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Trotz Acht und Bann.


X.
Das Vorgehen des Bundestags.


Am 10. Dezember des Jahres 1835, das in Frankfurt a. M. eine so rege Entfaltung hoffnungsfrohen literarischen Lebens gezeitigt hatte, fuhr der kaiserlich-königlich österreichische Präsidial-Gesandte Graf von Münch-Bellinghausen mit dem behaglichen Vorgefühl eines neuen glänzenden Sieges des von ihm vertretenen Regierungssystems am großen Thorgitter des Bundestagspalais in der Eschenheimer Gasse vor. Mit seinen wetterdunklen rothen Quadermauern, den starken dunklen Eisengittern vor den Fenstern, rechts und links von dem Eingang zum militärisch bewachten Palaishof, glich der Bau im Nebel des trüben Dezembertages mehr einem Sitz geheimer Inquisition und Gefängnißhaft, als dem Sitzungspalast der höchsten Repräsentation des Deutschen Bundes. Und doch entsprach dieses Aussehen nur zu sehr dem Charakter der Verhandlungen, welche die amtsbewußten Regierungsvertreter seit Jahren schon darin führten. Auf Inquisition und Gefängniß zielte auch die Aufgabe, die der auch hier kavaliermäßig auftretende Graf Münch mit diplomatisch unterdrückter Vorfreude im Geiste bereits erfüllt sah, als er den Sitzungssaal betrat, wo die anderen Bundestagsgesandten seiner schon harrten. In der Abwehr einer ungeheueren Gefahr, die den Frieden und die Ordnung Europas bedrohte, hatte wieder einmal Oesterreich, sein hoher Chef Fürst Metternich und er selbst, dessen erster Vertreter beim Deutschen Bund, all die kleinen Regierungen der rein-deutschen Staaten überflügelt und beschämt, auch den neuerdings zu bedenklichen Selbstbewußtsein sich aufraffenden Rivalstaat Preußen. Schon hatte derselbe begonnen, das absolute Unterdrückungssystem allen Regungen des Volksgeistes gegenüber, das sie seit dem Hambacher Feste gemeinsam durchgeführt, nicht unbedingt zu theilen, schon waren von einzelnen Stimmen der preußischen Regierung, die der Meinung des Thronfolgers Rechnung trugen, Zweifel laut geworden, ob die seit über zwei Jahren funktionirende neue Zentraluntersuchungsbehörde zum Zweck der Verfolgung politischer Verschwörungen auch wirklich eine heilsame Einrichtung sei. Schon hatte diese Behörde zugestehen müssen, daß die Resultate ihrer Untersuchungen in geringem Verhältniß ständen zu dem Bilde der drohenden Revolution, wie es im Jahre 1832 Graf Münch entworfen, und nun war man endlich einer ganz neuen Art revolutionärer Propaganda auf die Spur gekommen, der man die Konspiration mit den Revolutionären des Auslandes zwar noch nicht nachweisen konnte, deren sie aber schon um ihres Namens Willen »Das junge Deutschland« verdächtig erscheinen mußte. Wurden nicht um dieselbe Zeit in der Schweiz die Mitglieder eines politischen Geheimbundes von gleichem Namen beobachtet und durch die Schweizer Behörden auszuweisen gesucht, dessen Haupt kein geringerer war, als der verschlagenste aller Verschwörer Europas, der Italiener Mazzini. Und diese neuen Feinde der Staatsordnung, die unter der Maske von poetisirenden Schriftstellern das Gift der Revolution zu verbreiten gestrebt, waren sämmtlich Preußen, waren protestantische Ketzer, Doktoren preußischer Universitäten, kamen auf das Konto des preußischen Staates, dem Oesterreich nun zuvorgekommen war, ihn von den im eigenen Lande großgezogenen Feinden zu schützen. Und wenn die Herren in Berlin auch schon vor ihm die Verfolgung des sträflichen Treibens vorbereitet, wie vor acht Tagen General von Schöler, der neue Kollege, nachgewiesen, er und Metternich hatten doch das erste Wort gesprochen, das Signal zum Handeln gegeben.

Und so erhob er sich mit der Miene eines Mannes, der wieder einmal die Ueberlegenheit der von ihm vertretenen Staatsweisheit als Retter des Völkerfriedens zur Geltung bringt, zum Vortrag in dieser dringlichen Angelegenheit, um zum Schluß den Antrag auf gemeinsame energische Vorkehrungen zu stellen zur Vernichtung der elenden Verschwörer:

»Die Initiative,« begann er, »welche die Kaiserlich-Königliche Präsidialgesandtschaft in der 26. diesjährigen Sitzung vom 29. Oktober laufenden Jahres in Betreff des seit einiger Zeit hervorgetretenen Strebens der unter dem Namen des ›jungen Deutschlands‹ sich ankündigenden literarischen Schule genommen hat, wird dieser hohen Versammlung keinen Zweifel über die Ansicht gelassen haben, welche der Kaiserlich-Königliche Hof über diese höchst bedauerliche Erscheinung der neuesten Zeit und über die Wichtigkeit derselben für das gesammte Deutschland aufgefaßt hat.

Nachdem es den Regierungen Deutschlands durch gemeinsam verabredete energische Maßregeln gelungen ist, den Wirkungen der schlechten Presse auf dem politischen Felde ein Ziel zu setzen, wird die Aufmerksamkeit und die Vorkehrung jeder gewissenhaften Obrigkeit auf diese neue literarische Richtung in Anspruch genommen, die in ihren Absichten und in ihren bislang zur Anwendung gebrachten Mitteln bei weitem gefährlicher und in ihren zerstörenden Wirkungen, wenn ihr nicht bald allenthalben Einhalt gethan wird, unendlich tiefer eingreifend sein müßte, als es die bloß auf dem politischen Felde sich bewegende Presse der jüngsten Zeit gewesen ist.

Die schlechte Literatur, die hier gemeint ist, läßt sich wesentlich als antichristlich, gotteslästerlich und alle Sitte, Scham und Ehrbarkeit absichtlich mit Füßen tretend bezeichnen.

An der Spitze derselben steht Heinrich Heine in Paris, welcher diesen Ton bald nach der Julirevolution unter den Deutschen zuerst angeklungen hat. Aus einer genauen Prüfung der neuesten Schriften, welche von ihm und seinen Genossen herrühren, erhellet, daß ein tiefer, lange verhaltener Groll gegen das Christenthum das eigentliche Hauptmotiv dieses literarischen Treibens ist. Im zweiten Bande seines Salons sei bereits offen und unverhohlen die Abolition des Glaubens an Gott und die gänzliche Emanzipation der Sinnlichkeit von allen Schranken der Moral und der Sitte, als das Eine, was noth thut, und als das Ziel gepriesen, dem das jetzige Geschlecht unaufhaltsam entgegenstreben müsse.

Diese Produkte haben außer zahlreichen Lesern, die sie in allen Ständen fanden, Adepten und Apostel der neuen Religion erweckt, welche seit einigen Monaten auf deutschem Boden eine Reihe von Druckschriften ergehen lassen, in denen sie nicht bloß jene Ideen wiederholen, kommentiren, amplifiziren und sie, so viel an ihnen ist, durch noch größere Keckheit und Schlüpfrigkeit zu überbieten suchen, – sondern sich offen vor aller Welt als Missionäre des neuen Glaubens bekennen und eingestehen, daß sie planmäßig für dessen Verbreitung zu wirken suchen würden. Sie haben sich zu diesem Ende als eigene literarische Koterie unter dem Namen des ›jungen Deutschlands‹ konstituirt, und stillschweigend und ausdrücklich den Willen ausgesprochen, fortan der neuen Richtung die gesammte Produktivität ihres Geistes zu widmen.

Um den letzteren zu charakterisiren, möge hier vorläufig unter den zahlreichen Erscheinungen derselben Art nur auf den Roman von Karl Gutzkow: » Wally oder die Zweiflerin«, auf die ästhetischen Feldzüge von Wienbarg, und auf die Vorrede zu Schleier machers Briefen über Schlegels Lucinde, ebenfalls von Gutzkow, aufmerksam gemacht werden. In dem ersten findet sich S. 225 bis 304 eine Polemik gegen das Christenthum, wie sie in christlichen Ländern und Zeiten bisher zu den beispiellosen Erscheinungen gehörte. Die Schrift dreht sich außerdem um die Abolition der Ehe und um die Verbannung alles Schamgefühls, welches als lächerliches Vorurtheil darzustellen der Zweck des Buches ist.

Die zweite jener Schriften ist eine Amplifikation der oben schon bezeichneten Heine'schen Ideen, die zwar in milden, gleichsam wissenschaftlichen Formen auftritt, der Sache nach aber alles Ernstes die neue Religion der Sinnlichkeit und ihrer Emancipation von der Knechtschaft des Spiritualismus predigt. In der zuletzt genannten Vorrede endlich wird der Satz verfochten: Wie glücklich die Welt sein würde, wenn sie nie etwas von Gott erfahren hätte.

Es kann den deutschen Regierungen nicht entgehen, daß Alles, was bisher vom Bunde gemeinsam gegen die schlechte Presse in Deutschland geschehen ist, rein verloren wäre, wenn dieses bei weitem gefährlichere Unwesen geduldet werden wollte. Es bedroht nämlich diese schlechte Richtung des Geistes nicht minder, wie das offene Predigen des Aufruhrs, die Obrigkeit und die öffentliche Ordnung in ihren Fundamenten. Die Ehre aller deutschen Regierungen fordert es: diesem Uebelstande, welcher bereits die laute Indignation aller Besseren erregt hat, nicht länger zuzusehen: denn es müßten die Regierungen bei dem zucht- und ehrliebenden deutschen Volke nothwendig an Achtung und Vertrauen verlieren, wenn sie Bedenken trügen, durch kräftige und ausreichende Maßregeln dem Uebel entgegenzutreten, bevor es gelungen ist, im Wege des Romans und der leichten, allen Klassen zugänglichen Literatur auf die Menge verderblich zu wirken, in ihr jeden positiven Glauben, insbesondere an das Christenthum, zu untergraben, die rohe Sinnenlust allein als oberste Aufgabe des Menschengeschlechts zu predigen, und sohin, nach vollbrachter Auflösung aller religiösen und moralischen Bande, das, dergestalt jeder Grundlage beraubte, alte Staatsgebäude von selbst einsinken zu machen.

Der Unwille, den das Hervortreten dieser Literatur erzeugt hat, ist als befriedigender Gefühlsmesser der öffentlichen Meinung eine doppelte Aufforderung an die Regierungen, zu thun, was die höher stehende Regierungspflicht von ihnen erheischt. Zwar ist von einzelnen Regierungen schon Ersprießliches in dieser Beziehung geschehen. Die Zensurgesetze, wie sie in Oesterreich bestehen und gehandhabt werden, geben allen Bundesgenossen die Bürgschaft, daß die Verbreitung dieser, die besten Gesinnungen verderbenden und in den Meinungen und Gefühlen eines ganzen Volkes Umkehr zu bewirken geeigneten Literatur im ganzen Gebiete des österreichischen Kaiserstaates ausgiebig verhindert ist. Die Königlich Preußische Regierung hat mit der Weisheit, die sie charakterisirt, die Gefahr erkannt und sie nach der am 3. dss. in der 30. Sitzung vertraulich gemachten Anzeige innerhalb ihres Bereiches zu bewältigen gestrebt.

Die Großherzoglich Badische Regierung hat endlich gleichfalls – indem sie den Buchhändler Löwenthal zu Mannheim wegen der Herausgabe des Romans ›Wally‹ zur Strafe gezogen und demselben die weitere Führung der Verlagshandlung untersagt hat – Maßregeln ergriffen, deren korrektes Princip nur den Beifall der übrigen Regierungen hervorrufen kann.

Vorkehrungen einzelner deutscher Regierungen können aber, nach der Natur des deutschen Buchhandels, schlechterdings nicht zum Ziele führen, wenn sie nicht durch gleichförmige Maßregeln aller übrigen gemeinsam gemacht werden, weil, wenn irgendwo die schlechte Presse einen Schlupfwinkel fände, von dort aus, wie bisher, ganz Deutschland bedroht wäre.

Der Antrag des Kaiserlich-Königlichen Hofes ist daher dahin gerichtet: daß, bevor noch von Seiten des in der 26. Sitzung (§ 414) vom 29. Oktober laufenden Jahres zur Berichterstattung über die gesammten Erzeugnisse der jungen deutschen Literatur aufgeforderten Bundestags-Ausschusses dieser hohen Versammlung umfassende Vorschläge gemacht werden, welches sich bei dem Umfange des Geschäftes noch verzögern wird – hinsichtlich der notorisch bekannten Leiter und Vorsprecher dieser gefährlichen literarischen Schule, sofort von der Gesammtheit der Bundesglieder mindestens solche Maßregeln getroffen werden, welche demjenigen entsprechen, was bereits von Einzelnen geschehen ist.

In diesem Sinne dürften: 1. sämmtliche Bundesregierungen die Verpflichtung übernehmen, gegen die Verfasser, Verleger, Drucker und Verbreiter der Schriften aus der unter dem Namen des ›jungen Deutschlands‹ bekannten literarischen Schule, zu welcher namentlich Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Ludolf Wienbarg, Theodor Mundt und Heinrich Laube gehören, die Straf- und Polizei-Gesetze ihres Landes, sowie die hinsichtlich des Mißbrauchs der Presse bestehenden Vorschriften nach ihrer vollen Strenge in Anwendung zu bringen, auch die Verbreitung dieser Schriften, sei es durch den Buchhandel, durch Leihbibliotheken oder auf sonstige Weise, mit allen ihnen gesetzlich zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern;

2. wären die Buchhändler, hinsichtlich des Verlags und Vertriebs der oben genannten Schriften, in angemessener Weise zu verwarnen und ihnen gegenwärtig zu halten, wie sehr es in ihrem wohlverstandenen eigenen Interesse liege, die Maßregeln der Regierungen gegen die zerstörende Tendenz jener Schule auch ihrerseits, mit Rücksicht auf den von ihnen in Anspruch genommenen Schutz des Bundes, wirksam zu unterstützen;

3. wäre insbesondere der Hoffmann und Campe'schen Buchhandlung zu Hamburg, welche vorzugsweise Schriften obiger Art in Verlag und Vertrieb hat, durch die Regierung der freien Stadt Hamburg in Gemäßheit einer an die letztere, mittelst ihres hiesigen Gesandten, diesfalls zu richtenden Aufforderung, in dieser Beziehung die geeignete Verwarnung zugehen zu lassen.«

Nachdem, fahren die Bundestags-Protokolle dieser denkwürdigen Sitzung vom 10. Dezember in ihrem Berichte fort, die Bundesversammlung den Präsidialvortrag ausführlich erörtert und sich die darin entwickelten Ansichten und Anträge angeeignet hatte, erfolgte hierauf der Beschluß, welcher den Antrag Oesterreichs im vollen Umfange annahm.

So blieb der Triumph, das »alte Staatsgebäude« vom drohenden Einsturz gerettet zu haben, wieder einmal dem Fürsten Metternich, dessen Politik stets danach trachtete, durch Enthüllung solcher Gefahren den übrigen deutschen Regierungen seine Vormundschaft in ihrer Unentbehrlichkeit zu beweisen. Mit Recht konnte des Grafen Münch Antrag mit dem Hinweis beginnen, daß es der Initiative der Präsidialgesandtschaft zu danken sei, wenn jetzt schon ein gemeinsamer Beschluß gegen die Bestrebungen des literarischen jungen Deutschland gefaßt werden könnte. Wohl hatte am 29. Oktober (20. Sitzung) der erst seit Anfang August von Petersburg nach Frankfurt versetzte preußische Gesandte General von Schöler zuerst die Sprache auf einen der »schlechten« Autoren gebracht, indem er einem älteren Bundesbeschluß entsprechend die Anzeige machte, daß von Seiten des preußischen Polizeiministeriums die in Hamburg bei Hoffmann und Campe erschienene Schrift » Wanderungen durch den Thierkreis von Ludolf Wienbarg« durch Verfügung vom 28. September verboten worden sei, weil dieselbe Haß gegen Reiche, den geistlichen Stand und das Bestehende verbreite, aber mit dem Material seiner Regierung gegen die ganze »junge Literatur« hatte er noch hinter'm Berge gehalten. Graf Münch aber hatte diese Gelegenheit wahrgenommen, sich und seiner Regierung in dieser Sache die Initiative zu sichern. Und so ergriff er schon damals das Wort, um bei diesem Anlasse auf die Verbindung mehrerer Schriftsteller aufmerksam zu machen, welche sich unter der Benennung » Die junge Literatur« gebildet habe und deren Tendenz dahin gerichtet sei, durch Erschütterung aller bisherigen Begriffe über Christenthum, Obrigkeit, Eigenthum, Ehe u. s. w., in allen sozialen Verhältnissen eine heillose Anarchie zu verbreiten und eine allgemeine Umwälzung vorzubereiten. Er gäbe deshalb den Herren Gesandten anheim, diesen Gegenstand bei den höchsten und hohen Regierungen in Anregung zu bringen, damit in reife Berathung gezogen werden könne: ob und wie diesem Uebel durch gemeinsame Maßregeln entgegen zu wirken sei?

Mehr als ein Monat war nach dieser Aufforderung verlaufen, ehe die Angelegenheit wieder auf die Tagesordnung kam. Am 3. Dezember, eine Woche also vor der Eingangs skizzirten abschließenden Sitzung, meldeten sich dann die Gesandten von Preußen und Baden zum Wort. General von Schöler erklärte, daß die k. preußischen Zensurbehörden schon seit einiger Zeit auf eine Reihe von literarischen Erscheinungen aufmerksam worden seien, welche, für ein großes Publikum bestimmt, die verderblichsten Grundsätze verbreiteten. (In der That waren, abgesehen von früheren Verboten, bereits am 21. April Gutzkows Ausgabe von Schleiermachers vertrauten Briefen, am 1. Mai Mundts Madonna, am 24. September die »Wally«, am 28. September Wienbargs »Wanderungen durch den Thierkreis« in Preußen verboten worden.) Bei fortgesetzter Beobachtung habe sich leicht erkennen lassen, daß sie von einer durch Gemeinschaft der Geistesrichtung und der literarischen Bestrebungen verbundenen Schule von Schriftstellern ausgingen, die sich selbst als »Das junge Deutschland« oder »Die junge Literatur« bezeichnet. Die Verbindungen dieser Schriftsteller schienen sich über einen großen Theil von Deutschland zu verbreiten und leider ließe sich nicht leugnen, daß die von ihnen publizirten Schriften an vielen Orten Anklang gefunden hatten. Um so dringender wäre es gewesen, mit Ernst dieser Schriftstellerei entgegen zu treten, welche im Allgemeinen die Richtung der sogenannten französischen Philosophen des vorigen Jahrhunderts verfolge und den Mangel an wahrem Witz und an Neuheit der Gedanken durch eine oft sehr einnehmende Gewandtheit des Ausdrucks und durch eine alles ihr Vorangegangene überbietende freche Verhöhnung des Heiligsten zu ersetzen versteht. Einige neuerliche Produktionen dieser Schule, namentlich auch die Ankündigung einer neuen, von zwei Koryphäen derselben, Gutzkow und Wienbarg, herauszugebenden Zeitschrift: » Deutsche Revue«, hätten auf den Bericht des Ober-Zensur-Kollegiums das Königliche Ministerium des Innern und der Polizei veranlaßt, ohne Verzug ein Verbot gegen alle Schriften der bekanntesten Organe der vorgedachten Schule ergehen zu lassen. Dieses Verbot sei auf die literarischen Werke ausgedehnt worden, welche aus der jener Schule offenbar dienstbaren Löwenthal'schen Buchhandlung zu Mannheim hervorgehen.

Der bezügliche preußische Ministerialerlaß war bereits am 14. November ergangen und erstreckte sich auf 1. sämmtliche Verlags- und Kommissionsartikel der Löwenthal'schen Buchhandlung in Mannheim und 2. sämmtliche Drucksachen von a) Karl Gutzkow, b) Ludolf Wienbarg, c) Heinrich Laube, d) Theodor Mundt. Unter sämmtlichen Drucksachen wurden auch die in Zukunft erscheinenden verstanden. So bestätigt die offizielle »Leipziger Zeitung« vom 25. November, daß auch » die noch zu edirenden Werke zufolge Ministerialreskripts für Preußen verboten sind«. Heine wurde preußischerseits noch nicht zum »jungen Deutschland« gerechnet. Am 10. Dezember erfolgte noch die weitere Verfügung, welche alle öffentlichen Rezensionen und Beurtheilungen der verbotenen Schriften mit Ausnahme derer untersagte, die ohne Namensnennung und Bezeichnung der Titel die Richtung der betreffenden Schriftsteller in ihrer Schädlichkeit darlegen, vorausgesetzt, daß dies ohne Abdruck einzelner Stellen geschieht. – Sogar die Namen der Geächteten sollten im Bereich der Literatur völlig vernichtet werden.

Der Vertreter Badens in der Sitzung vom 3. Dezember, Herr von Gruben, hatte gleichfalls von bereits vollzogenen Maßregeln vertrauliche Anzeige zu machen. Da die »Wally« in Mannheim erschienen, Mannheim seit 1803 zu Baden gehörte, fiel die Verfolgung des Buchs, seines Autors und Verlegers vor allem in den Pflichtbereich der großherzoglichen Regierung. Wir werden später sehen, daß eine direkte Aufforderung des Königs von Preußen an den Großherzog den Pflichteifer noch beschleunigte und den liberalen »Bürgerminister« Winter zu energischen Schritten drängte. Durch Reskript des Großh. Ministeriums des Innern vom 20. Oktober war am 27. Oktober die gerichtliche Verfolgung von Gutzkow und Löwenthal beim Stadtamt in Mannheim verfügt worden. Die Untersuchung hatte am 16. November begonnen. In dem Ministerialreskript Winters war ferner verfügt, daß die Buchhandlung des Dr. Löwenthal an der Weiterführung verhindert werde. Am 13. November wurde dann der Roman »Wally« durch die Mannheimer Kreisregierung mit Beschlag belegt. Weitaus der größte Theil der übrigens kleinen Auflage war bereits abgesetzt, es fanden sich bei Löwenthal überhaupt nur noch wenige Exemplare vor. Das Menzel'sche Feuerjo! hatte nicht nur allarmirt, sondern auch als Reklame gewirkt.

Ueber diese Schritte seiner Regierung machte Herr von Gruben der Bundesversammlung entsprechend Mittheilungen. Die Beschlagnahme der »Wally« war vom Amtsgerichte bestätigt und der Prozeß wegen Blasphemie gegen den Verfasser eröffnet. Da Löwenthal überhaupt noch gar nicht im Besitz der nachgesuchten Konzession zum Betrieb einer Buchhandlung war, so brauchte sie ihm auch nicht erst entzogen zu werden. Die Herausgabe des »in religiöser und sittlicher Hinsicht so gefährlichen Romans« war eine unbefugte und schon darum war er zur Verantwortung gezogen und die weitere Führung der Verlagshandlung untersagt worden. Den Inhalt einer Ministerialverfügung vom 24. November an die Kreisdirektoren theilte der Gesandte dann wörtlich mit. Er legte ihnen die Pflicht auf, alle ihnen untergebenen Polizeibehörden zur Ueberwachung und Verfolgung aller Aeußerungen, die von dem Schriftsteller-Verein »Junge Literatur« ausgehen, anzuweisen, im besondern auch die im Regierungsbezirke bestehenden Buchhandlungen vor Uebernahme der von jenen Autoren ausgehenden Schriften zu verwarnen. Die Verfügung verwies dabei auf die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften. So rigoros, wie das preußische Vorgehen, war das badische demnach nicht. Für uns von besonderem Interesse ist, daß der Erlaß sich im vollen Umfange die Charakteristik der »Jungen Literatur« angeeignet hatte, welche der Präsidialgesandte Graf Münch in jener ersten Erwähnung am 29. Oktober vom Treiben derselben entworfen. Auch hier hieß es: »Es hat sich unter dem Namen ›Junge Literatur‹ ein Verein mehrerer Schriftsteller gebildet, deren Absicht dahin zu gehen scheint, durch Erschütterung aller bisherigen Begriffe über Christenthum, Obrigkeit, Eigenthum, Ehe &c. in allen sozialen Verhältnissen eine Anarchie zu verbreiten und eine allgemeine Umwälzung vorzubereiten. An der Spitze dieses Autorenvereins stehen Ludolf Wienbarg und Dr. Gutzkow; auch Börne und Heine sollen Mitarbeiter desselben sein.« Ich sagte, daß diese Zweckbestimmung identisch mit der früher vom Grafen Münch gegebenen sei. Ich muß hinzusetzen: bis auf ein Wort. Graf Münch sagte: es ist die Absicht; die badische Regierung nur: es scheint die Absicht zu sein. In diesem »scheint« lag das Zugeständniß, daß die so schwere Anklage noch nicht erwiesen sei. Es lag der Verfügung nicht die eigene Ueberzeugung, kein eigenes Urtheil zu Grunde; man übernahm die Anklage, wie sie der Vertreter Oesterreichs gefaßt, als eigene, lehnte die Verantwortung für ihre Richtigkeit aber ab.

Wie war aber Graf Münch zu der ungeheuerlichen Anklage gegen die jungen Schriftsteller gekommen, die sie zu Anarchisten im sozialrevolutionären Sinne stempelte? Woher dies bei allen »höchsten und hohen Regierungen« Angst und Entsetzen weckende Schlagwort, das eine politische Aktion großen Stils gegen vier hochbegabte deutsche Geister ermöglichte, deren literarische Bestrebungen seit dem Hambacher Fest sich mehr und mehr auf die Gebiete jener Interessen beschränkt hatten, die von jeher die eigentlichste Domäne der poetischen Literatur gewesen sind?

Wolfgang Menzel hatte es in seinem Vernichtungskampf gegen Gutzkow und Wienbarg, gegen das Projekt der »Deutschen Revue«, in welchem persönliche Rachsucht, gewaltthätiges Diktatorenthum und ein gerechtfertigter Selbsterhaltungstrieb zu der schmählichen Waffe der Verleumdung griff, den Hütern der »Ruhe in Europa«, den Stützen der europäischen Gesellschaft zugeworfen; das ganze Schreckbild war in Menzels gespenstersüchtigen Phantasie erstanden und hatte durch sein Literaturblatt die weite Verbreitung gefunden, die es – nicht um seiner selbst willen – sondern als Beilage des »Morgenblatts«, des besteingeführten Familienblatts jener Tage, genoß.

Obgleich sämmtliche Betroffene wiederholt aufs Bestimmteste erklärt haben, daß Menzels Angriffe es gewesen seien, die den Bundestag zu seinem unerhörten Vorgehen Veranlassung und Vorwand geboten, obgleich der Präsidialantrag des Grafen Münch selbst seine Motivirung mit dem Hinweis schloß, daß bereits die » laute Indignation aller Besseren« von den Regierungen auf kräftigste Abhülfe gedrungen habe und »der Unwille, den das Hervortreten dieser Literatur erzeugt, als befriedigender Gefühlsmesser der öffentlichen Meinung eine doppelte Aufforderung an die Regierungen sei«, trotz alledem behauptet H. von Treitschke in seiner »Deutschen Geschichte«, daß nur die Bosheit von Menzels Feinden ihn mit dem Makel des Denunziantenthums belastet habe. Ohne Widersprüche geht es bei ihm freilich auch hier nicht ab. Rühmt er auf der einen Seite den »ehrenwerthen Muth« Menzels, der durch seine Vertheidigung des Christenthums die Sympathie der Mehrzahl seiner Gegner aufs Spiel gesetzt habe, so erklärt er auf der anderen Seite die auch von ihm nicht wegzuleugnende Thatsache, daß seine Kritik die Beachtung der Höfe gefunden und das Einschreiten des Bundestags beschleunigt habe damit, daß sein Literaturblatt »wegen seiner hochkirchlichen Richtung in den konservativen Kreisen viel gelesen wurde«. Thatsächlich hat aber erst von jener Zeit an das Literaturblatt, dessen Hauptmitarbeiter bis vor kurzem Gutzkow und Börne doch waren, seine hochkirchliche Richtung eingeschlagen, und zwar im Einklange mit dem erneuten Aufschwunge des Pietismus in Schwaben, der um die Mitte dieses Jahrzehnts statthatte und auch mehrere der liberalen Parteiführer ergriff. »Menzel,« sagt Treitschke weiter, »hatte lediglich seine Pflicht als Kritiker gethan und nur mit den ehrlichen Waffen literarischer Polemik gefochten.« »Börne verdrehte ihm das Wort im Munde und schrieb das Büchlein ›Menzel, der Franzosenfresser‹, obgleich Menzel die Franzosen durchaus nicht angegriffen …« Das Privatleben seiner Gegner zu verdächtigen und zu beschmutzen in so unerhörter Weise, wie es Menzel gethan (selbst Hutten hatte so schmähliche Angriffe in seiner beim literarischen Kampfe so maßlosen Zeit nicht zu erleben), ist in H. von Treitschke's Augen also eine ehrliche Waffe. Und wenn Menzel in seiner »Wally«-Kritik des Wortes »Französisch« sich bediente, als sei es gleichbedeutend mit sittenschänderisch, wenn er den Roman als »potenzirte Nachahmung der neufranzösischen Frechheit« bezeichnet, wenn er von der »französischen Affenschande« spricht, welche Voltaire zum Führer habe, so sind dies für Herrn von Treitschke demnach Komplimente für die Franzosen.

Auch Richard Fester in der schon angezogenen lesenswerthen Schrift »Eine vergessene Geschichtsphilosophie« (Hamburg 1890) hat Menzel vor dem Vorwurf zu rechtfertigen gesucht, den Heine in dem Titelwort seines Anti-Menzel zusammenfaßte: »Der Denunziant«. Nicht an die Gerichte, sondern an die ganze Nation habe sich Menzel gewandt mit der Aufforderung, die Tendenzen des jungen Deutschland als undeutsch zu verdammen. Daß sich die Anklage bis heute in allen Literaturgeschichten erhalten habe, sei nur dadurch zu erklären, »daß kein einziger Literaturhistoriker die Menzel'sche Kritik selbst zur Hand genommen hat.« Da sei es wahrlich hohe Zeit, daß das Andenken eines zwar beschränkten, aber doch charaktervollen Mannes endlich von unverdienter Schmach gereinigt werde. – Da uns jedes durch Lüge entstandene Unrecht empört, würden wir gern auch Menzel von unverdienter Schmach reinigen, wie wir uns auch bemüht haben, in dem Bild seines Werdens keine seiner Lichtseiten durch übertriebene Schatten beeinträchtigen zu lassen. Wir haben auch jetzt wieder alles, was für die Maßlosigkeit seines Handelns als mildernder Grund gelten kann, namhaft gemacht. Das ist aber auch alles, was in dem Prozeß, den wir hier Namens der Gerechtigkeit und der Geschichte durchzuführen haben, zu seinen Gunsten spricht: ja er hat an Gutzkow, Wienbarg und den mit diesen in näherer Verbindung stehenden Schriftstellern als Denunziant gehandelt. Er hat den Beruf des Kritikers und das ihm anvertraute kritische Organ mißbraucht, um persönliche Gegner und Berufs-Rivalen mit allen Mitteln übler Nachrede zu vernichten, er hat sie mißbraucht in Ausdrücken und Wendungen, die unter den damals herrschenden, ihm gar wohl bekannten Zeitverhältnissen einen Staatsprozeß auf die Häupter seiner Feinde lenken mußten.

In der »Wally«-Kritik vom 11. und 14. September stehen in der That schon Sätze, die kaum anders genannt werden können als »denunziatorisch«. Menzel hat später selbst, als Vertheidiger seines Freundes Professor Leo, eine Definition dieses Wortes gegeben. »Ein Denunziant ist, wer das, was ihm heimlich anvertraut worden, treulos verräth, oder unschuldige Reden und Handlungen verdächtigt.« Gut. Die Insinuation, daß die Unsittlichkeit der Gedanken in »Wally« eine Frucht der Unsittlichkeit des Lebenswandels ihres Autors sei, welche Menzel mit dem Hinweis, daß er dies Leben aus eigener Beobachtung kenne, verstärkt, fällt ebenso in den Rahmen dieser Begriffsbestimmung, wie all die Verdächtigungen, die Gutzkow Behauptungen und Ansichten zuschrieben, von denen kein Wort in der »Wally« oder in sonst einer Schrift von ihm stand. Lesen wir weiter: »Nachdem sich diese Versuche (für Irreligiosität und freche Sinnenlust Propaganda zu machen) wiederholt haben, nachdem dieses ›junge Deutschland‹ es gar kein Hehl mehr hat, daß es mit dem Kapital der Verruchtheit anfangen wolle, mit dem das alte, durch alle Schulen der Unsittlichkeit gegangene Frankreich aufgehört hat, ist es Zeit, ihm nicht die mindeste Schonung mehr angedeihen zu lassen, sondern es bis zur Vernichtung zu bekämpfen.« … »Wenn man eine solche Schule der frechsten Unsittlichkeit und raffinirtesten Lüge in Deutschland auskommen lassen wollte, wenn sich alle Edeln der Nation nicht dagegen erklärten, wenn sich deutsche Verleger nicht vorsähen, solches Gift dem Publikum feil zu bieten und anzupreisen, so würden wir bald schöne Früchte erleben. Aber diese Schule wird nicht aufkommen.« Ist das keine Denunziation? Aber zugegeben, es sei keine, blieb es etwa bei diesem ersten Angriff? Hat nicht Menzel in blinder Vernichtungswuth dieser ersten eine zweite, eine dritte »Abfertigung« (18. September Nr. 99 und 19. Oktober Nr. 107) folgen lassen, die das Thema »Greiseskälte im verbrannten Gehirn, französisches Gift in allen Adern« zur Schmach seiner Gegner stets aufs neue variirten? Hat er nicht aus seinem Literaturblatt bis zum 22. Oktober ein fortlaufendes Pamphlet gegen die Herausgeber der angekündigten Deutschen Revue gemacht und dann die bisher ignorirten Bücher »Rahel«, »Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde« und »Charlotte Stieglitz«, dann Wienbargs »Aesthetische Feldzüge« unter der Aufschrift »Unmoralische Literatur« dazu benutzt, immer aufs neue gegen die junge Literatur, das junge Deutschland zu hetzen? Sei die wiederholte Behauptung, daß diese »Unsittlichkeitspropaganda nichts geringeres bezwecke, als die Abschaffung der Ehe und die Einführung der Weibergemeinschaft«, sei der Appell an die Geistlichkeit »Ich bedaure die zahllose Geistlichkeit in Deutschland, die mir solche Lorbeeren überläßt«, keine Denunziation! Als er aber im letzten Angriff dazu überging, das junge Deutschland ausdrücklich als National- und Volksgefahr politischer Art zu bezeichnen, und als drohende Folge dieser Literatur das Gespenst des » Anarchismus« den Lesern vorführte, da war der unausbleibliche Effekt, daß die Regierungen, deren Hauptgeschäft seit drei Jahren ja ohnehin die Unterdrückung der Freiheit war, dieser »lauten Indignation« zu Hülfe kamen, um die von Menzel gekennzeichneten Aufruhrstifter ein- für allemal mundtodt zu machen. Jetzt war die Denunziation auch in der Wirkung vollendet.

In diesem letzten Angriff faßte er seine Anklagen gegen Gutzkow und Genossen noch einmal zusammen: Der unerlaubteste Frevel gegen alles Heilige sei ihr Thun und Planen. »Unkundige mögen hieraus den Schluß ziehen, was ferner geschehen würde, wenn man diese Schule sich ausbreiten ließe.« »Sie beabsichtigt, sich zunächst als eine kritische Macht zu konstituiren und die gesammte deutsche Literatur von ihrer angekündigten Revue aus zu beherrschen … Ueber dem neuen literarischen Schöppenstuhl, den sie in Frankfurt errichten wollen, thront statt der Gerechtigkeit die Venus vulgivaga … Sie propagiren ein deutsches Frankreich … Unter der Maske des Weltbürgerthums verhöhnen sie Alles, was in unserer, an Vaterlandsliebe ohnehin nicht reichen Zeit noch an der deutschen Nationalität hängt.« … »Das wird den Franzosen trefflich zu Statten kommen, wenn solche Gesinnungen am Rhein Wurzel fassen sollten, und wir dürfen wohl der Stadt Frankfurt ein Kompliment machen, daß sie gleichsam als die Wiege Deutschlands auserlesen worden, diesen französischen Wechselbalg großzuziehen.« Damit war die Stadt Frankfurt an ihre »Pflicht« erinnert. Und nun kam der Haupttrumpf. Heute handle es sich noch um den Unfug einiger »aristokratischer Wildfänge« der Literatur, »morgen vielleicht habt ihr es mit der Volkshefe zu thun, in welcher die Gemeinheit, die von oben kommt, einen fruchtbaren Schlamm findet.« Die Nachahmung des Pöbels werde rauherer Natur sein, wenn dieser Geist in die » anarchistischen Elemente der untersten Gesellschaft« übergehe. Er warnt davor, ehe es zu spät ist, sich über die Nachlässigkeit zu beklagen, mit der man den Pöbel der höheren Bildung gewähren ließ. Denn auf wen seien sie berechnet, »wem schmeicheln diese Lehren, als der Bestialität und Raublust, die in den Höhlen der Verworfenheit, im Schmutz und Branntwein der großen Haupt- und Fabrikstädte noch schlummern, aber leicht zu wecken sind.«

Und aus wen, fragen wir dagegen, war dieser Appell berechnet? Etwa nur auf die harmlose Leserschaar, damit sie sich baß drob entsetze? Nein – das war ein direkter Appell an die Staatsgewalt, an dieselbe Staatsgewalt, gegen die Menzel noch wenige Jahre zuvor als Sprecher für Preßfreiheit stolze Worte im Munde geführt! … Es mag sein, daß er ein Vorgehen derselben in dem Umfange, wie es nun erfolgte, nicht erwartet hat. Ein Verbot der »Deutschen Revue«, eine Vernichtung der literarischen Laufbahn seiner Gegner hat er ganz sicher bezweckt und auch zunächst erreicht, erreicht mit dem Einsatz seiner literarischen Ehre.

Jetzt hatten Metternich, Wittgenstein und ihre Verbündeten das Schlagwort, mit dem sie wie bereits die Presse, nun auch die schöne Literatur fortschrittlichen Geistes treffen konnten, welche in den süd- und westdeutschen Verfassungsstaaten immer mehr überhand genommen, je mehr man die Presse geknebelt hatte. Jetzt hatte ein liberaler Journalist und Parlamentarier des Südens, der von Geburt demselben Staate angehörte wie Gutzkow, Laube, Mundt, ihnen das Bannwort zugespielt, dem gegenüber auch die Opposition im Bundestag verstummen mußte, ein Liberaler hatte es den Regierungen geradezu zur Pflicht gemacht, mit Ausnahmegesetzen gegen die liberale Literatur in Buchform vorzugehen. Bisher war auf diesem Gebiet keine Einheit, kein Gesammtverfahren möglich gewesen, jetzt hatte man diese Möglichkeit, und indem man auch andere lästige Bücherschreiber in die Kategorie des jungen Deutschlands schlug, konnte man mit diesem Anfang schon eine gehörige Bresche legen in diese nichtsnutzige, immer frecher und drohender auftretende Literatur, deren Verfasser kein anderes Mandat zum Schriftstellern hatten als ihr schnödes Talent und ihre verruchte liberale Gesinnung.

Nun folgten sich die Maßregeln Schlag auf Schlag. Am 29. Oktober der Antrag des Präsidiums zum gemeinsamen Vorgehen des Bundestags, am 14. November das Imvorausverbot der »Deutschen Revue« und aller Schriften der Autoren des jungen Deutschland, am 18 November Konfiskation der »Wally« beim Verleger, am 16. November Beginn der Untersuchung gegen Gutzkow und Löwenthal in Mannheim, am 18. November bekommt Löwenthal seine Konzession entzogen, womit die vorbereitete erste Nummer der »Deutschen Revue« wie das ganze Blatt zu erscheinen verhindert ward, am 23. November wird Gutzkow in Frankfurt auf dem Polizeiamt die Vorladung übergeben, am 24. November beschließt der Rath der Freien Stadt Frankfurt das Verbot der Wally und die Ausweisung der Doktoren Gutzkow, Wienbarg und Kottenkamp, an demselben Tag erläßt die badische Regierung die allgemeine Beifügung gegen das junge Deutschland, am 30. November wird Gutzkow, der zum Verhöre nach Mannheim kommt, dort verhaftet, am 3. Dezember große Sitzung des Bundestags mit den Berichten des preußischen und badischen Gesandten, am 10. Dezember die andere, welche zu dem Beschluß gemeinsamen Vorgehens gegen Heine, Gutzkow, Laube, Mundt und Wienbarg führt.

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Obgleich wenige Schritte vom Bundespalais wohnend, hatten Gutzkow und Wienbarg eine Zeit lang keine Ahnung, welches Unheil sich für sie in den Schreibstuben der Bundestagsgesandtschaften zusammenballte. – Wienbarg stellte, mit dem Gefühl eines Siegers über Menzel, einen Band seiner jüngsten Aufsätze »Zur neuesten Literatur« zusammen und hielt gleich nach Gutzkow in der Museumsgesellschaft einen mit Beifall aufgenommenen Vortrag. Aber als das Unwetter zum Ausbruch kam, warf er die Flinte ins Korn. Anders Gutzkow. An demselben Tage, wo durch das Vorgehen der Karlsruher Regierung die Auflösung der Löwenthal'schen Verlagshandlung und durch Preußen das Verbot der Deutschen Revue feststand, war er sofort unterwegs, um in Frankfurt einen Verleger zu suchen, der den Verlag des Blattes unter verändertem Titel übernehme. Er fand einen solchen in Franz Varrentrapp und schon am nächsten Tag erschien ein Inserat im Frankfurter Journal des Inhalts, daß vom 1. Dezember an bei diesem erscheinen werde: » Deutsche Blätter für Leben, Kunst und Wissenschaft. Redigirt von Dr. Karl Gutzkow.« Die Anzeige sagte weiter: »Um die Insinuation einer Parteiung zu zerstreuen, erscheinen die Deutschen Blätter von einem Einzelnen. Eine Meinung wird sich geltend zu machen suchen, welche sich daran gewohnt hat, die Herzschläge der Zeitgenossen zu zählen, und überall zu sein, wo eine neue Erscheinung des Jahrhunderts aus ihrer Knospenhülle hervorbricht, eine Meinung, welche mit Lessing in dem Streben nach Wahrheit die Wahrheit selber findet. Alles, was die Gegenwart bringt, soll in den Deutschen Blättern an Vergangenheit und Zukunft geknüpft werden … Sie werden Alles bringen, was in der durch mannigfache Hindernisse zu erscheinen verhinderten Deutschen Revue von dem Einen der Herausgeber zu erwarten stand.« In einem Bündel libri prohibiti der Frankfurter Stadtbibliothek habe ich ein Exemplar der sogleich unterdrückten ersten Bogen dieser »Deutschen Blätter« gefunden. Sie enthalten zwei Aufsätze: »Der Traum des Saturn« und »Gegen Menzel«. Der erstere führte gegen Hegels System gerichtete geschichtsphilosophische Gedanken aus, welche Gutzkow dann im Gefängniß als »Philosophie der That und des Ereignisses« in ein System zu bringen suchte. Das zweite rekapitulirte die Hauptsätze seines literatur-reformatorischen Wirkens: den Protest gegen eine Literatur, die nur dem Tage und der Masse dient, die das Geistesleben in Journalartikel auflöst, die nichts bietet als das Spiegelbild der Alltäglichkeit. »Es ist unmöglich: man kann die Musen nicht bei den Bürgern verdingen und den Pegasus zur Vermittelung unsres täglichen Brods in den Pflug des Bauern spannen. Es giebt nur zwei Endziele, für welche sich das Genie begeistert, die That und die Kunst.« Wer zu Thaten berufen sei, sehe sich in der gegenwärtigen Zeit Weg und Steg versperrt. Es bleibe für die Wirksamkeit nur das Reich der Ideen. »Wir gehören der Welt und der Nation an; wir müssen etwas thun, was Ersatz ist für das, was wir thun könnten.« Er kommt auf die Poesie zu sprechen und weist nach, wie man in den verschiedenen Zeitaltern immer etwas anderes unter Poesie verstanden habe. »Was ist Poesie? Homer wußte es, aber die Homeriden waren schon im Zweifel. Aeschylos wußte es, Euripides tastete. Dante und Boccaccio wußten es: Sacchetti fand sich nicht zurecht. Shakespeare wußte es: Ben Jonson glaubte es besser zu wissen. Die Personen waren nicht immer Schuld an der Unklarheit über das, was Poesie ist, oft die Zeiten, immer aber der große Name der Vorgänger. Ein Ruhm, der Alles zu erfüllen schien, was in geistiger Hinsicht einer Nation gegenüber geleistet werden kann, war Goethe. Nach solchen in sich vollendeten Offenbarungen kann eine Zeit lang der Begriff der Poesie abhanden kommen. Ihn wieder aufzufinden, wird dann eine Aufgabe, die sich ohne Mißgriffe, ohne vergebliche Versuche, ohne Annäherungen, die nur ungefähr bleiben, bis man das Rechte trifft, nicht lösen läßt.« Nun kommt er erst auf die Kritik und auf Menzel. Er hat hier die mildeste, sachlichste und treffendste Auffassung für die Unthaten des letzteren zum Ausdruck gebracht: »Die Kritik, welche nur historische und politische Maßstäbe für das Reich des Gedankens und des Ideals hat, die in einem Athem über Goethe und eine Ständeversammlung spricht, hat kein Recht … Einer solchen von Gott und der Schönheit verlassenen Kritik bleibt in ihrer letzten Verzweiflung nichts mehr übrig, als Staatsmänner und Prediger wahrhaft um Succurs zu bitten.«

An den Grad der Wirkung, die Menzels Anklagen bei diesen letztern inzwischen fand, konnte Gutzkow jetzt noch um so weniger denken, als ihre Uebertriebenheit ihm unbedingt lächerlich erscheinen mußte. War doch eine Hauptanklage des Stuttgarter Blitzeschwingers, daß er die Ehe abzuschaffen trachte und Weibergemeinschaft nach dem Muster der Wiedertäufer einführen wolle, und diese Verleumdungen trafen in ihrem Ziel – einen glücklich Verlobten! Seine ganze Freigeisterei in Fragen der Liebe hatte, wie wir sahen, ihre Quelle in den persönlichen Erfahrungen gehabt, daß da, wo sein Herz um Neigung warb, der Mangel an Verständniß seines geistigen Wesens das ersehnte Glück vernichtet hatte. Erst Bigotterie, dann die Furcht vor Zweifelfragen, dann der Indifferentismus in religiösen Dingen hatte wiederholt angeknüpfte Herzensbande zerrissen. Leidenschaft und Verzweiflung, erzeugt durch diese Erfahrungen, hatten seinem Wirken eine besonders scharfe antikirchliche Spitze gegeben. Und nun, als die Folgen dieser übereilten Worte das Gewitter über ihn zusammenzogen, fand er den Gruß der Liebe, die er ersehnte, naive Gläubigkeit, die dem Geliebten – aus Liebe – auch in Glaubens- und Zweifelssachen nur ein edles Wollen zutraut, in den Augen eines Mädchens, dessen anmuthiges Wesen sein Interesse sofort geweckt hatte, als er es zum ersten Male auf der Treppe des Hauses begegnete, das er selbst bewohnte. Amalie Klönne, die Pflegetochter seines Hausherrn, des schwedischen Generalkonsuls v. Freinsheim, war jetzt seine Braut, als ihn nach Menzels Vorgang auch die Frankfurter Journale nicht nur einen Gottesleugner, sondern auch einen Verlästrer der Ehe nannten. Selten ist es freilich einem Dichter so schwer gemacht worden, als Bräutigam glücklich zu sein und mit der Geliebten das Glück eines eigenen Herdes zu gründen. So glücklich war er aber jetzt doch, um noch an die Ausführbarkeit seiner Pläne zu glauben, als ihre Luftgebäude krachend zusammenstürzten, um noch dem Unheil Widerstand zu leisten, als Wienbarg und Löwenthal bereits die Flinte ins Korn geworfen. So bereitete er die Deutschen Blätter vor; doch auch sie wurden noch vor Erscheinen der ersten Nummer von Senat und Rath der Freien Stadt Frankfurt unterdrückt.

Die Zuversicht verließ ihn auch nicht, als die Vorladung auf das Frankfurter Polizeiamt und die dortigen Eröffnungen ihm kund thaten, daß in Mannheim wegen der »Wally« ein Strafverfahren eingeleitet sei. In den »Lebensbildern« (Stuttgart 1871) ist uns später von ihm erzählt worden, wie sich die Ausweisung in die Heimath und die Aufforderung, sich in Mannheim den Gerichten zu stellen, gegen Ende jenes trüben Novembers damals kreuzten. Als aufgeregte Freunde in sein Zimmer stürzten und ihm rieten, dem Beispiele Börne's und Heine's zu folgen und nach Frankreich zu fliehen, beharrte er dabei, auch diesem Sturme die Stirn zu bieten. Baden hatte ja seit einigen Jahren ein liberales, zwar durch die Beschlüsse des Bundestags ziemlich beschnittenes, doch immerhin noch nicht ganz vernichtetes Preßgesetz. Der Minister des Großherzogs Leopold, in seiner Angelegenheit die oberste Instanz, war doch der als »Vater Winter« im Volksmunde lebende bürgerfreundliche Staatsmann, der als Hort des Liberalismus überall in deutschen Landen gerühmt ward. Direkt zu diesem nach Karlsruhe zu gehen und vor ihm seine Sache zu führen, erschien dem erregten Inkulpaten das Beste. Er hatte nur übersehen, daß seit dem Hambacher Fest und den daran geknüpften Nachweis Metternichs, daß die süddeutschen Verfassungsstaaten durch ihre liberalen Staatseinrichtungen ein Herd der Revolution geworden seien, der österreichische und vor allem der preußische Einfluß in diesem Lande mächtiger waren als der biedere Bürgerminister Winter selbst. Am Bundestag war Blittersdorfs Vertreter, Herr von Gruben, ganz unterthan den Metternich'schen Geboten; in Karlsruhe wachte Baron Otterstedt, der preußische Gesandte, über die Konformität von Badens innerer Haltung mit der inneren Politik des preußischen Hofs.

Das Bild, das Gutzkow mit dichterischer Anschaulichkeit von seiner Audienz bei Winter entworfen, ist werth, hier eingegliedert zu werden. »Vater Winter« empfing ihn als ein echter Bürgermeister im Schlafrock mit der dampfenden Pfeife im Mund. … In dem engen düsteren Zimmer glaubte man das Studirzimmer eines Gelehrten anzutreffen. »So etwa konnte Vater Hebel, der alemannische Sänger, in Karlsruhe gewohnt haben … Der Herr ›Statthalter von Schopfheim‹ stand vor mir, freili ein gstudirter und ein bisle gscheiter als der andre. Auch net so feist und behaglich. Die Bürger-Excellenz war eine mittlere, gedrungene, magere Gestalt. Rauchend und gelassen hörte sie mein Gesuch und ging dann in dem engen Raume auf und ab, erklärend, den ganzen Anlaß, der mich zu ihm geführt, in seinen Einzelheiten nur obenhin zu kennen. Auf einen provisorischen Chef der Justiz verweisend, sprach er sich, verdrießlich genug, durch die Tabakswolken hindurch dahin aus: ›Ich kenne noch nicht einmal das Buch selbst und gestehe Ihnen, daß wir nur deshalb mit einer Beschlagnahme vorgegangen sind, weil eine Rezension im Stuttgarter ›Morgenblatt‹ uns darauf aufmerksam machte. Die Sprache in dem Blatt ist so maßlos heftig, der Rezensent ruft ausdrücklich alle Regierungen auf, einem hereinbrechenden Verderben zu steuern, daß wir deshalb in Mannheim haben reklamiren müssen. Nun erlaubt aber die Verfassung keine Beschlagnahme, wenn nicht ein gerichtliches Verfahren damit verbunden ist. Gehen Sie übrigens getrost nach Mannheim. Ich glaube nicht, daß man Ihnen schon eine Untersuchungshaft verhängen wird!‹ Nichtsdestoweniger wurde ich, kaum in Mannheim angelangt, hinter Schloß und Riegel gesetzt.« Fester hat die Richtigkeit dieser Reminiscenz in Bezug auf das über das Morgenblatt Gesagte anzweifeln zu müssen geglaubt, weil das Reskript des Ministers an die Kreisregierungen nicht auf das Morgenblatt, sondern das Frankfurter Journal verwiesen habe, in dessen Nr. 288 vom 18. Oktober ein Artikel über die Staatsgefährlichkeit der Wally stehe. Das ist aber gar kein Einwurf. Der von uns nachgelesene Artikel im Frankfurter Journal war eben eine Zusammenstellung der Hauptanklagen aus den »Abfertigungen« Menzels, aus dem subjektiv-erregten Tohuwabohu des letzteren ein knapp und sachlich, gemeinverständlicher Auszug, sichtlich offiziösen Ursprungs und eigens zu dem Zweck zurecht gemacht, um die Anklage Menzels niedriger zu hängen. In den Aemtern in Mannheim ward nicht das Menzel'sche Literaturblatt, wohl aber das Frankfurter Journal gehalten. In offenem Widerspruch zu der von Gutzkow überlieferten Angabe Winters steht dagegen eine Mittheilung Mundts an Kühne, geschrieben in Berlin mitten aus der Erregung, welche das Vorgehen der preußischen Regierung und des Bundestags in der Welt, der er als Universitätsdozent angehörte, hervorrief. Da heißt es: »Für Gutzkow ist die Sache deshalb so schlimm, weil der König selbst die ›Wally‹ gelesen und eigenhändig an den Großherzog von Baden geschrieben hat, dagegen einzuschreiten.« Warum sollte aber Friedrich Wilhelm III., von seinem kirchlich-fanatischen General-Adjutanten General Thiele, von Kabinetsministern wie Nagler berathen, nicht in jenem Briefe auf Menzels Kritik hingewiesen haben, auf Menzel, dem in dem Kampforgan der Berliner Hoforthodoxie, der Evangelischen Kirchenzeitung, das Lob ertheilt worden war, daß »er mit großem Muth und großer Macht inzwischen die Schandglocke geläutet habe über den Dr. Gutzkow und seine Genossen«. Von diesem Brief des Königs hatte freilich der badische Minister dem »Inculpaten« gewiß nichts zu sagen: das war Staatsgeheimniß.

Wie aber kam Friedrich Wilhelm III., altersschwach und geistesstumpf, der Beschäftigung mit der schönen Literatur stets abgeneigt, zu diesem persönlichen Vorgehen gegen den Verfasser der »Wally«, zu diesem persönlichen Zorn über sein Buch? Gerade diese »Wally« war von den eigentlichen Leitern der damaligen Reaktion in Preußen, die vom politischen Gebiete jetzt auf das kirchliche und das geistige Leben siegreich übergriff, als ein hochwillkommenes Beispiel erkannt worden, um dem König die letzten Konsequenzen klar zu machen seines bisherigen Gewährenlassens einer gottverlassenen Lehrfreiheit gegenüber, wie sie sich unter Hegels Aegide auf seinen Hochschulen eingenistet. Hegel hatte zwar sein im ursprünglichen Wesen geistesrevolutionäres System, dessen Prinzip die Entwickelung war, in Einklang zu bringen gewußt mit dem Stabilitätsprinzip des Absolutismus, aber die Freiheit der Lehre und des Forschens, zu deren Hort die Berliner Universität bei ihrer Gründung berufen worden war, hatte er stets geschützt mit seinem mächtigen Schild und der Geist seiner Philosophie hatte auch in der theologischen Fakultät für eine Weile die Führung übernommen und das logische Denken zur Revisionsinstanz erhoben für den überlieferten Glauben. Nach Hegels Tod hatte der weltgewandte Glaubensfanatiker, Hengstenberg, ein Günstling des Königs und des Generals Thiele, begonnen, dessen Machtstellung an sich zu reißen, als Organ des Kampfes die von ihm 1827 gegründete » Evangelische Kirchenzeitung« benutzend, mit der er schon bei Hegels Lebzeiten die Zwiedeutigkeit seines Systems und die Vernunftgläubigkeit seiner Anhänger unter den Theologen, wie sein Kollege Marheineke einer war, mit vielfachem Erfolge bekämpft. Diesen jetzt den Garaus zu machen und das Hegelthum auch aus der von ihm ganz infizirten philosophischen Fakultät zu verdrängen, war jetzt seine Aufgabe. Der kirchlichen Restauration auf allen Gebieten der Wissenschaft und des Lebens zum Sieg zu verhelfen, eine Herzensangelegenheit des greisen Monarchen, in der sich zugleich sein geistiges Interesse erschöpfte, war die Tendenz dieser Zeitung, die darum in offener Fehde lag mit den »Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik«, deren Redakteure jetzt Ed. Gans, der Jurist, und Varnhagen von Ense waren. Sein eigenes System bezweckte, wie Professor Holtzmann treffend gesagt hat, nichts Geringeres als die Umbildung der gesammten modernen Welt- und Lebensanschauung nach der Normaldogmatik des 17. Jahrhunderts. »Er wurde damit,« sagt dieser licht-freundliche Theolog über Hengstenberg weiter, »der Begründer jener neupreußischen Orthodoxie, die auch in H. Leo, Stahl und Gerlach gewandte Vertreter auf dem weltlichen Gebiet, in das sie überhaupt gern überschweift, gefunden hat und vielfach direkt an das byzantinische Hoftheologen- und Staatskirchenthum erinnert.« Als Heine, Mundt, Gutzkow, Wienbarg, von denen die drei ersten direkte Schüler Hegels, fast gleichzeitig ihre politische Opposition auf das kirchliche Gebiet und das der »christlichen Sitte« verpflanzt hatten, konnte Hengstenberg triumphirend auf die so aufschießende Unkrautsaat des Hegel'schen Geistes, auf die Folgen jener gepriesenen Lehrfreiheit verweisen, vor denen er schon lange gewarnt hatte. Alle vier hatten ja das Gift einer vor nichts Heiligem zurückschreckenden Skepsis auf preußischen Universitäten aufgesogen. Daß sie auch gegen das heilige Sakrament der christlichen Ehe sich schmählich versündigten, wo doch die Ehe und die auf ihr begründete Familie das Fundament des christlichen Staates war, benutzte auch er ganz wie Menzel, um seinem Kampf gegen die Glaubensfeinde ein noch stärkeres Gewicht zu geben. Und er that dies noch früher als Menzel, noch vor Erscheinen der »Wally«, anknüpfend an Heine's zweiten Theil des »Salons«, der den Versuch über die neuere deutsche Philosophie und die romantische Schule enthielt, sowie an Mundts Madonna. Dieser war Mitarbeiter der Berliner »Jahrbücher«, Dozent der philosophischen Fakultät in Berlin, vertrat die junge Literatur in der Berliner Gesellschaft und hatte durch sein Verhalten beim Begräbniß der Charlotte Stieglitz und in seiner öffentlichen Beurtheilung desselben die orthodoxe Geistlichkeit Berlins direkt frondirt.

Gut ein Viertel des Jahrgangs 1835 war von Hengstenberg in der »Evangelischen Kirchenzeitung« diesem Kampfe gewidmet worden. Am 8. August begann der erste Artikel einer Aufsatzfolge, welche den Titel » Ueber die Rehabilitation des Fleisches« erhielt. Am 17. Oktober begann der zweite, am 25. November der dritte dieser Artikel. Am 24. Oktober erschien der Anfang eines weiteren Aufsatzes über Mundts »Madonna«, am 25. November der einer Besprechung von Mundts Biographie »Charlotte Stieglitz«. Auch diese ganze Polemik lief auf eine Verleumdung hinaus, für die man in den angegriffenen Schriften vergeblich nach Beweismaterial sucht. Was hatte der von Heine und Wienbarg geführte Kampf gegen das fleischabtödtende Nazarenerthum zu Gunsten eines schönheitsfreudigen Sensualismus, was Mundts Madonna, deren unglücklicher Verführer aus Verzweiflung über seinen Fehltritt sich das Leben nimmt, was Gutzkows in der Vorrede zu den Lucindebriefen geführter Kampf für die Unabhängigkeit der Ehe von den kirchlichen Gewalten und später der Selbstmord seiner Wally, der bis zum Tode unberührt gebliebenen, oder der von Mundt in seiner rührenden Menschlichkeit erklärte Freitod der Charlotte Stieglitz mit der Anklage zu thun: » man will verführen dürfen ohne Scham, ohne Scheu, ja mit dem Heiligenschein, etwas Gottesdienstliches zu verrichten.« Im Uebrigen sind diese Artikel viel sachlicher, logischer und in einem bestechenden Stile geschrieben, dem nichts vom Poltergeist Menzels innewohnt. Mit mildem Priesterlächeln wird hier den Gegnern die Ehre abgeschnitten. Uebrigens darf nicht unerwähnt bleiben, daß Menzel und Hengstenberg von der Bonner Studentenzeit her Duzfreunde waren und gerade in dieser Zeit wieder in näheren Verkehr mit einander geriethen, wie aus des ersteren »Denkwürdigkeiten« hervorgeht.

In dem ersten Artikel »Ueber die Rehabilitation des Fleisches« wurde die Reihe der Erscheinungen in Zusammenhang gebracht mit den Saint-Simonisten. Das Dogma von der Gütergemeinschaft habe man verlacht, es sei von der gegenwärtigen Glanzperiode des bürgerlichen Besitzes und Erwerbes abgelehnt worden. Aber für ein anderes Saint Simonistisches Dogma sei diese Zeit empfänglicher, die Lehre von der Rehabilitation des Fleisches. Dieser antichristliche Funke sei aus der Schule St. Simons übergesprungen in die Welt und habe gezündet »zuerst in Harri Heine, dann durch ihn auf den Höhen des jungen Deutschlands, in den Köpfen einiger Wortführer der funkelnden, neuen deutschen Weltliteratur«. »Es ist die letzte Instanz des Bösen, daß sich der Satan verkleidet in den Engel des Lichtes, oder daß der Materialismus, der sich in Voltaire gegen die Religion empörte, in Heine anfängt, sich als Religion zu gebärden.« Hegel habe den geistigen Boden bereitet für diese Ideen, auch er habe die Seligkeit des Diesseits gegenüber dem Jenseits betont. Wohl sei das System durch einen gewissen sittlichen Ernst von den frivolen Lehren eines schlechten Pantheismus verschieden. Aber die Betonung des Diesseitigen sei hier und dort dieselbe. Was die Philosophie lehre, das dringe als Stimmung in die Menge. »Die Zeitgenossen haben eine Stimmung für die Stimmen der Zeitführer. Und in die Stimmung einer Zeit dringt nicht bloß das rechte Wort hinein, das ihr zu ihrer Reformation von Gott bestimmt ist, sondern auch die Karrikatur des rechten Wortes, das der wahren Zeitparole so ähnlich lautet, wie das Wort Götze dem Worte Gott. Das machte den Bauernkrieg in der Reformationszeit. Und insofern, als die gegenwärtige Zeit den Beruf hat, zu dem christlichen Begriff und Genuß der Gegenwart zu kommen, zur Verklärung der Erscheinung, zur Veredelung der Sinnlichkeit, zur Heiligung der Welt, der Kunst, der Industrie, des bürgerlichen Lebens, kann man wohl sagen: St. Simon ist der Thomas Münzer, Heine ist der Knipperdolling unserer Tage, und Börne, dem auch seine Taufe leid ist, gebärdet sich wenigstens ebenso fürchterlich und radikal, wie das Haupt der Wiedertäufer in Münster wüthete, wo man auch schon weiland vermittelst der Gütergemeinschaft und Vielweiberei das Fleisch rehabilitirt hat.«

»Im St. Simonismus liegen überhaupt alle die einzelnen Irrlehren zusammen, welche eine Macht haben über die Kinder dieser Zeit, weil sie kräftige Lügen sind. Kräftige Lügen, die einen solchen hinreißenden Zauber haben, daß nur unter der Bewahrung des heiligen Geistes selbst die Auserwählten ihnen widerstehen können, das sind Irrlehren, die mit Macht wirken können, weil sie erstlich den Schein der Wahrheit haben, weil sie zweitens den Sympathien ihrer Zeit entsprechen, weil sie drittens durch ihren Zusammenhang einander verstärken und zu einer poetisch-gewaltigen Anschauung einander verpflichten, und weil sie viertens sich thatkräftiger, geistreicher Weltkinder, verwegener Organe bemächtigen, um durch diese zerstörenden Wind- und Wasserhosen – s. 2. Petr. 2 –, welche reden stolze Worte, da nichts hinter ist, und Anderen Freiheit verheißen, da sie selbst Knechte des Verderbens sind, um durch diese geistreichen, begeisterten Bileamiten und Söhne Bosors erst über das Volk des Herrn der Christenheit geflügelte Segens- und Lobsprüche auszurufen und dann hinterher Tausende dieses Volkes zur Unzucht zu verführen und in's Verderben zu stürzen. Diese Merkmale der kräftigen Lüge hat der St. Simonismus besonders in seinem Grundprinzip, nämlich in dem gemeinen praktischen Pantheismus, den er verkündigt. ›Alles ist Gott, alles ist göttlich.‹ Wie das anklingt in unserer Zeit, wie das auch in seinen entwickelten, einzelnen Lehren mehr oder weniger anklingt, wie es im Scheine der Wahrheit schimmert, die Ahnungen der Zeit bewegt, den Erwartungen der Kirche christlich zu entsprechen scheint und antichristlich widerspricht: das Alles kann hier im Einzelnen nicht ausführlich gezeigt werden. Nennen wir nur eins, die Industrie. Die Industrie ist nach dem St. Simonismus ein Leben und Treiben im Göttlichen, ein Gottesdienst zur Beförderung der menschlichen Glückseligkeit. Diese Lehre hat den Schein der Wahrheit, denn das Geschaffene ist von Gott und der Beruf des Menschen, zu schaffen in dem Geschaffenen, ist auch von Gott, seine Kraft, sein Kunstsinn, seine Erfindung und seine Leistung ist Gottes Segen, und jedes Geschäft des Menschen soll Gottesdienst werden, indem er es thut im Gehorsam, mit feierndem Gemüth, in Menschenliebe zum Besten der Gesellschaft, und genau besehen im Dienste des Reiches Gottes, dem auch die Kultur und der Wohlstand dienend untergeordnet ist … Die Kultur wird Kultus werden. Das will der St. Simonismus nicht, er hat nur den Schein dieser Wahrheit, weil er die heiligende Kraft des Gebetes, die Herzensfeier aus der Wiedergeburt, das Reich Christi und die Zwecke Christi nicht anerkennt, weil er im Gegentheil antichristlich den Früchten des Geistes Gottes die Früchte vom buntbebänderten Baum der Industrie entgegensetzt, und der Welt ihre Beseligung verheißt in dem, was sie wirken oder durch ihre Maschinen bewirken wird. Aber auch dieser Schein der Wahrheit spricht die Sympathie der Zeit mächtig an. Die Industrie mit ihren großen Hebeln, mit ihren Eisenbahnen und Dampfmaschinen ist die Liebe, das Gespräch, der Traum und das Werk dieser Zeit. Sie wird von der Zeit bewundert, als eine hohe Zauberin, die auf Eisenbahnen sausend durch die Länder fliegt, die am Ruder der Dampfschiffe feiernd schwebt, und Lords und Ladys ( sic) und alle Gentlemen und das ganze gentile, geistreiche Geschlecht feenhaft versetzt in das neue romantische Land und Leben. So ist sie eine holde, lichte Zauberin, warum denn nicht eine Göttin? Sie ist die Poesie dieser Zeit, wie beinahe denn ihre Religion. Neulich wurde eine Eisenbahn in Belgien eingeweiht und dabei eine feierliche Rede gehalten, die religiösen Anklänge dieses Sinnes waren wohl aus ihr herauszufühlen. So hängt aber das Dogma von der Industrie mit allen Dogmen von der diesseitigen, himmlischen Lebensherrlichkeit zusammen.« …

Der Verfasser geht in seinen Zugeständnissen noch weiter. Er giebt zu, daß etwas Wahres daran sei, daß die sinnliche Menschennatur innerhalb der christlichen Kirche in ihren Rechten mannichfach gekränkt worden sei, zunächst durch überspannte, schwärmerische Meinungen, dann durch trübe, lebensfeindliche Asketen und ihre Terminologie, am bestimmtesten durch das Mönchsthum. Daß es dahin kam, daran trage aber das weltfreudige Heidenthum mit seiner blutigen Verfolgung die Schuld. In Christi Lehre liege diese Tendenz nicht. Der Kern der neuen Lehre sei aber – und nun kommt die schon oben zitirte Anklage: »man will verführen dürfen ohne Scham, ohne Scheu, ja mit dem Heiligenschein, etwas Gottesdienstliches zu verrichten«. Die Heiligkeit der Ehe will man als etwas Irreligiöses zu den finstern Satzungen der Vergangenheit werfen. Die Gottlosigkeit, die sich zur Göttlichkeit steigern wolle, sei Wahnsinn.

Nach dieser niederschmetternden Einleitung machte er sich im zweiten Artikel die Besprechung von Heine's Salon, Band II, sehr leicht. Er machte sich lustig über den frivolen Mephisto, der hier in Fausts Mantel Philosophie dozire, und behauptete, das geistreiche Pamphlet wimmle von Widersprüchen, was er durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate belegte. Noch mehr von oben herab ging's an die Abschlachtung von Gutzkows »Vorrede«: der hatte es ihm durch jene ironisch gemeinten Anreden an Rosalie, als sei diese eine Jüngerin der George Sand, leicht genug gemacht; er brauchte nur als ernst gemeint zu zitiren, was ironisch gemeint war, und der kecke Verächter der Geistlichkeit war lächerlich gemacht. Viel gründlicher ging Hengstenberg bei Mundts »Madonna« an's Werk. Daß diese gefallene Katholikin am Schluß zum Protestantismus übertritt, hatte ihm sichtlich behagt. Er lobt an dem Buch den schönen Stil und geistigen Gehalt. Es sei auch frei von Widersprüchen. Um so verführerischer wirke darum aber auch hier der Kultus der freien Sinnlichkeit. In demselben Sinne war dann auch die Besprechung von Mundts Biographie der Charlotte Stieglitz gehalten, die übrigens ohne Nennung seiner Autorschaft erschienen war. Das waren die Artikel der »Evangelischen Kirchenzeitung«, nach deren Erscheinen Mundt verzweifelt an seinen Freund Kühne nach Leipzig schrieb: »Daß Du diese Aufsätze nicht lesen kannst, dadurch gehen Dir wichtige Aktenstücke zur Geschichte der Inquisition ab, denn Du hast nie einen Begriff noch Ahnung davon gehabt, was mir diese Leute alles zur Last legen, und ich selbst habe es mir nie imaginirt, daß man mir aus den arglosesten Einzelheiten einen solchen entsetzlichen Zusammenhang aufbürden könne.« Und weiter: »Man ist jetzt in Berlin wie verrückt, und wenn ich eitel wäre, würde ich mir etwas darauf einbilden können. Der Teufel plagt die Pietisten, daß sie mich für ihren ärgsten Feind halten und mich wirklich mit Stumpf und Stiel ausrotten möchten. Sie haben jetzt ihre Operationen bis zum König gebracht, und, das ist das Allerschlimmste, General Thiele, der General-Adjutant Sr. Majestät, ist mein erbittertster Gegner, und hat sich in einem Gespräch mit dem Geheimen Rath Schulze sehr bedenklich geäußert. In den unterrichteten Zirkeln ging in der letzten Woche das Gerücht, daß meine Sache durch eine Kabinetsordre des Königs würde beseitigt werden, wodurch ich für immer alle Ansprüche auf eine Anstellung in Preußen verlieren sollte – und eine Kabinetsordre ist entscheidend. Varnhagen kam deshalb in großer Aufregung eigens zu mir gefahren; er rieth mir gleich nach Paris zu gehen. Jetzt haben wir uns aber die Gewißheit verschafft, daß eine solche Kabinetsordre wenigstens noch nicht erlassen ist. Vielleicht will man erst sehen, was der, wie man weiß, zu meinen Gunsten gestimmte Minister (Altenstein) thun wird. Jedenfalls wird die Angelegenheit im besten Falle so hingeschoben, daß ich sie nicht erwarten kann. Mein Entschluß ist gefaßt. Für unsere Interessen ist kein Heil in Berlin … Bei der großen Hemmung und Neutralisirung aller Bewegung verkümmert und verstockt hier unser besserer Mensch und verlernt sich zu regen. Die hiesige Atmosphäre hat jetzt etwas Dumpfes, Deprimirendes; man muß nie aufhören für Berlin zu wirken und zu schreiben, aber nicht in Berlin … Festen Fuß hier zu fassen, wie Du meinst, ist mit unseren Ansichten ein Ding der Unmöglichkeit. In Berlins Adern schleicht – das Prinzip des ganzen Staates – ein ansteckendes Assimilationsgift; man muß sich assimiliren, wenn man hier gedeihen will, aber das ist unsere Aufgabe nicht, die auf das Neue geht. Ich werde auf eine eklatante Weise öffentlich abdanken, solange ich es noch freiwillig kann, in einem ›Sendschreiben an die philosophische Fakultät zu Berlin‹. Varnhagen stimmt darin ganz mit mir überein und sogar manches Einzelne ist verabredet.«

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Mundt war zu Besuch bei Kühne in Leipzig gewesen, der dort seit Anfang des Jahres die »Elegante Zeitung« redigirte, als er die Nachricht von der Bannbulle gegen das junge Deutschland durch die Zeitung erfuhr. Durch ihn erfuhr sie Laube, der vierte der Betroffenen. Der hätte nun freilich um diese Zeit noch in Naumburg sein müssen, denn die ihm zuerkannte Ortshaft war noch keineswegs von Seiten der preußischen Regierung für beendigt erklärt worden. Aber der Landrath Lepsius hatte sein Ueberwachungsamt gar so milde geführt, das ihm vom Arzte verordnete Reitpferd hatte so störrigen Hang in's Weite, daß er es gerade damals zum ersten Male gewagt hatte, ganz im Geheimen nach Leipzig zu pirschen. Sein alter Freund Julius Kistner, Wirth des Hotel de Bavière, hatte ihn besucht und ihm so viel von Leipzig erzählt, daß er darüber an ihm zum Verführer geworden. Auch von einer Dame hatte er erzählt, für die sich Laube von seinem letzten Aufenthalt her lebhaft interessirte, eine junge liebenswürdige Wittwe, deren Mann, den Mediziner Professor Hänel, er auch noch gekannt und der ihm freundlich entgegen gekommen war. Und über diesen Gesprächen war die Sehnsucht mächtig in ihm geworden, das alte liebe Leipzig und die junge liebe Frau wieder zu sehen. Das seit der grauen Gefängnißzeit in ihm zehrende Verlangen nach Glück in Frieden, nach Liebe in Ruh' umspann seine Sinne mit ahnungsvollen Träumen. Diese Reise nach Leipzig ward seine Brautfahrt. Dieses Wiedersehen mit der Stätte seiner literarischen Sturm- und Drangzeit gehört zu den Beweisen, daß das Leben selbst der größte Meister der Dichtkunst ist, es legte den Grund zu Laube's im Jahr darauf geschlossener, überaus glücklicher Ehe mit Iduna Hänel, die ihm mit dem kleinen Sohn erster Ehe, dem späteren Fortschritts-Parlamentarier und Rechtsgelehrten Albert Hänel, auch die Mittel zubrachte, um von seiner weiteren Schriftstellerlaufbahn Sorge und Noth und das heimliche Weh fern zu halten, das der Dienst der Musen bei Nahrungssorgen und der Pflicht, den Unterhalt für eine Familie zu schaffen, dem Dichter bereitet. Aber als Staatsgefangener mußte er diese vom Glück gesegnete Ehe antreten! Und während er in jenen Leipziger Tagen heimlichen Liebesglücks auf nichts sann als auf baldige Ehe, schwebte über ihm bereits die Bannbulle des Bundestages, die ihn vervehmte, weil sein Dichten und Trachten auf Abschaffung der Ehe gehe.

Julius Kistner – ein Bruder übrigens des bekannten Leipziger Musikalienhändlers – hatte bei seinem Besuche in Naumburg versprochen, ihm seinen Wagen geschlossen nach Lindenau entgegenzusenden, bis wohin er über Weißenfels und Lützen auf seiner Graditzer Stute reiten wollte. Und so brach er denn an einem frischen Herbstmorgen auf, ritt über das Lützener Schlachtfeld unter ernstem Gedenken an den Helden seines Jugenddramas Gustav Adolf, dessen Schlachtenglück und frühes Ende ihn an die eigenen Wechselfälle seiner nun zur Rüste gehenden Jugendzeit mahnte. In Lindenau stellte er seine Stute ein, stieg in die geschlossene Kutsche des Freundes, fuhr unerkannt durch das Ranstädter Thor und fand unentdeckt ein verschwiegenes Zimmer im Hotel seines Freundes, wo er in früheren Jahren so viel und gern geweilt hatte. Zur Unkenntlichkeit verkleidet, wagte er sich noch am selben Abend hinunter in die Stadt und wie von guter Vorsehung geführt, die dabei wohl Kistners Rath als Werkzeug benutze, fand er sich plötzlich vor dem großen Brockhaus'schen Haus in der Querstraße, von welchem der Freund ihm schon in Naumburg gesagt, daß es das einzige sei, in welchem die Dame seines Herzens gesellig verkehre. Er selbst war in der Familie des mächtigen Verlegers eingeführt und hatte bis zu seiner Ausweisung zu den gern gesehenen Gästen des Hauses gehört, so durfte er auf ein freundliches Willkommen rechnen. Und wer saß oben am Theetisch: Frau Iduna, und wer wurde hier seine Nachbarin: Frau Iduna. Das war ein Abend, ruft auf ihn zurückblickend der Laube der »Erinnerungen«, der die ganze Stadt- und Hausvogtei vergessen machte! Und Frau Brockhaus verstand die Sprache des Glückes, die sich dabei in des Flüchtlings Augen spiegelte. Sie verabredete ein gemeinsames Mittagsessen zum nächsten Tag. Da der »Confinirte« von Naumburg das Tageslicht aber sorgfältig scheuen mußte, ließ er sich in einer Portechaise – wie eine alte Dame – hintragen. Das war wieder ein Tag, »an dem eine Welle des Glückes die andere trug«.

Hold waren die Träume, die ihm am nächsten Morgen umfingen, als er plötzlich sich unsanft geweckt fühlte. Vor ihm steht Mundt, mit dem er am Tag zuvor erst eine Zusammenkunft gehabt und Gedanken gemeinsamer Hoffnung ausgetauscht. Theodor Mundt stand hochgerötheten Angesichts vor seinem Bett, eine Zeitung wie eine Fahne schwingend. Und aus dieser Zeitung las dieser nun vor: daß eine frevelhafte literarisch-politische Verschwörung entdeckt und unter dem Namen »Junges Deutschland« mit Bann und Interdikt belegt worden sei. Was diese »jungen Deutschen« je geschrieben und was sie je schreiben würden, das sei verboten und werde konfiszirt: »Heine, Gutzkow, Wienbarg sind unsere Genossen,« fuhr Mundt fort, »der vierte heißt Laube und liegt im Bette, der fünfte bin ich! … Wir müssen Handarbeiter werden, gedruckt wird von uns nichts mehr. Der Bettelstab ist unser Loos, nicht einmal des Tannhäusers Stab.« Laube aber sprang aus dem Bett, bewegt nur von einem Gedanken: das ist Tzschoppe's Geschoß! Dieser kleine schlesische Landsmann mit dem kleinen Mardergesicht und Blick, der ihm schon einmal als Großinquisitor entgegengetreten war, dessen politischer Verfolgungseifer ihn schon einmal so schwer getroffen, nur er konnte die Stricke geflochten haben, die ihn jetzt mit den anderen Vier zusammengekoppelt. Diese vier hatten ja in der That im ablaufenden Jahr Schriften veröffentlicht, die wenn schon wirklich der Kampf mit geistigen Waffen gegen das Herkommen und die Dogmenherrschaft der Kirche nach dem Vorbild der mittelalterlichen Ketzergerichte mit Mitteln der Gewalt, durch Verfolgung und Aechtung im protestantischen Preußen unterdrückt werden sollte, durch diese solch Verfahren herausgefordert hatten. Gutzkow, Mundt, Wienbarg und Heine waren theils von Hengstenberg, theils von Menzel als Feinde des Christenthums und der sozialen Ordnung bezeichnet worden; er – Laube – aber hatte seit zwei Jahren nichts von sich ausgehen lassen, was nicht harmlos in Vortrag und Tendenz, wie seine Novelle »Liebesbriefe« mit der Widmung an den Fürsten Pückler, oder wenn nicht harmlos, so doch jedes revolutionären Ausdrucks sorgfältig entkleidet, wie die »Modernen Charakteristiken«, die eben erst der Löwenthal'sche Verlag in Mannheim herausgegeben hatte. Von diesen konnte aber die ausführende Oberinstanz des Berliner Polizeiministeriums kaum schon etwas wissen. Es mußte auf seine früheren Schriften »Das neue Jahrhundert«, »Das junge Europa« in seinem ersten Theil, die Reisenovellen zurückgegriffen worden sein, wegen deren ihn Tzschoppe schon einmal in Untersuchung gebracht hatte und aus denen ihm doch kein Vergehen hatte nachgewiesen werden können.

Bezüglich Tzschoppe's war er mit dieser Ueberlegung ganz auf der richtigen Fährte; mit der letzteren Vermuthung aber war er im Irrthum.

Gerade seine Verbindung mit Löwenthal, sein brieflicher Verkehr mit diesem und Gutzkow wegen deren Absicht, die neue Verlagshandlung ganz in den Dienst der jungen Literatur zu stellen, hatte das Bild einer literarischen Verschwörung, deren Mitglied auch Laube, in Tzschoppe's und seiner Vorgesetzten Vorstellung geschaffen.

Ein Satz in den erst 1889 bekannt gewordenen Briefen Mundts an Kühne giebt darüber die unzweideutigste klarste Auskunft. Der Schlußsatz des folgenden Briefes, der bald nach Mundts Rückkehr nach Berlin geschrieben wurde: »Tzschoppe ist ohne Zweifel der mächtigste und wichtigste Mann im ganzen preußischen Staate! Mit ihm habe ich mich jetzt beschäftigen müssen, eine lange Audienz bei ihm gehabt, ihm lange Briefe geschrieben. Er war sehr offen, zeigte mir, wie weit meine Sache war, und las mir den Gesetzesparagraphen vor, wonach ich wegen Aufnahme des Artikels Kalisch (im »Zodiakus«) und einiger anderen Sachen zwei Jahre Festungshaft zu erwarten habe. Jetzt stehe ich so mit Tzschoppe, daß er die Sache nicht in die Hände der Justiz geben will und er hofft, daß es dann auch kein Anderer thun wird! – – Erhebe Dich durch Zorn und Trauer und sei bis aufs äußerste vorsichtig. Ich habe jetzt erst Alles, was uns droht, an der Quelle kennengelernt. Tzschoppe hat alle unsere Briefe gelesen! Er will das ganze junge Deutschland verderben.«

»Tzschoppe hat alle unsere Briefe gelesen!«

Wie konnte er das?

Durch das schimpflichste Mittel von all den verwerflichen, durch welche das Metternich-Wittgenstein'sche System allein seine Erfolge in Niederhaltung und Tödtung des Zeitgeistes möglich machte. Die Briefe aller politisch verdächtigen Männer wurden je nach Bedarf durch die Post, der sie doch das selbstverständliche Vertrauen auf Wahrung ihrer ersten und obersten Pflicht anvertraut hatte, unterschlagen, erbrochen, gelesen, kopirt und dann erst weiter gesendet. »Perlustriren« nannte man das.

Das ganze Briefpostwesen gründet sich auf der Voraussetzung, daß die Post als Organ der Allgemeinheit das Briefgeheimniß wahrt, überhaupt mit den Briefen nichts vornimmt als sie schnellstens mit ihren Mitteln an die vorgeschriebene Adresse zu befördern. Alle deutschen Postordnungen hatten diesen Grundsatz entweder in dem Diensteid ihren obersten Beamten oder in besonderen Strafbestimmungen zum Ausdruck gebracht. Dennoch hat sich in Oesterreich und Preußen zunächst unter dem Drucke der Herrschaft Napoleons, der zuerst die geheime Briefuntersuchung aus politischen Gründen in ein System brachte, dann im Kampf gegen diesen, dieses fluchwürdige Verfahren bis in die vierziger Jahre als Gebrauch eingenistet und ist von der politischen Polizei in einer Weise gemißbraucht worden, die den betreffenden Regierungen zu dauernder Schande gereicht. Ermöglicht wurde dasselbe durch die Einrichtung besonderer Kabinette mit eigenen Beamten, der sogenannten schwarzen Kabinette an den großen Zentralstellen des Postverkehrs. Seit dem Erscheinen der Bände »Aus den Papieren des Ministers Theodor von Schön« und der »Briefe des Staatsministers, Generalpostmeisters und ehemaligen Bundestagsgesandten Karl Ferd. Friedrich von Nagler an einen Staatsbeamten« ist das Bestehen dieser Einrichtungen in einer Weise authentisch nachgewiesen, daß über deren Thätigkeit nach Zweck und Umfang kein Zweifel mehr statthaft ist. – Im Jahre 1812 verlor der Freiherr von Stein, der große Vordenker von Deutschlands Wiedergeburt zur Einheit und Freiheit, seine Ministerstelle auf Grund eines Briefes, den Napoleons eifrige Postspione erbrochen, für dessen Inhalt der Fremdherr Friedrich Wilhelm den III. verantwortlich machte. Statt daß dieses Ereigniß den tiefsten Abscheu vor der heimlichen Brieferbrechung innerhalb der preußischen Regierung zur Tradition gemacht hätte, wurde es zum Ausgangspunkt der systematischen Nachahmung. Als Stein bei Hofe in Ungnade und seine Gegner am Regieren waren, wurden die Briefe des großen deutschen Patrioten auf Befehl preußischer Minister erbrochen, ja die verschiedenen Ministerien unter einander überwachten ihre Korrespondenzen durch private Postspionage. »Der Brief vom 20. v. M., den Ew. Excellenz erst am 1. d. M. erhielten, ist in Berlin zuvor gewesen. Das ist schon gewiß« schrieb am 31. Mai 1814 der liberale Minister Schön an den Grafen Dohna. »Und die allerhöchste Wahrscheinlichkeit ist auch schon da, daß Sie in Absicht aller Briefe, die an Sie kommen und abgehen, unter strenger surveillance stehen. So weit ist es gekommen! Warum jagt man uns nicht lieber weg?« Und Graf Dohna antwortete: »Ohnerachtet es höchst empörend ist, wenn ein Anderer, als derjenige, für welchen ein Brief geschrieben ist, denselben liest, so würde ich mich ganz gerne darein ergeben, wenn der König alle meine Briefe läse. Das Abscheulichste ist aber, daß die verrücktesten und verruchtesten Menschen diese geheime Briefleserei treiben, daß diese die boshaftesten und unsinnigsten Extrakte machen und oft aus absichtlicher Bosheit, oft bloß um sich interessant zu machen, zu erdichteten Briefen und Briefstellen ihre Zuflucht nehmen. Dahin hat diese Briefschnüffelei mich doch seit einigen Jahren gebracht, daß ich einige meiner liebsten Korrespondenzen ganz aufgegeben habe. Von noch schrecklicherer Art sind aber die Berichte, welche die heilige Gensdarmerie und die fünf oder zehn ganz verschiedenen geheimen Polizeien an die infamsten Schufte erstatten, wobei Verdrehungen und Erdichtungen ganz notwendig sind …«

Der Mann, der dieses Briefüberwachungssystem in Preußen durchführte und lenkte, war der langjährige preußische Generalpostmeister Fr. von Nagler, durch dessen Anstalten auch nur der Briefwechsel der »jungen« Schriftsteller über die Frage eines engeren Zusammenschlusses, die Briefe Löwenthals an Laube in betreffs eines Almanachs des jungen Deutschlands u. s. w. in die Hände des Geheimrathes von Tzschoppe gelangen konnten. Wie dieser Emporkömmling, war auch er durch Hardenberg in seine glänzende Carrière gelangt, die ihn im Alter von dreißig Jahren aus einem Domänenrath in Ansbach zum vortragenden Rath im Ministerium des Auswärtigen in Berlin machte. Wie Tzschoppe hatte er zum Dank für die Förderung Hardenberg stürzen helfen, gewiß schon jetzt mit Hülfe der Fertigkeit, die der Minister von Schön bereits im Jahre 1808 so treffend charakterisirte: »Er soll sehr vollkommen Briefe öffnen können.« Ob dies »Talent« es geradezu war, was ihm 1809 die Stelle des Vize-Generalpostmeisters eintrug, als welcher er eine Zeitlang auch Kabinetssekretär der Königin Luise war, vermögen wir nicht zu entscheiden; sicher haben auch bessere Eigenschaften mitgewirkt um seiner Persönlichkeit in den Jahren des Exils die ganz besondere Gunst des Königspaares zu erwerben, aus der ihn auch nicht die Rückkehr seines ehemaligen Gönners und jetzigen Gegners Hardenberg an das Staatsruder verdrängte, wenn er in Folge derselben auch die bis dahin innegehabte Stellung verwirkte. Die Hardenberg'sche Aera von 1811 bis 21 sah ihn als disponiblen Staatsrath viel auf Reisen, die seine werthvollen Kunstsammlungen mehrten; nach dessen zweitem Sturz, nach dem Zusammenbruch von dessen liberalen Reformplänen, kam wieder seine Zeit bei Hofe und im Amte; die Reaktion hatte in ihm einen der eifrigsten, geschicktesten und – das muß man ihm lassen – auch überzeugtesten Führer, der Geist des Fortschrittes auf allen Gebieten einen der hartnäckigsten Gegner. Bei ihm war die konservative Gesinnung nicht wie bei Tzschoppe Streberthum, sondern angeerbt und anerzogen; er war der Sohn einer höheren Beamtenfamilie eines deutschen Kleinstaates, loyal nach oben, herrschsüchtig nach unten, voll elementaren Widerwillens gegen jede Neuerung. Diese letztere Eigenschaft machte ihn seinem König so werth, der ihn 1821 zum Präsidenten des Generalpostamtes, 1823 zum Generalpostmeister, ernannte, in demselben Jahre in den Adelsstand erhob, 1824 neben jenem Amt mit der Vertretung Preußens am Frankfurter Bundestag betraute, welche er bis Mitte August 1835 als treuer Partisan Metternichs versah, der ihn wiederholt auf seine Besitzung am Rhein, den weinumkränzten Johannisberg, zu sich einlud. An allen reaktionären Maßregeln des Bundestages war er anregend und befürwortend betheiligt. Seine Doppelstellung als Bundestagsgesandter und als Chef der preußischen Post benutzend, hatte er diese vollends zum Organ einer Politik gemacht, die allein in der gewaltsamen Unterdrückung aller freiheitlichen Regungen das Heil des Staates sah. Ein Fortschritt aber hatte sich in Preußen in diesem Zeitraum nicht unterdrücken lassen, der Aufschwung des Verkehrswesens und der Industrie, wie deren Einwirkung auf die Zollgesetzgebung. Während er noch voll Grimm jeden Theoretiker des deutschen Einheitsgedankens bekämpfte, war auf dem Gebiete der Handelsbeziehungen durch die Zollpolitik anderer Minister ein bedeutender Schritt zur praktischen Verwirklichung desselben gethan. Während er die Männer der Bewegungsliteratur als staatsgefährliche Ruhestörer verfolgte, siegte der Bewegungsdrang der Zeit auf technischem Gebiet über ihn. Der Gegner, dem sein System schließlich erlag, war – die Eisenbahn, gegen deren Einführung er sich mit allen Mitteln lange Zeit erfolgreich gesträubt hatte.

Doch dasselbe Jahr, dessen Schluß dem »jungen Deutschland« die tragische Katastrophe brachte, überkam auch diesen Schutzvogt des Rückschrittes schon mit einer Katastrophe tragischer Art, und diese wurde ihm vom jungen Geist der neuen Zeit bereitet. Dies ist bisher übersehen worden, weil dies Jahr 35 ihm äußerlich allerdings eine Beförderung brachte. Er wurde im Juli desselben vom Bundestag abberufen unter Ernennung zum Kabinetsminister und Belassung in seiner Stelle als Generalpostmeister. Kurz vorher war in Straßburg bei G. L. Schüler ein Büchlein erschienen, betitelt » Authentische Aktenstücke aus den Archiven des Deutschen Bundes zur Aufklärung über die hochverrätherischen Umtriebe der deutschen Fürsten.« Unter dem irreführenden Titel »Aktenstücke über die Wirksamkeit der englischen Bibelgesellschaften« gelangte es über die Grenze. Als Herausgeber nannte sich Gustav Kombst. Dieser Kombst, der jetzt in der Schweiz als Flüchtling lebte, war vor einigen Jahren Sekretär auf der preußischen Bundestagsgesandtschaft in Frankfurt unter Nagler gewesen. Er hatte die Zeit benutzt, um von einer ganzen Reihe geheimer Staatsakten, welche die egoistischen Triebfedern des reaktionären Systems in Preußen und Oesterreich unmittelbar enthüllten, den Verrath der Interessen des deutschen Volkes an die Interessen Rußlands und der Habsburg'schen Monarchie, Abschrift zu nehmen. Nach seiner eigenen Behauptung in der Vorrede des Buches wäre er nur zu diesem Zweck in den Dienst am Bundestag getreten. Kombst, 1806 nahe bei Berlin geboren, war früher Burschenschafter gewesen und die Empfehlung des Grafen Bernstorff, dessen Vertrauen er zu gewinnen gewußt, hatte ihm 1831 die Stelle bei Nagler verschafft. Nach dessen Zeugniß war er nur in Folge eines Konflikts mit ihm ausgeschieden und die Veröffentlichung der Aktenstücke seine Rache. Daß er von ihnen Kopien hatte nehmen können, war dadurch möglich geworden, daß ihm aus Bernstorffs Empfehlung die Erlaubniß wurde, die Geheimakten des Archivs zu studiren, damit er für die Folge in der Gesandtschaft gehörig zu benutzen sei. Echt waren diese Aktenstücke, das gab Nagler selbst zu, wie aus einem Brief, der sich im Besitz des Dr. Ernst Kelchner befindet, mit voller Bestimmtheit hervorgeht, und daß sie die österreichische und preußische Regierung stark kompromittirten, das wurde von Freund und Feind gleich stark empfunden. Börne gab einzelnen die Verbreitung seines Anti-Menzel, die preußische Regierung suchte sie todt zu schweigen. Daß sie verboten wurden, war selbstverständlich. Am stärksten aber kompromittirt war und fühlte sich Nagler. Seine Briefe darüber spiegeln dies getreulich. Es ist kaum zweifelhaft, daß seine Abberufung von Frankfurt damit im Zusammenhang stand; eine schimpfliche Abberufung hätte wohl die Schlappe der Gesammtregierung vergrößert. Die Gunst des Königs berief ihn zum Mitglied seines Kabinets als Minister. Hier aber hatte er den Widerstand seiner Opponenten in demselben viel stärker zu erfahren als in Frankfurt. Hier hatte er seinen Standpunkt als Gegner des Eisenbahnwesens und der unitarischen Zollpolitik in Gegenwart des Königs Mann gegen Mann zu vertreten. Diese Zollpolitik war durch die Enthüllungen Kombsts am meisten geschädigt, denn dieselben hatten dem kaum überwundenen Mißtrauen der Regierungen Bayerns, Württembergs, Badens &c. in Preußens Geheimpolitik neue Nahrung gebracht. Der König kränkelte, Rochow, der Polizeiminister, Naglers Gesinnungsgenosse, kränkelte gleichfalls, der Fürst Wittgenstein, das Haupt des Systems, war altersschwach, der Kronprinz und seine Rathgeber waren gegen ihn. Seine Beförderung zum Minister war eine Niederlage. Und wenn er in dem Streite, den das sich bald darauf ihm zum Trotz mächtig entfaltende Eisenbahnwesen mit seinen Ansprüchen an die Post gegen seine Maxime erregte, daß die Post in erster Linie Staatszwecken, erst in zweiter Linie den allgemeinen Interessen als Verkehrsanstalt zu dienen habe, auch bis zum Tode seines Herrn im Jahre 40 die Oberhand behielt: daß er für eine verlorene Sache focht, das fühlte er selbst. Aber auf dieser Maxime beruhte auch alles, was ihn als Staatsmann beglückte, die Macht, die ihm das neue Ohr des Dionysos, das »schwarze Kabinet«, über Alles und Alle verlieh, die ihn zu einem »Doktor Allwissend« machte, der den Anderen ihre geheimen Gedanken lesen konnte. Was war ihm die Stellung eines Generalpostmeisters noch werth, wenn sie nicht mehr zugleich das Hörrohr der politischen Polizei war.

Von all den Vielen, die sich Nagler für diesen Geheimdienst herangebildet, genoß der durch ihn nach Möglichkeit geförderte Frankfurter J. A. Kelchner das meiste Vertrauen. Er war ein Genie im Aufspüren von Geheimnissen, von seinem Chef wichtigen Personalnotizen, und von eiserner Arbeitskraft. Seiner Hinterlassenschaft verdanken wir auch die genaueste Kenntniß der Thätigkeit Naglers, denn sobald dieser von Frankfurt abwesend war, von Anfang August 1835 also andauernd, hatte er Kelchner Weisung auf Weisung, Frage und Frage zu senden: er war seine rechte Hand, sein Nachschlagebuch, sein Auskunftsbureau in allen Angelegenheiten politischer Ueberwachung. Die von seinem Sohn Dr. Ernst Kelchner und dem Historiker Prof. Karl Mendelssohn-Bartholdy herausgegebenen Briefe Naglers an ihn (Leipzig 1869, Brockhaus) sind daher eine Quelle realistischer Geschichtskenntniß, wie wir deren wenige, namentlich auf dem Felde der Geheimthätigkeit von reaktionären Ministern, besitzen. In diesem Buche finden sich denn auch Notizen, welche bezeugen, wie bereits im August 35 Gutzkow zu den »überwachten« Personen gehörte.

Kelchner hatte als Sekretär von der Pike auf gedient. Sein früh verstorbener Vater war in der Pfalz begütert gewesen, das Gut war von aufständigen Klubbisten zerstört und verwüstet worden. Schon als Schüler hatte er nebenbei beim Frankfurter städtischen Aktuariat Schreiberdienste verrichtet, war dann in der Weinhandlung von J. P. Manskopf angestellt worden und hatte sich auf seinen Reisen für dieses Haus an der französischen Grenze durch freiwillige Nachrichtenvermittelung an preußische Militär- und Zivilbehörden nützlich erwiesen. So wurde er noch vor seinem Uebertritt in den preußischen Staatsdienst preußischer Geheimagent. Als die Alliirten nach Frankfurt kamen, beriefen ihn Stein und Hardenberg als Sekretär in das Hauptquartier des Monarchen. Nach dem Kriege wurde er als Chef der Registratur dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz in Köln zuertheilt. Nach Errichtung des Deutschen Bundestags in Frankfurt kam er an die Kanzlei der preußischen Gesandtschaft daselbst. Bald war er die eigentliche Arbeitskraft der Legation. Für den Geheimdienst, zu dem ihn dann Nagler heranzog, war er wie geschaffen, er trat ihn an als ein für ihn besonders ehrenvolles Vertrauensamt. Die moralische Verantwortung überließ er seinem Chef, und dieser erklärte wiederholt, daß er sich an die »albernen Brieferöffnungsskrupel« niemals gekehrt hätte; ihn tröstete die Diplomatenmoral der »höheren Staatsräson«. Kelchner las täglich für den Gesandten alle Zeitungen durch und strich ihm alle Stellen und Namen an, die Berücksichtigung verdienten. Während Nagler schlief, wühlte Kelchner in den Massen der Zeitungsblätter, notirte sich Namen oder bezeichnete die betreffenden Stellen, die Stoff zu Berichten und Nachforschungen geben sollten. Den andern Tag war dann die ganze Gesandtschaft in Bewegung. Kelchner ging nach persönlichen Erkundigungen aus und die anderen Beamten waren mit Entwerfen der Berichte oder Abschreiben beschäftigt. Dafür ward dem unablässig Thätigen auch ein großartiges Vertrauen zu Theil. Die Berichte, die von allen preußischen Postämtern an Nagler eingeliefert werden mußten, standen natürlich auch dem Vertrauten Naglers zu Gebot. Und als dieser von Frankfurt abberufen war, in Frankfurt aber durch Kelchner weiter für sich arbeiten ließ, schrieb er, als sich ein Zweifel gegen dessen Befugnisse erhob: »Ein- für allemal steht fest, daß Sie wie früher die Post- und Kourierpakete öffnen.« Und weiter: »Herr v. W. darf nicht wissen, daß sein neulicher Bericht den Umweg hierher gemacht.«

Das Treiben der jungen Schriftstellerbrut, die sich um Sauerländers »Phönix« seit Anfang des Jahres geschaart, im Besondern die Verkündigungen Gutzkows des unausbleiblichen Völkerfrühlings im Literaturblatt waren natürlich auch von Beginn an ein Gegenstand schärfsten Interesses für Nagler und sein Faktotum. Aus der geheimen Ueberwachung der liberalen Presse hatte sich von selbst eine solche für die liberalen Schriftsteller ergeben, ob sie nun noch im Lande weilten oder im Auslande das Elend des Flüchtlingslebens trugen. Als er nun nach Berlin versetzt worden war, dauerte es nicht lange, daß Kelchner, der ihn wie früher mit Nachrichten versah, welche er jetzt im königlichen Kabinet als Trümpfe ausspielen konnte, ihm auch Neues von Gutzkow zu melden hatte.

Am 28. August schrieb Kelchner an Nagler: »Karl Gutzkow hat soeben den Ersten Theil seiner öffentlichen Charaktere bey Hoffmann und Campe zu Hamburg herausgegeben. Die Vorrede ist aus Frankfurt a. M. Es erscheinen darin nebeneinander die Herren Ancillon, Rothschild &c. – Ob die Preußische Zensur dies Buch dulden wird?« – Ueber die objektive Methode dieser für die »Allgemeine Zeitung« geschriebenen Aufsätze hieß es in der Vorrede, daß sich in ihr das Mitleid, welches das Volk sogar mit den Schwächen einer absterbenden Generation habe, offenbare. Nicht um Schäden und Narben zu verdecken, habe er dieses künstlerische Maß gewahrt und den Schmuck der Poesie in Anspruch genommen. »Trauet diesen Rosen nicht, aber rechnet sie mir auch nicht an; denn ich schätze den Blauduft des Himmels und lerne mein deutsches Volk lieb gewinnen, seitdem es freundlich meinen Worten zulauscht, und möchte noch recht lange als fesselloser Frühlingsbote außer dem Käfig mit Euch verkehren in Scherz und Ernst.« … Nagler hatte bereits am 2. September das Buch in Händen. »Ich sah heute ›Gutzkows öffentliche Karaktere – Ancillon.‹ Dieser Scribent Gutzkow ist immer kein gewöhnlicher Skribler. – Geben Sie mir von Zeit zu Zeit Nachricht, was und welche Zeitung er schreibt, und was er treibt und mit wem er umgeht.« Das hieß in Naglers kurzem Bulletinstil: laß seine Briefe anhalten und erbrechen, umgieb ihn mit Spionen! Nun war aber gerade die Zeit, in welcher Gutzkows Briefwechsel mit Löwenthal und seinen literarischen Freunden wegen des Plans der Deutschen Revue und eines engeren Zusammenschlusses in höchstem Flor stand. Ließ also Tzschoppe nicht ohnehin mit Naglers Hülfe Laube's Briefe vor der Ablieferung durch einen Geheimagenten in Naumburg bewachen, so erfuhr er jetzt aus Frankfurt vom Inhalt dieser Verhandlungen. Am 3. September antwortete Kelchner: »Gutzkow werde ich im Auge behalten.« Nagler notirte auf den Rand des Briefes: »Dieser Mensch ist nicht gewöhnlich.« Am 5. September schrieb Kelchner weiter – wobei zu beachten, daß die in unserer Quelle mitgetheilten Briefe des letzteren nur die kurzen Begleitschreiben zu den eigentlichen Berichten, Briefkopien und Auszügen waren –: »Obgleich Gutzkow erklärt hat, sich in Stuttgart niederlassen zu wollen, so ist derselbe doch hieher zurückgekommen. Er will nun hier eine ›Frankfurter Revue‹ herausgeben. Diese drollige Idee wird die hiesige Behörde nicht zur Ausführung kommen lassen.« Da Nagler gleich auf den Kelchner'schen Briefen seine Antworten in lakonischster Form ertheilte, findet sich auch hier wieder nur ein Vermerk von Naglers Hand: »Ein merkwürdiger Mensch.« Die eigentlichen Berichte Kelchners über die Resultate seiner Beobachtungen, was dieser »Merkwürdige« schrieb und trieb, fehlen uns; das Endergebniß aber kennen wir: als das Verdikt gegen das »junge Deutschland« spruchreif war, hatte Tzschoppe »alle ihre Briefe« gelesen. Wie weit Nagler in seinem Bestreben ging, Gutzkow und Wienbarg auszuhorchen, auch neben Kelchner auf eigene Faust, erhellt aus folgender Episode. Unter den Männern der Wissenschaft, von denen diese Beiden in der »Allgemeinen Zeitung« erklärt hatten, sie hätten ihre Mitarbeit an der »Deutschen Revue« zugesagt, befand sich auch ein junger Berliner Universitätsdozent Trendelenburg. Dieser Dr. Trendelenburg, später ein namhafter Professor der Philosophie in Berlin, war damals Hauslehrer beim Herrn Minister. Eine Reise desselben, die ihn nach Frankfurt führte, benutzte er, um zu Gutzkow und Wienbarg zu gehen und unter der Maske der Theilnahme sie auszuhorchen. Trendelenburg war bei seinem Aufenthalt in Frankfurt an Kelchner gewiesen, sagte ihm aber nichts von seinem Verkehr mit der Redaktion der Deutschen Revue. Als er nun in deren Erklärung Trendelenburgs Namen fand, war er natürlich sehr erstaunt und fragte bei Nagler über den Zusammenhang an. Dieser antwortete, Berlin 14. November: »Trendelenburg wurde von Gutzkows Socius (einem Kieler) aufgefordert, zur Deutschen Revue beizutreten und verweigerte es bestimmt. Freilich alles mündlich. Dieses in öffentlichen Blättern zu erklären, ist bedenklich, da die bösen Kerle sich rächen, wenn man sie als Lügner darstellt.« Aber nur in diesem einen Fall erschien dies Bedenken nöthig, die anderen preußischen Dozenten und Professoren dagegen wurden, wie wir gleich sehen werden, von Seiten der Regierung vielmehr gezwungen, öffentliche Erklärungen abzugeben. Die Erklärung in diesem besonderen Fall muß demnach auch ihre besonderen Bedenken gehabt haben. Denn als nach erfolgter Achterklärung über das »junge Deutschland« eine ganze Reihe der Gelehrten, die ursprünglich mitarbeiten wollten, im Inseratentheil der »Allgemeinen Zeitung« ihren Rücktritt erklärten, blieb eine Erklärung Trendelenburgs auch weiterhin aus. Der erste, der eine Erklärung dieser Art mit Hinweis auf die von Menzel enthüllte Tendenz des Unternehmens gab, war Professor Ulrici in Halle. Es folgten Ed. Gans, Hotho, Varnhagen, Rosenkranz. Trendelenburg schwieg. Er war ja durch seinen Gönner nach oben geschützt.

Daß aber der Druck von oben die Anderen zu ihren Erklärungen veranlaßt hat, geht aus einem höchst interessanten Brief des Professors Rosenkranz vom 10. Juli 1837 hervor, den uns der Nachlaß Gutzkows erhalten hat. Rosenkranz, einer der begabtesten von Hegels Schülern, war Professor der Philosophie auf dem Lehrstuhl Kants in Königsberg. Seine altdeutsche Literaturgeschichte war eines der ersten Bücher, an welchen Gutzkow im Jahre 32 seine junge Kritik in günstigem Sinne geübt. Der Bundesbeschluß hatte die daraus sich ergebenden lockeren Beziehungen gelöst. Aber der charaktervolle Gelehrte war in den nächsten zwei Jahren der unentwegten Fortentfaltung des Gutzkow'schen Genius mit inniger Theilnahme gefolgt und zu diesem und seiner Geistestapferkeit von tiefer Sympathie erfüllt worden. Und so schrieb er ihm an einem stillen Sommertag des Jahres 37 aus eigenem Antriebe:

»Ziegelhof vor Königsberg, 10. Juli.

Ich wohne jetzt meiner Frau und Kinder wegen vor dem Thor. Das einzige Journal, welches ich hier draußen mir aus der Stadt mitnehme, wenn ich nach beendigten Vorlesungen zu den Buchhandlungen gehe, die Novitäten zu perlustriren, ist Ihr ›Telegraph‹. Ihre Gedichte sind mir auf meinen einsamen Gängen in Feld und Wald eine Begleitung, für die ich Ihnen großen Dank schulde. Eben habe ich Ihren Artikel über G. Büchner gelesen. Ich hatte so etwas von Ihnen erwartet. Bei dieser Lektüre sind eine Masse Empfindungen und Gedanken in mir wieder rege geworden, die ich endlich gegen Sie ausströmen muß …

Zuerst will ich bis auf den Sommer 1835 zurückgehen, wo ich mit so reichen Hoffnungen den Prospektus der Revue begrüßte. Sie müssen mich zu den Apostaten rechnen. Ich hoffe aber, daß die Art und Weise, wie ich in der Allg. Zeit, meiner amtlichen Verhältnisse halber einer leicht gereizten Jugend gegenüber und von einer der Politik halber grenzenlos mißtrauischen Regierung streng beaufsichtigt mich ausdrückte, nichts Beleidigendes für Sie gehabt hat. Habe ich Sie verletzt? Sagen Sie es aufrichtig. –

Als man meinen Namen als Mitarbeiter in der Allg. Zeit, gelesen hatte, bekam ich erst von Halle'schen Freunden nach einander Beschwörungen um Gotteswillen, mich von einem moralischen und relig. Abgrunde zurückzuziehen. Dann erfolgte von Berlin aus der Antrag ( sub rosa natürlich), öffentlich zu erklären, daß ich Ihre Ansichten über Kirche nicht theile, oder mich den unangenehmsten Maßregeln preisgegeben zu sehen. Da ich nun, wie meine theologische Enzyklopädie dokumentirt, über Christenthum u. s. w. in der That von Ihnen sehr differire, so entschloß ich mich, um Aufsehen zu meiden, und meine akademische, mir so theure Wirksamkeit nicht zu suspendiren, dies zu thun, wodurch ich weder mich noch Sie compromittirte. – Ich kann in einer ›Geschichte des Embryo‹ ganz ruhig mein Unterfutter herauskehren lassen. Ich bin hier Ihr advocatus diaboli gewesen; gegen Präsidenten, Grafen, Baronessen, Superintendenten, spekulative Referendarien und Lieutenants, habe ich Sie nach Kräften zu vertheidigen, Ihre Natur begreiflich zu machen und Ihre Schriften, die man oft nur dem Namen nach kannte, zu verbreiten gesucht. Ihre Wally und Ihr Maha Guru haben eine große Zirkulation gehabt. Monate lang waren diese Bücher nicht bei mir zu Haus.

Als ich in der Vorrede zur Kritik der Schleiermacher'schen Glaubenslehre, auf Sie zu sprechen kam (ich weiß nicht, ob Sie das Büchlein kennen), mußte ich Ihren Namen unterdrücken. Die Zensur hatte den Auftrag damals, Ihr Gedächtniß zu exstirpiren. Ich habe dort über die Lucinde, über die Schamhaftigkeit, über Ihre Auffassung Schleiermachers und über Strauß' Leben Jesu gesprochen.

Eingekeilt in die ›Thatsachen‹ bewege ich mich wie in einem Harnisch. Aber gestehn Sie nur, daß Sie auch oft tolle Dinge machen, so daß man momentan ganz irre werden kann, weshalb auch so Viele in Ihnen nicht den Drang des werdenden Genius, sondern nur den nach Effekt, nach Ruhm und Geld haschenden talentvollen Schriftsteller sehen wollen. Ich bin weit entfernt, dies elende Urtheil zu theilen. Aber warum denn von Christus in so schneidenden Ausdrücken sprechen? … Warum Gans vorwerfen, daß er keinen Stil habe, da er doch Charakter hat und ihm also auch diesen absprechen? Warum Varnhagen, der so viel für Sie gethan, was Sie nicht wissen, eines Witzes wegen sich entfremden? Sie haben oft, immer etwas Richtiges im Hintergrunde, aber Sie sagen zu oft einer Lumperei wegen: va banque! … Warum so muthwillig ohne Aussicht aus Resultate reizen? …«

Wie dieses Schreiben, so sind auch Mundts Briefe, von denen wir schon Proben zitirten, und Varnhagens Tagebuch-Auszeichnungen beredte Zeugnisse, wie in der Verfolgung des Jungen Deutschlands der Kultusminister Altenstein im ersten Schrecken mit den Zeloten der Orthodoxie und mit den Leitern der politischen Polizei und der auswärtigen Politik gemeinsame Sache machte.

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Auch der auswärtigen Politik! Wie diese dazu kam? Zu deren Hauptaufgaben gehörte in jenem Jahr und dem folgenden, als auch Louis Philipp und Thiers in Frankreich die Friedens- und Eintrachtsschalmei in dem europäischen Konzerte bliesen, dessen Kapellmeister Metternich war, die Ueberwachung der Konspirationen all der politischen Flüchtlinge aus Deutschland, Polen, Italien und Frankreich, die in der Schweiz Zuflucht gefunden hatten. Nach dem Tod Lafayette's (20. Mai 1834), der im Jahre vorher noch als Organ der republikanischen Opposition den »Verein für die Menschenrechte« gegründet hatte, war unter der zunehmenden Reaktion in Frankreich der Schwerpunkt aller republikanischen Propaganda nach der Schweiz gedrängt worden. Diese jetzt durch das Uebergewicht der Großstaaten zur endlichen Auslieferung der von ihr beherbergten Verschwörer zu bringen, war die Aufgabe der Diplomaten, welche die heilige Allianz bei der Schweizer Regierung in Bern vertraten.

Was aber hatte das mit den Schriften zu thun, wegen deren Gutzkow, Laube, Mundt, Wienbarg so schwere Verfolgung traf?

»Ironien des Satans« liebte Gutzkow die Schicksalsfügungen zu nennen, welche menschlichen Bestrebungen so oft als Erfolg das Gegentheil des Erhofften bieten. Eine solche »Ironie des Satans« war es, welche unsre Schriftsteller gerade zu einer Zeit als Lästerer der Ehe verfolgt werden ließ, als Gutzkow und Laube auf ihre Verheirathung sannen. Eine »Ironie des Satans« war es, daß sie gerade als sie sich der politischen oppositionellen Schriftstellerei ganz entzogen, um ausschließlich literarischen Aufgaben ästhetisch-ethischen Charakters zu dienen, gerade wegen dieser Wendung zu den sozialen Problemen, die schon unsre Klassiker beschäftigt, Gegenstand der politischen Verfolgung wurden. Eine »Ironie des Satans« war es aber vor allem, daß sie ihren literarischen Gemeinsamkeiten ohne ein bestimmtes Programm und Ziel, das alle verpflichtet hätte, den Kennnamen »Junges Deutschland« gaben, während – ohne ihr Wissen – in der Schweiz ein politischer Geheimbund mit sehr bestimmten Zielen den gleichen Namen sich gegeben.

Schon im Jahre 1834 hatte der Name in diesem Sinne die Protokolle des Deutschen Bundestags als Spuk- und Schreckenswort bereichert. Aus der Schweiz waren aufrührerische Schriften, im Besondern die »Glaubensbekenntnisse eines Geächteten an die deutschen Volksfreunde«, wiederholt an deutsche Adressen, namentlich nach Frankfurt a. M. und das in so starker Gährung begriffene Hessen-Nassau gelangt, aber zum Theil von der Polizei, bezw. durch das schwarze Kabinet der Naglerschen Postverwaltung aufgefangen worden. Eine Reklamation des nassauischen Bundestagsgesandten von Marschall führte zum Beschluß scharfer Beschwerden über das Treiben deutscher Flüchtlinge in der Schweiz bei der Berner Regierung und zu einer gesteigerten Ueberwachung derselben durch den preußischen und österreichischen Gesandten in Bern und dessen geheime Agenten. Dem betreffenden Ausschuß ward außerdem Bericht über die Zustände in der Schweiz aufgetragen. In der Sitzung vom 11. September 1834 erfolgte dann dieser Bericht durch Blittersdorf als Referenten. Dann hieß es nach einem allgemeinen Verweis auf das agitatorische Treiben der deutschen Flüchtlinge Strohmeyer, Rauschenplatt, Lohbauer, Herold, Kunz und Autenrieth: »Sehr gefährlich erscheint uns die von dem › Jungen Deutschland‹ unter den wandernden deutschen Handwerksgesellen zu Bern gestiftete Verbindung, und das am 27. Juli l. J. im Steinhölzchen bei Bern gefeierte Fest, wobei die Fahnen von Württemberg, Bayern und Baden zerrissen und zerstampft sind, ist ohne Zweifel das Werk dieser neuen Verbindung.« (Ueber dieses Fest sagte freilich der amtliche Bericht im Schweizer ›Volksfreund‹, daß dasselbe mit Vorwissen des Regierungsstatthalters Roschi stattgefunden habe, daß es ein harmloses Fest gewesen sei mit dem Zweck, das Band der Freundschaft und allgemeinen Vaterlands- und Freiheitsliebe unter den Theilnehmern zu knüpfen und daß die kleinen papiernen Fähnchen weggeworfen worden seien als eine etwas größere Fahne, roth, schwarz und gelb, aufgestellt worden, weil hier weder württembergische, bayrische noch badische, sondern nur deutsche Männer gegenwärtig seien. Von deutschen Flüchtlingen habe keiner leitenden Antheil genommen. Vgl. Allgem. Ztg. vom 5., 8. und 11. August.) Dieses sogenannte ›Junge Deutschland‹ zähle bereits mehrere hundert Theilnehmer und versammle sich regelmäßig Montags im Geheimen. »Siebenpfeiffer und Gärth sollen den meisten Einfluß auf diesen Verein haben. Die Handwerker, heißt es, würden aufs höchste exaltirt und zu allem fähig gemacht … Auch in Zürich ist nach anderen zuverlässigen Angaben eine Verbindung unter den Handwerksgesellen mit gleicher Tendenz gestiftet worden. Es lasse sich nicht verkennen, daß diesen Erscheinungen ein tiefer Plan zu Grunde liege. Die deutschen Revolutionärs haben bei ihren Versuchen, die gegenwärtige Ordnung der Dinge in Deutschland umzustoßen, die Erfahrung gemacht, daß es ihnen an Händen zur Ausführung ihrer verbrecherischen Pläne fehle. Die Verführung des Militärs sei mißlungen, die Theilnahme der akademischen Jugend sei nicht hinreichend. (Hinweis auf die vergeblichen Putsche in Göttingen, Frankfurt &c.) Die breite Masse der Handwerker sei das geeignete Mittel.«

Nach diesem Bericht wurde beschlossen, das Wandern der deutschen Handwerksgesellen nach Frankreich, Belgien und der Schweiz bis zu Ende des Jahres 1836 zu verbieten. Ebenso wurde den deutschen Studirenden der Besuch der Schweizer Universitäten verboten, weil die Flüchtlinge Snell und Siebenpfeiffer an diesen als Professoren Anstellung gefunden.

Die weitere Untersuchung mußte aber ergeben, daß jenes »Junge Deutschland« nicht nur in der Schweiz die Revolutionirung der Handwerksgesellen durch solche Feste und Zusammenkünfte betreibe, sondern auch in Deutschland direkt durch den Zwecken der Propaganda entsprechende Schriften für jene zu wirken suche.

Eine Ironie der Geschichte kann man die Gleichzeitigkeit dieses Unternehmens in der Schweiz und der von uns geschilderten Bewegung nennen, aber sie ist gleichzeitig eine bedeutsame Manifestation des Zeitgeistes, der damals ganz Europa durchströmte. Wirkt es nicht wie der geheimnißvolle Zusammenklang historischer Gesetze, daß fast um dieselbe Zeit, fern von einander und nicht sich kennend, ein deutscher Student in Berlin, Karl Gutzkow, und ein junger genuesischer Rechtsanwalt, Guiseppe Mazzini, der Literatur ihrer Zeit einem politischen Reformzweck zuerkannt und sie als mächtigstes und edelstes Mittel bezeichnet hatten, die Geister für eine nationale Widergeburt ihres Vaterlandes zu erziehen?

Um dieselbe Zeit, da Gutzkow an Georg von Cotta von den »grünen Keimen« einer jeune Allemagne schrieb, welche der Literatur einen neuen Aufschwung geben sollte, und andeutete, daß ihr ein Organ geschaffen werden müsse, gründete Mazzini als politischer Flüchtling in Marseille ein Journal La giovine Italia, das für Italien den Zweck haben sollte, durch Verbreitung der Ideale, welche der deutsche Protestantismus, die Freimaurer und die Dichter Deutschlands und Italiens verkündigt hätten, Kirche und Volk von ganz Italien zu nationalisiren. Um dieselbe Zeit, da Heinrich Laube seinem ersten Roman den Titel »Das junge Europa« gab, entwarf Mazzini den Plan für den politischen Geheimbund »Das junge Europa«. Und als Wienbarg seine »Aesthetischen Feldzüge« mit dem Rufe eröffnete: »Dir, junges Deutschland, widme ich diese Reden, nicht dem alten«, trat als Abtheilung dieses Jungen Europas Mazzini's, ebenbürtig der giovine Italia und dem jungen Polen, als Vorbild für ein noch zu gründendes junges Frankreich und eine junge Schweiz der politische Geheimbund » Das junge Deutschland« ins Leben.

Ein merkwürdiger Gleichlauf, den wir hier zum ersten Mal feststellen.

Und gerade als Gutzkow und Wienbarg sich zusammen gefunden hatten zur Begründung der literarischen »Festung« im Kampf für ihre »jungen Ideen« und die »Deutsche Revue« als Organ des literarischen jungen Deutschlands ankündigten, hatte das politische junge Deutschland durch Mazzini in der Schweiz auch seine »Festung«, sein eignes Organ erhalten, freilich ohne daß es irgendwo gesagt ward, und am 1. Juli 1835 erschien die erste Nummer der zweisprachigen Zeitung » La jeune Suisse, die junge Schweiz, ein Blatt für Nationalität«. Gutzkow und seine Gesinnungsgenossen konnten ihr Erscheinen, wenn sie davon erfuhren, als ein weiteres Zeichen auffassen, daß auch in der Schweiz das Bewußtsein einer neuen Zeit, eines jungen Geschlechts mit gleichen Bedürfnissen und Idealen, wie sie hegten, nach öffentlichem Ausdruck verlange. Von Mazzini und seinen hochfliegenden Planen, von dem Geheimbund des Jungen Europa und seiner Gliederung in nationale Zweigvereine hatten sie keine Ahnung. Und bis gegen Ende des Jahres 1836 wußten auch die europäischen Regierungen, deren Organe nach ihm fahndeten, nicht, daß seit dem Frühjahr 1834 der gefährliche Verschwörer in dem kleinen Bad Grenchen im Kanton Solothurn unter dem Namen Strozzi mit seinem Freunde Ruffini in sichrer Hut lebe und von dort aus die Unternehmungen des Jungen Europa wie auch die Journale desselben leite. Wohl forderte die Berner Regierung in einem Kreisschreiben die Ausweisung des Fremden, wenn man ihn beträfe. Wohl verschwendete der österreichische Gesandte Herr von Bombelles Tausende an Geheimagenten, daß sie ihn auskundschafteten. Erst die große Flüchtlingshatz, welche endlich die Mächte mit Hülfe Frankreichs durchsetzten, hat ihn aufgestöbert, aber nicht ergriffen. Mit neuen falschen Pässen entfloh er in die Soutane des geweihten Priesters verkleidet nach England.

Auch Mazzini war damals fast noch ein Jüngling. 1808 zu Genua aus wohlhabender und angesehener Familie geboren, war er kaum 26 Jahr, als er dem in seiner Organisation zerrütteten Carbonarismus einen besseren Ersatz zu schaffen suchte in dem Jungen Europa. Aber schon umglänzte sein bleiches Schwärmerantlitz die Gloriole des Märtyrerthums und der bestrickende Glanz seiner tiefdunklen Augen wurde gehoben durch Schatten, welche geistige Leiden auf seine Züge geprägt. Mit heißer Leidenschaft für die Ideale der patriotischen Jugend erfüllt, war er schon als Student Mitglied des Bundes der Carbonari geworden. Er wurde verrathen und verhaftet und bei dieser Gelegenheit entdeckte ihm ein Zufall, welche Unklarheit über die letzten Ziele selbst in den Häuptern der hohen Venta herrschte. Auf der Bergveste Savona, wo seine Gefängnißluke ihm den Ausblick auf das blaue Meer in der Tiefe gewährte, hatte er Muße, den Plan zu einem neuen Bund aller liberalen Patrioten auszudenken, an dessen Gründung er sofort ging, als er nach der Entlassung aus der Haft verbannt wurde und sich nach einer geheimen Reise durch Savoyen nach Korsika und einem verunglückten Putsch zunächst in Marseille niederließ. Die Carbonari hatten in Italien mit den bestehenden Machtgruppen – Oesterreich ausgenommen – unterhandelt, die partikularistische Zerrissenheit eher vermehrt als vermindert, mit den demokratischen Elementen Frankreichs paktirt. Der neue Bund forderte Befreiung des Bodens und der Geister von fremder Herrschaft. Von den privilegirten Klassen Italiens erhoffte Mazzini nichts, nur im Volke erkannte er die schöpferische Kraft zu einem einheitlichen freien Staate, dessen Grundlage die gemeinsame Nationalität. Er erkannte aber auch – und hierin begegnete er sich mit Wienbarg und Gutzkow –, daß diesem Schöpfungsprozeß erst die Bildung und Erziehung des Volkes zur Freiheit vorausgehen müsse. Der Bund verwarf ferner den alten mystischen Formelkram des Carbonarismus. Nur für die »inneren Operationen« forderte er strikte Geheimhaltung. Der Bund brauche Apostel für sein Reformwerk, zu solchen seien vor allen die Verbannten berufen, welche ihr Lebensglück bereits verwandten Idealen aufgeopfert. Als höchste Ziele des Bundes bezeichnete Mazzini den Nächststehenden eine neue Versöhnung des Individuums mit der Gesammtheit des Volkes: er soll einen vergeistigten und humanisirten Gottesglauben an die Stelle des Papstthums und des französischen Skeptizismus und Materialismus setzen, soll den alten Zwist zwischen heiliger Ueberlieferung und dem Gewissen des Einzelnen durch die neue Idee der Humanität versöhnen. Die Bekenner des neuen Staats werden weder Protestanten noch Katholiken sein, an Stelle des geoffenbarten Christenthums wird zuletzt der Glaube an den Gott treten, welcher sich unablässig in dem Menschengeschlecht offenbart.

Ist es nicht wunderbar, wie sich diese Gedanken mit den Ideen begegnen, welche Heine in seinen Schriften »über Deutschland«, Wienbarg in seinen »Feldzügen«, Gutzkow in seinen Phönix-Artikeln mit so viel Begeisterung vertraten. Und hier wie da, der Appell an die Jugend! »Es ist wesentlich,« schrieb Mazzini am 17. Februar 1833 an den Badenser Flüchtling Garnier in Straßburg, »daß die Jugend die Geschicke der Menschheit in die Hand nimmt, denn sie allein besitzt Kraft, Ausdauer und Begeisterung, sie allein ist fähig aus der Freiheit eine Religion zu machen.«

Den Umstand, daß der spätere Minister Badens, Karl Mathy, damals im Flüchtlingselend von Mazzini zum Hülfsredakteur an der »Jungen Schweiz« geworben wurde, hat Gustav Freytag als Biographen desselben (Karl Mathy, Geschichte seines Lebens. Leipzig 1870) veranlaßt, das ihm bekannt Gewordene über Mazzini's damalige Bestrebungen und Veranstaltungen in der Schweiz in seiner lichtvollen Weise darzustellen. Zwar hat er nicht das Helldunkel des nur halbgelüfteten Geheimnisses durch volle Klarheit ersetzen können, aber der welthistorischen Bedeutung des »größten, kühnsten, edelsten aller internationalen Demagogen«, wie sogar Treitschke den Stifter des Jungen Europa nennt, des Begründers der Einheit Italiens, dem neuerdings Graf Schack ein literarisches Denkmal begeisterter Verehrung geweiht hat, ist er bei Beurtheilung seines Charakters aufs schönste gerecht geworden. Nur hätte er hervorheben dürfen, daß das politische Humanitätsideal, das er praktisch zu verwirklichen strebte, von deutschen Dichtern und Denkern längst verkündet war; daß es in Herders »Ideen« Sprache gewonnen, von Lessing als Weisheit seines Nathan, von Schiller als Begeisterungstrieb seines Posa poetisch gestaltet worden, daß als letzter Wunsch des sterbenden Faust in Goethe's Lebensgedicht als höchstes Ziel alles menschlichen Strebens gepriesen wurde: »Auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehn«. Er hätte hinweisen dürfen auf die gleichzeitigen Versuche eines jungen Geschlechts deutscher Dichter und Denker, in denen ebenso wie in Mazzini die Erkenntniß wirkte, daß die Erfüllung des kosmopolitischen Humanitätsideals auf die Wiedergeburt und Vertiefung des nationalen Lebens sich gründen müsse und daß nicht in dieser Verknüpfung des Freiheits- mit dem Nationalitätsprinzip das Ureigenthümliche von Mazzini's Apostelthum lag, sondern in der Erfindung eines Systems thatkräftig wirkender Assoziation für beide zugleich. Wir haben gezeigt, wie schon in Heine und Börne, Welcker und Rotteck, Wirth und Siebenpfeiffer das internationale und das nationale Prinzip sich zu Gegensätzen in der liberalen Bewegung der Deutschen ausbildete; es ist falsch, wenn Freytag in seinem Buch über Mathy zu Gunsten dieses Einzelnen die deutsche Bewegung in ihrer Gesammtheit heimathlos und international nennt.

Wenn Mazzini in seiner Flugschrift Foi et avenir, die 1835 als Antwort auf die französischen Septembergesetze erschien, neben die allgemeine Jakobiner-Forderung der Menschenrechte die Pflicht gegen das Vaterland als ebenbürtig stellte, so fand er sich im Einklang mit allen patriotischen Reformgeistern der deutschen Freiheitsbewegung seit Herder, Fichte, Arndt; wenn er ein religiöses Prinzip in die Freiheitsbewegung zu bringen suchte, so begegnete er sich darin mit dem Geiste der deutschen Burschenschaft und der sich aus dieser entwickelnden demagogischen Bewegung, deren bedeutendster Leiter der hessische Pfarrer Weidig von Butzbach war. Mazzini's Bedeutung ist, daß unter all den Vielen, die damals aus Vaterlandsliebe den Regierungen Opposition machten und von einer heiligen Allianz der Völker träumten zur Befreiung derselben vom unerträglichen Joch des herrschenden Systems, er der einzige große Strateg in dem geheimen Kampf der Freiheit gegen Metternich, der thatkräftige Organisator einer Vereinigung der zerstreuten Elemente war, welche jedem Volke, wie jedem einzelnen Menschen freie Selbständigkeit zuerkannte, gemäß der besonderen Aufgabe, die jedem seiner Natur nach geworden, von Allen aber gleichzeitig die Unterordnung forderte unter die allgemeine Kulturaufgabe der Menschheit. Als diese aber bezeichnete die Verbrüderungsakte des Jungen Europa vom 15. April 1834: ohne Aufenthalt vorwärts zu schreiten zu einer freien und harmonischen Entwickelung aller Kräfte und Anlagen und so die Bestimmung zu erfüllen, welche dem Menschen im Universum zu seiner nie stillstehenden Bildung angewiesen ist. In diesem Sinne war den vorläufig gegründeten drei Vereinen der Weg für eine selbständige Entwickelung vorgezeichnet; der deutsche erlag nicht nur der politischen Verfolgung, als die Schweiz vorübergehend aufhörte, den Flüchtlingen ein Asyl zu sein, sondern vorher schon der Unfähigkeit seiner Leiter: Dr. Aug. Breidenstein und sein Bruder Friedrich aus Hessen-Homburg, Carl Theodor Barth aus Rheinbayern, Georg Peters aus Berlin und Christian Scharpff aus Rheinbayern. Die Propaganda des Jungen Italien, dem u. A. gleich im Anfang der Schiffskapitän Giuseppe Garibaldi beitrat, war dagegen sehr erfolgreich und es ist ausgemacht, daß sie den Boden bereitete für das Staatsgebäude Cavours, das konstitutionell in Freiheit geeinte Italien von heute.

Aber auch sonst in Europa hat Mazzini's Lehre reinigend, einigend und befreiend gewirkt. Sie hat in der That, wie Freytag es ausdrückt, in ihrer begeisternden Verkündigung wesentlich dazu beigetragen, den heimathlosen Liberalismus des europäischen Kontinents (soweit letzterer eben heimathlos war) national zu machen. Nicht nur den Italienern, führt der Biograph Mathy's aus, war es ein Gewinn, daß der Patriotismus Mazzini's der französischen Frivolität und Anmaßung den Fehdehandschuh entgegenwarf; auch der Schweizer gewann aus diesen Ideen das Vertrauen, über den reformirten Kantonverfassungen eine neue Staatsverfassung der gesammten Schweiz zu fordern, und mancher verlaufenen deutschen Seele klang es wie eine neue Verkündigung, daß sie, die der Reihe nach für Griechen, Franzosen, Polen geschwärmt hatte, vor Allem verpflichtet sein sollte, recht tüchtig deutsch zu sein. Durch das Junge Europa wurde das Wort Nationalität zu einer umlaufenden Scheidemünze des Liberalismus und auf Umwegen hat die Lehre von dem Recht jedes Volksthums bis zur Gegenwart und in die fernen Ostländer gewirkt. Sie hat in Landschaften gearbeitet, an welche Mazzini damals noch wenig dachte, sie ist noch jetzt der Schlachtruf stürmischer Jugend unter Slaven, Magyaren, Rumänen, vor allem in dem jungen Rußland. So Freytag. Wir fügen hinzu: mit dem Unterschied, daß Mazzini die Nationalität gepflegt, geschützt und gestärkt sehen wollte als festes Fundament der Verbrüderung der Völker im Genuß der Freiheit und im Geiste der Humanität, nicht aber als Bollwerk gegenseitiger Verfeindung und Bekämpfung. Das war das Endziel des idealen Zukunftsglaubens – foi et avenir! –, an den er sein Leben setzte als Verschwörer und Agitator, mit Heimlichkeit gegen Heimlichkeit, mit Gewalt gegen Gewalt, mit Erhebung gegen Unterdrückung, mit der Ohnmacht einiger tausend geächteter Patrioten hinter sich gegen die Uebermacht der heiligen Allianz, aber auch getragen von dem unzerstörbaren Glauben an den Fortschritt der Menschheit gegenüber einer ideallosen Gewaltherrschaft.

Der idealen Grundstimmung seines Radikalismus entsprach es ganz, daß Mazzini als Mittel der Verwirklichung – im Gegensatz zum Carbonarismus – nicht nur solche der politischen Verschwörung und Intrigue, sondern auch der geistigen Aufklärung und humanistischen Bildung, der Literatur ins Auge faßte. Aus Karl Mathy's Ueberlieferungen und aus Briefen schöpfend, die dessen literarische Thätigkeit unter Mazzini's Oberleitung betrafen, hat uns G. Freytag zuerst eingehendere sachliche Mittheilungen darüber zu bieten vermocht. »Wer ihn nur als Verschwörer kennt, dem entgeht der bessere Theil seines Wirkens. Ein großer Theil der Thätigkeit des jungen Italiens, trotz aller Einseitigkeit der fruchtbarste, war: durch kleine Bücher, durch Uebersetzung und Bearbeitung fremder Literaturwerke Bildung zu verbreiten. Eifrig suchte er bei allen Kulturvölkern, was auf die Italiener wirken könnte, gern dachte er dabei an den niedern Klerus, der sehr wohl für die Bewegung gewonnen werden könne. Nicht in jedem Jahr könne man das radikale Heilmittel einer Revolution anwenden, immer aber sei es möglich, ein politisch verunglücktes Volk durch Bücher zu erziehen. Deshalb arbeitete er in der Schweiz unablässig für die » Volksbibliothek«, welche der Bund in Italien drucken und verbreiten ließ. Und zu diesem Zwecke mühte er sich z. B., wie schwer ihm dies bei seiner unvollkommenen Kenntniß der deutschen Sprache auch wurde, die »Söhne des Thals« von Zacharias Werner selbst zu übersetzen. Solche Werke ließen sich, meinte er, ohne Hinderniß in Italien verbreiten. Ein Buch von so ungeheurem Erfolge wie die deutschen »Stunden der Andacht« werde in Italien verbrannt, die Poesie aber habe freieren Eingang, und darum müsse man sie benützen, auf die Seelen zu wirken. Nach dieser Wirkungsfähigkeit schätzte er den Werth der einzelnen poetischen Werke. Wie er sich auch hierin mit den Schriftstellern unseres Jungen Deutschlands begegnete, zeigt der Essay recht deutlich, den er 1837 in dem Monthly Chronicle in London über Byron und Goethe erscheinen ließ (s. S. 128). Die hier durchgeführte Meinung Mazzini's deckt sich fast wörtlich mit Sätzen, die sich bereits in Gutzkows erstem Aufsatze über Menzel im »Forum der Journalliteratur« finden. Dieser idealen Geistesrichtung entsprach es auch, daß in Mazzini's Jungem Deutschland die Zeitdichtung von radikaler Tendenz gepflegt ward, wie ja das ganze deutsche Demagogenthum an einem Ueberschuß von lyrischer Stimmung krankte in Verhältnissen, die ruhige Entschlossenheit, zielbewußte Thatkraft und nüchterne Vorsicht erheischten. So finden sich in den Verzeichnissen verbotener Bücher, die in den Jahren 1834 und 1835 von den Einzelstaaten beim Bundestag eingereicht wurden und in welchen vor allem auch die Werke des literarischen Jungen Deutschlands figuriren, auch solche von den Dichtern des politischen Jungen Deutschlands, z. B. die revolutionären Gedichte von Georg Fein neben verwandter Flüchtlingspoesie von dem Frankfurter Wilhelm Sauerwein und dem Holsteiner Harro Harring neben den Schriften, welche vornehmlich als Agitationsmittel von dem jungdeutschen Geheimbund benutzt wurden: die Hefte der Zeitschrift »Der Geächtete«, die der Kölner Flüchtling Venedey in Paris, und »Deutsches Leben, Kunst und Poesie«, die der Badener Flüchtling J. H. Garnier in London herausgab, die »Worte eines Gläubigen, von F. von La Mennais« in Börne's Uebersetzung, das Flugblatt »Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers«, und Garniers Beiträge zur Geschichte Caspar Hausers.

Diese Thatsache einer literarischen Propaganda des Mazzinistischen Jungen Deutschlands erhöht sehr wesentlich die Wahrscheinlichkeit, daß an dem Bundesbeschluß gegen das literarische Junge Deutschland der »Deutschen Revue« der Verdacht betheiligt war, es bestehe ein Zusammenhang zwischen beiden.

Andererseits widerspricht der Umstand, daß in den betreffenden Bundestagsprotokollen, welche von der letzteren Vereinigung handeln, auch der leiseste Hinweis auf die Möglichkeit solchen Zusammenhangs fehlt, dieser Vermuthung.

Es ist unsere Aufgabe, hier die Frage nach Möglichkeit zu entscheiden.

Da ist vor Allem festzustellen, wie uns nicht nur jedes direkte Zeugniß solchen Zusammenhangs, sondern auch überhaupt des bezüglichen Verkehrs aller in Frage kommender Persönlichkeiten fehlt bis auf die schon zitirten Briefe, die Löwenthal und Gutzkow im Sommer 35 wechselten, und den Brief Mundts, in welchem dieser an Kühne schrieb, daß das Junge Deutschland sich in Frankfurt zu sammeln beginne. Derselbe wird ergänzt von einem anderen Briefe Mundts an letztern aus dem Dezember des ereignißvollen Jahres über Gutzkows Verhaftung. »Der unglückliche Gutzkow ist verhaftet, und ich fürchte, daß man ihn hieher abliefern wird als vor sein Forum. Dies könnte mich in seine Untersuchung verwickeln, obwohl ich, wie Du weißt, niemals Verabredungen noch Zusammenhang in irgend einer Sache mit ihm gehabt habe. Man glaubt aber einmal an eine Konspiration … Verlange ferner keine Briefe von mir, denn ›es macht mir Schmerz‹ und bringt Gefahr. Unsere Kommunikation ist so gut wie abgeschnitten. Nur zuweilen laß uns mit einigen Zeilen Nachricht geben, wie es im Allgemeinen geht und wie wir's treiben.« Die Zeugnißkraft der ersten Sätze wird eigentlich durch den Schluß aufgehoben. Sie waren mindestens so gut ans schwarze Kabinet wie an Kühne gerichtet.

Alle fünf Schriftsteller aber, die der Bundesbeschluß in die Acht that, haben so oft, so entschieden und so unabhängig von einander die Versicherung wiederholt, daß niemals irgend ein Zusammenhang geheimer Art sie mit einander verbunden, daß sie jeder politischen Konspiration stets fern gestanden haben, um jeden Zweifel daran als ausgeschlossen zu betrachten.

Für die durch die Analogie der Namen schon gestützte Annahme aber, daß die preußische und auch die österreichische Regierung zu ihrem Glauben an eine Konspiration durch den Hinblick auf Mazzini's Geheimbund veranlaßt und in ihm bestärkt wurden, würden wir uns dagegen um so leichter entscheiden können, wenn irgend ein Zeugniß dafür bestände, daß die Minister und Bundestagsgesandten von den literarischen Tendenzen der Mazzinistischen Propaganda damals schon Kunde hatten.

Die Akten des Bundestags enthalten jedoch kein Zeugniß dafür. Im Jahre 48 hat Schmerling als Präsidialgesandter des Bundestags, wie von noch lebenden Zeitgenossen bestätigt wird, die gesammten Akten der Bundes-Zentralkommission im Hofe des Taxis'schen Palais verbrennen lassen: wahrscheinlich aus nur allzu berechtigter Scham über diese Zeugnisse des unerhörtesten Inquisitionsverfahrens gegen deutsche Patrioten. Auch in der Geheimen Registratur, welche sich unter amtlichem Verschluß in der Frankfurter Stadtbibliothek befindet, scheint Schamgefühl oder eine andere Regung die Beseitigung vorgenommen zu haben, die ich bei der mir von dem Reichskanzleramt gestatteten Durchsicht desselben festzustellen hatte und welche die Forschung um die Frucht dieser Mühe betrog. Im Register zum Jahrgang 1835 der Geheimen Registratur findet sich nämlich am Schluß des Sachverzeichnisses zur 30. Sitzung (3. Dezember) der Vermerk »Registratur, aufgenommen in der 30. Sitzung am 3. Dezember, betreffend die Maßregeln gegen die unter der Benennung ›die junge Literatur‹ oder ›das junge Deutschland‹ bestehende Verbindung mehrerer Schriftsteller«. Diese Registratur ist im Text nicht vorhanden. Erhalten hat sich dagegen, wie die meisten der Berichte der Zentralbehörde an die Bundesversammlung, in diesem und jenem der lithographirten Exemplare, die an die Bundesgesandten zur Vertheilung gelangten: die » Zusammenstellung der Ergebnisse aus den in Deutschland geführten Untersuchungen bezüglich des politischen Treibens in der Schweiz, insbesondere der Verbindung ›das junge Deutschland‹, nach den der Bundes-Zentralbehörde bis 14. Januar 1836 zugekommenen Akten«. Aus dieser Zusammenstellung geht aber sichtlich hervor, daß in den Untersuchungen gegen in Deutschland lebende und aufgegriffene Mitglieder des Geheimbunds der Hauptgesichtspunkt nicht verrückt wurde, der als Aufgabe des »Jungen Deutschlands« die Aufwiegelung der in der Schweiz wandernden deutschen Handwerksburschen und die Vorbereitung eines bewaffneten Aufstandes in Baden erblickte. Obgleich der Bericht in der Einleitung die Stiftung des Bundes auf Mazzini und seinen Austritt aus dem Bund der Carbonari zurückführt, von der Verbrüderungsakte des Jungen Europa wie den Statuten der Nationalverbände Kenntniß giebt und aus der Déclaration des principes mittheilen kann, daß in dieser als Zweck des Bundes der Kampf gegen das alte Europa in Religion, Politik und Literatur zur Realisirung der Freiheit, Gleichheit und Humanität aufgestellt sei, haben die Untersuchungen selbst, die auf dem Hohen-Asperg, in Durlach, Frankfurt, Kiel, Berlin geführt wurden, keine Ergebnisse aufzuweisen, die sich auf Religion und Literatur beziehen. Wohl haben die Akten nach den Aussagen echter, und falscher Zeugen viel von Versammlungen, Kränzchen und Lesevereinen der deutschen Handwerksgesellen zu erzählen, die in Bern, Zürich, Lausanne, Genf und vor allem Biel bestanden und in denen Mitglieder des Jungen Deutschlands aus Zeitschriften und Flugschriften aufreizende Stellen vorgelesen, Ansprachen gehalten und zur Organisation angeleitet hätten, auch hat sie von Bestrebungen einzelner Emissäre, wie Franz Strohmeyer, dem Schwager Mathy's, zu berichten, die schriftlich von Straßburg aus oder auch durch persönliche Besuche in Deutschland, besonders in Frankfurt, Anhänger zu werben und Fühlung mit Vereinen verwandter Tendenz gesucht hätten, wohl verzeichnet die Zusammenstellung eingehende Berichte über den Leseverein in Biel, wo erst der als Lehrer dort angestellte Dr. Ernst Schüler aus Darmstadt, dann Freyeisen und Rottenstein aus Frankfurt die deutschen Handwerksgesellen für den Dienst des Bundes vorbereiteten; aber daß ganz in der Nähe von Biel, im Jurabad Grenchen, Mazzini und seine Getreuen im Hinterhalt lagen, daß die Druckerei der von ihnen zwar erwähnten nationalistischen Zeitschrift »Die junge Schweiz« ausschließlich den Zwecken des Jungen Europa diente, davon weiß die Zentralbehörde nichts zu berichten. Die Untersuchungsrichter hatten nur solche Inquisiten in die Hände bekommen, welche von der Agitation in Arbeiterkreisen Kunde hatten; ein eigentlicher Eingeweihter war nicht unter ihnen. Erst als die Schweizer Behörden unter dem Druck der vereinigten Großmächte sich zu scharfem Vorgehen gegen das Flüchtlingstreiben und zu eigenen Untersuchungen bereit finden ließen, kamen die feineren Zusammenhänge und die mannigfache Verzweigtheit der Bestrebungen zur Kenntniß der Gesammtheit des Bundestags.

Dieses Ergebniß schließt aber keineswegs aus, daß die Regierungen in Berlin und Wien schärfer sahen als die Mitglieder der Bundes-Zentralbehörde. Unterhielten doch diese neben ihren Gesandtschaften in Bern, wie Freytag es ausdrückt, »ein ganzes Rudel Spione« in der Schweiz, darunter die verworfensten Gesellen, welche als agents provocateurs – Lockspitzel heißt ein guter neuerer Ausdruck für dieses Schurkengeschäft – sich unter der Maske von Gesinnungsgenossen in das Vereinsleben der politischen Flüchtlinge mischten. War man andererseits doch in Berlin und Wien keineswegs geneigt, die eigenen Beobachtungen und Ansichten der Kenntniß der anderen am Bundestag vertretenen Regierungen zu erschließen, wenn es der eigenen Sonderpolitik nicht zugleich Vortheil brachte. Das Ministerium: Wittgenstein-Altenstein-Rochow-Kamptz-Nagler-Eichhorn-Ancillon konnte sehr wohl die Vermuthung jenes Zusammenhangs hegen, ohne doch die süddeutschen Regierungen vor vollendeter Feststellung darauf aufmerksam machen zu wollen. Feststeht, daß einige Zeit, nachdem im Frühjahr 1834 Mazzini das giovine Europa in Bern gegründet hatte, von der preußischen Regierung in Leipzig die Ausweisung Heinrich Laube's verlangt worden war, der sich dann, als er in Berlin von Polizeirath Dunker verhaftet wurde, vor diesem zunächst wegen des Oppositionsgeists in seinen bisherigen Schriften zu verantworten hatte. Zu diesen gehörten die Bände »Das neue Jahrhundert« und der erste Theil des – » Jungen Europa«. Das letztere Buch mit seinen kecken Liebesszenen und ernsten Debatten über die Fragen des politischen Fortschritts existirte damals schon ein Jahr. Der Polizei war es in dieser Zeit nicht eingefallen, daran Anstoß zu nehmen. Jetzt hatte das Erscheinen der ersten zwei Bände Reisenovellen mit dem Hinweis auf des Autors frühere Produktion wieder daran erinnert. Laube hat bis ins Alter sich nicht zu erklären vermocht, was die preußische Polizei damals veranlaßt haben könne, und gemeint, daß der Geheimrath Tzschoppe, dessen Wiege in Görlitz so nahe bei der seinen gestanden, aus persönlicher Ranküne darauf verfallen sei, seine kecke Schriftstellerei ihm zu verlegen. Sollte aber nicht Tzschoppe, von der Oberzensurbehörde darauf aufmerksam gemacht, daß die Reisenovellen allerhand Anzüglichkeiten gegen die Polizeiwirthschaft in Preußen enthielten, zu so rigorosem Vorgehen durch den Eindruck veranlaßt worden sein, den der Büchertitel »Das junge Europa« auf ihn machte, wo vielleicht sein Geist ganz erfüllt war von den ersten Nachrichten über die neue Verschwörung, die da auch »Das junge Europa« hieß. Ist es nicht möglich, daß Tzschoppe von da an einen Zusammenhang Laube's mit Mazzini vermuthet und, als herauskam, daß er früher Burschenschafter gewesen, einen weiteren Zusammenhang zwischen der deutschen Burschenschaft und dem Geheimbund aus Laube herausinquiriren zu lassen versucht hat? Als die Untersuchung in dieser Hinsicht resultatlos verlief, Laube's Burschenschafterthum sich als sehr harmlos herausstellte und nur seine Zugehörigkeit zu der verbotenen Verbindung und einige Beleidigungen des russischen Czaren als qualifizirbare Vergehen auf der Liste blieben, wurde er freigegeben, aber nur, um in einer preußischen Provinzstadt eine Confination anzutreten, ohne vorauszusehendes Ende und dem Bescheid, seine Verurtheilung würde später erfolgen. Warum wurde er nicht wie die andern sogleich verurtheilt? Wozu diese Vertagung? Dieser Zustand überwachter Scheinfreiheit? Diese gnädige Bewilligung eines Aufenthalts an einem Orte, der den drei Literaturstädten, zu denen er alte Beziehungen hatte, Leipzig, Halle und Jena, so verführerisch nahe lag? Sollte nicht die Erwartung, auf diese Weise besser zum Ziele zu kommen, den Beschluß motivirt haben? Sollte die scheinbare Freiheit, die man ihm gönnte, nicht den Zweck gehabt haben, ihn zu ermuntern, seine alten Beziehungen wieder aufzunehmen? … Und nun schrieb er Briefe nach Stuttgart, Mannheim – gefährliche Orte –, vorsichtige Briefe gewiß, aber von dem Zusammenhalt der »jungen Literatur«, von der Gründung eines Almanachs, einer Zeitschrift als Organen des »jungen Deutschland« war darin die Rede und noch viel mehr in den Briefen, die er als Antwort bekam. Und diese Briefe bekam Tzschoppe alle zu lesen; er sagte es selber zu Mundt, und erklärte, in ihnen und anderen das Mittel zu besitzen, »das ganze junge Deutschland zu verderben«. Wie er triumphirt haben mag, der kleingestalte Großinquisitor der politischen Polizei, wie sicher er geglaubt haben mag, die Fäden einer europäischen Verschwörung, die nicht nur politische Tendenzen hatte, sondern auch auf eine Revolution in Religion und Literatur auszugehen erklärte, in den Händen zu haben! Und als nun Menzel mit seinen Denunziationen hervortrat und Graf Münch frohlockte, den preußischen Staatslenkern mit deren Ausnutzung zuvorzukommen, da hatte Tzschoppe's Chef, Minister von Rochow, Material genug zu Händen, um durch General Schöler am Bundestag erklären zu lassen, daß diese Erscheinungen »schon seit langer Zeit Gegenstand fortgesetzter Beobachtung in Preußen gewesen seien«.

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Wir haben da einen Bau von logischen Schlüssen aufgeführt, deren Vordersatz nur eine Vermuthung ist. Mehr als die Wahrscheinlichkeit aussprechen, daß die preußische Regierung jenen Zusammenhang allerdings angenommen, können wir danach auch jetzt nicht. Aber eine noch unbenutzte Quelle bietet uns wenigstens werthvolles Material, diese Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Wieder sind es Briefe eines preußischen hohen Regierungsbeamten, geschrieben an Kelchner, den Vertrauten Naglers am Bundestag, welchen wir solchen Aufschluß verdanken. Zum Gesandten Preußens bei der Schweizer Bundesregierung in Bern ward in jener schwierigen Zeit ein Bruder des Polizeiministers Gustav Adolf Rochus von Rochow ernannt. Dieser Oberstlieutenant Theodor Heinrich Rochus von Rochow war nun im September, als der erste Angriff Menzels auf Gutzkow erfolgt war, noch in Berlin. Seine Abreise meldete Minister von Nagler an Kelchner am 1. Oktober: »Der Herr Oberst-Lieutenant und Gesandte von Rochow reist in etlichen Tagen ab, und besucht Sie, wahrscheinlich in Ihrer Wohnung. Er ist brav und mein Freund; Sie wissen, daß ich viel auf ihn halte. Er ist sehr thätig und schlau. Er will Ihnen einen vertraulichen Brief an mich zustellen.« Der dann erfolgte Besuch des Gesandten bezweckte, von Kelchner ähnliche Berichte zu erbitten, wie sie von diesem Nagler empfing. Von da an datirt ein Briefwechsel, der im Jahre 1873 (Frankfurt, Sauerländer) in Druck erschienen ist unter dem Titel »Briefe des königlich preußischen Generals und Gesandten Theodor Heinrich Rochus von Rochow an einen Staatsbeamten, herausgegeben von Dr. Ernst Kelchner und Prof. Dr. Karl Mendelssohn-Bartholdy.« Zweierlei nun tritt hier uns sogleich entgegen: das Interesse des Gesandten an dem, was in Frankfurt gegen Gutzkow und Genossen begonnen wird, und die Thatsache, daß derselbe jetzt gleichzeitig vor seiner Abreise nach der Schweiz sich um Mazzini's und der deutschen Flüchtlinge Treiben in der Schweiz und um die Literatur- und Preßverhältnisse in der Hauptstadt des süddeutschen Buchhandels, Stuttgart, zu kümmern hatte. Dort, im Cotta'schen Verlag, war ja Gutzkow als Schriftsteller bis vor kurzem persona grata gewesen und sein »Nero« erst kürzlich herausgekommen. Wie kam der Beobachter der deutschen Flüchtlinge in der Schweiz, der mit zunehmender Energie dort auf ihre Ausweisung drang, zu diesem Nebenamte in Stuttgart? Sollte er nicht hier auf Beziehungen zwischen dort und hier gefahndet haben? Wie ja deren auch wirklich bestanden, denn Karl Mathy z. B., der Hülfsredakteur der »Jungen Schweiz«, war der Schweizer Korrespondent der »Allgemeinen Zeitung«. Hören wir ihn selber. Am 13. November schreibt er aus Stuttgart an Kelchner: »Höchst wichtig ist die Maßregel des Bundes, das Verbot der jungen Literatur und der übrigen verderblichen Bücher. Solche Verbote sind viel besser als alle Zensur, die in konstitutionellen Staaten nicht durchgesetzt und in andern Ländern doch nur schwer gehandhabt werden kann.« Dieser Satz, daß »Bücherverbote viel besser als alle Zensur«, verdiente neben dem »beschränkten Unterthanenverstande« seines Bruders unter den geflügelten Worten Deutschlands ein Ehrenplätzchen. – Am 21. November schrieb Rochow weiter: »Ich freue mich sehr über die Ausweisung von Gutzkow und Konsorten.« Am 27. November: »Wo wird sich Gutzkow hinwenden?« – Inzwischen hat er allerhand Redaktionsgeheimnisse der »Allgemeinen Zeitung« und anderer Blätter ausgekundschaftet. »Der Korrespondent aus Berlin mit drei Sternen ist Professor Gans. Im Morgenblatt: Wilibald Alexis; im Hamburger Korrespondenten Zedlitz-Neukirch; in allen übrigen politischen Blättern: Hofrath Dorow. Herr von Otterstedt (der preußische Gesandte in Karlsruhe) wird schon bei Ihnen sein.« Am 4. Dezember ist er noch in Stuttgart: »Die Preßverordnung des Ministers der Polizei vom 14. gegen die junge deutsche Literatur ist sehr zweckmäßig, ich fürchte aber, daß sie nicht überall nachgeahmt werden wird. Hier schützt man die Verfassung und das Zensuredikt von 1817 vor. Der hiesige literarische Verkehr ist allerdings sehr bedeutungsvoll und gefährlich, ich habe in dieser Beziehung sehr gute Notizen gesammelt.« Vier Tage später kann er jedoch triumphirend melden: »Wally von Gutzkow ist heute Abend in Beschlag genommen. Aus Wien sind in dieser Beziehung auch Anträge gemacht worden.« Er bezeichnet es als seine besondere Mission in Stuttgart, »dem Unwesen einer heillos verderblichen Presse und den ökonomischen Instituten seine Aufmerksamkeit zu widmen« und ist empört, daß der Schwäbische Merkur den am 3. November in der Schweiz ermordeten preußischen Flüchtling Ludwig Lessing einen preußischen Spion genannt hat. Was es mit diesem Ludwig Lessing in der That für eine Bewandtniß hatte, läßt eine spätere Aeußerung besser erkennen. Die Untersuchung der Berner Regierung gegen einen der aufgegriffenen Flüchtlinge, Namens Eyb, hatte ergeben, daß er ein österreichischer Spion war. Ueber diesen Eyb schreibt Rochow am 8. April 1837: »Eyb ist zu einhalbjähriger Einsperrung und in die Kosten verurtheilt. Dabei ist er öffentlich als österreichischer Spion bezeichnet, sowie Lessing als preußischer, dies zu publiziren war der Hauptzweck. Acht Tage spricht man davon, dann verhallt es.« … »Die Dame Eyb dürfte jetzt in Frankfurt a. M. oder Mainz sein. Aldinger (dies war der eigentliche Name von Eyb) schimpft jetzt gewaltig auf den preußischen Flüchtling Erhardt, doch sind wahrscheinlich Cratz und Alban die Mörder. Vielleicht wissen sie auch nur darum und die That ist durch zwei Italiener vollführt. Cratz ist in Frankreich und Alban ruhig in Zürich.« Am 22. Mai winkt diesem Eyb-Aldinger bereits die Freiheit. »Die Madam Eyb wird jetzt in Ihrer Nähe sein. Ihr Gemahl wird bald folgen, das Ganze ist doch eine grauenhafte Geschichte, hinter der eine Welt von Unrath liegen mag.« So urtheilte gegen einen Vertrauten ein Staatsmann über die Organe, deren sich die damaligen Regierungen gegen die zur Verzweiflung gebrachten flüchtigen Patrioten bedienten. Die Ermordung des Spions Lessing durch Flüchtlinge war es aber, auf was sich die Mächte vor allem bei ihrem immer schärferen Drängen, die Schweiz müsse sämmtliche politischen Flüchtlinge ausweisen, mit Nachdruck beriefen. Was jedoch Rochows Mission in Stuttgart betrifft, zu der auch gehörte, dem Baron von Cotta unter dem Druck des Bundesbeschlusses gegen die junge Literatur Zugeständnisse an die preußische Regierung abzugewinnen, so dachte er nach deren Beendigung über die Staatsgefährlichkeit der verfolgten deutschen Autoren schon viel milder. Er fand mit vollem Recht die neuesten Leistungen der kritischen Theologie viel gefährlicher als die Schriften des Jungen Deutschlands. Wenn er in Stuttgart, wie wir vermuthet haben, nach Beziehungen der Schweizer Propaganda zu der »jungen Literatur« gesucht hatte, so war er jetzt darüber beruhigt. Am 18. Januar 1836 schrieb er aus Zürich: »Das junge Deutschland hat überall warme Freunde. Für die Schrift von Paulus danke ich. Münch aus Stuttgart vertheidigt selbige in der ›Allgemeinen Zeitung‹ in einem Korrespondenzartikel aus Karlsruhe. Auch Hormayer nimmt es in Schutz. Menzel dagegen foudroyirt immer zu und fährt in seiner Opposition fort. – Ein gewisser Auerbach aus der Heine'schen Schule giebt in Stuttgart eine Schrift heraus ›Das Judenthum und die neueste Literatur‹. – Das vermeintliche Gutachten von Neander (›Das Leben Jesu‹ von Strauß) scheint überall Beifall gefunden zu haben. Dasselbe wird dem Christenthume mehr schaden, als das junge Deutschland.«

Rochow war es auch, den die preußische Regierung als Organ des Dankes benutzte für die ihr von Menzel freiwillig geleisteten Dienste, welche sie voll anerkannte. Wahrscheinlich bot ihr zu einer ersten Aeußerung der gekennzeichnete Aufenthalt schon reichlich Gelegenheit, Menzel selbst, der in Vertheidigung späterer Anklagen dieser Beziehung erwähnt, verlegt dieselbe in das Ende der dreißiger Jahre. Auf S. 389 seiner Denkwürdigkeiten lesen wir: »Ich hatte mich, so lange Friedrich Wilhelm III. lebte, nach Preußen kaum mehr umgesehen. Jede Carriere war mir dort verdorben worden. Nun gab sich aber seit dem Ende der dreißiger Jahre der preußische Gesandte, Herr von Rochow, viele Mühe, sich mir zu nähern, und auf so feine Weise, daß es nur lächerlich oder grob gewesen wäre, wenn ich ihn hätte vermeiden wollen. Ich lernte einen klugen Mann an ihm kennen, der auf das Delikateste meinen Stolz schonte, so daß er sich öfter zu mir bemühte, als ich mich zu ihm. Als wir erst näher mit einander bekannt waren, bestach er mich durch die Offenherzigkeit, mit der er mir Mittheilungen über die Politik des Berliner Hofes machte und mich endlich jahrelang eine Menge Depeschen lesen ließ, die er bekam. Darunter gehörten auch die Protokolle der Berliner Ministerberathungen, die Protokolle der Militärbundeskommission in Frankfurt, des Bundestags selbst, Mittheilungen aus Oesterreich &c. Ich nahm natürlicherweise als Geschichtschreiber lebhaftes Interesse daran, machte mir meine Notizen und bewahrte übrigens das Geheimniß in diskretester Weise. Herr von Rochow säumte jedoch nicht, für seine Gefälligkeit Gegenleistungen zu verlangen, frug mich hie und da um Rath und bat sich Bemerkungen, ja ganze Auseinandersetzungen von mir aus, die dann in seine amtlichen Berichterstattungen übergingen. Da sein Bruder Minister des Innern in Preußen war, suchte er mich durch diesen nach Berlin selbst zu ziehen und brachte mir einmal in einem rothen Saffiankästchen eine Auszeichnung, die ich aber nicht sehen wollte und die er wieder einstecken mußte, indem ich ihm energisch erklärte, ich verachte die ganze Spielerei mit Ordensbändern, und wenn ich auch den guten Willen meines ehemaligen Königs ehren müsse, so werde er doch begreifen, daß es meiner literarischen Stellung unangemessen und mit meinem Unabhängigkeitssinn unverträglich sei, mir eine moralische Verpflichtung auflegen zu lassen. Rochow hatte Verstand genug, das zu begreifen, und wußte die Sache so zu behandeln, daß sie als ungeschehen betrachtet wurde. Sein Bruder aber ließ noch nicht von mir ab, sondern machte mir den förmlichen Vorschlag, nach Berlin überzusiedeln und unter sehr annehmlichen pekuniären Bedingungen die Hauptredaktion der preußischen Staatszeitung zu übernehmen. Auch das lehnte ich höflich ab. Die Berliner ärgerten mich aufs neue, indem die Nachricht, ich sei nach Berlin berufen, von dort aus schon in alle Zeitungen überging, ehe mir selbst die Einladung vom Ministerium zukam.« Jedenfalls hielten die Brüder Rochow Menzel für die geeignetste Kraft für den ihm angebotenen Posten. Von der Kenntniß der ihm mitgetheilten Geheimakten muß er also ganz den von diesen gewünschten Gebrauch gemacht haben.

Hatte Menzel aber jedenfalls aus eigenstem Antrieb und ohne auf Gegenleistung zu rechnen mit seinem Kampf gegen Gutzkow und die »Deutsche Revue« der preußischen Staatspolizei in die Hände gearbeitet, so waren doch andererseits die jungdeutschen Schriftsteller auch nicht von den Intriguen eines von jener Behörde wirklich besoldeten Agenten verschont geblieben. Es gehört zu den verhängnißvollen Lebenseindrücken dieses ereignißreichen Jahres, die Gutzkows Gemüth früh verdüstert haben, daß dieser Spion ein Abtrünniger war, der mit ihm dieselben Bildungsquellen genossen, mit dem er als Student in Berlin freundschaftlichen Verkehr unterhalten und dem zu Ehren er noch im Frühling in Frankfurt, aus Freude über seinen Besuch, einen festlichen Abend veranstaltet hatte. Jener Artikel in der Oberpostamts-Zeitung, von welchem Mundt gemeint, ein hoher Staatsbeamter habe ihn geschrieben, hatte, nach Gutzkows fester Ueberzeugung, einen Altersgenossen Im Original heißt es an der Stelle: »hatte nach des letzteren fester Überzeugung, einen Altersgenossen Gutzkows zum Verfasser«; da entsprechend der »Errata«-Liste (S. 804) »statt des letzteren &c.« durch »Gutzkows« ersetzt werden soll, muss das »Gutzkows« hinter »Altersgenossen« nach Vollzug dieser Änderung ersatzlos entfallen. – Anm.d.Hrsg. zum Verfasser, der mit ihm das Hegel'sche Disputatorium bei Professor von Henning besucht, sich dort ihm angeschlossen und zu einem privaten Durchstudiren der Hegel'schen Enzyklopädie mit ihm vereinigt hatte; er hieß damals Joel, später Franz Maria Jacoby, und war aus Königsberg. Mit »Klagen eines Juden« und einer Schrift über die Zukunft Deutschlands voll demokratischer Aeußerungen war er im Jahre 38 in Leipzig aufgetaucht und hatte sich dort Laube zu nähern gewußt. Dann war er plötzlich verschwunden, wie es hieß, auf preußische Reklamation als Ausgewiesener.

Als Gutzkows Aufsätze in der »Allgemeinen Zeitung«, sowie seine Literaturartikel zum »Phönix«, Aufsehen zu erregen begannen, war dieser Jacoby plötzlich in Frankfurt aufgetaucht und hatte die junge Berühmtheit als alten Universitätsfreund begrüßt. Dieser hatte damals gerade das Manuskript des Büchner'schen »Danton« erhalten und an demselben Abend, wo er Jacoby bei sich bewirthete, hielt er jene Vorlesung von Bruchstücken aus dem Drama, die zu dessen Inverlagnahme durch den Buchhändler Sauerländer führten. Wie staunte Gutzkow, als Jacoby, der in Berlin noch radikaler als er gedacht, ihm ganz offen gestand, er sei der Verfasser einer Reihe von Korrespondenzen, die neuerdings mit dem Zeichen »&dagger; Halle« in der »Allgemeinen Zeitung« erschienen waren und wegen ihrer reaktionären Tendenz auf Heinrich Leo als Verfasser hätten schließen lassen müssen, wenn der thatsächliche Inhalt nicht auf einen direkt offiziellen Ursprung zurückgedeutet hätte. Und nach dieser Enthüllung hatte er Gutzkow mit aller Entschiedenheit zu einer Umkehr gerathen, zum Abfall von seiner politischen Ueberzeugung, indem er ihm hohe Gönnerschaften in Aussicht stellte, die hinter seinem Rücken ständen. Er selbst befinde sich mit einer geheimen Mission auf dem Wege nach der Schweiz. Auch äußerlich war mit ihm eine große Aenderung vorgegangen; war früher seine unstete menschenscheue Art in Folge der Vernachlässigung seiner Kleidung erst recht in die Augen gefallen, so war jetzt sein Auftreten weltgewandt, seine Erscheinung fast elegant. Jacoby reiste unverrichteter Sache nach der Schweiz; er mußte ein Abgesandter des Kabinets Rochow gewesen sein, sagen die »Rückblicke«. Ein Brief Gutzkows an Cotta erwähnte dieses Besuchs: »Man hielt ihn hier für einen preußischen Spion: die Korrespondenten aller Zeitungen, die hier sind, haben sich gegen ihn verschworen, denn alle wissen, daß er das Hallenser Kreuz ist.« Es dauerte auch nicht lange und Gutzkow konnte sich klar werden, daß auch der Zweck des Spionirens Joel Jacoby damals zu ihm geführt. Der Halle'sche †-Korrespondent der »Allgemeinen Zeitung« brachte jetzt Enthüllungen über die verderbliche Richtung der neuesten Literatur, und nun zieh er ihn in Nr. 29 (26. Mai) des Phönix-Lit.–Blatts öffentlich des Verraths. Wie weit Jacoby, der später mit dem Titel eines Kanzleiraths als »Lektor« der politischen Polizei in Berlin angestellt war und sich in diesem Fach auch einige Orden verdient hat, damals an den Untersuchungen gegen die »Jungdeutschen« betheiligt war, können wir freilich nicht mehr konstatiren; sicher ist, daß Gutzkow ihn wiederholt als Verfasser der denunzirenden Artikel in der Oberpostamts-Zeitung bezeichnet hat und daß diese Ansicht um so mehr Glauben verdient, als Gutzkow mit dem Chefredakteur dieses Blattes, dem Hofrath Berly, damals und auch in den nächsten Jahren befreundet war, bis er bemerkte, wie sehr auch dieser persönlich als Kostgänger der Bundestagsgesandtschaften vom Gift des Spionenthums durchseucht war.

Wenige Tage nachdem er in Mannheim zur Untersuchungshaft gelangt war, sandte er seinem Freunde Kolb in Augsburg zur Aufnahme in die »Allgemeine Zeitung« eine Erklärung, welche diese Ueberzeugung mit aller Entschiedenheit aussprach. Das Schreiben kam jedoch zu den Untersuchungsakten, weil dem Gefangenen nicht gestattet ward, derartige für die Oeffentlichkeit bestimmte Kundgebungen abzusenden. Die Erklärung lautet:

»Ueber einen Berliner Korrespondenten.

Seit einiger Zeit enthält die Frankfurter O.P.A.Zeitung Artikel, welche aus der Feder des ehemaligen Hallenser Korrespondenten der »Allgemeinen Zeitung«, des Herrn Joel Jacoby, herrühren und außer meiner Person auch alles, was an Büchern und Menschen mit mir zusammenhängt, in ein gefährliches Licht zu stellen suchen. Viele werden sich über die jüngst angeregten Streitfragen ein eigenes Urtheil gebildet haben, aber jeder billig Denkende wird über den Gebrauch erschrecken, welcher seit einigen Monaten von der Schrift in Deutschland gemacht worden ist. Nicht nur, daß die Kritik statt an Aristoteles und Lessing an den Staat appellirte, sondern auch literarische Windbeutel (wofür man Herrn Jacoby seit Erfindung des Gerüchts vom Aufenthalte der Herzogin Berry in Frankfurt und seit den Erfolgen der großen mysteriösen Reise, die er auf Rechnung eines großen Staates im Anfang dieses Jahres zu machen vorgab, halten muß), nehmen eine offizielle Maske vor und affektiren eine Einweihung und Autorisation, welche ihnen wahrlich kein Staat geben wird. Herr Jacoby hat in einer merkwürdigen Alloprosellie seit einigen Jahren bald auf den Sätteln Börne's und Heine's, bald auf denen Hegels und Leo's geritten und soviel Verkehr mit den von ihm verbotenen Tendenzen gehabt, daß er, um etwas Loyales zu sagen, nur immer das Gegentheil von dem zu behaupten braucht, was er selbst früher geglaubt hat. Schon seit länger als einem Jahre verketzert Herr Jacoby unbefangene und gesetzliche Bestrebungen, indem er nichts thut, als seinen eigenen alten Rock umkehren, wie ein von drüben gefangener Soldat, der in umgewandter Montur in die diesseitige Armee gesteckt wird. Herr Jacoby hat Talent, aber zu wenig Charakter, um einzusehen, welch niedrigen Gebrauch er von dem ersten macht. Es würde ihm weit mehr Ehre bringen, irgend ein wissenschaftliches Werk dem Urtheile des Publikums vorzulegen, als bald in dieser, bald in jener Maske an versteckten Oertern aufzutauchen und durch einen orakelhaften Ton bürgerliche Existenzen maulwurfartig zu unterwühlen.

Mannheim, den 4. Dezember 1835.

Gutzkow.«

Hatte diese Erklärung nicht den Weg in die Oeffentlichkeit finden dürfen, so war um so rücksichtsloser das Porträt des Verräthers und das Bild seines Reptilienthums entworfen, welches der gefangene Dichter zornentbrannt jetzt seinem halbvollendeten Roman »Seraphine« einverleibte, war um so schärfer die Kennzeichnung, die er ihm angedeihen ließ, sobald er wieder frei über ein Organ der literarischen Kritik verfügte. Und wie er Menzel mit noch studentischem Ehrempfinden seine Herausforderung gesandt, so schrieb er auch direkt an Ehren-Jacoby nach Berlin, sobald er seinen Aufenthalt erfahren, ihm seine Niedertracht auf den Kopf zusagend und den Rest seiner Ehre herausfordernd. Wir erfahren dies aus der Antwort Jacoby's, zu der sich derselbe ziemlich spät, sichtlich durch Laube gedrängt, entschloß, an dessen Fersen er sich inzwischen geheftet hatte. Gutzkow hat das Schriftstück mit besonderer Sorgfalt für seinen Biographen aufgehoben. Jacoby erklärt darin, daß er Gutzkows Schreiben erst so spät erwidere, weil er es ganz unacceptabel gefunden hätte; nur auf Laube's Anrathen entschließe er sich dazu. Er versucht weiter ihn von dem Ungrunde seiner »Verdächtigungen« zu überzeugen, erinnert ihn daran, daß er ihm in Frankfurt sofort reinen Wein über seinen Gesinnungswechsel (»Rehabilitation seiner politischen Gesinnungen« nennt er es) eingeschenkt und sich auch als Verfasser der Hallischen Artikel genannt habe. »Sie kannten, woran sie waren, und ich hatte als zartsinniger, als ehrenhafter Freund gehandelt, wie bei so mancher andern Gelegenheit, was Sie freilich erst erkennen werden.« Er erklärt: »An und für sich finde ich es in der Ordnung, daß in einer Zeit des fanatischen Parteihasses man von vielen Seiten gegen Jemanden aufgebracht sein muß, der in der Jugend revolutionäre Interessen vertheidigte und der sich von diesen abgewandt hat.« Er nähme an, daß Klatschereien seiner Bekannten ihn bei Gutzkow in ein falsches Licht gestellt und wolle dies durch offene Aussprache beseitigen. An seiner Verfolgung betheiligt gewesen zu sein, stellt er ganz in Abrede; er habe eher zu seinen Gunsten vermittelt. Zum Schluß versicherte er ihm pathetisch, daß er ihn für einen ursprünglich edlen, begabten, sinnvollen Geist halte und sich freuen würde, wenn eine Spur der Verständigung sich zwischen ihnen nun entwickelt habe.

Daß aber Gutzkow sich, in der Hauptsache mindestens, nicht geirrt, das bestätigen die »Erinnerungen« Laube's. Laube war, als ihn die Nachricht von dem Verbot seiner literarischen Zukunft in Leipzig aus all seinen Himmeln gerüttelt, trotz seiner Konfinirung aus Naumburg sofort nach Berlin gereist, um den Geheimrath Tzschoppe zur Rede zu stellen. Die alte Burschenlust am persönlichen Ausfechten der Ehrenhändel war wie erlösend über ihn gekommen. Ein Gefühl, daß die Regierung selbst empfinden müsse, zu weit gegangen zu sein, gab ihm Sicherheit. Er sagte dem bei seinem Anblick entsetzt aufspringenden Polizeihaupt frisch von der Leber weg seine Meinung, sprach von einem Papstthum, das die Polizei in Preußen errichten zu wollen scheine. So etwas aber, wie das Verbot der Zukunft, habe selbst das Papstthum noch nicht dekretirt. Das zu verantworten sei unmöglich in einem protestantischen Staate! Mochte der Kronprinz, der das Eingreifen der Polizei in das Kulturleben mißbilligte, inzwischen bereits diese Ansicht geltend gemacht, mochten die Vorstellungen eines Humboldt beim König und dem im Grunde die Freiheit der Wissenschaft zu schützen bereiten Kultusminister schon gefruchtet haben; Tzschoppe wies diese Vorwürfe nicht kategorisch zurück, sondern ließ sich in eine Rechtfertigung ein. Er entließ den trotzigen »Skribenten«, ohne von ihm die Rückkehr nach Naumburg zu verlangen. Und Laube blieb in Berlin, fand Trost und Erholung bei Varnhagen und Gans, auf den Theeabenden des Fräuleins Solmar; sonst sich meist selbst überlassen, denn Mundt mied seinen Umgang, war er auf Arbeiten bedacht, die auch ohne einen Autornamen verkäuflich wären, wozu ihn die Bekanntschaft mit dem liberalen Verlagsbuchhändler Karl Duncker ermuthigte. Bald aber stellte sich Joel Jacoby bei ihm ein, jene älteren Beziehungen anknüpfend, die er als Dichter der »Klagen eines Juden« noch in Leipzig zu Laube gewonnen. Daß Jacoby ein Sendling Tzschoppe's, fiel diesem nicht ein zu vermuthen. In seinem Naumburger Tomi hatte er von dem geheimen Treiben des zuthunlichen Skeptikers, der immer wieder seine Unterhaltung suchte, nichts vernommen. Nur allmählich erfuhr er, daß er seinen Frieden gemacht habe mit der Regierung; daß sein Liberalismus konservativ geworden, daß er den Rochows und Tzschoppe's diene. Auf Laube's Vorwürfe vertheidigte er sich. Er verfolge ganz dieselben Ziele wie sonst, nur von der andern Seite. Er schüre die Empörung der Liberalen. Und er nütze der guten Sache dauernd, während diese am Ende ganz zur Unthätigkeit verdammt würden, wie Figura zeige. – Renegat! rief Laube. – Er zuckte die Achseln und ging. Nach einiger Zeit kam er wieder. Laube, in allem weit weltkluger als Gutzkow, der sich von den Impulsen seines Empfindens so leicht hinreißen ließ, hatte inzwischen eingesehen, daß die Feindschaft dieses Mannes einem liberalen Schriftsteller, der gern heirathen wollte, unter den obwaltenden Umständen höchst unangenehm werden müsse. Er ging daher vorsichtig auf die erneute Annäherung ein und suchte die Beziehung zu seinem Vortheil auszunützen, um sein Lebensschiff wieder flott zu bekommen. Das war nicht heldenhaft, aber klug. –

Fassen wir all diese Merkmale einer außerordentlichen Thätigkeit der politischen Geheimpolizei zusammen, die damals um verhältnißmäßig doch so wenig gefährlicher Schriftsteller willen ins Werk gesetzt wurde, so muß man fragen: Waren wirklich die Ketzereien in »Wally« &c. der Anlaß zu solchem Aufwand? Wie aber dem immer auch sei, was die Regierung dem Jungen Deutschland gegenüber durchsetzen wollte, hatte sie vollständig erreicht. Sie hatte in der liberalen Schriftstellerwelt eine allgemeine Panik erzeugt und fünf ihrer Koryphäen fürs erste mundtodt gemacht. Hatte sie sich geirrt in der Annahme einer geschlossenen Verbindung, einer förmlichen Konspiration – wohl gar mit dem Ausland –, so hatte sie die wirklich zwischen den Autoren bestehende Verbindung, die geistige Gemeinsamkeit, die sich im Uebermuth als Junges Deutschland empfunden und gerühmt hatte, zerschnitten und vernichtet. Gutzkow, Laube, Wienbarg, Mundt waren im innersten Mark ihres Wesens getroffen und auch der Begabteste unter ihnen konnte sich nie ganz von diesem Schlage erholen.

Am leichtesten nahm die Sache zunächst Heine. Ihm – in Paris – blieb ja die direkte Behelligung fern. Er hielt fürs erste den Bundestagsbeschluß für einen Schreckschuß und erfuhr die näheren Umstände sehr allmählich und lückenhaft. Ja im Geheimen freute er sich wohl seines Erfolges, an der Spitze der jungen Literatur als Führer genannt zu sein. Er selbst hatte diese ihm von Börne bestrittene Position schon längst als die seine betrachtet, sie auch förmlich übernommen in den Zusätzen zur zweiten Auflage der Romantischen Schule, welche jetzt Anfang Dezember erschien. Mitte September war das Manuskript von Paris nach Hamburg gegangen. Daß er hier im dritten Abschnitt im Zusammenhang mit Jean Paul: Laube, Gutzkow, Wienbarg und Schlesier als Vertreter eines jungen Deutschlands genannt, in welchem die Herrschaft neuer Ideen über die Geister die Dichter zugleich zu Tribunen und Aposteln mache, hat danach keinen Antheil an den Beweggründen zur Verfolgung des »Jungen Deutschland«. Er nannte sie im Zusammenhang, weil sie derselbe Glaube beseele, den er längst als den seinen bekannt, mit einer Leidenschaft beseele, von welcher die Schriftsteller einer früheren Periode keine Ahnung hatten. »Es ist dieses der Glaube an den Fortschritt, ein Glaube, der aus dem Wissen entsprang. Wir haben die Lande gemessen, die Naturkräfte gewogen, die Mittel der Industrie berechnet und siehe, wir haben ausgefunden, daß diese Erde groß genug ist, daß sie Jedem hinlänglichen Raum bietet, die Hütte seines Glückes darauf zu bauen; daß diese Erde uns Alle anständig ernähren kann, wenn wir Alle arbeiten und nicht Einer auf Kosten des Anderen leben will; und daß wir nicht nöthig haben, die größere und ärmere Klasse an den Himmel zu verweisen.« Da er sich selber als Derjenige fühlte, der das Thema der Sozialreform – denn das war doch der Kern dieser Gemeinsamkeit – unter den Dichtern Deutschlands angeschlagen, so fühlte er sich aber auch verpflichtet, für die gemeinsame Sache einzutreten. Er schrieb an Laube, der in einem Brief an ihn dagegen protestirt hatte, daß er mit Gutzkow zusammen der gleichen Tendenzen bezichtigt werde, er beschwöre ihn bei Allem, was er liebe, »in dem Kriege, den das Junge Deutschland jetzt führt, wo nicht Partei zu fassen, doch wenigstens eine sehr schützende Neutralität zu behaupten, auch mit keinem Worte diese Jugend anzutasten.« »Machen Sie eine genaue Scheidung zwischen politischen und religiösen Fragen. In den politischen Fragen können Sie so viel' Konzessionen machen, als Sie nur immer wollen, denn die politischen Staatsformen und Regierungen sind nur Mittel; Monarchie oder Republik, demokratische oder aristokratische Institutionen sind gleichgültige Dinge, so lange der Kampf um erste Lebensprinzipien, um die Idee des Lebens selbst, noch nicht entschieden ist … Durch solche Trennung der Frage kann man auch die Bedenklichkeiten der Zensur beschwichtigen; denn Diskussion über das religiöse Prinzip und Moral kann nicht verweigert werden, ohne die ganze protestantische Denkfreiheit und Beurtheilungsfreiheit zu annulliren; hier bekömmt man die Zustimmung der Philister … Wir wollen eine gesunde Religion, damit die Sitten wieder gefunden, damit sie besser basirt werden, als jetzt, wo sie nur Unglauben und abgestandene Heuchelei zur Basis haben.«

Als Sprecher für die »protestantische Denkfreiheit« benutzte er auch seine Asylfreiheit in Paris, um – als der einzige von den Fünfen – einen feierlichen Protest an den Bundestag selber zu richten. Während von den in Deutschland befindlichen Autoren jeder mit seinen persönlichen Gegnern im Kampf stand zum Schutz seiner Rechte, setzte er in gehobener, fast heiterer Stimmung sein Schreiben »An die hohe Bundesversammlung« am 28. Januar aus, das in französischer Uebersetzung im Journal des Débats vom 30. Januar erschien.

»Mit tiefer Betrübniß erfüllt mich der Beschluß, den Sie in Ihrer 31. Sitzung von 1835, gefaßt haben. Ich gestehe Ihnen, meine Herren, zu dieser Betrübniß gesellt sich auch die höchste Verwunderung. Sie haben mich angeklagt, gerichtet und verurtheilt, ohne daß Sie mich weder mündlich, noch schriftlich vernommen, ohne daß Jemand mit meiner Vertheidigung beauftragt worden, ohne daß irgend eine Ladung an mich ergangen. So handelte nicht in ähnlichen Fällen das heilige römische Reich, an dessen Stelle der deutsche Bund getreten ist; Doktor Martin Luther glorreichen Andenkens durfte, versehen mit freiem Geleite, vor dem Reichstage erscheinen und sich frei und öffentlich gegen alle Anklagen vertheidigen. Fern ist von mir die Anmaßung, mich mit dem hochtheuren Manne zu vergleichen, der uns die Denkfreiheit in religiösen Dingen erkämpft; aber der Schüler beruft sich gern auf das Beispiel des Meisters. Wenn Sie, meine Herren, mir nicht freies Geleit bewilligen wollen, mich vor Ihnen in Person zu vertheidigen, so bewilligen Sie mir wenigstens freies Wort in der deutschen Druckwelt und nehmen Sie das Interdikt zurück, welches Sie gegen Alles, was ich schreibe, verhängt haben. Diese Worte sind keine Protestation, sondern nur eine Bitte. Wenn ich mich gegen Etwas verwahre, so ist es allenfalls gegen die Meinung des Publikums, welches mein erzwungenes Stillschweigen für ein Eingeständniß strafwürdiger Tendenzen oder gar für ein Verleugnen meiner Schriften ansehen könnte. Sobald mir das freie Wort vergönnt ist, hoffe ich bündigst zu erweisen, daß meine Schriften nicht aus irreligiöser und unmoralischer Laune, sondern aus einer wahrhaft religiösen und moralischen Synthese hervorgegangen sind, einer Synthese, welcher nicht blos eine neue literarische Schule, benamset Das junge Deutschland, sondern unsere gefeiertsten Schriftsteller, sowohl Dichter als Philosophen, seit langer Zeit gehuldigt haben. Wie aber auch, meine Herren, Ihre Entscheidung über meine Bitte ausfalle, so seien Sie doch überzeugt, daß ich immer den Gesetzen meines Vaterlandes gehorchen werde. Der Zufall, daß ich mich außer dem Bereich Ihrer Macht befinde, wird mich nie verleiten, die Sprache des Haders zu führen; ich ehre in Ihnen die höchsten Autoritäten einer geliebten Heimath. Die persönliche Sicherheit, die mir der Aufenthalt im Auslande gewährt, erlaubt mir glücklicherweise, meine Herren, in geziemender Unterthänigkeit die Versicherung meiner tiefsten Ehrfurcht darzubringen.

Paris, Citè Bergère Nr. 3, den 28. Januar 1836.

Heinrich Heine
beider Rechte Doktor,«

In der ersten Sitzung des neuen Jahres, am 17. März, lag dies Schreiben, dem es weder an Ernst noch an Höflichkeit gebrach, der »hohen Bundesversammlung« vor. Es wurde von den »höchsten Autoritäten« der Heimath brevi manu der Petitionskommission überwiesen und in deren Akten begraben.



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