Josef Ponten
Die Studenten von Lyon
Josef Ponten

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Nach drei Wochen schon hatte Peter durch Vermittlung Hans Leyners folgenden Brief Calvins in Händen: Meine lieben Brüder. Ich schob es bisher auf, Euch zu schreiben, da ich fürchtete, wenn mein Brief in böse Hände käme, so könnte das den Feinden Anlaß bieten, Euch noch härter zu bedrücken. Auch war ich durch Euren trefflichen Freund davon unterrichtet, daß Ihr in einem Gemütszustande seid, daß Ihr meines Schreibens und meiner Ermutigung gar nicht so sehr bedürft. Doch haben wir Euch nicht vergessen, weder ich noch alle die anderen Brüder hier, so wenig wir im ganzen für Euch tun konnten. Wir erhielten sogleich die Nachricht von Eurer Gefangennahme und wie sie vor sich gegangen ist. Wir sorgten dafür, daß man Euch rasch zu Hilfe kam, und warten nun auf Antwort, ob dadurch etwas erreicht worden ist. Die, welche etwas vermögen bei dem Könige, in dessen Hand Gott Euer Leben gegeben hat, haben sich redlich Mühe gegeben. Doch wissen wir noch nicht, wieviel ihr Vorgehen genützt hat. Indessen beten wir alle für Euch, weil Ihr ja für uns alle, denen Leid bestimmt ist, leidet und für das leidet, was uns selig macht. Ihr seht, wozu Ihr berufen seid. Zweifelt nicht daran, daß es Euch an Kraft fehlen werde, dieser Berufung getreu zu bleiben. Schon habt Ihr ja dem ersten Angriff siegreich widerstanden. Und in der Schrift sind soviele 187 Trostworte, die Ihr, ohne daß ich sie nenne, im Kopfe habt, daß meine Worte daneben schwach erscheinen würden. Und alles was ich Euch sagen könnte, würde nichts nützen, wenn Ihr es nicht selbst aus dem inneren Quell einer Berufung und Gnade schöpfen könntet. Es braucht ja tatsächlich viel mehr als menschliche Hülfe, um uns in dem Kampfe um das Geistige siegen zu lassen über so starke Feinde wie Teufel, Tod und Welt es sind.

Weil ich hoffe, Euch später mehr und Genaueres namentlich in Sachen Eurer Rettung schreiben zu können, so will ich jetzt diesen Brief nicht länger werden lassen und will schließen mit dem Wunsche, Euer Gott möge Euch erfüllen mit seinem Geiste, der Euch Klugheit und Tapferkeit gebe und Frieden und gar Freude in Euch erzeuge, damit unser Werk vollendet wird.

Euer Bruder Calvinus
Genf, den 10. Juni.

Kaum war dieser Brief an Hans Leyner abgegangen, als Calvin von Bullinger, dem Antistes von Zürich, einen Brief erhielt, aus dem die auf das Schicksal der Lyoner Gefangenen bezüglichen Stellen lauteten:

Der Bruder Viret aus Lausanne, der von der Badener Tagsatzung heimreiste, hat Dir sicher berichtet, was die Städte Zürich, Basel und Schaffhausen in Sachen der um des Wortes Gottes willen Gefangenen in Frankreich getan haben und daß sogar Seine Gestrengen Herr Hans Haab, unserer Stadt Bürgermeister, von dieser und im Namen der beiden anderen Städte als Gesandter zum Könige geschickt worden ist. Er hat nun dem wohledlen Rate aus Paris geschrieben, wie er sich seiner Botschaft entledigt und welche Antwort er aus des Königs eigenem Munde erhalten habe. Sie ist leider 188 nicht günstig. Der König hat nämlich, berichtet Herr Haab, auf das dringende Bittgesuch hin, ohne sich erst mit den Räten seiner Kammer zu besprechen, schnell und lächelnd wie es seine Art ist, aber sehr entschieden und mit aller Deutlichkeit gesagt, die Städte der Schweiz möchten ihn doch in dieser Angelegenheit lieber nicht belästigen. Er überlasse es den Schweizer Städten, ihre Angelegenheiten völlig nach eigenem Gutdünken zu ordnen, er wolle aber auch Herr in seinem eigenen Reiche sein, das er von aufrührerischem Volke freihalten müsse und wolle. Das war die Antwort des Königs, und die Unseren haben sie so aufgenommen wie sie es verdiente. Wir aber wollen den Mut nicht sinken lassen, schrieb Bullinger weiter, im Hinblick auf den der gesagt hat: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden! . . .

So stand die Sache der Freunde also recht schlecht. Indessen Eifersüchteleien und Streitigkeiten der Feinde untereinander zögerten die Urteilsvollstreckung hinaus, und mit jedem neuen Zeitgewinn tauchte neue Hoffnung auf. So kam es, daß die Studenten nach einem halben Jahre noch immer im Gefängnis saßen und ihr Schicksal noch unentschieden war. Calvin berichtete an den Pfarrer Gwalther in Zürich über einen Zuständigkeitsstreit des Lyoner Erzbischofs mit der Pariser Regierungskammer – es war schon am Ende des Jahres, in dessen Mai die Studenten verhaftet worden waren. Der Erzbischof hatte, obgleich er das Urteil nicht billigte, um des Ansehens seines Gerichtes willen auf Ausführung des einmal gefällten gedrungen. Calvin schrieb:

»Du möchtest etwas von den gefangenen Brüdern in Lyon wissen. Kardinal Tournon konnte die Macht 189 über Leben und Tod, die er für sein geistliches Gericht vom Könige nur mit Mühe erreicht hatte, von der Pariser Kammer nicht wieder neu bestätigt erhalten, als er sich wegen der Einmischung des Lyoner Statthalters beschwerdeführend an König und Kammer gewandt hatte. Der König erneuerte die Vollmacht, die Kammer aber verhinderte ihre Veröffentlichung und wollte die Übergehung ihres eigenen Rechtes nicht dulden. Sodaß die Spannung zwischen Kardinal und Statthalter sich zu einer zwischen König und Parlament ausgeweitet hat. Doch wie diese Streitsache auch auslaufen möge, ich glaube, daß für uns und die Gegenstände unserer Sorge daraus nichts an Hoffnung entsteht. Ich glaube nicht, daß von der Kammer der Räte etwas Besseres zu erwarten ist als von König und Kardinal. Denn sie sind alle derselben Gewalt des bösen Geistes untertan, und sie haben sich schon hundertmal verschworen, uns umzubringen. Unterdessen unterhalten die deutschen Kaufleute in Lyon die gefangenen Brüder unentgeltlich und liefern ihnen alles, was sie zum Leben, das ihnen noch beschieden sein mag, brauchen. Nur lassen die pfäffischen Hunde ihnen nicht alles und nicht immer zukommen.«

Die Berner nahmen sich der Studenten in besonderer Weise an. Sie beteiligten sich nicht an der Badener Beratung und dem Beschlusse der Städte Basel, Zürich und Schaffhausen, einen gemeinsamen Gesandten nach Paris zu schicken, sondern sie beschlossen eine eigene bernische Unternehmung, weil sie sich den Studenten als akademischen Bürgern ihrer Universität Lausanne in besonderer Weise verpflichtet fühlten. Ihr Rat setzte ein feierliches Staatsschreiben auf und sandte es in aller Form auf diplomatischem Wege durch einen Kurier nach 190 Paris – das Schreiben blieb wider allen Brauch und unerhörterweise ohne jede Antwort. Inzwischen hatte sich die Angelegenheit weiter verwickelt, und auch Genf war als Staatskörper in den Handel gezogen worden. Denn der Grenzposten bei Collonches oder der famose Corbeil hatten einen neuen Vogel ins Garn gebracht. Pierre Bergier, ein Pastetenbäcker, war ein geborener Franzose, hatte sich aber in Genf niedergelassen und dort das Bürgerrecht erworben. Auf einer Geschäftsreise nach Lyon war er in Lyon auf die gleiche Weise wie die Studenten verhaftet worden. Hans Leyner und die ganze deutsche Kolonie in Lyon, in der die Brüder Christian und Thomas Zollikofer hervorragten, griffen eifrig die Angelegenheit auch dieses neuen Verhafteten auf und verknüpften sie in geschickter Weise mit der der Studenten. Sie schrieben an den Genfer Rat und mahnten ihn an seine Pflicht, sich seines Genfer Bürgers Bergier anzunehmen und erinnerten daran, daß gleichzeitig mit diesem fünf Studenten wegen des Genfer Glaubens im Gefängnis säßen. Es möchte größeres Aufsehen machen, wenn der Rat als Staatskörper sich für sechs als für eine Person verwändte. Der Rat von Genf nahm die Sache ernst und ordnete ein Mitglied nach Lyon persönlich ab, das denn auch die Vollstreckung des mittlerweile schnell und klanglos über den Pastetenbäcker gefällten Urteils hinauszögerte, indem es einen ausdrücklichen diplomatischen Einspruch gegen die Verletzung einer Person des Genfer Staates beim Statthalter und damit beim Könige einlegte. Der König selbst, aber auch der Lyoner Kardinal wurden immer wütender über die Hemmungen ihrer Gewalt und die Eingriffe fremder Hände in ihre Angelegenheiten und begannen 191 allmählich die leidige Sache, die aus zwei einfachen Strafprozessen zu einem mißlichen Handel zwischen den Staaten und vielleicht zu einem internationalen Skandal sich auszuwachsen drohte, zu verwünschen. Sie hätten wahrscheinlich in diesem Stadium der Angelegenheit es nicht ungern gesehen, wenn die Gefangenen sich auf eine schickliche Weise selbst aus der Mißlichkeit hätten ziehen können, falls es nur ohne Ansehenseinbuße für sie als öffentliche Mächte hätte abgehen können. Aber die Sorge um das Ansehen und der aus dieser unwichtigen Angelegenheit entstandene große Ärger bewirkten schließlich im Gegenteil die scharfen Antworten des Königs und die Unversöhnlichkeit des Erzbischofs.

Aber Bern ließ in den Bemühungen um seine akademischen Bürger nicht locker. Es bot sich eine günstige Gelegenheit. Im Spätherbst des Jahres war der Kardinal Tournon trotz seinem hohen Alter noch über Marseille nach Rom gereist. Die Seereise von Marseille nach Civitavecchia aber war dem alten Herrn so übel geraten, daß er für die Rückreise trotz dem einbrechenden Winter den Alpenweg und zwar den über den Simplon wählte, der ihn durch das Wallis und gar über Genf führte. Die Berner, obgleich der neuen Lehre verpflichtet, empfingen den Kardinal in Sitten im Wallis mit allen seiner Stellung gebührenden Ehren und als eine Staatsperson, und bei dieser Gelegenheit wurde denn die Bitte für das Leben der gefangenen Studenten nicht vergessen. In der Tat versprach der Kardinal, alle Feindschaft gegen die Gefangenen einzustellen und sogar seinen eigenen Einfluß für sie beim verbitterten Könige zu verwenden. In Bern und den schweizerischen Städten faßte man Hoffnung, ja man war sicher, die 192 Gefahr von den Studenten nun endgültig abgewandt zu haben, und man wartete auf die Nachricht, daß sie in Freiheit gesetzt worden seien. Selbst der nüchterne und mißtrauische Calvin wurde von der Hoffnung getäuscht, er schrieb an die Gefangenen und glaubte schon seinen Glückwunsch aussprechen zu dürfen – umso niederschmetternder wirkte da der Brief, den Peter Escrivain an Calvin sandte: Der Kardinal habe nach seiner Rückkehr nach Lyon geäußert und ihm als dem Ältesten im besondern eröffnen lassen, er sei durch das im Ketzerlande einer ketzerischen Behörde gegebene Versprechen durchaus nicht gebunden, es sei nicht nötig, ja nicht erlaubt, ein Ketzern gegebenes Wort zu halten. Worüber der Staat Bern mächtig verschnupft war und sich dem Könige gegenüber über die Beleidigung der Republik durch einen französischen hohen geistlichen Beamten beschwerte; worauf der König aber nur mit bequemem Stillschweigen antwortete.

 

Aber Gewalt und Wortbruch – nicht das war die größte, den Gefangenen drohende Gefahr! Die größte Gefahr kam von anderer Seite und in anderer, nicht erwarteter Gestalt. Im Gefängnis Roanne hielt de Tignac, ein formalistischer Geist und Pedant, die Gefangenen auf Vorstellung des geistlichen Gerichtes in strenger und quälender Einzelhaft. Den ganzen heißen Sommer im glühenden Lyon über waren sie jeder in einer kleinen Zelle eingesperrt und wurden dem Wahnsinn nahegebracht. Der Kardinal lebte in der Hoffnung, er könne sie durch die Qual der Einzelhaft mürbe machen, einen Widerruf von ihnen erreichen und dadurch die leidige Angelegenheit in einer Weise, die Glanz auf 193 seinen Stuhl brachte, erledigen. Jede Woche einmal kam der Generalvikar in die Zellen, um zu fragen, wie es mit dem Widerruf stünde. Da er aber ohne jedes Feingefühl war, so erreichte er nichts, er wurde zuletzt nur stumm abgewiesen. Clépier, der treffliche, lag während dieses heißen Sommers in seiner kühl durchlüfteten Stube im sommerlichen Vikariengebäude, das am Fourvièrehügel gerade über Roanne hing, las schöne und schlüpfrige italienische Bücher und hatte die Gefangenen vergessen. Diese lebten dumpf und fast ohne Hoffnung, und nur ein heiliger Eigensinn verhinderte sie, sich selbst schmählich untreu zu werden. Am besten hielten sich die beiden Peter – es war kein Wunder, sie konnten miteinander durch das Unratloch ihrer übereinander liegenden Zellen sprechen. Der große hörte auch, daß der kleine sich mit einem Nebengefangenen der Klopfsprache bediente, und er erfuhr durch das greuliche Telefon, daß der Zellennachbar Bernard war. Was aus Karl und Martial geworden war, wo sie untergebracht waren, ob sie noch lebten und gesund waren, ob sie – wenigstens Karl – in einem Anfalle von Schwäche und Verzweiflung vielleicht widerrufen hatten, das erfuhren die drei Gefangenen nicht, die Wärter blieben aus Furcht vor den Vorgesetzten stumm und eisig. Nun aber trat mit der Rückkehr des Kardinals von der Romreise eine Änderung ein. Im Vatikan war es dem Kardinal übel vermerkt worden, daß er den vom heiligen Stuhl bestellten Inquisitionsmeister Matthieu Ory aus dem Handel ausgeschaltet hatte, und der Kardinal hatte eine lange Nase bekommen. Er übertrug also eilig dem Inquisitionsmeister den Rest des Prozesses. Er betonte diesem gegenüber, daß er sich 194 freuen werde, wenn es ihm gelänge, die Gefangenen zum Widerruf zu bewegen und dadurch zu befreien. So verdrießlich war er, daß er selbst auf die übliche Begnadigung zur Galeere verzichten wollte. Ory war ein sehr hochmütiger Mann und Kleriker, der das kurzsichtige und dumme Verfahren der Klerisei, wie es ein Flachkopf Buatier vertrat, verachtete und stolz war auf seine weltmännischen und psychologischen Methoden. Er hatte sich nach seiner Rückkehr aus Paris, wo er die dort entstandene erste Jesuitengründung kritisch besichtigt hatte (da der Papst Paul Carrafa die Jesuitengründung scheel ansah), verärgert von dem Handel ferngehalten und ihn sogar mit keinem Worte erwähnt. Jetzt in letzter Not vom Kardinal angerufen und mit dem verfahrenen Geschäfte betraut, lächelte er in einer Mischung aus Hohn, dem Gefühl der amtlichen Gleichberechtigung und der immerhin gebotenen Ehrfurcht vor dem Inhaber des erzbischöflichen Stuhles. Denn er wußte sehr wohl, daß ein päpstlicher Inquisitionsmeister mit Reverendissime anzureden war und daß der Papst ›mi fili‹ zu ihm sagte! Er kannte sehr genau sein Vorrecht, für den Besuch seiner Predigten Ablaß von 20 und 40 Tagen erteilen zu können, selbst ein Erzbischof, wenn er noch hätte predigen wollen, konnte diesen Anreiz für seine Predigten einer Hörerschaft nicht bieten. Oh ja, er war ein Inquisitionsmeister, einer der wenigen für jedes der großen Länder bestellten Inquisitionsmeister. Halloh, ein Inquisitionsmeister war überall als unmittelbarer Bote des Papstes zu achten! Denkt an: Ein Inquisitor kommt plötzlich, ohne vorher angemeldet zu sein, wie es ihm gerade paßt, in eine Stadt geritten, die Behörde hat vor ihm zu erscheinen und nach seinen Befehlen zu 195 fragen, und die Nachricht, daß der Inquisitor angekommen ist, wirkt in den Städten wie ein Donnerschlag. Freilich vom Inquisitor wurde unbefleckter Lebenswandel, ein Alter von nicht unter vierzig Jahren und scientia et prudentia gefordert. Nun wohl, mit scientia et prudentia konnte man aufwarten – da war es das Erste, daß er lächelnd und höflich dem Erzbischof seine Ansicht, die aber eine scharfe Kritik enthielt und schon ein Befehl war, verkündete, daß die Gefangenen bisher völlig falsch behandelt worden seien. Daß die Einzelhaft ein quälendes und – wenn man es gestatte – völlig verfehltes Verfahren sei, um Männer von Geist und Überzeugung, ebenfalls von scientia et prudentia – das könnte man bei modernen Ketzern annehmen – von ihren Meinungen zu bekehren. Daß man damit nur Verstockung und, vielleicht, auch Verblödung erreiche, wie die neue Seelenwissenschaft hinreichend dartue, und daß ein im Zustande der Verblödung etwa geleisteter Widerruf für den Geist, für die Sache, für die Kirche natürlich völlig wertlos sei. Geist könne man nur durch Geist besiegen, scientiam per scientiam – er sprach das leise und langsam, wie er immer redete, aber mit besonderem Bedacht und lächelnd, natürlich mit Doppelsinn, aus, denn mit dem Kardinal (er war ganz verschüchtert) waren auch der Generalvikar und etliche dem Erzbischöflichen Stuhle nahestehende Kleriker anwesend, und er, der so leise, langsam und anscheinend bescheiden sprach, wiederholte gar den Satz; denn es hatte ihm geschienen, als ob, während er gesprochen, einige der Kleriker gewagt hätten, miteinander zu flüstern. Er aber war gewohnt allein zu sprechen, bitte, und war gewohnt, daß man nicht nur höre sondern horche, wenn er sprach, wenn 196 es ihm beliebte, leise und langsam zu sprechen, verstanden! Oh, Matthieu Ory war ein feiner Mann und bedeutender Kopf, ein weltmännischer und auch neumodischer Geist, der nicht irgendwelchen mittelalterlichen Prinzipien noch anhing, sondern der vom Geiste der neuen humanen Wissenschaft durchtränkt war, die aus Italien gekommen war und die Welt eroberte. Was machte die Neugläubigen, die Ketzer, wenn man populär um des Volkes willen sie so nennen wollte, so stark, in einer Weise, meinte er, so stark, als daß sie die Erfrischung des menschlichen Geistes aus dem unversiegten, nur lange verschüttet gewesenen Lebensstrome der Antike miterlebten und alles auf sich wirken ließen, was dem Geiste, der Wissenschaft, der Gerechtigkeit, der Humanität dienen konnte! So dachte er, oh, so dachte er nur, denn solche Gedanken vor dieser geistig mittelmäßigen, sei es denn: inferioren, ja sei es: plumpsäckigen Gesellschaft der provinziellen Kleriker auszusprechen, das wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Es lag aber in seinem Lächeln, und ein so feiner Kopf wie Clépier verstand es aus diesem Lächeln, Clépier, der aber viel zu gemächlich war, um sich darüber mit dem Inquisitor auszusprechen, aber auch zu eitel, ihm zuzustimmen. Denn zustimmen, das hieße ja die Priorität der Gedanken des andern anerkennen! Wie sollte er das, da er das doch ebenso gut und so lange wie dieser hergelaufene Halbitaliener und noch länger als dieser Bursche wußte! Wie sollte er das, da er doch offenbar ebenso klug war wie dieser Fuchs und vielleicht in den Schriften der Alten noch etwas besser bewandert, weil er mehr Zeit hatte, mehr Bücher lesen konnte (wenn auch mit Vorliebe Bücher einer gewissen Sorte) und nicht gezwungen war, auf einem weißen 197 Pferde wie eine Art – wie sollte er sagen? – ja sagen wir: gehobener Landstreicher durch das Land zu reiten, zu visitieren, zu inquirieren und zu vexieren und den Schrecken in den Städten zu verbreiten, wenn der Ruf ertönte: Der Inquisitor ist angekommen! Höchstens widersprechen können hätte er, denn widersprechen bedeutete, Gleichberechtigung betonen. Halloh, widersprechen, ja, dialektisch streiten und dem Verblüfften gutmütig und gnädig nachher sagen: Gewiß, mein Freund, mein Sohn (mi fili, sagte der Papst), ich meine ja genau dasselbe. Ich habe nur widersprochen aus dialektischem Vergnügen, um den advocatus diaboli zu machen und die Richtigkeit deiner, unserer Meinungen zu erhärten. Um dir Gelegenheit zu geben, dich als den feinen Kopf, der du sein willst und sein magst, zu erweisen. Aber nein, dazu war er viel zu faul (und er hatte vielleicht auch einen gewissen Respekt). Also Glück zu, Bursche, überrede, überzeuge gar, wenn du kannst, die Gefangenen, veranlasse sie zum Widerruf und befreie uns endlich von diesem lästigen Handel! So rief Clépier den Inquisitor innerlich an, und der Inquisitor antwortete zum Kardinal gleichsam auf diesen Anruf mit einem halben Blick auf Clépier, denn gleiche Brüder erkennen sich an ihren Kappen: »Ich werde diesen lästigen Handel beseitigen.«

Er ließ sich ins Gefängnis Roanne führen. Da war er nicht wenig erstaunt und äußerte sein Erstaunen in einer Weise (leise und lächelnd natürlich), daß selbst der Kerkermeister erzitterte, als er sah, in welchen Löchern man die Gefangenen eingesperrt hielt. Eingesperrt seit einem halben Jahre! »Modo canum! Wie die Hunde!« grollte der Mann voll Humanität. Als er sich die Tür öffnen ließ und – der lange Herr mußte sich tief bücken – in die 198 Zelle Bernards eintrat – nein, da in der Ecke, das war ja kaum noch ein Mensch, der junge Mann mit den langen Nägeln und Haaren, der zitterte und die freundliche Begrüßung für einen Traum haltend keine Entgegnung des Grußes hervorbrachte, vielleicht nicht wagte, aus Furcht einen schönen Traum zu zerstören! Ory verließ nach ein paar freundlichen Worten den Gefangenen und trug dem Wärter besondere Nachsicht gegen ihn auf. Heute, am Nachmittag, solle er einmal hinausgehen dürfen, in den Hof gehen dürfen, denn wahrhaftig, die Gefangenen hatte man ein halbes Jahr lang nicht in den Hof gehen lassen. Ob man denn nicht wisse, corpo di Dio! (flüsterte er, aber so, daß der ihn begleitende Buatier erbebte) daß man auch dem schlimmsten Verbrecher gestatten müsse, sich wenigstens täglich einmal etwas Bewegung machen, zum mindesten einmal den Ort wechseln zu können? Ob man denn in Lyon nichts von den neuen humanen Büchern gelesen habe? Nein, Buatier hatte nichts von diesen Büchern gelesen oder gehört! Nein, nie! (Corpo di Dio! flüsterte Ory wieder). Da sei Herr Clépier, der lese moderne Bücher, der Diözesanalmosenier . . . hauchte Herr Buatier, aber der Inquisitor beachtete es nicht. Immerhin, Bernard war es viel besser ergangen als Karl, denn Bernard war in einer oblongen Zelle gefangen, einmal lang und einmal schmal, und genoß also eine entspannende Wohltat des Raumes, Karl aber, der Nächste, dessen Zelle Ory betrat, in einer quadratischen Kammer. Karls geistiger Zustand war denn auch übler als der Bernards, die räumliche Eintönigkeit hatte schlimmer auf ihn gewirkt, und er war in seinem Loche scheu wie ein gefangener Vogel. Er lief an der Wand hin und her und betrachtete aus trüben Augen im gesenkten 199 Gesichte die Eintretenden stumm, nur leise knurrend. »Noch ein paar Tage,« sagte der Inquisitonsmeister zu Buatier (dieser war ganz verdattert und ging neben dem Inquisitor nicht anders her als ein kleiner Schulmeister, wenn der Herr Inspektor gekommen ist), »und dieser Gefangene hat den Verstand verloren, bei eurer wunderbaren Erziehungsmethode!« Ja, Matthieu Ory hatte recht, denn Martial Alba schien ihn schon verloren zu haben, er tobte in seiner Zelle (»dieser Gefangene ist gefährlich«, bemerkte schüchtern der Kerkermeister, sodaß Buatier den vor dieser Zelle aufgestellten Wachtposten mit hineinnahm; aber Ory wies den Soldaten hinaus und brummte: »Gefährlich? Ihr seid gefährlich, ihr Menschenquäler!«) Kein Wunder, Martial saß in einer kreisrunden Zelle, sie lag in einem der runden Ecktürme des Gefängnisbaues. Peter Navières war einigermaßen in guter Laune, die Besuchenden wußten nicht warum (aber sie faßten sofort aus Dankbarkeit sozusagen dafür, daß er sich die Laune nicht hatte verderben lassen, etwas wie Zuneigung zu dem Kleinen), sie kannten nicht die erhebende Wirkung, die von dem wunderbaren Unratloche ausging, durch das von oben der große Peter zum kleinen sprechen konnte. Dem kleinen Peter war es auch gelungen, einen Hesiod in seine Zelle mitzunehmen, und er übersetzte die »Werke und Tage«. Die moralische Haltung und praktische Lebensweisheit dieses Dichters hatten auf ihn stärkend und erhebend gewirkt, denn seinem Zeitalter im allgemeinen und seiner Jugend (wie aller Jugend) im besondern war das Moralische und Lebenstüchtige der erste Wert der Dichtung, der Reiz des Problematischen erschließt sich erst dem Reiferen und bereits Enttäuschten. Die Schwierigkeit, Hexameter in 200 das dafür ungeeignete Französisch zu übertragen, war eine Wohltat für seinen jungen, nach Beschäftigung gierigen Geist, und wenn er jeden Tag nur einen Vers ganz einwandfrei und nach beiden Seiten, nach dem Griechischen und Französischen hin, zufriedenstellend übertrug, so war das Arbeit genug; auch sie auswendig zu lernen, denn zum Niederschreiben hatte er kein Papier, und die Masse des Gelernten täglich zu wiederholen war keine kleine Arbeit. Ory ordnete die sofortige Überführung des kleinen Peter in einen behaglichern und größern Raum an (er klopfte ihm auf die Backen und sagte vertraulich: »mi fili«). Die Visitierenden stiegen die Steinspindel einen Stock höher empor und fanden Peter Escrivain in fast guter Verfassung. Als Ory Peter so wohlbeschaffen sah, winkte er Buatier wegzutreten, was dieser, ob es auch nicht gerade für den Generalvikar eine Ehre war, wahrhaft erleichtert tat, und trat mit höflichem Gruße in Peters Zelle. Groß erstaunt stand Peter von seiner Pritsche langsam auf. Die Stufe zu seiner Zelle herab trat ein langer Dominikaner, noch länger als er, Peter, in weißem wollenen Gewande, eine schwarze schmale Kasula, das Ordensskapulier, darüber und über den Kopf geworfen, der durch das runde Halsloch heraustrat, die vordere und hintere Bahn des Skapuliers auf den Körperflanken durch breite schwarze, ein wenig nach außen sackende Querbänder verbunden. Die Hände trug er halb gefalten über dem Leibe unter der schwarzen vorderen Bahn, die Fingerspitzen in jene kleine innere Stütztasche gelegt, die in solcher Überwurfskasula zu sein hat, sodaß die Fingernägel sich draußen leicht andeuteten. Sein Gesicht war schmal, der Mund klein, fein und scharf, das Kinn 201 sorgfältig und weich rasiert, es war blau vom Bartgrunde, doch auch mit Reismehl leicht überrieben, die Augen hell und fast blau. Die Stirn lud durch den Ansatz kräftiger Kaumuskeln an den Schläfen, der aber die geistige Bedeutung des Kopfes unterstrich, nach beiden Seiten mächtig aus, und die von der Ordensschur belassenen Haare lagen als ein brauner Kranz um den Schädel, der oben kahl geschoren und übrigens vielleicht schon von Natur kahl war, denn Ory war, nach der Vorschrift für Inquisitoren, ein Mann von vierzig Jahren oder darüber. Doch nur eben darüber, im besten Alter des Mannes, der sich völlig überschaut und den Kreis seines Lebens ganz in seiner Gewalt hat. »Dominus te salutat,« sagte der Dominikaner, und Peter wiederholte nicht ohne Stocken: »Dominus - te - salutat -.«

Ory machte den Gefangenen ohne Umstände mit seiner Person bekannt (verschwieg natürlich, daß er der Inquisitionsmeister sei), frug, ob er Platz nehmen dürfe (Aber gewiß! natürlich! Peter war solchen Ton nicht mehr gewohnt) und setzte sich an das andere Ende der Pritsche. Was ihn denn in der unmenschlichen Gefangenschaft dieses engen und schmalen Raumes so lange bei geistiger Gesundheit erhalten habe? frug Ory.

Peter deutete langsam, zögernd, mechanisch durch das Zellenfenster hinaus. Draußen stieg das Gemäuer der Kirche Saint Crispin auf. Der Kalkstein war weiß und schwarz, jenachdem Schlagregen auf der Wetterseite die Fläche peitschte oder auf der Wetterschattenseite die staubbeladene Nässe die Steinstirnen herabspülte. Es war Nachmittag, die Wintersonne stand auf der Westseite der Kirche, die leuchtete wie ein Spiegel. Grüngelbe Moose, in der Sonne gelbes Gold, besiedelten 202 pflanzlich die steinerne Welt. Aus den Schrägen der Streben wuchsen die Fialen und Riesen, in Steinblättern und Krabben entknospend, die schlanksten Dienste und die zierlichen Dreiviertelsäulchen stiegen auf und verschwanden in einer Höhe, in die zu schauen der Sturz des Zellenfensterchens nicht mehr gestattete. Peter hatte versucht, diese Steinformen auswendig zu lernen. Das war schwierig, sehr schwierig gewesen, und viele Gänge waren nötig geworden zwischen Fenster und Zelle – gerade diese Schwierigkeit, eine so ungewohnte Welt von Formen in seinem Geiste getreu zu erhalten, war die Unterhaltung des sonst unbeschäftigten Geistes gewesen. Nach langer Übung und Bemühung war das Unternehmen gediehen, er hatte die Westfassade aus dem Gedächtnis mit einem Nagel in den Kalkbewurf einer Zellenwand ritzend gezeichnet, und er war gar ein Architekt geworden, denn die für ihn unsichtbaren Turmhelme hatte er im Formensinne des Sichtbaren nach eigener Erfindung und nicht ohne Bekundung von Baumeistertalent vollendet. Tauben hockten auf den Wasserspeiern, als kleine plumpe Federpakete ganz darauf niedergelassen und die matte Sonne genießend, sie zogen die Nickhaut über die Augen. »Ich kenne sie alle, die Tauben,« sagte Peter, »jede hat einen Namen, den ganzen weiblichen Kalender habe ich verbraucht.« Die luftigen Ecktürmchen über dem ersten großen und Hauptgesimse, durch deren durchbrochene Helmchen der blaue Winterhimmel schien, waren von Dohlen umflattert, ihre etwas weltfremden Schreie ausstoßend flogen sie auf und fielen wieder ein, sie hatten offenbar in den Turmhelmchen ihr Quartier. Braunschwarz waren sie, im Fluge waren die Flügelenden scharf geschnitten und gezackt, und ihre Schnäbel 203 waren gelb – »sie haben keine Namen,« sagte Peter, »ich kann sie nicht unterscheiden, sie sind mir nur Menge.«

Plötzlich rauschte die Schar der Tauben auf, die grauen und blauen, die braunen und rötlichen Tauben – die weißen Innenflächen ihrer Flügel leuchteten in der halbhoch stehenden Sonne: es war wie wenn weiße Papierschnitzel in die Luft geworfen werden.

»Ich verstehe,« sagte Ory, der aufgestanden und ans Fenster gegangen war und in die Zelle zurücktretend sich wieder niederließ, »die Kirche hat euch gerettet.« Und da ihm das ein guter einleitender Scherz zu sein schien, wiederholte er doppeldeutig mit Lächeln: »Und die Kirche wird euch retten.«

Damit war das Gespräch, wegen dessen er gekommen war, geschickt und vielleicht bedeutend eröffnet. Die Zelle war hell im Sonnenspiegel der Westseite von Saint Crispin, und in dem goldenen Nachmittagslichte begann die Unterredung.

Der Dominikaner fing nicht wie das unverständige Gericht mit Fragen nach dem Verhalten zu diesem und jenem Dogma an, sondern – nun ja, der menschliche Geist, der diese Kirchen errichtete, Wunder, Gebirge von Kunst, der die Städte um des herrlichen Gotteswerkes willen verschuldete in den letzten Jahrhunderten, Jahrzehnten und noch heute – nicht wahr, auch unbeschadet alles dessen, was man im einzelnen sich dogmatisch anders denken mochte und was – vielleicht – sogar anders sich zu denken gar nicht einmal so sehr wichtig war, so wichtig sein mochte (im Vergleich! im großen Ganzen! im Verhältnis zum Grunde, versteht sich) – man müsse doch zugeben, daß ein gewisser Puritanismus, wie er sich in der neuen Lehre kundtat (nicht ganz ohne Grund, nicht 204 überall unberechtigt, im Nebensächlichen natürlich!) dieser herrlichen Schwelgerei im Erhabensten sozusagen, dieser formkühnen Wollust – sit venia verbo –, diesem seraphischen Höhenwillen gefährlich sei. Ob er das nicht zugeben könne? Zuerst einmal ganz allgemein und ohne alle unmittelbare Beziehung auf umstrittene Inhalte der Lehre angesehen?

Peter saß, das Kinn in die Hand gestützt, und starrte vor sich hin.

Nur aus dem Winkel des Wohlbefindens der Welt, der Heiterkeit des Daseins, der Verschönerung des Lebens der Gemeinschaft angesehen, aus Freude, um das Wort zu wagen?

Ory wartete mit einer Pause auf eine Antwort, aber Peter schwieg.

Ach ja, Freude! Man sollte sie nicht geringschätzen! Freude war der höhere Sinn des christlichen Strebens, und diejenigen verkannten es gründlich, welche Düsterkeit, Trübe oder auch nur Ernst in ihm suchten, vermuteten oder anklagten. Nein, wozu solle Puritanismus, außer jenem natürlich, der auf Sauberkeit des Geistes und Ordnung der Gedanken ging, helfen? Er möge sagen, was er wolle, aber ihn, einen Mönch, ja einen Mönch, ihn stoße die gewaltsame Nüchternheit, der kalte Ernst, die Trauerkleidung, ja die schwarze Trauerkleidung der Propheten aus Genf ab. Wie er, wie Pierre Escrivain darüber denke? Ob er sich nicht ganz freimütig, ganz wie es ihm ums Herz sei, ganz wie ein Freund zum Freunde, ein Sohn zum Vater darüber äußern wolle?

Er wartete wieder. Peter fuhr sich mit der Hand heftig und nervös ums Kinn. Dann antwortete er dem 205 Sprecher: »Ach, wenn ich nur einmal wieder rasiert werden könnte!«

In der Tat, das Kinn und die Backen sahen häßlich aus. Sechs Monate ohne Schermesser – lange harte Haare und auch krause Wolle eines unregelmäßigen schüttern Bartes umwucherten die Kinnladen, und ein Zustand des Unbefriedigtseins und der Gereiztheit hatte sich aus dem Körper in die Seele verpflanzt.

Ob er nichts von dem gehört habe, was er gesagt habe? Ob er nur an seinen Bart gedacht habe?

Ja, er habe nur an seinen Bart gedacht. Und gedacht, ob die Freundlichkeit des unerwarteten Besuches wohl einschließen möchte – ob er es wagen dürfe, dem freundlichen Besuche die Bitte auszusprechen zu bewirken, daß er . . . daß er einmal wieder rasiert werden könnte . . .?

Ja natürlich, das könne er. Das dürfe er – der Inquisitor war zwar verstimmt darüber, daß seine schöne Rede so ins Leere gegangen war, aber er meisterte die Verstimmung weltmännisch und menschenfreundlich und ließ sie nicht merken, ja empfand sie auch nicht mehr – das dürfe er! Das solle sogleich geschehen! Es sei bedauerlich genug und durch nichts zu entschuldigen, daß man diese kleine Wohltat der Körperpflege den Gefangenen solange vorenthalten habe. Immerhin, darüber war er denn doch enttäuscht, daß er jetzt seine schöne Rede abbrechen, hinausgehen und einen Bartscherer besorgen mußte.

Nein, es war wohl noch zu früh, heute schon die Unterredung zu beginnen, den Bekehrungsversuch zu eröffnen, selbst bei Pierre Escrivain, dessen Geist noch am wenigsten durch das Martyrium der Gefangenschaft in Einsamkeit gelitten zu haben schien. Ory ging in den 206 Gefängnishof und ließ alle Gefangenen herunterholen. Da traten sie einer nach dem andern in den Hof, tastenden unsichern Trittes kamen sie die Stufen vor der Hoftür herab, denn das Treppengehen hatten sie verlernt. Und geblendet waren sie, zuerst rieben sie die Augen mit dem Handrücken, sahen sich um und gewöhnten die Augen ans volle Tageslicht. Martial stürzte sofort in die Ecke des Hofes, in den Mauerwinkel, er tastete die Mauern ab und genoß mit Lust ihre Annäherung und ihr Sichbegegnen in der einen bedeutenden Senkrechten des Winkels. Er stand, hartnäckig in den Winkel starrend wie ein in die Ecke gestellter Schulbube. Von Zeit zu Zeit schaute er mit glücklichem Gesichte auf und über die Schulter weg rückwärts, ob andere Menschen auch seine Freude sähen und als wolle er sie an seiner Freude teilhaben lassen. Nur langsam schien er zu erkennen, daß die Anwesenden seine Freunde seien, daß auch sie da seien, seine Freunde. War es vielleicht ein Traum? Dann drehte er sich um und stand, jede Schulter an je eine der Mauern gepreßt, sein Rückgrat und den Hinterkopf in die Fuge drückend und schmiegend. Er lächelte. Er war glücklich.

Wie Tiere, die in die Freiheit zurückkommen, so verhielten sich zuerst die Jünglinge im Hofe. Sie wagten einige unbestimmte Schritte, sie gingen zögernd umher – sie fielen sich nicht um den Hals, als sie sich nach so langer Zeit wiedersahen, oh nein, sie sahen sich an, prüfend, ein wenig erstaunt auch und lächelnd, es war, als ob sie sich nur langsam wiedererkännten und an die Wirklichkeit ihrer körperlichen Erscheinungen gewöhnen müßten. Dann erst traten sie aufeinander zu und gaben sich die Hand und hielten sich bei der Hand und lächelten sich 207 an. »Geht es dir gut, Karl?« – »Geht es dir gut, Bernard?« – »Du bist gewachsen, Pierrot, kleiner, was wird deine Mutter sagen!« – »Und du bist so schön rasiert, Peter, du mußt einen freundlichen Kerkermeister gehabt haben. Laß mich deine weiche Backe fühlen.« – »Wahrhaftig, Bernard ist dick geworden, bei der Kost ein kleines Wunder. Oder hast auch du einen freundlichen Kerkermeister gehabt?« Zu Martial aber mußten sie hinübergehen, er wich nicht aus seiner Ecke und seinem Steinbett voll Raumeswollust. Sie gingen hinüber und faßten auch ihn bei der Hand und standen eine Weile, durch Handschluß einen Kreis formend, in der Ecke, sie lächelten sich an und sprachen leise. Und auch bei Martial fachte sich langsam der dem Erlöschen nahe gewesene Geist wieder an.

Sie lösten die Hände und traten sicherer werdend und mit kühneren Schritten auf den hellen Sand des Hofes hinaus. Es war zuerst wie ein Sichhinauswagen aufs Eis, und sie lernten schnell das Eislaufen, den natürlichen Gang im natürlichen Raume. Ory stand abseits nahe der Hoftür und betrachtete die Gefangenen schweigend, prüfte sie, studierte sie, prägte sich die Unterschiede ihrer Persönlichkeiten ein und sah mit Befriedigung die Richtigkeit seiner Methode. Freilich man mußte wohl noch langsamer, noch vorsichtiger zu Werke gehen, die Menschenseele ist ein größeres Geheimnis, ein zarteres Instrument als auch der Erfahrenste glaubt, immer wieder wird er zu größerer Achtung, zu feinerer Behandlung gemahnt. Die Westseite von Saint Crispin stand nun im vollen goldenen Feuer der Abendsonne, helles Licht fiel herab in den Hof, die Kirche gab Licht als ein Mond. So stark war der Mond, daß ihre Körper in seinem 208 Lichte Schatten auf den weißen Sand warfen. Martial, endlich aus seiner Ecke hervorgekommen, spiegelte sich in seinem eigenen Schatten und ordnete im Spiegel seines Schattens seine wüsten Haare. Ein wilder Busch standen sie um sein Haupt, er ging an die Wand, wo ein Brünnchen floß, nahm Wasser in die Hand, machte damit die Haare kleben und fühlte sich mit geordneten anliegenden Haaren sichtlich als ein neuer, ja besserer Mensch!

Gewiß, sie waren lange nicht mehr und vielleicht noch niemals in ihrem Leben so glücklich gewesen, die Freunde, wie in dieser Stunde im Gefängnishofe im Mondenschein von Saint Crispin. Man muß nur einmal recht unglücklich gewesen sein, um recht glücklich sein zu können. Sie genossen Glück und Seligkeit bescheiden und ganz still, sie wagten immer größere Gänge in den Hof hinaus zu zweien, zu dreien, in immer anderer Gruppierung ihrer Freundschaft, und je bestimmter und sicherer ihr Schritt wurde, desto bestimmter und sicherer wurden auch ihre Gedanken. Das Denkvermögen kehrte mit dem Gehvermögen zurück. Doch hielten sie sich instinktiv etwas fern von dem weißen Dominikaner am Ausgange, den sie vielleicht für einen neuen Wächter hielten. »Was ist er? Was will er?« frugen sie einer nach dem andern den großen Peter, denn ob sie auch nicht wußten, daß Peter schon Bescheid wußte, so war es ihnen natürlich, ihn immer zuerst zu fragen. »Eine neue Ordnung im Gefängnis,« sagte leise der Große, »ein anderer Geist, ein Freund vielleicht, es kann aber auch eine Falle sein . . .« Ory hörte aus der Ferne mit Mißbehagen das Wort »piège« und hielt es nun doch für angemessen, sich zu melden und einzugreifen, denn diese Vorstellung durfte sich nicht festsetzen. Er kam 209 langsam näher, lächelnd und sich verneigend, und begegnete einem natürlichen Mißtrauen mit ausgesuchter Freundlichkeit in Worten. Die Sonne war verschwunden, der Mondspiegel von Saint Crispin verblaßte, die Fassade wurde bleich und kalt. »Nun, wenn es euch recht ist, meine Freunde, kehrt in eure Schlafkammern zurück. Ich sage Schlafkammern, denn von nun an sollt ihr eure Zellen nur in der Nacht bewohnen, was euch ja wohl recht ist, da dann jeder von euch eine eigene Schlafkammer hat, was für Menschen unserer Art nötig ist, nicht wahr (lächelte er). Aber im übrigen sollt ihr von jetzt an euch begegnen dürfen wann ihr wollt, ihr werdet einen eigenen Saal haben, in dem ihr soviel zusammenkommen könnt wie ihr mögt. Und ihr könnt täglich, am Vormittag und Nachmittag je eine Stunde in den Hof herunterkommen, es mögen auch zwei werden, man wird es nicht genau nehmen. Und einen Ball zum Spielen werdet ihr auch im Hofe finden, ihr könnt euch gesunde Bewegung machen, ich habe für alles Anordnungen erlassen. Ihr seid nämlich von jetzt an in meine Hut gegeben, und ich hoffe, daß ihr Vertrauen zu mir fassen werdet. Ich möchte, daß wir Freunde würden.«

Nach dieser wichtigen Eröffnung verließ er, langsam und würdig abtretend, die Freunde, die ihm stumm und außerordentlich erstaunt nachsahen, die Zurückführung und alles übrige den Wärtern überlassend, die nun in den Hof traten, denselben Wärtern, die sie bisher gehabt hatten, die aber sichtlich angewiesen waren, sich anders als bisher den Gefangenen gegenüber zu verhalten – sie waren selbst froh darüber, Menschen, die auch sie waren, gegenüber Menschen, den Gefangenen, 210 sein zu dürfen, und sie trugen ihre Schlüsselbunde nicht mehr an den Ringen sondern so, daß sie die Schlüssel selbst gefaßt hielten, sodaß sie nicht rasselten.

Ach, es ist eine Mär, die von den bösen Kerkermeistern! Die gibt es für gewöhnlich sicherlich garnicht, oder es gibt ihrer nicht mehr, als es auch in der Freiheit böse Menschen gibt. Die Kerkermeister und Gefängniswärter, ausgediente Soldaten, welche die Mühsal des Lebens kennen und die selbst ihr Leben im Gefängnis, in der halben Gefangenschaft ihres Dienstes, verbringen müssen, sind selten darauf aus, Gefangene zu quälen. Darauf sind die anderen aus, die Vorgesetzten, die Gesetzesmacher und -vollstrecker, die auf den Regierungsstellen in der Freiheit, die essen und schlafen mögen, wenn es ihnen beliebt, und ihr Zuhause mit einem Bett und einem Weib darin haben und die nicht wissen, was der Verlust der Freiheit bedeutet. Solange nicht jeder Richter, jeder der Freiheitsstrafen zu diktieren hat, einmal drei Monate ununterbrochen im Gefängnis gesessen hat, solange wird gnadenlos die oft unverhältnismäßige Qual der Gefangenschaft verhängt. Die Wärter aber freuen sich, wenn sie nicht in verkehrtem Herzen für ihre eigene Qual andere büßen lassen wollen, unglücklichen Gefangenen ihr Los erleichtern zu dürfen, falls nur sie selbst dadurch nicht in ihrem unnatürlichen Dienste Mißhelligkeiten seitens der unwissenden Oberen haben und sich ihre düstere Laufbahn vom Gefängniswärter zum Gefängnismeister und das endliche Ergebnis ihrer dunklen Dienstjahre, ein dünnes Gnadenbrot und das Gärtchen im Graben vor den Gefängnismauern, verderben. Das drückte nun auch die Miene der Wärter aus, und beglückt von soviel Menschlichkeit kehrten die 211 Studenten willig und im sichern Gefühle eines Wiedersehens am andern, ebenso schönen Tage sogleich in ihre Schlafgemächer zurück. Und alle besuchte sie noch am selben Abend der Bartscherer und Haarkünstler, der gemeine Gefangene, wie er in allen Gefängnissen Barbierdienste tut.

»Weißt du, was das Schlimmste war?« sagte am andern Tage Bernard zu Karl. »Daß man sich die Nägel nicht schneiden konnte! Kein Messer, keine Schere hatte ich, ich bin schließlich dazu übergegangen, die Nägel mit den Zähnen abzureißen oder sie mir an der Mauer abzureiben. Mit langen Nägeln an die Gegenstände stoßen – man meint aus der Haut zu fahren. Der ganze Mensch gerät ins Flammen und Zittern. Sieh mal, der Haarscherer hat mir die Schere gegeben, und nun schau dir bitte mal an, was für schöne Nägel ich habe!« – »Es muß eine Lust sein für den, dem du damit die Augen auskratzen willst,« sagte hinzutretend Martial. – »Willst du diese Lust genießen? Kostet nichts!« gab Bernard schlagfertig zurück und machte mit drohenden Krallen einen Scheinangriff auf Martials Gesicht. Sie waren wie die Kinder. – »Was nichts kostet, ist auch nichts wert,« sagte Martial, »Tod, du kannst mir vom Halse bleiben.« Aber die Erwähnung des Todes auch im Scherze war unter diesen Umständen nicht am Platze, Ernst breitete sich über ihre Gesichter aus, auch über das Martials.

»Na ja, das war eine Dummheit,« sagte Martial nach einer Weile bedrückten Schweigens im Saale, in dem sie sich auf bequemen Stühlen neben einem mit Büchern gefüllten Wandkasten räkelten, »wer weiß etwas vom großen Peter? Unser Vorstand hat wohl 212 wieder eine Unterredung mit Domini cani?« – »Frag' den Vorstand unserer Todesbrüderschaft selbst, Martial,« sagte der in diesem Augenblicke hereintretende Peter, und das Gesicht, mit dem er sich niedersetzte, drückte bleichen Schrecken aus. »Es hat sich nichts geändert, ihr Freunde, außer der Behandlung. Auch der Dominikaner verlangt im Grunde nichts anderes als die anderen, darüber täuschen mich nicht seine schönen Reden und die freundlichen Änderungen in der Gefängnisgewalt, und diese müssen wir bezahlen. Umsonst wird man uns nur hinrichten, und es wird sogar noch unsere armseligen Kleider kosten, denn die bekommt wie schon auf Golgatha der Henker.«

Da rief Karl laut aus: »Ach, ich möchte aber so gerne noch ein bißchen leben!« Und es hatte nur dieses ehrlichen Aussprechens eines tiefen und gerechten Wunsches bedurft, daß auch Peterlein und Bernard ausriefen: »Ja, ich möchte leben!« – »Zum Teufel!« rief Martial und ließ es darauf ankommen, ob dieser Ausruf sich für einen Missionar schicke, »beim Sterben geht es gleich hart auf hart und ohne abzuhandeln, und es ist die Frage, ob man so hartköpfig wie ein Kieselstein sein muß.« – »Wenn es noch gestern gewesen wäre,« sagte Karl, »gestern wie ein Wolf in den Käfig geschlossen, lebendig begraben, hätte ich vielleicht etwas um die Freiheit des Scheiterhaufens gegeben. Heute fühle ich mich fröhlich und einigermaßen wieder in meinem Behagen.«

»Der Dominikaner! Der Dominikaner!« rief der große Peter aus, »er hat gewußt, was er tat! Er hat gewußt, was er tat! Ihr könnt ihm danken, wenn ihr den Mut habt. Ich möchte ihn fast bitten, mich wieder 213 ins Loch zu werfen und daß er mich bald darauf auf die Weise befreie, die uns doch nur zugedacht ist,« sagte er verzweifelt.

Da schwiegen sie betroffen, sie meinten ja nichts anderes. Sie meinten ja nichts anderes, und es war ja gar keine Rede davon, mit sich handeln zu lassen d. h. einen Punkt ihres Bekenntnisses zu widerrufen, aber – »Aber,« meinte Martial, »sollte man denn keinen Ausweg finden? Anders herum? Vier und drei ist doch soviel wie fünf und zwei, nicht wahr? Einen Ausweg meine ich, welcher Widerruf auf der einen und – jenes Unwiderrufliche auf der andern Seite vermeidet? Geht das Leben nicht fortwährend solche Auswege? Gibt es im Leben überhaupt einen geraden Weg? Besteht das Leben nicht eben darin, einmal das rechte, ein anderesmal das linke Auge zuzudrücken, und da jedermann in dieser Weise gehen muß, kommen nicht so schließlich alle im Gedränge leidlich aneinander vorbei?«

»Welchen Weg meinst du denn?« frug Peter.

Alle schwiegen, Martial brachte nur hervor: »Ich meine nicht, ich frage.«

»Fragen! fragen! Ich frage auch! Mir ist es auch nicht ums Sterben zu tun. Ach, glaubt nicht, ich befinde mich besser als ihr, und ich sei entschlossener. Ich sehe nur nicht, wo hinaus, da es nur einen Ausweg gibt und dieser eine für uns nicht zu gehen ist. Das ist doch selbstverständlich. Ich denke nicht schlecht von euch, glaubt es nicht, ich weiß wohl, im Gerichtssaal, im Feuer der Versammlung, im Rausche der Rede, aller Augen auf uns gerichtet, da war sich behaupten leicht, und wenn das Urteil auch gewiß war, es war doch noch nicht ausgesprochen, es war noch kein Urteil. Aber nun, nachdem 214 der Punkt hinter den Satz gesetzt ist? Nun ist er zu Ende und fertig. Und nun ist der Alltag da und keine Versammlung und keine Rede, und niemand sieht und hört uns (Gott sei Dank, daß uns jetzt niemand sieht und hört in unserer Angst!) Der Alltag, der gewöhnliche, der beruhigende, und das lange zermürbende Alleinsein. Und nun erhebt sich in uns allen die Frage, ob es denn gar keinen andern Weg gibt, einen Ausweg, wie Martial meint, und ob es nicht irgendwie etwas abzuhandeln gibt, wie Martial wieder meint, wie es wohl immer im Leben möglich ist, wie Martial mit gutem Rechte sagt. Aber ich sehe nichts – seht ihr etwas, Freunde?«

Sie sahen nichts.

Wie abgepaßt für diesen Augenblick des Kleinmutes wurde ein Brief hereingegeben, ein Brief von Calvin! Er schrieb: »Obwohl ich zur Stunde keine so schweren Kämpfe zu überstehen habe wie ihr, meine lieben Brüder, so laßt mich euch doch ermahnen, als ob ich mit Euch gefangen läge. Erwägt, ich bitte, daß wir alles dem Willen Gottes überlassen müssen, der einen jeden von uns prüft zu seiner Stellung. Zuweilen spart er seine Kinder auf wie mich Unwürdigen in sicherer Bürgerstadt, zuweilen auch nur so lange, bis er sie gebildet und geformt hat in langer Behandlung, wie Petrus aus dem Munde des Herrn vernahm: ›Wenn du aber alt wirst, wird man dich führen, wohin du nicht willst‹ (Joh. 21, 18). Zuweilen kommt es aber auch vor, daß er Neulinge drannimmt, die nicht seit langem schon zum Kampfe geübt sind. Diesen fällt die schwerste Ausgabe zu, aber Gott, der sie kennt, wagt es mit ihnen. Er ist ja nicht weniger mächtig, seine Kraft 215 in den Schwachen zu zeigen und sie plötzlich unbezwinglich zu machen. Ihr habt vom ersten großen Angriff an solche Kraft und solche Standhaftigkeit gezeigt, daß die Feinde der Wahrheit das Zeichen erkennen mußten, das Ihr tragt und das sie nicht leiden mögen. In dem Mitleid, das ich, wie es sich gehört, mit Euch habe, spüre ich wohl, daß Satan nicht aufhört, Euch stets aufs neue anzugreifen. Und gerade in diesem Augenblicke ist es mir, als ob Ihr meines Zuspruches bedürftet, und so schreibe ich Euch mitten in anderen Geschäften. Müßt Ihr viel Versuchungen bestehen, so erschreckt nicht. Ja, spürt Ihr solche Schwäche in Euch, daß Ihr fast daran seid, wankend zu werden, so seht gerade darauf, daß es nur geschieht, um Euch in Demut zu erhalten, denn es gibt auch eine Hoffart des Mutes, und es ist die Frage, ob ein aus solcher Quelle gekommener Mut in der Stunde der letzten Gefahr aufrecht bleiben wird. Nur Gnade kann uns helfen, das höchste was wir erfahren können ist Gnade, ist das Unverdiente, ist das Wissen, daß wir auserwählt sind und in der Auserwähltheit uns zu bewähren haben. Wenn wir uns nicht bewähren, so waren wir nicht auserwählt, wir haben uns geirrt in uns, und Gott hat sich in uns geirrt und wird uns zu den verpfuschten Stücken seines Werkes werfen und andere mit neuer Hoffnung vornehmen. Gefahr ist um Euch, ich fühle es, obgleich ich lange nichts mehr von Euch und über Euch hörte und günstige Nachrichten sogar neue Hoffnung fassen ließen. Aber ich weiß, daß die Feinde immer am Werke sind und nicht müde werden, und es fehlt auch nicht an Leuten, die scheinbar Eure Freunde, in Wirklichkeit Eure Todfeinde sind. Denn um Euren 216 Leib zu retten und das bißchen Leben, das uns gegeben, werden sie sich bemühen, Euch Eure Bestimmung zu stehlen und Euch dem Schicksal zu entziehen, das in der Welt zu erfüllen Ihr von höherem Willen berufen wurdet. Auch ist unsere menschliche Fantasie eine wunderliche Werkstatt, in der tolle Einbildungen geschmiedet werden, geeignet, uns zu verwirren, und das Auge vom Ziele abzulenken. Darum heißt es, gewappnet und bewehrt sein nach allen Seiten. Macht Euch keine Sorge: es wird auch immer jeder ausgerüstet sein in dem Maße und der Art, in der er angegriffen wird. Ihr braucht nur darauf zu schauen, wie groß die Sache ist, die Ihr verfechtet. Und wenn die Sache höher ist als wir selbst, und wenn sie uns aus einem geheimen Grunde, den wir Gnade oder Berufung nennen müssen, zwingt, über uns hinaus zu denken und dieses Höhere selbst zu denken, dann ist es die gerechte Sache! Und wenn das Leben, das einzelne Leben hingegeben werden muß um der Sache willen, die größer ist als ein Leben und die viele Leben einer Gemeinschaft dieses höheren Geistes in sich schließt, so lebt es fort und kann nicht verloren gehen. Das ist ganz gewiß! Da gibt es keinen Zweifel! Und wiewohl es dem Fleische, das nun einmal der einzelne Mensch ist, schwer fällt dieses zu erkennen, so ist es doch die wahre Erhebung aller, die in irgendeinem Sinne Gläubige genannt werden dürfen.«

Peter hatte vorgelesen. Oh, wie waren sie da beschämt! Oh, wie waren sie da erschrocken im Gedanken daran, wohin Kleinmut sie führen könnte! Karl weinte still in seine Hände hinein. Jeder nahm einzeln den Brief vor, las ihn allein für sich und wandte das Geschriebene gerade auf sich an, und der eine Satz traf mehr diesen 217 der andere mehr jenen. Alle Sätze aber waren für alle geschrieben, und es waren wunderbarerweise alle Punkte darin berührt, die sie selbst soeben berührt hatten. Aber in wie höherer Art, auf welch anderer Stufe! In großen und schlichten Worten war alles gesagt und alles gemeint, ohne das Einzelne zu nennen, und was aus gequältem Herzen in solcher Lage steigen kann, war liebevoll vorgedacht und tief vorausgefühlt. Meister Calvinus! Das war das weitere Herz! Das war der größere Geist! Sollte man sich nicht in etwa dieses Geistes und Herzens in Demut würdig erweisen, da man doch den Stolz in Anspruch nahm, vor der Welt, vor Menschen, im Gerichtssaale als seine Schüler zu erscheinen? Mußte man nicht die Ehre der Schülerschaft erkaufen?

»Und nun kommt mir auch der Gedanke nach dem würdigen Auswege,« sagte Peter, nachdem alle gelesen, sich gesammelt, nachgedacht und jeder für sich sein Herz an dem Prüfstein des Schreibens auf seine Widerstandsfähigkeit hin untersucht hatte. »Es kann nur der sein, in unserem Bestreben nicht nachzulassen, die Bemühungen von Menschen, von mächtigen Menschen, die der Freiheit sich erfreuen, für uns in Gang zu erhalten oder neue in Gang zu bringen. Hört, was ich mir denke! Wir schreiben jetzt an die Schweizer Pfarrer. Einen Brief des Dankes für ihre Bemühungen, aber er muß so abgefaßt sein, daß sie neben allem Danke, den wir ihnen für gehabte Mühen aussprechen, die Bitte, die ganz dringende Bitte heraushören, neue für uns auf sich zu nehmen. Uns kann es natürlich nie genug sein bis zum Erfolge. Wir müssen verhindern, daß sie denken möchten, es ginge vielleicht auch ohne gerade ihre Hülfe. 218 Denn der Glückliche macht sich nie ganz die Lage des Unglücklichen klar. Es müßte denn unser Vater Calvinus sein. Nur wenige haben das Leid der Welt getragen und das Leid der Welt zu ihrem eigenen gemacht, ganz so, als ob sie selbst es litten. Die meisten geben sich gern der Hoffnung hin, es sei irgendeine wunderbare Hülfe für den Unglücklichen auf dem Wege und beruhigen derart ihr Gewissen und schlagen sich die Sache aus dem Kopf.«

Also setzte sich Peter sogleich an den Tisch, der mit einem gewichsten Tuche bedeckt war (auf den Tischecken war das Wachstuch abgestoßen), und entwarf den Brief. Peter war es, der entwarf und schrieb, aber die anderen, um den Tisch herum gruppiert, beteiligten sich eifrig, und jeder von ihnen wußte einen Gedanken vorzubringen oder schlug hier und da eine bessere Fassung eines Satzes vor. Peter sagte einen Satz her, und wenn sich kein Widerspruch erhob, schrieb er ihn nieder, zunächst im Entwurfe: »Werte Brüder, es ist uns wohl bekannt, wie groß Euer Anteil an allem ist, was der Förderung der reinen Lehre des Geistes und der Unterstützung unschuldig Verfolgter dient. Deshalb schreiben wir Euch dies, um Euch, da Ihr uns mehr Gutes erwiesen habt, als wir je verdient haben und noch verdienen könnten, zu bezeugen, wie sehr wir uns Euch verpflichtet fühlen. Wissen wir doch, daß der amtliche Schritt der Eidgenossen beim König in der Hauptsache Eurer Anregung und Eurem Zutun zu verdanken ist. Aber wie die Bemühungen der Kantone und namentlich Zürichs und Berns beim Könige vergeblich waren, so hat auch das besondere Unternehmen unserer gnädigen Herren von Bern, die dem Kardinal de Tournon ein Versprechen, unsere Lage zu bessern, abgerungen haben, 219 keinen Erfolg gehabt, wie Ihr wohl wißt. Zu unseren Studien d. h. nach Lausanne sollten wir zurückkehren dürfen? Oh, wie gerne hätten wir es getan, aber der Kardinal hielt sich hier nicht an sein in Sitten gegebenes Wort gebunden. Das Elend Eurer Brüder, die um des reinen Wortes Christi willen in die blutigen Hände der Widerchristen gefallen sind, wird Euch aber auf die lange Dauer hin nicht weniger schmerzen, als wenn Ihr mit ihnen im selben Kerker läget und dasselbe leiden und aushalten müßtet.« (»Ich würde nicht immer von uns, sondern noch einmal von ihnen und noch einmal von unserem Danke sprechen,« warf Martial ein, und Peter durch Nicken zustimmend schlug schreibend folgenden Satz vor:) »So haben wir voll Vertrauen beschlossen, uns an Euch alle zu wenden und Euch zunächst unsern unendlichen Dank zu wiederholen für die Mühe, die Ihr noch um uns haben werdet.« (»So ist es richtig!« rief Martial.) »Denn wir möchten uns gerade etwas von einem Schritte versprechen, den Ihr in Eurer Gesamtheit tun könntet, unmittelbar und offen hervortretend, während Ihr bisher sozusagen im Rücken der amtlichen Kräfte für uns gewirkt habt.« (»Das scheint mir nicht gut,« meinte Bernard, »das könnte wie ein Vorwurf klingen! Wollen wir nicht etwa sagen: Während Ihr bisher nur – nein, das ›nur‹ soll nicht gelten – während Ihr bisher mittelbar und in zweiter Linie für uns gewirkt habt? Und ›in zweiter Linie‹ wäre noch zu streichen. Während Ihr bisher mittelbar für uns gewirkt habt.«) Diese Fassung fand Beifall, und Peter schrieb sie nieder. »Wir haben nämlich gehört durch den trefflichen Freund, den Kaufmann Hans Leyner aus Augsburg, der sich hier unser annimmt und uns 220 beköstigt, nachdem die bisher gegen uns geübte strenge Behandlung einer milderen Platz gemacht hat, daß der König einen neuen Gesandten bei der Eidgenossenschaft bestellt hat, Herrn de Bassefontaine, der anstelle des kürzlich verstorbenen Gesandten nach Solothurn kommt, um das Königreich bei der Eidgenossenschaft zu vertreten. Wir haben gehört, er sei ein außerordentlich freundlicher und hochgebildeter Mann, der besondere Freude am Umgange mit frommen und gelehrten Leuten habe und auch dem rechten Glauben nicht ungünstig gesinnt sei, ferner beim Könige viel gelte und der zweifellos um Euretwillen zu manchem bereit ist. So bitten wir Euch also« – (»Schreib', Peter,« meinte Bernard: »So beschwören wir Euch, du kannst ruhig sagen: so beschwören wir Euch«). Peter nickte wieder und schrieb: »So bitten, so beschwören wir Euch, ihm unsere Sache warm zu empfehlen, umso wärmer, als die Feinde der Wahrheit auf uns eindrängen und alles daransetzen, unsere Hinrichtung zu erreichen.«

»Ob man selbst sich nicht auch an den Gesandten wenden sollte, wenn er ein so freundlicher und der reinen Lehre nicht abholder Mann ist?« gab Peterlein zu bedenken. Dem stimmten alle sofort zu, und Peter schlug zu schreiben vor: »Auch wir wollen ein besonderes Bittgesuch und von uns aus an ihn richten und hoffen zuversichtlich, bei seiner Güte gegen jedermann und bei der Gerechtigkeit unserer Sache werde es bei ihm gnädiges Gehör finden, besonders wenn dann Eure Fürbitte noch dazukommt.«

»Das ist ausgezeichnet!« rief Martial. – »Schreib' noch: Eure mächtige Fürbitte,« schlug Karl vor, was angenommen wurde.

221 »Wird man es nicht als Schmeichelei auffassen?« gab Peterlein zu bedenken. – »Schmeichelei oder nicht,« gab Karl unwirsch zurück, »wir haben den Strick um den Hals! Man wird uns in unserer Lage ein volles Wort nicht verübeln«. – »Also schreib': Mächtige Fürbitte,« sagte Peterlein zu Peter.

»Wir dürfen ruhig eingestehen, daß wir Angst vor dem Tode haben, der uns sehr bedroht,« sagte Peter, »in unserer Lage schändet das nicht.« Und er schrieb: »Damit es Euch nicht wundert, wenn wir unsere Befreiung aus der Hand der Feinde so sehr wünschen und auf jede mögliche und erlaubte Weise danach trachten, sie zu erreichen, so sollt Ihr wissen, daß wir dieses nicht tun, weil wir unser Leben der Ehre Gottes, der wir zu dienen haben und dienen wollen, vorzögen, sondern weil wir glauben, bei unserer Jugend für diese Ehre Gottes und für die Ausbreitung der reinen Lehre noch nicht genug d. i. noch garnichts gewirkt zu haben.« – »Man könnte sagen: wir möchten wenigstens noch unseren Eltern und unseren Anverwandten, die in der Finsternis der papistischen Lehre und Tyrannei schmachten, das Licht bringen,« meinte Bernard, aber das wurde denn doch als zu kindlich von den anderen verworfen. »Aber wir können ohne Anstand davon sprechen, daß wir das Leben nicht verlieren sondern noch behalten möchten,« sagte Karl, »das ist nicht unehrenhaft, scheint mir.« Das schien allen so, und Peter, nach einigem Überlegen, schlug vor, indem er schon schrieb: »Die Verzögerung der Urteilsvollstreckung scheint, wir möchten es glauben, von göttlicher Vorsehung selbst bewirkt zu sein, was vielleicht beweist, daß sie selbst noch andere Dienste in der Welt von uns erwartet.« (So sei es 222 richtig! fand man, und Peter, dadurch ermuntert, spann den glücklichen Gedanken weiter:) »Wenn also auch Gott, der Höchste und Beste, für dessen Wort wir schon seit vielen Monaten in der Gefangenschaft schmachten, dieser glücklichen Wendung einziger Urheber ist, so zögern wir doch nicht, da er offenbar Eure und Eurer amtlichen Obrigkeiten Vermittlung dazu gebrauchen wollte, um die drohende Gefahr von uns abzuwenden, in diesem Brief zu bezeigen, daß wir unser Leben, das dem Menschen ja doch fast das Liebste auf Erden ist, nächst Gott Euch danken.«

Das fanden alle ganz vorzüglich formuliert, auch Karl, der seinen Gedanken untergebracht sah und gern anerkannte, daß er an guter Stelle und richtig eingepackt stehe, nicht leichtfertig ausgesprochen und nicht mit zu großem Gewicht belastet sei.

»Unser Vorstand macht es doch immer am besten,« lobte Martial, und Peter (»Martial, du Schäker!«) meinte, daß man nun aber schließen solle, womit die anderen einverstanden waren. Er las das Konzept als Ganzes vor, strich hin und wieder ein überflüssiges, verbesserte ein nicht geschicktes Wort und gab sich dann sofort daran, auf einem Bogen guten Papiers (es war reichlich Schreibpapier neben den Büchern da), den Brief ins Reine zu schreiben. Als das, mit noch einigen kleinen Verbesserungen, von diesem und jenem vorgeschlagen, geschehen war, kam der Schluß und die Unterschriften: »Aus dem königlichen Gefängnis in Lyon Eure Euch sehr verehrenden Brüder in Christus, die schon lange um seines Namens willen gefangen liegen.« Und sie unterschrieben der Reihe nach. Martial Alba. Pierre Escrivain. Charles Favre. Pierre 223 Navières. Bernard Séguin. Und sie schlossen den Brief.

Als er schon geschlossen war, hatten Bernard und Karl noch ein Bedenken, das sie sehr ernst äußerten. Sie meinten, die Fassung sei doch etwas zu sehr »gefaßt«, die Pfarrer möchten glauben, es sei ihnen mehr darum zu tun, einen schönen und würdevollen Brief zu schreiben, mit dem sie im berühmten Märtyrerbuche liber Martyrum und vor der Nachwelt glänzend bestehen würden, als ihre Befreiung zu erwirken, um die sich doch alle ihre Gedanken drehten und um die alle ihre Sorge gehe. Sie drängten darauf, daß der Brief geöffnet und eine Nachschrift angebracht werde recht realen und politischen Charakters, was schließlich von allen angenommen wurde. Sodaß der Brief also geöffnet und geschrieben wurde:

»Nachschrift: Wir öffnen den bereits geschlossenen und zum Versande bereiten Brief und tragen noch nach: Fällt es Euch nicht so schwer, so bittet den Gesandten auch, wenn Ihr ihm unsere Sache vorbringt, er möchte dem Kardinal de Tournon und dem königlichen Statthalter de Tignac zu wissen tun, die Schweizer warnten sie sehr, etwa voreilig zu sein, und sie möchten ja nicht etwa ein Urteil vollstrecken lassen, bevor nicht die allerletzten und deutlichsten Befehle des Königs vorlägen und bevor nicht die neu unternommenen Schritte sowohl durch ausdrückliche schweizerische wie königliche Erklärungen als ebenfalls vergeblich erwiesen wären. Sie sollten uns ja nichts zuleide tun, da man eben doch die Schweizer, die sich um uns bemühten, nicht beleidigen dürfe. Bittet ihn doch so oder ähnlich ihnen zu schreiben, um ihnen Schrecken einzujagen. Gott wird 224 Euch alles, was Ihr tut für seine Sache, die wir vertreten« (»und deren Vorkämpfer wir jetzt in Frankreich sind,« wollte Bernard noch ausdrücklich hinzugesetzt haben – gut!) »reichlich vergelten.«

Die Nachschrift verminderte zwar sehr die Würde des Briefes, aber um des Ernstes der Lage willen wurde sie doch von allen gebilligt und der Brief wieder geschlossen.

Peter und Peterlein gingen hinaus, um sich zu erkundigen, ob ein Brief noch heute an den Kaufmann befördert werden könne und blieben, da sie den Gefängnismeister nicht gleich antrafen und warten mußten, lange aus. Währenddessen gelang es Karl und Bernard, Martial zu bestimmen, daß der Brief noch einmal geöffnet und ohne Vorwissen der beiden Peter, die vielleicht Widerstand leisten würden, eine weitere Nachschrift hinzugefügt werde. Sie öffneten den Brief also wiederum, und Karl schrieb:

»Wir erbrechen noch einmal den geschlossenen Brief, weil uns der Gedanke kommt, Ihr könntet seine Worte vielleicht nicht in ihrer ganzen Schwere nehmen und unsere Lage nicht als ernst genug betrachten. Sie ist vielmehr verzweifelt! Wir bitten und beschwören Euch auf den Knien und mit aufgehobenen Händen, Ihr möchtet uns junge, für ihr blühendes Leben zitternde Menschen nicht im Stiche lassen. Stellt Euch vor: wir haben noch garnicht gelebt und sollen vielleicht schon von diesem lieben Leben scheiden! Wollt Ihr verstehen, wie furchtbar das für uns junge Menschen sein muß? Wenn wir auch nicht daran denken, unsere Sache zu verraten und den bittersten Kelch trinken würden, so müssen wir doch vorher Himmel und Erde in Bewegung setzen zu 225 bewirken, daß er an uns vorübergehe. Ihr, verehrte Brüder, seid Männer in Ämtern und Wirkungskreisen, und manche von Euch werden in grauen Haaren sein – bedenkt, daß es für Euch leichter sein müßte, gewaltsam zu sterben (wovor Euch Gott gnädig bewahre), weil Ihr ja schon ein gewisses und vielleicht großes Teil Eurer Wirksamkeit erfüllt und hinter Euch habt, als für uns junge, die noch alle Hoffnung des Lebens vor sich und von Wirksamkeit im Leben nichts hinter sich haben. Wir hoffen, daß Ihr unsere de profundis tönenden Stimmen nicht überhören und unsere himmelhoch erhobenen Hände nicht übersehen werdet, die wir am Boden knieend« – (»Schreib': auf blutigen Knien am Boden hingestreckt,« sagte Bernard zu Karl) »auf blutigen Knien am Boden hingestreckt Euch entgegenrichten, auf daß Ihr sie faßt mit Eurer gnädigen Hülfe. De profundis clamavimus . . .« Sie schlossen den Brief wiederum, und er wurde, als die beiden Peter mit einem Gefängniswärter zurückgekommen waren, diesem zur Besorgung an den deutschen Kaufmann übergeben. Die Studenten suchten, von neuer Hoffnung beseelt und von neuer Hoffnung geradezu ermüdet, ihre Schlafstellen auf.

 


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