›Annalen‹ zu setzen, so will ich Ihnen darüber meine Gedanken, so weit ich sie selbst kenne, offen mittheilen.« Es folgen nun – wie an den bezeichneten Stellen nachzulesen – die Bedingungen und der Vorschlag, Kolb mit der eigentlichen Redaktion zu betrauen. An diesen aber schrieb er die mannhaften Worte, in denen sich auch jener Vergleich der Zeitungen mit Festungen findet: »Lieber Kolb, der Baron Cotta kann Ihnen selbst sagen, wie wenig Privatinteresse mich dabei leitet; mein einziger Wunsch ist nur, der liberalen Gesinnung, die wenig geeignete Organe in Deutschland hat, ein Journal zu erhalten, und ich dächte, auch Sie, Kolb, bringen gern ein Opfer für diesen Zweck. Es ist die Zeit des Ideenkampfes und Journale sind unsre Festungen. Ich bin gewöhnlich faul und lässig, aber wo, wie hier, ein gemeinsames Interesse ganz bestimmt gefördert wird, da wird man mich nie vermissen. Lassen Sie also die ›Annalen‹ nicht fallen; mein Namen steht Ihnen dabei zu Diensten …« Als Motto für das veränderte Blatt schlägt er ihm die Worte vor: »Es giebt in Europa keine Nationen mehr, sondern nur Parteien.«

Als Motto der geplanten Zeitschrift ist dies Paradoxon nicht erschienen, wohl aber findet sich dasselbe zuerst – er wiederholte es später – in den Phantasien auf dem Schlachtfeld von Marengo, die Heine um jene Zeit seiner Reiseschilderung »von München nach Genua« eingefügt hatte. Der Ausspruch bildet dort den Kern seiner berühmten Apostrophe auf die tagende Aera, in welcher die Kämpfe der gebildeten Menschheit nur noch mit geistigen Waffen ausgefochten werden. »Hier – auf dem Schlachtfeld von Marengo – that der General Bonaparte einen so starken Zug aus dem Kelch des Ruhmes, daß er im Rausche Consul, Kaiser, Welteroberer wurde und sich erst zu St. Helena ernüchtern konnte. Es ist uns selbst nicht viel besser gegangen; wir waren mit berauscht, wir haben alles mitgeträumt, sind ebenfalls erwacht, und im Jammer der Nüchternheit machen wir allerhand verständige Reflexionen. Es will uns da manchmal bedünken, als sei der Kriegsruhm ein veraltetes Vergnügen, die Kriege bekämen eine edlere Bedeutung, und Napoleon sei vielleicht der letzte Eroberer. – Es hat wirklich den Anschein, als ob jetzt mehr geistige Interessen verfochten würden, als materielle, und als ob die Welthistorie nicht mehr eine Räubergeschichte, sondern eine Geistergeschichte sein solle. Der Haupthebel, den ehrgeizige und habsüchtige Fürsten zu ihren Privatzwecken sonst so wirksam in Bewegung zu setzen wußten, nämlich die Nationalität mit ihrer Eitelkeit und ihrem Haß, ist jetzt morsch und abgenutzt; täglich verschwinden mehr und mehr die thörichten Nationalvorurtheile, alle schroffen Besonderheiten gehen unter in der Allgemeinheit der europäischen Zivilisation, es giebt jetzt in Europa keine Nationen mehr, sondern nur Parteien, und es ist ein wundersamer Anblick, wie diese trotz der mannichfaltigsten Farben sich sehr gut erkennen, und trotz der vielen Sprachverschiedenheiten sich sehr gut verstehen. Wie es eine materielle Staatenpolitik giebt, so giebt es jetzt auch eine geistige Parteipolitik; und wie die Staatenpolitik auch den kleinsten Krieg, der zwischen den zwei unbedeutendsten Mächten ausbräche, gleich zu einem europäischen Krieg machen würde …, so kann jetzt in der Welt auch nicht der geringste Kampf vorfallen, bei dem durch jene Parteipolitik die allgemeine geistige Bedeutung nicht sogleich erkannt, und die entferntesten und heterogensten Parteien nicht gezwungen würden, pro oder contra Antheil zu nehmen. Vermöge dieser Parteipolitik, die ich, weil ihre Interessen geistiger und ihre ultimae rationes nicht von Metall sind, eine Geisterpolitik nenne, bilden sich jetzt, ebenso wie vermittelst der Staatenpolitik, zwei große Massen, die feindselig einander gegenüberstehen und mit Reden und Blicken kämpfen. Die Losungsworte und Repräsentanten dieser zwei großen Parteimassen wechseln täglich, es fehlt nicht an Verwirrung, oft entstehen die größten Mißverständnisse, diese werden durch die Diplomaten dieser Geisterpolitik, die Schriftsteller, eher vermehrt, als vermindert, doch wenn auch die Köpfe irren, so fühlen die Gemüther nichtsdestoweniger was sie wollen, und die Zeit drängt mit ihrer großen Aufgabe.« Als diese aber bezeichnet er die Emanzipation. »Nicht bloß die der Irländer, Griechen, Frankfurter Juden, westindischen Schwarzen und dergleichen gedrücktes Volkes, sondern es ist die Emanzipation der ganzen Welt, absonderlich Europa's, das mündig geworden ist, und sich jetzt losreißt von dem eisernen Gängelbande der Bevorrechteten, der Aristokratie. Mögen immerhin einige philosophische Renegaten der Freiheit die feinsten Kettenschlüsse schmieden, um uns zu beweisen, daß Millionen von Menschen geschaffen sind als Lastthiere einiger Tausend privilegirter Ritter; sie werden uns dennoch nicht davon überzeugen können, so lange sie uns, wie Voltaire sagt, nicht nachweisen, daß jene mit Sätteln auf dem Rücken und diese mit Sporen an den Füßen zur Welt gekommen sind.« Es ist dieselbe für Heine's hier zu schildernde Geistesrichtung und Geistesentfaltung so ungemein bezeichnende Apostrophe, in welcher er zwar die großen Fortschritte zugiebt, welche auch durch blutige Eroberungskriege eingeleitet wurden, aber für jenen heiligen Befreiungskrieg der Menschheit begeistert eintritt, der sich nun vollziehe ohne Menschenleben aufs Spiel zu setzen, der das Wohl der Menschheit als die Summe des Wohls aller einzelnen Menschen begreift, es ist jenes Glaubensbekenntniß, in welchem der Sänger des »Buchs der Lieder« erklärt, daß ihm der Dienst in diesem Befreiungskriege höher stehe als persönlicher Dichterruhm. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich es verdiene, daß man mir einst mit einem Lorbeerkranz den Sarg verziere. Die Poesie, wie sehr ich sie auch liebe, war mir immer nur ein lustiges Spielzeug oder geweihtes Mittel für himmlische Zwecke. Ich habe nie großen Werth gelegt auf Dichterruhm, und ob man meine Lieder preiset oder tadelt, es kümmert mich wenig. Aber ein Schwert sollt ihr mir auf den Sarg legen, denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit.«

Um dieselbe Zeit, da er dies schrieb, sah er noch seinem Anstellungsdekret, das ihm Minister von Schenk in sichere Aussicht gestellt hatte, zuversichtlich entgegen – ein Beweis mehr, wie wenig er gesonnen war, durch eine Professur oder sonst ein ihm passendes Amt sich seine Gedanken- und Redefreiheit verkümmern zu lassen. Als er aber im Januar 1829 aus Italien nach München zurückkehrte, fand er sich dort in eine Lage versetzt, die ihn zunächst alle Pläne mit leidenschaftlicher Hast sich aus dem Sinn schlagen ließ. Nicht nur seinen in München doch so wohlgegründeten Dichterruhm, alle seine Hoffnungen auf eine gesicherte Zukunft, einen angenehmen Aufenthalt in München sah er in Frage gestellt durch die unerhörten Ausfälle, die Graf Platen-Hallermünde, eifersüchtig auf Heine's Erfolge, in seinem »Romantischen Oedipus« gegen ihn verübt. Das wohlfeilste, aber auch wirksamste Mittel, Heine in der Münchener Gesellschaft unmöglich zu machen, das auch bereits einige »Pfaffenblätter« ins Spiel zu setzen begonnen hatten, hatte Graf Platen ergriffen, um sich für ein paar rein literarisch gehaltene Xenien Immermanns, die Heine in den zweiten Theil seiner »Reisebilder« aufgenommen hatte, zu rächen: die Verhöhnung seiner jüdischen Abkunft. Und er hatte dies im Gegensatz zu der gedrechselten sauberen Versform in einer widerwärtigen, niederträchtigen Weise gethan: vor den Knoblauchdüften der Küsse dieses Erotikers hatte er die Frauen gewarnt. Heine's größter Stolz war, ein Liebling der Frauen zu sein. In München gerade hat er sich auf die Gunst einiger »schöner Aristokratinnen«, der Baronin Tjutschew und ihrer Schwester, einer Gräfin Bothmer, viel zu gute gethan. Auch die noch jugendliche Frau Baronin Cotta, die für Heine's Lyrik schwärmte, Cotta's zweite Frau, stammte aus einem alten vornehmen Hause. Die Vorurtheile gegen die Juden waren damals, namentlich im katholischen Deutschland, noch zu mächtig, er selbst sich des Vorhandenseins dieser Vorurtheile zu sehr bewußt, als daß er sich über diese Art der Polemik erhaben hätte fühlen können. Nur um sich als Schriftsteller und Bürger von den Vorurtheilen gegen die Juden und durch die Hemmungen denselben zu emanzipiren, hatte er vor Jahren sich kurz vor dem Doktorexamen taufen lassen. Oeffentliche Beohrfeigung hätte ihm das Blut nicht heißer in die Wangen getrieben, als diese infame Verspottung. Und das kam ihm von dem Manne, von welchem sich alle Welt in München – seit dem Erscheinen seiner »Gedichte« bei Cotta im Vorjahre – die ärgsten Skandalgeschichten erzählte, mit solchen Kothklümpchen bewarf ihn ein neidischer Rivale, der in einem »Glashaus« saß wie kein anderer Dichter wegen seiner Hinneigung zur Knabenliebe, die in seinen Gedichten so wenig verblümt zu Tage getreten war, daß sich bereits in den Hegel'schen Jahrbüchern eine rein sachliche Kritik damit beschäftigt hatte. Noch war der »Oedipus« nicht erschienen, als Heine die Ausfälle gegen sich, die darin enthalten, erfuhr. Es scheint, daß der kunstschriftstellernde Baron von Rumohr, ein Freund Platens, mit dem Heine in Florenz Berührung gefunden, hierbei den Zwischenträger gespielt hat. Auch von Gustav Kolb hatte er Andeutungen erhalten. Ein wildes Racheverlangen und jenes Schamgefühl, das den verwundeten Hirsch antreibt, sich einsam ins Dickicht zu flüchten, wurden noch gesteigert durch die Reizbarkeit, in die ihn die Nachricht von der tödtlichen Erkrankung seines Vaters versetzt hatte. Diese Nachricht hatte ihn zu dem schnellen Ausbruch aus Italien veranlaßt. Sein Aufenthalt in München war nur ein kurzer; es trieb ihn zu dem sterbenden Vater, dessen inzwischen erfolgten Tod er in Würzburg erfuhr. Aus der Durchreise in München sprach er Cotta und brachte auch die Rede auf das bei ihm in Druck befindliche »Pasquill«. Cotta, damals ganz erfüllt von den großen Staatsgeschäften, die seine Mission in Sachen der Zollvereinigung der größten deutschen Staaten mit sich brachte, erfuhr erst durch ihn von den in der Platen'schen Dichtung befindlichen, gegen Heine gerichteten Ausfällen. »Der alte Cotta selbst ist sehr brav«, schrieb Heine später – 17. November – an Immermann hierüber, »einige Abende vor seiner Abreise von München, als ich ihm sagte, daß in seinem Verlage das Platen'sche Pasquill erschiene, sagte er mir, daß ich es mir von seinen Leuten geben lassen solle. Es hätte mir nur ein Wort gekostet, und der Druck wäre unterblieben. Aber ich lehnte es ab, wie Sie wohl denken können.« Als er in Hamburg die Pflichten des Sohnes gegen die verwittwete Mutter erfüllt hatte, trieb es ihn nach Berlin, wo er im Kreise Varnhagens und seiner Frau die verständnißvollste Beurtheilung seiner Lage erwarten durfte. Aber sein Zustand war damals ein so gereizter, daß er sich selbst mit Rahel, der ältesten Gönnerin seiner Muse, überwarf. Er miethete sich dann in Potsdam ein und lebte dort »einsam wie Robinson auf seiner Insel«. Nur in der Zeit, die Cotta im April und Mai, des Zollanschlusses wegen, in Berlin zubrachte, viel im Varnhagen'schen Kreise verkehrend, ließ sich Heine mehr in Gesellschaft sehen. Cotta kam ihm hier in der alten freundschaftlichen Weise entgegen und machte mit ihm einen Vertrag über weitere Mitarbeit an »Morgenblatt« und »Annalen«. Aber der von Strodtmann im Auszug mitgetheilte Brief, den er im Sommer (7. Juni, nicht Juli) aus Potsdam an Cotta schrieb, beschwert sich über die schlechte Behandlung, die seine Einsendungen von der Redaktion des »Morgenblattes« erfuhren. Dieselbe hielt zu Platen, und was Heine ihr jetzt vom Manuskript der »Bäder von Lucca« sandte, war wirklich auch wenig geeignet für das »Morgenblatt«. Er fühlte dies wohl selbst, wie aus der Form seiner Beschwerde hervorgeht: »Indem ich Ihnen beiliegend etwas Italienisches, wie Sie zu haben wünschten, für das Morgenblatt schicke, hoffe ich, daß Sie nichts Anstößiges drin finden mögen, indem es das Gemäßigtste ist, was ich geben kann und ich deßhalb schon gegen die geringste Verstümmelung protestiren muß. Ist der unverkürzte, unverkümmerte Abdruck nicht möglich, so bitte ich mir das Manuskript unter Varnhagens Adresse zurückzuschicken. Im dritten Fragmente kommen Namen vor, die ich allenfalls gegen Anfangsbuchstaben zu vertauschen bereit wäre. – Sie Herr Baron, den ich so sehr liebe und dem ich so ungern mißfallen möchte, dürfen mir bei Leibe meine Unnachgiebigkeit in den geistigsten Interessen nicht mißdeuten. Ich finde jetzt, daß es oft drauf abgesehen ist, mich zu beschränken und zu aviliren, und ich muß mich daher männlicher zu verhärten suchen, als mir eigentlich selbst lieb ist.« Unbekannt blieb bisher der interessante Nachsatz: »Von Schenk habe ich bis jetzt keinen Brief erhalten und nur meine Gutmüthigkeit hält mich noch davon ab, hierin eine Beleidigung zu sehen.« Er hatte noch einmal Hoffnung gefaßt, daß ihm trotz Platen in München die Erfüllung seiner Wünsche werde. Cotta mußte ihn im mündlichen Verkehr hierzu ermuthigt haben. Aber Schenk hatte ihn fallen lassen. Bald nachher erklärte sich Heine von ihm der Platen'schen Koterie, den »Pfaffen und Junkern«, geopfert. Thatsächlich hatte Schenk, der charakterschwache, schon aus allgemeinen politischen Gründen und um sich an der Spitze der Geschäfte zu halten, dem bayrischen Staatsschiff bereits einen reaktionären Kurs gegeben.

Nun erst erfolgte die Abrechnung mit Platen. In der Gluth seines lange verhaltenen Zorns schmiedete er die stahlscharfen Sätze, mit denen er in dem kritischen Intermezzo für die »Bäder von Lucca« die Hinterhältigkeit des gräflichen Gegners im Intriguiren, Dichten und Lieben an den Pranger stellte. »Ich sah den guten Willen,« erklärte er nach der Vollendung des 3. Reisebilderbands gegen Immermann, seinen Schildgenossen in dieser Streitsache, »daß man mich in der öffentlichen Meinung vernichten wollte, und ich wäre ein Thor oder ein Schurke gewesen, wenn ich Rücksichten und Verhältnisse halber schonen wollte … Ich war so mäßig, daß ich keinen Skandal auftischte, daß die wenigen Personalnotizen, die ich gab, nur das Literarische erklären sollten … Wahrend Platen bei Cotta wedelte, schrieb er an Schenk, daß Cotta ihn verhungern lasse, daß man Etwas bei dem König für ihn thun müsse, daß er ja doch nicht lange leben könne, er sei in der Auflösung. Zu jener Zeit beschwor mich Beer, gegen Schenk nichts Nachtheiliges von Platen zu sagen, weil von Schenk die königliche 600-Guldengnade abhinge – ich sprach zu seinen Gunsten, ich stimmte Madame Cotta für ihn, ich that noch mehr, was ich jetzt verschweigen muß – und zu derselben Zeit schrieb der Elende den Oedipus. Ich weiß, er haßte Schenk und Beer ebenfalls, weil er glaubte, daß wir Drei (lachen Sie nicht!) ihm die Münchner Lorberen, die nur ihm gebührten, abweideten! Gegen mich aber trat sein Haß ins Wort, um so freier, da ich zufällig nicht der Minister bin, und um so stärker, da er dem Minister noch schmeicheln mußte … Es galt kein scherzendes Tournier, sondern Vernichtungskrieg.«

So hatte Heine's erster Streifzug in das Gebiet der Publizistik, sein Münchner Gastspiel als Redakteur, zum Endergebniß einen scharfen Schwertgang mit einem Dichter, der ihn als Dichter beleidigt und herausgefordert. Aber er nahm diesen Kampf auf als Zeitschriftsteller. In dem persönlichen Erlebniß fühlte er auch hier wieder das Allgemeine. Habe er in dieser Sache zunächst für sich gesorgt – führte er seine Auffassung Varnhagen gegenüber aus –, die Ursachen dieser Sorgen seien dem allgemeinen Zeitkampf entwachsen. »Als mich die Pfaffen in München zuerst angriffen und mir den Juden zuerst aufs Tapet brachten, lachte ich – ich hielt's für bloße Dummheit. Als ich aber System roch, als ich sah, wie das lächerliche Spukbild allmählich ein Vampyr wurde, als ich die Absicht der Platen'schen Satire durchschaute, als ich durch Buchhändler von der Existenz ähnlicher Producte hörte, die mit demselben Gift getränkt manuskriptlich herumkrochen – da gürtete ich meine Lenden und schlug so scharf als möglich, so schnell als möglich. Robert, Gans, Michel Beer und Andere haben immer, wenn sie wie ich angegriffen wurden, christlich geduldet, klug geschwiegen – ich bin ein Andrer und Das ist gut. Es ist gut, wenn die Schlechten den rechten Mann einmal finden, der rücksichtslos und schonungslos für sich und für Andere Vergeltung übt.« Die offene Kriegserklärung gegen die »Pfaffen und Junker« entstammte nicht nur dem Groll gegen den Grafen Platen, dessen Beleidigungen er irrthümlich mit den Angriffen der Münchner Pfaffenblätter verquickte; das Ritterthum und Mönchthum, das Feudalwesen und die Hierarchie hatte er schon in seiner Jugendlyrik bekämpft, wodurch sie sich von vornherein von der eigentlichen romantischen Poesie, die mit ihm aus dem Jungbrunnen des deutschen Volkslieds ihre Bilder und Weisen schöpfte, so scharf unterschieden hatte. Es ist bekannt, wie Heine, der nun auch die Brücke, die er sich in München ins gelobte Land der Muße zu errichten gesucht, rücksichtslos in die Luft gesprengt hatte, über die für ihn ungünstige Wirkung seiner »Bäder von Lucca« und seiner persönlichen Kampfesweise gegen Platen betreten war. »Ich muß einen Halt haben gegen den Süden,« klagte er im Januar 1830 gegen Varnhagen, »wo ich alles in die Schanze geschlagen. Ach! Sie wissen nicht, wie viel Opfer mir es gekostet, ganz rücksichtslos zu schreiben!« Wie anders er sich die Folgen seines Sieges über Platen ausgemalt hatte, beweist der letzte Brief, den er in dieser ersten Phase seines Verkehrs mit Cotta an diesen um dieselbe Zeit geschrieben, da der dritte Band der »Reisebilder« sammt der Abfertigung des Platen'schen Angriffs herauskam, und zwar dessen zweite Hälfte, die bisher der Veröffentlichung entzogen geblieben:

»Hamburg, den 14. December 1829.

Der Zweck dieser Zeilen, Herr Baron, ist Advisgabe über 300 Gulden, die ich so frei bin unter heutigem Datum, an die Ordre d. Herrn Henry Heine, 8 Tage nach Sicht, auf Ihr Stuttgardter Haus zu trassiren. Den Rest des Betrags von 50 Carol., die Sie mir in Berlin erlaubten, wann ich wolle, auf Sie zu ziehen, und wofür ich 6-7 Druckbogen für Ihre Blätter versprach, werde ich so frei sein späterhin, im nächsten Jahre, auf Sie anzuweisen. Zuvor möchte ich noch einige Einsendungen machen; wenn ich dies Jahr weniger gab, als ich wohl beabsichtigte, so lag die Schuld nur in der Natur meines Talentes, da dieses nur selten im Stande ist, den milden Ton des Morgenblatts zu treffen, weshalb mir auch die Redakzion einige zurückschicken und ich noch viel mehr zurückbehalten mußte.

Nicht so ganz Nebenabsicht dieses Briefes ist die Anfrage: ob Sie jetzt noch den Wunsch hegen, irgend ein Buch von mir zu verlegen? und ob es in diesem Fall zu Berlin gedruckt werden kann? Mit Ende dieses Jahres werde ich – nicht ohne Opfer – meinen Verpflichtungen gegen Hoffmann & Campe vollauf Genüge geleistet haben, und für künftige Verlagsverhältnisse meine Einrichtungen treffen müssen. – Meine Adresse ist: Dr. Heine, bei Wittwe Betty Heine, geb. v. Geldern, Neuerwall Nr. 28, Lit. D. – Der große Ueberfluß an Namensgenossen macht hier solche ausführliche Addresse nöthig.

Indem ich hoffe, daß dieser Brief Sie in vollem Wohlsein antrifft, und recht seelentief wünsche, daß Ihre freundlichen Gesinnungen gegen mich unverändert bleiben mögen, bitte ich Sie mich auch der Frau Baronin zu empfehlen und ich verharre

Herr Baron

mit Verehrung und Ergebenheit
H. Heine.«              

Dieser Versuch kam zu spät. Der in seinem Zorn und Spott gegen Platen ins Maßlose gerathene Dichter hatte sich die Aussicht, für seine weiteren Werke den Hafen des »Klassiker«-Verlags zu gewinnen, selber vernichtet. So wohlgesinnt ihm Cotta auch war und wie tolerante Grundsätze dieser gegenüber den Streitgelüsten der vielen Mitarbeiter seines Verlags auch hatte, der Ton dieser Polemik war doch zu stark, um noch zu gestatten, daß direkt neben Platen jetzt auch Heine einen Platz in der Walhalla des Cotta'schen Poesieverlags angewiesen erhielte. Der Cotta'sche Verlag war in Heine's Streitschrift ausdrücklich genannt, und der letzte Satz derselben konnte sogar als persönliche Anzüglichkeit gegen Cotta sowie den König von Bayern ausgelegt werden.

Aber das publizistische Talent Heine's gab Johann Friedrich Cotta auch jetzt nicht auf. Bei erster passender Gelegenheit suchte er ihn wiederum zu engerem Anschlusse – jetzt an die »Allgemeine Zeitung« – zu bewegen. Und sein Scharfblick hatte sich nicht getäuscht. In dem neuen Verhältniß, auf dem fruchtbaren Boden von Paris, entwickelte sich Heine zu einem Zeitschriftsteller von echt journalistischen Fähigkeiten, der auf dem Gebiete des politischen Leitartikels, der Sittenschilderung, der Kunstkritik, des zeitgemäßen Feuilletons glänzende Muster schuf, die tausendfach nachgeahmt worden sind. Zu einem politischen Charakter reifte er darüber aber ebenso wenig, wie sich je seine poetische Natur dabei verläugnet hat.

*

Fast zwei Jahre waren vergangen, als die erneute Annäherung zwischen Heine und Cotta erfolgte, welche den Dichter in ein festes fruchtbares Verhältniß zur »Allgemeinen Zeitung« gebracht hat. Heine war inzwischen weit ernster geworden; seine politischen Ansichten hatten sich geklärt und gefestet. Der Tod seines Vaters, ein Zerwürfniß mit seinem Onkel, das Fehlschlagen aller Hoffnungen auf ein Amt, die Plackereien der Zensur, das Verbot seiner Bücher, der Verlauf und die Folgen seines Kampfs mit dem Dichtergrafen hatten nicht minder dazu beigetragen als der Eindruck der »großen Juliwoche« des Jahres 1830, welche das »Bürgerkönigthum« in Frankreich begründet und das gewissenhafte Studium des Thiers'schen Geschichtswerks über die große französische Revolution, dessen Wirkung damals so viel dazu beitrug, die Stagnation des öffentlichen Lebens zu durchbrechen. Als die wahren Feinde des politischen Fortschritts und der bürgerlichen Freiheit erschienen ihm jetzt – weit mehr als das Königthum – die beiden Mächte, aus deren Kreisen ihm selbst so viel Unbill widerfahren: die Aristokratie und der Klerus; in seinen »Nachträgen zu den Reisebildern« wie in der Vorrede zu R. Wesselhöfts Schrift »Kahlberg wider den Adel«, den Früchten des Jahres 1830, bezeichnete er deren Bündniß als das Haupthinderniß der politischen Freiheit und stellte den Grundsatz auf, daß erst dessen Herrschaft gebrochen werden müsse, ehe an eine dauernde Verwirklichung der demokratischen Ideen in Deutschland gedacht werden könne. Er griff nicht das Königthum und die Religion an, er bekannte sich zu beiden; aber gerade darum erklärt er, den Dogmen- und Priestertrug, der den ehrlichen Gottglauben zur Knechtung der Menschen ausnützt, und die Anmaßungen einer privilegirten Adelskaste bekämpfen zu müssen, die sich immer wieder zwischen Fürst und Volk drängt, um aus dessen Macht Vortheil zu ziehen.

In Helgoland und Hamburg hatte er diese Ideen mit der glühenden Beredsamkeit seiner begeisterten Stunden zur Darstellung und dann zum Druck gebracht, bis er im April 1831 die schon oft erwogene Uebersiedelung nach Paris vollzog – freiwillig und doch exilirt – sich den Gefahren entziehend, welche der Geist seiner letzten Veröffentlichungen über ihn heraufbeschworen, und vor denen er von befreundeter Seite rechtzeitig gewarnt worden war. Als Schriftsteller verfolgt, als Jurist und Gelehrter trotz aller Bemühungen von jeder Anstellung ausgeschlossen, noch zuletzt bitter enttäuscht durch die Ablehnung seiner Bewerbung um ein Hamburger Syndikat, verließ er die Heimath, verzweifelnd an jeder Hoffnung, in ihr eine glückliche Existenz zu gewinnen. Dem Genius seiner Jugendpoesie, dem holden Sang von Liebesschmerz und Lenzeswonne, hatte er mit den Liedern des »Neuen Frühling« – wie er meinte – den letzten Tribut entrichtet; er war entschlossen, jetzt sein Talent mit Ausschließlichkeit dem strengen Dienst der politischen Freiheit zu weihen, mitzuwirken, daß der heiligen Allianz der Mächte »die heilige Allianz der Völker« entgegentrete. Er ist sich dabei bewußt, daß in Paris über der Politik »sein künstlerisches poetisches Vermögen gefährdet« und der »Bruch mit den heimischen Machthabern consakrirt« werde. Nicht die aufregenden Zerstreuungen des »Seine-Babel« denen er, freilich später recht gern den Schimmer seiner poetischen Auffassung lieh, »Ruhe« sucht er in Paris, um die »Bücher« zu schreiben, die ihm in der Seele liegen.

Das Nächste aber, was er in Paris schrieb, und das Meiste, was er dort bis zu seinem Tode geschrieben, waren Zeitungsartikel; Zeitungsartikel freilich, in denen, wie in seinen »Reisebildern«, die verschiedenen Elemente seines schwärmerischen Gemüths und skeptischen Verstandes, seines poetischen Empfindens und kritischen Denkens sich ein Stelldichein gaben, und die darum noch heute eine fesselnde Lektüre bilden, ganz abgesehen von ihrem Werth als scharfbeobachtete Schilderungen der damaligen »französischen Zustände« oder als geistvolle Analysen der Entwicklung des deutschen Geisteslebens seit Luthers Befreiungsthat. Journalartikel von aktueller Tendenz, geschrieben für das »Morgenblatt«, die »Allgemeine Zeitung«, die » Europe litteraire« und die » Revue des deux mondes«, bildeten den Inhalt der weiteren Bände, die Heine von nun an durch Campe ins deutsche Publikum sandte, bis er 1844 mit den »Neuen Gedichten« wieder als lyrischer Dichter hervortrat mit einem Erfolg, der sich in dem Absatz von 20 000 Exemplaren innerhalb der ersten zwei Monate nach dem Erscheinen aussprach.

Heine für die rein journalistische Form der Mittheilung gewonnen zu haben, ist das Verdienst – und es war ein Verdienst – Johann Friedrich Cotta's. Ein langer Brief Heine's an ihn, vom 31. Oktober 1831, der erste seit jenem vergeblichen Verlagsantrag vom 14. Dezember 1829, giebt darüber genauen Aufschluß. Wahrscheinlich hatte Cotta durch Varnhagen von Heine's Aufenthalt in Paris erfahren und gleich darauf diesem durch den regelmäßigen Korrespondenten der »Allgemeinen Zeitung« in Paris, Dr. Donndorf, den Wunsch übermittelt, er möge doch die alten Beziehungen zu seinen Journalen aufnehmen. Inzwischen erschienen die ersten Bände von Börne's Briefen aus Paris, und ihre sensationelle Wirkung bewies, welchen Heißhunger das liberale Publikum solcher frischen Kost aus dem Herd des politischen Lebens entgegenbrachte; der kurze Aufschwung des Verfassungslebens in Südwest-Deutschland, der dann im nächsten Frühjahr in dem Hambacher Fest seinen Höhepunkt und gleich nach demselben durch neue reaktionäre Bundesbeschlüsse sein Ende fand, ließ noch die Mitarbeit Heine's an der »Allgemeinen Zeitung« ohne Gefahr für das Blatt durchführbar, ja in hohem Grade erwünscht erscheinen. Eine Mission Kolbs nach Paris im Herbst dieses Jahres wurde benutzt zu einer lebhafteren Einwirkung auf Heine's Entschlüsse. Mit Börne in Konkurrenz zu treten, seine Selbständigkeit neben diesem auf dem Gebiete der reinen Politik zu behaupten, mußte Heine um so mehr reizen, als er sich des großen Unterschieds zwischen sich und ihm voll bewußt war, während umgekehrt das liberale deutsche Publikum anfing, Heine und Börne zu einem zusammengehörigen Begriff zu verschmelzen,

»Herr Baron!« schrieb er an den alten Gönner, dessen Gunst er in der Zwischenzeit gewiß ungern vermißt hatte, »ich kann es kaum aussprechen, wie sehr ich erfreut war, als mich Hr. Donndorfs von Ihren freundschaftlichen Gesinnungen unterrichtet und gar als Kolb, dem ich immer unbedingt traue, mir die Versicherung ertheilt, daß diese Gesinnungen nie unterbrochen gewesen und daß ich mich über jedes obwaltende Mißverständniß nur frei gegen Sie auszusprechen brauche, um es bald beseitigt zu sehen.« Es folgt eine Auseinandersetzung, aus welcher hervorgeht, daß Cotta auf Heine's letzten Brief mit einem für ihn ungünstigen Abrechnungsentwurf geantwortet hatte, und die er in seiner witzigen Art abbricht: »Jetzt bin ich beruhigt. Ich hoffe, wir stimmen überein. Ich will gern bei Ihnen hoch angeschrieben sein, aber nicht in Ihrem Schuldbuche, wenn auch der ganze deutsche Parnaß darin paradirt. Ich lasse mich nicht gern auf diese Weise in der Tasche tragen, wenn es auch sonst nicht drückend ist.« … »Trübselige Umstände machen es nöthig, daß ich noch eine Reihe Jahre in fremden Ländern herumwandern muß, das Leben in Paris, wo ich so lang als möglich bleiben will, ist just nicht wohlfeil, auf viele frühere Ressourcen muß ich verzichten und seit der großen Woche bin ich sehr reduzirt worden, ebenso gut wie meine meisten Freunde in Berlin und Hamburg, die alle viel Geld eingebüßt. Auch hier ist das Geld bei den reichsten Leuten sehr geschmolzen, mehr als man ahnt. Ach, lieber Baron, der Reichthum hat freilich im großen Wochenbette die Freiheit zur Welt gebracht, aber diese Freiheit hat ihrer Mutter das Leben gekostet.

Hier ist jetzt Alles still. Wird es lebhafter und passirt etwas Bedeutendes, so sollen Sie darüber Berichte für die Allgemeine Zeitung erhalten, wie ich Kolb versprach, der mich versicherte, daß ich Sie bereit fände, meine Bedingungen für solche Mittheilungen zu genehmigen. Zur Einleitung einer solchen Korrespondenz will ich schon morgen den ersten Brief schreiben. Ganz große ausgearbeitete über die politischen Zustände hierselbst denke ich späterhin ebenfalls für die Allgemeine Zeitung zu schreiben, wie letztere derselben, nach Kolbs Meinung, für die Zukunft bedarf, und für solche große Arbeiten verlange ich ein Honorar von zehn Carolin für den Druckbogen.

Ich weiß nicht, in wie weit nach dem Abdruck des überschickten Gemäldeberichts meine oben erwähnte Verpflichtung in Betreff einer Lieferung von sechs bis sieben Bogen für das Morgenblatt erfüllt ist, ist dieß der Fall, so wünsche ich über circa fünfzehn Carolin, die mir alsdann noch zukommen werden, gelegentlich zu verfügen. Kolb hat mir versprochen, daß Sie sich für jenen Aufsatz bei der Zensur besonders interessiren würden, damit ich nicht verstümmelt werde. Ich habe dem Aufsatz ein kolorirtes Bild, welches sich daraus bezieht, hinzugefügt und bitte Sie, solches der Frau Baronin v. Cotta zu übergeben, damit sie sich des entfernten Schützlings freundlich erinnere.

Ich wünsche, wenn Kolb von England zurückkehrt, ihn zu persuadiren, länger als er beabsichtigt, in Paris zu verweilen, um für die Zukunft sich publizistische Quellen zu erwerben. Denn ist auch die Allgemeine Zeitung das beste Blatt Deutschlands, so wimmelt es doch von Spekulanten, die schon jetzt eine Rivalisazion mit ihr angetreten hätten, wäre nicht die politische Luft verfinstert worden, die aber immer noch ihre Plane in der Tasche tragen. Ich kann dieses besser, als jeder Andere wissen, da dergleichen Leute, indem sie mich irriger Weise für betriebsam halten, mich mit ihren Anträgen beständig belästigen. Besonders in der großen Form der französischen Journale möchten sie gern Zeitungen herausgeben, an den Fonds, die in französischer Akzienweise zusammengeschossen wurden, fehlt es nicht, es fehlt nur an der Hauptsache, an den politischen Federn, deren Deutschland noch lange entbehren wird …«

Mit der ganzen Frische seines impulsiven Wesens hatte sich Heine den Eindrücken des Pariser Lebens und nun dem neuen Beruf hingegeben. Es gefiel ihm außerordentlich in dem lebhaften, geistig hochgehenden Element der Seinestadt, zumal er sich dank guter Empfehlungen von Varnhagen u. A. sehr bald der anregendsten Beziehungen zu erfreuen hatte sowohl zu hervorragenden Familien der deutschen Kolonie, als auch zu französischen Künstlern und Schriftstellern. Der überschickte Gemäldebericht für das Morgenblatt, dessen der Brief erwähnt, zeigte diese Frische des Schauens und Aufnehmens, des Verarbeitens und Schilderns in ihrem vollen Reiz; es waren die Schilderungen des Pariser Salons vom Jahre 1831, wahre Meisterstücke in der nachempfindenden Kunst der Beschreibung merkwürdiger Kunstwerke. Und der hier angekündigte erste politische Brief war die Einleitung zu den »Französischen Zuständen«, in denen er weiter im Jahre 1832 die Eindrücke des politischen Lebens mit der Lebendigkeit persönlichen Erlebens dargestellt und an ihnen seine Ueberzeugung dargelegt hat, daß die bürgerliche Freiheit sicherer zur Entwickelung gelange, wenn sie sich im Kampf gegen die privilegirten Stände auf die konstitutionelle Monarchie stütze, als wenn die radikale Forderung der Republik die Revolution ausschließlich gegen das Königthum richtet. Diese konstitutionelle Monarchie fand er jedoch in dem »Bürgerkönigthum« Louis Philippe's nicht verwirklicht, in welchem er vielmehr nur einen Schein-Konstitutionalismus erblickte, dem das heimliche Streben nach dem alten Absolutismus zu Grunde lag; er bekämpfte in ihm das Metternich'sche System, die heilige Allianz zur Unterdrückung der Freiheit, mit der auch Louis Philippe konspirirte. Er that dies aber auch mit bewußter Wendung gegen das »Jakobinerthum« der deutschen Flüchtlinge in Paris, deren Geistesleben ganz im Kultus der republikanischen Idee aufging und die, wie Börne ihr Tribun bereits war, auch Heine nun als Parteiführer reklamirten, natürlich um von ihm als Gegenleistung zu erlangen, daß er sich auf die Grundsätze ihres Parteiprogramms verpflichte. Heine's ganzes Wesen sträubte sich aber gegen jede Bevormundung, jede Unterordnung; er fühlte sich weder zum Parteiführer, noch zum Parteimitglied berufen. Vor allem fühlte er sich nicht als Gesinnungsgenosse der »eisklugen Staatsgrübler, die alles Heil der bürgerlichen Freiheit von der republikanischen Staatsform erwarteten« und sie erzwingen wollten selbst auf die Gefahr hin einer Erneuerung der Schreckens- und Pöbelherrschaft vom Jahre 1793. »Die Sprache von 1793 heraufzubeschwören«, – und sie klang damals wider, nicht nur in den Versammlungen der Amis du peuple, sondern auch in Börne's Briefen aus Paris – erklärte er gleich in der zweiten seiner politischen Uebersichten für »ein Plagiat an der Vergangenheit«, das zu den Verhältnissen der Gegenwart nicht passe. Er nennt die Hoffnung, daß Frankreich für die Republik reif sei, einen glänzenden Wahn, den er mit glänzendem Witz zu widerlegen sucht durch den Vergleich der Pariser Gesellschaft, die ihn umgiebt, mit den Republiken von Sparta und Athen. »Wie könnte solche Verfassung gedeihen im Foyer der Gourmands, im Vaterlande des Véry, der Vévour, des Carème! Dieser Letztere würde sich gewiß wie Vatel in sein Schwert stürzen als ein Brutus der Kochkunst, als der letzte Gastronom! Wahrlich, hätte Robespierre nur die spartanische Suppe eingeführt, so wäre die Guillotine ganz überflüssig gewesen; denn die letzten Aristokraten wären alsdann vor Schrecken gestorben oder schleunigst emigrirt. Armer Robespierre! Du wolltest republikanische Strenge einführen in Paris, in einer Stadt, worin 150 000 Putzmacherinnen und 150 000 Perruquiers und Parfumeurs ihr lächelndes, frisirendes und duftendes Gewerbe treiben!« Sehr treffend hat Robert Prölß in seiner Heine-Biographie an den Hinweis auf diese Apostrophe die Bemerkung geknüpft, daß Heine seinen Vorwurf gegen die Pariser auch auf sich selbst hätte anwenden können. »Um wahrhaft Republikaner zu sein, hätte er so bedürfnißlos sein müssen, wie Börne es war.« Er fühlte dieß auch selbst, und wie er in den Tagen der Freundschaft mit Börne über diesen an Varnhagen geschrieben: »Er ist viel größer als ich« – womit er dessen politischen Charakter meinte, »ich aber bin großartiger« – wobei er sein poetisches Wesen im Auge hatte, so sagte er jetzt von sich: »Ich bin nicht tugendhaft genug, um jemals dieser Partei mich anschließen zu können; ich hasse aber zu sehr das Laster, als daß ich sie jemals bekämpfen würde.« So klingt denn auch durch seine bald ernsten, bald spöttischen Ausführungen über das Bürger-Königthum unverkennbare Begeisterung für die demokratischen Ideale, aber die Realität des Puritanerthums der deutschen Flüchtlinge wie der französischen »Volksfreunde« forderte gleichfalls seinen Spott heraus; und so schwang er auch über sie seine Pritsche. Seine Art, die sich gegen das Nazarenerthum in jeder Form auflehnte, welcher Tabaksqualm und Kneipenduft ebenso fatal war wie demagogische Kraftrednerei, konnte nicht heimisch werden in den Kreisen, wo die bessere Lungenkraft in breiter Stimmentfaltung den Ausschlag gab und die alten Ideale der deutschen Burschenschaft mit revolutionären Anschlägen verquickt wurden, denen bei der Lage der Dinge in Deutschland sein Verstand jede Aussicht aus Erfolg absprechen mußte. Er fühlte in sich keinen Beruf zum todeskühnen Barrikadenkampf, zu dem die flüchtigen Patrioten vom Schlage eines Jakob Venedey bereit waren; er glaubte nicht an reale Erfolge jener Verbrüderungsfeste im westlichen Deutschland, deren größtes das Hambacher war, wozu Börne sich eine Weile verleiten ließ. Diese Ausfälle gegen den Standpunkt Börne's waren aber die ersten Plänkeleien eines langandauernden Prinzipienkampfes im Lager der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung und einer leidenschaftlichen persönlichen Verfeindung zwischen den beiden Männern, die Börne's Tod noch weit überdauert und in ihren Folgen Heine's Leben bis an sein Ende verbittert hat. Diesen Charakter der Erbitterung gewann der Kampf gleich in jenen Tagen, als Börne und Heine noch den ursprünglich freundschaftlichen Verkehr in Paris unterhielten, auch Heine sich gelegentlich bei den Zusammenkünften des deutschen Arbeiter-Klubs sehen ließ, durch die Rivalität, mit welcher Heine seine »Zustände« den »Briefen« Börne's gegenüberstellte, sowie aber auch durch die Unfähigkeit Börne's, Heine als poetische Natur und nicht als politischen Charakter zu beurtheilen. Er konnte die Spöttereien Heine's über Dinge, die ihm die heiligsten waren, nicht anders erklären, als daß er sich sagte, er müsse bestochen sein. Und so denunzirte er ihn in seinen »Pariser Briefen« ungerechterweise als bestochen von Oesterreich, um dieselbe Zeit, als die österreichische Regierung ihren Einfluß beim alten Cotta gegen die Mitarbeiterschaft Heine's an der »Allgemeinen Zeitung« mit allem Nachdruck geltend machte.

Der sehr lebhafte Briefwechsel, den Heine in den ersten Monaten 1832 mit Cotta unterhielt, hat vielfach diese Verhältnisse berührt, und gleich der erste seiner Briefe (vom 20. Januar) ist ganz davon erfüllt. »Ich bitte Sie um schleunige Abdrucksbeförderung dieses Aufsatzes. Kurz vor Abgang der Post kann ich nur in Eile den Grund dieses Wunsches andeuten. Der zur Genüge bekannte Buchhändler Frankh, der allerlei verfehlte Zeitungsprojekte im Kopfe trägt, liegt noch immer hier, um eine spottwohlfeile Ausgabe der Freiheit für Deutschland zu besorgen, und die Allgemeine Zeitung ist die beständige Zielscheibe seiner Schmähungen und Machinationen. Als nun der erste Artikel der ›Zustände‹ erschien, ärgerte er sich über diesen erhöhten Ton, der ihm an und für sich wohlgefällt, aber nur nicht in der Allgemeinen Zeitung, und er beging die Perfidie, eine verstümmelte übertriebene und verfälschte Uebersetzung davon in die Tribüne setzen zu lassen, mit einigen einleitenden Worten, die ungefähr lauten, als ob diese Korrespondenz von der österreichischen Regierung immediat-influenzirt werde. Dieses Manöver wurde mit den hiesigen deutschen Jakobinern abgekartet, wobei sie zugleich mich, den sie als den Verfasser jenes Artikels überall herumnennen, dergestalt compromittiren wollen, daß ich mich für sie oder gegen sie erklären müsse, wovon ich das erste aus Ueberzeugung, und das andre aus Klugheit bis jetzt unterlassen habe. Ich bin nicht der Mann, der sich zwingen läßt, und sie bewirken nur, daß ich, aus Degout vor der jakobinischen Unredlichkeit, noch gemäßigter als jemals werde. Was Sie mir über Börne schreiben, ist ganz meine Meinung, nur darf ich es aus Klugheit nicht laut werden lassen, da man es in dieser Zeit der Reaktionen als eine feige Sicherung auslegen würde. Auch dieser sonst gescheute Mann läßt sich übertölpeln von einem Frankh, um so leichter, da die Allgemeine Zeitung sich wirklich ignobel gegen ihn gezeigt. Vielleicht mache ich diese Tage eine neue Einsendung und dann ein Mehreres, da jetzt die Post abgeht. Es geht übrigens nichts bedeutendes vor und die kleinen Lumpereien weiß Donndorf doch immer eine Stunde früher als ich, da er sie nur erst bei Tisch erzählt. Es wäre schrecklich, wenn ich nach Paris gekommen wäre, um große Dinge zu beschreiben, und es fiele nichts Großes mehr vor. Ich weiche aber nicht, und sollte ich zehn Mal so lange hier warten, wie die alte Madame Beer auf die Ausführung von Robert le Diable gewartet. Daß ihr Sohn das Ehrenkreuz erhalten, wissen Sie gewiß aus der vorgestrigen Zeitung; aber daß August Schlegel schon vor 3 Monat durch Broglie das Ehrenkreuz erbettelt, wissen Sie vielleicht noch nicht, da man sich das Wort gegeben, es nirgends zu erwähnen. Er ist in diesem Augenblick die lächerlichste Figur in Paris und Humboldt und Koreff tranchiren ihn auf's meisterhafteste. Kolbs Anwesenheit ist mir höchst erfreulich; ohne es zu wissen, lernt er hier täglich, er lernt seine Gedanken klarer zu redigieren, eine Kunst, die die französischen Journalisten so außerordentlich verstehen; er wird in Mysterien des Journalismus eingeweiht, wovon er früher keine Ahnung hatte. In seinem letzten Aufsatz erkenne ich schon solche Fortschritte …« »Kolbs Abreise,« schreibt er am 1. März – nachdem ihn der rauschende Carneval in der letzten Zeit wenig an den Schreibtisch hatte gelangen lassen – »hat mir sehr leid gethan, er wird wohl bereits dort angelangt sein, und meine freundlichsten Grüße überliefert haben. Er wird Ihnen, Herr Baron, auch von den Unbequemlichkeiten meiner hiesigen Stellung unter den Patrioten erzählt haben und Sie werden dadurch einsehen, daß bei meinen Aufsätzen, deren Vertretung nach unten weit schwieriger ist, als nach oben, eine ungewöhnlich gnädige Zensur stattfinden muß. Der beiliegende Aufsatz, den ich selber schon hinlänglich zensirt und worin keine einzige Aeußerung über deutsche Interessen vorhanden, hoffe ich unverändert gedruckt zu sehen. Ich hoffe, er gefällt; er ist auf jeden Fall besser als der vorhergehende und entspricht den Wünschen Kolbs, der in den Ton der ›Allg. Ztg.‹ mehr Leben bringen will. Dies thut wahrlich noth. Die Staatszeitung in Preußen hat schon gefühlt, daß sie wenigstens den ästhetischen Neigungen ihres Publikums nachgeben muß und sie sucht es durch Literatur-Artikel zu kirren. Die Blätter der ›freien Presse‹ bedürfen kaum des guten Stils, da sie die Menge durch das Leben selbst hinreißen. Mit einem Abgeordneten der Zweibrücker freien Preßhefte hat Kolb eine Entrevue gehabt, wovon er Ihnen in Betreff der ›Allg. Ztg.‹ wohl gesprochen. Hier hat sich unterdessen eine Assoziation für freie Preßblätter gebildet, die schon viele Hundert Glieder zählt, und wobei mein Name als Lockvogel mehr als mir lieb ist gebraucht worden. Der Republikanismus der Tribünenleute ist mir fatal und ich sehe schon die Zeit herannahen, wo sie mich als Vertheidiger der Institution des Königthums noch bitterer befehden werden, als Andre. Aber es geschieht den Königen ganz Recht, sie haben die Liberalen, die nur gegen Adel und Pfaffenherrschaft eiferten, nicht hören wollen und jetzt bekommen sie den blutigsten Jakobinismus auf den Hals. Es bleibt ihnen am Ende nichts übrig, als sich in ihre Purpurmäntel zu hüllen und wenigstens mit Anstand unterzugehen. Wir Gemäßigten gehen mit zu Grunde und damit büßen wir vielleicht ab, was in unsrem Oppositionsstreben zuweilen nicht aus den reinsten Absichten entsproß. Ueber lang oder kurz wird in Deutschland die Revolution beginnen, sie ist da in der Idee und die Deutschen haben nie eine Idee aufgegeben, nicht einmal eine Lesart; in diesem Lande der Gründlichkeit wird Alles und daure es noch so lange zu Ende geführt. Hier ist es still. Zwiespalt zwischen den Kammern, woran das Volk keinen Antheil nimmt. – Leben Sie wohl, Herr Baron, grüßen Sie mir allerbestens Frau von Cotta, die geistreich edle Dame. – Passirte nur etwas Wichtiges, so sollten Sie öfter Briefe von mir haben.

Hochachtungsvoll verbleib ich unterdessen,

Ihr ergebener

H. Heine.«

Wie ernst es der Dichter in dieser Zeit mit dem übernommenen Amte nahm, bewies er besonders, als Anfangs April Paris von der Cholera überzogen wurde und er die dadurch geschaffene Lage mit dem Epigramm charakterisirte: »Das juste-milieu hat die Cholera«. Während »fast alle seine Bekannten aus Deutschland« der Hauptstadt entflohen, ließ er sich von der Erwartung fesseln, daß der Mißmuth der armen Klassen unter dem Druck der Seuche sich in Emeuten Lust machen werde. Und er hatte recht vermuthet. Als im Juni dann gelegentlich des Begräbnisses von General Lamarque der Aufstand losbrach, war er am Platze und konnte der »Allgemeinen Zeitung« die lebensvollsten Berichte aus eigener Anschauung geben.

Aus dem durch unsre Briefe näher veranschaulichten Gegensatz, in welchen Heine durch seine journalistische Thätigkeit für die »Allg. Ztg.« gleich im Anfang zu Börne und dem deutschen Flüchtlings-Radikalismus gerieth, sind auch die verschiedenen Vor- und Nachreden zu den Buchausgaben der »Französischen Zustände« entsprungen. Hier hat er sich über sein Verhältniß zur »Allgemeinen Zeitung« und seine Auffassung von dem ihm daraus gewordenen Beruf wiederholt klar und scharf ausgesprochen. Die bezeichnendste Stelle steht in der 2. Vorrede zu den Berichten des Jahres 1832 und lautet: »Ich benutze diese Gelegenheit, um aufs bestimmteste zu erklären, daß ich seit zwei Jahren in keinem politischen Journal Deutschlands, außer der ›Allgem. Ztg.‹, eine Zeile habe drucken lassen. Letztere, die ihre weltberühmte Autorität so sehr verdient, und die man wohl die Allgemeine Zeitung von Europa nennen dürfte, schien mir eben wegen ihres Ansehens und ihres unerhörten Absatzes das geeignete Blatt für Berichterstattungen, die nur das Verständniß der Gegenwart beabsichtigen. Wenn wir es dahin bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu Haß und Krieg verhetzen, das große Völkerbündniß, die heilige Allianz der Nationen, kommt zu Stande, wir brauchen aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere mehr zu füttern, wir benutzen zum Pflug ihre Schwerter und Rosse und wir erlangen Friede und Wohlstand und Freiheit. Dieser Wirksamkeit bleibt mein Leben gewidmet, es ist mein Amt.« Und als er 1854 bei Veranstaltung einer neuen Gesammtausgabe seiner Schriften die Berichte aus den Jahren 1840-43 unter dem Sondertitel »Lutetia« vereinigte, und diesen Band dem freisinnigen Fürsten Pückler-Muskau widmete, schrieb er: »Das vorliegende Buch besteht zum größten Theil aus Tagesberichten, welche ich vor geraumer Zeit in der Augsburger ›Allgemeinen Zeitung‹ drucken ließ. Von vielen hatte ich Brouillons zurückbehalten, wonach ich jetzt bei dem neuen Abdruck die unterdrückten oder veränderten Stellen restaurire … Indem ich eine gute Zahl von ungedruckt gebliebenen Berichten, die keine Zensur passirt hatten, ohne die geringste Veränderung hinzufügte, lieferte ich durch eine künstlerische Zusammenstellung aller dieser Monographien ein Ganzes, welches das getreue Gemälde einer Periode bildet, die ebenso wichtig wie interessant war … Um die betrübsamen Berichterstattungen zu erheitern, verwob ich sie mit Schilderungen aus dem Gebiete der Kunst und der Wissenschaft, aus den Tanzsälen der guten oder schlechten Sozietät, und wenn ich unter solchen Arabesken manche zu närrische Virtuosenfratze gezeichnet, so geschah es nicht, um irgend einem längst verschollenen Biedermann des Pianoforte oder der Maultrommel ein Herzeleid zuzufügen, sondern um das Bild der Zeit selbst in seinen kleinsten Nüancen zu liefern. Ein ehrliches Daguerreotyp muß eine Fliege ebenso gut wie das stolzeste Pferd treu wiedergeben, und meine Berichte sind ein daguerreotypisches Geschichtsbuch, worin jeder Tag sich selbst abkonterfeite und durch die Zusammenstellung solcher Bilder hat der ordnende Geist des Künstlers ein Werk geliefert, worin das Dargestellte seine Treue authentisch durch sich selbst dokumentirt.« Ueber die redaktionell gebotene Anonymität dieser Artikel und die Angriffe, die ihm in Folge redaktioneller Zusätze und Auslassungen zutheil wurden, wie über die Tortur, welche ihm die Selbstzensur bei der zu erwartenden doppelten Zensur des Staates und der Redaktion bereitet, hat er sich schließlich in dem Nachwort zur Lutetia, »Spätere Notiz«, polemisch ergangen. »Da die Redaktion und nicht der eigentliche Verfasser für jeden anonymen Artikel verantwortlich bleibt; da die Redaktion gezwungen ist, das Journal sowohl der tausendköpfigen Lesewelt, als auch manchen ganz kopflosen Behörden gegenüber zu vertreten; da sie mit unzähligen Hindernissen, materiellen und moralischen, täglich zu kämpfen hat, so muß ihr wohl die Erlaubniß anheimgestellt werden, jeden Artikel, den sie aufnimmt, ihren jedesmaligen Tagesbedürfnissen anzumodeln, nach Gutdünken durch Ausmerzen, Ausscheiden, Hinzufügen und Umänderungen jeder Art den Artikel druckbar zu machen, und gehe auch dabei die gute Gesinnung und der noch bessere Stil des Verfassers sehr bedenklich in die Krümpe. Ein in jeder Hinsicht politischer Schriftsteller muß der Sache wegen, die er versieht, der rohen Nothwendigkeit manche bittere Zugeständnisse machen. Es giebt obskure Winkelblätter genug, worin wir unser ganzes Herz mit allen seinen Zornbränden ausschütten könnten – aber sie haben nur ein sehr dürftiges und einflußloses Publikum, und es wäre ebenso gut, als wenn wir in der Bierstube oder im Kaffeehause vor den respektiven Stammgästen schwadronirten, gleich andern großen Patrioten. Wir handeln weit klüger, wenn wir unsre Gluth mäßigen, und mit nüchternen Worten, wo nicht gar unter einer Maske, in einer Zeitung uns aussprechen, die mit Recht eine allgemeine Weltzeitung genannt wird, und vielen Hunderttausenden Lesern in allen Ländern belehrsam zu Händen kommt. Selbst in seiner trostlosen Verstümmelung kann hier das Wort gedeihlich wirken; die nothdürftigste Andeutung wird zuweilen zur ersprießlichen Saat im unbekannten Boden. Beseelte mich nicht dieser Gedanke, so hätte ich mir wahrlich nie die Selbsttortur angethan, für die ›Allgemeine Zeitung‹ zu schreiben. Da ich von dem Treusinn und der Redlichkeit jenes innigst geliebten Jugendfreundes und Waffenbruders seit mehr als 28 Jahren, der die Redaktion der Zeitung leitet, zu jeder Zeit unbedingt überzeugt war, so konnte ich mir auch wohl manche erschreckliche Nachqual der Umarbeitung und Verballhornung meiner Artikel gefallen lassen; – sah ich doch immer die ehrlichen Augen des Freundes, welcher dem Verwundeten zu sagen schien: Liege ich denn etwa auf Rosen? Dieser wackere Kämpe der deutschen Presse, der schon als Jüngling für seine liberalen Ueberzeugungen Noth und Kerker erduldet hat, er, der für die Verbreitung von gemeinnützigem Wissen, dem besten Emanzipationsmittel, und überhaupt für das politische Heil seiner Mitbürger so Viel gethan, viel mehr gethan, als Tausende von bramarbasirenden Maulhelden – er ward von diesen als servil verschrieen …«

Der von Heine mit so warmen Worten Gepriesene war sein Altersgenosse Gustav Kolb, dessen Namen wir in dieser Darstellung schon so oft zu erwähnen hatten, daß es Zeit ist, seiner Persönlichkeit hier des näheren zu gedenken. Als eine ungemein frische, liebenswürdige Natur von nie ermüdendem Antheil für alle höheren menschlichen und nationalen Interessen in Politik und Literatur, treu und anhänglich gegen Freunde, offen und redlich im Bekennen seiner Meinung, tritt uns das Bild dieses Zeitungsmannes überall entgegen, wo unsre Darstellung von ihm zu berichten hat. Auch er war durch Johann Friedrich Cotta der Presse zugeführt worden und zwar kam er direkt aus einer Kerkerzelle des Hohenasperg im Herbst 1826 in die Redaktion der Augsburger »Allgemeinen Zeitung«. Wilhelm Lang hat erst kürzlich in seinem Buch »Von und aus Schwaben« (Stuttgart 1891) ein ansprechendes Bild dieses deutschen Musterredakteurs entworfen, der nahezu vierzig Jahre lang von jener Zeit ab am Webstuhl der Allgemeinen Zeitung gewirkt hat. In seinem Heinebuch hat ferner Gustav Karpeles eine Reihe von Briefen Heine's an diesen einflußreichen Freund, der – wie dies das Schicksal der Redakteure – für sein großes Wirken so wenig Ruhm geerntet, zusammengestellt. Am 6. Mai 1798 zu Stuttgart als Sohn eines geschickten Goldarbeiters geboren, konnte Kolb nur unter Schwierigkeiten zum Besuch der Universität gelangen, die er aber doch 1818 in Tübingen bezog, um Kameralwissenschaften zu studiren. Er schloß sich mit Begeisterung der Burschenschaft an und erlebte mit der ganzen Empfindsamkeit eines lyrisch gestimmten Jugendsinns den grausamen Schlag, der ihre Existenz schon im nächsten Jahre traf. Seine zum Pathetischen neigende Natur nahm die Ziele der Burschenschaft und die Verfolgung sehr ernst. Die Emissäre der geheimen Neugestaltung des Bundes, Wilhelm Snell und Karl Follen, fanden in ihm den erwünschten Organisator ihrer Bestrebungen für Tübingen. Zu seinen besonderen Freunden zählte Gräter, der schwäbische Delegirte aus dem geheimen Burschentag in Dresden, und der Buchhändler Liesching, der damals den »Deutschen Beobachter« gegründet hatte und sich als Sendbote in den Dienst der geheimen burschenschaftlichen Propaganda stellte. Als im Frühjahr 1821 die Revolution in Piemont ausbrach, folgten Kolb und Gräter dem Rufe eines Sendboten der Carbonari zur Theilnahme. Kolb hatte nebenbei die Berichterstattung für Seybolds »Neckarzeitung«, an welcher auch Börne Mitarbeiter war, über die Vorgänge in Piemont und Neapel übernommen. Doch wurden die Erhebungen so schnell niedergeschlagen, daß die jungen Schwärmer auf dem Kriegsschauplatz zu spät erschienen. Auf der Rückreise besuchte er in Chur Karl Follen und E. von Dittmar, mit denen er den Plan eines geheimen Jugendbundes nach dem Muster der Carbonari und im Wechselverkehr mit einem »Bunde der Männer« entwarf, dem ersteren mit anderen Flüchtlingen beitrat und es übernahm, in Tübingen einen Zweigverein aus Mitgliedern der Burschenschaft zu bilden, was auch geschah. Die tüchtigsten derselben traten dem Bunde bei: Mebold (später auch Redakteur der Allgemeinen Zeitung), Gräter, Rödiger, W. Wagner, Leonhard und Gottlob Tafel, – später Führer der Volkspartei im Verfassungsleben von Württemberg. Kolb nahm eine unbestrittene Führerrolle ein. Obgleich bei der Regierung denunzirt, ließen ihn der liberale Minister Schmidlin und Kanzler Autenrieth unbehelligt den Abschluß seiner Studien betreiben. Schon hatte er am Steueramt seiner Vaterstadt Anstellung und im Kreise des Prokurators Albert Schott den Boden für eine bürgerliche Bewähr seiner patriotischen Gesinnung gefunden, als die Mitglieder des geheimen Jugendbundes gefänglich eingezogen wurden. Metternichs Emissäre und die Untersuchung der Mainzer Zentralkommission waren seiner Organisation auf die Spur gekommen. Die württembergische Regierung wurde durch den Bundestag zum Einschreiten genöthigt. Ende September 1824 trat Kolb seine Haft auf dem Hohenasperg an, unter seinen Mitgefangenen befand sich auch der Sachse Karl Hase, der dem Erlanger Geheimbund angehört hatte und seit einem Jahre Privatdozent der Theologie in Tübingen war. In seinen Lebenserinnerungen »Ideale und Irrthümer« hat dieser auch Kolbs gedacht. Er erzählt, daß auf Kolb die strenge Einzelhaft in einem kellerartigen Gelaß sehr drückend gewirkt habe. Derselbe fühlte sich als den Hauptschuldigen, als den Stifter des Bundes, den Verführer der anderen, und so faßte er den Entschluß, für die anderen auch durch ein offenes, die Freunde entlastendes Geständniß zu büßen.

»Er hatte Alles eingestanden, Alles auf sich genommen, Keinen verrathen,« sagt Hase von dem Ergebniß der Untersuchung. Er wurde zu vier Jahren Hohenasperg verurtheilt, nach zweijähriger Buße aber begnadigt. Der württembergische Justizminister, der den jungen Idealisten bei dieser Gelegenheit näher kennen gelernt hatte, empfahl ihn an Cotta als eine gewiß sehr entwicklungsfähige Begabung für den journalistischen Beruf, was sich auch sogleich bestätigte, als der Chef der Cotta'schen Buchhandlung ihn Ende 1826, zunächst als Korrektor und Uebersetzer, in das Bureau der »Allgemeinen Zeitung« nach Augsburg nahm und seinem wackeren Faktor und Faktotum Reichel zur Einschulung überwies. Unter Stegmann und Lebret, deren süddeutsch-partikularistischem Standpunkt er seinen großdeutschen gegenüberstellte, deren allzu diplomatische Weise er durch seine frische liberale Opposition belebte, erlangte er bald eine größere Selbständigkeit, zumal seine Eigenschaften dem alten Baron das größte Zutrauen und ein fast väterliches Wohlwollen abgewannen. Er ließ ihn wiederholt reisen – nach Paris, London –, damit er seine Weltkenntniß und politische Bildung im praktischen Leben abrunde. In seinem Verkehr mit ihm durfte sich Kolb des größten Freimuths bedienen. Dieser wußte dabei seine Offenherzigkeit stets in so schönem Einklang mit den ihn gegen seinen Wohlthäter beseelenden Gefühlen zu halten, daß die Zeugnisse dieses Verkehrs den sympathischsten Eindruck machen.

Gerade das Jahr 1832, das letzte Lebensjahr Cotta's, dasselbe, in welchem Gustav Kolb Paris besuchte und Heine seine ersten Berichte für die »Allgemeine Zeitung« schrieb, wurde dem Wackeren außerordentlich unter der auf den kurzen liberalen Aufschwung erfolgenden Reaktion, welcher das Hambacher Fest zum Vorwand diente, verbittert. Die Bundestagsbeschlüsse vom 28. Juni, welche den Vernichtungskrieg des preußisch-österreichisch-russischen Bündnisses gegen die im deutschen Süden und Westen zu Kräften gelangten Repräsentativverfassungen eröffneten, welchem in erster Linie die liberalen Zeitungen der am Hambacher Fest betheiligten Redakteure zum Opfer fielen, bereiteten auch den Cotta'schen Zeitungen, vor allem der »Allgemeinen«, die größten Beschwernisse. Die Zensur arbeitete wieder unter Hochdruck. Die besten Mitarbeiter wurden unmöglich. Dabei machten die persönlichen Beziehungen Cotta's zu Königen und Ministern, die aus besseren Zeiten stammten, es ihm und seinen Redakteuren immer schwieriger, den Kurs seiner Blätter zwischen den Sandbänken der Reaktion und den Klippen der Revolution zu erhalten. Die Regierungen begannen, die »Allgemeine Zeitung« aufs neue als revolutionsdienerisch zu vervehmen, während der in politischen Geheimbünden, in den Freistätten von Paris und der Schweiz erstarkende Flüchtlings-Radikalismus sie das servilste deutsche Blatt nannte. Da war es Kolb, der in dieser Bedrängniß seinem Chef, dessen alte Kraft unter den lähmenden Hemmungen und Sorgen sich zu beugen begann, im Namen der bedrohten politischen Ideale, die er mit diesem theilte, Muth im Ausharren zusprach: »Sollten wir nicht in besonnener Freimüthigkeit fortfahren, bis die Nothwendigkeit, für die man jetzt in Frankreich sorgt, wirklich eintritt. Mir schiene dies höchst ehrenvoll von der ›Allgemeinen Zeitung‹, während eine Klage über ein entgegengesetztes Benehmen, wenn die Klage aus dem Munde eines Mittermaier käme, schwer lasten würde. Gewinnen überhaupt nicht bei vernünftigem Gleichmuth am Ende die Fürsten am meisten? Welch furchtbaren Abgrund graben sie sich mit sorgloser Hand. Aber ich will nicht von ihrem Interesse, ich will nur von ihrer Ehre sprechen. Nicht Einer, der die Ehre seines Worts, seines Namens wahrte! … Ich könnte Thränen weinen, so voll Schmerz, Grimm und Verachtung ist mir das Herz. Und wie ich denken tausend und abertausende von Gemäßigten in Deutschland! Das sind furchtbare Saaten, die in naher Zukunft gräßlich aufgehen werden. Mißkennen Sie nicht diese warmen Worte; gegen wen könnte ich die Brust vertrauensvoller ausschütten als gegen einen so väterlichen Freund und Wohlthäter!« Er warnt vor den »furchtbaren Konsequenzen« des von den Regierungen gegebenen Beispiels, »bestehendes und beschworenes Recht« mit Füßen zu treten, findet aber einen Trost in dem Gedanken, daß diese Konsequenzen »zur Einheit führen werden und die Einheit sich dann schon selbst zu helfen wissen wird.« »Das hätten zehntausend Hambacher Feste nicht vermocht.« Auch die »Annalen« geriethen durch die reaktionären Beschlüsse gegen die Presse wieder in Bedrängniß. »Geben Sie die ›Annalen‹ lieber ganz auf. Ueberhaupt beschränken Sie doch, ich flehe Sie an, Ihre Geschäfte nur auf die, welche den evidentesten Nutzen bringen und werfen Sie alles andere, was so störend, so peinlich in Ihr Leben tritt, mit festem Entschlusse hinter sich. Nur eines Entschlusses bedarf es, um Sie aus so manchem schmerzlichen Verhältniß zu ziehen, in welche der Widerspruch Sie warf, in den Ihr thätiger Geist mit dem Drange schwerer Zeiten gerieth. Das Herz blutet mir, wenn ich Sie in Ihrem Alter von solchem Kampfe gedrückt und von solchen Gegnern mißhandelt sehe. O entziehen Sie sich diesem Kampf und ruhen Sie still, nur von den wenigen einträglichsten Geschäften umgeben, von Ihrem überreichen Leben aus. In diesen Gesinnungen von Herzen und Seele Ihr ergebenster Gustav Kolb.«

Am Ende seiner Tage sah sich der große Stratege im Festungskriege der Geister – wie wir ihn Eingangs nannten – von seiner Strategie im Stich gelassen. Sie genügte bei der scharfen Spannung der sich bekämpfenden Prinzipien nicht mehr. Die deutschen Demokraten nannten jetzt Cotta – den starken Bahnbrecher der Preßfreiheit, der deutschen Zolleinheit und des konstitutionellen Gedankens – eine Kreatur Metternichs und von Metternich wurde er andrerseits mit dem Vorwurf bedacht, der Revolution Vorschub zu leisten. Heine's politische Berichte aus Paris boten der Wiener Staatskanzlei hierzu die Handhabe. Hatten Börne und seine Gesinnungsgenossen diese Berichte für von Oesterreich beeinflußt erklärt, das geistige Oberhaupt der heiligen Allianz in Wien hatte eine bessere Spürkraft für den revolutionären Gehalt dieser mit bestechender Frische und echt journalistischer Kunst geschriebenen Artikel; Metternich erkannte in ihrem Verfasser einen seiner gefährlichsten Gegner. War er doch von der Macht seines Talents überzeugt, wie er gleich Gentz auch ein großer Verehrer von Heine's erotischer Lyrik war. Und so ließ er denn durch Gentz an Cotta einen energischen Verwarnungsbrief schreiben, der dem alten Baron den Vorwurf machte, daß sein Blatt schon seit längerer Zeit dem Krieg und der Revolution mächtigen Beistand leiste. Von dem Verleger der Zeitung könne man doch füglich nicht annehmen, daß er zu der Partei derjenigen übergegangen sein sollte, die das Heil der Welt – sei es im Sinne einer gewaltsamen Kontrerevolution oder eines völligen Umsturzes der alten gesellschaftlichen Ordnung – vom Kriege allein erwarten. »Endlich aber ist das Maß – verzeihen Sie mir das starke Wort – dieser falschen, und, wie ich glaube, höchst verderblichen Richtung voll geworden durch die Aufnahme der schmählichen Artikel, die Heine seit einiger Zeit unter dem Titel ›Französische Zustände‹ wie einen Feuerbrand in Ihre, solchem pöbelhaften Muthwillen bis dahin unzugängliche Zeitung geworfen hat. Ich begreife vollkommen, wie auch dergleichen Artikel ihre Liebhaber und viele Liebhaber finden, denn ein sehr großer Theil des Publikums ergötzt sich inniglich an der Frechheit und Bosheit eines Börne und Heine … Dies alles befremdet mich nicht … Daß Sie aber jene giftigen Ausschweifungen, die Sie zuverlässig nicht billigen, auch nur dulden können, geht einigermaßen über meine Begriffe. Was ein verruchter Abenteurer wie Heine, den ich als Dichter gelten lasse, ja sogar liebe, und gegen den also kein persönlicher Haß mich bewegt, eigentlich will und wünscht, indem er die heutige französische Regierung in den Koth tritt, mag ich nicht weiter untersuchen, obwohl es sich ziemlich leicht errathen läßt … Die Wahl bleibt nur noch zwischen den Redakteurs des ›Freisinnigen‹ (Rotteck und Welcker), als der – Gott stehe uns bei! – gemäßigteren Revolutions-Coterie, und Volksvertretern wie Heine, Wirth, Siebenpfeiffer &c.«

Strodtmann hat in seiner Heine-Biographie diesen höchst interessanten Brief ausführlicher mitgetheilt und daran die Bemerkung geknüpft, daß Cotta unter dem Eindruck dieser Verwarnung, der die gleichzeitige Unterdrückung des »Freisinnigen« und anderer Blätter einen beredten Kommentar gab, dieselbe sofort beherzigt habe. »Heine mußte seine Korrespondenzberichte einstellen.« Wir aber haben zum Ruhm desjenigen, der wie kein anderer Deutscher dazu beigetragen hat, daß die Presse in Deutschland trotz aller Anfechtungen der Staatsgroßmächte in jenen Tagen der Bedrängniß doch zur sechsten Großmacht erstarkte, festzustellen, daß Cotta auch unter dem Eindruck des Gentz'schen Briefes den von ihm gerade als Zeitschriftsteller geschätzten Dichter keineswegs preisgegeben hat in jener Zeit, da dessen Bücher ohnehin fast überall in Deutschland verboten waren. Er ließ ihm durch Kolb schreiben, daß die Beibehaltung des bisherigen scharfen Tons in seinen Berichten unter den neuen Zensur- und Preßverhältnissen nicht mehr möglich sei, dafür aber ihn bitten, doch in einer geeigneteren Form in seiner Korrespondenz aus Paris fortzufahren. Hierüber giebt der folgende Brief Heine's an Johann Friedrich vom 1. Januar 1833 die das bisherige Dunkel klar erhellende Auskunft.

»Herr Baron! Zu dem beginnenden neuen Jahr habe ich das Vergnügen, Ihnen und der Frau Baronin freundlichst zu gratuliren. Man sollte sich diesmal eigentlich rückwärts gratuliren, nämlich, daß man im vorigen Jahr leben geblieben.

Eine nahe Veranlassung meines heutigen Schreibens ist ein französischer Aufsatz über Frankreich, welchen ich vorige Woche an Kolb für die ›Allgemeine Zeitung‹ geschickt. Es ist dies nämlich der Anfang einer Reihe Artikel, welche in einer französischen Zeitschrift, der › Revue des deux mondes‹, erscheinen soll, und wovon das Manuskript immer eine Zeit vorher an die »Allgemeine Zeitung« geschickt werden kann; diesmal schickte ich nur den ersten Korrekturbogen. Diese Aufsätze sind nicht von mir, sondern von Herrn Loewe-Weimars, der als eine der besten Federn Frankreichs geschätzt wird und den Sie vielleicht aus seinen literarischen Feuilletons im ›Temps‹ kennen. Ich erachte es für höchst vortheilhaft, ihn mit der ›Allgemeinen Zeitung‹ in Verbindung zu setzen, indem er, vermittelst seiner höchst bedeutenden Verbindungen, politisch am besten unterrichtet ist, in bewegten Zeiten durch besondere Korrespondenz sehr schätzbar und in dieser windstillen Zeit durch Mittheilung seiner französischen Artikel sehr nützlich sein kann. … Ich wünsche dabei nur, daß Andre Ihnen in diesem Augenblick nützlicher sein möchten, als ich mit dem besten Willen es vermag. Es geht nichts vor, was in den Kreis meiner Berichterstattungen gehört. Auch will ich Ihnen mit kleinen unwichtigen Notizbriefen Ihr Geld nicht abstehlen. Daß ich nicht mehr im halben Reflexionsstile des vorigen Jahres schreiben dürfte, habe ich aus Kolbs letztem Brief ersehen und dabei bin ich durch die jetzigen Reakzionen sehr bitter gestimmt. Obgleich ich Ihnen aus diesem Grunde eine ganze Weile nichts geschickt und auch vielleicht diesen Monat nichts schicke, bin ich dennoch grandios denkend genug, diese Tage, sobald ich die Karlsruher Herren Haber sehe, an deren Ordre eine Tratte von fl. 300 auf Sie abzugeben; ich bemerke dieses im voraus für den Fall, daß ich etwa, um Briefporto zu sparen, nicht gleichzeitig darüber Advis ertheile. – Herr Donndorff wird Sie von den Wünschen der Unternehmer der Europe littéraire unterrichtet haben. Die artistischen Tendenzen dieses großartigen Journals werden Ihnen als nützlich einleuchten. Ich gehöre gewissermaßen zu den Redaktoren, und denke in diesem Blatt für deutsche Literatur viel zu wirken. Ich beschäftige mich überhaupt in diesem Augenblick, wo das politische Interesse erlischt, wieder viel mit Kunst, mache Vorbereitungen zu großen Reisen u. s. w.

Auf die Gemälde-Ausstellung, die in 4 Wochen beginnt, bin ich sehr gespannt und halte dafür die Feder bereit.

Sie wissen vielleicht, daß man Anstalt machte, die ›Französischen Zustände‹ in fatalster Veränderung und untermischt mit liberal-schnitzlerischen oder geistreich Donndorff'schen Briefen nachzudrucken. Ich entschloß mich daher, diese Zustände selbst herauszugeben und schrieb dazu noch eine gehörige Zahl Druckbogen, worin ich mich ganz aussprach und meine Gesinnung, die man aus den Zuständen zu verdächtigen gesucht, vollständig an den Tag legte. Nun erfahre ich gestern, daß der Hamburger Campe, welcher das Buch druckte, aus Angst es verstümmelt hat, und daß Auslassungen darin stattfinden, wodurch in Deutschland meine Ehre und in Frankreich meine Person exponirt werden. Ich werde dieser Tage deßhalb eine desavouirende Erklärung an's Publikum schreiben müssen. Ich erzähle Ihnen Das nicht aus Bavardage, sondern weil Sie am besten die Nöthen eines armen Schriftstellers begreifen. Indem ich Sie bitte, mir Ihre freundschaftlichen Gesinnungen zu bewahren, verharre ich mit Hochachtung, Herr Baron,

Ihr ergebener

H. Heine.«

Der Gratulationsbrief gelangte in ein Trauerhaus. Das böse Reaktions- und Cholerajahr, das so Vielen Freiheit, Glück und Leben geraubt, hatte als einen der letzten – am 29. Dezember – auch noch den Adressaten mit dahingenommen. Der »alte Cotta« war todt. Sein Sohn und Erbe, der Legationsrath Johann Georg Cotta von Cottendorf, war der Empfänger des Briefs. Die Uebernahme des weitverzweigten Geschäfts stellte ihn vor eine Aufgabe, welcher er nur allmählich Herr werden konnte. Dem großen Beispiele seines Vaters folgte er aber auch in der Aufrechterhaltung der alten Beziehungen des Cotta'schen Hauses zu Heine; er ließ ihn wiederholt durch Kolb, Lebret und Lewald begrüßen und zu fleißiger Mitarbeit an den Journalen auffordern, besuchte ihn sogar selbst in Paris; wenn Heine erst 1840 wieder eine umfassendere Thätigkeit für die »Allgemeine Zeitung« eröffnet hat, so war es nicht die Schuld des neuen Besitzers der Cotta'schen Buchhandlung. Uebrigens erschienen bereits 1833 in der »Allgemeinen Zeitung« die Briefe Heine's über den »Salon« dieses Jahres, 1836 ebenda die geistreichen Plaudereien über das Musikleben der französischen Hauptstadt – Meyerbeer, Liszt, Chopin, Berlioz –, und im »Morgenblatt« Abschnitte aus den Florentinischen Nächten, 1837 die Briefe über die französische Bühne für Lewalds Theaterrevue.

*

Mit der geharnischten Vorrede, mit der Heine die Buchausgabe der französischen Zustände begleitet, die das Kühnste ist, was gegen die reaktionären Bundesbeschlüsse von 1832 und ihre Urheber geschrieben worden ist, hatte er für lange Zeit sein letztes Wort als politischer Schriftsteller ins Vaterland gesandt. Diese »Rede mit der Feder«, wie so manche seiner Vorreden eine der glänzendsten Offenbarungen seiner Redegewalt und seines Stils, der dann am schärfsten, klarsten und klingend wie von Metall war, wenn er im Zorn, aus tiefster Erregung schrieb, trägt das Datum: den 18. Oktober 1832. So war seit Luther nie mit deutschen Fürsten geredet worden, so vernichtungsmuthig hat keiner seiner Zeitgenossen, indem er die Machthaber mit Hohn und Spott bekriegte, seine innerste Geringschätzung zur Aussprache gebracht. Durch diese ganze Anrede klingt das Geständniß: so würde ich in die Zeitungen schreiben, wenn keine Zensur bestünde, klingt die Erklärung: ihr wollt mir das Wort in der Heimath ganz verbieten; gut, aber ehe ich verstumme, sollt ihr meine Meinung in aller Nacktheit erfahren! Es war die Antwort auf den Gentz'schen Brief an Cotta. »Der Haß meiner Feinde darf als Bürgschaft gelten, daß ich mein Amt recht treu und ehrlich verwaltet. Ich werde mich jenes Hasses immer würdig zeigen. Meine Feinde werden mich nie verkennen, wenn auch die Freunde, im Taumel der aufgeregten Leidenschaften, meine besonnene Ruhe für Lauheit halten möchten. Jetzt freilich, in dieser Zeit werden sie mich weniger verkennen als damals, wo sie am Ziel ihrer Wünsche zu stehen glaubten, und Siegeshoffnung alle Segel ihrer Gedanken schwellte; an ihrer Thorheit nahm ich keinen Theil, aber ich werde immer Theil nehmen an ihrem Unglück. Ich werde nicht in die Heimath zurückkehren, so lange noch ein einziger jener edlen Flüchtlinge, die vor allzugroßer Begeisterung keiner Vernunft Gehör geben konnten, in der Fremde, im Elend weilen muß … Ich werde mich nie schämen betrogen worden zu sein, von Jenen, die uns so schöne Hoffnungen ins Herz lächelten: wie alles aufs friedlichste zugestanden werden sollte, wie wir hübsch gemäßigt bleiben müßten, damit die Zugeständnisse nicht erzwungen und dadurch ungedeihlich würden, wie sie wohl selbst einsähen, daß man die Freiheit uns nicht ohne Gefahr länger vorenthalten könne …« »Ja, wir sind die Düpes geworden, und wir müssen eingestehen, daß die Lüge wieder einen großen Triumph erfochten und neue Lorbeeren eingeerntet. In der That, wir sind die Besiegten, und, seit die herrische Ueberlistung auch offiziell beurkundet worden, seit der Promulgation der deplorablen Bundestagsbeschlüsse vom 28. Junius, erkrankt uns das Herz in der Brust vor Kummer und Zorn … Letztere, die Bundestagsbeschlüsse, kann ich nicht unbesprochen lassen. Ich werde ihre amtlichen Vertheidiger nicht zu widerlegen, noch viel weniger, wie vielfach geschehen, ihre Illegalität zu erweisen suchen. Da ich wohl weiß, von welchen Leuten die Urkunde, worauf sich jene Beschlüsse berufen, verfertigt worden sind, so zweifle ich keineswegs, daß diese Urkunde, nämlich die Wiener Bundesakte, zu jedem despotischen Gelüste die legalsten Befugnisse enthält. Bis jetzt hat man von jenem Meisterwerk der edlen Junkerschaft wenig Gebrauch gemacht, und sein Inhalt konnte dem Volke gleichgültig sein. Nun es aber ins rechte Tageslicht gestellt wird, dieses Meisterstück, nun die eigentlichen Schönheiten des Werks, die geheimen Springfedern, die verborgenen Ringe, woran jede Kette befestigt werden kann, die Fußangeln, die versteckten Halseisen, Daumenschrauben, kurz, nun die ganze künstliche, durchtriebene Arbeit allgemein sichtbar wird: jetzt sieht Jeder, daß das deutsche Volk, als es für seine Fürsten Gut und Blut geopfert und den versprochenen Lohn der Dankbarkeit empfangen sollte, aufs heilloseste getäuscht worden, daß man ein freches Gaukelspiel mit uns getrieben, daß man, statt der zugelobten Magna Charta der Freiheit, uns nur eine verbriefte Knechtschaft ausgefertigt hat.« Und nun folgte der direkte Angriff auf die preußische Regierung, auf den König von Preußen selbst: Majestätsbeleidigungen, aber voll Majestät des beleidigten Volksbewußtseins.

Dieses Schriftstück war wieder eine jener elementaren Explosionen seines Geistes, mit denen sein Dämon, sobald er herausgefordert, ihn antrieb, die Rückzugsbrücken seiner klugen Vorbedacht in die Luft zu sprengen. Jetzt war er wirklich ein Verbannter – nicht mehr ein freiwillig Entfernter. Jetzt kam sein Name auf die Liste der proskribirten Landesfeinde. Die Rückkehr war ihm abgeschnitten. Er wandte sich jetzt wieder der Kunst und Wissenschaft zu und begann seiner Thätigkeit zu Gunsten der »Allianz der Völker«, für Frieden und Freiheit, eine neue Richtung zu geben; die Aufklärung der Franzosen über Wesen und Werden der deutschen Bildung, der neueren deutschen Literatur und Philosophie, wurde die Aufgabe, der er sich jetzt als Mitarbeiter französischer Zeitschriften, der » Europe littéraire« und der » Revue des deux Mondes« mit glänzender Entfaltung seines Geistes weihte. Was er in einer Stunde ernster Selbstschau – bei Niederschrift seines Testaments – über seine schriftstellerische Laufbahn geschrieben: »Es war die große Aufgabe meines Lebens, an dem herzlichen Einverständnisse zwischen Deutschland und Frankreich mitzuarbeiten, und die Ränke der Feinde der Demokratie zu vereiteln, welche die internationalen Vorurtheile und Animositäten zu ihrem Nutzen ausbeuten« – findet namentlich durch diese Aufsätze zur neueren deutschen Geistesgeschichte schöne Bestätigung. Herrlicheres – so einfach, klar und groß – ist über die Tiefe des deutschen Volksgemüths, über den Hochsinn des deutschen Volksgeistes, ist über Luther, Lessing, Kant von keinem andern deutschen Schriftsteller geschrieben worden, als in diesen französischen Artikeln eines vervehmten deutschen Dichters für französische Journale. Seine hier durchgeführte Unterscheidung zwischen dem weltflüchtigen Spiritualismus des christlichen Mittelalters und dem hellenischen Sensualismus der Goethe'schen Kunstperiode hat auf die gesammte Literaturepoche, die er nun selber beeinflußte, Richtung gebend gewirkt. Mit dieser Unterscheidung deckte sich auch der Gegensatz seiner politischen Ideale zu dem des Börne'schen Puritanismus; schwebte diesem die Erlösung der Menschen, vom Leid der Knechtschaft als Ideal vor, so Heine die Auferstehung der Menschheit zur Freude im Zeichen der Freiheit. Und auch hierin spiegelt sich der Unterschied zwischen dem politischen Charakter Ludwig Börne's und der künstlerischen Natur Heinrich Heine's. Börne trieb es: an die Realität der Zustände der Gegenwart die scharfe Sonde seines kritischen Verstandes zu legen; Heine's dichterische Phantasie: mit Spott und Verachtung über die Trübsal der gegenwärtigen Zustände hinweggehend, aus dem blauen Himmel der Zukunft seine Hoffnungen mit prophetischem Geist auszumalen.

Aus dem Gegensatz dieser beiden merkwürdigen Begabungen, die einem »jungen Deutschland« geistiger Art zu Führern wurden, haben sich für dieses viel verhängnißvolle Folgen ergeben. Beide hatten als Schriftsteller unter dem Druck der Zensur dem Triebe, politisch zu wirken, vielfach die Gesetze der Aesthetik zum Opfer gebracht, die Formen der poetischen Kunst mit subjektiver Willkür gesprengt. Der originelle Reiz gerade dieser Produkte, die magnetische Macht der zeitgemäßen politischen Ideen, die sie beseelte, hat es gefügt, daß sie vor allem zu Mustern wurden für die ums Jahr 1830 hervortretende Schriftstellergeneration. Und doch hatten Heine und Börne bereits durch ihr Beispiel der politischen Schriftstellerei und der zeitgemäßen Poesie die verschiedenen Bahnen vorgezeichnet, die ihren so verschiedenen Mitteln, Zwecken und Zielen entsprechen. In Börne hatte der Politiker den Dichter völlig überwunden, als er in den »Briefen aus Paris«, soweit sie kritische Berichterstattungen waren, sich als ein mustergebender Meister der reinen politischen Tagesschriftstellerei bewährte. In Heine, dem bei weitem größeren Talent, emanzipirten sich nach der Sturm- und Drangzeit der »Reisebilder« der Dichter und der Journalist von einander. Der gewaltsamen Unterordnung des poetischen Gestaltens und der ästhetischen Beurtheilung unter die Forderungen politischer Grundsätze hat Heine in Paris das Beispiel einer Klärung gegenübergestellt, kraft deren er die Verquickung von poetischer Darstellung und politischer Polemik, wie sie in den »Reisebildern« herrscht, hinter sich ließ und der Politik gab, was der Politik, der Poesie gab, was der Poesie ist. Er stutzte den politischen Tagesbericht, die philosophische Erörterung, die kunstkritische Betrachtung nicht mehr mit reinpoetischen Elementen auf und durchsetzte andrerseits das poetische Erzeugniß nicht mit rhetorischen Abschweifungen politischer Art, wobei beide Elemente – wenn auch reizvoll – nur fragmentarisch zur Geltung kamen. Sein gereiftes künstlerisches Gesicht drang jetzt darauf, jede literarische Form in ihrer Selbständigkeit und Eigenart zu pflegen: den politischen Tagesbericht, das poetische Stimmungsbild, den geschichtsphilosophischen Essay, die Kunstkritik, das erotische Lied und die satirische Zeitdichtung, für welche letztere er sich neue Formen reinen Stils in metrischer Gestaltung erfand. Er beseelte sie alle mit der Tendenz seines Geistes, von dem er selber gesagt hat, daß er von der Natur bestimmt sei, »das Schlechte und Verlebte, Absurde, Falsche und Lächerliche einem ewigen Spotte preiszugeben, das Erhabene aber zu bewundern und das Lebendige zu feiern«. Doch diese Tendenz war jetzt nicht mehr Gegenstand der Darstellung selbst. Als die Tendenzpoesie Mode wurde, schrieb Heine Zeitgedichte mit der Tendenz, diese Art Poesie zu verspotten.

Und so gab Heine auch die Kunstkritik der Sachlichkeit zurück, der sie Börne entfremdet hatte. Wohl bespricht auch er die Gemälde und Dramen der französischen Romantiker in ihrem Zusammenhange mit der Zeitgeschichte, aber zugleich auch mit den Bedingungen ihres künstlerischen Werdens als Offenbarungen eigenartiger Individualitäten. Er fragt nicht nur: was ist das Kunstwerk werth im Verhältniß zu der Verpflichtung des Künstlers, die Ideen der Zeit auszudrücken; er fragt: Was bot hier der Künstler gemäß dem inneren Muß seiner Natur, die wie sie geworden – an sich schon – ein Ausdruck der Zeit ist? Sein elementares Kunstgefühl und sein hochentwickelter Kunstverstand, der sich bereits in seiner ersten größeren Kritik (über Tasso's Tod von Smets, 1821) und dann in seinem ideenreichen Aufsatz über Menzels »Deutsche Literatur«, mit ihrer glänzenden Vertheidigung und Verherrlichung des Genies und der Poesie Goethe's bewährt, haben durch ihre kräftigen Aeußerungen inmitten den verwirrenden Geisteskämpfen der Uebergangszeit vor und nach Goethe's Tod ungemein klärend, ordnend, reinigend gewirkt – um so erfolgreicher, weil er selber als Gegner der Goetheschen Ruhseligkeit schon in demselben Aufsatz den Satz vertheidigt, daß »Kunst und Alterthum« nicht im Stande seien, Natur und Jugend zurückzudrängen. Er fühlte sich – als Dichter und Kunstbeurtheiler – in einer gährenden Uebergangszeit, die »wie sie neue Zustände des politischen und sozialen Lebens gebärt, auch ein neue Kunst hervorbringen müsse, die mit der neuen Zeit selbst im Einklang steht, die nicht aus der verblichenen Vergangenheit ihre Symbolik zu borgen braucht und die sogar eine neue Technik, die von der seitherigen verschieden, hervorbringen werde.« Der aber ist ihm der größte Künstler, der mit den wenigsten und einfachsten Symbolen das Meiste und Bedeutendste ausspricht, wobei es ihm des schönsten Preises werth dünkt, wenn die Symbole, abgesehen von ihrer Bedeutsamkeit, auch schon an und für sich die Sinne erfreuen. Und im Zusammenhang mit seiner tiefgreifenden Unterscheidung zwischen dem weltflüchtigen Spiritualismus des christlichen Mittelalters und dem weltfreudigen Sensualismus, aus dem sich auch seine Forderung einer Emanzipation der Sinne zum freien Genuß des Schönen ergab, leitet er aus dieser auch für die Poesie und Kunst die eines Realismus ab: »der die Materie wieder in ihr Recht, ihre Würde, ihre moralische Anerkennung einsetzt und ihre Versöhnung mit dem Geiste herbeiführt.«

Für die Uebergangsperiode freilich, welcher er selbst angehörte und deren zersetzenden, revolutionären Charakter er in sich wirken fühlte, nahm er ein freies Walten der »entzügelten Subjektivität« als Recht der Künstler in Anspruch, das aus jener reformatorischen Aufgabe entspringe. Entzügelte Subjektivität ist auch das Kennzeichen seiner Dichtung. Mit solch entzügelter Subjektivität hat er an den politischen Kämpfen theilgenommen, hat er die Ideen der bürgerlichen Freiheit durch den Zauber poetischer Verklärung zu Idealen erhöht, die auf die folgende Generation zaubermächtig gewirkt. Weil er aber mit dieser entzügelten Subjektivität als politischer Schriftsteller von einer Zeit überholt wurde, in welcher der deutsche Stimmungsliberalismus in politischen Parteien feste Formen suchte, gerieth er mit seinen Gesinnungsgenossen in jene Konflikte, welche die eigentliche Tragik seines Lebens ausmachen. Denn die Unterordnung der Subjektivität unter das Gemeinwohl und die Prinzipien einer Gesinnungsgemeinschaft ist es ja, was den politischen Charakter ausmacht. Darum mußte Heine persönlich als Politiker Schiffbruch leiden; was er aber als Dichter und Zeitschriftsteller, auch mit seiner Subjektivität, für den politischen Fortschritt geleistet, wird dadurch um nichts geschmälert. Und so viel sich auch gegen die Reinheit seines Charakters sagen läßt, weil er, wenn auch in schwerer Nothlage (1836), als das allgemeine Verbot seiner Bücher in Deutschland und eine Verstimmung seines Onkels ihn mittellos machten, gerade als er zur Ehe mit »Mathilde« geschritten, es über sich gewinnen konnte, eine französische Staatspension anzunehmen, so sicher ist andrerseits, daß sein Geist viel zu zügellos, seine Subjektivität ihm selber viel zu unberechenbar war, als daß ihn dieser Ehrensold, wie er ihn nannte, zum Soldschreiber hätte machen können. Wie keinen Witz, so konnte er keine Wahrheit unterdrücken, wenn sie ihm zündend durchs Hirn fuhr. Je stärker seine Begeisterung für die Idee irgendeiner Lebensmacht war, um so unbezwinglicher war sein Spott über das Unzulängliche ihrer realen Erscheinung. So war die Begeisterung seiner Jugendpoesie für die Himmelsmacht hingebender Liebe ausgeklungen in grimmem Spott über die Abgeschmacktheit seines eigenen Liebesgeschickes; so mußte er, der begeisterte Apostel der Freiheit, Witze reißen über die Art, wie in der deutschen Arbeiterassoziation in Paris geistlose Schreihälse sich als neue Robespierres aufspielten, so wurde das burschenschaftliche Teutonenthum in seiner auf äußerliches Kraftmeierthum und geistlosen Franzosenhaß gerichteten Entartung Gegenstand unvergänglicher Satire im »Atta Troll«; so mußte er, der Sohn der Romantik, der schärfste und vernichtendste Kritiker der »romantischen Schule« werden. Dem treuen Einstehen für die Sache der Polen mußte er die Ballade von Krapülinski und Waschlapski folgen lassen, um seiner Enttäuschung über die Realität des polnischen Flüchtlingstreibens Luft zu machen. Und so hat er im Jahre 1843 ruhig seine Staatspension aufs Spiel gesetzt, weil es ihn trieb, das Bestechungssystem der französischen Regierung anzugreifen, hat er die Gunst seines Oheims und damit dessen Zuschüsse wiederholt riskirt, nicht bloß durch Witze, sondern auch durch Wahrheiten. Durch seine Enthüllungen, über die Finanzpolitik des internationalen Großkapitals, in der »Allgemeinen Zeitung« verscherzte er sich das Legat, auf das er sicher gerechnet. Er hatte seinen Geist nicht in der Gewalt, sein Geist beherrschte ihn. Und dieser elementarische Geist hat in der Stickluft jener Tage gewirkt wie der Blitz, der die lastende Spannung schwerer Gewitterwolken – den Sturm entfesselnd – löst. Das war Heine's Mission als Zeitschriftsteller, als Zeitdichter wie als Journalist.

*

Aus der Fülle der von ihm ausgegangenen geistigen und künstlerischen Anregungen hebt sich aber die schon angedeutete Unterscheidung zwischen weltfeindlichem Nazarenerthum und weltfreudigem Hellenismus als die folgenreichste hervor. In allen Fragen der Politik wirkte sein Geist zersetzend, in der sozialen Richtung, die von jener Unterscheidung ausging, wirkte er auch positiv. Er schlug diese Richtung ein zu jener Zeit, da er sich durch Metternichs Intervention bei Cotta nach dem Erscheinen der »Zustände« eine politische Wirksamkeit als Schriftsteller völlig versperrt sah; er that es, wie wir sahen, mit Entschiedenheit in den Aufsätzen » De l'Allemagne« (1833) und » De l'Allemagne depuis Luther« (1834), die in den deutschen Buchausgaben (Salon II.) den Titel »Zur Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschland«, »Zur Geschichte der Religion und Philosophie« erhielten. Die französische Buchausgabe der Aufsätze De l'Allemagne wurde von Heine dem erfolgreichsten Schüler des Sozialreformers Saint-Simon, Prosper Enfantin, gewidmet, wie er bemerkte, als Zeugniß seiner achtungsvollen Sympathien. Er deutete damit auf den Einfluß hin, welchen der Saint-Simonismus auf die eigene Ideenbildung, die er hier zum Ausdruck gebracht, ausgeübt. Mehr als irgend eine der politischen Parteien und Vereinigungen in Paris hatte diese sozialreformatorische Bewegung, bald nachdem er dort einigermaßen orientirt war, seinen Geist angezogen. Hier fand er angestrebt, was ihm selbst als Ideal vorschwebte: eine Umgestaltung der sozialen Verhältnisse im Sinne der Freiheit, eine friedliche Revolution, die den Menschen die Erreichung bürgerlichen Glückes durch Beseitigung der Unterschiede erleichtern sollte, welche im Glauben, Lieben und gemeinsamen Genuß der Erdengüter das Glück auf Erden erschweren.

Als Heine nach Paris kam, hatte der Saint-Simonismus die Höhe seiner Entwickelung erreicht. Von den Grundlehren des Grafen Claude Henri de Saint-Simon ausgehend, die dieser abenteuerliche, jedoch von edlem Thatendrange erfüllte Schüler d'Alemberts nach seiner Rückkehr aus Amerika, wo er aus Freiheitsbegeisterung am Unabhängigkeitskriege theilgenommen, zuerst 1803 in seinen »Briefen eines Einwohners von Genf«, später im » L'Organisateur«, dem » Système industriel«, dem » Catéchisme des industriels«, und seinem »Neuen Christenthum« niedergelegt, war die Bewegung jetzt in eine sozialpolitische unter Bazard und eine ethisch-religiöse Richtung unter Enfantin gespalten. Schon bei Saint-Simon war die Gesellschaftskritik auf's Innigste mit einer scharfen Kritik des Christenthums verbunden. Schon er hatte dasselbe in seiner überlieferten Form als eine ausgelebte Institution bezeichnet. Nur das Prinzip der allgemeinen Bruderliebe, als sein göttlicher Kern, sei unzerstörbar; dieses aber müßte, statt in Worten und Formeln ein Scheinleben zu führen, endlich zur That werden. Zu diesem Zwecke solle eine Reorganisation der sozialen Verhältnisse angebahnt werden, welche mit der höchsten individuellen Freiheit die allgemeinste Sicherung der Gesammtinteressen verbände. Er zuerst stellte das Ideal jeder weiteren allgemeinen Sozialreform auf, die in unserem Jahrhundert in Angriff genommen worden, indem er die Arbeit, die Industrie zur Grundlage derselben machte. In seiner Kritik des Bestehenden erschienen Konstitutionalismus und Parlamentarismus als völlig ungenügende Mittel zur Herbeiführung wirklicher Freiheit und Gleichheit für den einzelnen Bürger und das Großkapital und das Bankwesen als ebenso gefährliche Gegner, wie es schon immer das absolute Königthum und die privilegirte Aristokratie gewesen. Ein neues Rechtsverhältniß zwischen Arbeit, Fähigkeit und Lohn müsse erstrebt werden, nach welchem jede Arbeit als wirthschaftliche Leistung an den Staat belohnt werden müsse, jede unproduktive Arbeit aber keinen Anspruch auf solchen Lohn habe. Saint-Simon war der Entwerfer des Grundrisses für all die schimmernden Utopien des Sozialismus, deren am realistischsten ausgeführte bisher Bellamy's Zukunftsstaat ist. Die Arbeit, lehrte er, sei nicht, wie die Bibel sage, ein Fluch, der für den Sündenfall auf der Menschheit laste, sondern das Mittel aller erreichbaren Erdenseligkeit. Ebenso widersprach Saint-Simon der Lehre von der Erbsünde und dem Teufel, der die Sinne und das Fleisch der Menschen zur Sünde verführe. Der Gegensatz zwischen Geist und Fleisch, wie ihn das Christenthum lehre, widerspreche der Liebe Gottes, wie der Gegensatz von Gott und Teufel die Allmacht Gottes in Frage stelle.

Bald nach Saint-Simon's 1825 erfolgtem Tode begann Enfantin seine Propaganda zur Verwirklichung des Saint-Simonistischen Evangeliums. Während Bazard den Grundsatz des Meisters, daß vor allem für die steigende Verbesserung der moralischen, geistigen und physischen Lage der großen Masse der Arbeiter gesorgt werden müßte, zu einem politischen System benutzte, in welchem der »Ausbeutung des Menschen durch den Menschen« ein Ende zu setzen gesucht ward, vertiefte Enfantin mit idealem Schwärmersinn die religiösen Ideen des Meisters. Er war der Lieblingsschüler desselben gewesen, gleich diesem ein gelernter Ingenieur, der viel in der Welt gereist war und nach mancherlei abenteuerlichen Lebenswandlungen sich dem Finanzwesen gewidmet hatte. Als Kassirer bei der Pariser Hypothekenbank angestellt, gründete er mit Olinde Rodrigues eine Kommanditgesellschaft zur Gründung und Fortführung des Journals » Le Protecteur«, dessen Zweck die Entwickelung und Verbreitung der Ideen St.-Simons war. Bald sah er sich von einem Kreis von Anhängern umgeben, der sich nach der Julirevolution als Bund konstituirte und den »Globe«, bisher Zeitschrift der poetischen Neuerer, zum Organ erwarb. Als Programm und Katechismus desselben gab Enfantin 1832 die Schrift heraus: » La réligion St.-Simonienne, association universelle ou Organisation définitive de I'humanité pour l'amélioriation progressive, sous le rapport moral, intellectuel et physique, du sort de la classe la plus nombreuse et la plus pauvre.« Im folgenden Jahr ließ Enfantin die » Morale« und das Livre nouveau folgen. Hier entwickelte er aus der St.-Simonistischen These, daß das Fleisch untrennbar vom Geist und ebenso gottgeschaffen und göttlich sei wie dieser, die Ideen zu einer Reform der Ehe, wobei er in dem Verlangen, das Recht der Natur gegenüber der Philistermoral wiederherzustellen, zur Theorie von der » Rehabilitation des Fleisches« gelangte, deren gesundem Kern sein leidenschaftlicher Schwärmersinn Folgerungen entnahm, die lebhaft an die Lehren und Ausschweifungen der Wiedertäufer gemahnten. Vorher schon hatte er dem Bund eine kirchliche Organisation gegeben mit Dogmen und Priestern, und seinerseits von der Gemeinde der Andachtshalle, der Salle Taibout, die Stelle eines Père Suprême erhalten. Als er nun im Gewande religiöser Prophetie die Propaganda für kommunistische Lebens- und Staatsverfassung mit der für Frauenemanzipation und freie Liebe verband, stieß er auf den Widerstand der besonneneren und praktischer denkenden Genossen, deren Führer Bazard. Bis dahin hatte der Saint-Simonismus eine Reihe hochbegabter junger Geister zu Mitgliedern gezählt, die zum Theil später zu sehr bedeutenden Stellungen im Leben des Staats und der Wissenschaft aufgerückt sind, auch die Versuche, die wirthschaftlichen Theorien im Kleinen praktisch zu verwirklichen, hatten keineswegs den Spott, sondern das lebhafteste Interesse der öffentlichen Meinung gefunden; jetzt aber erfolgte eine Spaltung und wie Bazard traten Leroux, Carnot, Péreire, Jules Lechevalier, Fournel, Dugied u. A. aus. Er aber fuhr fort, die gewagten Phantasien über Männer- und Weibergemeinschaft zum Hauptgegenstand seiner Lehre zu machen, der »Globe« unter Barrault folgte dem Beispiel, bis es die Regierung für angezeigt fand, dem Treiben ein Ende zu machen und die Salle Taitbout zu schließen. Jetzt verließ Enfantin mit vierzig seiner Getreuen Paris und machte sein väterliches Erbgut bei Ménilmontant zur Musteranstalt Saint-Simonistischer Lebensgemeinschaft. Doch die Anklage des Staatsanwalts berief ihn und die andern Führer sehr bald zurück vor die Assisen. Am 27. August 1832 wurde er nebst Michel Chevalier, Duveyrier und Barrault wegen unerlaubter Verbindung, Aufregung der Arbeiter und Verbreitung sittlich anstößiger Lehren zu mehrjähriger Gefängnißstrafe verurtheilt. Sie wurden nach einigen Monaten jedoch entlassen und Enfantin wanderte nach Aegypten aus, wo er als Ingenieur Mohamed Ali's an den Nildämmen Beschäftigung fand, nebenbei aber, wie ab und zu verlautete, »nach dem freien Weibe suchte«, das würdig sei, an seiner Seite die Hohepriesterin der Saint-Simonisten zu werden. Bei dem Aussehen, welches das erste Auftreten des Bunds in Paris und ganz Frankreich erregte, kann es nicht wundernehmen, daß die Bewegung in ganz Deutschland bei liberalen Männern lebhaftes Interesse fand, wie denn z. B. Varnhagen, nachdem ein protestantischer Theolog, Bretschneider, ein Buch gegen sie geschrieben, in einem anomymen Aufsatz der »Allgemeinen Zeitung« vor einer oberflächlichen Verurtheilung der Bewegung, ihren Kern vertheidigend, warnte. Und wie groß auch die Entartung ihrer sozialistischen Spekulationen wurde, so können diese gewiß das Verdienst Saint-Simons und seiner Schüler keineswegs abschwächen, zuerst und mit nachhaltigem Erfolg, wie Strodtmann sagt, die Aufmerksamkeit der Welt auf die große nationalökonomische Frage einer besseren Organisation der Arbeit, der Produktions- und Kreditverhältnisse gelenkt zu haben. Durch die Anregung, welche er gab, sind viele heilsame Reformen in Staat und Gesellschaft veranlaßt worden, und viele seiner Ideen, welche damals überraschend und neu waren, sind im Laufe der Zeit in unser öffentliches Leben und politisches Denken übergegangen.

Heine fand, als er nach Paris kam, die Bewegung im vollsten Gange. Ein vornehmes interessantes Publikum, darunter viel schöne, pikante Damen, berühmte Künstler und Künstlerinnen, füllte während der Sitzungen die stimmungsvoll geschmückte Salle Taitbout. Noch hatte Enfantin nicht gegen die Ehe gepredigt; was von seinen und seiner Freunde begeisterten Lippen verkündigt wurde, war das Evangelium des Pantheismus und einer Wiedergeburt des Lebens, welche alle Geburtsprivilegien und damit auch Armuth und alle Noth materieller Sorgen beseitigen sollte. Heine konnte diesen Lehren gegenüber mit Rahel sagen: »Die Erde verschönern – mein altes Thema – Freiheit zu jeder menschlichen Entwickelung: ebenso!« So schrieb die Gattin Varnhagens an ihn im Sommer 1832. Vorher hatte Heine diesem letzteren mitgetheilt, daß ihn der Saint-Simonismus ganz besonders beschäftige. Er wolle ein Buch über ihn schreiben. Vorher müsse er freilich noch viel studiren, »habe jedoch im letzten Jahre durch die Anschauung des Parteitreibens und der Saint-Simonistischen Erscheinungen sehr Vieles verstehen gelernt, z. B. den Moniteur von 1793 und die Bibel … Michel Chevalier ist mein sehr lieber Freund, einer der edelsten Menschen, die ich kenne. Daß sich die Saint-Simonisten zurückgezogen, ist vielleicht der Doktrin sehr nützlich und sie kommt in klügere Hände. Besonders der politische Theil, die Eigenthumslehre, wird besser verarbeitet werden. Was mich betrifft, ich interessire mich eigentlich nur für die religiösen Ideen, die nur ausgesprochen zu werden brauchten, um früh oder spät ins Leben zu treten. Deutschland wird am kräftigsten für seinen Spiritualismus kämpfen; mais l'avenir est à nous.« Auch in der Sitzung der St.-Simonisten, in welcher der königl. Prokurator den Saal schließen ließ, war Heine anwesend, und er ließ sich angelegen sein, die Nachricht sofort durch Donndorf nach Augsburg gelangen zu lassen. Wie mit Chevalier blieb er auch mit Enfantin nach dessen Verurtheilung in freundschaftlichem Verkehr. Die Lächerlichkeit, der ihre Sache durch die erotisch-mystischen Extravaganzen verfallen, schreckte ihn nicht ab, ihre religions- und sozialreformatorischen Ideen mit Wärme zu vertreten, zunächst gerade den Franzosen gegenüber. In der Widmung des Buches » De 1'Allemagne depuis Luther« an Prosper Enfantin bekannte er, daß seiner Anregung die Entstehung desselben zu danken sei. »Sie haben gewünscht, den Fortschritt der Ideen in Deutschland während der jüngsten Zeit und die Beziehungen kennen zu lernen, in welchen die geistige Bewegung dieses Landes zu der Synthese der Doktrin steht … Gestatten Sie mir, Ihnen dies Buch darzubieten; ich möchte glauben, daß es dem Bedürfniß Ihres Denkens zu entsprechen vermag. Wie dem auch sei, bitte ich Sie, es als ein Zeugniß achtungsvoller Sympathie annehmen zu wollen.« Enfantin ließ die Widmung nicht unbeantwortet; vom Nildamme sandte er am 11. Oktober 1835 dem deutschen Dichter in Paris eine lange Epistel, in welcher er ihn als ersten Kirchenvater des neuen Glaubens für Deutschland feierte, aber auch zu engerem Anschluß ermahnte. Zum »Mitglied«, zur praktischen Priesterschaft fühlte Heine sich aber hier ebensowenig geeignet, wie seinen Gegnern, den »deutschen Jakobinern« gegenüber. Es genügte ihm, das Wesentliche ihrer Lehre, soweit es seine Begeisterung geweckt, zur Darstellung gebracht zu haben mit der ihm eigenen Kunst, die sublimste Spekulation so vorzutragen, daß auch der Einfältigste jeden Satz klar und auch der Verwöhnteste jeden Satz schön finden mußte.

Im Grunde war es auch hier wieder das künstlerische Naturell Heine's, was seine Stellung zu der Bewegung bedingte. Darin hatte Börne gewiß recht, wenn er in seinem Angriff auf Heine im 5. Bande der Pariser Briefe, die Bemerkung machte, daß die ästhetische Reserve des Dichters, Heine's Rolle in den Freiheitskämpfen der Zeit bedinge. Er liebe an der Wahrheit nur das Schöne. Wo der Kampf um die Freiheit unschön, häßlich werde, wo er im Einzelnen mit Lächerlichem behaftet sei, da habe sein Enthusiasmus sofort ein Ende. Indem Heine sich von den politischen Tageskämpfen abwandte und die Ideale der Freiheit und des Fortschritts wieder auf den Gebieten zu vertreten strebte, wo die poetischen Interessen des Geistes und Herzens im Spiel waren, that er diesem ästhetischen Bedürfniß Genüge. Er ging damit aber auch vom negativen Kampf gegen die »Junker und Pfaffen« zum Kampf für positive Ideale über. Schon in seiner Streitschrift gegen die Romantik machte er einen solchen Vorstoß, indem er dem asketischen Geist der mittelalterlichen Kirche das Ideal einer daseinsfreudigen Hingabe an die Gegenwart, dem reaktionären Mysticismus der Romantiker den beseligenden Pantheismus, der in jedem Fortschritt eine Offenbarung Gottes erblickt, gegenüber stellte. »Es handelt sich nicht mehr darum,« führte er an anderer Stelle aus, »gewaltsam die alte Kirche zu zertrümmern, sondern vielmehr eine neue aufzubauen, und weit entfernt, das Priesterthum vernichten zu wollen, trachten wir heut zu Tage selbst darnach, Priester zu sein.« Und als ein solcher Priester verherrlicht er begeistert den positiven Charakter des neuen Glaubens, die Anklage abweisend, daß der Pantheismus zum Indifferentismus verführe: »Alles ist nicht Gott, sondern Gott ist Alles; Gott manifestirt sich nicht in gleichem Maße in allen Dingen, er manifestirt sich vielmehr nach verschiedenen Graden in den verschiedenen Dingen und jedes trägt in sich den Drang, einen höheren Grad der Göttlichkeit zu erlangen; und das ist das große Gesetz des Fortschrittes in der Natur. Die Erkenntniß dieses Gesetzes, das am tiefsinnigsten von den Saint-Simonisten offenbart worden, macht jetzt den Pantheismus zu einer Weltansicht, die durchaus nicht zum Indifferentismus führt, sondern zum aufopferungssüchtigsten Fortstreben. Nein, Gott manifestirt sich nicht gleichmäßig in allen Dingen; er manifestirt sich in ihnen mehr oder minder, er lebt in dieser beständigen Manifestation, Gott ist in der Bewegung, in der Handlung, in der Zeit, sein heiliger Odem weht durch die Blätter der Geschichte, letztere ist das eigentliche Buch Gottes.« Seine Aufsätze »Zur Philosophie der Religion und Geschichte« stellten dann die Entwickelung dieses Pantheismus in Gegensatz zum Christenthum des Mittelalters; sie feiern die Verdienste Spinoza's, Luthers, Lessings, Kants, Fichte's in diesem Befreiungskampf der Vernunft aus den Fesseln vernunftwidriger Dogmen, und suchen nachzuweisen, daß mit dem Sieg des Pantheismus auch die Wiedereinsetzung der Materie in ihre Rechte neben denen des Geistes sich vollziehe. In diesem Sinne hat Heine die Rehabilitation des Fleisches verkündigt. »Wir befördern das Wohlsein der Materie, das materielle Glück der Völker, nicht weil wir gleich den Materialisten den Geist mißachten, sondern weil wir wissen, daß die Göttlichkeit des Menschen sich auch in seiner leiblichen Erscheinung kund giebt, und das Elend den Leib, das Bild Gottes, zerstört oder avilirt, und der Geist dadurch ebenfalls zu Grunde geht.« Aus diesem Glauben erwächst ihm die Begeisterung für die folgende Prophetie: »Einst, wenn die Menschheit ihre volle Gesundheit wieder erlangt, wenn der Friede zwischen Leib und Seele wieder hergestellt, und sie wieder in ursprünglicher Harmonie sich durchdringen, dann wird man den künstlichen Hader, den das Christenthum zwischen beiden gestiftet, kaum begreifen können … Ja, ich sage es bestimmt, unsere Nachkommen werden schöner und glücklicher sein als wir. Denn ich glaube an den Fortschritt, ich glaube, die Menschheit ist zur Glückseligkeit bestimmt, und ich hege also eine größere Meinung von der Gottheit, als jene frommen Leute, die da wähnen, sie habe den Menschen nur zum Leiden erschaffen. Schon hier auf Erden möchte ich durch die Segnungen freier politischer und industrieller Institutionen jene Seligkeit etabliren, die nach der Meinung der Frommen erst am jüngsten Tag im Himmel stattfinden soll.«

Herr von Treitschke und seine Nachbeter haben zwar den Prosawerken Heine's alle Bedeutung abgesprochen und überhaupt seine Verdienste dahin reduziert, daß ihm ein paar kleine Lieder gelungen seien. Als aber Heine's Lieder mit der bezaubernden Frische ihres völlig neuen Reizes, in den seelenvollen Melodien, welche ein Methfessel, Felix Mendelssohn, Robert Schumann um sie gewoben, ein Menschenalter lang aus tausend und abertausend deutschen Frauen- und Mädchenlippen erklangen und deren eigenes Seelenleben offenbarten, als die kecken, geistsprühenden Witze der Harzreise, die ironischen Schlußworte so vieler seiner Gedichte zur Würze wurden der Unterhaltung gerade der geistig Regsamsten unter der deutschen akademischen Jugend, als kein deutscher Lyriker mehr auftrat, den Heine's Poesie nicht beeinflußt hätte, und ein Heer ungezählter Nachahmer ihm auf jedem Gebiet seines Wirkens folgte, da vollzog sich auch eine Befruchtung des deutschen Geisteslebens mit den ernstprophetischen Geistesworten des deutschen Dichters in Paris, der im Jahre 1848 auf seinem Krankenlager an der Revolution verzweifelte, dann bei seinem ersten Ausgang – ins Louvre, zur Venus von Milo, seiner Göttin, der Göttin der Schönheit, eilte und vor ihrem Bilde weinend zusammenbrach. In meiner Scheffelbiographie (»Scheffels Leben und Dichten«) habe ich auf Grund eines Briefwechsels zwischen dem Dichter des »Ekkehard« und seinem burschenschaftlichen Jugendfreund Karl Schwanitz mittheilen können, wie in den Jahren kurz vor 1848 Stellen aus Heine's »Wintermärchen« die Bedeutung von Erkennungszeichen hatten für die patriotisch schwärmende deutsche Jugend – »Sonne, du klagende Flamme!« In der Zeit nach der Julirevolution aber, als die Metternich'sche Reaktion auf Jahre hinaus ihre Herrschaft befestigte, da gingen in noch viel mächtigerer Weise Heine'sche Worte und Sätze von Mund zu Munde in den Kreisen, wo man das heilige Feuer der Freiheits- und Vaterlandsliebe im Geheimen nährte. Es ist für diese Wirkung ganz gleichgültig, ob Heine der Erfinder der Gedanken war, deren von ihm bewirkte Prägung diese historische Mission erfüllte. » La sainte alliance des peuples« hieß ein chanson Berangers früher als Heine dieselbe Begriffsbildung auf deutsch in begeistertem Redesatze gebrauchte. In seiner Fassung wurde der Gedanke in Deutschland aber erst volksthümlich und wenn wir das Wort von der heiligen Allianz der Völker von Rotteck in der großen Rede bei Begründung des »Freisinnigen«, von Siebenpfeiffer aus dem Hambacher Fest gebraucht sehen, so zeigt sich uns solch ein Heine'sches Wort auf seinem Fluge durch die deutsche Geisterwelt. Auf Flügeln des Gesanges verbreiteten sich seine Lieder – auch die bedeutendsten Sätze seiner Prosa waren geflügelt. So sind die Ideen pantheistischer und sozialreformistischer Natur aus fremder ernster Denkerwerkstatt zu ihm gedrungen; er aber prägte das spröde Material mit Künstlerhand zu goldenen Münzen, die von Hand zu Hand gingen; er formte das Rauhe, Gefährliche und Revolutionäre der neuen Ideen in Poetenworte, welche die Schönheit ihres Wesens ungetrübt ins Auge fallen ließen.

Weit, unvergleichlich stärker als alles, was in derselben Zeit in Deutschland für und gegen den Saint-Simonismus geschrieben wurde, wirkten Heine's Schriften mit ihren kühnen Verheißungen. Namentlich in der heranwachsenden neuen Generation deutscher Schriftsteller, die schon seine Lyrik und Reisebilderprosa mächtig angeregt, zündeten sie und wirkten Richtung gebend auf die jungen Geister. Da diese aber alle auch zu Börne als einem Führer emporsahen, wurde der Gegensatz zwischen Heine's poetischem Schwärmen für soziale Ideale und Börne's strengem Puritanerthum im Vertreten der politischen Freiheitsgrundsätze ebenfalls wirksam in diesem jungen Geschlechte, aus welchem die zwei bedeutendsten Begabungen bereits im Jahre 1832 zu Heine in markante Beziehung getreten waren: Gutzkow als Parteigänger Börne's in reservirter Haltung, aber doch von ihm mächtig beeinflußt, Laube als begeisterter Verehrer seiner Lyrik, seiner Reisebilder wie seiner sozialpolitischen Prophetien mit jugendlich-enthusiastischer Zustimmung; beide berufen, die reformatorische Tendenz, wie sie Börne und Heine zum literarischen Prinzip erhoben, mit den Formgesetzen der Kunst im Drama und Roman zu versöhnen und mit dem Trieb nach realistischer Gestaltung des Lebens zu verschmelzen.



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