Edgar Allan Poe
Die denkwürdigen Erlebnisse des Artur Gordon Pym
Edgar Allan Poe

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Fünfzehntes Kapitel

Am Zwölften segelten wir vom Weihnachtshafen ab und kehrten zunächst auf unserem Kurs zurück, indem wir die Marionsinsel, die zur Crozetgruppe gehört, auf Backbord ließen. Ebenso passierten wir die Prinz-Eduard-Insel, die gleichfalls zur Linken blieb. Dann steuerten wir mehr nach Norden und erreichten in fünfzehn Tagen die Inseln von Tristan d'Acunha in 37° 8' südlicher Breite, 12° 8' westlicher Länge.

Diese heut so wohlbekannte Gruppe, die aus drei runden Eilanden besteht, ist zuerst von den Portugiesen entdeckt und nachher von den Holländern (1643) und den Franzosen (1767) besucht worden. Die drei Inseln bilden zusammen ein Dreieck und stehen etwa zehn Meilen voneinander ab, so daß schöne offene Durchfahrten zwischen ihnen liegen. Alle sind sehr gebirgig, besonders die eigentliche Tristaninsel, die größte der Gruppe, die fünfzehn Meilen im Umfang hat und so hoch emporsteigt, daß man sie bei klarem Wetter aus achtzig oder neunzig Meilen Entfernung erblicken kann.

Im Norden erhebt sich ein Teil des Landes mehr als tausend Fuß hoch senkrecht über das Meer. In dieser Höhe streckt sich ein Tafelberg fast bis zur Mitte der Insel zurück, und aus ihm wächst ein erhabener Kegel gleich dem von Teneriffa. Seine untere Hälfte ist mit schönem Baumwuchs überkleidet, die obere jedoch ist nackter Fels, den zumeist Wolken umhüllen und den größten Teil des Jahres leuchtender Schnee bedeckt. Es gibt weder Untiefen noch Sandbänke um die Insel herum, die Küste ist auffallend steil, das Wasser tief. Auf der Nordwestseite ist eine Bucht mit einem Strand von schwärzlichem Sand, in der leicht ausgebootet werden kann, namentlich bei Südwind. Hier findet man vorzügliches Trinkwasser in Menge; Kabeljau und andere Fische lassen sich hier bequem angeln.

Das zweitgrößte und westlichste Eiland der Gruppe heißt man »Unerreichbare Insel«. Es hat sieben oder acht Meilen im Umfang und ist auf allen Seiten von schroffen Abstürzen umgeben, die abweisend und stolz dreinschauen. Oben ist es ganz eben und öde, und nur ein paar verkümmerte Sträucher sind darauf zu entdecken.

Die Nachtigall-Insel, die kleinste und südlichste, wird an ihrem Südende durch eine Reihe felsiger Holme fortgesetzt; man sieht auch einige von gleicher Art im Norden des Eilands. Der Boden ist uneben und unfruchtbar, und ein tiefes Tal schneidet in die Insel ein.

Die Küsten dieser Inseln wimmeln in der entsprechenden Jahreszeit von Seelöwen, See-Elefanten, Seehunden, Pelzrobben und allen Gattungen ozeanischen Gevögels. Auch gibt es in der Nachbarschaft viel Wale. Die bequeme Jagd zog seit der Entdeckung der Gruppe viele Besucher hierher. Früh kamen schon Franzosen und Holländer. Im Jahre 1790 lief Kapitän Patten, von der »Industry«, Philadelphia, die Tristaninseln an und blieb dort sieben Monate. In dieser Zeit erbeutete er nicht weniger als fünftausendsechshundert Pelze und hätte, sagte er, in drei Wochen leicht ein großes Schiff mit Öl befrachten können. Bei seiner Ankunft fand er außer wilden Ziegen keinen Vierfüßler; jetzt aber ist die Insel voll der nützlichsten Haustiere, die von späteren Seefahrern eingeführt worden sind.

Nicht lang nach dem Besuch des Kapitäns Patten legte Kapitän Colquhoun von der amerikanischen Brigg »Betsey« an der Hauptinsel an, seinen Leuten Erholung zu gönnen. Er baute Zwiebeln, Kartoffeln, Kohl und viele anderen Gemüse an, die jetzt in Fülle dort gedeihen.

Im Jahre 1811 berührte Kapitän Haywood vom »Nereus« die Tristaninsel. Er fand dort drei Amerikaner, die sich auf der Insel der Pelze und des Tranes wegen niedergelassen hatten. Einer von ihnen, Jonathan Lambert, nannte sich den Beherrscher des Landes. Er hatte sechzig Acker Land angebaut und wendete seine Aufmerksamkeit der Pflege des Kaffeebaumes und des Zuckerrohres zu, die ihm der amerikanische Gesandte in Rio de Janeiro besorgt hatte. Doch wurde diese Kolonie schließlich aufgegeben, und 1817 nahm die britische Regierung, die vom Kap aus eine Abteilung dahin gesandt hatte, Tristan in Besitz. Doch behielt sie das Land nur kurze Zeit. Nachdem es von England aufgegeben worden war, siedelten sich jedoch zwei oder drei englische Familien dort an, unabhängig von ihrer Regierung. Am 25. März 1824 lief die »Berwick«, Kapitän Jeffrey, auf der Fahrt von London nach Vandiemensland die Insel an und fand dort einen Engländer namens Glaß, der früher Korporal im britischen Heer gewesen war. Er machte Ansprüche auf die Würde eines Gouverneurs der Inseln und regierte über einundzwanzig Männer und drei Frauen. Er äußerte sich aufs günstigste über die Zuträglichkeit des Klimas und die Fruchtbarkeit des Bodens. Die Bevölkerung beschäftigte sich mit dem Erbeuten von Robbenpelzen und See-Elefantentran. Glaß besaß einen kleinen Schoner, mit dessen Hilfe ein Absatz der Ausbeute nach dem Kap der Guten Hoffnung möglich war. Als wir landeten, lebte dieser Statthalter noch; seine kleine Gemeinde hatte sich vergrößert; es wohnten sechsundfünzig Personen auf Tristan, sieben auf der Nachtigalleninsel. Wir konnten uns ohne Schwierigkeit alles Nötige verschaffen: Schafe, Schweine, Ochsen, Kaninchen, Geflügel, Ziegen, Fische aller Art, Gemüse in Hülle und Fülle. Wir warfen Anker in achtzehn Faden Tiefe, nahe an der Hauptinsel, und nahmen bequem an Bord, wessen wir immer bedurften. Unser Kapitän kaufte von Glaß fünfhundert Robbenhäute und einiges Elfenbein. Wir blieben eine Woche hier, bei vorherrschenden nördlichen und westlichen Winden und etwas nebligem Wetter. Am 15. November segelten wir nach Südwesten, da wir eine Inselgruppe, genannt die Auroras, aufsuchen wollten, über deren Vorhandensein eine große Meinungsverschiedenheit geherrscht hat.

Diese Inseln sollen schon um 1762 von dem Befehlshaber des Schiffes »Aurora« entdeckt worden sein. Im Jahre 1790 segelte Kapitän Manuel de Oyarvido mit der »Prinzessin«, die der Königlichen Philippinen-Gesellschaft gehörte, mitten durch die Gruppe hindurch. 1794 trachtete die spanische Korvette »Atrevida« ihre genaue Lage festzustellen, und es heißt in einer Veröffentlichung der Hydrographischen Gesellschaft zu Madrid vom Jahre 1809: »Die Korvette ›Atrevida‹ stellte vom 21. bis zum 27. Januar alle nötigen Beobachtungen an und maß die Verschiedenheit der Länge, die zwischen diesen Inseln und dem Hafen Soledad in den Maluinen besteht. Es sind drei Inseln; sie liegen fast im gleichen Meridian; die mittelste ist ziemlich flach, die andern sieht man schon in einer Entfernung von neun Meilen.«

Am 27. Januar 1820 segelte Kapitän Wedell, von der britischen Marine, vom Statenland ab, ebenfalls in der Absicht, die Auroras zu finden. Er meldete, daß er die ganze Gegend aufs genaueste abgesucht, nicht nur getreulich die von der »Atrevida« gemessenen Punkte befahren, sondern in jeder Richtung die Nachbarschaft durchforscht habe, ohne irgendeine Spur von Land zu erblicken. Diese widersprechenden Berichte veranlaßten andere Reisende, nach den Inseln zu suchen; und merkwürdig genug, während einige von ihnen jeden Zollbreit des Meeres, in dem sie liegen sollten, durchschifften, ohne sie zu finden, gibt es nicht wenige, die ausdrücklich erklären, sie gesehen zu haben, ja sogar an ihren Küsten vorbeigesegelt zu sein. Es war Kapitän Guys Absicht, keine Anstrengung, die in seiner Macht lag, zu scheuen, um die so seltsam umstrittene Frage aufzuhellen.

Bis zum zwanzigsten behielten wir bei schwankender Witterung unseren südwestlichen Kurs bei, und nun waren wir an der fraglichen Stelle angekommen, nämlich in 53° 15' südlicher Breite und 47º 58' westlicher Länge, wo ungefähr die südlichste der drei Inseln liegen soll. Wir sahen von Land nicht die Spur und setzten unsere Reise in der Parallele des dreiundfünfzigsten Breitengrades bis zum fünfundfünfzigsten Längengrad fort. Jetzt steuerten wir nordwärts und ostwärts, bis zum Meridian der Westküste Georgias, und zurück zum Ausgangspunkt. Dann zogen wir durch das geschilderte Gebiet diagonale Kurse, hatten beständig einen Auslug im Mastkorb und wiederholten unsere Untersuchungen drei Wochen lang. Während dieser Zeit war das Wetter von seltener Schönheit und Freundlichkeit, ohne jede Spur von Dunst oder Nebel. Natürlich waren wir überzeugt, daß, mochte es auch vormals hier Inseln gegeben haben, gegenwärtig von ihnen kein Schatten mehr existiere. Seit meiner Rückkehr habe ich gehört, daß dieselbe Strecke im Jahre 1822 von Kapitän Johnson mit dem amerikanischen Schoner »Hetty« und von Kapitän Morrell auf der »Wespe« mit ähnlicher Sorgfalt abgesucht worden ist; in beiden Fällen war das Ergebnis dem unsern gleich.


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