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[XV]

Madagaskarische Festessen. – Kabar bei Hofe. – Der Urtheilsspruch. – Die Verbannung. – Abreise von Tananariva. – Die Militär-Eskorte. – Einige Betrachtungen über das Volk. – Ankunft in Tamatavé. – Abreise von Madagaskar. – Ein blinder Lärm. – Ankunft in Mauritius. – Schluß.

 

11. Juli. Gestern Abend wurde ein altes Weib bei dem Gerichte als Christin denuncirt. Man ergriff sie sogleich, und diesen Morgen – kaum vermag meine Feder niederzuschreiben, welche entsetzliche Qual die Arme erlitt – diesen Morgen schleppte man sie nach dem Marktplatze und durchsägte ihr das Rückgrat.

12. Juli. Heute Morgen wurden leider wieder in einem der Stadt nahe gelegenen Dorfe, in einer Hütte sechs Christen aufgegriffen. Die Soldaten hatten die Hütte bereits durchsucht und standen schon im Begriff sie zu verlassen, als einer von ihnen jemanden husten hörte. Sogleich wurde alles aufs neue durchsucht und in einem großen Loch, das in die Erde gegraben und oben mit Stroh überdeckt war, fand man die Unglücklichen. Was mich bei dieser Episode am meisten in Erstaunen setzte, war, daß die übrigen Bewohner des Dorfes, welche keine Christen waren, die Verborgenen nicht verriethen, obgleich sie von dem letzten Kabar, der die Verheimlichung von Christen, die Mithilfe zu deren Flucht oder die Verhinderung ihrer Entdeckung mit dem Tode bedroht, ganz gewiß Kenntniß hatten. Ich würde bei diesem Volke wahrhaftig keinen solchen Edelmuth gesucht haben! – Leider fand er eine traurige Belohnung. Der kommandirende Offizier nahm keine Rücksicht auf diese großherzige Handlungsweise. Er hielt sich strenge an seine Befehle und ließ nicht nur die sechs Christen, sondern sämmtliche Bewohner des Dorfes – Weiber und Kinder nicht ausgenommen – gebunden nach der Stadt schleppen.

Ich fürchte, es wird ein schreckliches Blutbad geben. Die Armen mögen wohl alle hingerichtet werden, denn man wird annehmen, daß sie um das Versteck ihrer Nachbarn gewußt haben. Von der Königin dürfen sie keinesfalls Gnade erwarten; die Erfüllung von Todesurtheilen hält sie auf das strengste zu, und noch nie soll es vorgekommen sein, daß sie einem zum Tode Verurtheilten das Leben geschenkt hätte.

Der Prinz Rakoto ließ uns heute sagen, daß die Königin im Sinn habe, Herrn Lambert ein großes Festessen zu geben, zu welchem natürlich auch alle übrigen Europäer eingeladen werden würden. Was soll das bedeuten? – Seit mehr als acht Tagen behandelt man uns wie Staatsverbrecher und Gefangene, und nun auf einmal diese große Auszeichnung! – Heitert sich der Himmel für uns auf, oder ist es eine Falle? – Ich fürchte das letztere.

Erfreut sind wir auf keine Art über diese Nachricht, denn selbst, wenn der Einladung keine böse Absicht zu Grunde liegen sollte, haben wir jedenfalls eine entsetzliche Langweile auszustehen. Je höher nämlich die Königin den Gast, den sie zu einem solchen Festessen ladet, ehren will, eine desto kolossalere Mahlzeit wird ihm vorgesetzt und desto mehr Stunden müssen an der Tafel zugebracht werden, denn auch die größere oder geringere Dauer der Zeit gehört mit zu der Auszeichnung. Als Herr Lambert das erstemal nach Tananariva kam, gab die Königin ihm zu Ehren ein solches Festessen, welches aus mehreren hundert aus allen Gegenden der Insel zusammengebrachten Gerichten bestand. Die auserlesensten Leckerbissen (natürlich für madagaskarische Gaumen) wurden aufgetischt, darunter Land- und Wasserkäfer, welch letztere für besonders wohlschmeckend gelten, Heuschrecken, Seidenwürmer und andere Insekten. Die Tafel währte über 24 Stunden, und das Merkwürdige dabei war, wie mir Herr Lambert erzählte, daß der größte Theil der eingeladenen Gäste die ganze Zeit über den verschiedenen Gerichten fortwährend zusprach. Er selbst war natürlich nicht im Stande, so lange an der Tafel zu bleiben und erhob sich mit königlicher Erlaubniß von Zeit zu Zeit, mußte aber doch bis zu Ende verweilen.

Noch als wir in dem besten Einvernehmen mit der Königin standen, sahen wir der Einladung zu einem solchen Festessen, schon wegen des langen Sitzens allein, mit wahrem Entsetzen entgegen, um so mehr unter den jetzigen Umständen, wo dieses Mahl gar leicht unser Todten-Mahl werden kann. Erweist uns indeß die Königin diese Ehre, so bleibt uns doch nichts anderes übrig, als dieselbe anzunehmen, denn wenn Ihre Majestät uns zu tödten beabsichtigt, so können wir unserem Schicksale auf keinen Fall entgehen.

13. Juli. Diesen Morgen erhielten wir von dem Prinzen die erfreuliche Kunde, daß die fünf Missionäre von I-Baly glücklich entflohen seien. Die Königin wird wüthen, wenn sie erfährt, daß sie ihre 1500 Mann umsonst abgeschickt hat.

Man soll dieses Weib überhaupt noch niemals in so unausgesetzt böser Laune, in so oft wiederholten heftigen Zornes-Ausbrüchen gesehen haben, wie seit den letzten acht oder zehn Tagen. Das ist traurig für uns, vor der Hand aber noch viel trauriger für die armen Christen, welche sie mit einem solchen Eifer, mit einer solchen Wuth verfolgen läßt, wie dieß seit dem Antritt ihrer Regierung noch nicht geschehen ist. Beinahe täglich werden auf den Bazaren der Stadt und auf jenen der umliegenden Dörfer Kabare abgehalten, um das Volk zur Angabe der Christen aufzufordern und ihm zu verkündigen, daß die Königin die Gewißheit habe, alles Unglück, welches je über das Land gekommen sei und noch komme, rühre nur von dieser Sekte her, und daß sie nicht eher ruhen werde, als bis der letzte der Christen vertilgt sei. Welches große Glück war es für die so hart Verfolgten, daß das Verzeichniß ihrer Namen in die Hände des Prinzen Rakoto fiel, und daß er es vertilgte! Wäre dieß nicht geschehen, so würde es zahllose Hinrichtungen gegeben haben. So hofft man, daß trotz alles Wüthens der Königin, trotz ihrer Aufforderungen und Befehle doch vielleicht nicht mehr als 40 bis 50 Opfer fallen dürften. Viele der Großen des Reiches, viele der königlichen Beamten sind ja im geheimen selbst Christen und suchen ihren Glaubensgenossen auf alle Art zur Flucht zu verhelfen. Man hat uns versichert, daß von den 200 Christen, welche vor mehreren Tagen eingefangen worden waren, so wie von den Bewohnern des Dorfes, die man gestern nach der Stadt gebracht hat, bei weitem die meisten wieder entwischt seien.

16. Juli. Wie wir so eben erfahren, wurde gestern ein besonders großer Kabar im königlichen Palast abgehalten, der über sechs Stunden währte, und bei welchem es sehr stürmisch zugegangen sein soll. Dieser Kabar betraf uns Europäer – es handelte sich um die Entscheidung unseres Schicksals. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Welt sind beinahe alle unsere Freunde von dem Augenblick, als sie sahen, daß unsere Sache verloren war, von uns abgefallen, und die meisten, um den Verdacht der Theilnahme an der Verschwörung von sich abzuschütteln, drangen eifriger auf unsere Verurtheilung, als selbst unsere Feinde. Daß wir die Todesstrafe verdienten, darüber war man bald einig, und nur die Art und Weise der Beförderung in die andere Welt gab den Leuten viel Stoff zur Debatte. Die einen stimmten für öffentliche Hinrichtung auf dem Marktplatz, andere für einen nächtlichen Ueberfall unseres Hauses, wieder andere für Einladung zu dem Festessen, bei welchem man uns entweder vergiften oder auf ein gegebenes Zeichen niedermetzeln wollte.

Die Königin schwankte zwischen diesen verschiedenen Vorschlägen, hätte aber jedenfalls einen davon angenommen und ausführen lassen, wenn der Prinz Rakoto nicht unser Schutzgeist gewesen wäre. Er sprach mit aller Macht gegen die Verurtheilung zum Tode. Er warnte die Königin, sich nicht von ihrem Zorn hinreißen lassen und wies darauf hin, daß die europäischen Machte die Ermordung von sechs so bedeutenden Personen (?), wie wir seien, gewiß nicht ungeahndet hingehen lassen würden. Noch nie soll der Prinz der Königin gegenüber seine Meinung so heftig und bestimmt geäußert haben, wie bei dieser Gelegenheit. Wir empfingen diese Nachrichten theils, wie ich bereits gesagt habe, durch vertraute Sklaven des Prinzen, theils durch einige wenige Freunde, die uns wider Erwarten treu geblieben waren.

17. Juli. Dreizehn lange Tage währte bereits unsere Gefangenschaft – dreizehn lange Tage haben wir in der peinlichsten Ungewißheit unseres Schicksals verlebt, jeden Augenblick auf eine Entscheidung gefaßt, bei Tag und Nacht durch den geringsten fremdartigen Lärm aufgeschreckt. Es war eine abscheuliche, eine fürchterliche Zeit!

Diesen Morgen saß ich an meinem Schreibtisch; ich hatte so eben die Feder aus der Hand gelegt und dachte darüber nach, ob nun nach dem letzten Kabar die Königin wohl endlich zu einem Beschlusse gekommen sein möge. Plötzlich hörte ich eine ungewöhnliche Bewegung in dem Hofraum. Ich wollte aus meinem Zimmer, dessen Fenster nach der entgegengesetzten Seite gingen, treten, um zu sehen, was es gäbe, als mir Herr Laborde mit der Mittheilung entgegen kam, in dem Hofe werde ein großer Kabar abgehalten, und man habe uns Europäer berufen, demselben beizuwohnen. Wir gingen hin und fanden mehr als 100 Personen – Richter, Adelige und Offiziere in einem weiten Halbkreis auf Stühlen und Bänken, mitunter auch auf der Erde sitzend; eine Abtheilung Soldaten stand hinter ihnen. Einer der Offiziere empfing uns und wies uns Plätze den Richtern gegenüber an. Letztere waren in lange weiße Simbu's gehüllt, ihre Blicke ruhten finster und ernst auf uns, und Todesstille herrschte geraume Zeit. Ich gestehe, es wurde mir etwas bange, und leise flüsterte ich Herrn Laborde zu: »Ich glaube unsere letzte Stunde hat geschlagen.« – Seine Antwort war: »Ich bin auf alles gefaßt.«

Endlich erhob sich einer der Minister oder Richter, und mit einer wahren Grabesstimme und einem großen Reichthum an hochtrabenden Worten sagte er ungefähr folgendes:

Das Volk habe erfahren, daß wir Republikaner und in der Absicht nach Madagaskar gekommen seien, hier eine ähnliche Regierungsform einzuführen, den Thron der geliebten Beherrscherin umzustoßen, dem Volke gleiche Rechte mit dem Adel zu geben und die Sklaverei abzuschaffen – ferner, daß wir viele Zusammenkünfte mit den der Königin wie dem Volke gleich verhaßten Christen gehabt, und selbe aufgefordert hätten, fest an ihren Glauben zu halten und auf baldige Hilfe zu vertrauen. Durch diese aufrührerischen Umtriebe sei das Volk so gegen uns aufgebracht worden, daß die Königin, um uns vor dessen Wuth zu schützen, sich gezwungen gesehen habe, uns als Gefangene zu behandeln. Die ganze Bevölkerung von Tananariva verlange unseren Tod; aber die Königin, die noch keinem Weißen das Leben genommen, wolle es auch in diesem Fall nicht thun, obwohl die von uns begangenen Verbrechen sie vollkommen dazu berechtigten – und in ihrer Gnade und Großmuth habe sie beschlossen, die ganze Bestrafung darauf zu beschränken, uns für immer aus ihren Staaten zu verweisen. Herr Lambert, Herr Marius, die beiden anderen Europäer, die bei Herrn Laborde wohnten, und ich hätten das Stadtgebiet binnen einer Stunde zu räumen; Herr Laborde könne 24 Stunden länger verweilen, und in Rücksicht seiner früher geleisteten Dienste sei es ihm gestattet, von seinem Eigenthum alles mitzunehmen, was nicht nagelfest wäre – die Sklaven ausgenommen – diese wie seine Besitzungen an Häusern, Gütern u. s. w. fielen an die Königin zurück, deren Huld er sie zu verdanken gehabt habe. Seinem Sohne, da er mütterlicher Seits ein Eingeborener sei, und weil man seiner Jugend halber annehme, daß er an der Verschwörung nicht Theil genommen, werde es freigestellt, je nach seinem Belieben im Vaterlande zu bleiben, oder es zu verlassen. Die Königin bewillige uns eben so wie Herrn Laborde so viele Träger, als wir zur Fortschaffung unserer Personen und der uns angehörigen Gegenstände bedürften, und zu unserer größerer Sicherheit werde sie uns bis zu unserer Einschiffung in Tamatavé von Militär begleiten lassen, und zwar von 50 Soldaten mit 20 Offizieren und einem Kommandanten. Herr Laborde bekomme eine gleiche Eskorte, habe aber stets wenigstens eine Tagreise hinter uns zu bleiben.

Trotz unserer kritischen Lage machte uns diese Rede beinahe lachen. Plötzlich hatte das Volk etwas zu bedeuten. Dieses arme Volk, das in schwereren Ketten schmachtet als die Leibeigenen in Rußland oder die Sklaven in den Vereinigten Staaten Nord-Amerika's, bekam plötzlich Einfluß auf der Königin Willen, erhielt die Freiheit einen Wunsch auszusprechen, ja sogar zu drohen! – Dem Redner ging auch das Wort »Volk« nicht sehr geläufig aus dem Munde; er versprach sich häufig und sagte statt dessen: »Königin.« Natürlicher Weise wurde uns nicht erlaubt, auch nur ein Wort zu unserer Vertheidigung oder Rechtfertigung vorzubringen. Wir dachten übrigens gar nicht daran, waren von Herzen froh, so leichten Kaufes davon zu kommen und wußten uns diese unerwartete Großmuth von Seite der Königin gar nicht zu erklären. Freilich konnten wir weder wissen noch ahnen, was uns noch alles bevorstand!

Nachdem der Kabar geschlossen worden war, stellte man Herrn Lambert die Geschenke zurück, die vor wenigen Tagen erst abgeholt worden waren, aber nicht alle, wie wir trotz der flüchtigen Uebergabe ganz gut bemerken konnten. Die fehlenden mochten jedoch nicht von der Königin zurückbehalten, sondern wohl von den Offizieren und Beamten unterschlagen worden sein. Der Prinz Rakoto behielt das meiste; er schickte nur einige Kleinigkeiten zurück, und diese wahrscheinlich nur, um dem Wunsch der Königin anscheinend zu gehorchen.

Auch allen Offizieren und Adeligen, unter welche Herr Lambert Geschenke ausgetheilt hatte, war befohlen worden, selbe zurückzubringen; aber die hübschen Summen Geldes, die ihnen Herr Lambert gegeben, und von welchen die Königin nichts wußte, behielten sie.

Nun sollten wir in einer Stunde nicht nur unser eigenes Gepäck in Ordnung bringen und die für die Reise nöthigen Vorräthe an Lebensmitteln besorgen, sondern auch noch alle diese werthvollen Gegenstände verpacken, und wie?! Die Kisten waren zum größten Theil bereits in Stücke gebrochen worden, denn, nachdem die Königin die Geschenke so feierlich hatte abholen lassen, dachte niemand daran, daß sie dieselben zurücksenden würde.

Wir befanden uns wirklich in der größten Verlegenheit; aber es war nichts zu ändern. Herr Lambert suchte in aller Eile das kostbarste aus, und dann warfen wir bunt durcheinander in unsere Reisekoffer und in einige der nicht zerschlagenen Kisten so viel als hineinging. In einer Stunde waren wir zum Aufbruch bereit. Glücklicher Weise nahmen es die Offiziere, Soldaten und Träger nicht so genau mit den Befehlen der Königin wie wir; sie machten ihre Vorbereitungen mit mehr Muße, und der Rest des Tages verging, ohne daß sie erschienen. Unsere Abreise erfolgte erst am folgenden Morgen, durch welche Verzögerung Herr Lambert Zeit gewann, von seinen zurückgewiesenen Geschenken noch manches einzupacken.

18. Juli. Mit wahrer und großer Freude kehrte ich einer Stadt den Rücken, in der ich so viel gelitten, und in welcher man jeden Tag von nichts als Vergiftungen und Hinrichtungen sprechen hörte. So wurden diesen Morgen einige Stunden vor unserer Abreise zehn Christen unter den grausamsten Martern hingerichtet. Auf dem ganzen Weg vom Gefängniß bis nach dem Marktplatz stießen die Soldaten mit ihren Lanzen beständig nach ihnen; auf dem Marktplatz angekommen, steinigte man sie beinahe zu Tode. Dann erst hieb man ihnen die Köpfe ab, die auf Lanzen gesteckt und zur Schau ausgestellt wurden. Die Armen sollen sich überaus standhaft benommen und unter Absingung von Hymnen den Geist aufgegeben haben.

Als wir unseren Abzug durch die Stadt hielten, kamen wir an dem Marktplatz vorüber und sahen zum Abschied dieses schreckliche Bild. Unwillkürlich erwachte bei diesem Anblick in mir der Gedanke, daß der Großmuth eines so hinterlistigen und grausamen Weibes nicht sehr zu trauen sei, und daß vielleicht das Volk den geheimen Befehl erhalten habe, uns zu überfallen oder mit Steinwürfen zu tödten. Dieß war jedoch nicht der Fall. Die Leute strömten zwar haufenweise herbei, um uns zu sehen, viele begleiteten uns aus Neugierde sogar eine ziemliche Strecke; aber niemand erlaubte sich die geringste Beleidigung oder Beschimpfung. Unsere Rückreise nach der Hafenstadt Tamatavé gehörte zu den unangenehmsten und beschwerlichsten – noch auf keiner meiner vielen Reisen habe ich ähnliches erlitten. Die Königin hatte es nicht gewagt, uns öffentlich hinrichten zu lassen; aber, wie wir nun deutlich erkennen konnten, war ihre Absicht, daß wir auf der Reise zu Grunde gehen sollten. Herr Lambert wie ich litten sehr am Fieber; für uns war es höchst gefährlich, längere Zeit in den Niederungen zu verweilen und die bösen Ausdünstungen der Moräste einzuathmen. Wir hätten die Reise nach Tamatavé so schnell als möglich machen und uns ungesäumt nach Mauritius einschiffen müssen, um daselbst ein besseres Klima, gute Pflege und vor allem ärztliche Hilfe zu finden, denn weder in Tananariva noch sonst wo auf Madagaskar ist ein Arzt. Aber nichts von allem dem wurde uns gestattet. Die Königin hatte ihre Befehle in einem anderen Sinn gegeben, und anstatt die Reise in acht Tagen zurückzulegen, wie es gewöhnlich der Fall ist, ließ man uns auf derselben beinahe acht Wochen (53 Tage) verbringen. In den ungesunden Gegenden ließ man uns in den erbärmlichsten Hütten eine bis zwei Wochen liegen und oft, wenn wir gerade an den heftigsten Fieber-Anfällen litten, riß man uns von dem elenden Lager auf, und die Reise wurde fortgesetzt, ohne daß man darauf achtete, ob das Wetter schön war oder ob es regnete.

In Beforn, einem der ungesundesten Plätze auf dem ganzen Wege, einem kleinen ärmlichen Dorfe, von Sümpfen und Waldungen so vollkommen umgeben, daß man nicht fünfzig Schritte weit auf trockenem Boden gehen konnte, blieben wir gar achtzehn Tage. Herr Lambert suchte den Kommandanten auf alle Art zu bewegen, die Reise zu beschleunigen. Er bot ihm, wie ich glaube, sogar eine ziemlich große Summe Geldes. Alles vergebens – die Befehle der Königin mochten zu genau und bestimmt sein, als daß der Mann es wagen konnte, ihnen entgegen zu handeln.

Die Hütten, die man uns zur Wohnung anwies, waren gewöhnlich in so schlechtem Zustande, daß sie kaum Schutz gegen das Wetter gewährten. Wind und Regen drangen von allen Seiten durch das schadhafte Dach, durch die dünnen, halbverfallenen Wände. Was mein Leiden noch größer machte, war, daß ich nicht einmal ordentliches Bettzeug hatte, und daß mir meine warmen Kleider, in welche ich mich Nachts hätte hüllen können, schon auf der ersten Tagreise gestohlen wurden. Ich besaß nämlich nicht wie jeder meiner Reisegefährten zwei oder drei Diener, um auf meine Sachen Acht zu geben, ich war leider Herr und Diener in einer Person, und in meinem kranken Zustande wurde es mir unmöglich, nach irgend etwas zu sehen. An dem Ruhepunkt angelangt, warf ich mich auf mein Lager, das ich oft tagelang nicht verlassen konnte. Und was für ein Lager war das! – eine dünne Matte, ein hartes Kopfkissen und als Decke mein Reisemantel; später gab mir einer der Herren Missionäre noch eines von seinen Kopfkissen. Die ganzen 53 Tage kam ich nicht aus meinen Kleidern, denn trotz meiner wiederholten Bitten war der Kommandant auch nicht ein einziges Mal so gefällig, mir einen abgesonderten Platz anzuweisen, wo ich mich hätte an- und auskleiden können; man schob uns alle zusammen in eine und dieselbe Hütte, sie mochte noch so klein sein. Ich litt wirklich unaussprechlich, besonders während der letzten drei Wochen, wo ich mich kaum mehr von meinem Lager erheben und einige Schritte weit schleppen konnte.

Das Madagaskar-Fieber ist eine der bösartigsten Krankheiten und meiner Meinung nach viel mehr zu fürchten, als das gelbe Fieber oder die Cholera. Bei diesen leidet man zwar auch mitunter sehr große Schmerzen, aber in wenigen Tagen ist Tod oder Heilung entschieden, während man an diesem häßlichen Fieber Monate und Monate leidet. Man hat starke Schmerzen im Magen und im ganzen Unterleib, man erbricht sich häufig, verliert allen Appetit und wird mit der Zeit so schwach, daß man kaum mehr Fuß oder Hand bewegen kann. Zuletzt verfällt man in eine vollkommene Apathie, aus welcher man sich mit aller Mühe und Anstrengung nicht zu reißen vermag. Ich, die ich von frühester Kindheit auf an Thätigkeit und Beschäftigung gewohnt war, lag jetzt tagelang auf meinem Lager, in Stumpfsinn versunken und kaum bemerkend, was um mich her vorging. Und diese Apathie ist nicht nur Leuten in meinem Alter eigen, sondern allen, die von dem Fieber befallen werden, die kräftigsten Männer in der Blüthe der Jahre nicht ausgenommen, und sie dauert eben so wie die Magen- und Leberleiden noch lange fort, wenn das Fieber selbst schon aufgehört hat.

Die Königin Ranavola sagt mit vollem Recht, daß das Fieber und die schlechten Wege ihre besten Hilfstruppen gegen die Europäer seien. Mit beiden würde es bald ein Ende haben, wäre das Land erst kultivirt und bevölkert. Wie ungesund ist in früheren Zeiten Batavia auf der Insel Java gewesen! Man nannte diese Stadt »das Grab der Europäer«, und nur seit man die Kanäle und die in der Umgegend liegenden Moräste ausgetrocknet, und für öffentliche Reinlichkeit größere Sorgfalt getragen hat, sind die Fieber viel seltener und von ganz geringer Bedeutung geworden. Eine nicht minder lästige Plage, die wir auf dieser Reise auszustehen hatten, war die höchst strenge Bewachung. Den Tag über standen stets Soldaten mit gekreuzten Gewehren vor der Thüre unserer Hütte, und hatte letztere ein Fenster, auch vor diesem; Nachts schliefen drei bis fünf Mann in der Hütte selbst, wenn sie auch so klein war, daß wir Gefangene kaum Platz darin fanden und uns ganz zusammendrängen mußten. Gingen wir vor der Hütte auf und ab, oder entfernten wir uns von derselben nur ein paar Schritte, so kamen die Satelliten augenblicklich hinter uns her, als ob sie befürchteten, daß wir entfliehen könnten. Selbst wenn wir in dem vollkommenen Besitze unserer Kraft und Gesundheit gewesen wären, würde uns doch nie der Gedanke an Flucht gekommen sein, denn was hätten wir, fremd wie wir waren, angefangen in den endlosen unwirthbaren Wäldern und Morästen, ohne Lebensmittel, ohne Wegweiser?! Auch die Offiziere traten jeden Augenblick unangemeldet in unsere Hütte, um uns zu überraschen und zu sehen, womit wir uns beschäftigten. Man ließ uns in vollem Maße fühlen, was es heißt, gefangen zu sein und von Militär eskortirt zu werden. In dem Dorfe Eranomaro begegneten wir einem französischen Arzt von der Insel Bourbon, welcher mit der Königin und mit mehreren Großen des Reiches den Kontrakt eingegangen ist, alle zwei Jahre auf einige Monate nach Tananariva zu kommen, und die nöthigen Arzneien mitzubringen. Herr Lambert und ich wollten diesen Herrn hinsichtlich des Fiebers um Rath fragen und um Arzneien ersuchen; ich besonders hätte seine Hilfe sehr nöthig gehabt, denn ich war ungleich kränker als Herr Lambert. Letzterer bekam nämlich die Fieber-Anfälle nur von vierzehn zu vierzehn Tagen, während sie mich alle drei bis vier Tage heimsuchten. Der Kommandant erlaubte uns aber weder den Arzt zu besuchen, noch ihn einzuladen zu uns zu kommen. Er schützte vor, er habe von der Königin persönlich den ausdrücklichen Befehl erhalten, uns während der ganzen Reise mit niemanden, und am allerwenigsten mit einem Europäer verkehren zu lassen. Diese Strenge erstreckte sich, wie wir in der Folge erfuhren, nur auf uns; man wollte uns vorsätzlich keine Hilfe zukommen lassen. Herr Laborde, der stets einige Tagreisen hinter uns war, wurde viel milder behandelt und durfte, als er mit dem Arzt zusammentraf, den ganzen Abend in dessen Gesellschaft zubringen.

Obgleich die Reise von Tananariva nach Tamatavé lange genug währte, so hatte ich dennoch nur wenig Gelegenheit, etwas von den Sitten und Gebräuchen des Volkes zu sehen, theils meiner Kränklichkeit, theils der strengen Bewachung wegen. So viel ich aber im allgemeinen beobachten konnte, besitzen die Madagaskaren mehrere sehr schlechte Eigenschaften; sie sind unendlich träge, berauschen sich sehr gerne und häufig, schwatzen unaufhörlich und haben auch nicht das geringste natürliche Schamgefühl.

Unsere Soldaten z. B., die weder Kost noch Sold erhielten, die alle Noth und den größten Mangel litten, wären, glaube ich, lieber Hungers gestorben, als daß sie durch leichte Dienstleistungen etwas zu verdienen gesucht hätten. Anfangs hatte ich viel Mitleid mit diesen armen Leuten, ich kaufte zeitweise für sie Reis oder süße Kartoffeln, oder gab ihnen eine Kleinigkeit an Geld. Als wir in die waldigen Regionen kamen, wo es der schönen Insekten und Schnecken in Menge gab, forderte ich sie auf, mir deren zu bringen, und versprach ihnen dafür Reis oder Geld. Das war jedoch vergebens, nicht einen von ihnen vermochte ich dazu zu bewegen; sie zogen es vor, sich in irgend einen Winkel zu kauern und Hunger zu leiden, als sich der geringsten Mühe zu unterziehen. Und nicht die Soldaten allein so, sondern das ganze Volk, Männer, Weiber und Kinder. Ich wollte z. B. schon während meines ersten Aufenthaltes in Tamatavé und später in Tananariva drei bis vier Leute pr. Monat in Dienst nehmen und sie nach den Wäldern senden, um Insekten und Schnecken zu suchen. Ich versprach ihnen viermal so viel Geld als sie gewöhnlich verdienen, und noch überdieß jedesmal, wenn sie mir schöne Sachen brächten, eine besondere Belohnung. Auch nicht ein einziger nahm meinen Antrag an. Mit eben so wenig Erfolg zeigte ich den Weibern und Kindern große schöne Glasperlen, Ringe, Armbänder u. dgl. m. Die Sachen gefielen ihnen sehr, und sie hätten sie gerne gehabt, wenn ich sie ihnen gegeben hätte, ohne einen Gegendienst dafür zu verlangen. Ich habe wirklich noch bei keinem anderen Volke eine solche Trägheit gefunden; beinahe in allen Ländern, die ich auf meinen früheren Reisen besuchte, selbst unter den ganz wilden Bewohnern Borneo's oder Sumatra's halfen mir die Leute oft unaufgefordert, wenn sie mich Insekten, Schnecken oder Muscheln suchen sahen, und gab ich ihnen dafür eine Kleinigkeit, so brachten sie mir dann eine solche Menge, daß ich gar nicht alles mitnehmen konnte. Welche schöne zoologische Beute habe ich da gemacht, während es mir hier in diesem neuen, unerforschten Lande, wo es gewiß der unbekannten Insekten und Schnecken in Menge gibt, nicht möglich war, eine größere Sammlung zu Stande zu bringen! Die geringe Ausbeute, die ich mitbrachte, verdanke ich mit unbedeutender Ausnahme meiner eigenen Bemühung.

Was die Trunkenheit anbelangt, so herrscht sie in allen Gebieten Madagaskar's, jenes von Emir allein ausgenommen. In letzterem werden noch einige der alten strengen Gesetze des Gründers der madagaskarischen Monarchie, des großen Dianampoiene aufrecht erhalten, und unter anderen das, welches alle berauschenden Getränke bei Todesstrafe verbietet. Jeder Berauschte wird ohne weiteren Prozeß hingerichtet. In diesem Gebiet erscheint das Volk auch viel gesetzter, ordentlicher und anständiger als in den übrigen, wo die Trunkenheit nicht bestraft wird. Das Lieblings-Getränk der Madagaskaren ist das Besa-Besa, welches, wie ich bereits bemerkt habe, aus dem Safte des Zuckerrohres bereitet wird. Beinahe in jedem Dorfe sieht man selbst unter Tags Betrunkene beiderlei Geschlechtes, und an vielen Orten hörten wir bis tief in die Nacht hinein Musik und Gesang, lautes Geschwätz und Gelächter ertönen; häufig gibt es auch Streit und Raufhändel.

Wollte man das Volk nach dieser so zu sagen beständigen Lustbarkeit beurtheilen, so müßte man es unbedingt für das fröhlichste und glücklichste auf Erden halten. Die Armen sind aber in derselben Lage wie die Sklaven oder Leibeigenen, und gleich diesen ergeben sie sich dem Trunk, um darin Vergessenheit ihres Unglücks, ihrer Leiden zu suchen.

So sehr jedoch die Madagaskaren (die Hovas wie die Malegaschen) dem Trunk ergeben sind, so sind sie es, wie ich glaube, der Geschwätzigkeit noch mehr: es ist ihnen unmöglich, auch nur ein minutenlanges Stillschweigen zu beobachten, und dabei sprechen sie nicht etwa ruhig und gelassen, sondern im Gegentheil mit einem Eifer, mit einer Hast, als befürchteten sie, der Tag wäre zu kurz, um alles gehörig zu bereden. Diejenigen, die nicht gerade sprechen, lachen beinahe unaufhörlich, so daß ich mich oft um den Inhalt ihrer Gespräche erkundigte, in der Meinung, daß diese sehr witzig und spaßhaft sein müßten. Man versicherte mich aber jedesmal, daß weder das eine noch das andere der Fall wäre, daß es sich um die geringfügigsten und sehr häufig um die unanständigsten Gegenstände handelte, und daß sie dieselben Gespräche in einer Stunde ein Dutzendmal wiederholten.

Ein Fall, der die außerordentliche Geschwätzigkeit dieses Volkes beweist, ist mir selbst vorgekommen. Ich sandte einst in Tananariva einen Boten irgend wohin und bemerkte darauf, daß er zu dem Gange einen Begleiter suchte. Auf meine Erklärung, daß ich wohl einen Boten bezahlen würde, aber nicht zwei, gab er mir zur Antwort, ich hätte seinem Begleiter nichts zu bezahlen; aber es sei ihm unmöglich den Weg, der sehr weit und sehr einsam wäre, allein zu machen; er müsse jemanden zum Sprechen haben, und er gebe seinem Gefährten einen Theil von seinem eigenen Lohn ab.

Unsere Träger machten natürlich keine Ausnahme von der allgemeinen Regel – das schwatzte und lachte so unaufhörlich fort, daß mir der Kopf manchmal ganz wirr wurde; Anfangs dachte ich, wenn wir an einen steilen Hügel gelangten, es würde da einige Ruhe eintreten. Vergebene Hoffnung! Sie keuchten und ächzten – aber sie sprachen.

Von der Unverschämtheit und von der Schamlosigkeit der Madagaskaren habe ich bereits gesprochen, und meinen Lesern die Scenen zu erzählen, welche ich während dieser Reise gesehen habe, ist mir schon aus Rücksichten des Anstandes unmöglich. Da man uns als Staatsgefangene betrachtete, behandelte man uns mit geringerer Aufmerksamkeit und Achtung als auf der Herreise, und die Leute zeigten sich ohne Zwang in ihrer ganzen häßlichen Natürlichkeit. Man wußte wahrlich oft nicht, wohin die Blicke wenden, und die Herren wünschten mir Glück dazu, daß ich die Sprache nicht verstand.

Am 13. September endlich kamen wir in Tamatavé an. Wir beide Fieberkranke, Herr Lambert und ich, hatten also doch der Königin Ranavola nicht den Gefallen gethan zu sterben. Es ist aber auch wirklich ein Wunder, daß wir mit dem Leben davon gekommen sind, und ich für meinen Theil hätte nie gedacht, daß mein schwacher, siecher Körper dem erzwungenen langen Aufenthalte in den ungesundesten Gegenden, der harten Behandlung und den zahllosen, unausgesetzten Entbehrungen widerstehen könnte.

Weder Herrn Lambert noch mir wurde dießmal erlaubt, in dem Hause der Mademoiselle Julie abzusteigen. Man brachte uns in eine kleine Hütte und bewachte uns mit derselben Strenge und Sorgfalt, wie dieß auf der ganzen Reise der Fall gewesen war. Der Kommandant der Eskorte eröffnete uns, daß wir die Insel mit dem ersten nach Mauritius abgehenden Schiffe zu verlassen hätten, und daß ihm befohlen worden sei, uns während des Aufenthaltes in Tamatavé mit niemanden verkehren zu lassen, und mit seinen Soldaten bis an das Schiff zu geleiten.

Ich muß es dem Kommandanten, wie den Offizieren nachsagen: sie haben ihre Pflichten der Königin gegenüber bis zu Ende im buchstäblichen Sinne des Wortes erfüllt, und wenn es Ihrer madagaskarischen Majestät je einmal einfällt, einen Orden zu stiften (was ohne Zweifel mit der Zeit geschehen wird), so verdienen sie alle zu Großkreuzen ernannt zu werden. Freilich wird diese meine Ansicht nicht jene der Königin Ranavola sein, und anstatt von ihr belobt zu werden, mögen die armen Leute wohl eine sehr ungnädige Aufnahme finden, wenn sie die Botschaft bringen, daß Herr Lambert und ich Madagaskar lebend verlassen haben.

Wir waren so glücklich, nur drei Tage in Tamatavé zu verweilen. Am 16. September ging zufälliger Weise ein Schiff nach Mauritius ab, und – trennen mußten wir uns von dieser liebenswürdigen Gesellschaft und von diesem interessanten Lande. Ich habe bei der Trennung zwar keine Thränen vergossen – im Gegentheil, es wurde mir leicht um's Herz, als ich meinen Fuß an Bord des Schiffes setzte, und mit unbeschreiblichem Vergnügen sah ich den Kommandanten mit seinen Soldaten in dem Boot nach der Küste zurückfahren; aber ich bereue es doch nicht, diese Reise unternommen zu haben, besonders, wenn ich so glücklich sein sollte, meine Gesundheit wieder zu erlangen.

Ich sah und hörte auf Madagaskar so viel Merkwürdiges und Sonderbares, wie in keinem anderen Lande, und obwohl von dem Volke freilich wenig Gutes zu sagen ist, so muß man bedenken, daß dieß unter einer so widersinnigen und barbarischen Regierung, wie die der Königin Ranavola, und bei einem so vollständigen Mangel an Moralität und Religion auch nicht anders sein kann. Sollte Madagaskar einst eine geordnete, gesittete Regierung bekommen, sollte es von Missionären besucht werden, die, anstatt sich in die weltlichen Angelegenheiten zu mischen, ihre Fähigkeiten und Bemühungen darauf beschränken, dem Volk den wahren Sinn der christlichen Religion beizubringen, so kann auf dieser schönen Insel ein blühendes, glückliches Reich entstehen; an dem Stoff dazu fehlt es nicht.

Von der Rückreise nach Mauritius habe ich wenig zu berichten. Unser Schiff, die Brigg »Castro«, Kapitän Schneider, segelte nicht viel rascher als die alte Kanonen-Schaluppe, auf welcher ich vor ungefähr fünf Monaten von Mauritius nach Tamatavé gekommen war, und da uns die Winde auch nicht sehr begünstigten, benöthigten wir zu der kurzen Ueberfahrt sechs Tage, die uns aber in dem Genusse unserer wiedererlangten Freiheit schnell vergingen.

Erst am 22. September Abends 9 Uhr erreichten wir die Gewässer von Mauritius. Hier traf uns ein Unfall, der leicht höchst gefährlich werden und uns allen zur größten Genugthuung der Königin Ranavola das Leben kosten konnte. Es war eine finstere wolkenschwere Nacht. Der Kapitän wollte vor Anker gehen, und am nächsten Morgen das Schiff durch einen Schlepp-Dampfer in den Hafen bugsiren lassen. Alle Vorbereitungen dazu waren getroffen, und der Anker sollte ausgeworfen werden. In demselben Augenblicke fuhr das Steuerruder mit aller Gewalt auf eine Klippe an und wurde in tausend Stücke zerschmettert. Das Gekrache der brechenden Balken und Hölzer war so groß, daß es schien, als sei das ganze Schiff in Trümmer gegangen. Ich lag bereits im Bette. Erschrocken sprang ich auf, um zu sehen, was es gebe; da vernahm ich schon den Ruf des zweiten Offiziers: »Kommen Sie augenblicklich, Frau Pfeiffer, wenn Sie gerettet sein wollen; das Schiff ist entzwei und wird sinken.« Ich warf nur rasch meinen Mantel über und eilte auf das Deck. Der gute Offizier, Herr St. Ange, hob mich in eines der Boote und sagte mir, ich möge nur ruhig sitzen bleiben, ich sei da außer Gefahr. Bei genauerer Untersuchung ergab sich jedoch glücklicher weise, daß das Schiff nicht einmal einen Leck, viel weniger einen ganzen Bruch bekommen hatte, und daß sich alles Unglück auf den Verlust des Steuerruders und auf die uns eingejagte Angst beschränkte. Die Anker wurden ausgeworfen, und wir legten uns ruhig zu Bett; am nächsten Morgen erwachten wir mit der freundlich blinkenden Sonne. Man zog die nöthigen Signale auf, und alsbald kam einer der Schlepp-Dampfer herangerudert, und brachte uns rasch in den Hafen von Mauritius.

Meine hiesigen Freunde waren höchst überrascht, mich wieder zu sehen, da man aus Tamatavé die übertriebensten Berichte über den unglücklichen Ausgang unserer Unternehmung erhalten hatte. Nach Einigen hieß es, die Königin Ranavola habe alle in Tananariva lebenden Europäer hinrichten lassen; nach Anderen, man habe das Todesurtheil nur an Herrn Lambert vollzogen und die übrigen Europäer, mich eingeschlossen, als Sklaven verkauft; nach wieder Anderen, wir seien des Landes verwiesen, aber auf der Rückreise auf Befehl der Königin ermordet worden. Ich war so glücklich, diese verschiedenartigen Gerüchte Lügen zu strafen; aber leider war alle Gefahr noch nicht vorüber, denn wenige Tage nach meiner Ankunft verfiel ich in Folge der Nachwirkung des Fiebers und der übrigen ausgestandenen moralischen und physischen Leiden in eine so schwere Krankheit, daß die Aerzte an meinem Aufkommen lange zweifelten, und hätte sich die Familie Moon meiner nicht so liebreich angenommen, so wäre ich ohne Zweifel verloren gewesen.

Herr Moon, Doktor und Apotheker, lebt mit seiner liebenswürdigen Gattin sehr zurückgezogen auf einer Zuckerpflanzung in Vacoa. Wie sich meine Leser vielleicht erinnern werden, hatte ich diese Familie kurze Zeit vor meiner Abreise von Mauritius nach Madagaskar auf einem Ausfluge kennen gelernt und einige höchst angenehme Tage in deren Hause verlebt. Kaum erfuhr Herr Moon, daß ich von meiner Reise zurück und schwer erkrankt sei, so kam er augenblicklich nach der Stadt, mich abzuholen und nach seinem Hause zu bringen, wo ich halb sterbend anlangte. Seiner und des Doktors, Herrn A. Perrot, kenntnißreicher Sorgfalt und der außerordentlichen Pflege, die mir in seinem Hause zu Theil wurde, verdanke ich meine Herstellung, und der Zufall fügte es, daß man mich gerade an meinem sechzigsten Geburtstage, am 9. Oktober 1857, außer Todesgefahr erklärte.

Gott lohne Doktor Moon, seiner Frau und Doktor Perrot, was sie an mir, der ihnen ganz Fremden gethan haben!

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