Edgar Allan Poe
Die denkwürdigen Erlebnisse des Artur Gordon Pym
Edgar Allan Poe

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Sechzehntes Kapitel

Ursprünglich war es Kapitän Guys Absicht gewesen, nachdem er Klarheit über die Auroras gewonnen, durch die Magelhaenstraße nach der Westküste Patagoniens zu segeln; aber Nachrichten, die er auf Tristan empfangen hatte, veranlaßten ihn, südwärts zu steuern, weil er auf ein paar Eilande zu stoßen hoffte, die in 60° südlicher Breite und 41º 20' westlicher Länge gelegen sein sollten. Falls er diese Inseln nicht auffinden würde, gedachte er, wenn die Jahreszeit es gestattete, gegen den Pol vorzudringen. Somit nahmen wir am 12. Dezember unseren Kurs dorthin. Am Achtzehnten waren wir in der von Glaß bezeichneten Gegend und kreuzten drei Tage in der Nachbarschaft, ohne eine Spur der erwähnten Inseln zu entdecken. Am Einundzwanzigsten war das Wetter von ungewöhnlicher Lieblichkeit; so segelten wir denn südwärts mit dem Entschluß, so weit als möglich vorzudringen. Für jene Leser, die mit den Fortschritten der Polarforschung nicht vertraut sind, sei hier einiges über die Versuche mitgeteilt, die in dieser Richtung gemacht worden sind.

Der Versuch des Kapitäns Cook ist der erste, von dem wir Genaueres wissen. Er segelte im Jahre 1772 auf der »Resolution« nach Süden, begleitet von Leutnant Furneaux auf der »Adventure«. Im Dezember befand er sich in 58° südlicher Breite und 26° 57' westlicher Länge. Hier begegnete er dünnen Eisfeldern, die nach Nordwest und Südost trieben. Das Eis hatte die Form großer Fladen und war meist so eng gepackt, daß die Schiffe sehr schwer hindurch konnten. Aus der großen Menge von Vögeln, die er erblickte, sowie aus andern Zeichen schloß Cook auf die Nähe eines Landes. Er hielt trotz furchtbarer Kälte weiter nach Süden, bis er den vierundsechzigsten Breitengrad erreichte. Hier hatte er durch fünf Tage lindes Wetter mit sanften Brisen, das Thermometer zeigte sechsunddreißig Grad Fahrenheit. Im Januar 1773 überschritten die Schiffe den südlichen Polarkreis, ohne jedoch viel weiter zu kommen, denn eine ungeheure Eismauer, die den Südhorizont, so weit die Blicke reichten, begleitete, machte jedem weiteren Vordringen ein Ende. Das Eis war von sehr verschiedener Art, und einige gewaltige Schollen von mehreren Meilen im Umfang bildeten eine feste Masse, die sich gegen zwanzig Fuß über das Wasser erhob. Es war zu spät im Jahr, und an ein Umsegeln der Hindernisse war nicht zu denken, somit wendete sich Cook, wenn auch zögernd, dem Norden zu.

Im November des nächsten Jahres erneuerte er seine Forschungen im Südpolarmeer. Er traf in 59º 40' auf eine starke, südlich gerichtete Strömung. Im Dezember, am siebenundsechzigsten Grad, wurde die Kälte entsetzlich; die Stürme waren heftig, schwere Nebel umgaben das Schiff. Auch hier wimmelte es von Vögeln: Albatrossen, Pinguinen, vor allem Sturmvögeln. Am siebzigsten Grad begegnete man großen Eisinseln, und die Wolken im Süden hatten die schneeige Weiße, die von der Nähe eines Eisfeldes spricht. Unter dem einundsiebzigsten Grad endlich gebot abermals die riesige Weite festen Eises, die den Südhorizont vollkommen ausfüllte, dem Seefahrer Halt. Der Nordrand der Eiswüste war zerrissen und rauh, aber so dicht verkeilt, daß ein Überschreiten unmöglich schien. Dahinter erstreckte sich eine glatte Ebene, die in der Ferne durch ungeheure Eisbergketten, von denen sich eine immer über die andere türmte, abgeschlossen wurde. Cook war der Ansicht, daß dieses weitgedehnte Feld den Südpol erreichen oder ein Festland berühren müsse. Herr Reynolds spricht folgendermaßen von dem Versuch der »Resolution«: »Es ist kein Wunder, daß Cook nicht weiter nach Süden vorzudringen vermochte, aber merkwürdig genug, daß er diesen Punkt in 106º 54' westlicher Länge erreichte. Palmersland liegt südlich von Shetland am vierundsechzigsten Grad und erstreckt sich weiter nach Süden und Westen, als irgendein Seefahrer jemals vorgedrungen ist. Hierher strebte Cook, als das Eis ihn aufhielt; das muß an jenem Punkt immer der Fall sein, besonders im Januar, zu so früher Zeit wie am Sechsten dieses Monats; es wäre nicht überraschend, wenn ein Teil der geschilderten Eisgipfel zu Palmersland gehörte oder zu anderen Gebieten südlich und westlich von ihm.«

Im Jahre 1803 sandte Alexander von Rußland die Kapitäne Kreutzenstern und Lisiawsky auf eine Weltumsegelung aus. In ihrem Streben nach Süden kamen sie nicht weiter als 59º 58' Breite und 70º 75' Länge. Hier trafen sie auf eine starke, östlich gerichtete Strömung. Wale gab's in Menge, aber kein Eis. Herr Reynolds meint dazu, daß Kreutzenstern Eis angetroffen haben müßte, wäre er früh im Jahr dahin gekommen; er erreichte den betreffenden Punkt erst im März. Die hauptsächlich von Süden und Westen wehenden Winde hatten mit Hilfe der Strömungen die Schollen in jene eisige Region getragen, die im Norden von Georgia, im Osten von Sandwichland und den Süd-Orkneys, im Westen von den Süd-Shetlandinseln begrenzt wird.

Im Jahre 1822 drang der Kapitän James Weddell, von der britischen Marine, mit zwei sehr kleinen Schiffen weiter als irgendein früherer Seefahrer, ohne dabei besonderen Schwierigkeiten zu begegnen. Er berichtet, daß er zwar vor Erreichung des zweiundsiebzigsten Grades häufig vom Eis gehemmt worden sei, nach seiner Überschreitung aber kein Stückchen mehr gesehen und am vierundsiebzigsten Grad keine Felder, nur drei Eisinseln, erblickt habe. Obwohl Unmassen von Vögeln wahrgenommen wurden, nebst anderen Anzeichen von Land, und obgleich südlich von den Shetlands unbekannte Küsten, die sich nach Süden zogen, vom Mastkorb aus gesichtet wurden, will Weddell sonderbarerweise doch nicht recht an das Vorhandensein eines Festlandes in den Polgegenden glauben.

Am 11. Januar 1823 segelte Kapitän Benjamin Morell, vom amerikanischen Schoner »Wespe«, von Kerguelenland ab in der Absicht, so weit wie möglich nach Süden vorzudringen. Am 1. Februar befand er sich in 64° 52' südlicher Breite und 118º 27' östlicher Länge. Er schrieb an diesem Tag in sein Logbuch: »Der Wind verstärkte sich bald zu einer Elfknotenbrise, und wir benutzten die Gelegenheit, um nach Westen zu segeln. Doch da es nach Süden zu immer weniger Eis zu geben schien, so überschritten wir den Südpolarkreis und erreichten 69º 15' östlicher Breite. In dieser Breite sah man kein Eisfeld und sehr wenig Eisinseln.«

Ich finde folgende Eintragung vom 18. März: »Die See war jetzt frei von Eisfeldern, und es waren nicht mehr als ein Dutzend Eisinseln zu sehen. Zugleich war die Temperatur von Luft und Wasser mindestens um dreizehn Grad höher und milder, als wir es je zwischen dem sechzigsten und zweiundsechzigsten Grad fanden . . . Ich habe den Südpolarkreis wiederholt in verschiedenen Längen passiert und stets gefunden, daß Luft und Wasser immer milder werden, je weiter man sich über den fünfundsechzigsten Grad hinauswagt. Nördlich von diesem Grad war es oft sehr schwer, einen Durchgang für unser Schiff zu finden, denn die Zahl großer Eisinseln war ungeheuer; einige von ihnen hatten mehr als zwei Meilen im Umfang und hoben sich fünfhundert Fuß hoch über das Wasser hinaus.«

Da es ihm an Brennholz, Wasser und geeigneten Instrumenten fehlte und es schon spät im Jahr war, mußte Morrell jetzt umkehren, obgleich ein völlig offenes Meer im Süden vor ihm lag. Er spricht die Überzeugung aus, daß er ohne diese unüberwindlichen Hindernisse wenn nicht zum Pol, so doch bis zum fünfundachtzigsten Grad vorgedrungen wäre. Ich habe mich so lange bei seinen Ausführungen aufgehalten, damit der Leser beurteilen kann, inwieweit sie durch meine eigene Erfahrung bestätigt worden sind.

Im Jahre 1831 segelte Kapitän Biscoe, im Dienste der Herren Enderby, Walfangunternehmer in London, auf der Brigg »Lively« nach der Südsee, begleitet vom Kutter »Tula«. Am 28. Februar kam Land in Sicht (66° 30' südlicher Breite, 47° 13' östlicher Länge), und er »erkannte deutlich durch den Schnee die schwarzen Gipfel einer ostsüdlich ziehenden Bergkette«. Er blieb den ganzen folgenden Monat in der Nähe, konnte aber wegen des stürmischen Wetters nicht näher als zehn Meilen an die Küste herankommen. Da er einen weiteren Vorstoß nicht unternehmen durfte, kehrte er nach Norden zurück und überwinterte auf Vandiemensland.

Im Anfang des Jahres 1832 fuhr er wieder nach Süden, und am 4. Februar kam Land in Sicht (67° 15' südlicher Breite, 69º 29' westlicher Länge). Es erwies sich als eine Insel in der Nähe des zuerst entdeckten Landes. Am Einundzwanzigsten lief er sie an und ergriff im Namen Williams IV. davon Besitz, indem er sie zu Ehren der englischen Königin Adelaiden-Insel taufte. Die Königliche Geographische Gesellschaft in London folgerte aus seinen Mitteilungen, daß eine ununterbrochene Landstrecke von 47º 30' östlicher Länge nach 69º 29' westlicher Länge geht, deren Küste zwischen 66° und 67° südlicher Breite verläuft. Herr Reynolds bemerkt zu dieser Schlußfolgerung: »Wir können sie nicht unbedingt für richtig halten, noch bestätigen Biscoes Entdeckungen eine solche Annahme. Innerhalb dieser Grenzen drang Weddell auf einem Grad östlich von Georgia, Sandwichland, den Süd-Orkneys und Shetlandinseln nach Süden.« Meine eigene Erfahrung wird den Irrtum der Gesellschaft aufs genaueste bezeugen.

Dies sind die hauptsächlichsten Versuche, die man angestellt hat, um in hohe südliche Breiten vorzudringen, und es blieben, wie man sehen wird, vor der Reise der »Jane« noch dreihundert Längengrade, an denen der Polarkreis noch nicht überschritten worden war. Natürlich lag ein weites Feld für Entdeckungen vor uns, und mit dem Gefühl wärmsten Anteils vernahm ich den Entschluß des Kapitäns Guy, mutig nach Süden weiterzusegeln.


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