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VI.
Verbrüderungen und Konflikte.


Das Sommersemester 1833, das Menzels junger »Adjutant« in München verbrachte, Anfangs mit Eifer bei Puchta Pandekten hörend, dann mit wachsender Ausschließlichkeit der Vollendung seines » Maha Guru« hingegeben, erschloß dem überernsten Jüngling zum ersten Male einen Verkehrskreis, in dem zwar auch literarische und künstlerische Interessen das Leben beherrschten, aber das Leben dabei leicht genommen, die Kunst harmlos betrieben wurde. Seine ersten Eindrücke in München hatten ihm freilich wieder den ganzen Jammer der politischen Zustände in Deutschland zu Gemüthe geführt. Am 3. April hatte in Frankfurt jener Sturm von heimlich verbündeten Studenten und polnischen Flüchtlingen auf die beiden Hauptwachen stattgefunden, der von Metternich als Symptom einer großen internationalen revolutionären Verschwörung verfolgt und ausgenutzt wurde, von welchem aber der Historiker Ilse gesagt hat, daß es ihm beim Studium der Akten sehr problematisch geworden, ob nicht eine ganz andere Hand in letzter Instanz es verursacht gehabt, da jedenfalls der österreichische Bundestagsgesandte Graf Münch um dasselbe schon vorher gewußt habe. Am Tage nach dem Frankfurter Attentat, am 4. April, war Gutzkow von Heidelberg abgereist. Unter den betheiligten Insurgenten befanden sich auch Heidelberger Burschenschafter. Als Gutzkow sich am 8. auf dem Universitätsamt in München zur Immatrikulation meldete, wurde ihm dieselbe verweigert, bis er nachgewiesen habe, wo er zur Zeit des Frankfurter Attentats gewesen. Es währte geraume Zeit, bis die Alibis festgestellt wurden. Dabei wurde er von den Gensdarmen, den Amtsaktuaren bereits wie ein starkbelasteter Staatsverbrecher behandelt. Natürlich war er auch Gegenstand geheimer polizeilicher Ueberwachung. Hätte er sein Alibi nicht beweisen können, gewiß wäre auch er einer der vielen Untersuchungsgefangenen geworden, die damals als politisch Verdächtige hinter deutsche Kerkermauern geriethen. Die Wirkung eines herrlichen Frühjahrs und jener Kreis angenehmer Bekanntschaften brachten ihn jedoch bald auf minder düstere Gedanken. Im Mittelpunkt dieses Kreises standen ein Novellist und eine Bühnendichterin, die beide vom Theater zur Literatur übergegangen waren und beide mit ihrem Talent nicht die Gestaltung von Idealen, sondern die anregende Unterhaltung des Publikums im Auge hatten: August Lewald und Charlotte Birch-Pfeiffer.

August Lewald, der sich von Hamburg her, wo er 1827 bis 1831 Regisseur am Stadttheater gewesen war, der Freundschaft Heinrich Heine's erfreute, dem er dann auch nach Paris gefolgt war und, als er im Jahre darauf die Seine-Stadt verließ, eine warme Empfehlung an Cotta zu danken gehabt, war durchaus ein Mann der praktischen Erfahrung und Spekulation in literarischen Dingen, wo Gutzkow noch aus Büchern und Zeitungen schöpfte und in Büchern und Zeitungen seine Welt fand. Damals gab er in München »Unterhaltungen für das Theaterpublikum« heraus in Konkurrenz zu Saphirs Skandal-Theaterblättern »Bazar für München«, »Der Corsar« und »Der Horizont«. Lewalds leichtflüssiges Fabulirtalent hatte ebenfalls Heine entdeckt und gefördert; er war einer der ersten, der in deutschen Journalen nach dem Muster der Pariser Boulevard-Feuilletonisten, wie Jules Janin, die tendenzlose Plauderei, die nur unterhalten und amüsiren will, mit Erfolg gepflegt hat. Von den Vielen, die vor, neben und nach ihm den Weg zur Literatur über die Bühne gesucht und gefunden, hatte er seine weltmännische Bildung und selten reiche Welterfahrung voraus, die sich auch in seinen Plaudereien und Lustspielen, seinen Novellen und »Skizzen« vortheilhaft geltend machten. »Er ist überall gewesen,« schrieb Heine an Cotta, der ihn auf dessen Empfehlung zur Mitarbeit am »Morgenblatt« und dem »Ausland« einlud und später die Redaktion einer »Theater-Revue« übertrug. Kosmopolit durch Erziehung und Lebensgang, mit seinem gepflegten, früh ergrauten Schnurrbart und den feurig blickenden dunklen Augen im Aussehen den Eindruck eines polnischen Edelmanns machend, hatte er auch im Innern kein Echo für die patriotischen Ideale und Reformpläne des jungen Berliners, der bei den täglichen Zusammenkünften im Café Tambosi und den Schankstuben der Münchener Brauereien, auf den gemeinschaftlichen Ausflügen nach den Seen und Thälern des bayerischen Hochgebirgs, die damals noch keineswegs Modesache waren, sein aufmerksamer Zuhörer war. Die gemeinschaftlichen Beziehungen zu den Cotta'schen Blättern hatten die Bekanntschaft vermittelt.

Aus Königsberg (14. Okt. 1792) gebürtig und derselben Familie entstammend, deren nächste Generation der deutschen Literatur in Fanny Lewald ein noch entschiedeneres Talent gestellt hat, war August Lewald anfangs wider Willen Kaufmann gewesen, dann in Warschau Kanzleisekretär des Generals v. Rosen, hatte als Dolmetscher im Hauptquartier des Feldmarschalls Barclay de Dolly die Kampagne nach Frankreich mitgemacht, war nach seiner Rückkehr endlich dem heimlichen Triebe zur Schauspielkunst gefolgt und daneben im Verkehr mit Karl Schall und Holtei in Breslau auch noch Lustspieldichter geworden, bis er für sein Verhältniß zur Bühne im Berufe des Regisseurs die rechte Mitte fand. Ehe er als solcher 1827 einem Ruf an das Stadttheater in Hamburg folgte, war er kürzere Zeit in München Dramaturg, in Nürnberg Theaterdirektor gewesen … kurz, neben seinen vielen kleinen Erzählungen hatte er einen höchst interessanten, ungedruckt und ungeschrieben bleibenden Roman verfaßt: den Roman seines eigenen Lebens.

Eröffnete das geistreiche und erinnerungsreiche Geplauder dieses abenteuerlichen Theatermannes dem werdenden Regenerator der deutschen Bühne einen weiten Ausblick über die bestehenden Bühnenverhältnisse in Deutschland und Frankreich, so war das Hauptinteresse der damals in frischester Entfaltung ihres dichterischen Talents begriffenen Schauspielerin Charlotte Birch-Pfeiffer den Geheimnissen der Bühnenwirkung zugewandt, die von so viel realeren Dingen abhängt, als sich der von einer idealen Anschauungswelt ausgehende junge Dichter bisher hatte träumen lassen. Die frühere Heroine des Münchener Hoftheaters, im 33. Lebensjahr stehend, fühlte sich durch den Erfolg ihres »Pfefferrösel« damals gerade ermuthigt, sich ganz der Bühnenschriftstellerei zuzuwenden. Ihr Mann, Dr. Birch, den sie 1825 in Hamburg geheirathet hatte, half ihr dabei, indem er als eifriger Leser von Romanen und historischen Werken nach Stoffen fahndete, die ihm zur »Bearbeitung für die Bühne« geeignet erschienen. Wie später Auerbachs »Frau Professorin«, so hatte er ihr jetzt Ludwig Storchs »Freiknecht« empfohlen, und »Hinko, der Freiknecht« war unter der rührigen Hand Frau Charlottens im Werden. Eine Quelle besonderen Aergers waren der warmblütigen Frau damals die witzelnden Ausfälle und giftigen Spöttereien, mit welchen der gegen 1830 von Berlin nach München gekommene Saphir in seinen Witz- und Klatschblättern sie und ihr Schaffen verfolgte, wobei ihr braver Mann als »Doktor Harmlos« in das Gehege seiner oft zynischen Witze gerieth. Gegen Saphir, den Begründer jenes literarischen Klopffechterthums, dem die Kunstkritik nur ein Vorwand ist, um den eigenen unsteten Witz auf Kosten des ernsten Schaffens flackern zu lassen, welchen damals König Ludwig I. – für literarischen Werth ein minder befähigter Kenner als für Werke der bildenden Künste – unglaublicher Weise zum »Hofintendanturrath« ernannt hatte und als eine Art modernen Hofnarren eine Zeitlang zu seinem persönlichen Umgang heranzog, gegen Saphir fühlte Gutzkow eine innere Abneigung, und die Gemeinschaft dieses Gefühls gewann ihm die besondere Freundschaft der im innersten Wesen herzlich gutmüthigen Bühnendichterin. Sie weihte ihn in ihre Pläne, in ihre höheren Absichten ein, und er ließ sich gern von ihr unterrichten, wenn auch sein scharfes kritisches Auge nicht die Schwächen ihres Talents über den Vorzügen ihres guten Wollens übersah. Das hielt ihn nicht ab, ihren vorzüglichen Instinkt für das Bühnengemäße zu bewundern; auch später noch, als er in ihr eine Verderberin des Geschmacks bekämpfen zu müssen glaubte.

Inmitten dieser beiden Theaterpraktiker und unter dem Eindruck der allgemeinen Beachtung, die in München das Theater und alles, was mit ihm zusammenhing, genoß, regte sich alsbald auch in Gutzkow die Lust, sein Talent in dieser Richtung zu erproben. Wie wenig aber das verlockende Beispiel ihres industriösen Kunsttreibens im Stande war, die hochstrebende Richtung des jungen Idealisten zu beirren, der trotz seiner Armuth eben an einem Roman schrieb, welcher nur in dem engen Kreis der Höchstgebildeten auf Verständniß und Theilnahme rechnen konnte, dies zeigt uns der erste Dramen-Entwurf, der neben »Maha Guru« gerade während dieses Verkehrs in ihm reifte. Wieder handelte es sich um ein Werk versteckter Satire auf die herrschenden Zeitverhältnisse: » Jupiter Vindex, phantastische Schattenspiele« sollte dieser dramatische Erstling heißen; » Nero, Tragödie« lautete der Titel, als er zwei Jahre später im Cotta'schen Verlag erschien. Das Zeitgemäße im Börne'schen Sinne war ihm jetzt noch wichtiger als das Bühnengemäße. Der Kontrast zwischen den Hoffnungen, mit welchen die deutschen Patrioten die Thronbesteigung Ludwigs I. begrüßt, und den Verfolgungen, welche jetzt den bayrischen Theilnehmern am Hambacher Fest, den Führern der Opposition gegen das oktroirte reaktionäre Preßgesetz, den Wirth, Siebenpfeiffer, Eisenmann, Behr, beschieden waren, zwischen dem idealen Schwung in den Gedichten des Königs, der als Kronprinz für »teutsche« Einheit und Freiheit geschwärmt, und der feudalpartikularistischen Reaktion unter Schenk und Abel; der Widerspruch zwischen der Begeisterung für Griechenlands Freiheitskampf und der ängstlichen Abwehr aller freiheitlichen Regungen im eigenen Lande, der Kunstsinn, der aus der Isarstadt ein neues Athen schuf, aber auch einen Saphir zum königlichen Intendanturrath ernannte, schienen dem scharfen Beobachter Analogieen in der Geschichte Nero's, des »Cytharöden«, des Dichters auf dem römischen Kaiserthrone, zu finden. Die Hindeutung hierauf war der eigentliche Zweck der von Gutzkow geplanten ersten dramatischen Dichtung. Die Ironie der Romantiker, seiner jugendlichen Skepsis ein willkommenes Instrument, wollte er ins Spiel setzen im Geiste der liberalen Fortschrittsideen und in rein künstlerischen Formen, wie sie des Aristophanes Lustspiel als Muster vorstellte. Platens Romantischer Oedipus, der vor sechs Jahren in München zu Heine's grimmigem Aerger gedruckt worden war, war ein näher liegendes Muster; statt um literarische, war es ihm jedoch um politische Satire zu thun. Auch der 2. Theil des Faust und dessen allegorische Symbolik wirkten auf ihn ein. Seinem Gönner, Georg von Cotta, gegenüber legte er bei Ankündigung der neuen Arbeit freilich den Nachdruck auf ihren romantischen Charakter. »Soll ich Ihnen das Bild malen, das mir bei diesem Jupiter vorschwebt? Versetzen Sie sich nach Italien. Es ist Nacht, Mondnacht. Geheimnißvolles Dunkel schwebt über einem Myrten- und Orangenhain. Das Mondlicht fällt auf einige Statuen, welche marmorbleich aus dem dunklen Laube hervorschimmern. Tod herrscht in dieser Magie der Natur, nichts spricht, Alles ist kalt und doch weht durch Alles ein Hauch, eine Ahnung des Lebens; man sieht es, daß auf diesen stummen Lippen der Nacht wunderbare Worte liegen. In dieser Anschauung will ich mich halten, wenn ich das Rom vom Jahr 60 n. Chr. für meine Gruppen benutze. Es muß aber noch viel erwogen werden, ehe Alles, ja sogar die Hauptsache im Ganzen zum Abschluß kommt.« Obgleich sein erster Entwurf dieses dramatischen »Schattenspiels« Lewalds Verurtheilung fand, welcher ihn mit Recht für völlig »bühnenunmöglich« erklärte, ließ er sich nicht abhalten, die Ausführung später aufzunehmen, und, wie schon angedeutet, zeigte sich Cotta geneigt, auch dieses neue Werk zu verlegen.

Ein größerer Einfluß als Lewald war einem dritten literarischen Talent vorbehalten, einem politischen Gesinnungsgenossen, der von Natur durch und durch Realist war und anfangs August mit anregender Frische in Gutzkows Münchener Lebenskreis trat, freilich nur, um ihn gleichzeitig aus demselben zu entführen. Diesem Einflusse hatte allerdings Lewald unbewußt gar erfolgreich vorgearbeitet, wenn er dem Lauschenden aus seinen Pariser Erinnerungen die lebendigen Eindrücke wachrief, die er dort von dem Treiben der Saint-Simonisten, von den Redakteuren des »Globe«, den Führern einer jeune France empfangen, von denen die einen in Kunst und Poesie, die anderen im sozialen Leben die Ideale eines neuen jungen Geschlechts zur Geltung zu bringen versuchten. Wenn er erzählte von dem Zusammenhalten dieser neuartigen »Romantiker«, die so wenig Aehnlichkeit mit den deutschen Romantikern hatten, weil sie bei aller Vorliebe für vergangene Zustände, entlegene Kulturen, freie Phantasiespiele, die Parole des Fortschritts auf ihre Fahne geschrieben, wenn er von der Macht Victor Hugo's über seine Genossen, von den Zusammenkünften bei ihm oder in der Dachstube Petrus Borels berichtete, oder gar von der Ausführung des »Hernani«, wo die »Jungen« im Parterre, die Bohemiens der neuen Kunst, Alle für Einen und für den Einen um Aller willen eingetreten waren: wie regten sich da in dem jungen Propheten einer deutschen neuen Literatur die alten Träume von einem Zusammenschluß der Gleichgesinnten, von einer Brüderschaft der deutschen Ritter vom Geist, welche der Genius der Freiheit zum Kampfe für die politische und geistige Wiedergeburt des Vaterlandes berufen.

Seit Goethe's – am 22. März 1832 – und Hegels – am 14. November 183l – erfolgtem Tode mehrten sich für Gutzkow die Anzeichen, daß er mit seinen Ahnungen und Wünschen in Deutschland nicht vereinsamt stand. Schon im Sommer 1832, als er von Stuttgart nach Berlin zurückgekehrt war, hatte er in einigen jüngeren Zeitungslesern bei Stehely, den Doktoren Kottenkamp und Sobernheim, Gesinnungsgenossen entdeckt und in Aufsätzen eines gleichalterigen Schriftstellers, Theodor Mundt, eine auffällige Schicksalsgemeinschaft erkannt, die ihn veranlaßte, dessen persönliche Bekanntschaft zu suchen. Auch dieser war zuerst mit einer politischen Schrift »Die Einheit Deutschlands« hervorgetreten, in welcher auch er die Literatur als Einigungsmittel der Deutschen gefeiert hatte. In seinen ästhetisch-kritischen Beiträgen zu den »Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik« und anderen Berliner Zeitschriften, die im nächsten Jahre in der Sammlung »Kritische Wälder« erschienen, waren ihm deutliche Spuren eines ähnlichen geistigen Entwickelungsganges, wie er ihn selbst genommen, eines Kampfes der Selbstbefreiung aus den Banden der Hegel'schen Schuldoktrin und anderer akademischen Vorurtheile, die auch ihn umstrickt hatten, begegnet. Besonders in dem Aufsatz »Kampf eines Hegelianers mit den Grazien« hatte dieser engere Landsmann, der gleich ihm noch zu Füßen des alten Hegel gesessen, mit Grazie und im Sinne der Grazien die lähmende Wirkung der Hegel'schen Philosophie auf die Entfaltung poetischen Talentes aufgedeckt. Es war ein Kampf für das individualistische Prinzip gegen die Verallgemeinerungs- und Formelsucht des Hegelthums, für das Recht der künstlerischen Phantasie auf Freiheit gegen Hegels Theorie der absoluten Nothwendigkeit, für die Bedeutung des Empfindungslebens gegen die These der »Enzyklopädie«, daß der Mensch sich vom Vieh durch das Denken unterscheide, wogegen er das Empfinden mit diesem gemein habe. Der Eindruck, den Gutzkow von Mundt dann im persönlichen Umgang empfangen hatte, war zwar weniger günstig gewesen, aber die literarische Verbindung war aufrecht erhalten worden, um so mehr, als auch Mundt in seiner Berliner Vereinsamung sich von dem Beispiel der Pariser Romantisten im Zusammenschluß der literarischen »Jugend« mächtig bewegt fühlte, und er damals gerade dieses Treiben in der Novelle »Madelon, oder die Romantiker in Paris« zu schildern versuchte.

Ohne einen ähnlichen Entpuppungsprozeß aus der Befangenheit eines gelehrten Metaphysikers zu einem ans Leben unmittelbar anknüpfenden Schriftsteller zu erleiden, vielmehr aus der akademischen Welt nur die Elemente beherzten, übermüthig-kecken Burschenthums nach dem von Heine in der Harzreise gegebenen Beispiel ins Literarische hinübernehmend, hatte dagegen seit Anfang 1833 in Leipzig ein anderer junger Schriftsteller die Forderung einer Wiedergeburt des nationalen Lebens und im besonderen der deutschen Literatur zum Thema eines öffentlichen Wirkens erhoben. Das »Burschen heraus!« des Studenten wandte er an auf die literarische Jugend; den Kampf gegen die Philister erweiterte er zum Kampfe gegen Alles, was ihm überlebt und veraltet, seinem echten Wesen entfremdet schien in Staat und Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft. Seit Anfang des Jahres zeichnete der Verfasser einer Schrift über die polnische Revolution und von »politischen Briefen« über die deutschen Zustände, denen zusammen er den stolzen Titel »Das neue Jahrhundert« gegeben, als Redakteur des schon 1801 von Jean Pauls Schwager, Karl Spazier, gegründeten und unter Methusalem Müller einer schläfrigen Behaglichkeit verfallenen Leipziger Unterhaltungsblattes, der »Zeitung für die elegante Welt«. Dieser Mann des »neuen Jahrhunderts«, der durch die eigene Jugendfrische sofort das methusalemische Blatt verjüngte, war Heinrich Laube.

Wir haben im 4. Kapitel Laube's schriftstellerische Anfänge bis zu seiner Ankunft in Leipzig im Spätsommer 1832 begleitet. Er wohnte hier Anfangs im Brühl, dann in der Nicolaistraße und aß an der Table d'hôte im Hotel de Bavière, an dessen Wirth Julius Kistner er einen werkthätigen Freund gewann, wie er auch sonst durch die Entfaltung seiner anregenden Geistesfrische bei der Tischunterhaltung zu einer Reihe interessanter Beziehungen, z. B. zu dem Nationalökonomen Friedr. List, gelangte, dem damals in Leipzig lebenden Pionier des Eisenbahnwesens und der Handelseinheit von Deutschland. Durch ein paar aus spontanem Antrieb ins Leipziger Tageblatt gelieferte Theaterkritiken erregte er das Interesse des angesehenen Buchhändlers Leopold Voß, des Besitzers der »Eleganten«, der ihn persönlich aufsuchte, um seine frische Feder für sein Blatt zu gewinnen. Durch polnische Freunde fand er, wie schon früher angedeutet, schnell intimere Beziehungen zu dem jüngeren Spazier, dem Sohn des Begründers der »Eleganten«, welcher, mit einem großen Geschichtswerk über die polnische Revolution beschäftigt, in regem Verkehr mit bedeutenden Flüchtlingen stand. Diesem überließ er dann das von Campe aus Hamburg zurückerhaltene Salzbrunner »Memoire«, wogegen Spazier ihm für das neue Werk, eine »Totalgeschichte Polens von den Uranfängen des Reichs bis zum Uebertritt des Restes der Revolutionsarmee ins preußische Gebiet«, einen Verleger in Philipp Reclam empfahl, dessen Name heute in der »Universal-Bibliothek« seines Sohnes eine weltweite Verbreitung hat. Dieses Buch erschien Anfang 1833 (nach Heinsius' Bücher-Lexikon im Verlag von Fr. Korn in Fürth) unter dem Titel » Das neue Jahrhundert: 1. Band. Polen«, während der 2. Band des Neuen Jahrhunderts mit dem Nebentitel »Politische Briefe« als Verlagsfirma das »Literarische Museum« in Leipzig nannte. Offenbar kaufte Reclam gerade damals den Korn'schen Verlag an und firmirte dann unter der letzteren Bezeichnung in Leipzig. Ob die ebenfalls Anfang 1833 in demselben Verlage erschienenen » Briefe eines Hofraths oder Bekenntnisse einer jungen bürgerlichen Seele von H. Laube« nur eine Separatausgabe der »Politischen Briefe« waren, ließ sich nicht mehr feststellen, da diese Schrift gänzlich verschollen ist. Aber auch im anderen Falle ist der Ideengehalt beider Werke ein fast identischer gewesen. In beiden legte er an Tagesereignisse und Literaturerscheinungen die Maßstäbe des Liberalismus in einer jugendlich kecken, etwas gesucht humoristischen, im Ausdruck oft überstürzten und doch kategorischen Art. Wir können dies aussprechen, da die Elegante Zeitung des Jahrgangs 1833 ästhetische und politische Plaudereien aus Laube's Feder enthält, von denen einige als Proben aus dem 2. Band des »Neuen Jahrhunderts« bezeichnet sind, andere als »Moderne Briefe«, und in beiden Fällen handelt es sich sowohl um Kritiken über die Leistungen der Leipziger Bühne, in denen gegen die Romantik gekämpft wird und moderne Gesichtspunkte geltend gemacht werden, als auch um politische Betrachtungen der bezeichneten Art. Andererseits befindet sich im 1. Bande der »Reisenovellen« im Kapitel »Die Nicolaistraße« ein Hinweis auf sein »Leipziger Reisejournal«, das aus »Briefen an eine gnädige Frau« besteht, »welche sich lebhaft für Weltgeschichte interessirte und der Meinung war, er würde ein sehr berühmter Mann werden«. – »Damals schrieb ich den ganzen Tag Briefe über die Menschheit und das Ende der Welt und die deutsche Literatur und meine Leberkrankheit, und über den europäischen Krieg, der kommen müsse.« Auch hier würden sich gewiß Gedankenfäden als Nachwirkung seines Verkehrs mit Frau von Niempsch verfolgen lassen, wenn sich überhaupt Spuren direkterer Art von diesem erhalten hätten. Durch eine Karlsbader Kur im Herbst 1832 wurde diese unruhige, noch tastende literarische Thätigkeit unterbrochen und in ein frischeres, fröhlicheres Fahrwasser gebracht.

Wer überhaupt den jungen Laube kennen lernen will, wie er jetzt in Leipzig als Verfechter der »modernen Ideen« auftrat, der verschaffe sich den Jahrgang l833 der Zeitung für die elegante Welt und studire den frischen Strom brausenden Jugendgeistes hier an der Quelle. Aus der Anschauungssphäre der »eleganten Welt« spielte er den Begriff des » Modernen« hinüber in die Welt der höheren Interessen; er identifizirte ihn mit dem des Fortschritts. Und wie von altersher sein Blatt die Leser von allem Modernen aus Paris und anderen Hauptstädten unterhalten hatte, so unterhielt er sie nun auch von den »modernen« Ideen, die in Paris auf allen Kulturgebieten zur Erörterung und zur Geltung gelangten, welche die Juli-Revolution bewirkt, die Kunstblüthe der Neuromantik gezeitigt, die Sozialreform der Saint-Simonisten befruchtet, sprach er von einer »modernen« Literatur und Kunst, die sich auch in Deutschland zu entfalten beginne und verfolgte deren Spuren mit lebhaftem Interesse. Mit frischem Wagemuth und einem außerordentlichen Instinkt für das Wesen einer auf Aktualität ausgehenden Journalredaktion gestaltete er das Methusalem Müller'sche Blatt völlig um: wie ein eben erst eingefangenes Vollblutfüllen stürmisch durch die Arena jagt, so stürmt hier ein ungefesselter Geist, im allzu flüchtigen Galopp sich übernehmend, dem Ziele zu: die Welt der »neuen Ideen« sich und seinem Publikum zu erobern. Eine lebensprühende Herzhaftigkeit im Parteiergreifen für und wider, alle Vorzüge und alle Fehler einer warmblütigen und warmherzigen Jugend machen sich geltend – im Urtheilen, im Vortrag, im Stil. Durch Korrespondenzen aus Paris, Berlin, Wien, Breslau, Weimar, Stuttgart &c., deren Verfasser gerade so jugendlich und jugendfrisch denken und fühlen wie er, durch politische Betrachtungen und Bücherbesprechungen, die immer das Neue im Gegensatz zum Alten behandeln, ist damals in dieser Zeitschrift ein lebensvolles Bild des geistigen Lebens einer Epoche entstanden, in welcher in der That das Eintreten deutscher Jugend für die Freiheit, für realistische Hingabe an die Gegenwart, an die Ideale des Fortschritts, den hervorragendsten und einen ungemein liebenswürdigen Charakterzug bilden. Es ist das Spiegelbild einer Zeit, in welcher nicht nur Heine und Börne als politische Schriftsteller mit einander wetteifern, in welcher auch zum ersten Male von Oesterreich her die Hymne der Freiheit, und zwar gleichzeitig von zwei hochbegabten Dichtern, angestimmt wird, voll lerchenfröhlichem Frühlingsglauben durch Anastasius Grün, der dem vor der Julirevolution besungenen »letzten Ritter« nach derselben die ganz modernen, keck opponirenden »Spaziergänge eines Wiener Poeten« folgen ließ; voll düsterem Verzweiflungsschmerz durch Nikolaus Lenau, dessen erster Beitrag ins Cotta'sche Morgenblatt im Herbst 1831 ein ernstes Rügelied war, das die Gefängnißstimmung eines hinter Kerkermauern verzweifelnden Patrioten mit glühendem Mitgefühl schilderte. Das Bild einer Zeit, in welcher Byron durch die Adrian'sche Uebersetzung erst beginnt, in Deutschland wahrhaft volksthümlich zu werden und die Kunde von dem Lichtgeist Shelley in erlesenen Kreisen die Begeisterung für dessen Dichtungen verbreitet, in welcher ein neu aufblühendes Literatur- und Kunstleben in Paris sich gleichfalls gegen Veraltetes und Altes im Zeichen der Jugend vollzieht, in welcher Victor Hugo, Dumas, George Sand, Balzac, Nodier, als verwegene Frondeure, der französischen Lyrik, dem Roman, der Novelle, dem Märchen neue Stoffe, neue Tendenzen, neue Kunstgriffe und Kunstabsichten zuführen und die Muse Bérangers einen neuen Liederfrühling erlebt. Es ist die Zeit, in welcher Adalbert von Chamisso nach einem vollen Dichterleben als graugelockter Barde zum ersten Mal mit einer Sammlung seiner Gedichte hervortritt und die poetische Jugend entzückt durch die verwandten Töne, die hier die Hand eines Alten der von den Stürmen der Zeit bewegten Leier entlockt hat, in welcher sein Musen-Almanach für 1834 gleichzeitig von Kerner, Platen, Menzel, Wackernagel Polenlieder bringt und Uebersetzungen Gustav Schwabs von Liedern des größten polnischen Dichters Adam Mickiewicz, während die Uebersetzung von Silvio Pellicos » Prigioni« die wärmste Theilnahme für die Märtyrer der Freiheitssache in Italien erregt. Es ist die Zeit, in welcher neben Julius Mosen, Heinr. Stieglitz, G.  Pfizer, Karl Beck eine ganze Reihe jugendlicher Dichter aus romantischen Träumern zu beherzten Zeitdichtern werden, Immermann in der Neubearbeitung seines »Trauerspiels in Tirol« einen mächtigen Schritt vorwärts in der Kunst realistischer Gestaltung thut, in welcher die Mehrzahl der deutschen Erzähler, und an ihrer Spitze selbst Ludwig Tieck, eine ähnliche Wendung vollziehen. Und zu alledem die politischen Nachrichten aus dem Auslande, aus dem deutschen Süden, die erst nach den Bundesbeschlüssen, die dem Frankfurter Attentat folgten, die Farben der Hoffnung einbüßten, dann aber auch aus dieser Zeitung schwinden.

Wie Laube zu all diesen Erscheinungen Stellung nahm und über sie berichtete, anfangs naiv, am liebsten ein Buch, eine Nachricht als ein Erlebniß schildernd, allmählich darüber selbst zu eigenen Ansichten gelangend, die sich mit seinen bisherigen verschmelzen, das muß man in den Bänden der »Eleganten Zeitung« vom 1. Januar 1833 bis 1. Juli 1834 nachlesen, denn die später unter dem Druck strengster Zensur herausgegebenen »Modernen Charakteristiken«, die eine Auswahl dieser Arbeiten bieten, sind durch Ueberarbeitung vielfach um den ursprünglichen Reiz gekommen, wenn seine Urtheile dabei auch an Reife gewonnen haben und nicht mehr, wie er selbst es gelegentlich ausdrückt, »in der bunten Tracht junger Freuden einhertanzen.« Auch hier allein kann man bis ins Einzelne verfolgen, welch ungeheuren Einfluß im Einzelnen Börne und Heine auf die damalige deutsche Jugend, im besondern auf Laube ausgeübt haben, mit welcher Begeisterung dieser anfangs für beide als den Begründern einer neuen Geschichtsbetrachtung, einer »neuen Schreibart«, als den Propheten des literarischen Frühlings, dessen Sprossen er in sich und um sich fühlt, eingetreten ist, freilich von Anfang an noch mehr angezogen von Heine's poetischerem Wesen als von Börne's herbem Puritanerthum. »Ich liebe Börne« – ruft er in seiner Anzeige der ersten Bände der Pariser Briefe. »Nicht weil er unser bester Humorist und Satiriker ist, nicht weil er gegen die alte Zeit und ihre vielfachen Gebrechen loskeult, nicht weil ich in vielen Dingen denke wie er – sondern weil er das beste Herz hat. Es hat seit Jahrhunderten Niemand so schonungslos gesprochen wie Börne, und doch hat Niemand mein Gerechtigkeitsgefühl mehr gebildet als er, weil ich selbst in den tollsten Uebertreibungen, im wildesten Zorne sein vor Gerechtigkeit blutendes Herz sah. So ist es gewiß Tausenden ergangen, darum wird er von Tausenden so geliebt, von Tausenden so gehaßt.« Krieg den Philistern! ist immer die Losung: mit ihr geht er dem Geist der Kleinstaaterei in Deutschland, als der Wurzel alles Uebels, zu Leibe. Ueber den in Leipzig herrschenden Kasten- und Kirchthumsgeist schreibt er: »Die Kleinstaaterei ist das Vorbild der Kleinstädterei geworden; sie ist der Ursprung des deutschen Philisterthums. Denn Philister ist eben der, welcher mit dem kleinen, ihm angelernten Maßstabe Alles, auch das Größte mißt.« Solche Beispiele ließen sich häufen. Er suchte schließlich auch die »Elegante« dadurch zum Organ der »modernen Ideen« zu machen, daß er deren deutsche Verfechter nicht nur in ihren Leistungen mit nachdrücklicher Zustimmung und Sympathie besprach, sondern auch zur Mitarbeit einlud. In diesem Sinne hatte er bald nach Beginn seiner Thätigkeit an Heine, an Börne in Paris, an Lenau, Mosen, H. König, Th. Mundt, auch an Gutzkow geschrieben. Da Menzel der Umwandlung der alten »Eleganten« in ein modernes Literaturblatt mit Mißtrauen und mürrischer Ungehaltenheit zusah, fühlte sich Gutzkow zurückgehalten, der Einladung zu folgen. Menzel mußte über den frechen Rivalen, der sich da in Leipzig plötzlich aufthat, um so ungehaltener sein, als er ihm in vielen wesentlichen Punkten widersprach: Goethe verherrlichte, weil er in der sittlichen Welt den Deutschen ein Befreier gewesen, Jean Paul, bei aller Anerkennung seiner Gedankenfülle und Gemüthswärme starker Mängel zieh in Bezug auf den künstlerischen Werth seiner Werke, als er überhaupt dem künstlerischen Element in der Poesie die entscheidende Bedeutung zusprach gegenüber der von Menzel und Börne geübten Kritik, welche nach der Gesinnung des Autors den Werth seiner Leistungen zu beurtheilen gelehrt hatten. »Jeden schlechten demokratischen und patriotischen Schriftsteller nur wegen seiner Gesinnung zu loben«, überhaupt die Gesinnung nur zum Maßstab der Kritik zu machen, erklärte er gleich in seinem ersten »Literatur«-Aufsatz (Nr. 3 vom 4. Januar) als verfehlt. Aber er leitete andererseits diese Programmrede unter Anspielung auf den »eleganten« Titel der Zeitung mit folgenden Worten ein: »Zum vollen Kostüm neuer Eleganz gehört auch Anlegung des glänzenden Waffenschmucks der neuen Zeit – die Kritik. Wir leben in einer kritischen Epoche, Alles ist in Frage gestellt, das große Examen der Welt hat begonnen. Es rollt jetzt eine werdende Welt, ihre Fahne ist die Prüfung, ihr Scepter das Urtheil. In solcher Periode der Entwickelung scheint selten die wärmende Sonne; Alles sucht nach dem leitenden Monde – Kritik … Die Literatur gestaltet sich meist nach den Hauptpostulaten der Zeit, ihre Gestalt ist oft die Vorrede der kommenden Geschichte …; jetzt, wo in Deutschland der Kampf gegen die aristokratischen Prinzipien begonnen hat, ist die Literatur bereits auf der Höhe des Demokratismus.« … Welche Schaar von Fürsten der Literatur, klagt er, sei in jüngster Zeit gestorben. Aber wenn auch die einzelnen Höhen schwinden, die ganze Masse rücke höher. Das Verallgemeinern der Güter sei die höchste Aufgabe des Kultivirens. Doch auch eine neue Blüthezeit großer Talente werde nicht ausbleiben. »Diese Art von Freiheit, welche jetzt Kunst und Wissenschaft aufzulösen droht, wird sich bald zu großen Regeln gestalten, denn Alles gestaltet sich in dieser Welt des Stoffs, und spätere Jahrhunderte werden die Auflösung dieser zur Ordnung gewordenen Anarchie sehen. Die Welt geht. Nur wer keine Geschichte kennt, erschrickt vor dem jetzigen Zustande unserer Literatur, statt sich darüber zu freuen, daß sie eine Krisis des Weltprozesses erlebt und am neu aufzulegenden Kodex der Weltordnung mitarbeiten kann.« Er bespricht im Ueberblick die neuesten Leistungen der noch übrig gebliebenen Alten; das Resultat ist überall: Absterben des Ueberlebten. »So ist es denn gekommen, daß die jungen Tage in keine Gemeinschaft treten mit den alten stumpf gewordenen Männern. Diese haben ihre Schritte nicht also beflügeln können, sie sind zurückgeblieben, und die Fülle von Begebenheiten und Gesetzen der letzten Jahre ruht lediglich auf den Schultern der historischen Jugend.« Und zur Poesie übergehend, stellt er Heine als Führer einer neuen subjektiven Poesie dem großen Meister der objektiven Poesie einer abgelaufenen Epoche gegenüber. Er feiert den freien Subjektivismus Heine's, aber bekennt sich sofort zu der Anschauung, daß auch ihm eine Periode objektiver Kunstübung folgen werde. »Jener enthüllt, entblößt schonungslos sein Inneres, es mag eben darin aussehen, wie es will – das Innerste des Menschen, sein Fühlen, sein Herzenstrachten ist immer poetisch – Alles ist poetisch, es kommt nur auf das Auge an, das sich darauf richtet. So spricht jene Partei. Diese, die objektive, öffnet nie die Brust, sondern bringt das Gefühl erst, wenn es von regelnder Hand beschnitten und geordnet ist. Die letztere war das Ergebniß einer abgelaufenen kritischen Epoche – auch wir werden einst wieder dahin kommen, aber der neu entdeckte Weg wird geebnet mit aufgenommen, unsere nächste objektive Poesie wird um so viel reicher sein, als die neuere Gattung sie jetzt arm nennt.«

Von diesem Gesichtspunkte aus brachte er nun in seiner Zeitung neben größeren Aufsätzen, »modernen Briefen«, in denen das Gebiet der erotischen Reisenovelle im Sinne des Heine'schen Sensualismus betreten und die Emanzipation der Liebe in recht unreifer Form zur Erörterung gebracht wurde, eine bunte Fülle literarischer Besprechungen zu Tage, in denen sich sehr bald die Forderung einer realistischen Kunst, die ohne Formgesetze auch in der Poesie nicht gedeihen könne, mit wachsender Bestimmtheit geltend machte. Den Begriff des Modernen vertiefte er, indem er das Wesen der Mode selbst dahin definirte, daß sie der Ausdruck der eben sich aufschwingenden Hauptgesetze einer Epoche sei. Er bekämpft gelegentlich bereits das Vermischen der Formen, das Doziren von Ideen in novellistischer Form, was ihn freilich nicht abhält, in seinen eigenen Reisenovellen in denselben Fehler zu verfallen oder ihn an Heine's Reisebildern, die er wiederholt preist, zu feiern. Als unmittelbarsten Ausdruck der Poesie bezeichnet er rückhaltlos das Lied und feiert in diesem Sinn Eichendorff, Hoffmann von Fallersleben und Lenau. Er schwankt noch zwischen dem Drange, sein eigenes Verhältniß zur Zeit, sein Denken und Fühlen der allgemeinen Zustände in freiester Subjektivität nach Heine's Muster zu offenbaren, und der instinktiven Empfindung, daß in der Kunst auch der interessanteste Stoff und das lebendigste Gefühl ohne Form und Gestalt nur Stückwerk ist. In einer warmherzig anerkennenden Kritik von Heinr. Königs »Die hohe Braut«, deren Zeithintergrund, die Wirkung der großen französischen Revolution in Piemont und Savoyen, ihm sehr glücklich gewählt erscheint, tritt diese Empfindung in voller Stärke hervor. Auch die Art, wie er den politischen Charakter Börne's verehrungsvoll anerkennt und das starke Temperament seines Schriftstellerthums rühmt, aber an der negativen Richtung desselben Anstoß nimmt, wie er an Theodor Mundts Novellen »Madelon« und »Der Basilisk« den Mangel an plastischer Darstellung, an Fülle des Lebens tadelt, dagegen seinen Stil rühmt, wie er an das Lob Lenau's die Bemerkung knüpft, daß es nicht genüge, seine Schmerzen der Welt mitzutheilen, die Schmerzen der Welt müsse der Poet theilen und zum Ausdruck bringen, wie er an den »Zerrissenen« des Baron Sternberg, an der Novelle »Julius Kühn« von Ernst Willkomm, welche beide die Erörterung moderner Ideen mit der Lebensschilderung verschmelzen, das Kokettiren mit der eigenen Zerrissenheit tadelt, wie er die Ausschreitungen der Saint-Simonisten unter »Narziß-Enfantin« verspottet, aber den ursprünglichen Charakter der Bewegung vertheidigt, das sind alles Symptome der eigenen Klärung. Bezeichnend ist auch sein Interesse für alle praktischen Fragen: für Lists Bemühungen um das Zustandekommen von Eisenbahnen, für die Organisation des deutschen Buchhandels und die damals erfolgende Gründung des Buchhändler-Börsenblatts, für die Errichtung einer allgemeinen Theaterpensionskasse u. s. w. Und so strebte er auch bereits eine Organisation der solidarischen Interessen des deutschen Schriftstellerstandes an, zunächst, indem er persönliche Beziehungen zu einigen jüngeren Autoren suchte, an denen er eine starke Richtungsgemeinschaft erkannte. Dazu gehörten vor allem, außer einigen seiner alten Breslauer Aurora-Genossen, sein Dresdener Korrespondent Gustav Schlesier, der im Laufe des Sommers nach Leipzig übersiedelte und bei Laube's Abwesenheit dessen Vertretung in der Redaktion übernahm, dann der Verfasser eines Bandes von Kulturbildern aus Holland, Ludolf Wienbarg in Kiel, und Karl Gutzkow, dessen Adresse er nach einer Besprechung seiner »Narrenbriefe« erfuhr.

Die Kritik über diesen anonymen Erstling eines noch unbekannten Verfassers war von wärmsten Sympathien für den Geist desselben diktirt und in liebenswürdigsten Wendungen gehalten. Gutzkow mußte an ihr seine Freude haben, wenn ihn vielleicht auch schmerzen konnte, daß ihm all diese Anerkennung als Namenlosen zu Theil ward. Sie füllte sämmtliche acht Spalten der Nummer vom 28. Februar. Hier fand sich Laube durch den reichen Gehalt der Ideen noch einmal veranlaßt, die formensprengende Subjektivität in der zeitgenössischen Literatur als in der Zeit nothwendig begründete Erscheinung anzuerkennen. »Wer will den Frühling tadeln,« rief er, »daß seine Blüthen so viel Farben in unsere Augen werfen, ohne Früchte für unsere Hände zu haben?« Auch der Frühling der Literatur, der sich jetzt knospentreibend rege, werde seinen Sommer, seinen Herbst haben mit baumhohen Grundsätzen, die aus dem Samen dieser Zeit aufgegangen sein werde. »Dreißig solche Narren wie mein närrischer Briefsteller könnten alsbald die gesetzgebende Versammlung des modernen Europa bilden, und die Subjektivität würde dann vorbei und die Objektivität da sein. Es wird mir Angst, wenn ich den Gedanken ausdenke; ich will's nur gestehen, daß mich der Kampf mehr freut als der Sieg. Wer möchte nicht lieber jung sein, trotz aller Unvollkommenheit der Jugend, und wenn dreißig solche Narren kommen, so ist es vorbei mit unserer Jugend, da sind wir gesetzte, wohlerfahrene Männer und mit meiner munter herumspringenden Kritik hat's auch ein Ende … Dieser Briefsteller ist aber darum so liebenswürdig, weil er so viel weiß und so wenig wissen will, weil er so reich ist und doch zu Fuß geht, weil er nicht bloß gelehrt, sondern auch gebildet, nicht bloß gebildet, sondern auch poetisch ist.« Und weiter heißt es: »Wir opfern ja die individuelle Ungebundenheit gern der Gesellschaft, ja, wir helfen die neue Zeit verherrlichen, weil sie das Individuum mit starker Hand rettet aus alten unnützen Banden; wir helfen sie aufrichten, die neuen Schranken der Gesellschaftlichkeit, wir helfen sorgen für beengendes Recht und beengende Ordnung, weil sie Bedürfniß sind für die Allgemeinheit. Aber laßt uns zuweilen auch, frei von den notwendigen Fesseln, schwärmen in kecken Vernunftoperationen, laßt uns zuweilen ganz frei seyn. – So geht es ungefähr in diesen Briefen her; es ist ein zügelloses Treiben; aber es ist ein liebenswürdiges Treiben; ach, und es ist auch ein schmerzliches, da noch so viel Freiheit übrig ist, welche Ordnung, gesetzliche Ordnung werden könnte und noch nicht ist.«

Bis dahin hatten die beiden jungen Schriftsteller nichts von einander gewußt. Jetzt schrieb Gutzkow aus Stuttgart voll Dankes an den gesinnungsverwandten Stimmführer in Leipzigs gelesenstem Unterhaltungsblatt und stellte sich ihm vor. Ein Austausch der Ansichten, ein freundschaftlicher Briefwechsel ergab sich aus dieser Anknüpfung und bald sprachen beide den Wunsch aus, sich persönlich kennen zu lernen. Als dann im Juli zufällig Jedem – für den vollendeten ersten Roman – eine erste große Honorar-Einnahme Reisegeld in die Hand spielte, erfolgte schriftlich zwischen Leipzig und München die Verabredung einer gemeinsamen Fahrt durch Oberitalien über Venedig, Triest nach Wien. Das Bedürfniß nach geistiger Bundesgenossenschaft hatte das Band der Freundschaft aus der Ferne gewoben.

*

Die Lust am Reisen zum Vergnügen und zur Selbstbelehrung war damals in frischestem Aufschwung. Wir haben in unserer Einleitung bereits den Zusammenhang dieser Erscheinung mit den gleichzeitigen Errungenschaften des Verkehrswesens betont. Nicht minder ist ein geistiges Verlangen nach Ausdehnung des Verkehrs, das mit der Entwickelung des Zeitungswesens Hand in Hand ging, als anregender Faktor in Anrechnung zu bringen. Reisebriefe, Reiseskizzen, Reisebilder zu schreiben, war eine literarische Mode, in der sich Mitglieder der Aristokratie wie Pückler-Muskau und Rumohr mit den literarischen Berühmtheiten der Zeit und den Mitarbeitern der neuen billigen Volksblätter und Pfennigmagazine begegneten. Es war nicht bloße Nachahmungssucht, geweckt durch das Beispiel und den Erfolg der »Schilderungen« und »Briefe«, »Reisebilder« und »Zustände« von Börne und Heine; diese selbst waren nur Symptome derselben Zeitbewegung, die uns heute als die Wehen des Eisenbahnzeitalters und als das Drängen des deutschen Volksbewußtseins gegen die Schranken der 38 deutschen Partikular-Landesgrenzen erscheinen. In den Zeitschriften waren Sittenschilderungen aus den verschiedenen deutschen Einzelstaaten mit Betonung der Stammeseigenthümlichkeiten und der Volksgemeinsamkeiten, waren »österreichische«, »norddeutsche«, »schlesische«, »sächsische«, »braunschweigische«, »bayrische«, »schwäbische« – »Zustände« (diesen Plural hatte Heine erfunden) ständige Rubriken, Plauderbriefe aus Paris, Berlin, Wien, Hamburg, München, Dresden, Stuttgart bahnten in den politischen Zeitungen die Einrichtung besonderer Feuilleton-Abtheilungen an und brachten in die belletristischen Unterhaltungsblätter ein politisches Element. Allein in jenem Jahre 1833 ließ Immermann sein »Reise-Journal«, Wilibald Alexis die »Wiener Bilder«, August Lewald sein »Album«, Seybold und Traxel ihre »Briefe« aus »Paris« und »Frankreich«, Adrian die »Skizzen aus England«, Wienbarg »Holland in den Jahren 1831 und 1832«, Pückler-Muskau die »Tutti Frutti«, Rumohr »Drei Reisen nach Italien«, Graf Prokesch die »Erinnerungen aus Aegypten« erscheinen. Bulwers »England and the English« und Washington Irvings »Alhambra« und »Skizzenbuch« machten jetzt ebenso Schule wie in Heine's Jugendzeit Byrons »Pilgerfahrt« und Sterne's »Empfindsame Reise«. Die Pariser Sittenschilderungen im » Livres de cent et un«, in Jules Janins und Balzacs humoristischen » contes« regten zu Versuchen ähnlicher realistischer Darstellungen aus dem gesellschaftlichen Leben in deutschen Großstädten an. H.  Normann, Ortlepp, Jakoby, Herloßsohn versuchten sich gleichzeitig mit Laube und Gutzkow in solchen Skizzen. Im humoristischen Genre trat Gutzkows früherer Mitschüler A.  Glaßbrenner mit seinen keck vom Berliner Straßenpflaster ins Literarische versetzten Typen hervor. Auch Laube hatte schon »Reisenovellen« geschrieben und wurde von dem Verleger Otto Wigand ermuntert, mehr dergleichen für eine Buchausgabe abzufassen. Die subjektiv-romantische Art, wie er diese Schilderungen seiner Reise von Breslau nach Leipzig und weitere Ausflüge von hier nach Halle, Magdeburg und Braunschweig mit Abenteuern ausgestattet und dabei auf die Stagnation des Lebens, die verstockende Wirkung der partikularen Abgeschlossenheit ironische Streiflichter hatte fallen lassen, fand des klugen Verlegers, der den Geschmack des Publikums kannte, lebhaften Beifall. Von der gemeinsamen Reise nach Oberitalien versprachen sich Gutzkow wie Laube daher gut verwendbare Ausbeute. Sie reisten beide ausdrücklich mit der Absicht, Stoff für literarische Arbeiten solcher Art einzuheimsen, worüber sich Gutzkow dann auch in seinen » Reiseskizzen« für das »Morgenblatt« lustig machte.

Heinrich Laube war nahezu 27 Jahre alt, als er am 2. August dem um fünf Jahre jüngeren Genossen in München gegenüber trat. Alles was beide bisher von einander gehört und gelesen, kündete eine starke Gemeinschaft aller höheren Lebensinteressen an. Ihr bisheriger Lebensgang war in seinen Voraussetzungen und Wendungen sich so ähnlich, als habe dasselbe Schicksal sie für dasselbe Ziel herangezogen. Beide gehörten durch die Geburt dem großen norddeutschen Staate an, der durch seine politischen Verhältnisse die Bezeichnung des »Polizeistaats« sich zugezogen, dessen militärische Kraft zwar unter dem Aufschwung der Volksbegeisterung die Herrschaft Napoleons in Deutschland gebrochen, dessen politische Unmacht aber jetzt Rußlands Einfluß in Deutschland regieren ließ. Beide hatten als Kinder bei Kenntniß besserer Zustände das Brod der Armuth gekostet, hatten nur unter Entbehrungen und durch Stundengeben den Besuch des Gymnasiums durchsetzen können, waren auf Wunsch der Eltern beim Eintritt in die Universität Studenten der Theologie geworden, ohne Neigung, nur weil diese Fakultät die billigste war und die baldigste Versorgung in Aussicht stellte. Beide hatten sich mit jugendlichem Enthusiasmus der Burschenschaft, der heimlich nur in »Kränzchen« fortbestehenden, zugewandt und durch ihre Tüchtigkeit im Kreis ihrer Sodalen eine führende Stellung erhalten; beide hatten frühe schon literarische Neigungen verspürt, als Gymnasiasten bereits poetische Versuche in Blättern gedruckt gesehen, waren unter der Wirkung der Juli-Revolution in eine politische Richtung gerathen und hatten die demokratischen Ideen, wie sie Börne und Heine verkündet, »wie die Leitfäden einer neuen Religion« ergriffen. Wie der Student Gutzkow in Berlin auf eigene Gefahr sein »Forum der Journalliteratur«, hatte Laube als Breslauer Student die »Aurora« herausgegeben. Wie dieser, war er als Kritiker der zeitgenössischen Literatur und ihren Moderichtungen mit ernsten Forderungen entgegengetreten, hatte aber auch dabei in Bezug auf äußeren Erfolg dieselben niederschlagenden Erfahrungen gemacht. Was diesem Menzel, war Laube Karl Schall gewesen, der, wie Menzel ein Goethe-Feind, ein Goethe-Enthusiast war, und beide hatten durch ihr Beispiel verhängnißvoll auf die jungen Talente gewirkt, da beide nach verschiedenen Richtungen den Dilettantismus vertraten. Beide hatten schließlich außerhalb Preußens literarische Verbindungen gefunden, die ihnen ermöglichten, ihre Zukunft ganz auf ihre Feder zu stellen; beide hatten eben erst ihrem akademischen Bildungsgang einen äußeren Abschluß durch die Einreichung einer Doktor-Dissertation in Jena gegeben. Der Dualismus politischer und literarischer Interessen, journalistischer und poetischer Arbeit bereitete beiden Konflikte und ihr erstes größeres Werk war den aktuellen Fragen der Politik, den Ideen der Revolution gewidmet, ihr zweites war ein Versuch, ihr geistiges Wollen der Kunst des Romans anzupassen. Gleichzeitig waren sie jetzt zum ersten Male dazu gelangt, über eine größere Einnahme für poetische Arbeit frei zu verfügen: Laube hatte für die zwei ersten Bände des vorläufig abgeschlossenen Romans »Das junge Europa« von Otto Wigand, wie er in seinen »Erinnerungen« sagt, »einen ganzen Haufen Goldstücke erhalten, die er in seinem Hute nach Hause trug«; Gutzkow sah der ersten Hälfte des ihm für »Maha Guru« von Cotta bewilligten Honorars – 30 Karolin – entgegen, als Laube in Begleitung eines seiner Freunde von der Wirthstafel im »Hôtel de Bavière«, dem »Starosten« der Reisenovellen, Axenfeld war sein Name, aus Leipzig in München eintraf.

Auch in Bezug auf die Cotta'sche Buchhandlung theilten sie gemeinsame Erfahrungen. Hatte sich doch auch Laube noch kurz vor Johann Friedrich Cotta's Tod ermunternder Theilnahme von dessen Seite zu erfreuen gehabt. Nach Stuttgart und Augsburg hatte auch er ausgeblickt, als das Interesse für Politik eine Lebensmacht in ihm geworden war. Die »Allgemeine Zeitung«, die er als Hauslehrer in dem Herrenhaus an der Oder täglich gelesen, hatte darauf den entscheidenden Einfluß geübt. Im Herbste 1831 hatte er sich an Cotta mit einem ersten Verlagsanerbieten gewandt und wenn auch ablehnende, so doch ermunternde Antwort erhalten. Zurückdenkend an diese Zeit hat Laube im Alter in seinen »Erinnerungen« (1875) dem Andenken des Mannes und der historischen Mission, welche die »Allgemeine Zeitung« in jener Zeit der Stagnation so ruhmwürdig erfüllte, jene geistvolle Charakteristik gewidmet, die wir im 2. Kapitel zitirt haben. Sein eigenes Verhältniß zu beiden schildert er in folgenden Worten: »Der sogenannte ›alte‹ Cotta, der Freund Schillers und Goethe's, lebte noch in Kraft und Fülle, ein Mann von wirklich großer buchhändlerischer Thätigkeit wie Fähigkeit, ein Buchhändler, welcher in der That literarisch spekulirte. Wie er das that, hatte ich selbst schon erfahren. Ich, ein namenloses, unreifes Skribentchen, hatte ihm aus jenem schlesischen Herrenhause mehrmals Pläne vorgelegt zu kulturgeschichtlichen Büchern, wie sie einem leidenschaftlichen jungen Kopfe beim Studium leicht und rasch in die Phantasie springen, und ich hatte immer von ihm selbst ausführliche, eingehende Antworten erhalten, dergestalt eingehend, daß sie meinen Gedankenkreis weit überflogen. Wo nahm dieser Mann die Zeit her?! Und wie tief und solid waren die Grundsätze, aus denen all seine Pläne ruhten! Er war wirklich ein literarisch schaffender Staatsmann. – Von jenem Austausche mit dem würdigen alten Herrn datirt meine Verbindung mit der ›Allgemeinen Zeitung‹ und mein Bedürfniß, dieses Blatt jeden Tag zu lesen seit vierzig Jahren.« Von Laube's Briefen und Cotta's Antworten aus jener Zeit der ersten Anknüpfung hat sich nichts erhalten. Wohl aber befindet sich im Archiv der Cotta'schen Buchhandlung ein Brief des jungen Laube aus dem folgenden Jahre, den wir hier schon deßwegen mittheilen, weil er das einzige briefliche Zeugniß dafür ist, daß auch Laube in seinen literarischen Anfängen als politischer Korrespondent, in streng journalistischen Arbeiten sich geübt hat.

»Leipzig, Brühl N. O. 317, 2/9 32.

Ich sende Ihnen, geehrter Herr, den Anfang von einigen Artikeln, die sich aus dem Raume zwischen Sachsen und Braunschweig bewegen sollen – übermorgen folgt dem heutigen eine Beschreibung der hiesigen Konstitutionsfeier. Hoffentlich ist die Sprache, die übrigens bei mir hier unter den liberalen Schreiern immer gemäßigter wird, nicht mehr so im Wege, wie sie es bei dem Artikel aus Preußen war. Und da Ihre Zeitung den Ruhm der ›Allgemeinen‹ behauptet, also auch alle Stimmen giebt und Zeitabdruck sein soll, so wird ihr vielleicht meine Anschauung der Dinge nicht unangenehm sein.

Aus Böhmen und über Böhmen können Sie aber doch wohl Oesterreichs halber nichts brauchen.

Ist es Ihnen also genehm, regelmäßig fortlaufende Artikel von mir zu haben, so bitte ich um die Gefälligkeit, mich dies durch einige Zeilen wissen zu lassen und die Adresse hinzuzufügen, unter der ich sie am bequemsten und raschesten schicken kann.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ew. Hochwohlgeboren ergebener
Heinrich Laube.«         

So mannichfach demnach die Berührungspunkte der beiden jungen Schriftsteller auch waren, so grundverschieden waren dagegen die beiden Individualitäten, die nun in den Laubgängen und Arkaden des englischen Gartens und auf den breiten Straßen und Plätzen zwischen Altmünchen und den blendendweißen Kunstpalästen des neuen ihre Erfahrungen und Hoffnungen austauschten. Und aus der vierzigtägigen Reise, die sie dann am Morgen des 4. August gen Süden antraten, wurde ihnen reichlich Gelegenheit, sich dieses Unterschieds bewußt zu werden. Für den einen wie den andern war diese Reise eine erste Ausspannung, ein frohes Aufathmen nach schwerem Kampf der Befreiung aus den Fesseln entbehrungsreicher Jugend. Die Sehenswürdigkeiten von Salzburg und Innsbruck, die Naturschönheit Welsch-Tirols, der erste Gruß des italienischen Südens versetzten sie in Stimmungen rückhaltloser Aeußerung ihres Empfindens. Im Ruderboot, das sie über die blaue Fläche des Gardasees – von Torbole nach Bardolino – führte, im Vetturin, der sie nach Verona, Vicenza, Padua, Venedig trug, tauschten sie in hoffnungsvollster Laune ihre Erinnerungen und Zukunftspläne aus. In Wien, im walzerfrohen Wien, das aber zugleich auch jenes »Capua der Geister« war, als das es wenige Jahre später, in den Ton des »Wiener Spaziergängers« einstimmend, Franz Grillparzer mit ernstem Abschiedswort beschworen, wurden sie beide trotz der zerstreuenden Eindrücke gleich heftig ihrer Heimathlosigkeit im Staate Metternichs inne. Und in Prag verwandelte sich die Rückreise zur Flucht, als ihre Pässe auf der Polizei zurückbehalten wurden und ihnen im Gasthof der Portier nicht ohne Zeichen von Betroffenheit mittheilte, die Paßbehörde habe verlangt, sie sollten selber hinaus kommen. Oesterreich zu bereisen, um über dasselbe zu schreiben, war ja auch von Seiten notorisch liberaler Schriftsteller im Auge Metternich'scher Polizeibeamten unfraglich ein Staatsverbrechen.

Gutzkow und Laube haben später in ihren Memoiren dieser ersten, nachhaltig wirkenden Eindrücke gedacht. Laube erzählt, wie es ihm schwer geworden sei, sich über die Einheit des eigenthümlichen Wesens klar zu werden, das ihn an seinem Reisegenossen frappirte. »Zahlreiche und reiche Bestandtheile traten mir entgegen: Wissen, Schule, Geist nach allen Richtungen; aber eigentlich eine unfaßbare Persönlichkeit. Zuerst und zuletzt ist er ein Denker, sagte ich zu mir, als wir über den Brenner fuhren. Ein Denker! und alles Künstlerische ist angeeignet, aber reichlich und sorgfältig angeeignet. Bis auf den Stil. Selbst über diesen zeigt er theoretische Studien und weist geläufig nach, wo, wann und wie die Rede durch eine Frage unterbrochen und belebt werden müsse, wo, wann und wie diese oder jene Redeform angewendet sein könne. Und dies belegt er mit wissenschaftlichem Nachweise aus den alten Sprachen, und wie Zumpt oder sonst ein Sprachgelehrter über diese und jene Nüance denke. Meine Stilgelehrsamkeit vom Glogauer Gymnasium erschien mir daneben recht dürftig, und Magister Roellers Regeln kamen mir vor wie bloße Hausmittel neben approbirten Rezepten der Fakultät. – Auch der schönen Natur gegenüber, welche da in Südtirol und am Gardasee uns farbenreich entgegentrat, war sein Verhalten ganz anders als das meinige. Oft schien es, als ob er die Schönheit gar nicht bemerkte; in einer späteren Bemerkung zeigte sich's aber, daß er sie gar wohl bemerkt hatte, nur anders, gleichsam auf anderem Wege. Vielleicht, weil er in großer Stadt aufgewachsen, welche ohne landschaftlichen Reiz. Für solche Großstädter wird auch der Naturreiz ein besonderer Akt der Bildung. Er war überhaupt viel schweigsamer, als ein Mann seines jungen Alters und seiner mannichfaltigen Wissenschaft zu sein pflegt. Seine mittelgroße Gestalt erhielt dadurch etwas Suchendes, daß Hals und Haupt immer ein wenig nach vorn gebeugt waren; eine scharfe Nase und das oft nur halb geöffnete, kurzsichtig scheinende Auge stimmten zu dieser suchenden Haltung. Das Organ, ein angenehm hoher Bariton, war auch musikalisch geschult; das kam gelegentlich im Zimmer überraschend zum Vorschein. Im Freien hätte man nicht geahnt, daß er singen könnte. – Er machte durchwegs ganz andere Bemerkungen als ich, und als wir in Verona nach Romeo und Julia ausgegangen waren und die Arena betrachtet hatten, da kam ich zu dem Schlusse: wir sind zwei ganz von einander verschiedene Menschen, und es wird gar nicht leicht sein, daß wir einander gegenseitig gerecht werden.« Was Laube hier in scharfer Profilirung skizzirt, hat Gutzkow in der Hauptsache bestätigt, wenn er in seinen »Rückblicken« z. B. schreibt: »Im Sommer 1833 las ich Heinrich Laube's Roman ›Junges Europa‹ in Gegenwart des Autors auf den Wellen des schönen Gardasees, nahm zwar gründlichen Anstoß, daß einer der Helden des Buches durchweg ›Hyppolit‹ statt ›Hippolyt‹ gedruckt war, aber die Beziehung zu Menzel wurde lockerer.« Wie ihn in Laube's Artikeln der Mangel an genügender Begründung, das allzu Schneidige der Form bei unreifem Urtheil zwar abgestoßen, die Frische und Natürlichkeit der Aeußerung aber angezogen hatten, so ging es ihm jetzt bei der persönlichen Berührung, wobei ein drittes Element sich sympathisch geltend machte: »Heinrich Laube,« sagt er an anderer Stelle, »besaß die Kunst, im Kreise seines nächsten persönlichen Wirkens enthusiastische Freunde zu gewinnen … Es war der Zauber der Anlehnung an eine sichere Beherrschung des Lebens.«

Laube hatte gar nichts vom Wunderkind, weder in Bezug auf Geist, noch in Bezug auf Talent. Aber dieser flotte Verfechter des Anrechts der Jugend auf Freiheit und Lebensgenuß blickte mit seinen großen blauen Augen unter der aufrechten Stirn so klar und sicher in die Welt, daß ihm auch im Kreise von älteren Genossen in praktischen Dingen meist die Führerschaft zufiel und in den Augen der Frauen das Unschöne seines Gesichts schön erschien. Ein echter Sohn Schlesiens, war er von Haus aus eine heitere, daseinsfrohe, lebensdurstige Natur; den Verfasser des »Maha Guru« hatten die Widersprüche des Lebens schon als Knaben zu einem ernsten Zweifler gemacht. Laube's »muntere« Augen – so nannte er sie damals selbst in einer der »Reisenovellen« – erfaßten die Dinge mit sinnlicher Lust am Schönen, und seine leicht erregbare Phantasie verarbeitete die Eindrücke zu farbigen Bildern, deren ideelle Bedeutung ihm erst dann aufging; Gutzkows scharfer Verstand zergliederte alle Wahrnehmungen auf ihre Bezüge und aus der Welt des Abstrakten entblühte ihm Bild und Fabel. Es ist eine eigenthümliche Fügung, daß Laube gerade den jungen Schiller, Gutzkow den jungen Goethe zum Helden je eines Lieblingsdramas des deutschen Publikums gemacht hat; Beide erkoren sich just denjenigen zum Helden, mit dem sie als Poeten die mindere Aehnlichkeit hatten, Laube war zur Burschenschaft aus unbestimmtem, rein persönlichem Freiheits- und Lebensdrange gegangen; Gutzkow führte zur Mitgliedschaft die heilig-ernste Begeisterung für das Ideal des in Freiheit geeinten Deutschland. Gutzkow verließ die Theologie unter schweren inneren Kämpfen, und ein Stück Priesterthum blieb all seinem Wirken eigen; Laube folgte der Sehnsucht nach einem reicheren, gehaltvolleren Dasein, in dem sich die ihm eigenthümlichen Gaben natürlich und frei entfalten könnten. Beide hatten sich ihre Bildung durch eigene Kraft mühsam erringen müssen und sie theilten das hieraus sich ergebende Selbstgefühl; Gutzkow aber, der preisgekrönte Verfasser der Abhandlung de diis fatalibus, war vor Allem stolz auf sein Wissen; Laube hingegen darauf, daß er ebenso gut fechten, reiten, tanzen und plaudern konnte, wie irgend ein Kavalier. Für Laube war das letzte Endziel alles Strebens das Glück, Glück für sich, Glück für die Mitwelt. Und er glaubte an Glück! Gutzkow war auch hierin Skeptiker. Auf unbestimmte Glücksfälle hat er nie mit kecker Zuversicht sein Fortkommen begründet; er glaubte auch hier die Zukunft konstruiren zu können; er überlegte beim Vorwärtsschreiten bedachtsam die Möglichkeiten der einzuschlagenden Wege. Das brachte ihn um manchen Genuß und manchen Erfolg. Mit fröhlichem Leichtsinn sprang dagegen der junge Laube ins Blau seiner Zukunft, das Glück herausfordernd und das Gewonnene festhaltend. Was Goethe für den Verkehr mit Frauen empfohlen – »doch wer keck ist und verwegen, kommt fürwahr noch weiter fort« – befolgte er auch dem Glück gegenüber. »Ich bin immer frech mit dem Schicksal umgegangen – niemals demüthig gewesen,« schrieb er damals in einer seiner ersten Reisenovellen.

So war ihm auch der politische Kampf nur ein Mittel des allgemeinen Kampfes der Menschen um Lebensglück, und während Gutzkow nach Börne's Beispiel die politischen Prinzipienfragen mit Pathos als Gewissenssache behandelte und Heine in seinen »Briefen eines Narren an eine Närrin« einen Abtrünnigen gescholten hatte, weil er in den »Französischen Zuständen« auch die Republikaner verspottet, war Börne für Laube zwar eine Respektsperson, die er aus der Ferne als Charakter höchlichst verehrte, Heine dagegen ein geliebtes Vorbild, dem er in seinen ersten Reisenovellen eifrig nachahmte, um dessen Freundschaft er warb und von dem er sich hoch geehrt und im Innersten verstanden fühlte, als ihm dieser am 10. Julius 1833 – also gerade zwei Wochen ehe er zu Gutzkow nach München reiste – unter Danksagung für das ihm in der »Eleganten Welt« bekundete Interesse schrieb: »Sein Sie überzeugt, daß ich Sie verstehe, und also wahrhaft schätze und ehre. Sie stehen höher, als alle Anderen, die nur das Aeußerliche der Revolution, und nicht die tieferen Fragen derselben verstehen. Diese Fragen betreffen weder die Formen, noch Personen, weder die Einführung einer Republik, noch die Beschränkung einer Monarchie, sondern sie betreffen das materielle Wohlsein des Volkes. Die bisherige spiritualistische Religion war heilsam und nothwendig, so lange der größte Theil der Menschen im Elend lebte und sich mit der himmlischen Religion vertrösten mußte. Seit aber durch die Fortschritte der Industrie und der Oekonomie es möglich geworden, die Menschen aus ihrem materiellen Elende herauszuziehen und auf Erden zu beseligen, seitdem – Sie verstehen mich. Und die Leute werden uns sofort verstehen, wenn wir ihnen sagen, daß sie in der Folge alle Tage Rindfleisch statt Kartoffeln essen sollen, und weniger arbeiten und mehr tanzen werden. Verlassen Sie sich darauf, die Menschen sind keine Esel.«

Die Freiheit, für welche Laube in seinen Erstlingsschriften focht, war denn auch im letzten Grunde die Freiheit, das Leben schön zu genießen. Für Wahrheit und Natur hatte er mit direktem Bezug auf die realen Bedingungen des menschlichen Lebensglückes gekämpft. Den Kampf Heine's gegen das fleischabtödtende Nazarenerthum und für die hellenische Anschauung des Rechts der Sinne auf Genuß hatte er mit Enthusiasmus begrüßt. Seine Begeisterung für Goethe, mit der er in seinem Blatte dann der Verketzerung desselben durch Menzel entgegengetreten, knüpfte an das hellenisch-sensualistische Element in der Poesie des Dichters der römischen Elegien an. »Mit kecker Dreistigkeit«, urtheilte Laube im Alter über seine jugendlichen Aufsätze in der »Eleganten«, »wurde alles getadelt, was mir unwahr erschien in unsrer Schriftwelt, unwahr in unsrer sozialen Welt, unfrei in unsern politischen Einrichtungen. Meine Jugend drängte sich dabei warmblütig hervor und was als Bemerkung von Werth sein mochte, das machte den herausfordernden Anspruch auf ein System. Das Recht der Sinnlichkeit, von unbestreitbarer Wichtigkeit in der Kunst, wurde wohl übermäßig betont und auch als soziale Spekulation unverzagt behandelt, ein bedenklicher Uebergriff für das ältere Geschlecht, ein verlockender Reiz für junge Leute. Die Saint-Simonisten in sozialer Frage, Heinse in literarischer Form hatten mir die Anregung erzeugt und das Soziale wurde mir unklar vermischt mit dem Künstlerischen.« Und an anderer Stelle: »Die erkünstelte Situation, die geschraubte krankhafte Empfindung wurden plötzlich verspottet, die Wahrheit wurde gesucht, die Wahrheit in den Ausgangspunkten und in den Zielen, im Wesentlichen das, was man später Realismus nannte.« Laube ging dabei von der wirklichen Welt aus, war Realist von Natur; Gutzkow, im Banne romantischer Vorbilder aufgewachsen, aber von einem starken Zug auf Leben und Gegenwart beseelt, gelangte aus einer Welt geistiger Bezüge erst zur Erkenntniß der Wirklichkeit und blieb Idealist auch dann, als er nicht ohne innere Kämpfe die Grundsätze des künstlerischen Realismus sich zu eigen gemacht und begonnen hatte, sein eigenes Schaffen danach zu richten. In diese Kämpfe wäre er sicher seiner ganzen Entwickelung und Anlage nach auch ohne Laube's Einfluß gerathen. Thatsächlich hat aber dieser letztere einen wesentlichen Antheil gehabt, wie Gutzkow in seinen Rückblicken ausdrücklich anerkannt hat.

Wenn Laube sich in dem oben angezogenen Selbstbekenntniß auf Heinse als Vorbild in künstlerischer Form beruft, so bezieht sich dies weniger auf seine kleineren Arbeiten für die »Elegante«, auch nicht auf die ersten Bände der »Reisenovellen«, obgleich in diesen bereits das künstlerische Bestreben hervortrat, das Geschaute als Erlebniß zu gestalten und der Schilderung den Charakter von Handlung zu verleihen, sondern auf seinen ersten Roman » Das junge Europa«, den er von Leipzig fertig nach München mitbrachte und Gutzkow dann auf der Reise las. Wilhelm Heinse's »Ardinghello« gehörte zu den Büchern, deren Lektüre ihm in der Studentenzeit zu einem inneren Erlebniß geworden war, das sich zwischen seine theologischen Studien und seine Zukunft drängte. Die dämmerweiche Sehnsucht der Romantik nach einem Leben voll Schönheit in schöner Natur, welche sein schlesischer Landsmann Joseph v. Eichendorff in der träumerischen Wanderflucht seines »Taugenichtses« nach dem Süden mit naiver Frische und doch auch romantisch-märchenhafter Unklarheit dargestellt hatte, das gleichzeitig Heinrich Heine in der Harzreise so bezaubernd verschmolzen hatte mit dem übermüthigsten Spott über die von ihm geflohene verstockte und verzopfte Kultur der »glatten« Säle, »glatten« Herr'n und »glatten« Frauen, fand er in Wilhelm Heinse's, des »Stürmers und Drängers«, schwärmerischen Künstlerroman als thatenfrische blutwarme Leidenschaft wirken mit kräftigem Bezug zu der Realität der von Winkelmann und seinen Nachfolgern aufgedeckten Kunst- und Schönheitswelt Italiens, eines Italien, das die Heimath jener Renaissance war, welcher die deutsche Sehnsucht einer Wiedergeburt des Hellenenthums im wirklichen Leben entstammte. In seiner »Geschichte der neueren Literatur« hat Laube – 1839 – diesen z. B. auch von Hermann Hettner und Adolf Stern sehr hochgestellten Roman, der das Künstlertreiben im Venedig der Tizian und Aretino zum Hintergrund hat, ebenso wie die Persönlichkeit Heinse's, des genialsten unter den Kraftgenialen der Sturm- und Drangzeit, näher besprochen. Wie alle Schönheit nur durch die Sinne wahrgenommen werden kann, führt er aus, so sind auch die Sinne die Vermittler alles schönen Lebensgenusses. Hatten die Moralisten, ja die ganze christliche Moral, wegen der Uebergriffe der Sinnlichkeit eine Mißachtung der Sinne, des Sinnlichen und damit des Wirklichen gepredigt und zu einem herrschenden Element der Weltbetrachtung gemacht, so hatte die Wiederbelebung des antiken Geistes die Wahrheit erneuert, daß die Sinne noch ein anderes und höheres Verhältniß und eine andere und höhere Bedeutung haben (als die moralische), daß sie für den Menschen offenbar die begabten Trabanten des Geistes sind, um eine Verbindung mit sonst Unerreichbarem anzuknüpfen. Diese Bedeutung der Sinne zu feiern, war der Gegenstand von Heinse's, unter Wielands Einfluß frei und reich erblühter Poesie, deren Bestes der Roman »Ardinghello«, das Produkt eines mehrjährigen Aufenthaltes in Italien, enthält. »Das Mark seiner italienischen Reise, alle seine Schwärmerei für das Nackte, für bildende Kunst überhaupt und für ein frisches, fröhliches Leben, welches sich an solche Prinzipien lehnt, ist darin niedergelegt. Dies alles ist mit einer großen Herrschaft über die geistige Verbindung zwischen dem Geistigen und Aeußerlichen niedergelegt, und mit Ausnahme einiger milderen Produkte von Goethe, wie der Elegien, das stolzeste Resultat des klassischen Studiums, was mit einer vollen Gestaltung in unsere Literatur getreten ist. Es geht darum einen großen Schritt weiter als der ähnliche Versuch Wielands im Agathon und Aristipp, weil es entschlossener und ganzer das alte Leben in der Sinnenwelt auffaßt, weil es daneben den modernen Zustand, die moderne Forderung berücksichtigt und nach einer Vereinigung dieser Welten trachtet.« Wenn Heinse dabei versäumt habe, »die wirkliche Welt zu einer gemäßen Bildung zu verarbeiten, wie es seinem frischen Blicke erreichbar gewesen wäre«, so sei dies die Folge der klassischen Modetendenz, die auch ihn beherrschte, gewesen.

In seinem Roman »Das junge Europa«, wie er jetzt vorlag – er führte mit Hinweis auf die geplante Fortsetzung den Sondertitel: » Die Poeten« –, versuchte sich Laube, bei ähnlicher Tendenz und ähnlicher Form, an einer Gestaltung der wirklichen Welt, der Wirklichkeit, die er selbst in den Jahren seit seinen literarischen Anfängen in Breslau erlebt, »Die Interessen der Zeit, die ihn selbst und die ihm verständliche Welt bewegten«, darzustellen, dieser Trieb habe den Roman veranlaßt, erzählt er in den »Erinnerungen« und er habe dabei jetzt das Bedürfniß empfunden, die verschiedenartigen Meinungen in verschiedenartigen Menschen zu versinnlichen und diese individuell zu gestalten. In Form eines Briefwechsels, der sich zwischen den Mitgliedern eines Freundeskreises und mehreren Frauen und Mädchen, welche in Liebesbeziehungen zu einander gerathen, in bunter Folge abspinnt, schildern sie den Einfluß der Zeitereignisse des Jahres 1830/31 auf eine Schaar origineller junger Poeten, welche bis dahin ein »poetischer Verein« in Breslau zusammengehalten und die, nun auseinandergesprengt, eigenthümliche Schicksale haben, deren Fäden in einem gräflichen Landschloß in Schlesien zusammenlaufen, wo sie nach und nach sämmtlich Gäste des freigesinnten Grafen Topf werden. Bis auf die Aeußerlichkeit, daß diese jungen Poeten ihre Spitznamen der fröhlichen Tafelrunde des »Prinzen Heinz« in Shakespeare's Heinrich IV. verdanken, ist der Kern dieses bunten Durcheinanders von Geistes- und Herzensbeziehungen nach dem Vorbild von Laube's eigenen Erlebnissen gebildet. Die Zeit, da er in Breslau unter Karl Schall Theaterkritiker war und mit seinen Freunden, den Mitgliedern eines Poetenvereins, die »Aurora« herausgab, bis er die Hauslehrerstelle in Schloß Jäschkowitz annahm, dessen Herrin ihn protegirte und im Verkehr mit polnischen Flüchtlingen und zahlreichen Gästen aus Breslau's geistigen Kreisen starke Sympathieen für die liberalen Ideen bekundete, ist in dem Roman wiedergespiegelt. Im Mittelpunkt des locker gewobenen Lebensbildes steht der junge Valerius, dem ein stiller Ernst und sichere Lebensbeherrschung ein männlich-energisches Wesen bei bescheidener Zurückhaltung geben, das auf die Männer und Frauen des Kreises gleich sympathisch wirkt. Dieser Valerius, der als geladener Gast nach »Grünschloß« kommt, trägt Laube's Charakterzüge. Er wie seine Freunde sind verwickelt in leicht geschürzte Liebesverhältnisse, sind beherrscht von der Idee, daß in der Liebe vom Mann zum Weibe Treue ohne Weiterbestand der Liebe verwerflich sei; aber alle erfahren durch ihr Schicksal andrerseits, daß Liebe ohne Treue stets unglücklich macht. Auch Valer, der ernste Systematiker dieses Evangeliums der freien Liebe, der für die andern Alle der helfende Berather und Beichtvater ist, muß diese Erfahrung machen. In Verzweiflung hierüber sucht er den Tod im Kampf für die Freiheit, indem er in das Heer der gegen Rußland sich erhebenden Polen eintritt.

Nach allen Richtungen wird in den Briefen, den verschiedenen Charakteren und ihren Liebesschicksalen gemäß, das Thema der erotischen Freiheit erörtert, auch von den betheiligten Mädchen und Frauen, welche dieser Freiheitstheorieen Opfer werden. »Wie denken wir doch verschieden über die Liebe,« ruft Hyppolit, eine ins Byronische gesteigerte Don Juan-Natur, dem alle Herzen entgegenfliegen: »Du liebst den Genuß der Liebe, Leopold liebt die Weiber, Valer, der immer was Besonderes haben muß, liebt die Liebe, William, der Narr, liebt die Gottheit in ihr, und weil er ein christlicher Pedant ist, schwört er zum Monotheismus und verdammt alles Andre, ich – ich liebe das Leben! Was mir nicht mehr am Leben ist, werfe ich weg … Ich kenne darum auch nicht Valers Pietät gegen das, was er geliebt, alles Todte ist für mich nicht da; ich kenne Leopolds Zärtlichkeit, Ueberschwänglichkeit nicht, weil ich nur Leben geben will für Leben.« Und der junge Verfasser schwelgt in der Ausmalung der keck eroberten Don-Juan-Abenteuer dieses Hyppolit mit so sichtlicher Parteinahme für diese Form der Liebe, daß ohne den hervorgehobenen Schluß und ohne die gelegentlichen Einwände der Besonneneren gegen dieses Treiben die Behauptung nicht unberechtigt gewesen wäre, es sei dem Autor vornehmlich mit seinem Roman um eine Verherrlichung der freien Liebe oder doch der Liebesfreiheit, zu thun. Im Mittelpunkt der Frauenwelt des Romans steht neben der Tochter des Grafen und einer Freundin derselben, die Fürstin Constantie, welche in Hyppolits Philosophie des zügellosen Lebensgenusses begeistert einstimmt und, als sie sich in Consequenz derselben von diesem verlassen sieht, als eine Abenteurerin der Liebe ihre Netze nach seinen Freunden auswirft.

Eng mit dieser erotischen Dialektik verknüpft ist in dem Hin und Her der Mittheilungen und Meinungen die Erörterung der politischen Freiheit, doch auch hier steht dem Maßlosen der Gemäßigte gegenüber. Die Tendenz des Ganzen tritt mit Bestimmtheit hervor in der Antwort »Valers« auf die Anklagen Williams. Dieser hat ausgeführt, daß der Anspruch auf Liebe von Seiten der Männer ohne Gewährleistung der Treue dem grauenhaftesten Eigennutz entspringe. »Das Ich allein soll sich auf jede Weise wohlbefinden: mag nun um Euch herum alles darüber zu Grunde gehen. Und dabei wollen sich einige von Euch noch in die Mitte der demokratischen Zeitbewegung stellen, wollen sie loben und führen. Heißt das nicht den Bock zum Gärtner setzen! Das Wesen dieser demokratischen Richtung ist Allgemeinheit, Zurückdrängen des individuellen Interesses, um das der Gesammtheit auf den Thron zu setzen. Geberdet Ihr Euch nicht wie kleine Despoten, wenigstens Autokraten, die sich eben nur selbst Gesetz sind, die all ihren Launen den Zügel schießen lassen. Und unseren Vereinigungspunkt, die Poesie anlangend, was hat uns da diese Richtung gebracht? Eine schamlose Enthüllung der eigenen Person, mit der die Poeten, feilen Dirnen gleich, kokettiren, Sie haben keinen anderen Mittelpunkt mehr als das persönliche, meist materielle Vergnügen, und je nachdem das nun groß oder klein oder gar nicht da ist, wird das Gedicht frivol oder abgeschmackt oder gottlos.« … So William, der Vertreter der hergebrachten Moral, den aber seine Tugend nicht davor schützt, in eine friedlose Leidenschaft für eine verheirathete Dame, eben die Fürstin Constantie, zu verfallen, die er, von seiner Auffassung genarrt, für tugendhaft hält.

Dagegen die Antwort Valers: »Daß Du nicht in der Nähe des Walter Scott gelebt hast, als er seine ›Schwärmer‹ schrieb, bedaure ich lebhaft; Du hättest ihm ja das beste Bild eines hartnäckigen und hartmäuligen Presbyterianers gegeben … Erinnere Dich, Freund, daß ich Dich nie Deines Systems halber getadelt habe, wenn auch das System nicht das meine ist – ich bin ein Mann der Freiheit und sitze zur Seite ihres holden Töchterleins mit den lieben, klaren Augen, der Toleranz. Du sprichst aber despotische Worte und klagst doch, wunderlich genug, uns Leute der leichteren Moral des Despotismus an. Du berufst Dich zuerst auf die demokratische Tendenz unserer Zeit, der wir huldigen, und verlangst Zurückdrängen des Einzelnen, damit die Allgemeinheit gedeihe. Das hat seine vollkommene Richtigkeit und es ist Niemand so sehr dafür als ich: ich hasse wie Du den Egoismus des Staats in Bevorzugung Einzelner. Aber, Freund, Du siehst die Sache schielend an, und das Endziel aller Bestrebungen – die Freiheit – entgeht Dir. Die Einzelnen sollen nicht bevorzugt, aber jeder Einzelne soll frei werden. Damit dies nun aber auf eine der Allgemeinheit ersprießlichen Weise geschehe, predigen wir als höchste Blüthe der Bildung: Abstreifen jeder Art von Egoismus, Humanität … Das sind nicht Gegensätze, wie Du zeichnest, sondern Stufen. Die Freiheit widerspricht eben jeder Art Formel, sie betreffe Moral oder sonst etwas – erreichten wir selbst durch solche Formeln das allgemeine Wohl, so bezahlten wir dies doch mit dem allgemeinen Wohle, d. h. mit dem Wohle der Einzelnen, die von außen her nur gezwungen lebten, und nur in trostloser Gleichgewichtstheorie den allgemeinen Fall vermieden. So werden die Menschen beklagenswerthe Negationen und die Haupttugend wird wie in manchem melancholischen Christenthume die Unterlassung, die Demuth. Es ist aber ein größeres Ziel unserer Richtung, die Menschen selbständig zu veredeln und die Veredelten Selbstherrscher werden zu lassen. Die Millionen Selbstherrscher sind das äußerste Ziel der Zivilisation. Dieses Ende verschließt Deine Autoritätstheorie für immer … Dein Schluß muß eine starre Monarchie sein, der meine: die fröhlichste, ungebundenste Allherrschaft, wo jede Individualität gilt, weil jede sich gesetzmäßig ist und in ihrer Veredelung das neben ihr wandelnde Gesetz nicht stört. Zu diesem Ziele ist das Zurückdrängen des Individuums Weg – bei Dir aber leider Endpunkt. Darum tadle auch ich es, wenn Konstantin jetzt, wo die große Epoche des Demokratismus erst beginnt, ihre Vollendung für sich antizipirt und, nur sein persönliches Wohlsein im Auge habend, Unheil anrichtet. Er betrügt seine Umgebungen, die noch auf einer tieferen Stufe der Entwickelung stehen und in anderer Münze Zahlung erwarten, als er gewähren will.« …

Zum Charakter dieses Werkes und zur Charakteristik Laube's gehört es auch, daß Valer, der Bürgerliche, unter fast lauter Adligen die Sache des bürgerlichen Fortschritts vertritt, wie dies ja auch persönlich das Schicksal des jungen Autors im Breslauer Poetenverein und auf Schloß Jäschkowitz gewesen war. Auch in Karlsbad war er durch seine Neigungen und Beziehungen in ein freundschaftliches Verhältniß zu Aristokraten, z. B. zu dem originellen Fürsten Fritz Schwarzenberg, der literarische Neigungen hatte und als Politiker seine eigenen Pfade liebte, gerathen. Ganz wie der Fürst Pückler-Muskau und die Baronin von Niemptsch, ist die Mehrzahl der Aristokraten des Romans liberal gestimmt, nur William (nach Karl Wilte's Vorbild gestaltet) vertritt konsequent den Jarcke'schen Standpunkt. Mit diesen liberal gesinnten Aristokraten (die später in Auerbachs und Spielhagens Romanen bestimmtere Physiognomie erhielten) verbindet den bürgerlichen Valer die Abneigung gegen die Plutokratie. »Aber,« sagt er, »es ist doch ein großer Schritt weiter, wenn der Erbaristokratismus gestürzt ist und wir vielleicht leider beim Geldaristokratismus angekommen sind, so ekelhaft dieser auch sein mag. Die nächste Morgenröthe kann mir Geld, einige Jahre können mir die Gelehrsamkeit, das Wissen bringen – keine Ewigkeit, kein Gott kann mir eine Vergangenheit, solche Ahnen geben, wie sie der Adel verlangt. Und darin liegt das Fundament zukünftiger Zeit, die vielleicht jetzt in Frankreich beginnt. Alle Wege müssen offen sein zu Allem – nicht unbedingte Gleichheit, aber unbedingt gleiche Befugniß zu Allem, das ist die Losung des neuen Jahrhunderts.« – »Erbt einst der Sohn des Millionärs auch die Million?« warf abgehend von diesem Schlußsatz der Graf ein. Hyppolit antwortet für Valer: »Er kann sie morgen ganz oder zum Theil verlieren und sein Nachbar kann sie gewinnen. Darin ruht der Widerspruch mit der neuen Theorie: Alles muß für Alle erreichbar sein.«

Die Zeit ist noch nicht reif, um uns den Genuß der Freiheit zu gewähren; aber berufen sind wir von ihr zu Wegbereitern der Freiheit: in diesem Gedanken begegnete sich der Ideengang Laube's hier im »Jungen Europa« mit demjenigen in Gutzkows »Briefen eines Narren an eine Närrin«. Alle diese jungen »Poeten« des Romans fühlen den Werdeprozeß einer neuen Zeit. »Wären wir nicht alle zukunftskrank, so würden wir eine stärkere Gegenwart haben,« sagt einmal Konstantin, der, nach Paris gegangen, dort die »große Woche« erlebt, mit ihren Resultaten aber unzufrieden, sich einem wilden Genußleben ergibt. (Bezug auf Heine.) »Es wird und muß sich eine neue Zeit bilden, wir leben freilich in keiner, sondern in dem Zwischenraume, auf der Brücke zweier Zeiten.« Wenn aber Konstantin weiter sagt, daß die Poesie der neuen Zeit verzichten müsse auf Helden und plastische Individualitäten und an ihre Stelle die öffentliche Meinung träte – Jean Paul habe diese Poesie angebahnt, da erwidert ihm Hyppolit, der für Shakespeare, den »strotzend gesunden«, schwärmt: »Das Plastische darf der Poesie nie verloren gehen, was gäbe ich drum, schrieben unsere Bildhauer Novellen: das könnte eine stärkende Kur werden; was gäbe ich drum, lebten noch zwei Heinse, die einfachen Homöopathen der Beschreibung.« Heinse einen Plastiker zu nennen, war freilich ein Irrthum; leidet doch sein an schönen Schilderungen reicher Roman an einer Ueberlast von Gefühlsausströmungen und Empfindungsmalereien, die uns beim Lesen lebhaft vergegenwärtigen, daß die »Geniezeit«, aus der heraus diese Verherrlichung der Antike und der Renaissance entstand, auch das Zeitalter der »Empfindsamkeit«, die »Wertherperiode«, war. Und auch Laube ist weniger Plastiker und viel mehr ein Jünger Jean Pauls, als er selber meint, Handlung und reine Beschreibung treten zurück und die sozial-politische und sozial-ethische Erörterung bleibt im Vordergrunde des Werkes. Die »Poeten« des Romans sind, gerade wie zur Zeit er selbst und Gutzkow, weit mehr noch Politiker als Dichter. Der Realismus der Dichtung besteht mehr in dem lebendigen und unmittelbaren Bezug auf die politischen Ideen und Kämpfe der Gegenwart, in dem Zusammenhang des Stoffs mit Laube's eigenem Erleben, als in Vorzügen der Komposition und Darstellung; die Kunst des Dichters steckt nach Auffassung und Charakteristik noch tief im Dialektischen; die Phantasie gestaltet nicht, die Gestaltungskraft phantasirt. Dagegen war Gutzkow bei der Gestaltung seines weither geholten romantischen Stoffes in der Schilderung und Komposition viel mehr Realist und Plastiker gewesen. Er bot in »Maha Guru« bewußte sorgfältige Kunstarbeit, Laube im »Jungen Europa« sorglos hingeworfene Improvisationen eines warmblütigen Naturells, Gutzkow fand das Lob strenger Kritiker, Laube lebhafteren Anklang beim Publikum. Die frische Unmittelbarkeit, der Realismus wie der prickelnde Reiz des Stoffes, die allgemeine Verständlichkeit des Ideenganges entschieden seinen Erfolg.

*

Am 14. September waren die beiden jungen »Poeten« wieder am Schreibtisch; Laube in Leipzig, Gutzkow in Berlin. »Nach einer vierzigtägigen Reise gestern hier angekommen,« schrieb letzterer an diesem Tag dem Chef der Cotta'schen Buchhandlung, »laß' ich es mein erstes Geschäft sein, Ew. Hochwohlgeboren meine herzlichste Empfehlung zu senden. Ich habe Salzburg, Tirol, Oberitalien, das Adriatische Meer, die Ländermasse von Triest bis Wien, Böhmen, Sachsen durchflogen und erst die Sandsteppen meiner märkischen Heimath nöthigten mich, in dieser Eile mich zu mäßigen. Ungeachtet dieser Schnelligkeit kehr' ich voll frischer, lebhafter Eindrücke zurück, die ohne Verzug, ehe sie noch verwischt werden könnten (sie sind alle mit Bleistift in meinem Portefeuille verzeichnet) zu leserlichen Artikeln verarbeitet im Morgenblatt niedergelegt werden sollen.« Wir dürfen das Ergebniß dieser Reise für Gutzkow und Laube, die Bedeutung derselben für die Geschichte des Jungen Deutschlands, jedoch nicht nach dem literarischen Niederschlag beurtheilen, den nunmehr Gutzkow in seinen » Reiseskizzen« für das Morgenblatt und Laube in dem 2. Bande seiner » Reisenovellen« fixirte. Beide haben in diesen Erinnerungsbildern, die Gutzkow mit historischen Reminiscenzen, Laube mit frei erfundenen Liebesabenteuern durchwob, einander ohne Namensnennung erwähnt, aber mehr im Tone satirischer Neckerei als in dem einer gewonnenen Bundesgenossenschaft. Daß Laube bei seinen Liebesabenteuern immer selbst der beglückte Liebhaber war, während er dem »Archivar des Königs« (als solchen bezeichnete er Gutzkow) immer das Zusehen ließ, hat ihm dieser, wie seine spätere ungünstige Kritik beweist, ziemlich übel genommen. Thatsächlich verlief die Reise viel zu schnell, als daß der eine oder der andere Liebesnovellen hätte erleben können. Charakteristisch für Beider Art und wichtig für ihr ferneres Verhältniß ist das Ergebniß eines Vergleichs dieser Arbeiten immerhin. Beginnt Laube sogleich in München die Reihe seiner novellistischen Einflechtungen, indem er erzählt, wie er dem »Archivar des Königs« behülflich gewesen sei, zu einem Stelldichein mit einer von ihm längst angeschmachteten Schönen zu gelangen, wobei dieser ein Opfer seiner Kurzsichtigkeit wurde, so beginnt Gutzkow seine Schilderung der Abfahrt von München mit einer ernsten Betrachtung darüber, daß Kranken-, Irren-, und Zuchthäuser unsere modernen Städte wie mit einem Ringe umgeben. Im Amphitheater Veronas erwachen in Gutzkow Erinnerungen an die lateinische Welt seiner Gymnasialzeit. Ihm fällt ein, daß Cornelius Nepos mit »seinem zierlichen leichten Latein« aus Verona gebürtig ist und widmet demselben eine gefühlvolle Apostrophe. Dagegen gedenkt er der Begegnung mit drei Engländerinnen in dem Hotel, das sie in Verona bewohnten, welche Laube zu einer buntbewegten »Novelle ohne Ende« ausspinnt, nur mit drei Zeilen, obgleich er es war, der sich in das Zimmer der Damen verirrte. Solche Erlebnisse erschienen ihm für die Poesie kein Gegenstand; mit scharfem Wort nannte er den Laube der Reisenovellen später einen »goethisirenden Clauren«. Trotzdem wird der unbefangene Leser diese erotischen Phantasiestücke unterhaltender finden als das Produkt einer absichtsvollen und ihre Absichten doch verschleiernden Kunst, als das sich auch dem wohlwollenden Auge der »Nero« Gutzkows darstellt, dessen Entwurf ihm im Amphitheater Veronas sicher ebenso durch die Seele ging, wie die Gymnasial-Reminiscenz an den ehrsamen Quintanerquäler Cornelius Nepos. Andrerseits muß man auch der Verurtheilung Gutzkows Recht geben, denn die Laube'sche Methode, sich selbst als Helden einer ununterbrochenen Kette von leichtfertigen und flüchtigen Eroberungen darzustellen, wirkt auf die Dauer ermüdend und unwahr zugleich und als unschönes Gemisch von Koketterie und Renommage, das unerträglich wäre, wenn nicht immer wieder auch Schilderungen voll poetischer Stimmung und Ausbrüche schöner Begeisterung über geliebte Dichter und bedeutende Thaten jene Novellenfragmente unterbrächen, wie die Lobpreisung der Tiroler, die Erinnerung an Goethe's italienische Reise, die Phantasie über Romeo und Julia, die Apotheose Byrons in Anknüpfung an dessen Aufenthalt in Venedig. Gutzkow ist dagegen auch in dieser Richtung sachlicher und nüchterner; er übermittelt dem Leser scharfumrissene Skizzen der thatsächlich empfangenen Eindrücke und Erlebnisse. Ihm war das ganze Unternehmen nur literarische Handarbeit; die eigentliche poetische Ernte sollte seinem »Nero« zu gute kommen.

Während der Reise selbst war es übrigens keineswegs zu Reibungen zwischen ihnen gekommen. Wenn Gutzkow sich in Triest von Laube und Axenfeld trennte, so that er es, weil er im nahen Laibach seinen Jugendfreund Bürger, der als Sänger zur Bühne gegangen war, ohne dabei sein Glück zu finden, engagirt wußte. Nachdem er diesen in seelischem Elend angetroffen und getröstet, stieß er wieder zu Laube, mit dem ihn schon seit Wochen das brüderliche Du verband. In Wien machten sie noch gemeinschaftlich die Bekanntschaft Grillparzers und Bauernfelds in deren Stammlokale, dem »blauen Stern«; sie fanden in Bauernfeld einen warmherzigen Gesinnungsverwandten, während Grillparzer sich seinem Wesen gemäß nur zurückhaltend gab; dann waren sie als Bundesgenossen und Freunde geschieden. Die auf der Reise begründete Kameradschaft war, trotz der tief empfundenen Verschiedenheit in den Lebens- wie Kunstauffassungen stark genug, daß beide von Plänen einer gemeinsamen Wirksamkeit erfüllt waren und nach Ablauf des Jahres Gutzkow nach Leipzig zog, um dort im täglichen Verkehr mit Laube an diesen Plänen weiterzuspinnen.

In seinen »Rückblicken« hat ersterer zugestanden, daß dieser Verkehr seinen literarischen Bestrebungen eine bedeutsame Wendung gegeben und sein Verhältniß zu Menzel wesentlich gelockert habe. Wenn wir die Beiträge Gutzkows zum Menzel'schen Literaturblatt aus dieser Zeit und die gleichzeitige Thätigkeit Laube's in der Eleganten Zeitung mit einander vergleichen, tritt uns das Gemeinsame, das sie verband, und der prinzipielle Unterschied ihres Wollens deutlich vor Augen. Vor allem aber wird uns klar, wie hier im Wettkampf mit einander ihre jungen Geister sich befruchtet und angeregt haben, theils zu Zugeständnissen und Nacheiferungen, theils zur Hervorkehrung und Herausbildung ihrer Eigenthümlichkeiten. Wir sehen Laube sich Mühe geben, seine Urtheile besser zu begründen, seine Ansichten wissenschaftlich zu vertiefen, das Aphoristische seiner Schreibweise aufzugeben zu Gunsten eingehender Charakteristiken; wir sehen Gutzkows Interesse an ästhetischen und rein literarischen Fragen ein unmittelbareres werden, seine Schreibweise sich des reflektirenden, philosophischen Charakters entwöhnen und etwas von der resoluten Bestimmtheit Laube's annehmen, wir sehen ihn sich zu der Anschauung bekehren, daß die Poesie modernen Geistes auch modernes Leben und moderne Menschen gestalten müsse. Dieser Prozeß vollzog sich nicht ohne Schmerzen und Opfer, nicht ohne scharfe Wortgefechte mit den Leipziger Freunden in ihm; hatte er doch mit seinem bisherigen Standpunkt auch seinen »Maha Guru« zu vertheidigen, welcher eben erschienen war und für den er von Laube, der doch seine »Narrenbriefe« so lobend besprochen, nicht minder warme Anerkennung erwartet hatte. Doch Laube war kein Freund der »verdeckten Satire«, wie sie Börne unter dem Druck der Zensur und zur Umgehung derselben erfunden, und er sagte es dem Freund auf den Kopf, daß Menzel ihn auf einen Holzweg gelockt, wenn er ihm gerathen, auch in der Poesie diese »verdeckte Satire« zu pflegen. Noch schärfer ging ihm das ästhetische Orakel von Laube's Leipziger Freundeskreis, Gustav Schlesier aus Dresden, zu Leib: nicht Voltaire und Diderot – die modernen Franzosen mit ihrer Unmittelbarkeit der Lebensschilderung müsse er sich zum Muster nehmen. »Ihr Maha Guru liest sich wie Zadig oder Candide. Herzblut müssen Sie zeigen! Den Charakter der Gegenwart treffen! Sich Ihre Brust aufreißen! Nur modern, spezifisch ›modern‹ muß der Schriftsteller von heute sein! Die deutsche Literatur darf nur noch den Weg wandeln, den allen Literaturen Europas die Baronin Dudevant, George Sand, vorgezeichnet hat!« Zwei Bucherscheinungen und die von diesem angeregte Diskussion verstärkten diesen Appell. Von einem jüngeren Professor der Literaturgeschichte, Victor Aimé Huber in Rostock, dem Sohn jenes Ferdinand Huber, der mit Posselt Redakteur der »Allgemeinen Zeitung« gewesen war und dessen Wittwe Therese lange Jahre hindurch das Cotta'sche Morgenblatt geleitet hatte, war im Herbst bei Brockhaus ein Buch erschienen, das sich mit der französischen Romantik eingehend beschäftigte: »Die neuromantische Poesie in Frankreich und ihr Verhältniß zu der geistigen Entwickelung des französischen Volks.« Nach Art so vieler deutscher Gelehrten war hier die moderne Erscheinung auf weitentlegene Ursachen zurückgeführt und als ein Ergebniß der mittelalterlichen Kultur in Frankreich erklärt. In seltsamer Verkennung und nur erklärlich durch Eigenschaften vereinzelter Erscheinungen, wie Hugo's Notre dame de Paris, war hier von der französischen Romantik gesagt, im Grunde sei sie ein Zurückgreifen über die Literatur des Klassizismus und der Revolution auf das Mittelalter, eine Restauration der christlichen Ideale desselben. Gutzkow wies im Cotta'schen Literaturblatt (1833, Nr. 118) nicht ohne Hohn und Spott den Irrthum nach, bezeichnete die Freude einzelner Romantiker am Lokalkolorit älterer Zeiten als Aeußerung einer genußfreudigen Phantasie, wie überhaupt keineswegs mittelalterliche Askese, sondern ein starker Trieb zum Lebensgenuß die modernen Dichter des französischen romantisme charakterisire. Huber beantwortete diese Kritik mit stark persönlichen Invektiven in den Brockhaus'schen »Blättern für literarische Unterhaltung«, worauf Laube und Schlesier die Gutzkow'schen Argumente aufnahmen und dessen Ansicht in der »Eleganten Zeitung« vertheidigten. Schon vorher hatte Laube Gelegenheit genommen, seine Sympathie für die zeitgenössische Literaturbewegung in Frankreich und zugleich seine Meinung zu äußern, daß die von ihm mitvertretene deutsche zwar mit jener verwandt, aber aus eigenen heimischen Ursachen emporgewachsen sei. Hierzu gab ihm den Anlaß die literarische Einleitung, mit welcher August Lewald, Gutzkows Freund, seine Uebersetzung der Gesammelten Erzählungen von Jules Janin begleitet. Lewald hatte hier gleichfalls ausgeführt, daß nicht der mittelalterliche Stoff, sondern die moderne Empfindung die Bewegung charakterisire, und dazu bemerkt, es zeige sich ein Widerschein derselben in der »unsrigen, jetzigen«. Dies erklärte er für einen Irrthum. (Nr. 238, 5. Dez. 1833.) Die französischen »Romantiker« wären allerdings keine Romantiker im deutschen Sinne. Sie wollten die Wirklichkeit des Lebens darstellen, welche die deutschen Romantiker flohen. Die französische und die deutsche Bewegung seien aber selbständig entstanden und beide hätten ihren Bahnbrecher in Goethe. »Goethe hat die Wahrheit in unserer Literatur emanzipirt, er hat die Wirklichkeit gedichtet.« »Es regt sich jetzt in allen modernen Richtungen der Literatur ein Streben, unverhüllt das darzustellen, was eben ist, und weil dies in einer bunten Zeit bunt ist, so erscheinen die Produkte ebenso. Aber die französischen Romantiker, so günstig wir ihr ursprüngliches Streben ansehen, wären wahrscheinlich nicht geeignet zu Vorbildern, die modernen Richtungen haben nur gleiche Intentionen gemein.« So wahrte sich Laube neben Schlesier, der die Bedeutung der französischen Romantiker für unsere Literatur überschätzte, seinen eigenen, wir dürfen hinzusetzen richtigen Standpunkt. Und Gutzkow theilte denselben.

In Bezug auf dessen poetisches Schaffen hatte Schlesier aber ganz recht, wenn er in seiner Kritik des »Maha Guru«, die am 20. Febr. 1834 in der »Eleganten Zeitung« erschien, ausführte, daß dieser phantastische Aufbau einer Welt von uns fremden und ganz entlegenen Zuständen um so weniger als Poesie wirken könne, je verhaltener der satirische Humor sei. So reiche Erfindungskraft auch auf das poetische Detail verwandt sei, so fesselnd der Vortrag im Einzelnen, so kalt lasse doch das Ganze, das in seiner ernsthaften Objektivität keine lebensvolle Satire, in seiner versteckten Absichtlichkeit kein lebensvoller Roman sei. Die Kritik war liebenswürdig gehalten und warnte den Verfasser der so geistesfrischen Narrenbriefe vor dieser »Poesie des Kalküls« als einem Abweg. Dennoch war der Trank für Gutzkow bitter. Hatte er doch gerade eine neue Novelle beendet, die einen historischen Stoff mit jener ironischen Tendenz behandelte, welche zum Wesen von Voltaire's Erzählungskunst gehört hatte. » Der Prinz von Madagaskar« behandelt ein psychologisches Problem, das eine auffallende Ähnlichkeit mit demjenigen hat, das Voltaire im » Ingénu« gestaltet. Wie dort ein junger Kanadier, der unter den Huronen aufgewachsen ist, sich nicht in die Zustände des modernen Paris finden kann, so kann hier der Sohn eines Fürsten von Madagaskar, der in Paris aufgezogen worden ist, sich nicht in die Verhältnisse seiner in aller Kultur zurückgebliebenen Heimath finden. Die aktuelle Tendenz ist heute nicht unschwer zu erkennen: ebenso wie jenem Prinzen ging es ja auch den jungen Schriftstellern, die durch Goethe, Schiller, Heine, Börne zur Freiheit erzogen waren und sich in das Leben unter dem Geistesdruck des Metternich'schen Polizeistaats nicht finden konnten. Und auch an einem persönlichen Bezug fehlte es nicht: ihm selbst ging es ja vor allem wie diesem Prinzen, als er aus der erhöhten Lebenssphäre, die sich ihm in Heidelberg, München, in Tirol, Venetien aufgethan, sich wieder in den heimischen Verhältnissen, unter der niedrigen Decke und dem engen Horizont des elterlichen Heims zurechtfinden sollte. Wie viele Leser aber waren wohl im Stande, diesen aktuellen Reiz zu empfinden? Die Anspielung auf das wirkliche Leben war zu versteckt. Wie sehr er jedoch die Rathschläge Schlesiers beherzigte und sofort im Stande war, einen philosophischen Grundgedanken zur Unterlage einer streng realistischen Darstellung von fein beobachteter Wirklichkeit zu machen, davon war die reizende und zugleich tiefsinnige Idylle »Kanarienvogels Liebe und Leid« ein Beweis, die in den Nrn. 79-81 des Jahrgangs 1834 vom »Morgenblatt« erschien, eine Prosadichtung, welche später Professor Karl Rosenkranz gern zitirte als Beispiel der poetischen Kraft des damals noch so jungen Autors. Im Verkehr mit Laube, Schlesier und den anderen liberalen Schriftstellern der Leipziger Literatenkolonie, zu welcher auch Herloßsohn, der Herausgeber des »Kometen«, zählte, schrieb Gutzkow jene kecke Vorrede zur Sammlung seiner Novellen, in denen er diese selbst nur als Abschlagszahlungen seines Talents bezeichnete und die auch einen Satz enthielt, der Menzel mit einer Neckerei bedachte. Er hatte scherzhaft den Gedanken ausgeführt, daß jeder Schriftsteller, am Schreibtisch sitzend, an eine bestimmte Person als Leser dächte: »Der junge Poet dichtet einige Jahre hindurch nur für seine Geliebte oder er denkt nur an den Nelkenstock seiner Mutter.« … Nach diesem harmlosen Anfang hatte er eine ganze Reihe zeitgenössischer Autoren genannt: Fürst Pückler schreibe für einige Leute in Berlin, die er durch seinen Geist ärgern wolle, Heinrich Laube habe nur den schlesischen Kavalier im Auge, Heine seinen reichen Onkel, Börne einige Frankfurter Senatoren und Menzel schreibe keine Zeile, ohne zu denken, was wohl der Kirchenrath Paulus in Heidelberg dazu sagen werde. In der That hatte erst kürzlich Menzel im Literaturblatt einen scharfen Schwertgang zu Gunsten der Judenemanzipation mit einem Angriff auf Paulus, seinen alten Gegner, eingeleitet. Jedenfalls aber war die kleine »Rempelei« ihrer Fassung nach nicht so ernst zu nehmen, wie Menzel es that. Derselbe sandte seinem »Adjutanten« eine so heftige, kränkende Abstrafung, daß dieser ihm beleidigt die letzte von Stuttgart erhaltene Büchersendung zurücksandte und die Mitarbeit aufkündigte. Menzel habe Gutzkow wie einen literarischen Kommis behandelt, hat Laube bestätigt. Jetzt fing dieser auch an, in die »Elegante Zeitung« Beiträge zu liefern: eine größere Charakterskizze »Julius Max Schottky«, welche eine originelle Figur seines Münchener Bekanntenkreises und einen gemeinschaftlichen Ausflug mit diesem Sammler »historischer Realitäten« ins bayrische Hochgebirg mit reizvoller Frische und ungezwungenem Humor schilderte, wobei er sich auf Laube's köstliche Charakteristik Karl Schalls als ein Vorbild berief, unterzeichnete er mit seinem Namen. Einen Bruch hatte Menzel aber nicht gewollt. Die glänzende Besprechung des »Maha Guru« (Lit.–Bl. 1834, Nr. 20) war jetzt das Pflaster, mit welchem er die geschlagene Wunde vorläufig schloß.

Gleichzeitig mit diesen Fragen, ja noch vorher und direkt als Ergebniß der gegenseitigen Anregung auf der Reise, beschäftigte die beiden Freunde die Idee, die jungen Elemente eines neuen literarischen Lebens zu konzentriren und der Bewegung ein Organ zu schaffen, das frei und unabhängig von Nebenrücksichten und achtunggebietend von vornherein ihr die Wege bahne, wie es etwa dem »jungen Frankreich« der »Globe« gethan. Daß sie dabei an Cotta als Verleger dachten und denken durften, fand seine Berechtigung in dem Zutrauen, mit welchem dieser den vielversprechenden Verfasser des »Maha Guru« gerade in diesen Tagen bevorzugte.

Ein Brief vom 2 November 1833, von Gutzkow aus Berlin an Georg v. Cotta geschrieben, suchte die dahin zielenden Verhandlungen anzubahnen.

»Ew. Hochwohlgeboren

bin ich für die schleunige Zusendung des erbetenen Wechsels sehr zu Dank verpflichtet; ich hab' ihn des kürzeren Weges halber an den hiesigen Buchhändler Logier, einen vermögenden Mann, verkauft, der ihn bei Frege zu realisiren wissen wird.

Auch Ihre Erlaubniß, die im Morgenblatt ohne meinen Namen erschienenen Artikel jetzt schon zu einer Sammlung benutzen zu können, kam mir sehr willkommen. Man muß die Meinung des Publikums erobern, und gerade sind Novellen dazu das beste Mittel. Die Deutschen kommen den Autoren nicht so zuvorkommend entgegen, wie die Franzosen und Engländer den Ihren.

Ich halte dafür, daß wir gegenwärtig auf dem Punkte stehen, einige entschiedene Dinge für die Literatur zu erleben. Die alten Aufregungen legen sich immer mehr: die literarischen Parteien haben für ihre kleinen Zänkereien kein Publikum mehr, und die politischen wenden sich ihren vier Pfählen zu, da es ziemlich windstill in der Tagesgeschichte wird und für die Einen die Hoffnung, zu gewinnen, ebenso wenig mehr genährt wird, als für die Andern die Furcht, zu verlieren. Ist doch seit vielen Monaten schon der Lauf der Ereignisse nur durch die Kämpfe der reagirenden Legitimität mit dem Status quo bestimmt worden, ohnmächtige Begebnisse, die uns daran erinnern, daß in der That in Europa der Friede herrscht. Für Deutschland sind solche Zustände immer die Faktoren neuer Veränderungen gewesen. Und haben wir nicht schon viel gewonnen, wenn für die Literatur eine frische, thätige Theilnahme erweckt wird?

Es giebt zwei Erscheinungen, welche in dieser Hinsicht sehr charakteristisch sind: die schriftstellerische Aristokratie und die kaufende Pfennig- und Hellerdemokratie. Wenn die Herren Pückler-Muskau, von Rumohr, Rehfues, die Verfasser mehrer jüngst erschienener deutscher Memoiren, schreiben, so erregen sie unstreitig in vielen Zirkeln die Aufmerksamkeit, welche sich an eine Entfernung von der deutschen Büchermesse gewöhnt hatte; und wenn auf der andern Seite die Klempner und Strumpfwirker kaufen, so wird wenigstens die Gewöhnung an Geldausgabe erhalten, u. eine gewisse Achtung vor dem gedruckten Buchstaben von unten herauf erzielt. Diese beiden Erscheinungen sind aber nur die Symptome anderer Veränderungen, die durchgreifend sein werden. Jene vornehme Literatur wird zwar viele Dinge feiner und schärfer sehen, und manches passender, als bisher geschehen, ausdrücken können; allein Feuer, Kraft, Jugenddrang, Entschlossenheit sind die Elemente, welche auf diesem Gebiete immer nur entscheidend gewirkt haben und welche jenen Liebhabereien durchaus abgehen. Sie werden neuen Erscheinungen die Bahn brechen, welche vielleicht nicht mehr so fern hinaus liegen. Diese Zukunft wird von der Achtung zehren, welche der Literatur von einigen vornehmen Schreibfingern wieder zugewandt ist, und wird an Reichthum und Wahrheit doch bei Weitem ihre glänzenden Vorgänger wieder übertreffen. Hier ist der Punkt, wo sich die inzwischen gereifte und von unten herauf gebildete Bürgerklasse mit einer Literatur versöhnen kann, welche nur auf dem Wege allgemeiner Anerkennung zu einer Sache der Nation wird. Nur an diese breite Masse, die wir Volk nennen, muß man sich wenden, wenn es sich um Eifer, Liebe und Bewunderung handelt. In dieser Sphäre wird der Lorbeer niemals welk, und man kann bestimmt darauf rechnen, daß Deutschlands größte Geister einen unverwüstlichen Tempel des Ruhmes besitzen, wenn sie hier ihren Grundstein legten. Legt nicht der Enthusiasmus für Schiller, der trotz aller Anfeindungen der vornehmen und gelehrten Welt immer derselbe bleibt, dafür den schönsten Beweis ab?

Verzeihen Sie, daß ich Sie hier mit Dingen unterhalte, welche nur Das wiederholen, was Sie längst über diesen Gegenstand gedacht haben. Aber es hat für mich einen eigenen Reiz, diese Ansichten einem Manne mitzutheilen, dessen Lage, Erbe und Einsicht so unzertrennlich von dem Stolze der deutschen Nation ist. Sie versichern mich Ihrer wohlwollenden Freundschaft und ich erlaube mir, von einem Rechte derselben Besitz zu ergreifen, u. Sie zu bitten, folgendes noch anfügen zu dürfen:

Das im Augenblicke gefährlichste Uebel ist unstreitig der Pfennigdemokratismus, wenn daraus ein unberechenbares Extrem werden sollte. Wenn die Schneider und Handschuhmacher sich schämen, daß sie nicht wissen, wo der Pfeffer wächst, wie die Baumwolle gewonnen wird, und ein Wagen ohne Pferde mit Dampf getrieben werden kann, so ist es brav, wenn sie sich darüber Aufklärungen verschaffen wollen. Allein die zahllosen Unternehmungen dieser Art bringen vielleicht selbst den gebildeten Mann auf die Sucht, sich unterrichten zu wollen und damit könnte viel verloren gehen, z. B. der Sinn für die freien Erfindungen der Phantasie, die Kauflust, welche sich durch Pfennige verschleudert, die Achtung vor dem Schriftsteller, der in dieser Literatur nur als schnell fertiger Uebersetzer etwas gelten könnte. Mögen die Buchhändler Alles an die vornehme Literatur wenden, so lange sich diese Sucht nicht legen will! Aber vielleicht läßt sie bald nach, vielleicht nehmen Bulwers Romane den Leuten nicht so viel Zeit und guten Willen für die Heimath weg, als ehemals Walter Scott, vielleicht wäre der Zeitpunkt, um einige junge Köpfe zu concentriren, bald erschienen. Die kleinen zarten, grünen Keime zu einer jeune Allemagne sind da; ich habe davon so viel Zeichen, und ein so festes Vertrauen, daß sie mich nicht trügen; ich lebe in dieser sicheren Hoffnung und sie ist für mich eine Aufmunterung, der ich nicht widerstehen kann. Hier ist nicht mehr die eingelernte Opposition, die uns noch vor einiger Zeit neu dünkte, nicht mehr die gemachte Entrüstung, die studirte Drohung, welche über kleinliche Schreibgilden Triumphe feierte, nicht mehr die Wiederholungen der politischen Eiferer, die wie z. B. Heine trotz aller glänzenden Gaben der Phantasie und des Witzes sich doch nicht weiter wagen als zu Skizzen und Kritiken der nächsten Vergangenheit und unmittelbaren Gegenwart. Hier ist wieder sehr viel Ruhe (denn es giebt gewisse Dinge, die zu erwiesen sind, als daß man darüber viel Worte verlieren sollte), sehr viel Breite (denn die Literatur hat mehr Fächer als das Brief- und Genrefach) und sehr viel Positives (denn es ist fabelhaft, unsre ganze Literatur zur Kritik, zur Negation, zum Skepticismus machen zu wollen). Die Literatur hat ihre Krisen überstanden, ja selbst die letzte Krisis, die der Vielschreiberei, ist vorüber, seitdem sie es dem dermaligen an der Tagesordnung stehenden Enzyklopädismus nicht mehr gleich thun kann. Wär' ich jetzt nicht so jung, könnt' ich die Schriften aufzeigen, welche ich in drei Jahren werde geschrieben haben, besäß' ich das Selbstvertrauen, welches ich durch günstige Stimmen, auf die ich rechne, in späterer Zeit ohne Anmaßung vielleicht erworben habe, so würd' ich Ihnen jetzt Namen nennen, und mit Plänen anrücken, und Ihnen so viel Vorspiegelungen machen, daß Sie sich vor mir entsetzen, u. Ihr sonst geneigtes Ohr schließen sollten. Wie gut ist es also, daß ich noch kein berühmter Mann bin!

Das ist ein langer Brief geworden. Ich behalte nicht einmal mehr Raum übrig, Ihre Besorgnisse, daß ich in Erfüllung meiner Versprechungen nachlässig werden könnte, durch eine Erklärung zu beschwichtigen, wie sie der ehrenvolle Werth, den Sie auf mich legen, verdient. Sei es genug, daß ich die früheren Ausdrücke meines Vertrauens auf Ihren Schutz und Ihre Theilnahme wiederhole! Ich habe alle meine hiesigen Verbindungen abgebrochen und mich entschlossen, mich unter die zahllose Menge von Schriftstellern zu begeben, welche gänzlich von der Gunst des Publikums abhängig sind. Kann mir eine glücklichere Vermittlung meiner Versuche und der Lesewelt geboten werden als die Ihrige? Ich will ganz allein von meiner Feder leben, und rechnete, als ich mich dazu entschloß, vor allen Dingen auf meine Verbindung mit der J. G. Cotta'schen Handlung. Sie sehen, daß ich alle Ursache habe, mit ihr in bestem Vernehmen zu bleiben.

Morgen send' ich den 2. Artikel meiner Reiseskizzen an die Redaktion des Morgenblatts, ein 3. wird demnächst folgen.

Den Exemplaren meines Romans seh' ich erwartend entgegen. Ich unterzeichne mit freundlichem Gruße

Ew. Hochwohlgeboren gehorsamster

K. Gutzkow

Wenn wir gleich hier diese Andeutungen und Ausführungen, in denen Gutzkow dem mächtigsten deutschen Verleger das Werden eines »jungen Deutschlands« literarischer Art mit lockenden Farben ausmalte, in Verbindung bringen mit den weiteren Bemühungen Gutzkows, die Leitung eines neuen literarischen Organs zu gewinnen, welche im Laufe des nächsten Jahres eine Hauptangelegenheit seines Lebens blieb, bis er am Ende desselben dieses Ziel auch in Frankfurt erreichte, wenn wir ferner gleich hier die Thatsache verzeichnen, daß er mit dem Plane eines größeren Organes, das Cotta für die junge Literatur gründen sollte, um Mitte 1835 offen an diesen herantrat, so wird die Meinung wohl begründet erscheinen, daß ihm auch beim Schreiben des obigen Briefs ein solcher Plan vor der Seele gestanden.

Sein Gönner in Stuttgart hatte aber ganz andere Absichten mit ihm; der rege Verkehr, den er gleich nach Gutzkows Rückkehr nach Berlin mit ihm angeknüpft hatte, entstammte seinem lebhaften Wunsche, die Feder desselben womöglich ganz für die politische Schriftstellerei, für die Allgemeine Zeitung zu gewinnen. Was ihm der vielseitige »Adjutant Menzels« vor dem Ausbruch nach dem Süden noch aus München über seine Bereitschaft geschrieben, nun auch für die Allgemeine Zeitung Beiträge zu liefern, hatte sein höchstes Interesse erregt. Mehr noch als sein Vater, dem der immer schwieriger werdende Kampf mit der Zensur, wie wir sahen, das Leben während der letzten Jahre so sehr verbittert hatte, fand in den Jahren nach dem Hambacher Fest sein Sohn Georg sich die Aufgabe erschwert, die Augsburger Allgemeine Zeitung auf der Höhe zu halten eines Organs des liberalen und nationalen Fortschritts, dem die maßvolle Form der Opposition die Duldung der Regierungen eintrug. Es wurde immer schwieriger, brauchbare Männer von Talent und Geist für den journalistischen Beruf heranzuziehen. In Gutzkow glaubte Georg v. Cotta einen solchen gefunden zu haben. Und im Laufe des nächsten Halbjahrs sehen wir diesen sich mit weit entgegenkommenden Anträgen überbieten, um Gutzkow ganz ins Lager der Journalistik hinüberzuziehen, unter Entfaltung eines Zutrauens, welches das Selbstbewußtsein des Dreiundzwanzigjährigen nicht wenig steigern mußte.

*

Zunächst bot Cotta ihm die Stelle eines Berliner Korrespondenten der Allgemeinen Zeitung an, die aber Gutzkow ausschlug, da er mit der Novelle »Der Prinz von Madagaskar« beschäftigt war, welche den Doppelband der bei Hoffmann und Campe jetzt in Druck befindlichen Novellen kompletiren sollte. Er schlug ihm jedoch als Ersatz einen seiner politischen Freunde vor, den Westfalen Dr. Kottenkamp, den er als Stammgast im Zeitungszimmer bei Stehely kennen gelernt hatte und dem er auch später in Frankfurt literarische Beziehungen verschaffte. »In der Ihnen jetzt gewiß zugekommenen Antwort,« schrieb er am 19. Dezember noch von Berlin aus, »versprach ich einen Neuigkeitsmann zu stellen und entschuldigte mich, daß ich nicht selbst als solcher auftreten mochte. Nichts desto weniger will ich der Allgem. Zeitung vertraut werden, und habe mir durch 4-5 Briefe, die vielleicht schon zum Abdruck gekommen sind, den Eintritt in dieselbe erkauft. Ich werde diesen von Zeit zu Zeit anderes folgen lassen, aber Raisonnirendes, Abhandelndes, mit dem ganzen Jesuitismus freilich, den die jetzigen Verhältnisse zur Pflicht machen. Das kann ich auch von Leipzig aus, wo ich bis März wohnen will. – Meine dargebotene Hülfe präsentirt sich im beifolgenden Ew. Hochwohlgeboren selbst … Es versteht sich, daß die Nachrichten, welche er schickt (wie Probe zeigt) nicht in den Kaffeehäusern aufgefangen sind; sondern er besitzt Verbindungen. Der Hamburger und Nürnberger Korrespondent (Friedenberg und Mügge, Privatgelehrte) pflügen auch nur mit fremden Kälbern, mit Beamten, die ihnen die Materialien zufließen lassen. Kottenkamps Quellen sind mehre unterrichtete Employés, von denen er bei jedem Besuch mit dem Finger auf dem Munde Neues erfährt. Dazu kommt aber, daß Kottenkamp politisches Talent und stupende Kenntnisse besitzt, daß er im Korrespondiren routinirt ist, durch keine fremdartigen Beschäftigungen gestört wird und ein politisches point de vue besitzt, das ihm erlauben wird, vom preuß. Standpunkt aus zuweilen rekapitulirende Blicke auf das größere Gebiet der auswärtigen Politik zu werfen. Kottenkamp schrieb lange Zeit für französische Blätter, dann mit mir zusammen für Erhards verbotene Deutsche Allg. Zeitung, des Dienstes, den er der Allg. Zeitung leisten will, ist er also nicht ungewohnt, und er verspricht, sich völlig der Stellung dieses Institutes anzubequemen.«

Auch wie Gutzkow Kottenkamp des weiteren für eine Vakanz nach Augsburg empfiehlt, ist für ihn und die damalige Zeit sehr charakteristisch. »Zwar besitzt mein Klient kein schaffendes, aber viel beobachtendes Talent. Sollte sich vielleicht einmal in Augsburg eine Vakanz bei Ihren Blättern ergeben, so empfehle ich Ihnen Kottenkamp dringend. Er spricht französisch, englisch, spanisch, versteht italienisch und ist ein tüchtiger Philolog in den alten Zungen. Die kombinatorische Politik ist sein Lebenselement und die Geschichte seit 1788 ihm so gegenwärtig, daß er selbst biographisch über die kleinsten Nebenpersonen der neueren Geschichte Notizen angeben kann. Da ihn, wie mich, der Ueberdruß unsres ursprünglichen Berufes, der Philologie, ergriffen hat, so ist sein Unterkommen schwierig und ein Engagement nach Augsburg wär' in der That die passendste Richtung, die man seinen Talenten geben kann. In diesem Falle ließ ich alle Quellen seiner Berliner Correspondenz an mein Ohr leiten und würde später sein Amt übernehmen. Meine unruhige Reiselust wird sich mit der Zeit schon verlieren.« Aus Leipzig, wo er sich dann seit dem 17. Jan. 1834 befand, schrieb er in Bezug auf letztere Eventualität noch folgenden Absatz, der, wie die vorigen, auch für die Geschichte der deutschen Presse höchst interessant ist. »Das Honorar für Kottenkamps Briefe an die Allg. Zeit, bitt' ich Sie, auf so viel für die Spalte zu stellen, daß 4 Louisd'ors auf den Bogen herauskommen. Berlin ist kein konstitutioneller Ort, wir haben in Verwaltungen und höherer Politik keine Oeffentlichkeit und es kostet bedeutende Anstrengung, in den Besitz interessanter und verbürgter Nachrichten zu kommen. Man kann z. B. aus Leipzig weit mehr schreiben, als aus Berlin. Eine Berliner Korrespondenz drückt sich in jeder Zeitung, wo man sie trifft, nur lakonisch aus: das liegt in unsern Verhältnissen und ich bitte Sie, darauf gütige Rücksicht nehmen zu wollen. Sollten Sie übrigens Kottenkamp heut in Augsburg placiren, so reist' ich morgen nach Berlin, um seine Funktionen zu übernehmen. Ebenso ist es meine Absicht, die Zeit, welche ich hier bleibe, mit Arbeiten für die Allg. Zeitung zum Theil auszufüllen. Wenn ich nur erst den rechten point de vue gefunden habe, wird mir diese Beschäftigung nicht so ungewohnt sein. Desgleichen hab' ich eine Morgenblatt-Novelle im Plan und muß auf den kranken Menzel in Betreff des Lit. Blatts eine ernste Muße verwenden. Vom Beginn meines Jupiter Vindex wird hier nicht viel werden. Will man in Leipzig als Poet leben, so ist nichts störender als der Lärm der Preßbengel und der Geruch der Druckerschwärze, welcher alle Straßen verpestet.«

Was er für Kottenkamp erbeten, wurde ihm selbst einige Monate später, als er an einem dritten Orte – Hamburg – der Verwirklichung seiner literarischen Zukunftsträume nachhing, von Cotta unter außergewöhnlich günstigen Bedingungen angeboten. Die ersten größeren Aufsätze, die er in die Beilage der »Allgemeinen« geliefert: »Ein Blick auf Spanien«, »Der Statusquo in Deutschland«, der Nekrolog aus Schleiermacher († 12. Febr. 1834), der Aufsatz über »Pfennigliteratur« hatten auf Cotta und nicht minder auf Kolb den günstigsten Eindruck gemacht. Er selbst hatte Freude an dieser journalistischen Wirksamkeit großen Stiles gewonnen und am 15. Febr. schon aus Leipzig geschrieben: »Mit der Zeit gewinn' ich den rechten Ton und fühle mich in den Spalten Ihrer Zeitung heimisch, so daß ich allen Ereignissen des Tages zuletzt die benutzbare Seite abgewinne u. mich entschließe, eine Art von fortlaufender Bulletins, eine laufende Geschichte zu schreiben. Es kommt immer nur darauf an, die rechte Spiegelung eines Gegenstandes zu finden, dann ergeben sich hundert Straßen nach allen Seiten hin, benutzbar für die Dialektik. Die deutsche Publizistik wird besser werden, je mehr sie die Absichtlichkeit, die Krallenpfote der anderen Meinung, verstecken lernt.« Ende April erfolgte der Antrag einer festen Stellung an der »Allgemeinen«. Der hieraus sich ergebende Briefwechsel sei, wie er sich erhalten, thunlichst im vollen Umfange mitgetheilt.

»Hamburg, den 19. Mai 34.

Ew. Hochwohlgeboren werden durch einen Brief an die J. G. Cottasche Buchhandlung bereits erfahren haben, daß ich meinen Aufenthalt, Berlin, mit Hamburg vertauschen wollte. Seit einigen Tagen bin ich hier, und eile, Ihnen davon Anzeige zu machen. Ihre Zuschrift vom 27. April erhielt ich noch in Berlin. Die Aussichten, welche Sie mir darin für die Allgemeine Zeitung eröffnen, beschäftigen seitdem alle meine Kombinationen, und ich habe sogar schon angefangen, mich daran wie an etwas Entschiedenes zu gewöhnen. Unter solchen Verhältnissen, wie Sie mir Ihr vorläufiges Anerbieten wahrscheinlich macht, würde ich augenblicklich meine Wanderlust zügeln und mich ehrlich zwischen vier Pfählen fixiren. Ich habe das Verlangen danach und suche schon lange, es möglich zu machen. Hoffmann und Campe beabsichtigten die Herausgabe eines Unterhaltungsblattes, das mit dem neuen Jahre in Leipzig erscheinen und allenfalls von Berlin aus redigirt werden sollte. Ich sollte dafür die Besorgung einer kritischen Beilage übernehmen. Ich breche sogleich diese Unterhandlung ab, wenn ich in Augsburg eine mir bei Weitem willkommenere und angemessenere Stellung erhalten könnte.

Sie werden kaum daran gedacht haben, daß ich übersetzend an der Herstellung jeder täglichen Nummer arbeiten solle; denn Sie fügen hinzu, es werde mir noch Zeit genug zu meinen anderen Arbeiten bleiben. Wozu ich mich anheischig machen kann, ist dies: Ich liefere im Durchschnitt wöchentlich eine zu bestimmende Anzahl Spalten (etwa 4-5) für die Auß. Beilage, in denen ich gewissermaßen die Leading-Artikel der Allg. Ztg. gebe, die Bulletins der französischen Blätter, eine laufende Geschichte, das Protokoll der gestrigen und die Tagesordnung der morgenden Sitzung, vermischt mit Tendenzaufsätzen, philosophisch-politischen Divinationen, Abschweifungen, wenn sie durch eine Erscheinung des Tags hervorgerufen werden, auf Kirche, Statistik, Naturrecht, Staatsökonomie, auf große Männer und Charaktere, die auf- oder untergehen, auf interessante Erscheinungen der publizistischen Literatur. Ein reiches Feld, auf dem ich mich mit Liebe und Eifer bewegen würde. Jeder Aufsatz mit seinem eigenen Gesichtspunkt, mit seinen eigenen Prämissen, seinen eigenen Schlußfolgerungen, nur die Dialektik in allen dieselbe. Man soll nicht errathen, daß eine Tendenz sich in die Zeitung geschlichen habe, daß ein Dozent die Fragen des Tages zu Folien macht, um seine Ansichten über den Lauf der Dinge systematisch zu verbreiten, sondern die Begeisterung, der Nerv der Darstellung, soll erst durch die Frage selbst angeschlagen werden, und somit nicht der politische, sondern der historische Gesichtspunkt vorwalten. Die beste Philosophie ist die Philosophie der Entschuldigung, die Apologie. Sie schmeichelt sich den Gemüthern ein und würde es auch dann thun, wenn sie weniger gefahrlos wäre, als sie es zufällig ist. Um in Deutschland ein guter Publizist zu sein, muß man Versöhnlichkeit, Gerechtigkeit, muß man Sinn für das Erhabene und Perspektive genug haben, um jede Frage nur aus einer gewissen Ferne anzusehen. Dies ist die wahre Humanität, der allmählich alle Reste der jüngsten Aufregung in unsren Gemüthern Platz machen müssen … Es ist nicht Furcht, wenn ich mehr von der Vergangenheit, noch mehr von der Zukunft als von dem Heute sprechen werde, mehr von unsern Vätern und Söhnen als von uns; sondern die Konsequenz eines Systems, welches von heiliger Ehrfurcht vor den Offenbarungen der Geschichte durchdrungen ist, und in jeder ihrer Erscheinungen eine Metamorphose des Weltgeistes anerkennt.

Mit solchen Grundsätzen würd' ich an meine Aufgabe gehen. Flößen sie Ihnen Vertrauen ein? Ich bitte Sie, mir recht bald zuverlässigen Bescheid zu geben; ich fände dann Zeit, mich in manchen Dingen noch vorzubereiten und alle meine sonstigen Verhältnisse auf diese Erwartung hinzulenken. Ich bleibe hier so lange, bis mein Jupiter Vindex vollendet ist, gehe dann vielleicht über Holland nach dem Rhein, stelle mich Ihnen in Stuttgart oder wenn Sie in einem Badeorte sind, suche ich Sie da aus, und möchte dann am 1. Oktober in Augsburg sein. Meine hiesige Adresse ist Alter Jungfernstieg Nr. 1.

Hochachtungsvoll

Ew. Hochwohlgeboren
K. Gutzkow.«     

Die Antwort Georgs v. Cotta, »Stuttgardt, d. 30. Mai« geschrieben, lautete nach der Kopie:

»Verehrtester Herr!

Zu meinem größten Vergnügen erhalte ich heute bey meiner Rückkehr von Frankfurt Ihr Schreiben, welches sogleich zu beantworten ich nicht unterlassen will.

Alles, was ich in der letzten Zeit von Ihnen gelesen, brachte mir nicht erst die Ansicht, daß Sie nur Geistreiches schreiben können, denn diese hatte ich schon, sondern drängte die Ueberzeugung auf, daß, wie selten es auch gefunden wird, bey Ihnen sich mit dem Geiste der klarste politische Verstand verbinde.

Ihr Brief vom 19. hat diese, auf Ueberzeugung gegründete Ansicht noch befestigt, und die in demselben ausgesprochenen Grundsätze flößen mir vollkommenes Zutrauen ein. Ich freue mich daher dessen, was Sie in Betreff der Verbesserungen sagen, welche der A. Z. noch zu geben sind, und wie Sie hiefür mitzuwirken geneigt seyen, ob ich gleichwohl das Verdienst der bisherigen Leistungen der Redaktion um so weniger verkennen darf, je besser ich die Hindernisse kenne, auf welche man in dieser Branche stößt.

Mit wahrer Freude würde ich nicht allein, würden auch die übrigen Mitglieder der Redaktion, und besonders Kolb, Sie an ihrer Aufgabe festen Antheil nehmen sehen, über dessen Richtung Sie sich hauptsächlich zu verständigen haben würden, und woneben ich nur den Wunsch hätte, daß Sie auch dem ›Ausland‹ in Etwas Ihre Theilnahme schenkten, und die bisher dem Morgenblatt gewidmete nicht aufgeben möchten.

Kolb, ein ebenso geistreicher als ganz vortrefflicher junger Mann, den ich mit Stolz meinen Freund nenne, würde sich, wie gesagt, ungemein freuen, wenn Sie zu uns nach Augsburg kämen.

Allein selbst in dem ungünstigeren Falle, daß Sie sich nicht entschließen könnten, sich jetzt schon fest zu etabliren, hoffe ich doch auf eine feste Verbindung zwischen Ihnen und der Allg. Zeitung. Sie finden zur Theilnahme an derselben, selbst in dem durch Ihren Brief bezeichneten Sinn, überall Stoff und Veranlassung, Sie mögen in Berlin, Hamburg, am Rheine oder wo immer sich aufhalten.

Uebrigens bleibt bei einer Fixirung zu Augsburg eine alljährige Reise im Turnus mit den andern H. H. Redakteuren gar nicht ausgeschlossen.

So geht heuer Stegmann vom 1. Jun. bis medio Julius nach Wiesbaden; Lebret von da bis Mitte September nach Paris; und dann Kolb nach Ober-Italien.

Als Schlußfrage bleibt also: 1) wollen Sie sich unter solchen Bestimmungen fixiren und 2) welchen fixen Gehalt wünschen Sie für einen zu bestimmenden Umfang Ihrer Theilnahme an dem Augsburger Redaktions-Geschäfte?

So gewiß wir uns hierüber verständigen werden, so gewiß werden Sie die letztere Frage nicht mißdeuten, als wie Sie wissen, jedes eigenthümlichbestehende Unternehmen sein separates Budget hat.

Sie können es ja einmal versuchen und sehen, wie es Ihnen zuschlägt.

Lassen Sie mich nun wissen, ob Sie unser Uebereinkommen bis auf mündliche Besprechung verschieben wollen, die Sie noch im Spätsommer hoffen lassen oder theilen Sie mir schriftlich Ihre Wünsche mit.

Jedenfalls hoffe ich, daß wir uns immer näher und näher kommen werden und daß die Allg. Zeitung Sie von nun an zu Ihren Mitarbeitern zählen darf.

In unwandelbarer freundschaftlicher Hochachtung.«

Zwischen die hier von Cotta behandelten Möglichkeiten, entweder Redakteur in Augsburg mit fixirter täglicher Bureauarbeit oder ständiger Mitarbeiter bei beliebigem Aufenthalt zu werden, zog aber Gutzkow, der ersteres, bei seinen literarischen Plänen, ganz von sich wies, einen scharfen Strich, indem er betonte, er habe aus Cottas erstem Vorschlag eine dritte Möglichkeit herausgelesen: Mitglied der Redaktion zu werden, ohne andere als rein literarische Pflichten. Er wollte den Schriftsteller in sich nicht dem Redakteur opfern. Wenn er dies jetzt in etwas empfindlicher Weise zum Ausdruck brachte, so war dies nicht allein in seinem damaligen kränkelnden Zustand begründet, sondern auch in der Unbehaglichkeit seiner Lage zwischen den sich bekämpfenden Interessen und Aussichten des Journalisten und Dichters in ihm. Wäre Gutzkow nur Journalist gewesen, würde er in heller Freude den ehrenvollen Posten angenommen haben, vor dem die Interessen des Dichters Gutzkow ihn warnten. So aber schrieb er:

»Hamburg, den 8. Juni 1834.

Ew. Hochwohlgeboren

gütiges Schreiben vom 30. v. M. löst leider den Redaktionstraum, wenigstens wie ich ihn ausgelegt hatte, in Nichts auf. Es fand ein Mißverständniß zwischen uns statt; denn wenn die Geschäfte einer Zeitungsredaktion darin bestehen, die Journale zu lesen, mit dem Rothstift anzustreichen, die eingelaufene Korrespondenz zu revidiren und zuletzt selbst Hand an die Uebersetzung der fremdzüngigen Artikel zu legen, so wär' ich dafür wenig tauglich. Selbst wenn ich mehr Kenntniß der neuern Sprachen besäße, als für die Bildung gerade nothwendig ist, so würden mir meine literarischen Arbeiten, die Einlösung eines gleichsam dem Publikum gegebenen Versprechens doch weit mehr am Herzen liegen, als die Opferung meiner Zeit an eine freilich an sich ehrenvolle und belohnende Beschäftigung.

Als Sie mir die Redaktionsstelle anboten und hinzufügten, ich würde dabei noch immer meinen sonstigen Arbeiten obliegen können, so schloß ich auf die Leistungen, welche Sie für die ›Allg. Zeit.‹ so zuvorkommend aufgenommen haben. Ich wußte, daß ich Ihnen von einer praktischen Seite nicht konnte empfohlen sein, da ich nirgends den Wunsch geäußert hatte, so beschäftigt zu werden, wie es die Redakteure der ›Allg. Zeit.‹ zu sein scheinen. Vielmehr glaubt' ich immer nur, Ihr Vertrauen gölte meiner Feder, und deshalb bestimmte ich in meinem letzten Briefe meinen Antheil an der ›Allg. Zeit.‹ als einen solchen, der nur in Originalbeiträgen bestehen konnte. Mir schwebten die französ. Blätter vor, deren Bülletins von Männern verfaßt werden, welche mit der sonstigen Herstellung jeder Nummer nichts zu thun haben und doch zum Conseil der Red. gehören. Ich glaubte, Sie hätten Lust, Ihrer Zeitung ein solches Element und Supplement einzuverleiben, obschon ich damit, wie Sie mich unrichtig verstehen, keineswegs sagen wollte, es gäbe in der ›Allg. Zeit.‹ eine Lücke auszufüllen. Eine solche Bemerkung würde ich mir gerade dann am wenigsten erlauben, wenn ich mich in demselben Augenblicke anheischig machte, die Ausfüllung jener Lücke, die in der That nicht vorhanden ist, selbst zu übernehmen. Aber, daß man solche Aufsätze, wie ich versprach, in der Eigenschaft eines Redakteurs schreiben müsse, schien mir erwiesen, da ich für dieselben einen fortlaufenden Parallelismus mit der Zeitung, Kommunikation mit der Redaktion, ihren allgemeinen Grundsätzen, ihren augenblicklichen Maßnahmen u. s. w. für nothwendig hielt.

Sie sagen selbst, daß ich eine solche Wirksamkeit, wie ich sie verspreche, von jedem Orte aus unterhalten kann, und lerne daraus, daß Sie meinen Antheil am Redaktionsgeschäft in andern Leistungen sehen wollen, als die ich anbieten kann. Ich bin zu den Geschäften, welche ich oben anführte, gewiß untauglich.

Es schmerzt mich recht, daß eine so schöne Aussicht eine Illusion gewesen ist. Ich hatte, um nur vom Materiellsten zu reden, auf eine Fixirung meines Aufenthaltes und meines Einkommens gehofft, doch weiß ich, daß dieses Mißverständniß gewiß den Gesinnungen keinen Abbruch thun wird, welche ich Sie immer für mich zu bewahren bitte. Wenn eine Kette, die uns vereinigen wollte, plötzlich zurückschnellte, so möge es deshalb sein, damit sie künftig nur desto fester angezogen werde.

Leider kommt noch hinzu, daß ich krank bin. Hamburg mit seinen Nebeln, Wasser- und Kohlendämpfen und ganz abscheulichem Klima hat mich bald niedergeworfen. So lang ich hier bin, bin ich Invalid, fiebre und beschwöre Aeskulap. Schreiben konnt' ich noch nichts. Jupiter Vindex schläft und wird erst spät, in Jahr und Tag (ein ordentliches Buch braucht Zeit) erwachen. Lesen darf ich, und so hab' ich denn eine Menge Schriften über Amerika um mich versammelt, um bei endlich eintretender Genesung mich mit einem Versuch über die Amerik. Gesch. beim ›Ausland‹ einzuführen. Dann such' ich aber den Süden, Schwaben, Stuttgart; dort bin ich gesund und habe Freude.

Ich empfehle mich Ew. Hochwohlgeboren mit Hochachtung

K. Gutzkow

Durch den mißmuthigen Ton dieses Briefs ließ sich Cotta in der Hoffnung nicht irre machen, doch zu seinem Ziele zu gelangen. Er selbst ging ja gar nicht darauf aus, den reichbegabten Schriftsteller an die untergeordneten Bureauarbeiten des redaktionellen Berufs zu fesseln, wenn ihm auch daran liegen mußte, ihn dem Redaktionsganzen in einer Weise einzuordnen, die den anderen Redakteuren keine Unterordnung zumuthete. Das war die Hauptschwierigkeit in der Frage für ihn.

Seine Antwort, vom 14. Juni, lautete:

»Ihr Schreiben vom 8. dieß., mein Verehrtester, das ich soeben erhalte, beeile ich mich um so mehr sogleich und umgehend zu beantworten, als Sie, wie ich sehe, mein letztes durchaus nicht in meinem Sinne verstanden.

Ich begreife sogar nicht, wie Sie aus meinen Worten all das entnehmen konnten, was Ihr Brief mir in Betreff Ihrer beabsichtigten Theilnahme an der ›A. Z.‹ sagt, in dem Sie diesen Plan nunmehr als unausführbar bezeichnen.

Mir schien es nie, mir scheint es auch heute nicht, und im Gegentheil würde ich, wie die andren Redakteure, mich von Herzen freuen, wenn er wirklich von Ihnen ausgeführt würde.

Lassen Sie mich hoffen, daß mißverstandene Worte nicht zum auslösenden Hinderniß werden sollen.

In der That, die Art, wie Sie mein Schreiben aufgenommen zu haben scheinen, und die meiner Ansicht und meinen Wünschen schnurstracks entgegenläuft, hat mich recht geschmerzt.

Ich fürchte aber wieder mißverstanden zu werden und unterlasse daher, nochmals auf diese Materie einzugehen.

Gleichwohl wünsche ich, daß Sie mir meine an Sie gemachten Fragen beantworten möchten, indem ich sodann hoffe, bei der später zugefügten Besprechung, auf die ich im Spätsommer zähle, mich schnell mit Ihnen zu vereinbaren.

Denn es ist mir allerdings um Ihre Feder zu thun, es ist mir ernstlich daran gelegen, Sie für unsere Institute zu gewinnen, und glaube ich Ihnen davon auch schon sprechende, unzweideutige Beweise gegeben zu haben.

Lassen Sie mich daher annehmen, daß Ihr Brief vom 8. nur in der üblen Laune des Unwohlseins geschrieben seye, verlassen Sie Hamburg bald und kommen Sie in unsern freundlichen Süden, was Sie dem Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung anbieten, Alles soll willkommen sein.

Nur mißverstehen Sie mich um Gottes Willen nicht, geben Sie den Plan nicht auf, auf welchen ich so großen Werth lege und zweifeln Sie nie an meinem Wunsche, nicht als Besitzer einer Buchhandlung allein, sondern hauptsächlich als Freund Ihnen näher zu treten. Ich hoffe und bitte daher, daß Sie mich zu rechter Zeit auch davon in Kenntniß setzen, wenn Sie in unsre Gegenden kommen, weil mich meine verschiedenartigen Geschäfte zu häufigen Reisen nöthigen, ich Sie aber nicht verfehlen möchte.

Mehrere Pläne, die ich Ihnen vorlegen will, warten auf Sie. – Ich danke sehr für die ›Republik in Frankreich‹ wie für Alles, was von Ihrer Feder kommt. Indem ich Ihnen Lebewohl sage, bitte ich, daß Sie mich bald mit einem Briefe erfreuen möchten, der mir erlaube, die frühere Aussicht nicht für eine Illusion, meine Hoffnungen nicht für vereitelt anzusehen.

Verehrungsvoll und treuergebenst.«

Natürlich konnte auf einen solchen Brief die Antwort eines jungen Schriftstellers nur von den Gefühlen aufrichtigen Dankes diktirt sein. »Wenn Ihnen mein letzter Brief Anstoß gab,« schreibt Gutzkow nach Versicherung dieser Auffassung, »so kann die Ursache wohl nur in dem etwas zu schroffen Auseinanderhalten unsrer beiderseitigen Wünsche gelegen haben.« Auch jetzt glaubt er von einer Umgrenzung dessen, was er zu übernehmen bereit ist, nicht abgehen zu sollen. Er kommt den Wünschen Cotta's insoweit entgegen, daß er sich zur Uebernahme bestimmter Redaktionsarbeiten literarischer Art bereit erklärt. Vor allem will er aber größere politische Aufsätze schreiben. Und so formulirt er seine Bereiterklärung in drei Gruppen.

»Sie wollen Antwort auf die beiden Fragen: was kann ich bei der Redaktion auf mich nehmen? und wieviel verlang' ich dafür? Und so will ich denn wenigstens die erste Frage theils negativ, theils positiv erledigen.

Was ich bei der Redaktion nicht übernehmen kann, sind Uebersetzungen und fremde Journallektüre zum Behuf derselben, wie überhaupt keine Verbindlichkeit, das tägliche Quantum der Zeitung herzustellen. Dagegen würd' ich mich zu Folgendem verpflichten:

1) Ich will die Revision eines Theils der Korrespondenz übernehmen, namentlich der außerordentlichen. Ich will eingesandte Berichte, deren Inhalt aufnehmbar ist, die aber in der Form vernachlässigt sind, umarbeiten, mitgetheilte Materialien und Notizen für den Druck zurecht machen, und ähnliche Geschäfte dieser Art, welche jedenfalls bei der Redaktion oft vorkommen. Ferner will ich französische oder deutsche Brochüren, wenn sie Thatsachen enthalten und ein Zeitinteresse haben, exzerpiren und für die Zeitung benutzbar machen. Desgleichen will ich aus meiner Lektüre, welche in Reisebeschreibungen, neurer Geschichte, Finanzen und ähnlichen Fächern besteht (meine Stellung zum Lit.-Bl., die vom Herbst an wieder fester werden soll, hilft mir hier) jede statistisch-politische Notiz, welche ein lehrreiches Supplement der Zeitereignisse sein dürfte, abliefern.

2) Könnt' ich mich in dem Falle, daß mir die Ankunft der Journale und die Ablieferung des Druckmaterials in eine günstige Zeit fiele, dazu entschließen, die Redaktion der Artikel: Deutschland und Preußen zu übernehmen. Namentlich weiß ich, daß für Preußen manche Quelle statistischer und administrativer Notizen noch zu benutzen ist. Dies ist ein Versprechen, das ich, falls die Umstände nicht zutreffen, mir zurückzunehmen vorbehalte.

3) Will ich eigne Artikel für die Zeitung schreiben. 4 Spalten wöchentlich unterzubringen, kann der Zeitung nicht schwer fallen. Ueber den Inhalt hab' ich mich bereits erklärt und ich füge nur hinzu, daß es meine Absicht ist, diese Aufsätze so einzurichten, daß ich sie später noch benutzen kann. Dies ist eine Garantie, wie sehr mir nicht nur an guter Abfassung, sondern auch an der Wahl passender Gegenstände gelegen sein muß. Dinge, die nur den Augenblick berühren, müssen durch ihre Behandlung längeren Werth erhalten, z. B. die Wahlen in Frankreich – Prognostikon der neuen Kammer – Frankreich und Neapel – die spanische Anerkennung Südamerika's – Uebersichten des Status quo u. s. w. Mit solchen wechseln größere Artikel ab: Talleyrands politische Maximen – Kirche und Staat in England – deutsche Staatsmänner (namentlich möcht' ich über Ancillon einmal eine Skizze in der Gattung schreiben, wie jetzt über französische Staatsmänner solche Aufsätze geliefert werden und trete gewiß mit ihm darüber in Verbindung. Es ist mir um Satire und Kritik nicht zu thun: ich will nur schildern). Dann giebt ein Buch wieder Veranlassung oder ein Todesfall (ich hätte Lafayetten gern eine Parentation gehalten, aber ich konnte nicht). Kurz zu diesen Artikeln freu' ich mich, denn sie sind ein reiches Feld, wo ich glaube, Gutes wirken zu können. Rechnen Sie nun hinzu, daß dies Alles vorläufig auf 1 Jahr Statt haben soll, so haben Sie meine Antwort auf Ihre erste Frage: die zweite Frage lassen wir bis zum August. Ich denke nämlich, Ende des andern Monats so weit hergestellt zu sein (noch bin ich arg krank und kann nicht arbeiten), daß ich abreise. In der Mitte des Augusts träf' ich in Stuttgart ein: sind Sie nicht da, so wart' ich; denn ich werde überhaupt wohl August und September dort bleiben, schon um Menzels willen, der nach Italien reisen will.

Ich wünsche sehnlichst, daß Sie mit diesem Briefe zufriedner sein mögen, als mit dem letzten. Es ist möglich, daß Sie von No. 1 meiner Anerbietungen sagen, sie sind zu unbedeutend, von No. 2, ich ließe sie ja selbst noch ungewiß, und von No. 3, daß ich diese auch als Mitarbeiter machen kann; dann wären wir wieder auf dem Punkte, den ich vielleicht allzuschnell in meinem letzten festsetzte. Wir werden uns gewiß darüber in Güte verständigen und sowohl Sie aus dieser Verhandlung das Resultat ziehen, daß ich aufrichtig genug bin, meine Inkompetenzen offen zu gestehen und nichts übernehmen zu wollen, dem ich mich nicht mit ganzer Seele hingeben kann, als auch ich die neue Bestätigung Ihrer gütigen Gesinnungen gegen mich. Ehren Sie mich bald durch ein Schreiben von Ihnen und erlauben Sie mir, von dem Rechte der angebotenen Freundschaft schon einen Gebrauch machend, Ihnen einen herzlichen Gruß zu senden.

Hochachtungsvollst

K. Gutzkow.«

Als es dann im Herbst 1834 zwischen Cotta und Gutzkow in Stuttgart zu der verabredeten mündlichen Verhandlung kam, wurde eine Verständigung doch nur dahin erzielt, daß ein kontraktliches Verhältniß des letzteren zur Allgemeinen Zeitung nicht als Redakteur, sondern nur als Mitarbeiter für leitende Aufsätze festgesetzt wurde. In diesem Verhältniß hat er jetzt und im folgenden Jahre neben » Rhapsodien über England« und ähnlichen Aufsätzen die » Oeffentlichen Charaktere« geschrieben, biographisch-kritische Aufsätze über bedeutende Männer der Zeit, Fürsten, Minister und Führer des Volkes, über Daniel O'Connell und Bernadotte, Doktor Francia und Carrel, Chateaubriand und Ancillon, den Sultan und Rothschild, Wellington und Talleyrand, die Napoleoniden und Mehemed Ali u. s. w., die Ende 1835 auch in Buchform bei Hoffmann und Campe erschienen und später im 9. Bande der »Gesammelten Werke« mit verwandten Artikeln zusammengestellt worden sind. Sie erregten damals vielfaches Interesse, auch dasjenige Metternichs, der sich nach ihrem Autor erkundigen ließ; Cotta war entzückt von diesen Beiträgen und noch heute sind sie Musterstücke pragmatischer Geschichtsschilderung in Anwendung auf die Gegenwart, liberaler Zeitkritik in objektiver Form, unterhaltend und anregend zugleich. So wurde die Frage zu Gunsten von Gutzkows literarischen Ambitionen entschieden.

Wir wissen nicht, warum derselbe später von all diesen, für ihn so ehrenvollen Verhandlungen in seinen »Rückblicken« keine Erwähnung gethan hat; über die Gründe ihres Ausganges läßt sich dagegen dort mehrfach eingehende Auskunft finden. Zu dem im Eingang dieses Kapitels erwähnten Münchener Kreise von Schriftstellern, Künstlern, Studenten, dessen Haupt August Lewald war, hatte auch ein junger Student der Rechte, Karl Löwenthal aus Mannheim, gehört. Von lebhaftem Interesse für Kunst und Literatur beseelt, doch ohne Talent, um sich in dieser Richtung schöpferisch zu bewähren, dabei tief erregt von den liberalen Ideen der Zeit, hatte aus diesen Gutzkows tief innerliche, aus einem bescheidenen und treuherzigen Wesen explosiv aufflammende Genialität eine mächtige Anziehung geübt. Die schwärmerischen Prophetien von einer neuen Blüthezeit der deutschen Literatur hatten in seinem Geiste gezündet. Ja, nach Gutzkows Scheiden von München hatte ihr Echo in ihm den Entschluß gereift, das juristische Studium ganz aufzugeben, um wenigstens als Buchhändler der neuen Aera des geistigen Lebens zu dienen. Viele Anzeichen vereinigten sich damals, diesen Entschluß auch geschäftlich klug erscheinen zu lassen. In Leipzig, Stuttgart, Hamburg regte sich der allgemeine industrielle Aufschwung auch im Buchhandel. Neue Firmen, neue Unternehmungen entstanden; die Gründung des »Pfennig-Magazins« in Leipzig war typisch für den volksthümlichen Zweig dieser Unternehmen; in Stuttgart entfaltete sich eine gutfundirte lebhafte Konkurrenz zum Cotta'schen Verlage, wie sie schon die Gebrüder Frankh und Liesching in den zwanziger Jahren begonnen hatten. In dem jungen Mannheimer waren aber zunächst nur ideale Interessen lebendig. Das Erscheinen von Gutzkows »Maha Guru« bei Cotta, seiner Novellen bei Hoffmann und Campe, das Lob seiner »Narrenbriefe« in Börne's Pariser Briefen, erhöhten sein Vertrauen und bald folgte er dem Drange, sich mit seinen Plänen an Gutzkow als sein literarisches Orakel zu wenden und an dessen eigenen einen Rückhalt zu suchen. Um im täglichen Verkehr mit ihm an diesen weiter zu spinnen, war er nach Berlin gereist, hatte dort den Freund krank und in seinen persönlichen Verhältnissen tief unglücklich gefunden; er lud ihn ein, mit ihm nach Hamburg zu gehen. Zunächst scheinen die beiden mit Campe verhandelt zu haben wegen gemeinsamer Gründung eines Unterhaltungs- und Literaturblattes, das (vgl. den Brief Gutzkows an Cotta vom 19. Mai) »mit dem neuen Jahre in Leipzig erscheinen und allenfalls von Berlin aus redigirt werden sollte«, mit Gutzkow als Redakteur der kritischen Beilage und Löwenthal vielleicht als Geschäftsführer des Leipziger Verlagsbureaus. Cotta's Anträge hatten dann zunächst die Wirkung, diese Pläne zurückzudrängen und an der Schicksalswage Gutzkows die Schale des Journalisten siegen zu lassen. Sie steigerten aber auch in Löwenthal die Ueberzeugung, daß sein genialer Freund Außerordentliches für die Zukunft verspreche. Uebrigens blieb es jetzt noch bei Zukunftsträumen für ihn auch aus anderen Gründen; es war ihm noch nicht gelungen, die Zustimmung der Eltern zu dem Berufswechsel und die entsprechende Geldbewilligung zu gewinnen. Um so freier und kühner konnte man sich im Plänemachen ergehen. »Schöne Sommermonate, in einem Häuschen an der Alster, das später der Brand verzehrte, wurden dort mit gemeinschaftlichem Zusammenwohnen, Studien, Arbeiten, Träumereien, Genuß der Natur und des Lebens zugebracht. Selbst die Beziehungen zu dem nur von Heine und Börne erfüllten Buchhändler Julius Campe traten zurück gegen den Reiz, den die glückliche Lage der Stadt, die malerischen Ufer der Elbe, die Fruchtbarkeit des Bodens, die Fülle und Ueppigkeit des materiellen Lebens gewährten. Neue Charaktere, wenn auch wenige von der Bedeutung eines Gabriel Riesser, traten uns da und dort entgegen. Ein Empfehlungsbrief führte mich in das Haus des alten Salomon Heine, der mich zu einem sonntäglichen Familiendiner einlud.«

Im August erfolgte dann der Aufbruch von Hamburg nach Stuttgart. Nicht nur Cotta erwartete ihn dort; auch Menzel, der wieder seine Vertretung brauchte. Bei herrlichem Wetter ging's den Rhein hinauf. Löwenthal begleitete ihn bis Mannheim, wo er im Hause von dessen Eltern einige Tage verblieb. Ein Abstecher nach Schwalbach wurde durch eine Einladung von Frau Birch-Pfeiffer veranlaßt. »In stiller Abendstunde bis gegen Mitternacht las sie mir ihren hier entstandenen ›Johannes Gutenberg‹ vor. Das vierhundertjährige Jubiläum der Erfindung der Buchdruckerkunst stand bevor, die Enthüllung der Thorwaldsen'schen Statue in Mainz; da lieferte sie den Bühnen ein Festspiel, das sich lange Jahre erhalten hat und wohl auch noch auf kleineren Bühnen bisweilen auftaucht.« Auf der Reise wurde Frankfurt a. M. berührt und hier war es, wo die Sehnsucht Gutzkows nach einem eigenen Organ ihre Erfüllung fand. Auch in Frankfurt waren die »zarten grünen Keime« eines jungen Deutschland hervorgebrochen. Auch hier, in der Umgebung des Bundespalais in der Eschenheimer Gasse, wo die Gesandten aus Wien und Berlin ihre drakonischen »Vorschläge dekretirten«, regte sich, weil eine Steigerung der Reaktion kaum noch denkbar war und die geheime Gegenbewegung einen starken Rückhalt im Volke fand, der Glaube an den Frühling einer neuen Zeit. Wie einer der Hoffmann u. Campe'schen Verlagsartikel das Wort »Völkerfrühling« damals zum »geflügelten« erhoben, so ging jetzt der Verleger Friedrich Rückerts, J. D. Sauerländer in Frankfurt, damit um, eine »Frühlingszeitschrift« zu gründen, die unter dem entsprechenden Haupttitel » Phönix« vom 1. Januar 1835 auch erschien. Ein junger Oesterreicher, Lyriker und Novellist, aus Schwinds Wiener Freundeskreis, Eduard Duller, war zum Redakteur des Hauptblattes ausersehen. Jede Woche sollte auch eine Literaturbeilage bringen. Für deren Redaktion wurde Gutzkow gewonnen. Daraus ergab sich in Stuttgart der nur bedingte Abschluß mit Cotta und der völlige Bruch mit Menzel von selbst. Aber das Ergebniß des Jahres war für Gutzkow ein reiches: er hatte erreicht, was er erstrebt: für die höchste Form des publizistisch-politischen Wirkens war er zu dem ersten Journal Deutschlands in ein festes Verhältniß getreten, für die der literarischen Kritik hatte er ein eigenes Organ gewonnen.

*

Und der Dichter? Hatte er nicht an Cotta geschrieben, daß den poetischen Begabungen der Zeit, den Vertretern einer literarischen jeune Allemagne wahrlich andere Aufgaben gestellt seien, als sich ganz an die politische Opposition und die literarische Kritik zu verlieren. Hatte er nicht in jenem Programm vom 2 November 1833 Werke großen und reinen Stils von dem neuen Poetengeschlechte in Aussicht gestellt und gefordert?!

In jenen Sommertagen, die er körperlich krank, aber geistig rege in dem Landhaus an der Alster unter den alten Eichen von Harvestehude verbracht, hatte er als Dichter das erste größere Werk gestaltet, das dem eigenen Herzens- und Seelenleben, den geheimsten Kämpfen seines Innern entwachsen war, die Novelle » Der Sadduccäer von Amsterdam«, welcher bekanntlich Paul Heyse in seinem Novellenschatz einen höheren künstlerischen Rang eingeräumt hat als Gutzkows späteren modernen Novellen und die dem bedeutendsten Drama des Dichters, »Uriel Acosta«, zu Grunde liegt. Nach einem Briefe an Cotta brachte der Dichter diese neue Novelle nach seiner Ankunft in Stuttgart im September zum Abschluß. Gedruckt erschien sie noch in demselben Jahre in den Nummern 235 bis 252 des Cotta'schen Morgenblattes.

Was er in den drei Jahren von seiner Ankunft in Stuttgart im Herbste 1831 nach dem ersten Auf- und Ausflug aus seiner verzweifelten Lage in Berlin bis zu der nunmehrigen Wiederkehr in die Nesenstadt im innersten Gemüthe erlitten und erstritten, hier hatte er es – ein Werk poetischer Selbstbefreiung im Sinne Goethe's – in einem glücklich gefundenen und gegriffenen Stoffe nachgestaltet. Zweimal war er in dieser Zeit zu längerem Aufenthalt nach Berlin zurückgekehrt, beide Mal hatte er dort vorbereitende Schritte gethan, um auf Grund seiner Studien sich – trotz alledem – eine gesicherte bürgerliche Existenz zu schaffen. Er hatte sie gethan, während alle seine geistigen Interessen dem literarischen Beruf zustrebten, den er wie eine heilige Mission empfand, er hatte sie gethan im vollen Widerspruch mit der Forderung seiner Ueberzeugungen, die ihn vor Uebernahme jedes Staatsamts, sei es als Prediger, sei es als Lehrer, zurückschreckten, bei dem damals herrschenden Regierungssystem. Und veranlaßt hatte ihn dazu die Liebe, die Rücksicht auf das Mädchen, deren reine Neigung ihn sehnsüchtig begleitet hatte, als er zuerst hinausgefahren war in die lockende Welt eines stolzen freien Berufs. Um ihretwillen war er im Frühjahr 1832, im Sommer 1833 nach Berlin, das ihm als Schriftsteller gar nichts bot, zurückgekehrt, hatte er sich aufs Examen – wenn nicht für die Kanzel, so doch zum Oberlehrerberuf gerüstet, hatte er angefangen, auf ein sicheres Einkommen durch journalistische Thätigkeit zu denken – alles nur unter Kämpfen auch mit ihr selber, denn als Predigtamtskandidaten hatte sich ihm das Mädchen angelobt, bewundernd hatte sie ihn schon auf Schleiermachers Kanzel eine Probepredigt halten hören; weniger noch als sie konnte sich ihre strenge und strenggläubige Mutter in den Berufswechsel finden. Sie beharrte denn auch auf ihrer Forderung von Garantien einer solideren Zukunft und als sich sein freigeistiges und antikirchliches Wesen immer rückhaltloser offenbarte, auf ihrer Weigerung, ihre Einwilligung zu der Ehe zu geben, bis sie kurzweg erklärte: er oder ich!

In der Einleitung zu den »Rückblicken« hat uns Gutzkow von dieser Jugendliebe erzählt, wie wir schon im 4. Kapitel kurz berührt haben. »In Berlin ist alles, was ehdem Garten hieß, im nächsten Umkreise der alten Stadtmauer bis auf den letzten Baum getilgt. Aber die Trauerweide, wo nach zweijährigem Minnewerben das angebetete Mädchen zitternd die Worte sprach: ›Ich kann nicht mehr – mich beherrschen!‹, erstickte an der Brust des sich redlich zum Oberlehrer-Examen Rüstenden und deßhalb endlich offen Heraustretenden – und rings die anderen Bäume, in deren Schatten bereits von einer künftigen Wohnung bei einem Oberlehrergehalt von 600 Thalern geträumt wurde, sie stehen noch in der Königin Augustastraße zwischen der Potsdamer- und Schellingstraße … Warum erzähle ich diese Momente der Vergangenheit? Weil dieser Bund Tage, Wochen, Monate der Verzweiflung heraufbeschwor, weil er eine Richtung meines Schaffens bedingte. Denn die innigste Liebe hatte hier die gehorsamste Tochter nicht bewegen können, dem Gebote einer Mutter zu trotzen … Der Nibelungen-Hort, den ich im Frauenthum gefunden zu haben glaubte, versank mir unwiederbringlich. Keinen Muth, keine hochherzige Willenskraft hatte die Reinste ihres Geschlechts zu zeigen vermocht.« Zuvor aber hatte ihm die treue hingebende Liebe des Mädchens die poetische Schönheit erster kraftvoller Neigung in allen Reizen offenbart. Sie war gewillt gewesen, ihm auch auf die ungewisse Laufbahn des Schriftstellers zu folgen; sie hatte schon begonnen, sich ihm als guten Kameraden in seinen geistigen Arbeiten, als Uebersetzerin und Vermittlerin von wichtigen Berliner Nachrichten zu bewähren; nur in die kalten Regionen atheistischer Grübeleien vermochte sie ihm nicht zu folgen, vor dem »Gottesleugner« erkaltete in schwerer Stunde ihr Herz: darüber erfolgte der Bruch.

Die Treue, die der Dichter dem Gedächtniß dieses Mädchens bis ins Alter bewahrt hat, ist die Bewahrerin rührender Zeugnisse dieser Liebe gewesen, die der Dichter nie vergessen konnte und die in ihm wiederholt als entscheidendes poetisches Motiv gewirkt hat. In seinem Nachlaß haben sich Briefe vorgefunden, welche das Mädchen in der Zeit von Gutzkows Aufenthalt bei Laube in Leipzig an den Geliebten geschrieben. Sie lassen uns auch ahnen, daß Gutzkows schnelle Erfolge als Dichter, die hochgesteckten Ziele, denen seine feurige Jugend nachstrebte, sicher keinen geringen Antheil gehabt, ihn den engen Verhältnissen zu entfremden, die seiner Braut natürliche Umgebung waren. Ein Gefühl davon warf auf die Liebesbekenntnisse des Mädchens schon jetzt einen Schatten. So heißt es gleich in dem ersten der uns erhaltenen Briefe, vom 25. Januar 1834:

»Nun aber Ihr erster Brief, wie jubelnd, wie freudig klingt er, möge nur der Glanz Ihres Ruhms Ihnen Leipzig nicht zu angenehm machen, alle andern Städte, die Sie besuchen, sind empfänglicher, wärmer für Sie eingenommen und das, fürcht' ich, müßte Sie nur noch mehr bestimmen, Berlin nur als eine Art Absteigequartier zu betrachten, wo Sie, einmal der zahllosen Lobpreisung Ihres Geistes überdrüssig, incognito seyn wollen und menschlich wie wir, d. h. nicht göttlich. Warum muß mir gerade jetzt einfallen, daß Sie der Verfasser des Maha Guru sind? Ich glaube gar, ich warne Sie, das wäre doch einzig, ich wüßte nicht wovor. – Wenn wir getrennt sind, so haben Sie immer den Vortheil, auch entfernt fast so bestimmt zu wissen, was ich in dieser Stunde mache, wo ich in jener hingehe, wo ich sitze, kurz Sie kennen jeden Fleck, jede Stelle wo ich bin und seyn kann; während ich, ganz fremd mit Ihrer Umgebung, ohne einen Begriff zu haben von der Lokalität, nur erwarten muß, daß Sie mir etwas mittheilen, daß Sie mich einführen in Ihre Kreise, mich ein wenig bekannt machen mit den Leuten, die Sie sehen und sprechen.« …

»Dies kleine Blatt Papier,« heißt es im nächsten Schreiben, »muß ich benutzen, weil ich kein anderes habe und den Augenblick des Alleinseins nicht vorübergehen lassen möchte, ohne Dich zu begrüßen. Es wird freilich nicht lange dauern, denn Mütterchen ist in der Küche beschäftigt und kann mich jede Minute überrumpeln. Sie könnte zwar wissen, daß ich an Dich schreibe, doch würde sie den vertraulichen Ton nicht billigen, der mir dies à la dérobée-Schreiben so reizend macht.«

Sie schreibe auf einer kleinen Fußbank und thue so, als stopfe sie Strümpfe.

»Neben mir der Notenstuhl, hinter mir der Ofen. Don Juan dient mir als Unterlage und jedes Mal, wenn ich die Thüre gehen höre, werf' ich mein Papier fort und bin fleißig.«

Sie meldet ihm die baldige Vollendung einer Uebersetzung, die sie angefangen, sowie den Rücktritt eines Kabinetsraths Albrecht und die Krankheit Schleiermachers. Man kann nicht ohne das tiefste Mitgefühl die Aeußerungen dieser reinen heißen keuschen Mädchenliebe lesen, die unter den Kämpfen und Wirrungen zwischen Herz und Geist in jenen Tagen eingebüßt zu haben, Gutzkow in späteren Jahren noch oft schmerzlich bereut hat, wie zum Beispiel folgende, nur seinem Tageskalender anvertrauten Zeilen beweisen:

»Als wir uns beide einst getrennt,
Ich heller Zorn, Du nicht im Frieden,
Da ließst Du mir, Du riefst sie selber nicht –
Die quälendste der Eumeniden.«

Vielleicht, wenn sie in jenen Tagen ihren Werth dem seinen gegenüber nicht zu gering angeschlagen, ihm ihre Liebe weniger offen gezeigt, ihm nicht gestanden hätte, daß sie ihn auch lieben werde, wenn er sie fallen lasse, vielleicht daß dann … Aber dann wäre sie eben nicht die wahre echte Natur gewesen, die so nachhaltig auf des Dichters Seele gewirkt hat.

»Ja ich fühl' es, theuerster Karl, daß Du recht der Mittelpunkt meines ganzen Daseins bist, daß ich Dich erst jetzt recht liebe, denn ich vermisse Dich überall, heute morgen war ich in einer solchen Aufregung, daß ich gar nicht mehr an die Entfernung dachte, die uns trennt, und daß ich im Begriff war, Dich in meinen Armen zu zerdrücken. Du hast mich mit einer Zaubergewalt umgeben und mich in so zarte Liebesbande geschlagen, daß ich ordentlich böse auf Dich bin, und mich vor nichts fürchte als vor dem Ausgange, den es nehmen kann.

Bin ich nicht wirklich ganz verändert, hält' ich sonst wohl so zu Dir gesprochen, ohne auf eine Erwiderung rechnen zu können, oder auch nur zu wollen, ermüd' ich Dich wohl noch mit der Frage, ob Du mich lieb habest, um mich etwa danach zu richten, nein, Du siehst, was Du aus mir gemacht hast, und ich und mein ganzes Wesen und meine unaussprechliche Liebe zu Dir sind nur Deiner Hände oder Deine Werke. Und jetzt kannst Du dafür aus den wohlerworbenen Lorbeern ruhn, und Dich von unten heraus anbeten lassen.«

Auf demselben Blatt:

»Den 28. Januar.

Lieber Karl,

warum schreibst Du denn nicht? Ich bin so betrübt darüber, daß ich mürrisch und unfreundlich gegen alle Welt war, gestern hatt' ich ganz bestimmt auf einen Brief gerechnet und weil nun doch keiner kam, so hab' ich Dich auf alle mögliche Weise bei meinem Herzen zu entschuldigen gesucht, weil mein anderes Ich, was nicht mein Herz ist, Dich gegen dasselbe anklagte …

Mich wundert, daß das Papier, auf dem ich dies alles geschrieben, sich nicht widerspänstig zeigt, sondern es ruhig hinnimmt, daß ein Mädchen ihren Geliebten so nachdrücklich um Nachrichten von ihm bitten muß; wenn ich das Papier wäre, ich empörte mich, oder, lieber Karl, sind Sie vielleicht krank? Fast wünsch' ich es, Gott verzeih' mir's, weil ich …

Ich bitte Sie, lieber Karl, verbrenne diese Stückchen … Ich vertraue mich nur Dir und würde von meinen Eltern in die äußerste Finsterniß verdammt werden, wenn sie denken könnten, daß ich so um eine Gunst flehe, auf die ich so viel Ansprüche habe. Lebe wohl, mein einziger Freund, wenn ich kann, setz' ich diese kleinen Mittheilungen fort, aber nicht eher, bis ich einen Brief habe.

Deine Rosalie,         
so lange Du willst und länger.«

Der Empfänger dieser Briefe aber war wirklich krank und zwar hat das lang andauernde Siechthum, von welchem die Briefe aus Hamburg an Cotta sprechen, und das ihn schon in Leipzig plagte, nicht günstig für die Liebe, die ihn so warm nach Berlin zurückrief, gewirkt. Das Uebermaß an Geistes- und Willenskraft, das der so vielseitig Begabte in einem Alter, wo andere noch die Universitätsbänke drücken, eingesetzt, um – wie sein Verhängniß es wollte – als Dichter und Publizist zugleich zu einer geachteten Stellung aufzurücken, hatte sein Empfindungsleben überreizt, sein Nervenleben in eine krankhafte Unruhe versetzt, die jetzt der Entscheidungskampf zwischen einem korrekt bürgerlichen Beruf und einer öffentlichen Laufbahn als freier Schriftsteller noch steigern mußte. Diese krankhafte Reizbarkeit mußte naturgemäß sich gerade dort geltend machen, wo er seine Willensfreiheit von Derjenigen gelähmt fand, um derentwillen er so eifrig nach einer festen Stellung, nach einem sicheren Einkommen strebte; die stufenweis erfolgende Abnahme seines Interesses für eine feste Stellung in Augsburg zu Gunsten seiner Freiheit als Schriftsteller ist als Spiegelung zu betrachten der gleichzeitigen Abnahme seiner Hoffnung auf eine dauernde Verbindung mit Rosalie. Und die noch vor der Abreise nach Hamburg erfolgte Entzweiung war bei dem vorhandenen Gegensatze um so weniger zu vermeiden, als gerade damals in Berlin, was die politischen Kämpfe der Zeit nicht vermocht hatten, die Fragen des kirchlichen Bekenntnisses den Geist der Bevölkerung bis in seine Tiefen aufwühlten und eine oppositionelle Bewegung im Volke wachriefen, an welcher Gutzkow seiner ganzen Art nach den lebendigsten Antheil nehmen mußte.

Der sogenannte » Agendenstreit« erreichte im Jahre 1834 in Preußen seinen Höhepunkt. Friedrich Wilhelm der Dritte, der sein kirchliches Hirtenamt sehr ernst nahm, hatte zur endgültigen Durchführung der von ihm am Lutherfest 1817 angebahnten Union der lutherischen und der reformirten Kirche den Kodex für den gemeinsamen Kultus, die Berliner Dom-Agende, aufarbeiten lassen, und zwar nicht auf dem Wege der Vereinbarung, sondern in seinem Kabinet unter seiner persönlichen Leitung. Hatte schon die Verkündigung der »Union«, statt ein Werk der Einigung zu sein, nur die Gegensätze verschärft und aus der evangelisch-lutherischen Kirche das Altlutheranerthum als besondere Gemeinschaft neu hervorgehen lassen, so wurde jetzt der Versuch, eine neue Ordnung des Gottesdienstes zu dekretiren und den widerspänstigen Gemeinden aufzu zwingen, das Signal zu einer schnell anwachsenden Opposition, denn die Agende des Königs befriedigte weder die Altlutheraner, noch die Vertheidiger des Prinzips der protestantischen Freiheit. Und was jetzt in zahlreichen Streitschriften der Geistlichkeit ins Wort trat, fand von den Kanzeln herab den Weg ins Volk; Pastoren und Professoren wurden gemaßregelt, so auch Wegscheider in Halle und Marheineke in Berlin, bei denen Laube und Gutzkow als Theologiestudenten gehört hatten. Andere wurden entlassen und verließen Preußen, um in den fränkischen Sprengeln ein Unterkommen zu finden. Gerade als diese Bewegung ihrem Höhepunkt zueilte, starb in Berlin Schleiermacher, der bis zu seinen letzten Lebensjahren ein Hort der protestantischen Freiheit gewesen war und als solcher auch den Plan der Agende mannhaft bekämpft, in diesen letzten Lebensjahren aber nachgegeben und um des lieben Friedens Willen seinen stillschweigenden Segen zu dieser verhängnißvollen Art, kirchliche Gegensätze mit Gewalt auszugleichen, gegeben hatte. Als der berühmte Theolog nun starb, beeilte sich die Partei der Unionisten und die evangelisch-lutherische Orthodoxie, ihn für sich in Anspruch zu nehmen und als einen der Ihren zu feiern. Der Zorn über diese Geschichtsfälschung drückte Gutzkow die Feder in die Hand und er schrieb in Leipzig seinen Nekrolog für die »Allgem. Zeitung«, der in Berlin ungeheures Aufsehen machte. Wie aus einer Tagebuchnotiz Varnhagens hervorgeht, fahndete man selbst in Regierungskreisen mit Eifer nach dem Namen des anonymen Verfassers und nicht nur in den Organen der Hengstenbergianer sprach sich der Aerger über die Rücksichtslosigkeit desselben, der Haß kirchlicher Parteileidenschaft aus. Bei aller Anerkennung der »unvergeßlichen hohen Tugenden und Vorzüge« des großen Theologen, hatte Gutzkow ausgeführt, daß in den Jahren nach der Julirevolution die »Resignation der Verzweiflung« das Wesen von Schleiermachers Wirksamkeit gebildet habe. Wie er seinen bis dahin gegen die Dom-Agende geführten Kampf eingestellt und der gewaltsamen Einführung einer künstlich geschaffenen Ordnung des Gottesdienstes ruhig zugeschaut habe, so habe er in seinen Predigten durch den Geist einer resignirten Abwendung von der Welt und einen der Lebhaftigkeit des Erlösers geweihten Kultus seine frühere antidogmatische Lehre verleugnet. Seit der Choleraepidemie habe sich diese pietistische Richtung noch verstärkt und so habe er auch die Seuche als eine Strafe Gottes für die Anmaßungen einer aufrührerischen Zeit bezeichnet. »Männer dagegen, die noch den Muth besaßen,« fuhr Gutzkow fort, »jeder Erscheinung des Lebens ins Auge zu sehen, die in der einbrechenden Aufregung ein Gesetz der Nothwendigkeit fanden und in allen Ausschweifungen der Leidenschaft nur die Zufälligkeit der Gährung – die Vertreter der Lebenslust, des freudigen Vertrauens, des Siegesjubels der Jugend, diese hielten sich seitdem von Schleiermacher, dem zerstoßenen Rohre, fern. Seine Hülflosigkeit hörte auf zu rühren, da er ihr sein (früheres) Leben und sein thätiges Christenthum opferte.« Indem Gutzkow solche Worte schrieb, verfolgte er nur einen der »Wege«, die für bessere Zeiten offen zu halten er sich zum Zweck seines Wirkens gesetzt. Von ganz demselben Standpunkte aus hatte er gleich in seiner ersten Kritik in Menzels Literaturblatt über Steffens geschrieben, der damals noch neben Schleiermacher gegen die Annahme der Dom-Agende, wenn auch von pietistischem Standpunkt, protestirt hatte. Auch hier hatte er den Ruhm früheren Freisinns in Gegensatz gestellt zu dem reaktionären Pietismus, dem Steffens aus Haß gegen das »Allgemeine« und die modernen Ideen sich in die Arme geworfen … Die pietätlose scharfe Kritik an ihrem Lieblingsprediger durch den eigenen Geliebten verwundete Rosalie schmerzlichst. Ihr enthielt es Gutzkow nicht vor, daß er der vielverketzerte Verfasser derselben sei. Als sie sich wiedersahen, kam der Zwiespalt zum offenen und heftigen Ausbruche, dessen Bewußtsein Gutzkow schon lange zuvor mit bedrückender Schwere in sich getragen.

Wie Laube in seinen »Reisenovellen« unter Anspielung auf Goethes »Clavigo« den Freund als »Archivar des Königs« eingeführt hat, so dürfen wir ihn als Gutzkows »Carlos« in diesem Clavigo-Kampf der Loslösung aus solchem Verhältniß bezeichnen. Wie Goethes »Carlos«, den er in Breslau von Seydelmann mit hinreißender Wahrheitskraft hatte darstellen sehen, nannte auch Laube seinem ganzen Charakter gemäß die kraftvergeudende Selbstqual des Fortspinnens eines aussichtslos gewordenen Liebesverhältnisses einen »dummen Streich«. Er selbst hatte festen Herzens sich früher aus solch ungesundem Zustand befreit. Und während Laube solchermaßen auf Gutzkow-Clavigo einwirkte, spielte diesem der Zufall einen Stoff in die Hand, der wie geschaffen war für ein poetisches Abbild dieser inneren Kämpfe. Vermutlich hatte ihn die Lektüre von Llorentes »Geschichte der spanischen Inquisition« auf die Selbstbiographie des Uriel Acosta, » Urielis exemplar humanae vitae«, gelenkt. Dieser geistestrotzige Vorläufer Spinoza's, der aus Wahrheitsdrang den Lehren der Kirche und den Priestern der Synagoge entgegentritt und vom Sanhedrin deßhalb in Acht und Bann gethan wird, der diesem Banne anfangs mit stolzem Bekennermuthe trotzt, dann aber den Bedenken des Gemüthes und Herzens Gewalt gibt über den Geist, die diesem den Widerruf abringt, erschien ihm als warnendes Beispiel für die eigenen Entschlüsse. »Herzblut zeigen« sollte er in seinen Dichtungen, hatten ihn Laube und Schlesier gemahnt; heiß wallte sein Herzblut dem Unternehmen entgegen, das Schicksal Acosta's dem eigenen Schicksalsgange anzupassen. Er begann die Novelle » Der Sadduccäer von Amsterdam«. Daß er sich auch hier als Sprecher fühlte von vielen unter dem Druck der Verhältnisse leidenden Zeitgenossen, wird uns durch eine Bemerkung bestätigt, die er um dieselbe Zeit in eine Kritik von H. Königs Roman »Die hohe Braut« einfließen ließ. In Bezug auf den Titel sagt er da nämlich (Lit.-Bl. 1834, Nr. 9): »Man glaubt, der Verfasser wolle das heimliche Klagelied der Junggesellen dieser Zeit singen, und den Zwiespalt der bürgerlichen Liebe mit der heiligen und gefahrvollen Sache des Vaterlandes in ein tragisches Licht setzen, allein für die vielen Seufzer, welche diese Trennung zweier Interessen schon gekostet hat, soll der Dichter noch erst gefunden werden.« Zu diesem Dichter fühlte er sich berufen. Das Bekennen der Vaterlandsliebe als ein verpöntes Verbrechen fand ja in Acosta's Bekennerthat ebenso ein Gegenspiel wie sein eigener Trieb, die Loslösung vom heimischen Kirchenthume öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Auch dem Protest freier Geister, die um ihres Glaubens willen gegen eine ihnen von der weltlichen Macht aufgedrungene Kultusform protestirten, und lieber Maßregelung und Entlassung ertrugen, als sich der Gewalt zu beugen, lieh er in seiner Dichtung ein Echo. Aber auch jetzt war dieser Zeitbezug in dem historischen Gewande der Novelle zu versteckt, um von Jedermann erkannt zu werden, und da sie nur im Morgenblatt und nicht in Buchform an die Oeffentlichkeit trat, blieb ihre Wirkung auf einen immerhin kleinen Leserkreis damals beschränkt. Dann aber war diesesmal dem Dichter selber der Schaffensakt vor allem ein Akt der Selbstbefreiung und dieser Trieb ließ die Zeitbeziehung während desselben ganz in den Hintergrund treten.

Ihm galt es, zu zeigen, was aus ihm selbst hätte werden können, wenn er den Geboten seiner Eltern, den Bitten der Geliebten, dem Verlangen von deren Mutter nachgegeben hätte und gegen die eigene Ueberzeugung, gegen die Forderung seines Wesens der Orthodoxie sich gebeugt und ihrer Handlanger einer geworden wäre. Darum gab er dem Helden der Novelle, der in Wirklichkeit zur Zeit der Verfolgung durch die Synagoge und seines Selbstmords in den fünfziger Jahren stand, die eigenen jugendlichen Züge, darum machte er zur Geliebten dieses Acosta ein Mädchen, das er nach dem Bilde seiner eigenen Geliebten schuf. Darum nimmt der Uriel dieser Novelle, nachdem er einmal den öffentlichen Widerruf geleistet, diesen nicht nach Erkenntniß der Nutzlosigkeit seines Martyriums wieder zurück, wie in der späteren Tragödie, sondern er erschießt sich, weil er die Schande nicht zu überleben vermag. Auch ganz von dem Drama abweichend, in welchem Judith dem Bannfluch der Priester trotzt und zum Geliebten hält, mit ihrem heldenhaft empfundenen »Er wird geliebt, glaubt besseren Propheten!« ist in der Novelle der Charakter der schönen Tochter Vanderstraatens gezeichnet. Ihr Charakter ist ein psychologisches Portrait Rosaliens; dieselben Vorwürfe, welche der Dichter in den »Rückblicken« seiner Jugendgeliebten macht, macht hier Uriel seiner Judith. Judith ist hier wohl stark genug zu leidenschaftlicher Aussprache ihrer Liebe, zu Anläufen, um den Geliebten auch geistig zu verstehen und so auch seinen Geist an sich zu fesseln, aber zu schwach, um dies dauernd durchführen zu können. Als der Bannfluch der Synagoge den Zweifler zum ersten Male trifft, unterliegt sie der Macht des Vorurtheils und der Gewohnheit, sich ihrem Vater unterzuordnen, tritt sie auch ihrerseits von dem Geächteten zurück. Doch ihre Liebe erstarkt aufs neue, nachdem sie den Theuren verloren; sie macht sich auf, den Verbannten zu suchen; diesen rührt dieser Liebesbeweis und er läßt sich von ihr zum Widerruf bekehren. Im erneuten Verkehr mit ihm kommt ihr dann die ganze Größe der von ihr gestellten Zumuthung zum Bewußtsein: sie hat den Geliebten genöthigt, sich selber untreu zu werden. Und wie er seinen Schritt bereut, bereut sie den ihren. Sie sucht denselben wieder gut zu machen durch ein gelehriges Eingehen auf seine Ideen und Anschauungen, doch zeigt sich ihre weibliche Seele der scharfen Dialektik des grübelnden Skeptikers nicht gewachsen, und als er so weit geht, auf ihre direkte Frage darüber, auch den Glauben an die Unsterblichkeit zu leugnen, an die Unsterblichkeit selbst ihrer einander liebenden Seelen, wird sie an ihm irr. Sie ist kein Gretchen, das sich an pantheistischen Umschreibungen genügen ließe. Judith kann den Leugner der Unsterblichkeit nicht länger lieben. Im Gram über diese Sinnesänderung läßt sich Acosta von dem Verräther Ben Jochai, der hier sein Vetter ist, überreden, durch einen erneuten Widerruf – denn er hat die Verfolgung der Synagoge bereits wiederum auf sich geladen – das Vertrauen Judiths zurückzuerwerben. Während der Gefangenschaft Acosta's weiß Jochai die Unschlüssigkeit des Rivalen zu Gunsten seiner Zwecke auszubeuten, und als der Verrathene nach der erduldeten Schmach Jochai aufsucht, um sich für den Verrath, dessen Größe er nur zur Hälfte kennt, zu rächen, da findet er ihn als Bräutigam an der festlichen Tafel in Vanderstraatens Haus. Er schießt nach ihm, trifft aber Judith; die zweite Kugel durchbohrt sein eigenes Herz, und so stirbt er mit ihr zugleich.

Dieser Acosta und diese Judith sind, wie gesagt, seinem eigenen und dem Charakterbild seiner Braut nachgebildet. Was in der Novelle der Bannfluch der Priester, war in seinem Leben die Wirkung seiner Schriften auf die kirchlichen und staatsgebietenden Behörden. Vanderstraatens Widerstand findet sich hier bei Rosaliens Mutter. Dem ersten Widerruf Acosta's entspricht in Gutzkows Jugendleben der Versuch, um der Geliebten willen doch noch einen »korrekten« Lebenslauf einzuschlagen. Das zweite Einlenken Judiths ist Rosaliens Bestreben, sich auch in Gutzkows Schriftstellerlaufbahn zu finden. Den Unsterblichkeitsgesprächen entsprach so manche Stelle in den Narrenbriefen und dem »Maha Guru«, vor allem aber die Wirkung von Gutzkows kritischem Nekrolog auf Schleiermacher in der »Allgemeinen Zeitung« auf die Geliebte und den Erörterungen zwischen ihnen, die sich an sein Erscheinen und die Polemik gegen ihn in den Berliner Blättern naturgemäß knüpfen mußten. Wenn er in der Novelle von dem Elend spricht, das stets da eintritt, wenn sich großangelegte Geister herablassen, im Sinne der kleinen zu handeln, wenn er Judiths Bemühungen schildert, sich Acosta's Ideenwelt zu nähern, ihre Freude, die Vertraute eines starken Geistes zu sein und dann wieder ihre Schwäche, die sich immer wieder dem Außerordentlichen nicht gewachsen zeigt, wenn Acosta sich anklagt: »Ich zerriß selbst das Band, das sie an mich fesselte, denn welches Weib möchte dem freigeistigen Uebermuth, womit ich in ihrer Nähe spielte, vertraut sein? … Ich löste sie von einer Welt ab, deren Sprache und Gesinnung ihr verständlich ist, und gab ich ihr dafür eine neue wieder? Nein, nichts als Unvollendung, Zweifel, Grundloses, Luftiges erntete sie aus meinem Umgang!« – so sind das Bekenntnisse aus dem Seelenleben des jungen, in stürmischer Geistesgährung begriffenen Dichters. Sie sind wie Goethe's Werther – wenn auch auf fremde vergangene Zustände übertragen – mit seinem Herzblut geschrieben. So unmittelbar hatte er eigenes Erleben bis dahin noch nie gestaltet. Er überwand die hemmende Leidenschaft und ließ Rosalien hinter sich wie der junge Goethe einst die bedauernswerthe Friederike Brion. Beide Mädchen starben nach einem Leben in Zurückgezogenheit unvermählt. Beide Dichter haben ihrer nie vergessen können.

Und Laube? Der Carlos in diesem Clavigo-Konflikt? Wo war dieser inzwischen hingerathen mit seinen Plänen gemeinsamen Wirkens? Gegen ihn hatte sich bereits ein wirklicher Sanhedrin von Ketzerrichtern erhoben und vor seine Schranken gefordert! Aber ein Sanhedrin weltlicher Art. Am 30. Juli 1833 war auf's neue, wie im Anfang dieses Kapitels schon erwähnt, eine Zentralbehörde zur Untersuchung demagogischer Umtriebe durch den Bundestag eingesetzt worden. Zur Unterstützung derselben hatte sich in Berlin durch Kabinetsbefehl des Königs eine Ministerialkommission mit Kamptz an der Spitze gebildet. Auf's neue füllten sich die Gefängnisse mit Gefangenen, für deren Einkerkerung der bloße Verdacht der Betheiligung an irgend einer demagogischen Demonstration gegen die Bundesverfassung genügte, wofür auch schon die Zugehörigkeit zu irgend einem burschenschaftlichen Kränzchen als ausreichend erachtet wurde. Im Frühjahr 1834 lenkte dann ein Antrag Preußens die Aufmerksamkeit der Bundesbehörde auf die immer üppiger emporgeschossene nichtpolitische Literatur, welche in unterhaltender Form der Propaganda staatsfeindlicher Ideen diene. Und Laube ward eines der ersten Opfer dieser neuen Verfolgung. Und dies geschah, als er gerade für seine kritische Thätigkeit den Standpunkt einer Objektivität gewonnen hatte, welcher das Vermischen von Poesie und Politik ganz verwarf. Er hatte den alten Leopold Voß dafür zu gewinnen gewußt, daß jede Donnerstags-Nummer der »Eleganten« mit dem Nebentitel eines Literaturblatts erschien. Hier schrieben er, Schlesier und der ihm durch brieflichen Verkehr näher getretene Wienbarg größere Literaturbetrachtungen und Besprechungen von literarischen Novitäten, wobei sie alle drei das realistische Prinzip sowohl für die Poesie, wie die Geschichtsschreibung, wie die Kritik zur Geltung brachten. Da ereilte ihn das Verhängniß. Nachdem er noch am 5. Juni Anlaß genommen, das »Literaturblatt« der Eleganten mit der Anzeige zu begleiten, »daß zur Abfassung seiner Kritiken drei Genossen sich vereinigt haben und daß in Zukunft diese Kritiken ohne Unterschrift die Namen Ludolf Wienbarg, Gustav Schlesier oder Heinrich Laube verschweigen«, sah er sich am 31. Juli genöthigt, das so schneidig gehandhabte Szepter der Redaktion niederzulegen und die Nummer dieses Tages, die noch einen größeren Aufsatz über Rahel Varnhagen aus seiner Feder enthielt, mit einem Abschied an die Leser zu schließen. Er that es mit Dank für das lebhafte Interesse, mit dem das Publikum seine Redaktionsthätigkeit begleitet; er that es zugleich im Namen seiner beiden Mitarbeiter am Literaturblatt, den Genossen Wienbarg und Schlesier. »Die bisherigen Kritiker treten mit der Erklärung zurück, diese Anstrebungen einzeln und vereint unablässig verfolgen und auf anderem Terrain baldmöglichst fortsetzen zu wollen. Möge man die unvermeidlichen Schwächen und die schonungslose Besprechung einem höheren schriftstellerischen Kreuzzuge nachsehen, möge man sich in späterer Zeit mit anerkennender Liebe dieses Zwischenreiches in den Jahrgängen der eleganten Zeitung erinnern.« Was war geschehen? Bei der Sicherheitsbehörde in Leipzig war schon einige Zeit vorher von Seiten der preußischen Regierung auf dem Wege durch das sächsische Ministerium das Verlangen eingetroffen, den pp. Laube aus preußisch Schlesien, dessen Name auf die Liste der preußischen Untersuchungsbehörde für demagogische Umtriebe gelangt war, freundnachbarlich auszuweisen. Der entsprechende Ausweisungsbefehl hatte natürlich im Redaktionsbureau der »Eleganten« keine geringe Panik erzeugt. Laube aber, da er sich keines Fehls bewußt war und den Rigorismus der diesmaligen Demagogenverfolgung nicht ahnte, so daß die politischen Freigeistereien seiner Kritiken wie seiner bisherigen Werke »Das neue Jahrhundert«, »Das junge Europa, Bd. 1«, »Reisenovellen, Bd. 1 und 2« ihm keineswegs als Staatsvergehen erschienen, die ein Strafverfahren gegen ihn rechtfertigen könnten, und von dem Gefühle durchdrungen, daß er nur in einer größeren deutschen Stadt als Schriftsteller gedeihen könne, als Flüchtling oder Schübling dagegen wie so viele deutsche Patrioten damals dem ungewissesten Schicksal sich aussetzen würde, beschloß, nachdem seine Protestation gegen die Ausweisung nichts genutzt, direkten Wegs an den Sitz der ihn verfolgenden Behörde zu gehen und dem drohenden Prozeß die Stirn zu bieten. In aller Heimlichkeit war er nach Berlin gegangen, geleitet von der Hoffnung, vielleicht auf indirektem Wege zu erfahren, was eigentlich gegen ihn vorliege. Wahrscheinlich hatte er auch gemeint, hier am wenigsten gesucht zu werden. Jedenfalls hatte er in Absicht, den Schutz des mächtigsten Gönners der »jungen Literatur«, Varnhagens von Ense, dem er sich durch wiederholte Besprechungen seiner Schriften, durch Vermittelung Schlesiers und durch sein Eintreten für Heine bestens empfohlen wußte, zu suchen. Vergeblich! Vergeblich auch alles weitere, was er zu seiner Sicherung unternahm. Als Gutzkow am 1. Januar 1835 die Redaktion des neuen Literaturblattes zum »Phönix« in Frankfurt a. M. antrat, saß der Verfasser des »Jungen Europa« zu Berlin als politischer Gefangener hinter Schloß und Riegel in einer Zelle der Stadtvoigtei, angeklagt verschiedener Preßvergehen und nicht mehr »verdächtig«, sondern überwiesen »der Burschenschaft«. Der erste Versuch einer Organisation der literarischen Bewegung, welche die Julirevolution in Deutschland hervorgerufen, scheiterte trotz der inzwischen erfolgten Läuterung an den Folgen, welche die gleichzeitige politische Bewegung und die dadurch geweckte Furcht der Machthaber über das deutsche Geistesleben heraufbeschworen. Mit Laube's Redaktion hörte die »Elegante Zeitung« für's erste auf, ein Organ der »jungen« Literatur zu sein; ein halbes Jahr später übernahm Gutzkow im Frankfurter »Phönix« die Führung.


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