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V.
Der Adjutant Menzels.


» Lieber Freund! Wenn Ihnen die Cholera nicht unterdeß den Weg absperrt, so thun Sie wohl am besten, hierherzureisen und sich des Orts Gelegenheit anzusehen. Gefällt es Ihnen, so bleiben Sie da, wo nicht, reisen Sie zurück. Sie können hier nur als Fremder und von Ihrer Feder leben und müssen insofern die freundliche Gewöhnung der Heimath und die Vortheile einer Anstellung im Nest und einer Wirksamkeit unter Mitbürgern aufgeben. Wenn Sie aber nur von der Feder leben, so müssen Sie sich auch mehr oder weniger nach dem Zeitinteresse richten. Es steht Ihnen hier nur die Theilnahme am Literatur-Blatt, Morgenblatt und am Hesperus offen, der eine neue Redaktion erhält. Dies genügt nicht. Eine neue nichtpolitische Zeitschrift kann jetzt und hier nicht reüssiren. Nur wenn Sie sich mit politischen Artikeln abgeben wollten, könnten Sie hier Beschäftigung die Fülle finden. Wo nicht, so müssen Sie sich durch Broschüren und größere Werke einen Namen machen, und dabei haben Sie hier den Vortheil einer liberalen Zensur und eines kühnen Unternehmungsgeistes bei den Buchhändlern.

Wollen Sie es darauf wagen? In jedem Fall können Sie, ohne sich schon vorher definitiv zu entscheiden, sich mit eigenen Augen an Ort und Stelle orientiren. Die Reise wird in vieler Hinsicht Ihre Erfahrung bereichern und Ihre noch unsicheren Pläne rektifizieren, wenn Sie das Hier und das Dort erst vergleichen können. Ich liebe die Illusionen selbst zu wenig, als daß ich Ihnen welche machen sollte. Sie müssen sich eine so vitale Frage, als Sie mir gestellt haben, selbst beantworten, indem Sie selbst kommen und zusehen. Ich würde nicht hier leben, wenn ich nicht hier so vieles besser fände, als in Preußen, aber das Sichglücklich oder unglücklich fühlen hängt von so zarten und eigenthümlichen Bedürfnissen ab, daß der Eine dem Andern in dieser Beziehung nie prophezeien kann. Daß ich mich sehr freuen werde, Sie zu sehen, daß ich Ihnen alle Ihnen wünschenswerthe Verbindung eröffnen werde &c. versteht sich alles von selbst. Mir wäre Ihr Hierbleiben sehr lieb, aber es kommt darauf an, daß es Ihnen lieb sein soll, und darum müssen Sie die Probe machen.

Den Artikel ›Preßzwang‹ kann ich leider nicht im Literatur-Blatt abdrucken lassen, weil er meinen süddeutschen Freunden, die jetzt mit so heiligem Ernst für die Preßfreiheit kämpfen, nicht stark genug vorkommen würde, und weil der Gegenstand, wenn er einmal berührt wird, gerade jetzt eine strengere und weitere Ausführung verlangt.

Das Forum habe ich wieder mit großem Vergnügen gelesen, aber bedauert, es in einer anderen Form zu sehen. Diese Form taugt nichts. Uebersichten und große Tendenzaufsätze haben in einem Blatt nicht Platz. Bringen Sie größere Mannigfaltigkeit hinein, so erscheint das Blatt wieder nicht oft genug. Ueberhaupt liest man nicht gern ein Tagblatt, das nur einmal in der Woche erscheint. Statt Ihre Truppen so einzeln zu versprengen, lassen Sie sie lieber zu mir stoßen, und kehren Sie die Uniform, die Sie ironisch umgedreht haben, wieder auf die rechte Seite, daß aus der Antikritik wieder Kritik wird. Ich werde Ihnen, sobald ich Sie sehe, die in Fächer geordneten 500-600 noch unrezensirten Bände zeigen, die in meinem Blatt auf Ihr Urtheil warten.

Mit herzlichem Gruß
Ihr

Menzel

Mit diesem Briefe, den er am 23. August 1831 in Stuttgart zur Post gab, bewährte Menzel die Freundschaft, welche die ehrliche Begeisterung eines ihm bis dahin unbekannten jungen Berliner Schriftstellers von sichtlich bedeutendem Wissen für seine »Deutsche Literatur«, in dem merkwürdigen Unternehmen eines »Forum der Journalliteratur« bethätigt, in ihm erregt. Er bot dem jungen Freunde verhältnißmäßig wenig und mit nur geringer Sicherheit, aber doch das Glück, das dieser sich ersehnte: Gelegenheit zu einer literarischen Wirksamkeit mit wirklichen Wirkungen. Zwei Jahre später schrieb Gutzkow an Georg von Cotta: »Meine ersten schriftstellerischen Versuche begann ich vor drei Jahren noch als Student in Berlin. Ich schrieb ein wenig verbreitetes antikritisches Journal und stürmte, ein Zwerg mit Helm und Lanze, gegen eine halbe Welt an. Dreiviertel Jahr fand sich ein Buchhändler bereit, Druck und Papier zu meiner titanenhaften Opposition herzugeben. Mit dem 1. Oktober 1831 kroch ich wie ein gefesselter Kettenhund die Zähne knirschend in die Hütte zurück. Doch war nicht alles vergebliche Mühe. Menzel wurde auf mich aufmerksam, zeigte im Jahre 1831 mein Journal an, trat mit mir in Korrespondenz und ermunterte mich, den Muth nicht sinken zu lassen. Als ich die Feder niederlegte, lud er mich nach Stuttgart ein. Ich folgte diesem Anerbieten mit Freuden, kam im November 1831 in Ihre Nähe und blieb bis Ostern 1832 in dem schönen Stuttgart. Hier arbeitete ich zum großen Theile nur für das Literaturblatt, und machte mich darin so bemerklich, daß ich bei Literaten unter dem Namen des Menzel'schen Adjutanten am bekanntesten bin.«

In der hier erwähnten Anzeige des Forums im »Literaturblatt« hatte Menzel geschrieben: »So jung der Herausgeber ist, beurkundet doch seine Schrift eine ausgebreitete Bekanntschaft mit unserer Literatur und seine Einsichten bilden mit seiner Jugend einen Kontrast, der ihm nur zur Ehre gereichen kann. Die blühende Phantasie, der treffende Witz des Herrn Gutzkow würden ihm einen ehrenvollen Rang unter unseren humoristischen Schriftstellern verbürgen, wenn nicht seine haarscharfe Logik und noch mehr die ihm von der Natur als eine ihrer seltensten Gaben verliehene kerngesunde Vernunft, die sich selbst durch den Verstand nicht von dem sichern magnetischen Zuge abbringen läßt, ihm einen noch höheren Beruf zuwiesen. Unsre Zeit bedarf vor allem und ruft hervor universelle Köpfe, um die chaotische Verwirrung der Systeme, Methoden und Manieren zu lösen, um den Bücherwald zu lichten, um die Nation zum Bewußtsein aller ihrer geistigen Kräfte zu bringen, indem sie dieselben sammeln, ordnen, läutern, den Krankheitsstoff und den Ballast ausscheiden.« Schon in diesem Lob hatte die Erklärung gelegen, daß er ihn zur Leitung eines Literaturblatts wie dem seinen in außerordentlichem Grade berufen halte. Und als dem jungen Gutzkow allmählich klar wurde, daß er sich in den Hoffnungen, die er auf das Forum gesetzt, bitter getäuscht habe, er sich auch zur Mitarbeit an dem Menzelschen Blatte anbot, so war der Wunsch des letzteren, er möchte »mit seinen Truppen doch zu ihm stoßen«, um so natürlicher, als dieser bereits damit umging, sich auch am parlamentarischen Leben Württembergs zu betheiligen. Er war von Balingen als Abgeordneter für den nächsten Landtag ausgestellt worden und seine Wahl ging durch. Gutzkow wartete nur noch den Schluß des dritten Quartals ab, an welchem Zeitpunkt er nun auch das Wochenblatt des Forums eingehen ließ,' um der Einladung zu folgen und der Oede seiner Berliner Existenz zu entfliehen.

Selten wohl haben zwei so grundverschiedene Persönlichkeiten, von so auseinandergehender Sinnesart, sich aus der Ferne die Hand gereicht zu einer Waffenbrüderschaft geistiger Art. Was den jungen Studiosen Gutzkow, dessen in drei Wissenschaften sich tummelnder Geist von heißem Mittheilungsdrange bewegt war, aus der ihn umgebenden Lebensöde im damaligen Berlin zum Anschluß an Menzel trieb, für Menzel begeisterte, was er ausgeprägt fand sowohl in dessen Kritiken als in dessen Buch über deutsche Literatur, war dennoch eine große Gemeinsamkeit an Ideen und Idealen.

Als sechs Jahre vorher – Ostern 1825 – dem damals siebenundzwanzigjährigen Wolfgang Menzel die Redaktion der Literaturbeilage zum Morgenblatt von J. F. Cotta anvertraut worden war, gelangte mit ihm an Stelle der gruselsüchtigen Salonromantik Adolf Müllners die biderbe Kraftromantik des burschenschaftlichen Geistes ans Ruder. Den Rath Börne's, den dieser in seinem Entwurf für ein literarisches Tageblatt 1821 Cotta ertheilt, die Bedürfnisse und Aufgaben, die Ideen und Tendenzen der Zeit zum Maßstab der literarischen Kritik zu machen, hat dann Menzel befolgt, indem er die Grundsätze und Ideale der einst von ihm mitbegründeten »allgemeinen deutschen Burschenschaft« zur Norm seiner Beurtheilungen von Wissenschaft und Poesie erhob.

Aus der patriotischen Begeisterung der Befreiungskriege gegen Napoleon, der Gedankensaat eines Stein, Fichte, Arndt, Schleiermacher, der Liedersaat der Körner und Schenkendorf, Rückert und Uhland erwachsen, aber auch von den romantischen Phantasien, die in der deutschen Vorzeit schon einmal vorhanden wähnten, was Gegenstand ihrer Sehnsucht war, ein einiges deutsches Reich, regiert »von Freiheit, Männerwürde und Treu und Heiligkeit«, genährt, wie diese Grundsätze waren, war auch die leitende Seele derselben eine romantische Vaterlandsliebe; doch positiv wie das nationale Prinzip in ihnen war auch das der Pflege christlicher Gesinnung und Gesittung im Geiste der »alten deutschen Treue«, welche die Zeiten des Rheinbunds zum Nachtheil Deutschlands so sehr hatten vermissen lassen. »Wie die früheren Landsmannschaften und Corps,« schrieb später Menzel hierüber in seinen »Denkwürdigkeiten« (1877), »die Uneinigkeit und Vielherrschaft im deutschen Reiche bezeichnet hatten, so drückte jetzt die Burschenschaft den Gedanken der Einheit aus. Wie früher bei den Landsmannschaften und Corps durchaus ein roher Ton und Liederlichkeit vorgeherrscht hatten, so trachtete die Burschenschaft nach einem reinen, ehrenhaften und sittlichen Wandel. Wie früher die Landsmannschaften und Corps ausländischen Moden und ausländischer Korruption gefröhnt hatten, wollte die Burschenschaft jetzt alles Vaterländische wieder zu Ehren bringen. Wie jene früher nur zu sehr Unglauben und Religionsspötterei gepflegt hatten, kehrte die Burschenschaft zur Religiosität zurück. Sie kam einer ritterlichen Ermannung der Nation gleich. Die eifrigsten Burschenschafter hatten rühmlich im Kriege gefochten, theilten den Eifer für das Turnen, um die künftigen Geschlechter zu kräftigen, aber mit ihrem kriegerischen Muth und Stolz verbanden sie kindliche Demuth vor Gott, gleich den alten Helden unseres Volkes.«

Oppositionell und im Kreise der »Unbedingten« auch revolutionär waren die Bestrebungen der Burschenschaft erst geworden durch die anwachsende Negation des nationalen Prinzips, die immer gewaltthätigere Bekämpfung des deutschen Einheitsgedankens von Seiten der Regierungen, im besonderen der preußischen, die doch eben erst die Wiederherstellung der alten Macht und Größe dem Patriotismus ihrer bisherigen Berather und des zum Theil freiwillig in den Kampf gezogenen Volkes zu danken gehabt. Nichts erbitterte in den Kreisen der preußischen Patrioten so sehr, wie die Verschwörung Friedrich Wilhelms III. mit dem Ausland gegen die erworbenen Rechte des deutschen Volks auf Verfassung und Beseitigung seiner staatlichen Zerrissenheit. Und wenn auch damals noch ein mildes Dichtergemüth wie dasjenige Rückerts hoffend zum Frieden rieth:

»Nicht mit heil'gen Allianzen
Werden Fürsten sich verschanzen
Und mit Trotz die Völker nicht,
Sondern wenn sie mit Vertrauen
Auge sich in Auge schauen
Und zu Gott mit Zuversicht« –

so wurde aus den Lippen Uhlands im Namen Tausender derselbe Grundgedanke zum hellen Kriegsruf: … die Zeit der Märchenträume sei vorbei …

»Freiheit heißt nun meine Feee
Und mein Ritter heißet Recht –
Auf denn, Ritter, und bestehe
Kühn der Drachen wild Geschlecht!«

Die Enthüllungen des Weimar'schen Oppositionsblattes über Kotzebue's Spionenmission, die Maßregelungen der patriotisch wirkenden Professoren und der Führer des Turnwesens, die Denunziationen Stourdza's und deren Wirkungen waren die direkte Ursache, daß in der Burschenschaft der romantische Stimmungskultus von radikalen Absichten verdrängt wurde, daß innerhalb derselben sich unter Karl Follen der Geheimbund der Unbedingten bildete, und daß ein Mitglied desselben von fanatischer Gemüthsart mit dem Gefühle, ein Brutus zu sein, dem Vaterlandsverräther Kotzebue in Mannheim den Dolch ins Herz bohrte. Wollte auch Niemand diese That selbst rechtfertigen, so sprach doch Görres die Meinung weiter patriotisch gesinnter Kreise aus, wenn er sie das Verdammungsurtheil nannte einer neuen besseren Generation über die Sünden der Väter.

Zu den intimeren Freunden Ludwig Sands und Karl Follens hatte in Jena Menzel gehört, aber dem Bund der Unbedingten war er nicht beigetreten; er blieb ein Führer der turnerisch-romantischen Richtung in der Burschenschaft und hat deren Geist bis ins Alter mit teutonischer Treue, aber auch Grobheit und wachsender Unterordnung unter konservative Gesichtspunkte vertreten. Enkel einer alten Breslauer Rathsherrnfamilie und eines der reichsten Industriellen der schlesischen Provinzstadt Waldenburg, war er ein echter Sohn seines engeren Heimathlandes von klein auf auch darin, daß ein lebhafter Sinn für Volkspoesie und das volksthümlich Poetische seinen Geschmack, ein Hang zur Mystik seine Geistesrichtung bestimmte. Schlesiens liederreicher Volksstamm hat nicht nur in seinen Sagen und Weisen, Sitten und Bräuchen bewiesen, daß seiner Seele die Poesie in natürlicher Heiterkeit und Frische ein Bedürfniß ist, er hat auch die Meister volksthümlicher Mystik, Angelus Silesius und Jakob Böhme, hervorgebracht. So waren die beiden Grundelemente der romantischen Poesie von germanisch-christlicher Richtung, wie sie die Dichter der Heidelberger »Trösteinsamkeit« von 1806 vertraten, schon stark in Menzel entwickelt, ehe diese letzteren bestimmend auf seine Bildung einwirken konnten. Vom Quelltrank, den sie in »des Knaben Wunderhorn« kredenzten, hatte er schon aus seinen Streifereien durchs Riesengebirge und seine Thäler, in Rübezahls Revier, manch tiefen Zug gethan. Der religiöse Zug seines Gemüths hatte sich unter der Pflege pietistisch gestimmter, liebevoller Frauen – sein Vater war früh gestorben – gleichfalls ganz natürlich entwickelt. So würde gar leicht auch er, wie Brentano und Novalis-Hardenberg, in reaktionäre Strömungen schon als Student gerathen sein, wenn nicht die unmittelbare Wirkung der napoleonischen Kriege und ihrer Folgen für Schlesien seinem Sinn fürs Vaterländische eine aktuelle Richtung aus Leben und Gegenwart gegeben hätte, wenn nicht die Verfolgungen, die ihn als Turner, dann als Burschenschafter trafen, ihn in den wichtigsten Entwickelungsjahren zum Parteigänger des Liberalismus gemacht hätten.

Zu Waldenburg als Sohn eines Arztes geboren, durch die Mutter einer der reichsten erbeingesessenen Familien der vor der napoleonischen Kriegszeit sehr wohlhabenden Industriestadt angehörend, hatte er hier auf dem Gute, das diese sich als Wittwe erworben, alle Schrecknisse und Aufregungen des Krieges miterlebt, Plünderungen und Brandschatzungen, Einquartirungen von Bayern und Württembergern als Landesfeinden, von Kroaten und Kosacken als Bundesgenossen, bis der von ihm mit dem Ohr auf der Erde vernommene Kanonendonner der Schlacht an der Katzbach das Signal gab für den Ausbruch der Preußen unter Blücher zu dem vom Volk vorausempfundenen Siegeszug nach Dresden, Leipzig – über den Rhein – nach Paris. Die Erbärmlichkeit des damaligen Landadels, das schwache Regiment des schwachen Königs, welche zu Deutschlands tiefster Erniedrigung geführt, hatte er in vielen Einzelheiten ebenso kennen gelernt wie die Erhebung des Volksgeistes, die dann der Siege Voraussetzung war und deren Nachklang ihn als Siebzehnjährigen bei der Nachricht von Napoleons Rückkehr von Elba unter die Fahnen trieb. Unter den Drangsalen des Krieges war aber auch seine Mutter verarmt, und als Breslauer Gymnasiast hatte er plötzlich die anfangs demüthigende, dann kräftigende Wirkung solchen Umschlags der Lebensverhältnisse erfahren. Die Erfolge des geübten Fußgängers auf dem nach Jahn'schem Muster 1816 in Breslau eingerichteten Turnplatze, die ihn bald zum Vorturner der ältesten und der jüngsten Riege machten, entschädigten ihn dafür. Noch vor Abgang zu der Universität bekam er das consilium abeundi wegen fortgesetzter Theilnahme an der inzwischen verdächtig gewordenen Turnkunst, hatte er das erste Gauturnfest auf dem Zobtenberg mitgeleitet, hatte er unter Jahns Führung an einer Turnfahrt von Breslau nach Berlin theilgenommen. Er ging 1818 nach Jena und wurde dort einer der Gründer der allgemeinen Burschenschaft; am 18. Oktober befand er sich unter denen, welche die 38 Fichten aus dem Landgrafenberg verbrannten als Symbol des gewünschten Untergangs der deutschen Kleinstaaterei.

Als Burschenschafter war Menzel ein Feind aller kosmopolitischen Geistesrichtungen geworden, hatte er – bei gelegentlichem Besuche des Weimar'schen Hoftheaters – die tiefe Abneigung gegen Goethe in sich aufgesogen, der einmal als Dichterminister, den Ordensstern auf der Brust, der fröhlichen Jugendschaar im Parterre mit strengem Ruhegebieten aus seiner Loge entgegengetreten war. Nach Sands Attentat war auch er in Untersuchung gezogen und von Jena verwiesen worden. In der neugegründeten Universität Bonn, wo nun Arndt und Weiser als akademische Lehrer wirkten, rief er dafür mit Haupt und andern Jenensern die Burschenschaft ins Leben und wurde nach Haupts Weggang deren erster Präside. Unter den Füchsen, die zu ihm als Führer aufschauten, befanden sich auch Heine und Jarcke. Inzwischen waren die Karlsbader Beschlüsse vorbereitet; schon die Kunde davon veranlaßte Manchen zur Flucht; als in Bonn ein preußischer Regierungskommissar eintraf, um gemäß diesen Beschlüssen zu handeln, und Menzel von diesem sogleich eine Vorladung erhielt, fand auch er es gerathen, die Grenze zu suchen; er enteilte zu Fuß ohne Paß nach der Schweiz. In Aarau und Zürich fand er gute Aufnahme, und in ersterer Stadt erhielt er nicht nur eine Anstellung an der Kantonschule, sondern wurde auch mit der Einrichtung und Leitung eines Turnplatzes nach deutschem Muster beauftragt. Mit andern Flüchtlingen, dem Naturphilosophen Troxler, dem Liederdichter der Burschenschaft, Ludwig A. Follen, dem Landsmanne Menzels A. Mönnich, der später sein Mitarbeiter für Naturwissenschaftliches am »Literaturblatt« wurde, und dem Schwaben Friedrich List – gründete er hier 1824 die » Europäischen Blätter«, in welchen er zum ersten Male in einer größeren Artikelreihe zur Literatur der Gegenwart die Grundsätze der Burschenschaft als Maßstab der literarischen Kritik in Anwendung brachte mit ihrer eigenthümlichen Verquickung von politischer Opposition und nationalem wie religiösem Positivismus. Die in dem letzteren waltende Einseitigkeit und Beschränktheit trat aber damals noch keineswegs so scharf hervor, wie in späteren Jahren, als er sich in Stuttgart fest eingenistet fühlte. In jener Flüchtlingszeit, da die Empörtheit über Metternichs reaktionäre Kongreßpolitik alle anderen Empfindungen überwog, stand in seinen Auffassungen der politische Freisinn noch im Vordergrunde und von seinem späteren Klerikalismus zeigte sich noch wenig, auch wenn seine religiöse Mystik, wie etwa in seiner Vertheidigung Creuzers gegen die Rationalisten Paulus und Voß, zur Aussprache gelangte. Auch verdarb ihm noch kein Vorurtheil die Freude an den großen satirischen Schriftstellern Frankreichs, wie Voltaire, deren Kampfweise ihm sympathisch war, wenn ihre Gesinnung ihm auch widerstrebte. Als ein politischer Gesinnungsgenosse wurde er denn auch in Stuttgart und Tübingen von den Führern der Opposition, von Uhland, Schott, Tafel, Rödiger, begrüßt, als er bald darauf, mit Empfehlungsbriefen an sie von Friedrich List, bei ihnen erschien. Der Theilnahme der schwäbischen Liberalen hatte er zu danken, daß Cotta auf ihn aufmerksam wurde und ihm, nachdem er inzwischen zur Benutzung der Universitätsbibliothek in Heidelberg geweilt, den Vorschlag machte, die Redaktion des »Literaturblattes« an Stelle Müllners zu übernehmen. Er hat denn auch in diesem so einflußreichen Blatte seinen vaterländisch romantischen Standpunkt im Interesse der deutschen Freiheitsbewegung energisch und wirkungsreich geltend gemacht bis in die Mitte des vierten Jahrzehnts hinein. Er hat nicht nur Börne, der, wie Jean Paul, auf seine Schreib- und Denkweise starken Einfluß geübt, in seinen humoristischen und ästhetisch-kritischen Schriften, sondern auch in seinen radikalen »Briefen aus Paris« mit Wärme und Verständniß gelobt, er hat selbst den dritten Band der Reisebilder Heine's, dessen Antikirchlichkeit und Kosmopolitismus ihm doch unsympathisch sein mußten, sehr anerkennend besprochen. Und er müßte ein arger Heuchler gewesen sein, wenn er schon damals den Konstitutionalismus als eine »französische Doktrin« – wie er es später behauptet – verabscheut hätte, damals, als er Ende 1831 als Kandidat der Volkspartei sich in Balingen für die Kammer aufstellen ließ, um an der Seite der schwäbischen Liberalen in dieser »französischen Institution« für deren Prinzipien zu kämpfen. Auch in seiner 1827 bei Frankh in Stuttgart erschienenen »Deutschen Literatur«, welcher die Aufsätze aus den »Deutschen Blättern« zu Grunde lagen, deren Bearbeitung aber das Börne'sche Prinzip der zeitgemäßen Literaturbetrachtung beeinflußt hatte, trug sein Kultus des Vaterländischen eine durchaus liberale Farbe, seine Begeisterung für die germanistische Richtung in der Poesie, sein Kampf gegen die Herrschaft des Rationalismus in Theologie und Philosophie noch nichts von der Bildungsfeindlichkeit seines späteren Klerikalismus. Von rein liberaler Tendenz waren die ersten Ausgaben seiner »Geschichte der Deutschen«, waren bis 1835 die Bände des »Historischen Taschenbuchs« erfüllt, die er für den Cotta'schen Verlag aufarbeitete und welche wiederholt durch Bundestagsbeschluß der Konfiskation verfielen. In die »Politischen Annalen« schrieb er bis zu deren Eingehen politische Miszellen und Aphorismen, unter denen sich sehr scharfgemünzte Epigramme eines kühnen Frondeurs befinden, deren Gesammtheit aber keine klare politische Anschauung wiederspiegelt. Sein Geist zeigt sich auch hier eklektisch gestimmt, er liebt es, politische Gegensätze hervorzuheben, politische Parallelen anzuknüpfen, dagegen scheut er sich vor unbedingten Bekenntnissen, vor Feststellung leitender Grundsätze. Er zeigt sich durchdrungen von der Entwickelungsidee der Geschichte und äußert oft seine Einsicht, daß kein politisches System das einzig richtige, kein Zustand ein dauernder sei: er beobachtet im Staatsleben die einander widerstrebenden Tendenzen nach absoluter Einheit eines Willens und nach der Freiheit jedes besonderen Willens – die Geschichte sei das Streben nach Gleichgewicht zwischen diesen beiden Extremen. Feste Punkte in seinem politischen Denken blieben ihm nur die Grundsätze der Burschenschaft, die er nach dem Zusammenbruch der Hoffnungen des Liberalismus mehr und mehr im Sinne des preußischen Staatsgedankens auslegte, worin er dem Beispiele Arndts, Leo's und Jarcke's folgte.

Die Reise des jungen Berliner Gelehrten zu diesem Manne, der sein Ideal, wurde von ihm, wie wir sahen, in der Stimmung eines Verzweifelnden angetreten, der einer Galeere entflieht. Diese Flucht von Berlin nach Stuttgart ging aber sehr langsam von Statten, sie dauerte nicht weniger als 23 Tage: wer kann heutzutage solche Langsamkeit für möglich halten! Aber auch in jener Zeit, da die Postschnecke sich doch schon zur Schnellpost entpuppt hatte, war diese Langsamkeit eine bedeutende Ausnahme. Der ganze Jammer der Kleinstaaterei offenbarte sich ihm aus dieser seiner ersten Reise in ganz außergewöhnlicher Weise. Daran waren die Cholera schuld und die Durchzüge der vor dem russischen Sieger entflohenen polnischen Insurgenten. Jeder Kleinstaat äußerte seine Furcht vor beiden in anderer Weise. Neben den Schlagbäumen der Zollstationen standen nun überall auch Kontumazwächter, und Gutzkow als aus Berlin Kommender war choleraverdächtig. Dazwischen visitirte die Polizei nach polnischen Flüchtlingen, die zur schnellsten Durchreise nach der französischen und Schweizer Grenze verpflichtet wurden. Das konnten wieder die Kontumazbehörden nicht ohne weiteres gestatten, denn auch diese Polen waren choleraverdächtig und wurden über diese und jene deutsche Separatgrenze nicht ohne Nachweis einer bereits genossenen Chlor-Quarantäne gelassen. Das Behagen, mit dem der junge Reisende im Anfange die Langsamkeit der Fahrt genossen, die ihm z. B. in Wittenberg einen Gang nach der Kirche gestattet, an deren Thür einst der hochverehrte Doktor Luther seine Thesen geschlagen, wich bald anderen Stimmungen. Der geplante Besuch der Wartburg, auf deren Höhe 1818 die Idee der Burschenschaft zu Tage getreten, mußte unterbleiben, denn er wurde aus Eisenach sofort hinausgemaßregelt, weil er die Cholera einschleppen könne. Nach Kurhessen strebend, mußte er sich in Raßdorf einem Kontumaz-Aufenthalt von acht Tagen unterziehen, wo bereits eine ganze Schaar von Polenflüchtlingen zu diesem Zwecke einquartirt war. Kosciuszko-Lieder, Skrzynezki-Märsche klangen ihm durch den Dunst von Tabak, Chlor und Punsch entgegen. Bücher waren auch hier des in sich gekehrten Reisenden Trost. Mitten in dem Lärmen las er Grabbe's »Napoleon«, daneben Dramen von Shakespeare und die eben erschienene »Geschichte der deutschen Dichtung im Mittelalter« von Karl Rosenkranz, die er bald danach im Literaturblatt besprach. Als dann endlich die Reise fortgesetzt werden konnte, als schon Hanau passirt, schon das Weichbild von Frankfurt a. M. betreten war, wurde aufs neue die Straße obrigkeitlich gesperrt: »Sie müsse zwanzig Tag hawwe von Berlin, Sie hawwe nor erscht zehn,« hieß es; die Fahrt nach Darmstadt hinderte ein anderer Schlagbaum, und bei Nacht und Regen mußte der geprüfte Reisende nach Hanau zurück. Da der Beutel auf ein Hotelleben bei solcher Verzögerung nicht eingerichtet war, verbrachte er die weiteren »acht Tag« in einer schnell gemietheten Privatwohnung. Beim Buchhändler Friedrich König fand er die eben erschienenen, aber schon dem Bücherverbot verfallenen ersten Bände der »Briefe aus Paris« von Börne und in dem Kammersekretär Heinrich König einen gesinnungsverwandten Kollegen, der ihm mit Gastfreundschaft entgegenkam. Königs Beispiel lehrte ihm, daß auch unter den Bekennern der katholischen Konfession ein Ringen nach Freiheit sich geltend mache; König war damals gerade wegen der freien Aeußerungen in seinem »Christbaum des Lebens« vom Fuldaer Bischof exkommunizirt worden. Endlich am zwanzigsten Tage nach der Abreise konnte Frankfurt betreten werden: das Frankfurt des verachteten Bundestags, das Frankfurt aber auch, in dem Goethe und Börne geboren. Goethe's Vaterhaus, das er später dichterisch mit den Gestalten der »Königslieutenants«-Periode belebt hat, konnte er damals nur von außen betrachten. »Goethe?« soll ihm ein Frankfurter Kleinhändler auf die Frage nach dem Goethehause geantwortet haben: »das Haus muß fallirt haben!« In Erinnerung an Börne nahm er seine Mahlzeit im »Weißen Schwan«, an dessen Wirthstafel dieser vor der Uebersiedelung nach Paris Stammgast gewesen und so Vieles beachtet hatte, was er dann humoristisch geschildert. Dann noch zwei Tage, und endlich leuchtete dem Ungeduldigen im Abendsonnenglanze das damals noch ganz idyllische Bild der Schwabenhauptstadt entgegen – schön und einladend auch ohne den grünen Kranz, der in besserer Jahreszeit das Rund ihrer Berge krönt.

Man sagt, der Weg zum Glück sei mit Dornen umwachsen. Hatte es aus dieser Reise des jungen Gutzkow nach Stuttgart nicht an Dornen gefehlt, so war die Veranlassung dazu und ihr Zweck denn auch für einen so jungen, mittellosen und auch noch namenlosen Autor ein ganz außerordentlicher Glücksfall. Daß er auf diesem Wege bei zu großer Jugend und inmitten des geistigen Reifeprozesses schon zu selbstständiger literarischer Produktion und zur Macht eines kritischen Mitdiktators gelangte, hat Gutzkow in älteren Jahren selber – mit Recht – bedauert. Vor mancher Einseitigkeit, die verpflichtend nachwirkte, vor mancher Uebereilung, die sich an ihm strafte, wäre er behütet geblieben, hätte er wie Andere in gesicherten und glücklichen Lebensverhältnissen seines Talentes warten können. Nur hätten sich dann auch schwerlich seine großen Vorzüge in gleicher Weise entwickelt. Und das Schicksal hatte bereits entschieden, die Würfel waren geworfen. Nach den Berliner Anfängen und in seiner dortigen Lage, sich weder zum Geistlichen noch zum Lateinlehrer mehr geeignet fühlend, hätte er in der That kein besseres Reiseziel, um zu Freiheit und Selbstständigkeit zu gelangen, finden können, als Stuttgart und die Gehege der Cotta'schen Buchhandlung. Hier fluktuirte das politische und geistige Leben, einer starrköpfigen Regierung zum Trotz, in einem lebendigeren Takt. Hier, im Verkehr mit Menzels politischen Freunden, unter dem direkten Eindruck eines sich mächtig regenden Verfassungslebens im Zusammenhang mit einer seit kurzem wieder zu freierer Entwickelung gelangten Presse, deren schärfere Tonart aus dem Organ der Volkspartei, dem »Hochwächter«, ihm entgegen klang, gewann er einen freieren Blick in die Wirklichkeit der politischen Welt, als daheim zwischen den Zeitungsregalen und Dominotischen bei Stehely. Hier fand sich für einen Anfänger, mehr als an irgend einem andern Orte Deutschlands, literarische Arbeit.

Als Gutzkow nach seiner Ankunft und dem Abstieg im »Waldhorn« den von ihm so hochverehrten literarischen Diktator in seiner Wohnung aufsuchte, wo Menzels Studirzimmer auch das Redaktionsbureau des Literaturblatts war, mögen die beiden sich gegenseitig mit recht erstaunten Augen gemessen haben. Gegenüber der muskulösen Gedrungenheit, den breiten Schultern, der kräftigen Brust des einstigen Vorturners und unermüdlichen Fußgängers, der in der Vollkraft seiner 33 Jahre den von der langen Reise Ermüdeten empfing, mußte der blonde blasse Stubenhocker, dessen blaue Augen fragend und hoffnungsreich den Willkommen aus Menzels dunklen lasen, seiner noch ganz im Wachsthum befindlichen Jugend sich recht bewußt werden. So jung hatte sich Menzel den oft herbeigewünschten Bundesgenossen denn doch nicht vorgestellt. Und auf den sardonischen Zug um die schmalen breiten Lippen des bartlosen energischen Gesichts, das einem katholischen Geistlichen hätte angehören können, war wiederum Gutzkow nicht gefaßt gewesen. Es überkam ihn ein Gefühl, wie den Schüler im »Faust«, der diesen aufsucht und von Mephistopheles empfangen wird. Das that aber dem zutraulichen Anschluß an den Herrn und Meister keinen Abbruch; die einmal vorhandene Sympathie und Verehrung wurzelten zu fest; Gruß und Handschlag wurden mit burschenschaftlichem Nachdruck gewechselt, und Menzel führte den Gast seiner Gattin, einer lebensheiteren, gar hausfraulich veranlagten Cannstätterin zu als den längst erwarteten, herzlich willkommen geheißenen Arbeitsgenossen. Brachte auch der heißblütige Diktator ihn, bald durch seine satirischen Ein- und Ausfälle, bald durch den düsteren Ernst mystischer Anwandlungen in staunende Verlegenheit, sein enzyklopädisches Wissen und energischer Geist mußten ihm doch gewaltig imponiren,

Menzel war gerade an seiner eingehenden Besprechung der Börne'schen »Briefe«, welche noch im Jahrgang 1831 am 28. November und 2. Dezember des Literaturblatts erschien. Dieselben Bände hatten Gutzkows Reisebegleitung von Hanau nach Stuttgart gebildet. Menzel faßte auch diese, den Deutschen die Revolution predigenden und voraussagenden Briefe sammt ihrer Schärfe und Härte in Beurtheilung der deutschen Zustände und des deutschen Nationalcharakters als Ausströmungen von Börne's in Zorn gerathener leidenschaftlichen Vaterlandsliebe auf. »Sein edles Zornfeuer macht ihn jedem wahren Patrioten im höchsten Grade achtenswerth.« Die Uebertriebenheiten vertheidigte er als Vorrecht des satirischen Stils, des grimmigen Humors, in dem diese Briefe geschrieben. »Man wird das Buch verbieten, oder hat es schon verboten, denn wenn man auch die Freiheitsschwärmer Narren nennt, so giebt man ihnen doch nicht einmal die Narrenfreiheit … Schreib einer an einem deutschen Journal! Riesengedanken springen aus der Stirne, aber die Zensurscheere schneidet sie zu mittelmäßigen Geschöpfen zurecht, nachher kommen auch nur noch Mittelmäßigkeiten aus der Stirne und die Riesen bleiben drin im Kopf und fangen aus Langerweile den Titanenkampf unter sich selbst an, schlagen sich todt, fressen sich. Es ist zum Tollwerden, und Börne hat den schönen Muth, endlich wirklich toll zu werden. Echte Tollheit tollt nur gegen sich selbst … Darum wird Börne's glühender Patriotismus zur Blasphemie gegen das Vaterland … Im Gram über das verlorene Vaterland erkennt er das wiedergefundene nicht wieder. Ich will mich Börne gegenüber nicht in die Brust werfen und ihm eine Strafpredigt halten. Auch werden es wahrscheinlich wenig andere thun, denn die Zeiten sind nicht mehr, wo, wenn man sich einen Scherz über die deutschen Philister erlaubte, gleich ganze Schaaren derselben mit dummen Glotzaugen sich hervorthaten und den Franzosenfreund zur Thür hinauswarfen. Das spricht am stärksten gegen Börne, daß wir klüger und besser geworden sind, es unter tausenderlei Beschränkungen, es mitten in der Mittelmäßigkeit geworden sind. Wir haben Ereignisse in Deutschland erlebt, die nicht mehr lächerlich sind, und patriotische Bestrebungen, die nicht mehr bloße Spielereien und Affektion sind … Dies gilt nur der Herabwürdigung des deutschen Nationalcharakters im allgemeinen; im einzelnen, wo Börne's Satire bestimmte Dinge und Verhältnisse trifft, hat er nur zu Recht …« So schrieb und sprach Menzel über Börne gerade damals, als Gutzkow »mit seinen Truppen zu ihm stieß«, und wie sie sich in ihrer Sympathie für Börne, selbst da, wo er über das Ziel hinausschoß, begegneten, so war auch das Thema, das Gutzkow von seinem Chef für seinen ersten Beitrag gestellt wurde, ein solches, in dem ihre Meinungen und Urtheile zusammentrafen. In der Nummer vom 2. December brachte das »Literaturblatt« neben dem Schluß von Menzels Anzeige der Börne'schen Briefe Gutzkows erste Kritik; Henrik Steffens, dessen romantisch-mystische Naturauffassung einen großen Einfluß auf die burschenschaftlichen Kreise ausgeübt, und seine Schrift »Wie ich Lutheraner ward« bildeten den Gegenstand, der wie wenige geeignet war, in seine Besprechung politische Betrachtungen einzuflechten, die genaue Kenntniß der preußischen Verhältnisse, sowohl in ihrer wissenschaftlichen wie politischen Neuentwickelung, zur Verwerthung zu bringen.

Und Menzel hielt Wort. Er eröffnete seinem jungen Adjutanten sogleich manche »wünschenswerthe Verbindung«. Nachdem er den »talentvollen jungen Berliner« schon vorher unter Ueberweisung des »Forums« schriftlich dem »alten Baron« Cotta empfohlen, führte er ihn auch persönlich dem Urheber all der berühmten Stuttgarter und Münchner Zeitschriften zu, der es verstanden, die Werke von Schiller und Goethe in seinem Verlag zu vereinen, und zu dem jetzt der bildungseifrige schüchterne »Scholast« mit bewundernder Ehrfurcht emporsah. Und auch diesem neuen jungen Autor kam Johann Friedrich mit ermunternd theilnehmendem Wohlwollen entgegen: Gutzkow wurde der letzte der später zu Ruhm und Bedeutung gelangten Schriftsteller, die durch ihn und seine Aufforderung, an den Cotta'schen Instituten mitzuarbeiten, in eine gedeihliche Schriftstellerlaufbahn geriethen. Mit besonderem Nachdruck empfahl ihn Cotta an Hermann Hauff, der seit seines genialeren Bruders Tod das »Morgenblatt« redigirte, und dem jungen Talent, das ihn darauf begrüßte, mit echtem Wohlwollen entgegenkam. Auch an Professor von Rotteck, den badischen Volkstribunen, der seit Anfang 1830 eine neue Folge der Politischen Annalen redigirte, die leider die letzte werden sollte, und an den aus Hessen flüchtigen patriotischen Schriftsteller Wilhelm Schulz, der eben für den »Hesperus« engagirt war, wurde er durch Cotta und Menzel empfohlen.

Den tonangebenden Kreisen der »schwäbischen Dichterschule« gegenüber, wie beispielsweise dem Hause der schöngeistigen Hofräthin Reinbeck, in welchen damals gerade der zum ersten Mal in Stuttgart weilende Lenau Gastfreundschaft und Huldigung genoß und der junge Gustav Pfizer die ersten Lorbeeren für seine eben erschienene erste Gedichtsammlung erntete, blieb der junge Fremdling nur »Zaungast«. Wohl hatte auch er eine Mappe voll lyrischer Gedichte mit nach Stuttgart gebracht, doch Menzel, dem er sie zeigte, rieth ihm ab, diese brodlose Kunst weiter zu pflegen, dagegen, sich ganz der Kritik, der literarischen wie der politischen, zu widmen. Er hatte eine Auswahl dieser Gedichte dem vielumworbenen Gustav Schwab, der am Morgenblatt als Spezialredakteur für Lyrik fungirte, anbieten wollen und hätte es thun sollen, ohne Menzel zu fragen. Denn dieser, dessen eigene karge Begabung für Poesie es nur zu »Streckversen« in Jean Paul'scher Manier und lehrhaften Satiren und Epigrammen zu bringen vermochte, stand Gustav Schwab und seinem Einfluß mit nur halb unterdrückter Antipathie gegenüber. Freilich, um etwa wie Lenau auf sein lyrisches Talent seine Zukunft zu gründen, dazu reichte seine Anfängerschaft nicht aus; daß in ihm aber mehr echt lyrisches Talent schlummerte als in Gustav Pfizer, und daß dasselbe nur jetzt, im stimmungsvollsten Alter, eingeschüchtert wurde und gewissermaßen latent blieb, hat die poetische Leistung beider später erwiesen. Darin aber hatte Menzel völlig Recht: Lyriker gab es genug in Schwaben, an politischen Federn fehlte es aber und noch stand die im Jahre vorher frisch aufgesprossene liberale Presse Schwabens in Blüthe, welcher Stuttgart allein acht Organe gestellt hatte. Da er ihm für seine Hülfe am Literaturblatt ein Honorar aus eigener Tasche und zwar nur ein sehr kleines – 30 Gulden monatlich – zahlte, hatte er ein doppeltes Interesse daran, seinen Adjutanten, wie Gutzkow im intimeren Verkehr bald genannt ward, weitere Einnahmequellen zu verschaffen, und er that dies in der Richtung seiner Briefbemerkung, daß er für politische Arbeiten reiche Verwendung in Stuttgart finden werde. So brachte er ihn denn mit den Männern des »Hochwächters«, dem enthusiastisch veranlagten, im Kreise seiner Familie ungemein gemüthlichen Prokurator Schott, mit Walz, Rödiger, Tafel, mit Seybold und Liesching, den Herausgebern anderer liberaler Blätter, in Verkehr. Namentlich im Hause Schotts und von Seiten des obengenannten, selbst noch ortsfremden Schulz fand der immerhin ziemlich einsam Verbleibende wohlthuende Ansprache. Eine für die Zukunft werthvolle Bekanntschaft war noch die von Seydelmann, der damals am Stuttgarter Hoftheater angestellt war und in Menzels Haus freundschaftlich verkehrte. Dieselbe sollte sich später auf Gutzkows dramatischer Laufbahn fruchtbar erweisen.

Die Wogen des politischen Lebens gingen damals in Schwaben gar hoch. Den gewählten Volksvertretern, die auf die Eröffnung des verzögerten Landtags harrten, wurden volksthümliche Feste gegeben, die durchziehenden flüchtigen Polen von den eigens dafür ins Leben getretenen Vereinen verpflegt, bewirthet, die Agitation der »freien Preßvereine«, Besuche von badischen Abgeordneten und deren Aufnahme waren die Symptome einer hoffnungsvollen Volksbewegung, die im badischen Nachbarland auch in parlamentarischen Formen lebendigsten Ausdruck fand. Mit Interesse vernahm man in den Kreisen der politischen Führer die Bemerkungen und Mittheilungen des jungen Berliners, der eine verblüffende Kenntniß der Zustände und Persönlichkeiten in den Berliner Regierungskreisen mit einem scharfen Urtheil verband, wie beides nur dessen eigentümlicher Jugendgang hatte herausbilden können. War doch in diesem kurzen Vorfrühling der deutschen Freiheit, der sich schon im folgenden Jahr als ein verfrühter Traum erweisen sollte, das Auge vieler süddeutschen Patrioten schon damals mit einer Zuversicht und hoffnungsvollen Theilnahme auf Preußen gerichtet, wie man es nicht für möglich halten sollte angesichts der Darstellung, welche diese Zeit des liberalnationalen Aufschwungs vor dem Hambacher Fest in neuerer Zeit gefunden, wie es aber neuestens doch Wilhelm Lang in dem gehaltvollen Buche »Von und aus Schwaben« in einer Studie über »Paul Pfizer« mit Bevorzugung des letzteren geschildert hat. War doch in demselben Jahr 1831, das ihn nach Stuttgart führte, in demselben Cotta'schen Verlag, für den er nun auch zu schreiben begann, Paul Pfizers » Briefwechsel zweier Deutschen« erschienen, waren doch gerade fast gleichzeitig mit ihm zwei hervorragende Publizisten, der schon genannte Rheinhesse W.  Schulz und der vom Oberrhein stammende Ernst Münch nach Stuttgart gekommen, um hier Redaktionen zu übernehmen, die von entgegengesetztem Standpunkt aus ebenfalls für den Beruf Preußens zur Einigung Deutschlands in vielbeachteten Aufsätzen aufgetreten waren. Hier mischte sich nun ein politischer Kopf unter die schwäbischen Politiker, der trotz seiner Jugend in der Lage war, aus eigener Anschauung Auskunft zu geben über die Staatsmänner der gegenwärtigen preußischen Regierung, den Charakter des alternden Königs und des romantisch gestimmten Kronprinzen und tausend Einzelheiten über die Ursachen der politischen Stagnation, die zur Zeit noch in Preußen herrschte. So kam man ihm, soweit Menzels Sympathien und Antipathien es zuließen, in diesen Kreisen theilnehmend entgegen, was nicht ohne Wirkung auf seine nächste literarische Entwickelung blieb.

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Mit dem Feuereifer im Lernen und dem unversieglichen Wissensdurst, welche ihn schon auf der Schule ausgezeichnet, ging dann Gutzkow auch des weiteren seiner eingegangenen Verpflichtung nach. In den nächsten zwei Jahren hat er einen großen Theil seiner Kraft und Zeit einer eifrigen Thätigkeit am »Literaturblatt« gewidmet. Anfangs mehr in wissenschaftlicher Richtung, gleichsam in Fortsetzung seiner Studien, die jetzt auch die Staatswissenschaft und Nationalökonomie in ihr Interesse zogen, später mehr der schönen Literatur zugewandt. Gleich im ersten Vierteljahr des Jahres 1832, das er in Stuttgart zubrachte, besprach er 15 biographische Werke, darunter Kotzebue's Leben, J. G. Fichte's Leben und literarischen Briefwechsel, »Wahrheit aus Jean Pauls Leben«, und 27 theologische Werke, die ihm zum Anlaß wurden, das ganze theologisch-kirchliche Leben der letzten 15 Jahre zu beleuchten. Während Menzel im Anfang die Besprechung wichtiger Novitäten der poetischen Literatur sich vorbehielt und z. B. in diesem Jahrgang Chamisso's Gedichte, Victor Hugo's Notre dame de Paris, Mörike's Maler Nolten, Adrians Uebersetzung von Byrons sämmtlichen Werken selbst besprach, verwies er seinen Gehülfen auf die Wissenschaft; Anastasius Grüns »Letzter Ritter« war neben einer Balladensammlung von Duller und Spindlers Roman »Der Invalide« das einzige poetische Werk von Bedeutung, das er in diesem ersten Jahr zur Besprechung bekam. Doch gaben ihm auch jetzt schon literarhistorische und Memoirenwerke Veranlassung zu charakteristischen Bemerkungen zur Literatur der Zeit; so lobt er an den Deutschen Denkwürdigkeiten des Freiherrn von Rumohr die Einfachheit der Darstellung und wirft die Frage auf, ob es vielleicht möglich wäre, einmal wieder anzufangen, das Naive für den pikanten Witz, die Ironie für die herbe Satire, wie sie der Geschmack des Tages liebe, zu pflegen. Daneben ging eine fleißige Thätigkeit als politischer Korrespondent, auch auswärtiger Blätter, über die sich nur Andeutungen erhalten haben. Von der politischen Gedankenwelt, die er darin vertrat, ist aber dennoch ein werthvolles Zeugniß auf uns gekommen. Noch während er in Stuttgart war, schrieb er für die Rotteck'schen » Annalen« einen politischen Aufsatz » Ueber die historischen Bedingungen einer preußischen Verfassung«, der bereits im Aprilheft mit der Chiffre K…z…w erschien und wegen seiner klaren Sachlichkeit die Vermuthung weckte, ein liberaler Staatsmann sei der Verfasser. Daß er von Gutzkow war, ist nach den Büchern der Cotta'schen Buchhandlung festgestellt worden.

Dieser erste größere bisher nie besprochene Aufsatz Gutzkows verdient unser eingehenderes Interesse. Mit einer Knappheit und Klarheit, die von dem Stil seiner Forum-Artikel in überraschender Weise sich abhob, bewährte er hier sofort eine Reife des politischen Urtheils, die uns heute ebenso bewundernswerth erscheinen muß wie seine Selbständigkeit. Er markirte hier auf das Deutlichste seine Sonderstellung gegenüber dem Idealismus, der damals gerade von liberalen Patrioten in Schwaben gehegt ward in Bezug auf Preußens Beruf, die Einigung Deutschlands zu vollziehen. Den Glauben an diesen Beruf theilte er mit diesen Männern; mit einigen von ihnen auch die Ueberzeugung, daß Preußen erst eine konstitutionelle Verfassung erhalten müsse, um diesen Beruf ausüben zu können; während aber die süddeutschen Politiker sich ganz allgemein mit der Hoffnung begnügten, daß König Friedrich Wilhelm sein altes Versprechen nun baldigst erfüllen werde, ging Gutzkow daran, die historischen Bedingungen einer Verfassung in seinem engeren Heimathland zu untersuchen und die dort herrschenden Doktrinen zu bekämpfen, welche die Gewähr derselben so sehr erschwerten.

Es ist durch eine oberflächliche Geschichtschreibung in unserer Zeit die Meinung verbreitet worden, als hätten die süddeutschen Stimmführer des politischen Freisinns und des deutschnationalen Gedankens sich nach der Julirevolution einer unklaren Schwärmerei für deutsche Einheit hingegeben ohne alle positive Vorstellungen und Vorschläge. Wer sich aber die Mühe nimmt, in den Zeitungen und Zeitschriften jener Tage, soweit sie auf uns gekommen, im besondern jener Zeit des liberalen Aufschwungs zwischen der Pariser Julirevolution von 1830 bis zu den Julibeschlüssen des Jahres 1832 zu studiren, der muß staunen, wie viel praktischer politischer Sinn, wie viel politischer Weitblick damals entfaltet wurde, um zu ergründen, wie das Ideal eines in Freiheit kraftvoll geeinten Reichs deutscher Nation zu verwirklichen sei. Wir haben schon im Eingangskapitel an der Hambacher Rede Wirths gezeigt, daß in jener kritischen Periode zwischen der radikalen Richtung, die nur noch von einer Revolution im Bunde mit Frankreich gegen die heilige Allianz das Heil erhoffte, und der Metternich'schen Reaktion, welche zu Gunsten der bestehenden Ordnung den deutschen Nationalgedanken ganz zu vernichten strebte, ein kraftvoller Strom deutschen Geisteslebens von gleichzeitig nationaler und liberaler Richtung im Wachsen war, dessen Vertreter im Geiste bereits den Gang der Geschichte voraussahen und auf dem Wege friedlicher Verständigung ihn anzubahnen sich mühten, der später leider nur mit Hülfe eines Kriegs von Deutschen gegen Deutsche von ihr zurückgelegt werden konnte. Wenn man um dieses Verdienstes willen den Schwaben Paul Pfizer neuerdings als »den Seher des neuen Deutschlands« gefeiert hat, wie es namentlich Treitschke mit hochtönendem Lob gethan, so hat sein Biograph Wilhelm Lang daneben schon geltend gemacht, daß in demselben Jahre 1831, das im Cotta'schen Verlage den »Briefwechsel zweier Deutschen« erscheinen sah, eine ganze Reihe von Broschüren und Vorschlägen verwandten Sinnes erschienen sei. Aber auch er hat übersehen, daß der von ihm erwähnte Aufsatz von Wilhelm Schulz im Juliheft von Rottecks Annalen auch diejenige Forderung bereits enthalten hat, die Forderung der Trennung Oesterreichs vom Bunde, den er Pfizer als Sondereigenthum zuweist, und daß gerade dieser Gedanke in jenen Tagen nicht der Einfall eines Einzigen war, sondern einer Volksempfindung entsprach, die gleichzeitig und spontan durch verschiedene Geister ins Wort trat. Und wenn Cotta, wie Wilhelm Lang angiebt, anfangs gezögert hat, den »Briefwechsel« Pfizers zu drucken, so hat dies sicher weniger an der politischen Tendenz desselben, als an der wenig klaren und unvorsichtigen Fassung gelegen, welche sie immerhin noch in dem Buche fand. Der alte Cotta ist vielmehr als der geistige Führer dieser ganzen Bewegung anzusehen; auch in seinem Innern hatte sich der Prozeß vollzogen, den Pfizer in der Dialektik seines Briefwechsels schildert: seit er 1829 als diplomatischer Vertreter Bayerns und Württembergs zum Abschluß des Zollvereins mit Preußen in Berlin gewesen war und im intimen Verkehr mit Motz, dem einzigen genialen weitblickenden Staatsmann am Hofe, Einblick in dessen Auffassung der Zollvereinspolitik gewonnen hatte, war sein großer Einfluß auf die süddeutschen Höfe, auf Politiker und Schriftsteller wie die öffentliche Meinung darauf gerichtet, im Sinne dieser Politik vorbereitend und anregend zu wirken. Um dieselbe Zeit, da noch Bernstorff, der letzte Vertreter einer selbstständigen preußischen Politik unter Friedrich Wilhelm dem Dritten, unter Umgehung Oesterreichs mit den süddeutschen Fürsten jene Militärkonvention berieth, welche nach dem Vorbild des Zollvereins einen Heeresverband unter preußischer Führung mit voller Zustimmung des bayrischen und württembergischen Königs anbahnte, wurden die Politischen Annalen unter Rottecks Leitung zum Träger einer Politik, die einem konstitutionellen Preußen die Hegemonie eines geeinigten Deutschlands antrug, erschienen in der »Allgemeinen Zeitung« Gagerns »Vaterländische Briefe«, fanden in diesen Organen eine ganze Reihe von Schriften empfehlende Besprechung, welche derselben Tendenz dienten, so auch die eines Preußen, welche das Motto führte: »Mein Vaterland ist Deutschland und meine Vaterstadt Berlin«.

Neben Paul Pfizers, einer von glühender Vaterlandsliebe bewegten Seele, entrungenem Buche, das die Sehnsucht Tausender nach einer Versöhnung zwischen dem Einheits- und dem Freiheitsideal schilderte, waren der Aufsatz von Wilhelm Schulz: »Das Eine, was Deutschland Noth thut« und die Schrift von Ernst Münch: »Deutschlands Vergangenheit und Zukunft« die lichtvollsten Kundgebungen dieser Bewegung. Schulz und Münch waren beide seit längerer Zeit Mitarbeiter an Cotta's Journalen, beide siedelten im Jahre 1831 nach Stuttgart über, um hier Redaktionen zu übernehmen; Schulz bei Cotta die des volkswirthschaftlichen »Hesperus«, Münch zur Vertretung einer preußenfreundlichen Regierungspolitik an der Stuttgarter Hofzeitung.

Wie sehr auch Rotteck, der Führer der badischen Liberalen, bis zu Metternichs erneutem Siege bereit war, diese Politik der preußischen Hegemonie zu verfolgen, dafür bürgt, daß er als Redakteur der »Annalen« im Juli 1831 den Schulz'schen Aufsatz über »Das Eine, was Noth thut« gebracht. Dieser Beweis wird verstärkt, wenn wir sehen, daß Schulz seinen Aufsatz an die Vorrede Rottecks zum neuen Jahrgang anknüpfte, in welcher dieser mit ernster Frage sich an die deutschen Fürsten gewandt und die Berufung eines großen Raths von Volksabgeordneten neben dem Rathe der fürstlichen Gesandten als laute Forderung der Nationalstimme bezeichnet hatte. Diese Forderung wurde von ihm und Welcker auch in der glänzenden Session des badischen Landtags von diesem Jahre vertreten, welche als schönste Frucht die Preßfreiheit zeitigte, jenes liberale Preßgesetz, dessen illegale gewaltsame Beseitigung durch den Einspruch des Bundestags im nächsten Jahre so viele gemäßigte Politiker zu Reden und Handlungen trieb, deren gewaltthätige Ahndung sie zu politischen Märtyrern gemacht hat. Von den Gefahren ausgehend, welche Deutschland stets von Frankreich und Rußland drohen, entwarf Schulz ein Bild der Ohnmacht, zu welcher die Zerrissenheit des Vaterlands den nationalen Willen verurtheilt: »die Worte deutsche Macht und deutsche Kraft sind dem stolzen fremden ein leerer Schall geworden, und in seiner Meinung hat Deutschland nichts gemeinsames mehr, als was ihm zur Schande gereicht.« Er zeigt dann, daß die Gründung einer deutschen Reichsvertretung nicht im Widerspruch stehen würde mit den bestehenden Verträgen und mit den Bestimmungen des positiven Staatsrechts des deutschen Bundes. Durch den Artikel 13 der deutschen Bundesakte sei dem deutschen Volke der Antheil an der Bestimmung seiner Geschicke gewährleistet, im südwestlichen Deutschland sei der Artikel auch im Geist der reinen Repräsentativ- Verfassung verwirklicht worden. Nur im Norden habe man ihm den Sinn einer Restauration der mittelalterlichen Feudalstände untergelegt. In Oesterreich sei die Erfüllung fast ganz unterblieben. Oesterreich habe seiner Zusammensetzung nach, welche die verschiedensten Nationen von verschiedener Bildungsstufe umfasse, nicht das gleiche Interesse an dem nationalen Aufschwunge Deutschlands wie Preußen. Es habe sich schon vom übrigen Deutschland abgesperrt auf dem Gebiete des Handels wie dem des geistigen Lebens, seine Politik gehe auf Vernichtung des deutschen Staatsgedankens aus, Preußen sei dagegen durch seine Geschichte, seine Kultur, seine Kraft berufen, an die Spitze der Bewegung zu treten. Habe seine Regierung dem Lande auch bisher eine volksthümliche und einheitliche Verfassung vorenthalten, so besitze doch sein Heer eine volksthümliche Verfassung und seine Handelspolitik habe bereits eine gemeindeutsche Richtung genommen. Der jetzige Zustand eines fortschreitenden Verfassungslebens in Mittel- und Südwestdeutschland neben einem Preußen, das der Konstitution entbehrt, sei unhaltbar. »Alle wohlverstandenen Interessen, alle klar gewordenen Ansichten müssen ja in dem Gedanken an die volksthümliche Einigung aller Deutschen sich begegnen. Die Einen fordern die Bedingungen und die Sicherheit der materiellen Wohlfahrt; die Anderen vor Allem den Schutz der geistigen Interessen und die Freiheit um ihrer selbst willen. Ohne das vereinigende Band einer deutschen Nationalvertretung hätte Alles, was man für die Erhöhung des Nationalwohlstandes versuchen möchte, keine Bürgschaft der Dauer; es würde an dem Muth der Spekulation fehlen, so wie an den Mitteln für allen höheren Aufschwung des Handels und der Gewerbe, und selbst die volle Freiheit des innern Verkehrs würde bald erkennen lassen, daß auch dieses ersehnte Gut seine besten Früchte nicht zu gewähren vermag, so lange es nicht durch die Kraft und den Willen einer deutschen Nation gegen äußere Feinde und gegen innere Willkür geschützt ist. Ohne das Band einer Nationalvertretung würde man unter der freisinnigsten Verfassung in jedem einzelnen Staate nur desto bitterer den Druck empfinden, der im Namen der Gesammtheit die Entwickelung derselben im Keime vernichtet: und die vollste Gewähr der Freiheit, der Schrift und der Rede würde uns nur das traurige Recht geben, die Leichenrede am Grabe unseres Glücks zu halten; sie würde uns nur gestatten, die Schmach der Trennung lauter zu beklagen; sie würde dem Kranken nur die Mittel zur Heilung zeigen, ohne selbst ein Heilmittel zu sein.

Die Einen fürchten den Ehrgeiz Frankreichs, oder sehen bedenklich auf die wachsende Macht Rußlands und auf die Gefahren, wenn erst Polen der Uebermacht seines Feindes erlegen ist. Die Anderen fordern eine Verbindung mit Frankreich, weil sie nur im Bunde mit ihm die freisinnigen Institutionen des eigenen Landes zu schützen hoffen; oder sie sehnen sich, Frankreich von Neuem einverleibt zu werden, weil sie nach den Vortheilen, nach der Sicherheit und nach der Ehre verlangen, die nur der Verein mit einer großen Nation gewähren kann. Eine deutsche Nationalvertretung würde uns stark genug machen, dem Ehrgeiz Frankreichs zu widerstehen; oder sie würde die Mittel an die Hand geben, uns in der Unabhängigkeit Polens die eigene Unabhängigkeit zu sichern. Eine deutsche Nationalvertretung würde uns auch die Macht schaffen, unsere freisinnigen Institutionen auch ohne Frankreichs Hülfe gegen alle Welt zu schützen; und indem sie die deutsche Menge zur deutschen Nation macht, würde sie die Sehnsucht verbannen, die einen Theil unserer Mitbürger einem Volke mit fremder Zunge und fremder Sitte in die Arme führt.

Die Einen wollen, ohne alle Trennung in besondere Staaten, die unbedingte Einheit Deutschlands. Die Anderen fürchten die Zentralisation, welche nach ihrer Ansicht in die freie Gestaltung alles Eigenthümlichen und Besonderen störend eingreifen und die reiche Mannigfaltigkeit in todte Einförmigkeit auslösen würde. Eine gemeinsame Vertretung des deutschen Volkes sichert auch die Ausbildung alles natürlich Besonderen, weil dieses erst durch Unterordnung unter die Bedürfnisse und unter den Gesammtwillen der Nation das Recht des Nationalschutzes erwirbt.

Den Einen ist die aufopfernde Freiheitsliebe die höchste Tugend. Die Anderen preisen die hingebende Treue an die angestammten Fürsten. Eine deutsche Reichsvertretung ist die Frucht und der Hort der wachsenden Freiheit. Eine deutsche Reichsvertretung befestigt zugleich die alte Treue, weil sie neue Quellen der Liebe und des Vertrauens der Völker zu ihren Fürsten öffnet.

Die Einen wünschen den Frieden und glauben an die Erhaltung desselben. Die Anderen halten den Krieg für unvermeidlich, und wenn sie ihn wünschen, so leitet sie der Gedanke, daß erst der Krieg die Schwäche der Trennung fühlbar machen und eine innige dauernde Vereinigung herbeiführen werde. Die Gründung einer deutschen Reichsvertretung giebt Deutschland in seiner eigenen Kraft die beste Gewähr des Friedens. Die Gründung einer deutschen Reichsvertretung geleitet ruhig und sicher an das gewünschte Ziel, wohin der Sturm des Kriegs zerschmetternd uns schleudern würde.

Du Volk der Deutschen, so halte denn fest am Gedanken deiner Vereinigung. Wie immer die Würfel fallen, dies Gut bleibt jedes Opfers werth. Und ihr Machthaber in Deutschland, in deren Händen noch in diesem Augenblicke das eigene Geschick, wie das Geschick des Volkes ruht, – im Namen der jungen Freiheit und der alten Treue, im Namen des Friedens und der Ordnung, höret seine Stimme! Wir sind weit genug in der Zeit, daß man eine gemeinsame Vertretung der Deutschen nicht allzufrühe gewähren kann. Möge man aber auch den letzten Moment der kurzen Frist nicht versäumen, da sie noch gewährt werden darf, ohne daß vorher das Vaterland von neuen Schrecknissen heimgesucht und der Friede und das Glück von Tausenden zertrümmert worden ist. Die Geschichte der letzten Monate hat die ernste Warnung gegeben, wie jede Versäumniß in Erfüllung der zeitgemäßen Forderungen der Völker schwer gebüßt werden muß. Auch eine gemeinsame Vertretung der Deutschen wird nur auf die Gefahr hin verweigert, daß im gefährlichsten Augenblicke für die jetzt bestehende Ordnung eine desto stärkere Partei für die unbedingte Einheit Deutschlands sich bildet.«

Der dies schrieb, war eines der Opfer der früheren »Demagogen«-Verfolgung vom Jahre 1819; wahrlich soweit ab von dem historischen Gange der Wiedergeburt des Reichs, wie man sich heute gewöhnt hat, diese opfermuthigen Pioniere in ihrem Denken und Träumen darzustellen, waren diese Männer nicht. Aber nicht Orden und Ehrenstellen waren ihr Lohn – dieser ehrenwerthe, geistvolle, so realistisch denkende Idealist, der schon 1819 für eine Schrift ähnlichen Inhalts »Das Frag- und Antwortbüchlein über allerlei, was im deutschen Vaterlande besonders noth thut« in seiner Vaterstadt Darmstadt Gefängniß und Enthebung von seiner Lieutenantsstelle hatte ertragen müssen, ist im Ausland als Verbannter gestorben, nachdem er einer langen Einkerkerung mit Hülfe seiner Frau sich durch die Flucht entzogen. Das Separatbündniß Preußens mit den Südstaaten wurde durch Metternichs geschickte Politik vereitelt, die den schwachen, vor allen Aenderungen sich ängstlich scheuenden Preußenkönig, welcher jetzt zu einem Statthalter seines Schwiegersohns, des Czaren Nikolaus, auf dem Throne Friedrichs des Großen herabsank, aufs neue durch Vormalung des rothen Gespenstes auf seine Seite gebracht hatte; Bernstorff mußte fallen, Ancillon trat an seine Stellung und damit wurde ein Satellit Metternichs Minister des Auswärtigen in Preußen. Und nun begann mit der Aktion des Bundestags, welche die Karlsbader Beschlüsse in verstärkter Form erneute und gegen all die Organe des Liberalismus und Nationalismus nicht nur mit strengen Zensurverordnungen, sondern meist mit völliger Unterdrückung und Kriminaluntersuchungen gegen ihre Redakteure vorging, auch das Rachewerk an Denen, welche im deutschen Süden die Hegemonie Preußens und die deutsche Einheit mit Ausschluß Oesterreichs propagirt hatten. Auch Cotta ward jetzt nicht mehr geschont; die »Politischen Annalen« wurden durch besonderen Bundesbeschluß unterdrückt, die »Allgemeine Zeitung« mit ähnlicher Strafe bedroht; damals schrieb der treue Gustav Kolb jenen theilnehmenden Brief an den alten Cotta, den wir im Heine-Kapitel S. 164 mitgetheilt haben, worin er den Widerspruch beklagt, in welchen der thätige Geist seines Wohlthäters mit dem Drang schwerer Zeiten gerathen, damals schrieb auch Gentz jenen höhnischen Brief, der Heine's Mitarbeit an der »Allgemeinen Zeitung« untersagte, und jene Aufregungen und Heimsuchungen trafen den alterprobten Streiter, welchen er noch vor Ende des Jahres erlag. Der Druck Oesterreichs zwang jetzt König Wilhelm, offenkundige Beweise zu geben, daß auch er Ansichten wie die von Schulz für staatsverbrecherisch halte; war Pfizer schon vorher gemaßregelt und aus dem Staatsdienst entlassen worden, weil er in seinem Briefwechsel den Bestand des Königreichs Württemberg zu Gunsten der Kaiseridee allzu sorglos in Frage gestellt hatte, so wurde Wilhelm Schulz, der seine Ideen noch in einer besonderen Schrift: »Deutschlands Einheit durch Nationalrepräsentation« wiederholt hatte, jetzt erst durch die Polizei des Landes verwiesen und verfiel nach seiner Rückkehr nach Darmstadt einer neuen Untersuchung, die mit seiner Verurtheilung zu fünf Jahren Kerker endete.

Wenn es aber noch eines Beweises bedürfte, daß König Wilhelm von Württemberg bis zu diesem Sieg Metternichs eine antiösterreichische, preußenfreundliche Politik verfolgt hat, so würde die Berufung Ernst Münchs im Jahre 1831 zum Hofbibliothekar und Redakteur der Stuttgarter Hofzeitung der denkbar schlagendste sein. Denn dieser, erfüllt von den politischen Ideen des Oraniers, dessen Hofbibliothekar er 1830 geworden, hatte kurz vorher im Haag eine Schrift erscheinen lassen, die noch viel weiter als Schulz in der Anempfehlung der preußischen Hegemonie ging; wir nannten sie schon: »Deutschlands Vergangenheit und Zukunft«. Münch, wie Schulz und P. Pfizer, ein charakteristischer Repräsentant jener verhängnißvollen Zeit der Hoffnungen und Enttäuschungen, und wie diese damals im Anfang der dreißiger Jahre stehend, war ein geborener Schweizer vom Oberrhein, der 1818 in Freiburg dem engeren Bunde der Burschenschaft angehört, wie L. Follen dessen Ideen in Liedern zum Ausdruck bringend, dann nach den Karlsbader Beschlüssen als Flüchtling in Aarau gelebt hatte, wo er zum Herausgeber und Uebersetzer der Schriften Ulrichs von Hutten wurde. 1824 war er Professor der Geschichte in Freiburg, dann in Lüttich geworden, wo er durch die Anfeindungen, die ihm von katholischer Seite wurden, in intimere Beziehungen zu dem protestantischen König der Niederlande kam. Münchs Forderung aber lautete: Die deutsche Nation will Eine Nation sein, ein großer zusammenhängender politischer Körper, nach Außen mit einem kräftigen Zentralsenate, mit einer Achtung gebietenden Bundesmacht. Sie will, daß Deutschland als solches wieder in die Reihe der Großmächte eintrete, aus der man es vertrieben hat. Dazu ist vor allem nöthig, daß ein neuer Bund gestiftet werde. Das Präsidium desselben muß zu einer Art Diktatur in allen gemeinsamen, nationalen, völkerrechtlichen Beziehungen, in Folge freiwilliger Uebereinkunft aller übrigen Bundesglieder erhoben, und diese Diktatur an Preußen übertragen werden. Der Diktator oder Direktor, Protektor des Bundes muß ausgedehnte Vollmacht erhalten, um in Zeiten der Noth, bei Verhandlungen europäischer Fragen handeln zu können; er muß eine Art Initiative bei Bestimmung aller Bedürfnisse des Bundes und der Mittel zu ihrer Befriedigung haben und zugleich der Generalissimus der bewaffneten Macht sämmtlicher deutscher Staaten sein. Diese Idee, im Prinzip schon 1818 von Börne geäußert, der jetzt ihre Ausführung nur mit Hülfe der Revolution und auf republikanischer Basis für möglich hielt, wurde damals von vielen Patrioten, namentlich auch in Preußen selbst, von Arndt, Perthes, für leicht ausführbar gehalten. Als in Teplitz die Bündnißerneuerung zwischen Preußen, Oesterreich und Rußland erfolgt war, sah man erst ein, wie auch die scheinbar reifsten Pläne im Staatsleben nicht reifen können, wenn nicht eine starke staatsmännische Persönlichkeit in sich die Einsicht und die Macht zu ihrer Ausführung vereint und – in Monarchien – zugleich das Vertrauen des Regenten in seine Kraft genießt. Der starke Staatsmann befand sich damals aber bis 1848 auf österreichischer und derjenigen Seite, welche die Einheit Deutschlands mit aller Macht bekämpfte.

Indem Münch in seinem Vorschlag die Idee der Diktatur in den Vordergrund gestellt, die der Nationalrepräsentation aber unter den Tisch hatte fallen lassen, machte er sich einen im Grunde durchaus autokratischen Fürsten wie König Wilhelm von Württemberg sehr geneigt, brachte auch manchen gemäßigt-konservativen preußischen Patrioten und Diplomaten auf seine Seite. Für die liberalen Volksvertreter spielte er aber die Diskussion über die Einigung von der Hauptsache ab. Diese legten mit Pfizer und Schulz den Nachdruck auf die Nationalvertretung, nur daß sie die Antwort schuldig blieben auf die Frage, wie und ob Preußen in Kürze mit seinen alten und neuen Provinzen, mit seinem ruheliebenden König und den Doktrinären der Haller'schen Staatstheorie eine Verfassung erhalten könne. Hier setzte nun Gutzkow ein mit seinem Aufsatz, der noch im April 1832 – einen Monat vor dem Hambacher Fest – in Rottecks »Annalen« erschien. Dem Optimismus jener Schriften setzte er eine kühlere Betrachtung der »historischen Bedingungen« gegenüber. Und damit trat er zugleich in Kampf mit den Hauptgegnern eines Verfassungslebens in Preußen selbst, den Kämpen des »historischen Staatsrechts«, die, von einer romantischen Auffassung der Geschichte verblendet, in Jarcke's Politischer Wochenschrift und anderen konservativen Organen die Meinung verfochten, Preußens Geschichte mache diesen Staat für eine konstitutionelle Verfassung nicht geeignet.

Gutzkow begann sofort mit jener Methode der Polemik, die auch dem Gegner gute Absichten einräumt. Das Bedürfniß eines gesicherten Rechtszustands habe den Wunsch nach Verfassungen veranlaßt. Er zweifele nicht, daß das Versprechen des Königs, Reichsstände einzusetzen, noch einmal Erfüllung finden werde. Das Zögern und die Ablehnung der Bitten der Provinzialstände erklärt er daraus, daß die Regierung nicht den Anschein dulden wolle, als gäbe Furcht den Drohenden, was Liebe den Hoffenden schenken werde. Der aufgeklärte Despotismus halte auf die Prärogative der väterlichen Fürsorge. »Von dem einstigen Thronfolger ist allgemein die Ansicht verbreitet, er werde dem väterlichen Versprechen nicht treu bleiben, sondern sich ihm durch irgend einen Gewaltstreich entziehen. Welche Annahme! Der Wille seines Vaters wird ihm heilig seyn, durch seine Befolgung wird er ihn zu ehren wissen. Noch mehr! Sein erster Regierungsakt dürfte die Verfassung werden, aber damit zugleich ein Fehdehandschuh, dem ganzen zivilisirten Europa hingeworfen.« In kurzen Zügen begründet er diese These. Während England, Frankreich, selbst Rußland organische Staatenbildungen seien, deren politische Institutionen nicht nur aus den Geist ihres Volkes berechnet, sondern auch durch diesen hervorgerufen sind, sei das gegenwärtige Staatswesen Deutschlands nicht ein Werk natürlichen Wachsthums, sondern mechanisch-künstlicher Herkunft. Er weist darauf hin, wie noch erst durch den Wiener Frieden hier Staatskörper entstanden seien, die sich nicht mit Volkseinheiten decken: ein Baden ohne Badener, was der Hauptanlaß sei, daß wir wohl Deutsche, aber kein Deutschland haben. Speziell Preußen sei ein politisches Kunstprodukt. Dennoch strebten in diesem Staat jetzt Doktrinäre nach der Führung, die das Bestehende aus historischen Gründen zu rechtfertigen vorgäben. Preußen sei berufen, die historischen Interessen zu vertreten, lehren diese Doktrinäre. Es gäbe keinen Fortschritt als einen durch frühere Zustände bedingten. Nicht in dem Willen der leicht erregten Masse, noch weniger in den Deklamationen der heutigen Wortführer liege das Gesetz der Vernunft, sondern in der Geschichte. »Das sind die Zauberformeln, mit denen man jetzt in Preußen die Jugend alt macht, und das Alte (›Alles Hohe und Edle der Vergangenheit‹ ein bekannter aus Marienburg ausgebrachter Toast) wieder verjüngt. Auf solche sogenannte historischen Bedingungen wird die Verfassung des Landes begründet seyn.« Ist es nicht bewundernswürdig, wie G.'s weitschauender Blick die romantische Politik Friedrich Wilhelms IV. voraussah, obgleich derselbe eben erst begonnen hatte, seine Sinnesart durch den Verkehr mit den Gerlachs und dem Major von Radowitz nach außen hin sichtbar zu machen! – Der Grundcharakter des deutschen Staatslebens, wie er in der Geschichte hervortrete, sei aber gerade die Repräsentation. »Bei unseren Vorfahren wurde keine Gewalt anerkannt, die nicht ein förmlicher Vertrag als Recht festgestellt hatte. Was der eine dem andern zu leisten schuldete, war die Folge einer gegenseitigen Uebereinkunft. Die Zeit der Reformation machte diesem Verhältnisse ein Ende. Die Einführung des römischen Rechts, die mit dem erwachenden wissenschaftlichen Streben zusammenhing, zerstörte im Volke sein ursprüngliches Rechtsbewußtseyn. Das Recht wurde Sache der Gelehrsamkeit, und diese konnte nur unter dem Schutze vermögender Fürsten gedeihen. Die religiöse Anregung band die Gemüther nur noch insofern an die Ereignisse im weltlichen Gebiete, als sie jener förderlich oder hinderlich waren. Fürsten und Bürger hatten dasselbe Interesse, sich gegen die Anmaßungen des Adels sicher zu stellen. Daraus bildete sich endlich der Begriff der fürstlichen Souveränität. Aus fürstlichen Bedienten wurden Beamte des Staats. An die Stelle der Landtage traten Verwaltungen. Aus Rezessen und Abschieden wurden Kabinetsbefehle. Gegen diese moderne Ausbildung der Souveränität reagirt unsre Zeit in zwiefacher Weise, als Revolution und Restauration. Beide kehren sich gegen das Bestehende, beide berufen sich auf die Geschichte, beide auf die Lehre. Aber die eine spricht von einer Vertretung der Intelligenz, die andere von der der Interessen. Jene hat die öffentliche Meinung; diese wird in Preußens nächster Zukunft mit Entschiedenheit auftreten; auch sie hat eine Macht, die Gewalt

Es folgt nun ein Bild von Möglichkeiten, wie diese Gewalt wohl eine Verfassung nach den von ihr historisch benannten Bedingungen durchführen würde. Etwa nach dem Muster der gegenwärtigen Provinzialstände, in welchen der Adel dominire, weil er die bäuerlichen Grundbesitzer und die Beamten unter den Bürgerlichen terrorisire. Die mittelalterlichen Stände in Deutschland hätten ihre Freiheiten und Privilegien vertreten. Solche besäßen die preußischen Stände nicht. Die besitze nur noch ein Stand, der Adel. Wiederherstellung jenes alten Zustands wäre ein völliger Umsturz des herrschenden Finanzsystems, denn das Steuerrecht sei damals in viel größerem Umfange bei den Ständen gewesen. Die märkischen Städte waren Republiken mit vollständigem Gemeinwesen. Da sie ihren Ursprung auf Kolonisation zurückführten, sich selbst konstituirten und Gesetze gaben, so waren es nicht einmal Privilegien, die ihnen die Fürsten garantirten, sondern was sie diesen bewilligten, war Dank und Entschädigung für den Schutz, den ihnen die Markgrafen, ursprünglich eine militärische Schutzbehörde, angedeihen ließen. Im eigentlichen Preußen habe ein fast ganz unabhängiger mächtiger Städtebund neben dem deutschen Orden bestanden. »Alle diese Verhältnisse hat die Zeit anders gestaltet. Sie wieder herzustellen ist unmöglich. Jede Annäherung an sie ist eine Halbheit, weil ein Zustand damals den andern bedingte.« In den neuen Provinzen am Rhein habe sogar bis in die neueste Zeit eine stetige organische Entwickelung gefehlt, so daß an eine Wiedergeburt hier nur durch Animpfung einer neuen Bildung zu denken sei. »Das ist überhaupt die Lehre, welche die Geschichte giebt: die neue Verfassung muß aus dem Geist der neuen Zeit geboren werden.« Am Schlusse verwahrt sich Gutzkow, daß er keineswegs die Vergangenheit mißachte, »aber wir lassen sie in ihren Gräbern, da auch unsere Zeit einen so schönen Frühling von neuen Ideen und Hoffnungen keimen läßt. O – wir fürchten den Kampf mit jenen vornehmen Meinungen nicht, die sich in Preußen so gern mit Purpurmantel, Krone und Scepter bekleiden! Unsere Zeit zittert vor keinem Gedanken mehr … Das ist aber das Herrliche dieser Zeit, daß wer die Ansicht widerlegt, auch die Macht überwunden hat, die sie vertheidigen wollte.«

Dieses stolze Kraftgefühl des Jünglings unterschätzte nur zu sehr die Macht der Gewalt in ihrem Kampfe mit dem Geiste der neuen Zeit, der öffentlichen Meinung, und ihres Organs, der Presse. Im April 1832 erschien der Aufsatz in den »Annalen«, im August desselben Jahres erfolgte ein besonderer Bundesbeschluß, der die Rotteck'schen »Annalen« unterdrückte. Noch aber hielten sich die Anwälte des Volkes nicht für besiegt. Noch glaubte man durch Gründung von Vereinen zum Schutz der freien Presse, durch Demonstrationen, wie das bereits in Vorbereitung befindliche Hambacher Fest eine war, der eigenen Sache zum Sieg verhelfen zu können. Der Aufsatz des »K..z..w« aber fand in den Kreisen der Führer dieser Bewegung, und auch von Seiten der staatsmännischen Volksvertreter, wie Cotta, eine Würdigung, die ihn dem letzteren im hohen Grade empfahl.

Das Lob, das er dafür empfing, bestärkte ihn in dem Verlangen, seiner wissenschaftlichen Bildung auch in der Richtung aus Politik eine methodisch erworbene Unterlage zu geben. Und nachdem er erkannt, daß die Arbeiten für die Stuttgarter Blätter von ihm auch ganz gut anderwärts besorgt werden könnten, die Verhandlungen im Landtag aber trotz der Boller Adresse in Folge des Widerstands des Königs, der die Wirkung der Bundesbeschlüsse abwarten und sich zu nichts zwingen lassen wollte, bis in den Januar 1833 vertagt blieben, ging er Anfang April zwar nach Berlin zurück, um aus Rücksicht auf seine Braut die Arbeiten fürs Oberlehrer-Examen zu machen, beschäftigte sich dort aber vornehmlich mit staatswissenschaftlichen und historischen Studien und schrieb politische Korrespondenzen für Stuttgarts freisinnige Blätter. Von Kritiken, die er in dieser Zeit für Menzels Literaturblatt schrieb, giebt die folgende kleine Auswahl einen Begriff seines vielumspannenden Interesses; er besprach ausführlich: Schölls Geschichte der griechischen Literatur, Erhards Geschichte des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bildung, Raumers Briefe aus Paris zur Erläuterung des 16. Jahrhunderts, Stuhrs Die drei letzten Feldzüge Napoleons, P. v. Kobbe's Geschichte Frankreichs bis zur Wiederherstellung der Bourbons und Gruppe's Antäus, ein Briefwechsel über spekulative Philosophie. Der Gegenstand seiner philologischen Staatsexamenarbeit, die er damals einreichte, ist nicht überliefert, doch berichten die Rückblicke, daß er sie wirklich vollendet habe. Und als Menzel im Herbst, im Hinblick auf die endlich zu erwartende Eröffnung des Landtags, ihn wieder in seiner Nähe haben wollte, ging er nach Heidelberg, wo er sich – inzwischen auf Grund seiner alten Preisarbeit de diis fatalibus in Jena zum doctor philosophiae promovirt – in der juristischen Fakultät als Student einschreiben ließ und in dem Wintersemester 1832/33 bei Morstadt (Völkerrecht), Roßhirt (Institutionen), Zachariä (Naturrecht) hörte. Ebenso hörte er im folgenden Sommersemester, obschon nun bereits mit einem großen Romane beschäftigt, bei Puchta in München Pandekten.

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Eine politische Richtung hatte auch schon in Stuttgart der erste größere Versuch für das »Morgenblatt« genommen. Unter dem direkten Einfluß von Börne's Briefen aus Paris und sichtlich auch von Menzels Kritik darüber hatte er ihn unter dem Titel » Briefe eines Narren an eine Närrin« gleich im Januar 1832 entworfen. Menzel hatte von der in Börne unter dem Druck der Reaktion »tollgewordenen Vaterlandsliebe« gesprochen; mit solchen Tollheiten patriotischer Art wollte er eine Reihe von Briefen verbrämen, wie er sie wohl aus den Contumazstationen seiner Reise unter dem Eindruck all der kleinlichen Jämmerlichkeit damaliger Kleinstaaterei und des polnischen Flüchtlingselends, ähnlich an die in Berlin zurückgelassene Geliebte geschrieben hatte. War im Auge der »Korrekten« und Nüchternen jeder Freiheitsschwärmer ein Narr, dann war auch er einer; gut, sagte er sich, so werde auch meiner Narrheit freier Lauf; aber, damit die Zensur nichts davon merkt, sei jeder Brief so gefaßt, daß Anfang und Schluß nur schwärmerisch-phantastische Liebesergüsse bieten, wie sie etwa ein von Erotomanie Besessener an die Geliebte seiner Einbildung schreibt. Die Liebe, die im weiteren Verlauf der Briefe in Erscheinung tritt, sei aber die eines Freiheitsmannes zum Vaterland. In seinem Alter hat Gutzkow (»Rückblicke« S. 67) die Arbeit eine »jeanpaulisirende« genannt und dazu erzählt, als er den ersten Entwurf davon Menzel zum Lesen gegeben, habe ihm dieser gerathen, er solle es ähnlich machen, wie Wilhelm Hauff bei seinem »Mann im Mond«. Als der ihm die erste Fassung dieses Romans zur Begutachtung vorgelegt, habe er ihm gesagt, daß er wahrlich Besseres thun könne, als Clauren nachahmen. »Kehren sie den Spieß um, tragen Sie das Clauren'sche Colorit noch viel stärker auf, lassen Sie dann das Buch unter Claurens Namen erscheinen und jeder wird sagen, Sie haben eine köstliche Satire auf Clauren geschrieben. Hauff folgte dem Rathe, bekanntlich mit großem Erfolge … Machen Sie es ähnlich! Der kleine Aufsatz giebt ein Buch, wenn Sie Alles mit hereinziehen, was in diesem Augenblick die Menschen beschäftigt, Politik, Literatur, Kunst – ich will nicht sagen, daß es eine Satire auf Jean Paul werden soll, bewahre, aber besser verwerthen können Sie den guten Titel als durch ein paar Nummern im Morgenblatt.« Gutzkow fügte hinzu: »Zur Satire auf Jean Paul war in mir nichts gerüstet. Aber das Ganze wurde durch Ergänzungen zu einem größeren Umfange gebracht und verdankte der Empfehlung Menzels einen Verleger in Hoffmann und Campe in Hamburg.« Die Ergänzungen dürften die politischen Elemente und den satirischen Charakter der Schrift wesentlich verstärkt haben, gieng doch in dem Zeitraum dieser Umarbeitung das Recht freier Meinungsäußerung über Fragen der Politik wieder ganz verloren und die »verdeckte« Kampfesweise Börne's war wieder die zeitgemäße. Schließlich erschien das Buch – Spätherbst 1832 – dann in einem Augenblick, als in Preußen und anderwärts bereits, namentlich der Börne'schen Briefe wegen, der Gesammtverlag Campe's verboten war. Da es anonym erschien, konnte sein Erfolg, den es trotz des Verbots (oder gerade deshalb) fand, wenigstens nicht direkt den Ruf des jungen Autors fördern; das außergewöhnliche Lob, welches der originellen Erscheinung z. B. im »Literaturblatt« von Menzel, in der »Eleganten Zeitung« von Laube und von Börne im 3. Bande der »Briefe aus Paris« (unter dem 13. November 1832) gespendet wurde, galt einem Ungenannten. »Ein herrliches deutsches Buch,« so rühmte es Börne – ein Lob freilich, das nicht nur bei dessen Gesinnungsgenossen, sondern auch bei den Organen der Staatspolizei lebhafte Beachtung fand.

Gutzkows »Briefe eines Narren an eine Närrin«, sein erstes Buch, gehören zu den verlorenen Druckwerken, die in Folge der Bücherverbote damaliger Zeit nur in wenigen Exemplaren auf die Nachwelt gekommen sind. Gutzkow hat sie nicht in die Costenoble'sche Gesamtausgabe seiner Werke aufgenommen und konnte sich, als er die »Rückblicke« schrieb, auf ihr Wesen sichtlich selber nicht mehr genau besinnen. Mit Jean Paul haben sie nur durch das Medium Börne Verwandtschaft und durch die Wärme des Stils, die weichere Gemüthsstimmung in manchen Stellen, die nicht Gedanken, sondern Empfindungen äußern. Die Börne'sche Manier, mit politischen Ideen von oppositionellem Charakter in den Formen poetischer Unterhaltung Schmuggel zu treiben, ist dagegen hier auf die Spitze getrieben. Börne'sche und Heine'sche Ansichten sind im Raisonnement zu einer Einheit verschmolzen. Die Ausführungen selbst aber gipfeln in der Anschauung, daß die Poesie der Zeit doch eine höhere Aufgabe habe, als ihre Formen dem politischen Raisonnement darzuleihen; eine hohe selbständige Mission falle ihr zu: die Nation für eine gemeinsame Wiedergeburt im Zeichen der Freiheit durch große befreiende Wirkungen, auf alle Deutschen berechnet, heranzubilden. Das Vorwort macht wie der Titel allen Ernstes glauben, es handle sich um die Veröffentlichung von aufgefundenen Briefen, die ein Tollhäusler an eine tolle Geliebte seiner Einbildung geschrieben. Auf Seite 40 findet sich aber die wirkliche Aufgabe, die sich der Autor stellte, direkt angedeutet, indem er von der Kunst spricht, »durch irgendeine untergelegte Diktion, etwa daß man einen Narren an eine Närrin Briefe schreiben ließe, seine Stellung zu den Parteien nur versteckt durch den Schleier des Indifferentismus anzudeuten.« Uns Heutigen, die wir im Schutze der damals so schwer erkämpften Preßfreiheit nicht mehr viel Hebung haben in der Geschicklichkeit, solche geistige Palimpseste zu lesen, fällt es schwer, diesen Schleier des Indifferentismus zu lüften. Doch läßt sich die Methode all der zur Schau getragenen Verrücktheit bei näherer Kenntniß der Zeit unschwer begreifen. Zwischen die Extreme der sicheren Erwartung einer baldigen Revolution in Deutschland, wie sie auch Börne vertrat, und der Entmuthigung vieler Liberalen, daß nach dem kurzen Aufschwung des Liberalismus die Restauration der Fürstenallianz nur permanent geworden sei, stellte er seine Meinung: die Sache der Freiheit wird in Deutschland sicher zum Siege gelangen, aber erst, wenn die Kleinstaaterei und die Verworrenheit der Meinungen über das, was man eigentlich will, überwunden sein wird! Die Geschichte entwickle sich nicht sprungweise. Sie werde immer weniger durch den Willen Einzelner, als durch den der großen Massen bedingt. Revolutionen können nur siegreich sein, wenn die Einsicht Einzelner in ihre Nothwendigkeit zum Willen der Massen geworden sei. Die Geschichte ahme sich auch nicht nach. Die Bewegung, welcher Deutschland die politische Freiheit zu danken haben werde, könne unmöglich eine Kopie der von 1789 sein. Ja, es werde eine Revolution kommen, welche das Ueberlebte, Gewaltsame, welche Unrecht und Vergewaltigung aus dem Staatsleben beseitigt; aber für eine baldige Verwandlung Deutschlands in eine Republik nach dem Muster der französischen sei schon darum keine Hoffnung, weil in jedem einzelnen deutschen Staate etwas Anderes unter Freiheit verstanden werde, in Hessen, Bayern, Sachsen z. B. Reden und Handlungen als völlig loyal gelten können, die dem Deutschen Bundestag demagogisch erscheinen. Die Geschichte spiele sich auch nicht nur in der Zeitfolge ab; sie sei ein Nebeneinander und die Ereignisse, die das eine Land erschüttern, haben auf die Nachbarländer ganz verschiedene Wirkungen. Mit diesem synchronistischen Prinzip wandte er sich gegen Hegel: auf dasselbe Prinzip gründete er später den »Roman des Nebeneinander«. Mit der genauen Kenntniß, die er sich in Berlin erworben, schildert er den »Borussianismus«, der die verschiedenen preußischen Liberalen beseele, weist er nach, wie die verschiedenen liberalen Strömungen im großen norddeutschen Staate ganz andere Ziele als die süddeutschen Liberalen verfolgen.

In dieser Partie des Buchs stellte er dem mehr theoretischen Inhalt des Paul Pfizer'schen Briefwechsels ein auf genauer Kenntniß der gegenwärtigen politischen Zustände Preußens beruhendes Bild entgegen. Dieses Kapitel (der 14. Brief) knüpft an Hegels Tod an. Hegels Philosophie sei nur äußerlich der preußischen Staatsdoktrin angepaßt worden. Der Organismus des Landes und der Regierung sei noch immer Fichtisch. Der Geist der Befreiungskriege habe in Preußen die Staatsidee mit dem Attribut des Absoluten ausgestattet. Man identifizire die Liebe zum Vaterland mit dem Respekt vor dem Bestehenden. Die Turner der Hasenhaide hätten für deutsche Freiheit geschwärmt, aber mit Stolz vor den Hoheiten und Majestäten Uhren und dergleichen Ehrengaben von den Kletterbäumen heruntergeholt. Die preußischen Burschenschafter hätten in ihren Liedern statt Landesvater Vaterland gesungen und von der deutschen Kaiserkrone geschwärmt, aber als Träger hätten sie sich immer Friedrich Wilhelm den Gerechten gedacht. Die alten Veteranen der Freiheitskriege habe man zwar als Demagogen verdammt, aber wenn so ein purifizirter preußischer Demagog es bis zu einem Oberlehrer in Märkisch-Friedland gebracht, so schreibe er als Ritter des eisernen Kreuzes noch nach den Julitagen ein kleines Gemälde der großen Völkerschlacht bei Leipzig als Zeitgemäßestes, oder eine Schmähschrift gegen die Franzosen wie Arndt. »Der preußische Liberalismus wird von Raumer repräsentirt und Hegel ist ihm sehr verwandt. Man liest mit Theilnahme die fremden Zeitungen, man wagt Einiges für Preußen zu hoffen. Man hört nicht ungern die Vorlesungen des Professors Gans und liest mit Vergnügen Börne's und Heine's Schriften. Nur wird an allen diesen Richtungen eines freieren Geistes nicht der Inhalt, sondern nur die Form beachtenswerth gefunden, mißfällt die letztere, so ist jenes völlig verloren. Der Liberalismus ist ihnen ein geistiges Vergnügen, aber nie ein Anlaß zur That.« Er zeigt, wie in Preußen der Liberalismus eine Blüthe der geistigen Bildung und nur selten demokratischen Wesens sei, weil die Nachwirkung des Friederizianischen Geistes mit der Liebe für Geistesfreiheit auch ein Gefühl dankbarer Verpflichtung gegen den Gründer des preußischen Staates rege erhalte, der seinem Throne zu Gute komme. So sei es schwer, schon jetzt für alle Deutschen ein gemeinsames Ziel aufzustellen. »Wir kämpfen nur um die Wege zum Ziele, kennen aber das Ziel selbst nicht. Der letzte Grund unserer Wünsche ist noch kein bestimmter Zustand, sondern nur die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, das Mittel, einst irgend einen Zustand herbeizuführen.« Diese Mittel zu erkämpfen und zu behaupten, das sei die Aufgabe der Zeit. Die Organe der Oeffentlichkeit seien die beste Schutzwehr gegen weitere Reaktionen. Sie und die Literatur hätten die Aufgabe, das deutsche Volk für die Freiheit zu erziehen. »Die Willenskraft muß bis zum letzten im Volke wiedergeboren werden; erst muß ein jeder das unbeschränkte Gefühl seiner Person gewonnen haben, dann mag er hintreten und anfangen, was seines Geistes Gebot, seines Herzens Gelüst sein wird.« Der Geist, der einst Rousseau, dann Jean Paul, dann Byron erfüllt, werde jetzt in der Literatur der im Restaurationszeitalter erstarkten, »von Börne, Heine, Menzel« erzogenen Schriftstellergeneration in zeitgemäßer Gestalt auferstehen; ihre Aufgabe sei: Erziehung der Nation zur Freiheit in Einheit.

»An Restaurationen glaube nicht, du Gute! Wir haben gelernt, auch Ketten mit Anstand und Würde zu tragen … Die Schauspiele werden unsern Händen wieder anvertraut in der Hoffnung, sie müßten uns zu solchen Narren machen, die wir in den Tagen von Versailles waren. Aber eine veredelte Kunst wird auf die Höhe des Kothurns jene würdevollen Gestalten bringen, die durch ihre Tugend und Hoheit die Züge der Guten in die Gluth der Begeisterung, die hohlen Furchen der Bösen in die bleiche Kälte der Scham und der Furcht versetzen müssen. Auf dem Soccus gaukelt dann jener heitere Scherz, der nicht mehr von den Flicken seines Gewandes und den Wundern seiner Pritsche spricht, sondern von den milden Sonnenblicken der Hoffnung, die aus dem bald lachenden, bald weinenden Auge leuchten.« (S. 205.) So sah er bereits mit 21 Jahren im Hinblick auf eine Bühne, die statt Schillers von Raupach, statt Shakespeare's von Iffland, statt Lessings von Kotzebue beherrscht war, die Aufgabe vor sich, der er sich später als Regenerator des deutschen Theaters gewidmet. Mit Entschiedenheit wendet er sich gegen die Romantik und den Indifferentismus als die schlimmsten Feinde des Fortschritts. »Nur nicht in die Rosengärten Saadis führe mich! Die poetische Weise Deiner Empfindungen, die Lust an jenen zarten Freuden, die jeden Schritt aus den Gedankenwegen des Gemüths mit Blumen bestreuen, setzt mich in Verlegenheit.« Mit ähnlichen Floskeln geht es eine Weile fort. Dann heißt es weiter: »Also, Du Süße, erinnere mich nicht so oft an jene Bilder der Vergangenheit! Sie wecken so schmerzliche Gedanken. Es thut mir weh, an Dinge geglaubt zu haben, die ich bei Andern so bitter tadle. Da sprichst Du von der Liebe zum Vaterland, und vergissest, daß überall die Welt Gottes ist. Bist stolz, daß Dich Berge von einem fremden Volk scheiden; und das Maulthier und das Saumroß des Kaufmanns bringen dem Nachbar Deine Waaren, und er Dir seine Sitten. Dich reizen noch die Trümmer alter Herrlichkeit auf Deinen heimathlichen Bergen, und aus Oekonomiegebäuden, Schenken und Judensitzen steigen Dir noch immer die Geister der Vergangenheit aus. Zünfte mit klingendem Spiel und den feierlich getragenen Insignien des Gewerks, voran der Fahnenschwenker mit seinen tollen Possen – o, es ist Deine größte Lust. Wenn Du einen wandernden Handwerksburschen die Straße heraufkommen siehst, schlägt Dir Dein Herz vor Freude, und Studenten scheinen Dir über und über in poetische Farben getaucht zu sein. – Hast Du je gefochten, bist Du je relegirt worden?« (S. 210.) Dieser Abfertigung der Reaktionäre aus romantischen Sympathien folgt dann eine gleiche, welche auf den Indifferentismus der »geistig Vornehmen« gemünzt ist. »Es giebt in Preußen Leute, die sich schämen, das Wort Konstitution in den Mund zu nehmen, und es sind die schlechtesten noch nicht! In Frankreich hält die Politik und der Kampf der Parteien alle Richtungen des dichtenden und denkenden Geistes zusammen. Dort sind die Helden des Tages auch Helden des Jahrhunderts. Wir Deutsche, bisher allem öffentlichen Leben entfremdet, haben von den Goldminen der Wissenschaft nie geahnt, daß sie unter dem Boden des Staatslebens sich fortziehen. Unser politisches Streiten ist demokratisch, wir sind aber gewohnt, nie die Feder zu ergreifen, als im Geiste unserer literarischen Aristokratie.« (S. 215.) Resignirt aber schloß er seine Ausführungen (S. 324): »Noch sind uns alle Wege zum Ziele mit schwarzem Trauerflor behangen. So viele junge Herzen, die sich entschlossen haben, auf ihr ganzes Leben den Belohnungen der Machthaber zu entsagen, wandeln diese Thränenstraße. Ueberall müssen sie sich an spitzen Dornen blutig ritzen. Kaum aus den Kreisen des häuslichen Lebens herausgetreten, mit kindlicher Hoffnung Liebe und Treue erwartend, werden sie schon von den rohen Schergen der Gewalt ergriffen. Ihre Hoffnung wird Mißtrauen, und dies bis zum Haß gesteigert. Wenn in die Köpfe der Deutschen während der Restauration eine wahrhafte Oede und Leere eingezogen war, so ist dies die versteckte, nur die traurigsten Erinnerungen weckende Ursache. Wenn man ein Land in Bann legt, so läuten darin keine Glocken mehr.«

Um dieselbe Zeit also, in der sich in Paris Börne und Heine über das Ziel der Freiheitsbewegung entzweiten, sprach hier ein von Berlin in den deutschen Süden versetzter junger Sohn der Mark im Gegensatz dazu den realpolitischen Gedanken aus: nicht über die Form des Endziels der Bewegung ist jetzt zu streiten, auf die Sicherung der Wege für die Bewegung zu dem erst nur geahnten Ziel komme es an. Aehnlich hatte Lessing in seinen Wahrheitskämpfen auf das »Streben nach der Wahrheit« den Nachdruck gelegt. Und während Börne aus Liebe zur Freiheit die Poesie zur bloßen Dienerin der Politik gemacht und von den liberalen Schriftstellern der Zeit gefordert hatte: sie sollten zu Gunsten der Politik die Poesie einstweilen ganz ruhen lassen; Heine dagegen sich zu einer bewußten Trennung der politischen Schriftstellerei und der poetischen Kunst, namentlich theoretisch, emporgerungen: stellte Gutzkow die neue Forderung einer Poesie auf, die in den Formen der Kunst die Deutschen zur Einheit des politischen Bewußtseins und zum Erwerb und Besitz der politischen Freiheit erziehen müsse. So reiste in ihm damals schon das Ideal für die deutsche Literatur jener Epoche, gerade dieser allein – wieder in dem Buche ausdrücklich hervorhebt –, seinem eigenen Streben als Dichter die Richtschnur gab. Gegen die »zügellose Subjektivität« Heine's als eines literarischen Prinzips sträubte sich sein Wesen. »Die Erziehung zur Freiheit«, das hatte auch schon Schiller als Zweck der Dichtung in seinen Briefen an den Augustenburger bezeichnet, aber dabei die ästhetischen Wirkungen des Kunstwerks als Mittel ins Auge gefaßt; Gutzkow ging weiter: der geistige Inhalt der Dichtung sollte unmittelbar der hochgesteckten Aufgabe entsprechen.

Er ging damit über die Anschauungen Menzels hinaus, der mit seiner Neigung zur geschichtlichen Analogie, der Literatur der von ihm mitdurchlebten Uebergangszeit das Beispiel der Enzyklopädisten, der Diderot und Voltaire, ausstellte mit ihrem satirisch-kritischen, sichtenden, zersetzenden Grundcharakter. Als Kritiker gab Menzel seinem jungen »Adjutanten« in Bezug auf die poetische Produktion der Gegenwart manch gute Anregung. Er hatte eine kraftvolle, energische Art in der Ablehnung all der thatsächlichen Schwächen der Modeliteratur. Er haßte alles Sentimentale, Weichliche, Devote, Lüsterne, alles Prüde und Zimperliche. Obgleich selbst Romantiker, war ihm doch die Blau in Blau malende Verhimmelung des Mittelalters, wie sie Fouqué in die Mode gebracht, die weichliche Feld- und Wiesenromantik einzelner Nachahmer Uhlands ebenso zuwider, wie die klappernde Jambenrhetorik der Schiller-Nachahmer. Der volksthümlich-kräftige Geist und Ton, der Brentano's Geschichte vom braven Kasperl auszeichnet, das war sein Geschmack. So war ihm andererseits Claurens kokette, moschusduftige Lüsternheit verhaßt, während er an der grandiosen Derbheit eines Rabelais und Swift die ehrlichste Freude hatte. Der üble Einfluß, den seine Voreingenommenheit gegen Goethe, seine Unfähigkeit, dem plastisch Schönen gerecht zu werden, sein Mangel an Sinn für das Architektonische in der Kunst, an Feingefühl für das unmittelbar Poetische im Gegensatz zur poetischen Rhetorik, eine Zeit lang auf Gutzkow als Kritiker ausgeübt haben, war namentlich der erstere nicht von bleibender Wirkung. Verhängnisvoller war sein Einfluß auf seines Jüngers beginnende poetische Produktion. Indem er in seiner Kritik der »Narrenbriefe« (in Nr. 7 des Jahrgangs 1833) das satirische Spiel mit den Stimmungen rückhaltlos lobte, diese selbst als »Poesie« gelten ließ und zu dem »Geistreichsten« zählte, was in neuerer Zeit geschrieben worden, statt ihre Zwitterform und chaotische Stimmungsmalerei, die einen in kühnen Metaphern ausgedrückten abstrakten Gedanken schon für Poesie gelten ließ, nur als Produkt des Zensurdrucks zu entschuldigen, bestärkte er den jungen Dichter in einer bedenklichen Richtung, in welche diesen die begeisternde Wirkung Jean Pauls und Börne's hineingedrängt hatte. Auch deutete er den eigentlichen Charakter dieser von Liebesbriefen umhüllten Zeitsatire nur unvollkommen an, wenn er unter Anspielung auf Heine's und Börne's Polemik gegen die heimischen Zustände schrieb: »Unbeschadet der Narrheit herrscht ein Schmerz in diesen Briefen, der an Jean Pauls Schoppe und Giamozzo erinnert, und der oft in weiche Wehmuth übergeht. Diese Sentimentalität ist entschuldigt durch den Gegenstand, an den die Briefe gerichtet sind, denn es sind Liebesbriefe, und überdies wechselt Weinen und Lachen hier ganz so ächt humoristisch ab, wie bei Jean Paul. Ich halte diese Weichheit in der That für einen Vorzug vor der rauhen Manier, die durch Heine und Börne aufgekommen ist, denn der allzu stoische Hohn und die sarkastische Mitleidlosigkeit schließen eine gewisse Zartheit der Empfindung aus, die auf dem poetischen Gebiet eben so erwünscht ist, als sie allerdings aus dem publizistischen verbannt werden muß.« Während Gutzkow dem Morgenblatt als erste Beiträge Skizzen aus dem Berliner Volksleben lieferte, Selbstgeschautes und Selbsterlebtes, scharfe Beobachtungen aus dem wirklichen Leben, mit einem von Ironie und Mitleid gleich beeinflußten Humor vorgetragen, lenkte Menzel ihn zur Nachahmung der satirischen Romane des 18. Jahrhunderts hin, und dies war eine Mahnung an die Verstandeskräfte des Werdenden, wo demselben ein Hinweis auf die anderen Seelenkräfte, ohne deren Hülfe nichts Lebensvolles in der Kunst entsteht, doch so nöthig gewesen wäre. Und so folgten dem »Sterbekassier«, dem »Singekränzchen« – erst kleinere historische Novellen mit satirischer Tendenz, wie »Geständnisse einer Perrücke«, »Chevalier Clement«, »Der Prinz von Madagaskar«, welche die Zeit des aufgeklärten Absolutismus zum Hintergrund hatten, dann der große satirisch-philosophische Roman » Maha Guru«, der 1833 im Cotta'schen Verlage erschien.

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Während er bereits Ende 1832 in einer Kritik von Spindlers »Invaliden« für das Recht des Romans eingetreten war, auch »die Geschichte der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart« zum Untergrund seiner Darstellungen zu nehmen, verirrte er hier sich mit klügelnder Phantasie in das Land der Vielmännerei, Tibet, und die Probleme der seltsamen Theokratie dieses hochasiatischen Priesterstaats. Doch müssen wir gerechter Weise bei der Beurtheilung Menzels in dieser Frage festhalten, daß Gutzkow als völlig mittellos darauf angewiesen war, in der Wahl der Stoffe für seine ersten Arbeiten mit der Nachfrage auf dem Büchermarkt, deren sich die Gattung erfreute, zu rechnen. Reiseromane, Beschreibungen fremder Sitten und Gebräuche waren damals – im Zusammenhang mit dem Aufschwung des Verkehrs seit Einführung der Dampfschiffahrt – sehr in Mode gekommen. Die »Neue Bibliothek der wichtigsten Reisebeschreibungen« hatte damals gerade das »Tagebuch der Gesandtschaft an die Höfe von Siam und Cochinchina« von Crowford gebracht; Plaths »China und die Mantschurei« und Klaproths » Description du Thîbet« wurden im »Ausland« und im »Morgenblatt« ausführlich besprochen. Dazu kam, daß die Parallele zwischen den heimischen Zuständen und denen im Reiche der Mitte ein vielbeliebtes Mittel der politischen Aufklärung und Opposition war. Schon in seinem ersten Beitrag ins »Morgenblatt« »Aus dem Reisetagebuche des jüngsten Anarchasis«, jeanpaulisirenden Schilderungen seiner Rückreise von Stuttgart nach Berlin über Nürnberg und Bayreuth (Jahrg. 1832, Nr. 104-23), finden sich in dem Brief über Potsdam derartige Anspielungen. Vor allem reizte ihn aber das aufgegriffene religionsphilosophische Problem zur poetischen Gestaltung des Stoffes, der ihm aus den Eigenthümlichkeiten des in Tibet heimischen Lamaismus entgegenwuchs. Hierin folgte er ganz den Impulsen seines geistigen Wesens.

Der Roman » Maha Guru, Geschichte eines Gottes« wurde Ende 1832 konzipirt, im Sommer des folgenden Jahres in München vollendet. Noch zur Herbstmesse desselben Jahres erschien er im Verlage der Cottaschen Buchhandlung. Die in Tibet heimische Abart des Buddhismus, der Lamaismus, gründet sich auf den Glauben, daß Gott immer aufs neue in Menschengestalt auf Erden erscheine. Sobald die Priesterschaft ein solches Neuerscheinen des Gottes nützlich findet, weiß sie auch immer wieder ein Menschenkind zu entdecken, das sie als eine neue Verkörperung Gottes in Szene setzt. Der Erkorene, ein schöner Jüngling, wird zum Glauben an seine Gottwerdung mit allen Künsten priesterlicher Schlauheit erzogen und zur bestimmten Stunde vor allem Volk als Dalaï Lama ausgerufen und verehrt. Von seinem Wahne berückt, ergiebt sich der so entstandene Mensch-Gott in die Verpflichtung, sich ganz von seinen irdischen Beziehungen, von Verwandtschaft und Freundschaft zu lösen. Ein anderes Merkmal des seltsamen Landes ist die Sitte der Vielmännerei, welche hier die besondere Form hat, daß die Ehe, die ein Bruder eingeht, von seinen Brüdern in aller Eintracht getheilt wird. Der Held unsres Romans, Maha Guru, ist ein solcher Gott gewordener Mensch. Von den Priestern dem Haus seines Vaters entführt und zum Dalaï Lama erzogen, läßt er sich zunächst von den Vorspiegelungen seiner göttlichen Würde berauschen und vergißt darüber auch seine Geliebte Gylluspa. Bei einer Begegnung mit dieser bricht aber die alte Liebe wieder hervor, um so stärker, als bei derselben Gelegenheit ihn die Unmacht, ihren Vater aus den Händen eines Ketzergerichts zu befreien, seiner Scheingottheit inne werden läßt. Durch einen Aufstand um seinen Götterthron gebracht, begrüßt er die Freiheit mit Freuden und findet die Befriedigung seines Seins in einem idyllischen Leben an der Seite Gylluspa's. Das echte Glück rein menschlicher Liebe von Herz zu Herzen, dies lehrt der Roman, hat einen höheren Werth als eine erlogene Göttlichkeit. Die treibende Kraft dieser Handlung ist nicht der passive Maha Guru selbst, sondern dessen jüngerer Bruder. Als Mitverlobter, der kraft eines stürmischen Temperaments Gylluspa mit größerer Leidenschaft liebt, als es sonst in Tibet bei jüngeren Brüdern wohl üblich, sieht er durch seines Bruders Gottwerdung sich die Geliebte für immer entrissen. Um in ihren Besitz zu gelangen, muß er auf ihre Vereinigung mit Maha Guru hinarbeiten. Die Leidenschaft macht ihn zum Zweifler an der Göttlichkeit seines Bruders. Er ist es, der den Aufstand anzettelt, welcher Maha Guru vom Götterthrone stürzt. In wirksamstem Contrast steht zu dieser Skepsis der Leidenschaft, welche einen Gott entthront, um ihn auf irdische Weise glücklich zu machen, die rein ästhetische Skepsis des Vaters von Gylluspa, Hali Jong, des Götzenfabrikanten von Para. Diesen hat sein künstlerischer Sinn zu einer Abweichung von der traditionell geheiligten Nasenform seiner vorschriftsmäßigen Götzen verleitet, und ob dieser Neuerung wird er von einem Ketzergericht zum Tode verurtheilt. Hali Jong bleibt bei seiner revolutionären Aufwallung im Banne des kleinlichsten Fetisch-Dienstes; Maha Guru's Bruder sprengt mit kühner That die Fesseln eines zum Dogma erstarrten Priestertrugs und der Muth, der dem Menschen Götterstärke leiht, führt ihn zum Siege.

Der moderne Zug des Romans, der sich auf uns so ganz entlegenen Verhältnissen aufbaut, besteht in seinem ironischen Stil, in seiner satirischen Tendenz. In Gutzkows Verhandlungen mit Georg v. Cotta, der ihn von Uebernahme des Geschäftes an mit ganz besonderem Wohlwollen und Vertrauen beglückt hatte, findet sich die Erklärung, warum er sich hier für solche Tendenz der größten Objektivität befleißigt hat. Am 24. Juli 1833 schrieb er aus München an diesen: »Wenn Ew. Hochwohlgeboren die Bedingung der definitiven Annahme meines Romans an die Vermeidung politischer oder moralischer Verstöße knüpfen, so kann ich Ihrer Entscheidung mit Gewißheit entgegensehen. Meine erste Schrift: ›Die Narrenbriefe‹, hat sich zwar mit jugendlicher Keckheit einigen mir als solchen erschienenen Irrthümern entgegengestellt, doch hab ich in der vorliegenden Schrift gerade einen Gegenstand gewählt, der mich von dem wirren, unklaren Kampfe der Zeit entfernt halten sollte. In moralischer Rücksicht kann ich ebenso sehr selbst einem strengen Urtheile entgegensehen. Allerdings schildere ich die Sitten eines Landes, wo eine Frau vier Männer nach einander ins Brautbett führen darf, aber nichts ist heiliger als das Herkommen. Ich habe überall das Unzarte, das nach unsern Begriffen in diesem Verhältnisse liegt, vermieden, und bin gewiß, daß die Tendenz des ganzen Romans eine erhebende ist. Ich schildere an dem Leben eines Gottes, wie wahr der alte Spruch ist, daß es ein Glück ist, ein Mensch zu sein.« Das Verbot seiner »Narrenbriefe« hatte ihn vorsichtig gemacht. Was er hier sagt, entspricht in gewissem Maße den Thatsachen, und doch sind auch diese Sätze, wie die Anrufung »nichts ist heiliger als das Herkommen«, in Ironie getaucht. In der That: kein Ausfall, keine Erwähnung berührt die heimischen Zustände der Gegenwart. Auch die Episoden, welche uns die Beamtenhierarchie Chinas und deren Lebensverhältnisse schildern, enthalten keine direkten Anspielungen. Die Satire herauszufühlen, blieb ganz dem Leser überlassen. Der Dichter bleibt immer im Bilde, immer Erzähler. Nur daß das bewußte Streben nach künstlerischer Objektivität eine gewisse Kälte und Nüchternheit zur Folge hatte, die den poetischen Reizen des Stoffes Abbruch thut. Wer sich aber vergegenwärtigt, daß zu den Sentenzen Heine's, die damals in aller Leute Mund waren, auch die von der »Emanzipation des Königsthums« gehörte, die Forderung: »auch die Könige müssen emanzipirt werden«, befreit werden von der unnatürlichen Erdentrücktheit des Gottesgnadenthums, so daß sie menschlich mit Menschen verkehren, lieben und heirathen dürfen, wie das Herz sie treibt, der hat den Schlüssel zu dem politischen Theil dieser Satire gefunden. Nicht für das größere Publikum war diese Art künstlerischer Satire, dafür war sie zu sein. Die Klärung des Stils, die Originalität der Erfindung, der architektonische Aufbau der geistreichen Arbeit fand aber vielfach kritische Anerkennung, und Menzel schrieb (»Lit.–Blatt«, 1834, 24. und 25. Februar): »Seit Ludwig Tieck gab es Keinen, der so jung an Jahren, schon so reif an Phantasie und Geist gewesen wäre. Wir fragen nicht, ob er die Klippen und Strudel vermeiden werde, die dem jungen Genius von allen Seiten drohen; wir sind schon jetzt überzeugt, daß er unter den Schriftstellern deutscher Nation eine bedeutende Rolle übernehmen und behaupten wird.«

Daß Menzel sich um diese Zeit fördernd zu Gutzkows poetischen, nichtlyrischen Anfängen verhalten und nicht etwa, wie sein Eingangs mitgetheilter Brief und die Anzeige des Forums vermuthen lassen könnten, ihn andauernd auf die politische Journalistik und die literarische Kritik verwiesen hat, auch schon ehe er »die Narrenbriefe« aufzuweisen hatte, dies geht aus dem zweiten Brief Menzels an Gutzkow hervor, der sich in dessen Nachlaß erhalten hat. Derselbe, von Stuttgart, 2. Oktober 1832 datirt, war an den inzwischen zum Dr. phil. aufgerückten stud. jur. nach Heidelberg gerichtet:

»Lieber Freund!

Der gute kleine Bähr war so eben bei mir und wird Sie ohne Zweifel sogleich nach seiner Rückkehr nach Heidelberg aufsuchen. Daß Creuzer sich nicht mehr für Sie interessirt hat, wundert mich in der That. Sie sind vielleicht nicht munter genug gegen ihn herausgegangen, haben ihn nicht Feuer genug blicken lassen, und er kennt Sie zu wenig, um zu wissen, was hinter Ihrem bescheidenen Wesen steckt. Uebrigens werden Sie doch wohl in Heidelberg so viel erträglichen Umgang finden, als man zur Noth bedarf.

Diesen Mittag wurde ich an einen dritten Ort eingeladen, wo ich den Geh. Rath Müller von Weimar fand, der als wärmster Freund Goethe's und Herausgeber seines Nachlasses sehr nach der Bekanntschaft seines wärmsten Feindes geizte, und mir bey dieser Gelegenheit bessere Begriffe von Goethe beyzubringen eifrigst bemüht war, indem er mir namentlich von dem Beschluß des Faust goldene Berge versprach. Dieser Schluß soll religiös, katholisch, mystisch sein, Gretchen erscheint als Geistin, als weiße Dame, als liebender Schutzgeist, und rettet Faust aus den Klauen des Teufels. Alles läuft zuletzt auf die Idee hinaus, daß die Liebe die Welt regiere und alle Sünden vergebe, daher auch noch die Jungfrau Maria eine große Rolle spielt, woran, wie Herr Müller hofft, die Katholiken sich nicht wenig ärgern werden, und noch mehr alle die, also, wie wohl ich, an Goethe's Frömmigkeit bisher gezweifelt. Ich äußerte ihm meine nicht geringen Besorgnisse hinsichtlich des Teufels, um den es doch schade wäre, wenn er sonach zu kurz käme, allein es scheint wirklich, Goethe hat diesen alten Freund desavouirt. Wir wollen die Sache abwarten, und wenn Goethe seinem Faust wirklich ein neues theosophisches Interesse gegeben hat (er soll die Mystiker sehr fleißig studirt haben), so wird mich das bald kritisch beschäftigen. Auch der vierte Band von Wahrheit und Dichtung soll viel Interessantes enthalten.

Es freut mich, daß Sie an eine Novelle und ein Lustspiel denken, gelingt auch nicht gleich der erste Versuch, so kommen Sie doch in die Uebung; in diesen Formen läßt sich viel leisten.

Meine Gartengeschäfte zwingen mich zu schließen.

Adieu

Ihr

Menzel.«

Auch Gutzkow betrachtete diese ersten Arbeiten nur als Versuche. In der Ueberfülle geistiger Triebkraft, die in ihm wogt und gährt, giebt er diese Arbeiten, den großen zweibändigen Roman wie die kleineren Erzählungen, die er fürs »Morgenblatt« schreibt, hin als kleine Abschlagszahlungen seines Talents, dessen Sinn nach weit Größerem steht. Unverrückbar sieht er vor seinem Auge das Ideal einer großen, aufs Leben, auf Reform und Befreiung gerichteten Thätigkeit als Schriftsteller, als Dichter einer Poesie, die nicht zwecklos unterhält, ergötzt, das Eigengefühl liebkost, sondern die begeisternd auf den Willen der Menschen wirkt, die gemeinsamen Ideale zur That werden zu lassen. Als er Anfang 1834 sechs dieser kleineren Erzählungen zu zwei Bänden zusammenstellte, die dann mit Erlaubniß Cotta's bei Hoffmann und Campe erschienen, erzählte er in der Vorrede, die Göttin der Gelegenheit sei ihm unlängst erschienen und habe ihn gewarnt, als ein dem großen Publikum völlig Unbekannter nicht mit neuen Ideen und originellen Dichtungen weiter hervorzutreten. »Sieh Dich vor! Verscherze Dein Talent nicht! Zu den Bedürfnissen steige herab, laß Deine Götter Menschen werden! Gieb Dir um keinen Preis den Anstrich der Neuheit, sondern wirf Dich in die abgetragenen Kleider Deiner Vorgänger. Erfinde Dir allerhand kleine Anekdoten, lüge Dir Zeit, Ort, Stunde, Menschen zusammen, schreibe Novellen! … Vielleicht gefallen sie, spekulirt' ich weiter. Deine Charaktere sind vielleicht nicht alltäglich, Deine Verwicklungen sind spannend, Deine Staffagen neu … Die Empfindsamkeit beweint Deine weiblichen Ideale, Du läßt der Tugend immer Gerechtigkeit werden und kein Laster ungestraft bleiben, Du bleibst auf der Stufe der ordinären Wirklichkeit, welche man nur treu zu schildern braucht, um für genial, unübertrefflich, und in seiner Art einzig gehalten zu werden. Man vergleicht Dich mit Zschokke, findet Verwandtschaft mit Georg Döring, giebt zu, daß ich sogar schon um einen Schritt weiter bin als Eduard Gehe, und gesteht, daß ich selbst nicht mehr zu weit entfernt bin, um einen Willibald Alexis zu erreichen. Ich kann mich recht lebhaft in die Lage denken, in welche mich die nächsten fünf Jahre versetzen werden. In keinem Almanache wird mein Name fehlen … In den Prospekten neuer Morgen- und Abendblätter werden sich die Herausgeber damit brüsten, daß sie außer dem Herrn v. Rumohr, der Frau Amalie Schoppe, der Frau Henriette Hanke, der Freifrau Wilhelmine v. Gersdorf, auch den beliebten Novellisten Karl Gutzkow gewonnen hätten. Die Köchinnen, welche für ihre Herrschaften Bücher aus der Leihbibliothek holen, werden immer nach mir fragen, wenn von Herrn v. Lüdemann nichts zu Hause ist! Auf den Toiletten bin ich heimisch, die schönsten Kinder Evens gehen mit mir zu Bett und vergessen darüber, das Licht auszumachen; ich werde verstohlen aus den Nähpulten geholt, wenn die Mutter ins Theater geht, und die hoffnungsvollen Söhne des Hauses, statt den Tacitus und Plutarch zu lesen, studiren die Phantasiegemälde, welche noch alle bei Kollmann und Wienbrack von mir erscheinen werden. Ich bin auf dem besten Wege, ein tägliches Bedürfniß zu werden, und Tausende werden mir nachlaufen, wie dem Meister Furibund. – Dann soll aber auch der Augenblick gekommen sein, wo ich meine zweite Rolle zu spielen beginne. Man liebt mich, man bewundert mich, man ist von meinem sittlichen Werth durchdrungen, man ist bereit, mir über Berg und Thal zu folgen … Was ich mich sehne nach dem Ablauf dieser fünf Jahre! Zuweilen ergreift mich die Zukunft mit titanischer Gewalt und ich fühl' es dann schmerzlich, daß sie erst gelebt sein will; daß ich noch fünf Jahre auf die Galeere geschmiedet bin; daß ich noch fünf Jahre um die hohe Braut freien muß; daß ich noch fünf Jahre mit einer gewissen Geringschätzung von mir sprechen werde, wenn ich die Novellen bevorworte, welche den beiden vorliegenden Bändchen folgen sollen.«

Daß der Kern dieser scherzhaften Ausführungen einer selbstironischen Stimmung durchaus ernst gemeint war, geht aus vielen Stellen hervor, die sich in Gutzkows Briefen an Cotta aus dieser und der folgenden Zeit finden. Nur gab das Verhältniß zu diesem und der Cotta'schen Buchhandlung dem Bewußtsein einer vorläufigen Lehrzeit noch eine andere Richtung. Wie das glühende Interesse für Politik, für die Angelegenheiten des Vaterlands jenes Dichterideal geschaffen hatten, wie sie seinen theologischen, philologischen und philosophischen Studien eine Fortsetzung in der Fakultät der Rechts- und Staatswissenschaften gegeben hatte, so fühlte er sich auch getrieben, neben den Versuchen in der herkömmlichen Erzählungskunst auch solche auf dem Gebiete der rein politischen Schriftstellerei anzustellen. Er selbst hat später in den »Rückblicken«, wo er auf seine juristischen Studien in Heidelberg zu reden kommt, diesen Zustand mit Worten charakterisirt, auf die wir bereits im 4. Kapitel kurz verwiesen: »Uebe dich so viel du kannst in Führung der neuzeitlichen Waffen«, sei seine Devise gewesen. »Der Konstitutionalismus, ein im damaligen Preußen verpöntes Strebeziel der Politik, hatte im Lande Baden seine festesten Wurzeln geschlagen. Schon ging der eigentliche Drang des Gemüths über die Schranken der Schule und der akademischen Disziplinen hinaus. Es war die Zeit und das noch ungelichtete Chaos ihrer Forderungen, das mächtige Wehen und Rauschen in den neuen Luftströmungen, die über die Menschheit hinwegzogen …, was die Jünglingsseele fast nur noch allein erfüllte.« Damals begann er, für das »Literaturblatt« eingehende Berichte zu schreiben über die neuesten Werke der Staatswissenschaft (von J. B. Say, Ad. Smith, Malthus, Pölitz &c.), was er von München aus fortsetzte. In jener Heidelberger Zeit schrieb er auch, angeregt durch sein Interesse an der endlich bevorstehenden Eröffnung der württembergischen Kammer, eine Broschüre: » Divination auf den nächsten württembergischen Landtag«, wiederum anonym, welche Ende November im Verlag von Friedrich König in Hanau erschien und eine Zeitlang in Stuttgart dem wegen seiner liberalen Grundsätze vom Bundestag abberufenen Minister Wangenheim zugeschrieben wurde. Er hat derselben in seinen »Rückblicken« kurz erwähnt. Das einzige Exemplar, das sich von uns finden ließ, besitzt die Königl. öffentliche Bibliothek in Stuttgart.

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Diese zweite rein politische Schrift des jungen Geistes überrascht wiederum durch die überlegene Ruhe, mit welcher hier vom Standpunkt eines nationaldemokratischen Ideals zu einer maßvollen, streng realistischen Betriebsweise des politischen Fortschritts gerathen wird. Als gelehriger Schüler Börne's weiß er mit glänzendem Geschick den Vortrag radikaler Grundsätze so einzukleiden, daß als Hauptsache der Schrift die Mahnung an die württembergischen Landboten erscheint, sie sollten den Diplomaten die Kunst des Temporirens ablernen, und die Begründung der politischen Maxime, »daß die Zunahme unserer Hoffnungen in einem gleichmäßigen Verhältnisse zu der Wahrscheinlichkeit ihrer Erfüllung stehen müsse«. Kühlen Blutes sagt er der liberalen Kammermajorität ihr Schicksal voraus. Nach den Bundestagsbeschlüssen des letzten Jahres, welche dem Bundestag ein Interventionsrecht in die Angelegenheiten der Einzelstaaten und Verhandlungen ihrer Landstände eingeräumt, habe die Opposition wenig Aussicht, durch Geltendmachung großer politischer Gesichtspunkte, welche auf Freiheit und Einheit des ganzen deutschen Vaterlandes abzielen, etwas Thatsächliches zu erreichen. »Ist die Opposition darin einig, ihre auffallende Majorität zur Debatte über die Ideen zu benutzen, so siegt die Regierung entweder augenblicklich durch die Intervention des Bundestags oder durch ein bald eintretendes Zerwürfniß der nur nothdürftig zusammengehaltenen Parteien. In beiden Fällen ist für die materiellen Interessen der Württemberger ebenso wenig gesorgt, wie für die Hoffnungen des gemeinsamen Vaterlandes.« Beiden Uebeln müsse man ausweichen. Das Recht der Steuerverweigerung, die mühsam errungene Preßfreiheit, seien durch Rechtsverpflichtung in Frage gestellt. Andererseits hätte diese Reaktion die Versöhnung der liberalen Parteien herbeigeführt, welche seit dem Hambacher Fest sich immer gefährlicher getrennt hatten. Diese Versöhnung nicht aufs Spiel zu setzen, sondern den Zusammenschluß der Opposition zu pflegen, bis günstigere Zeiten zu energischem Vorstoße kämen, sei für jetzt das Wichtigste. Nachdem die süddeutschen Fürsten ihren Frieden mit den Kabinetten von Berlin und Wien gemacht und der Bund die eigene Furcht vor der Revolution durch Gewaltmaßregeln zur Unterdrückung der öffentlichen Meinung überwunden, sei die Zeit für große parlamentarische Kämpfe in den Kammern, dem letzten Hort der Freiheit, nicht günstig. »Die stillschweigende Anerkennung der eingetretenen Schwierigkeiten möge die Freunde der Freiheit nur fester aneinander ketten, die für eine bessere Konstellation der Zukunft aufgesparten Kräfte erhöhen und jeden Bruch verhindern, der bei Mißverständnissen oder Nichtkenntniß der wahren Interessen und ihrer besseren und schlechteren Auspizien eintreten müßte.« Die Regierung selbst habe schon bewiesen, wie sicher sie sich trotz der drohenden Opposition im Schutze des Frankfurter Rückhalts fühle. Sie habe die dort unliebsamen Minister entlassen, die Organe der öffentlichen Meinung zum Theil unterdrückt, andere in ihren Privilegien beschränkt und mehrere stimmführende Demokraten kriminalistisch bedroht. »Die so gefährlich aufreizenden Durchzüge der Polen haben ein Ende genommen, die Banketts, die vor Kurzem noch die Wähler ihren Deputirten gaben, wiederholen sich seltener; die Musik, allerdings die gefährlichste Feindin der – – (hier folgen Zensurstriche), weil sie die Herzen anschwellt und zu großartigen Empfindungen stimmt, muß bei jeder festlichen Versammlung um zehn Uhr, also gerad' in dem Augenblick, wo die Köpfe voller, die Zungen gelöster und die Augen glühender werden, das Feld räumen.« Was könne der württembergischen Regierung gegenüber die Opposition im Landtage ausrichten? In Frankreich und England würde ihre Majorität die dem König aufgezwungene Nothwendigkeit zur Folge haben, sich mit neuen Rathgebern zu umgeben, welche die Grundsätze der Opposition zur Geltung bringen. »Diese Folge wird aber eine württembergische Opposition niemals nach sich ziehen. Denn einmal ist die Durchbildung des konstitutionellen Systems bei uns noch nicht bis zu jener Konsequenz gediehen, wie wir sie über dem Rhein und dem Kanal antreffen; andererseits sind die Bestandtheile der deutschen Oppositionen Elemente, die in Frankreich vergebens nach einer Analogie suchen. Während hier die Parteien bis zur vollkommenen Abgrenzung ihrer Meinungen und Maßregeln sich ausgebildet haben, werden bei uns die vielfachen politischen Glaubensbekenntnisse noch lange vergeblich auf Reduktionen warten, werden die Koterien noch immer die innere Kraft der Fraktionen zerstören und die besonderen Bildungsgänge der Einzelnen den Sieg über die Uniformität davontragen … Die Taktik der Whigs und Torys ist so alt wie die Privilegien der englischen Verfassung. Die linke und rechte Seite der Franzosen hat eine Erfahrung, die, was ihr an Dauer abgeht, durch ihre Großartigkeit ersetzt. Endlich rechne man, daß selbst die letzten Zielpunkte, auf welche eine als einig wirkende Opposition bei uns hinarbeiten könnte, immer wieder anders gegeben sind, als bei den verglichenen Nationen. Hier ist der König eine willenlose Eroberung, die jede Partei machen kann, wenn ihre Anstrengungen einen glücklichen Erfolg haben. Die Majorität in der Kammer bestimmt die Wahl des neuen Ministers und macht die Aenderung des bisherigen Systems zu seiner ersten Aufgabe. Bei uns dagegen wird ein Fürst nie Anstand nehmen, einem Minister, wenn dieser auch jetzt seine Propositionen zurücknehmen müßte, das Portefeuille zu lassen, weil es schon längst in Deutschland hergebracht ist, daß wir nicht nach Gesetzen, sondern durch die Polizei regiert werden.«

Um das Ziel der Konsolidirung der liberalen Opposition auf die wirklich allen gemeinsamen Prinzipien zu erreichen, sei vor allem Wahrheit nöthig, rücksichtslose Klärung von Illusionen, stillschweigend geduldeten Ausnahmen, gefährlichem Pietätskultus. Es sei falsch, die Führung gerade solchen Männern anzuvertrauen, die das Heil der Zukunft in der Vergangenheit, in romantischen Liebhabereien oder philosophischen Doktrinen suchen. Er steht nicht an, Uhlands Beruf zur Führerschaft zu bezweifeln, gerade weil dessen Besonderheit als Dichter viel zu sehr in poetischen Sympathien für das Mittelalter wurzle. Auch Paul Pfizer ist ihm nicht der rechte Mann, er sei zu tief von den Netzen der Philosophie umstrickt und gründe seine Freiheitssätze auf Gefühle und Doktrinen, statt auf das wirkliche Leben. Viel mehr Verständniß für eine praktische Oppositionsleitung verspricht er sich von den Männern, die sich um das Organ der Volkspartei, den »Hochwächter«, schaaren, vor allem von Schott, dem er ebenso reiche ständische Erfahrung, wie Festigkeit des Charakters und Begeisterung für die Fortschrittsideen der Zeit nachrühmt. »Er ist der Hort der genannten Partei. Die Gründung des Hochwächters war entscheidend für die Hoffnungen derselben. Die großartige Theilnahme des ganzen Württemberg (an seiner Gründung) war das Signal einer neuen Zeit, die für das gedrückte Land anbrach. Jetzt hatten die vereinzelten Klagen ihren Zentralpunkt gefunden, fast eine Art von System allgemeiner Beaufsichtigung organisirte sich, die Beschwerden, die dort ein Landstädtchen, hier eine Gemeinde aus dem Gebirge schickte, ließen sich bald vergleichen, und es wurde möglich, auf Mißbräuche, die durch die ganze Verwaltung griffen, zu schließen … Kein Land ist von einer anmaßenden Beamtenkaste so belästigt, wie Württemberg … Alle diese Beschwerden sind in ihren Details durch nichts so hervorgetreten, als durch ein unscheinbares Volksblatt, dessen Verfasser man billig das ganze Land nennen kann. Vor diesem Feinde war die Regierung am meisten besorgt.« Aber jetzt – nachdem ihr der Bundestag die gesetzlichen Mittel dazu gegeben, habe sie auch ihn mundtodt gemacht. Das Blatt sei zu offen mit seinen Plänen auf organische Volksvertretung des allgemeinen Deutschland hervorgetreten und habe dadurch den Zorn des neu befestigten Fürstenbunds auf sich gelenkt. Sein Schicksal sei lehrreich für das Verhalten der Partei in dieser bedrängten Zeit. Ueberhaupt sei zu wünschen, daß sich die Volksvertreter, die für die schöne Idee des gemeinsamen deutschen Vaterlandes kämpfen wollen, über die Möglichkeiten, zu diesem Ziel zu gelangen, besser besinnen möchten. Nicht die Fürsten suche man vom Bundestage frei zu machen, sondern der heimischen Freiheit gebe man ihre Rechte! Oder denkt man gar, die Zukunft werde befreite Könige und nicht entfesselte Völker brauchen?« Am Schluß seiner Revue der Führer kommt er auf Menzel zu sprechen. Dieser erscheint ihm – wenn er den Versprechungen seiner Vergangenheit Wort halte, als der geeignete Mann. »Ich habe,« sagt er, »nach der Lesung seiner Schriften immer die Meinung gehabt, Herr Menzel sey ein Freund der Wahrheit, wie es deren wenige giebt; er hasse jede Rücksicht, die verhindern könne, sie frei zu bekennen, und verachte die Schwäche, die an die Stelle des Wirklichen Träume und Phantasien setzt. Ich halte ihn mit Vielen für einen abgesagten Feind der Illusionen und vertraue der unparteiischen Ueberzeugung, die er auf der Höhe seines übersichtlichen Standpunktes muß gewonnen haben … Kann er die Stellung eines Deputirten den wahren Verhältnissen gegenüber verkennen? Die Vergangenheit wirft auf die Zukunft das beste Licht …« Der Schluß der Flugschrift sprach die Hoffnung des Verfassers aus, der glückliche Erfolg des neuen Landtags möge alle seine Besorgnisse widerlegen.

So trat Gutzkow auch in seiner ersten selbständigen, rein politischen Schrift als Realpolitiker ins Feld für die Ideale des Fortschritts.

Ob er darin aber den Geschmack seiner Gesinnungsgenossen in Schwaben traf, ist freilich eine andere Frage. Die Broschüre, welche noch im November 1832 in den Stuttgarter Buchhandlungen auslag, machte berechtigtes Aufsehen. Die staatsmännische Mäßigung des Grundgedankens führte die Vermuthung herbei, daß Graf Wangenheim oder ein anderer liberaler und von der Reaktion gestürzter Staatsmann der Verfasser sei. Menzel selbst rieth auf ersteren und zeigte sich dann enttäuscht, als er von seinem jungen Adjutanten, der zu Weihnachten von Heidelberg herüberkam, erfuhr, dieser sei der Verfasser. Aufgebracht war man natürlich in den Kreisen Paul Pfizers über die Flugschrift, und auch sonst waren viele Liberale wenig erbaut, als sie erfuhren, daß ein kaum in Schwaben warm gewordener halbwüchsiger Berliner der Autor dieser vielbesprochenen Schrift sei, die an den politischen Verhältnissen, Parteigruppen und Parteihäuptern Schwabens eine Kritik übte, die sich freimüthig über jede Parteirücksicht erhob. Aber gerade die bedeutendsten politischen Köpfe unter den süddeutschen Parlamentariern, wie Schott und Cotta, erkannten die Bedeutung dieses jungen scharfäugigen Kopfes, der in so vielem den Nagel auf den Kopf traf. Gutzkow würde gewiß noch mehr Früchte von diesem Erfolge geerntet haben, wenn nicht der Triumph seiner Voraussagungen zugleich den Untergang seiner Hoffnungen auf eine politische Laufbahn bedeutet hätte. Wovor er gewarnt hatte, geschah, und die Folgen, die er vorausgesehen, traten ein. Paul Pfizer, dem der »Briefwechsel zweier Deutschen« und dessen demokratische Tendenz die Entlassung aus dem Staatsdienst zugezogen, dagegen die Wahl zum Abgeordneten von Tübingen eingetragen, war keineswegs gewillt, die ihm zufallende Führerschaft zu Gunsten eines Anderen aufzugeben und die in der »Divination« angerathene maßvolle Realpolitik zu treiben. Gerade was Gutzkow mit Recht als Dasjenige bezeichnet hatte, was die Uebermacht herausfordern würde, machte er sich zur Aufgabe: er nahm den Krieg mit dem Bundestag auf. Er veranlaßte die bekannte »Motion« gegen die Beschlüsse vom 28. Juni und fand für dieselbe auch eine bedeutende Majorität. Die Folge aber war, daß die Regierung bereits am 22. März den Landtag auflöste und im weiteren Verfolg ihres Vortheils die Neuwahlen so leitete, daß sie eine erdrückende Majorität von willfährigen Staats- und Gemeindedienern an die Stelle der Opposition brachten. Auf lange Jahre hinaus war durch die zwar mannhafte, aber unkluge Kampfesweise Pfizers das Verfassungsleben in Württemberg vernichtet. Die deutschen Hoffnungen auf die Vorarbeit der Ständekammern für das schließliche Einigungswerk einer Reichsvertretung waren hier wie auch anderwärts durch ein gegenüber der Uebermacht des neugestärkten Bundestags übel angebrachtes Ungestüm vernichtet. In den »Gedanken über das Ziel und die Aufgabe des deutschen Liberalismus« nahm Pfizer nun den Gutzkow'schen Standpunkt ein: auch er rieth jetzt zum Zusammenfassen der Kräfte, zum Ausbau eines Verfassungslebens in den deutschen Einzelstaaten, bis die Zeit erfüllt sei, welche das Zusammenschmelzen derselben zu einem deutschen Parlament gestatte. Vorher schon hatte er in einem Briefe an Friedr. Perthes, der ihn wegen seines »Briefwechsels« beglückwünscht hatte, voll Resignation geschrieben: »Jede Theilnahme für Preußen würde mir, wie die Sachen jetzt stehen, als ein Abfall von der Sache der Volksfreiheit ausgelegt werden, mich in den Augen meiner Landsleute brandmarken und mir alle Hoffnung, auf ihre Ansicht und Gesinnung einzuwirken, ganz zerstören; denn der Unwille gegen Preußen ist besonders infolge seines Benehmens gegen die Polen bei uns so groß und so allgemein, daß selbst die abgesagtesten Franzosenfeinde seinen Namen selten ohne einen Ausdruck des Abscheus oder der Verachtung aussprechen. Der Widerwille der Süddeutschen gegen eine ihnen verhaßte Regierung, deren Benehmen den Haß leider nur zu sehr rechtfertigt, steigt von Tag zu Tag, und mir verbietet mein eigenes politisches Gewissen, mich von meinen Landsleuten in einem Augenblicke zu trennen, in welchem man in Süddeutschland täglich mehr von der thörichten Vorliebe für die Franzosen zurückkommt und eine auf bürgerliche Freiheit gegründete Nationaleinheit verlangt, während Preußen immer unverhohlener sich dem Absolutismus in die Arme wirft, immer inniger sich mit Rußland zu verbrüdern scheint, und selbst die bescheidensten Erwartungen der Freiheitsfeinde täuscht.« Nach den hohen Erwartungen, welche der »Briefwechsel« ausgesprochen, mag diese Erkenntniß dem Schwerenttäuschten hart genug angekommen sein.

Diese Arbeiten erweckten in Georg v. Cotta den Wunsch, Gutzkow womöglich ganz für die politische Schriftstellerei zu gewinnen. Ihm war die Aufgabe zugefallen, in schwierigster Zeitlage die Unternehmungen seines Vaters weiter zu führen. Selbst zur Diplomatie erzogen und von vornehm-staatsmännischem Wesen, imponirte ihm die große Selbstbeherrschung und diplomatische Ruhe dieses jungen Schriftstellerkopfs, dessen erstaunliches Wissen von einem seltenen Tiefblick und Wirklichkeitssinn regiert wurden, außerordentlich. Der sich aus diesen Anträgen ergebende Kampf in Gutzkows Seele wird uns im nächsten Kapitel beschäftigen. Das heutige schließen wir mit Gutzkows Antwort auf Cottas Einladung, zu seinen Instituten in ein festeres Verhältniß zu treten. Der Brief ward in München, gerade nach Beendigung des »Maha Guru«, am 31. Juli 1833 geschrieben:

»Ew. Hochwohlgeboren

bin ich für die überwiesene Summe zu Dank verpflichtet. Ich würde es gern hören, wenn Sie selbige als Vorschuß auf meinen Roman ansähen; auf jeden Fall schick ich Ihnen beifolgend den zweiten Theil, und bitte Sie, dem Ganzen recht bald ein paar Mußestunden und ein günstiges Auge zuwenden zu wollen. Ich bin schon fast daran gewöhnt, den Zögling meiner Muse bei Ihnen in sicheren Händen zu wissen.

Ew. Hochwohlgeboren verlangen von mir eine genauere Erklärung darüber, in wiefern ich Ihren Wünschen wegen festeren Anschlusses nachzukommen gedenke. Aber selbst wenn ich ein gerechtes Vertrauen in meine Leistungen besäße, würd' ich in Versprechungen zurückhaltend sein und den Athem nicht zu tief heraufholen. Was kann mir in meiner noch nicht langen Schriftstellerlaufbahn willkommener sein, als die Beachtung und die Theilnahme eines solchen Instituts, wie das Ihrige? Ich kann da den Mund nicht voll nehmen, wo ich es für ehrenvoll halten muß, nur einige Worte zu sprechen.«

Es folgt nun die Stelle, die wir schon früher mittheilten und in der er von sich sagt, daß seine Theilnahme am »Literatur-Blatt« ihm den Namen des Menzel'schen Adjutanten zugezogen habe.

»Ich hatte in früheren Jahren«, schreibt er weiter über dieselbe, »in mehreren wissenschaftlichen Fächern mit eisernem Fleiße gearbeitet, und besaß deshalb Universalität genug, mich in die Tendenz und den Plan des Lit. Bl. gut zu finden. Ich werde die Verbindung mit Menzel niemals aufgeben, woran mich sowohl die Freundschaft dieses Mannes und die Dankbarkeit, zu welcher er mich mannichfach verpflichtet hat, verhindert, als auch mein eigener Vortheil. Denn nichts ist anregender, als kritische Beschäftigung, und die allgemeine Achtung, ja auch die Furcht und der Ingrimm, die das Literaturblatt begleiten, geben mir die Gewißheit, daß meine Kritiken hier am rechten Orte sind und gelesen werden, dessen man sich bei andern Instituten selten rühmen darf.

Meine Narrenbriefe hab' ich in Stuttgart im Januar 1832 geschrieben« (die erweiterte Form wurde erst im Sommer beendet) »und in ihnen Alles geleistet, was man von einem 20jährigen jungen Manne verlangen kann. Die Kritiker sind mir günstig gewesen, ich habe mir Freunde dadurch erworben, und nun ich auch von meinem Verleger erfahre, daß der Absatz namentlich im Norden recht reichlich ausgefallen ist, ärgert es mich, daß ich meinen Namen verschwieg. Ich muß dies Versäumniß einholen und überhaupt darauf bedacht sein, einige Zeit hindurch mein werdendes Renommée zu poussiren, oder zu deutsch: es mit dem Keil zu treiben. Daher mein Maha Guru, daher mehre andre Pläne, die mich einige Jahre beschäftigen sollen. Man kann sich einen soliden Ruf nur durch Bücher begründen.

Ich gestehe Ihnen, daß mich diese Ueberzeugung hindert, ausschließlich meine Thätigkeit auf Journalartikel zu beschränken. Doch bleibt dabei immer noch Einiges übrig, was ich unbedingt versprechen darf. Das Morgenblatt, wo ich mich von jetzt an zu meinen Artikeln nennen will, wird fleißige Sendungen erhalten. Den versprochenen Reisebericht, eine Novelle noch im Oktober (die Redaktion hat noch eine von mir liegen) und Korrespondenzen, wie ich sie früher schon von Berlin aus geliefert habe. Diesen werd' ich fortwährend andre Sachen folgen lassen. Ich will mit meiner Feder meine Existenz sichern und darf sie also nicht feiern lassen.

Menzel schreibt mir, Sie hätten in Folge meiner staatswirthschaftlichen Aufsätze auch Beiträge für die Allgemeine Zeitung von mir gewünscht. Ich bin mit dem Versprechen, hier thätig sein zu wollen, rasch zur Hand, obgleich ich die Schwierigkeit des Gegenstandes, ja selbst des Ortes kenne. Ich denke frei, ich bin kein Freund der Monarchie, aber ich besitze Einsicht genug, zu wissen, was sich den Vertheidigern der andern Meinung sagen läßt, ohne ihre Gewalt herauszufordern. Mein Stil ist reflektirend, ich habe ihn ganz in meiner Gewalt und nehme meinen Standpunkt am liebsten mitten unter den Ereignissen oder über ihnen. Ich habe einige politische Flugschriften geschrieben, die von glühendstem Liberalismus diktirt waren, und die man für ministeriell hielt. Glauben Sie nicht, daß ich damit sagen will, die Allgemeine Zeitung soll aus einer Täuschung Vortheil ziehen, sondern ich wollte Ihnen nur damit die Garantie geben, daß ich, wenn ich Sie bitte, mir für Fragen des Tages und für Beleuchtung von Doktrinen zuweilen die Spalten der außerordentlichen Beilage zu öffnen, keine nackten herausfordernden Parteimeinungen geben will. Ich hätte es gern, daß ich, wie Heine die Zustände periodisch lieferte und v. Gagern die V(aterländischen) Briefe, eine Reihe von Aufsätzen unter dem Titel: ›Die Fragen der Zeit‹ beginnen könnte, in denen ich die Politik des Jahrhunderts nach meiner Art erklären und beleuchten möchte. Das Ganze ließe sich zuletzt in einem Buche vereinigen. Schreiben Sie mir gefälligst, ob ich mir aus der Ausführung dieses Plans ein Geschäft für den Winter machen darf. Diese Aufsätze erhalten jeder eine eigene Ueberschrift: Statusquo, Neues Völkerrecht, Intervention, die Konferenzen, die Finanzfrage u. s. w. Die erste Probe dieser Art versprech' ich im Oktober, und würde Sie Ihnen früher schicken als der Redaktion in Augsburg.

In einigen Tagen reis' ich von hier ab und werde den Weg durch Tirol und Steiermark nach Wien nehmen. Am 15. September treff' ich in Berlin ein. Sollten Sie mir vielleicht eine Mittheilung zu machen haben, so treffen mich bis zum 24. August Briefe, welche poste rest. zu diesem dato in Wien eintreffen. Spätere Briefe bitt' ich nach Berlin zu adressiren: Mauerstraße Nr. 64.

Entschuldigen Sie diese weitläufige Epistel, von der ich wünschte, daß man sie Ihnen ins Bad nachschickte, weil Sie dort vielleicht mehr Muße haben, sie zu lesen, als im Kreise Ihrer häuslichen Geschäfte. Ich füge noch den Wunsch hinzu, daß Sie mit neuer Stärkung die von Ihnen besuchte Heilquelle verlassen mögen, und empfehle mich Ihrem geneigtesten Andenken.

Ew. Hochwohlgeboren gehorsamster
K. Gutzkow.«              

Die Reise, die er hier ankündigte, war er im Begriff mit einem neugewonnenen Freund anzutreten, dem er sich in Gesinnung und Altersbedürfnissen näher fühlte als Menzel. Dieser Mitvertreter der von Gutzkow angekündigten neuen Schriftsteller-Jugend war Heinrich Laube, zur Zeit Redakteur des altbeliebten Leipziger Unterhaltungsblatts, der »Zeitung für die elegante Welt«, von welchem ihm das Erscheinen der »Narrenbriefe« einen freudigen Zuruf der Sympathie eingetragen. Mit dieser Reise begann eine neue Aera voll Sturm und Drang für Gutzkow, ein unruhiges Hin und Her zwischen den Lockungen des journalistischen Berufs durch schmeichelhafte Angebote Cottas und den Einflüsterungen seines Ehrgeizes und seiner Umgebungen, die Führerschaft des jungen Poetengeschlechts zu übernehmen, das sich stürmischen Schritts in die ausgestorbene und verödete Walstatt des deutschen literarischen Lebens drängte.

»Und wie nach Emaus, weiter ging's
Mit Geist- und Feuerschritten« –

Rechts Poesie, links Politik,
Prophete in der Mitten.



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