Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

[VIII]

Abreise von Mauritius. – Die alte Kanonen-Schaluppe. – Ankunft in Madagaskar. – Mademoiselle Julie. – Beschreibung von Tamatavé. – Die Eingeborenen. – Komischer Kopfputz. – Erster Besuch in Antandroroho. – Gastfreundschaft der Malegaschen. – Die Europäer in Tamatavé. – Der Pariser Malegasche. – Familien-Verhältnisse.

 

Am 25. April 1857 verließ ich Mauritius. Durch Herrn Gonnet's Vermittlung gaben mir die Eigenthümer der Brigg »Triton« eine freie Ueberfahrt nach dem Hafen von Tamatavé auf Madagaskar (480 Seemeilen).

Das Schiff, eine alte ausgediente Kanonen-Schaluppe, welche ihre Jugendkraft in der Schlacht von Trafalgar entfaltet hatte (im Jahre 1805), war tief gesunken von der früheren Herrlichkeit. Es wurde in seinen alten Tagen dazu verwendet, während der günstigen Jahreszeit Ochsen von Madagaskar nach Mauritius zu verschiffen. Bequemlichkeiten bot es durchaus nicht, da alle Räume für die Unterbringung der Ochsen eingerichtet waren, und was seine Sicherheit anbelangte, so gab mir der Kapitän die tröstliche Nachricht, daß es auch nicht dem kleinsten Sturme mehr widerstehen könnte.

Meine Sehnsucht Mauritius zu verlassen, war jedoch so groß, daß mich dieß alles nicht abschreckte. Ich überließ mich meinem guten Sterne, schiffte mich frohen Muthes ein und hatte es nicht zu bereuen. So schlecht das Schiff war, so gut war der Kapitän, Herr Benier. Obwohl durchaus nicht von hoher Abkunft (der Farbe nach gehörte er zu den Halb-Kreolen) benahm er sich mit einer Höflichkeit und Aufmerksamkeit, die dem best erzogenen Manne Ehre gemacht hätte. Er räumte mir sogleich seine Kabine ein, den einzigen Platz auf dem Schiffe, welcher nicht den vierbeinigen Passagieren bestimmt war, und bot alles auf, mir die Reise so bequem als möglich zu machen.

Während der ersten drei Tage ging unsere Fahrt ziemlich rasch von statten, der Wind war uns günstig; er blies aus Osten, wie dieß in diesen Meeren vom Monate April bis Ende Oktober beständig der Fall ist, so daß ein schnellsegelndes Schiff in den drei Tagen die Reise vollbracht hätte. Nicht so unser alter Invalide, der gar mühselig seine Bahn verfolgte. Wir waren noch weit von unserem Ziele entfernt, als zu unserem Schrecken sich in der Nacht vom dritten auf den vierten Tag ein starker Gegenwind erhob. Der tröstlichen Nachricht gedenkend, die mir der Kapitän von der Sicherheit des Schiffes gegeben hatte, war ich jeden Augenblick auf eine Katastrophe gefaßt; aber glücklich verging die Nacht und auch der folgende Tag, nur daß der fortwährende widrige Wind uns zwang, gegen Abend vor der Insel »Prunes« vor Anker zu gehen. Am fünften Tage gelangten wir wohl bis Tamatavé, konnten aber nicht einlaufen. Erst am sechsten Tage warfen wir in dem Hafen Anker.

Heftige, oft wiederholte Regengüsse hatten das ihrige dazu beigetragen, mir die Reise zu verleiden; Bücher führte ich nicht mit, und des guten Kapitäns Bibliothek bestand – aus einem Kochbuche nebst einem englisch-französischen Wörterbuche. Doch derlei Unannehmlichkeiten vergessen sich rasch, um so mehr, wenn man so glücklich ist, sein vorgestecktes Ziel zu erreichen. Und dieß war ja mit mir der Fall – das Land, das ich seit Jahren mit so großer Sehnsucht zu sehen wünschte, lag vor meinen Augen.

Ich wollte sogleich das Schiff verlassen; die Königin Ranavola hat aber trotz ihrer Verachtung der Civilisation und der europäischen Gebräuche, gerade jene angenommen, welche für uns Europäer selbst die lästigsten sind: Polizei und Douane. Eben so wie in Frankreich oder irgend einem anderen europäischen Lande mußte ich warten, bis die Inspektions-Offiziere an Bord kamen, bei welcher Gelegenheit sie das Schiff und mich sehr sorgfältig in Augenschein nahmen. Da ich die allerhöchste Erlaubniß der Königin besaß, ihr Reich zu betreten, so wurde weiter keine Schwierigkeit gemacht, und ich konnte an's Land gehen. Hier nahmen mich sogleich einige madagaskarische Zoll-Beamten in Empfang und führten mich nach der Douane, wo mein sämmtliches Reisegepäck aufgerissen und durchwühlt wurde. Nicht der geringste Gegenstand entging ihren Augen, nicht das kleinste in Papier gehüllte Päckchen wurde übersehen – die Leute entwickelten eine echte Spürhunds-Natur, und verdienten es, den geschicktesten deutschen oder französischen Douaniers an die Seite gestellt zu werden.

Gestohlen wurde mir glücklicher Weise nichts, ich ergötzte mich daher an dieser Szene, die mich an mein theures Heimathsland erinnerte.

In Tamatavé sollte ich Herrn Lambert treffen, welcher von der Reise, die er im Auftrage der französischen Regierung nach der Küste Afrika's unternommen hatte, nicht wieder nach Mauritius, sondern direkt hieher zu kommen gedachte.

Herr Lambert war noch nicht angelangt; er hatte mir aber schon in Mauritius gesagt, daß ich in diesem Falle bei Mademoiselle Julie absteigen sollte, welche er von meiner Ankunft unterrichten lassen wurde.

Meine Leserinnen werden sich wahrscheinlich unter Mademoiselle Julie eine, durch weiß Gott was für romantische Schicksale auf diese Insel verschlagene Europäerin vorstellen. Leider muß ich sie enttäuschen; Mademoiselle Julie ist eine echte Malegaschin und noch dazu Witwe und Mutter von mehreren Kindern. In Madagaskar herrscht nämlich die sonderbare Sitte, jedes weibliche Wesen »Mademoiselle« zu nennen, selbst wenn es ein Dutzend Sprößlinge aufzuweisen hat, oder ein Halb-Dutzendmal verheirathet gewesen ist.

Mademoiselle Julie ist aber jedenfalls eine ganz außergewöhnliche Erscheinung und ohne Zweifel eine der interessantesten Personen nicht bloß Tamatavés, sondern ganz Madagaskars. Sie wurde ungefähr vor acht Monaten Witwe, führt aber die Geschäfte ihres Mannes fort und zwar, wie man mir sagte, mit besserem Erfolge als der Verstorbene. Sie besitzt Zucker-Pflanzungen, eine Rhumbrennerei, treibt Handel u. s. w. Ihre Umsicht und Thätigkeit würden überall Anerkennung finden und sind wirklich erstaunenswerth in einem Lande wie Madagaskar, wo das weibliche Geschlecht so unwissend, träge und von gar keiner Bedeutung ist.

Mademoiselle Julie genoß einen Theil ihrer Erziehung in Bourbon; sie spricht und schreibt vollkommen gut französisch. Schade daß sie einige der Sitten oder vielmehr der Unsitten ihres Geburtslandes beibehalten hat. Ihr größtes Vergnügen besteht z. B. darin, stundenlang ausgestreckt auf dem Boden zu liegen, den Kopf auf den Schooß einer Freundin oder Sklavin gestützt, und sich von gewissen kleinen Thierchen befreien zu lassen. Es ist dieß übrigens eine Lieblings-Unterhaltung der madagaskarischen Frauen, und sie besuchen sich oft nur zu dem Zwecke, sich ihr so recht con amore hinzugeben. Auch zog es Mademoiselle Julie vor, sich zum Essen ihrer Finger anstatt des Eßbesteckes zu bedienen; dieß that sie aber nur, wenn sie sich unbemerkt glaubte.

Mademoiselle Julie nahm mich gerade nicht auf das zuvorkommendste auf; sie besah mich von oben bis unten, erhob sich gemächlich und führte mich nach einem ganz nahe gelegenen kleinen Häuschen, das noch schlechter eingerichtet war als die Pavillons auf Mauritius. Das einzige Zimmer enthielt nichts weiter als eine leere Bettstelle. Die edle Dame fragte mich barsch nach meinem Bettzeuge. Ich sagte ihr, ich hätte keines mitgebracht, da mich Herr Lambert versicherte, daß ich bei ihr alles Nöthige finden würde. »Ich kann ihnen keines geben«, entgegnete sie ganz kurz, und obwohl sie, wie ich später sah, an Bettzeug genügenden Vorrath besaß, um nicht mir allein, sondern einem halben Dutzend Reisenden auszuhelfen, so hätte sie mich alte Frau auf der nackten Bettstelle schlafen lassen. Glücklicher Weise war gerade eine Frau, Madame Jacquin, zugegen. Diese bot mir sogleich Bettzeug an und warf Mademoiselle Julie mit ziemlich starken Ausdrücken ihr Benehmen vor. Ich bin Frau Jacquin für ihr freundliches Anerbieten sehr dankbar; ich hätte mir sonst wahrscheinlich bis zur Ankunft Herrn Lambert's mit meinem Mantel und einem Kopfkissen, das ich immer mitführe, aushelfen müssen.

Von anderen Bequemlichkeiten war natürlich gar nicht die Rede und alles, was ich benöthigte, mußte ich mir selbst verschaffen.

Mein Aufenthalt in Tamatavé währte einige Wochen, da Herr Lambert viel später eintraf, als er beabsichtigt hatte. Der Hafen von Tamatavé ist der beste auf der ganzen Insel, und hieher kommen in der guten Jahreszeit (April bis Ende Oktober) sehr viele Schiffe von Mauritius und Bourbon, um Ochsen zu laden, von welchen jährlich zwischen 10 und 11.000 Stück ausgeführt werden. Ungefähr zwei Drittheile davon gehen nach Mauritius und nur ein Drittheil nach Bourbon, obwohl, was die Größe der Bevölkerung anbelangt, zwischen diesen beiden Inseln nicht viel Unterschied herrscht. Man muß aber bedenken, daß auf Mauritius viele Engländer leben, und daß die Engländer größere Verehrer der Rostbeefs sind als die Franzosen. Sonderbar ist es, daß die Königin Ranavola die Ausfuhr der Kühe nicht gestattet. In ihrer tiefen Weisheit meint sie, wenn sie den Leuten erlauben würde, Kühe auszuführen, so könnten auch anderwärts Ochsen herangebildet und dadurch die Ausfuhr aus Madagaskar geschmälert werden. Sie weiß natürlich nicht, daß jene beiden Inseln aus ihren Zucker-Pflanzungen viel größeren Nutzen ziehen, als wenn sie ihre Gründe in Wiesen umwandelten und Viehzucht betrieben. Ein schöner Ochse, der auf Madagaskar 15 Thaler kostet, würde, auf Mauritius oder Bourbon gezogen, gewiß auf das Vier- oder Fünffache zu stehen kommen.

Außer den Ochsen werden Reis, Rabanetas und einiges Geflügel ausgeführt. Die Rabanetas sind eine Art Matten, auf welche der Zucker zum Trocknen ausgebreitet wird, wenn er aus der letzten Pfanne kommt. Man verwendet sie auch dazu, die Zimmerwände und Fußböden zu bedecken, und der ärmeren Klasse dienen sie häufig als Kleidung.

Während der günstigen Jahreszeit geht es in dem Hause der Mademoiselle Julie sehr lebhaft zu. Mitunter befinden sich sechs bis acht Schiffe zu gleicher Zeit im Hafen. Die Kapitäne sind durchgehends Freunde meiner Wirthin, welche sie ein für alle Mal zu Tische ladet und so zu sagen offene Tafel hält. Zur Zeit meiner Anwesenheit, die freilich in den Anfang der günstigen Stagione fiel, war der Verkehr nicht sehr bedeutend; ich sah nie mehr als zwei Schiffe zu gleicher Zeit im Hafen liegen.

Welch' wichtiger Platz kann Tamatavé einst werden, wenn diese schöne, fruchtbare Insel den Europäern offen stehen und der Handel allen Nationen erlaubt sein wird!

Jetzt gleicht Tamatavé einem ärmlichen, aber sehr großen Dorfe. Man schätzt seine Bevölkerung, die nahe Umgebung mit eingerechnet, auf 4- bis 5000 Seelen, darunter 800 Soldaten und ungefähr ein Dutzend Europäer und Kreolen von Bourbon. Außer den wenigen Häusern der letzteren und jenen einiger wohlhabender Hovas und Malegaschen sieht man nichts als kleine Hütten, die theils in beliebiger Unordnung umher liegen, theils mehrere enge Straßen bilden. Sie ruhen auf 6 bis 10 Fuß hohen Pfählen, sind von Holz oder Bambus gebaut, mit langem Grase oder mit Palmblättern gedeckt, und enthalten ein einziges Gemach, von welchem die Feuerstelle einen guten Theil einnimmt, so daß die Familie kaum Raum zum Schlafen findet. Fenster sind nicht vorhanden, dafür aber zwei Thüren auf verschiedenen Seiten gelegen. Von diesen beiden Thüren wird jene auf der Wetterseite stets geschlossen.

Die Häuser der Wohlhabenden sind aus denselben Materialien gebaut wie jene der Aermeren, nur höher und größer. Sie enthalten ebenfalls nur ein Gemach, das jedoch durch niedrige Wände in drei bis vier kleinere Räume abgetheilt ist, und außer den Thüren gibt es auch Fenster, aber ohne Glasscheiben.

Der Bazar liegt in mitten im Dorfe auf einem unebenen, abscheulichen Platze und zeichnet sich außer seiner Armuth auch noch durch seine Unsauberkeit aus. Etwas Ochsenfleisch, etwas Zuckerrohr, Reis, Rabanetas und einige Früchte sind gewöhnlich alles, was man da findet, und der ganze Kram eines der Verkäufer, die auf dem Boden kauern, ist oft nicht mehr als ¼ Piaster werth. Die Ochsen werden auf dem Bazar selbst geschlachtet und die Haut wird nicht abgezogen, sondern mit dem Stücke Fleisch verkauft; sie gilt nämlich für sehr schmackhaft. Das Fleisch kaufen die Leute nicht nach dem Gewichte, sondern der Größe, dem Aussehen nach.

Man muß, wenn man in diesem Lande etwas kaufen oder verkaufen will, stets eine kleine Geldwage mit sich führen, denn auf Madagaskar gibt es keine andere Münze als den spanischen Thaler, und nur seit zwei Jahren, als Herr Lambert das erste Mal hierher kam und Fünf-Frankenstücke mitbrachte, finden auch diese Abgang. In Ermangelung von Scheide-Münze werden die Thaler und Fünf-Frankenstücke in größere und kleinere Theile geschnitten, manchmal bis in mehr als Fünfhundert.

Ich vernahm zu meinem größten Erstaunen, daß die Eingeborenen trotz ihrer Wildheit und Unwissenheit die Thaler so gut nachzumachen verstünden, daß man sehr geübt sein und sie sehr genau besehen müsse, um sie von den echten zu unterscheiden.

Die Eingeborenen von Tamatavé sind zum größten Theile Malegaschen. Sie kamen mir noch wunderlicher vor als die Neger oder die Malaien, deren häßlichste Züge sich in ihrer Gesichtsbildung vereint finden. Sie haben einen großen Mund mit dicken Lippen, eine breitgedrückte Nase, ein weit hervorstehendes Kinn und derbe Backenknochen; ihre Hautfarbe ist schmutzigbraun in allen Abstufungen. Als einzige Schönheit besitzen Viele von ihnen regelmäßig geformte, blendend weiße Zähne und zuweilen auch hübsche Augen. Dagegen zeichnen sich ihre Haare durch ganz besondere Häßlichkeit aus. Sie sind zwar kohlschwarz, aber ganz wollig gekraust, wie bei dem Neger und ungleich stärker und länger; mitunter erreichen sie eine Länge von mehr als zwei Fuß. Wenn das Haar offen getragen wird, gewährt dieß einen über alle Maßen entstellenden Anblick. Das Gesicht verliert sich ganz in dem Urwalde der hohen gekrausten und weit abstehenden Haare. Glücklicher Weise tragen sie nur wenige auf diese Art. Die Männer lassen sie häufig auf dem Hinterkopfe ganz kurz abschneiden und vorne höchstens 6 bis 8 Zoll lang wachsen, was zwar auch höchst komisch aussieht, da die Haare gerade in die Höhe steigen und ein fein gekräuseltes Toupet bilden, aber doch nicht so abschreckend häßlich ist als der Urwald.

Die Weiber und mitunter auch Männer, welche auf ihre kostbare Wolle stolz sind, und sich nicht entschließen können, dieselbe abzuschneiden, flechten sie in viele dünne Zöpfe, welche bei den Einen rings um den Kopf herabhängen, während Andere daraus Schleifen oder Wülste bilden und damit den ganzen Kopf bedecken. Diese Art Kopfputz erfordert sehr viele Zeit und Arbeit, besonders bei den vornehmen Malegaschinnen, welche ihr Haar in unzählige ganz dünne Zöpfchen flechten lassen. An einer dieser bewunderungswürdigen Schönheiten zählte ich deren über sechzig. Die Sklavinnen der guten Dame hatten daran gewiß einen ganzen Tag vollauf zu thun gehabt. Dagegen braucht ein solcher Kopfputz nicht jeden Augenblick erneuert zu werden, er erhält sich acht und mehr Tage in voller Pracht.

Die Haare offen, in ihrer natürlichen Schönheit zu lassen, ist ein Zeichen der Trauer.

Was die Statur der Malegaschen anbelangt, so ist sie im Durchschnitte mehr als mittelgroß, und besonders unter den Männern sah ich viele hohe und kräftige Gestalten.

Ihre Kleidung ist ungefähr dieselbe wie bei allen halbwilden Völkern, die nicht ganz unbekleidet gehen. Die zwei Haupt-Kleidungsstücke, deren sich die Malegaschen bedienen, heißen: Sadik und Simbu. Ersterer ist beinahe so einfach wie Adam's Feigenblatt; er besteht aus einem Stückchen Zeug, eine halbe Elle breit, eine Elle lang, welches um die Lenden geschlagen und zwischen die Beine gezogen wird. Viele der Eingeborenen finden dieß genügend und beschränken darauf ihre ganze Garderobe. Der Simbu ist ein Stück Weißzeug von ungefähr vier Ellen Länge und drei Ellen Breite. In den Simbu hüllen oder drapiren sie sich wie die Römer in ihre Toga und oft wirklich mit viel Grazie. Zuweilen rollen sie ihn, um ihre Bewegungen freier zu haben, etwas zusammen und schlagen ihn um den Oberkörper.

Die Kleidung der Weiber ist dieselbe wie jene der Männer, nur verhüllen sie sich mehr und fügen häufig dem Sadik und Simbu noch ein drittes Kleidungsstück bei, ein kurzes, sehr knapp anliegendes Jäckchen mit langen Aermeln, das sie Kanczu nennen. Männern und Weibern gibt der Simbu eine unaufhörliche Beschäftigung, er hängt immer lose und muß jeden Augenblick neu umgeschlagen werden; man kann sagen, daß die Leute hier nur eine Hand zum Arbeiten haben; die andere gehört ausschließend für den Simbu.

So einfach wie die Kleidung der Malegaschen ist, eben so einfach ist auch ihre Nahrung. Die Hauptbestandtheile eines Mahles bilden Reis und Anana. Anana ist eine Art Gemüse, das unserem Spinate ähnelt und ganz gut schmecken würde, bereitete man es nicht mit ranzigem Fette zu. Die Leute, die an den Flüssen oder an der Meeresküste leben, essen zuweilen auch Fische, aber sehr selten. Sie sind viel zu träge, um den Fischfang ordentlich zu betreiben. Fleisch oder Geflügel, obgleich in großem Ueberflusse und zu den billigsten Preisen vorhanden, werden nur bei besonderen Gelegenheiten genossen. Man hält gewöhnlich zwei Mahlzeiten, eine Morgens, die andere Abends. Das dabei übliche Getränk ist der Ranagung (Reiswasser), welcher auf folgende Art bereitet wird: Man kocht in einem Gefäße Reis und brennt ihn vorsätzlich an, so daß sich auf dem Boden des Gefäßes eine Kruste bildet; dann gießt man Wasser hinzu und läßt es aufkochen. Dieses Wasser erhält die Farbe eines sehr blassen Kaffee's und schmeckt für einen europäischen Gaumen, wie alles Angebrannte – ganz abscheulich; die Eingeborenen finden es aber köstlich und essen dazu mit dem größten Wohlbehagen auch die angebrannte Kruste.

Die Malegaschen halten viele Sklaven, die freilich hier von sehr geringem Werthe sind. Ein Sklave kostet 12 bis 15 Thaler, und zwar ohne Unterschied des Alters. Dessenungeachtet werden Kinder von 8 bis 10 Jahren viel lieber gekauft als Erwachsene, da man von der im allgemeinen ganz richtigen Ansicht ausgeht, daß man die Kinder nach Willen ziehen kann, während an einem Erwachsenen, der bereits schlechte Gewohnheiten angenommen hat, nicht leicht mehr etwas zu ändern ist. Erwachsene Männer sind nicht feil, ausgenommen solche, die frei waren, jedoch zur Strafe für irgend ein Verbrechen öffentlich versteigert werden, und von den Sklaven nur jene, die bei ihren Herren nicht gut thun. Die Sklavinnen stehen im Durchschnitt höher im Preis als die Sklaven, und einen sehr großen Werth legt man auf die Seide-Weberinnen, von welchen eine geschickte oft mit 200 Thalern bezahlt wird.

Die Lage der Sklaven ist hier wie bei allen wilden oder halbwilden Völkern ungleich besser als bei den Europäern und Kreolen. Sie haben wenig zu arbeiten, bekommen ungefähr die gleiche Nahrung, die ihre Herren genießen, und werden selten gezüchtigt, obgleich die Landesgesetze dieß durchaus nicht verbieten; im Gegentheil der Herr kann seinen Sklaven mit dem Tode bestrafen; nur darf der Stock, dessen er sich zur Züchtigung bedient, nicht mit Eisen beschlagen sein. In diesem Falle wird der Herr zu einer Geld- oder anderen Strafe verurtheilt.

Sehr entwickelt ist in Tamatavé der Diebstahls-Sinn, und zwar nicht allein bei den Sklaven, sondern so ziemlich bei der ganzen inländischen Bevölkerung – Offiziere und Beamten nicht ausgenommen. Ich machte die Erfahrung auf meine eigenen Kosten. In dem Häuschen, welches mir Mademoiselle Julie zur Wohnung angewiesen hatte, war an der Thüre kein Schloß vorhanden. Da es aber ihrem Wohnhause ganz nahe in dem Bezirke der übrigen Gebäude lag, und mich Mademoiselle Julie nicht von der Liebe ihrer Landsleute zu fremden Gegenständen unterrichtet hatte, kam es mir nicht in den Sinn, mißtrauisch zu sein. Eines Tages, als ich zu Tisch gerufen wurde, ließ ich zufällig meine Uhr – ein theures Andenken einer Freundin aus New-York – auf dem Tische liegen. Abends als ich nach Hause kam, war sie verschwunden. Ich kehrte sogleich zu Mademoiselle Julie zurück, um sie davon in Kenntniß zu setzen und zu fragen, auf welche Art ich wieder zu dem Besitze meiner Uhr gelangen könnte; ich wäre gerne bereit, demjenigen, der sie mir wieder schaffe, einige Thaler zu geben. Mademoiselle Julie erwiderte mir mit der größten Gleichgiltigkeit, daß da nichts zu machen sei – die Uhr habe wahrscheinlich einer der Haus-Sklaven gestohlen; übrigens stehle hier Jedermann und ein anderes Mal möchte ich, wenn ich mein Häuschen verließe, den Fensterbalken an die Thüre verschließen. Sie gab sich nicht einmal die Mühe, einen oder den anderen ihrer Sklaven zu befragen, und das einzige, was der Verlust meiner Uhr bewirkte, war, daß ich mit vieler Mühe am dritten Tage ein Schloß an meine Thüre erhielt.

Die nahe Umgebung von Tamatavé besteht aus nichts als Sand; erst eine bis zwei Meilen landeinwärts fängt die Vegetation an. So weite Spaziergänge konnte ich aber nicht unternehmen, da es täglich regnete und der Europäer sich in diesem Lande weder dem Regen aussetzen, noch unmittelbar nach einem Regen in das Freie gehen darf; die geringste Feuchtigkeit zieht ihm sofort das Fieber zu.

Zufällig erfuhr ich von Mademoiselle Julie, daß sie Eigenthümerin zweier Besitzungen sei, welche sieben Meilen vor der Stadt, ganz nahe an den Waldungen gelegen und von ihren Söhnen bewohnt seien. Ich hoffte daselbst schöne Spaziergänge machen zu können und große Schätze für meine Insekten-Sammlung zu finden, ich ersuchte daher Mademoiselle Julie, mich dahin bringen zu lassen.

Hier zu Lande bedient man sich zum Reisen eines leichten Tragstuhles, »Takon« genannt, welcher zwischen zwei Stangen befestigt und von vier Männern getragen wird. Selbst wenn man einen Weg von kaum einigen hundert Schritten zu machen hat, benützt man den Tragstuhl. Zu Fuß gehen blos die Sklaven und ganz arme Leute. Auf Reisen hat man statt vier Träger deren acht oder zwölf, die sich beständig ablösen.

Ich verließ Tamatavé früh Morgens; der Weg nach Antandroroho (so hieß eine der Besitzungen meiner Wirthin) war ganz gut, besonders als wir aus dem Sandgebiete in jenes der Vegetation kamen, wo es keine Hügel gab. Die Träger liefen mit mir, als wäre ich gar keine Last für sie gewesen, und wir legten die sieben Meilen in 1¼ Stunden zurück. Auf Antandroroho lebte der jüngere Sohn von Mademoiselle Julie, ein junger Mann von 22 Jahren, der seine Erziehung theilweise in Bourbon genossen hatte. Ich hätte dieß wahrhaftig nie vermuthet, denn außer der europäischen Kleidung und der französischen Sprache hatte er nichts vor seinen Landsleuten voraus – er war durch und durch wieder Malegasche geworden.

Man wies mir in seinem Hause eine kleine reinliche Kammer, mit Matten ausgelegt, aber ohne Möbel; ich setzte mich auf meinen Reisesack und erwartete das Frühstück. Mademoiselle Julie hatte mich nämlich mit leerem Magen abreisen lassen, und so war es natürlich, daß ich mich sehr nach irgend einer Stärkung sehnte; aber Stunde nach Stunde verging und niemand rief mich zu Tische. Ich schrieb dieses lange Ausbleiben des Frühstückes meiner Ankunft zu und schmeichelte mir, daß meinethalben irgend ein besonderes Gericht zubereitet, vielleicht gar ein Huhn geopfert und dadurch die Mahlzeit so verzögert wurde. Nach langem Warten kam endlich ein Sklave und sagte mir einige malegaschische Worte, die ich zwar nicht verstand; desto besser verstand ich aber seine Winke, die mich einluden, ihm zu folgen.

Ich gelangte in eine andere Kammer, auch ohne Möbel, in deren Mitte eine Matte auf dem Boden gebreitet war. Auf der Matte lag ein großes Stück Blatt und rings herum mehrere kleinere, ersteres stellte die Schüssel, letztere die Teller vor. Für mich hatte man die Aufmerksamkeit gehabt, einen wirklichen Teller mit einem wirklichen Eßbestecke herbeizubringen und eben so auch einen Stuhl – meine Wirthe kauerten sich auf den Boden. Ein Sklave erschien mit einem Kessel voll Reis und schüttete dessen Inhalt auf die improvisirte Schüssel, dann brachte er noch gekochte Bohnen und in einem großen Topfe einen getrockneten, in Wasser wieder aufgekochten Fisch, der so übel roch, daß ich Mühe hatte an der Tafel zu bleiben. Das gehoffte Huhn blieb aus. Ich gedachte unwillkürlich der als so wild und grausam verschrieenen Dayaker auf Borneo. Die aßen auch nur ihren Reis, aber mir gaben sie jedesmal ein Huhn dazu, und hier bei einem halb-civilisirten Wirthe und in einem Lande, wo das Geflügel so häufig und so billig ist, mußte ich mich mit dem Reis und den Bohnen begnügen. Die Eingeborenen essen auf eine Art und Weise, welche nichts weniger als einladend ist. Sie bedienen sich statt des Löffels eines Blattes, das sie sehr geschickt zusammenfalten und mittelst welches sie nicht blos den Reis und die Bohnen zum Munde führen, sondern selbst flüssige Gegenstände aus Töpfen zu schöpfen verstehen. Dieser Blattlöffel ist sehr groß, sie sperren den Mund so weit als möglich auf, und schütten die Speise hinein. So weit wäre noch alles gut, das Unappetitliche besteht aber darin, daß auf dem Löffel, nachdem sie ihn zum Munde geführt haben, gewöhnlich ein kleiner Rest bleibt, und daß sie damit immer neuerdings aus der gemeinschaftlichen Blattschüssel fassen.

Neben dem Fischtopfe sitzt gewöhnlich ein Sklave, dessen Amt darin besteht, die Brühe aus dem Topfe zu schöpfen und über den Reis zu gießen, welchen die Leute auf ihre Löffel gefaßt haben. Der Fisch selbst wird stückweise in die Hand genommen und wie Brot gegessen.

Es nimmt mich nicht wunder, daß der Malegasche, der nie sein Land verlassen, der nie etwas besseres gesehen hat, auf diese Weise lebt; aber wie der junge Mann, der seine Erziehung unter Europäern genossen, so ganz wieder die Gewohnheiten seiner Landsleute annehmen konnte, das begriff ich wahrlich nicht. Und nicht blos in der Art zu essen und zu trinken war dieß der Fall, sondern auch in allem übrigen. Stundenlang konnte er auf seinem Ruhestuhl sitzen, ohne sich mit einem Buche oder sonst etwas zu beschäftigen; ja der ganze Tag verging mit nichts als Ruhen, Tabakrauchen und der Unterhaltung mit seinen geistreichen Sklavinnen, die ihn fortwährend umgaben.

Mit wahrer Betrübniß hatte ich bereits in Tamatavé bemerkt, daß die wenigen Christen, die daselbst leben (einige Europäer und Kreolen aus Bourbon), anstatt durch anständiges Benehmen, durch reinen Sittenwandel den Eingeborenen ein gutes Beispiel zu geben, sie zu verbessern und zu sich zu erheben, im Gegentheil zu dem Volke herabgesunken sind und dessen unsittliche Gewohnheiten angenommen haben. So schließen sie z. B. keine Ehen, sondern gleich den Eingeborenen wechseln sie die Frauen nach Laune, halten wohl auch mehrere zu gleicher Zeit; auch lassen sie sich ausschließend von Sklavinnen bedienen.

Manche von diesen Leuten senden zwar ihre Kinder nach Bourbon, ja sogar nach Frankreich, aber zu welchem Zweck? – Hat der junge Mann wirklich etwas gelernt, hat er sich bessere Sitten angeeignet, sobald er nach Haus kommt, wird durch des Vaters schlechtes Beispiel nur zu rasch wieder alles verdorben.

Was ich aber ganz unbegreiflich finde, ist, daß ein Europäer, nachdem er sich hinlänglichen Reichthum erworben hat, um in seinem Vaterlande bequem leben zu können, freiwillig in diesem Lande bleibt. Und doch lernte ich ein solches Wunder in einem Herrn X... kennen. Dieser Mann hat im Handel ein bedeutendes Vermögen erlangt und war vor einigen Jahren nach seiner Heimath, nach Frankreich gereist, mit dem Vorsatze, dort zu bleiben. Der Umgang mit geistreichen Männern, mit gebildeten Frauen schien ihm aber keine Entschädigung zu bieten für das träge, rein thierische Leben auf Madagaskar – er kehrte bald wieder nach Tamatavé zu seinen Sklavinnen zurück und wird wohl da seine Tage beschließen. – Der Europäer ist doch wirklich ein sonderbares Wesen – in Europa findet er nicht leicht ein Mädchen nach seinem Geschmacke, da muß seine Auserwählte alle denkbaren guten Eigenschaften besitzen, und hier ist er bezaubert von schwarzen oder schmutzig braunen, plumpen Schönheiten, die ich wahrlich dem Affen- als dem Menschen-Geschlechte zuzählen möchte! Ich bedauere die Männer, die so tief sinken können, allen Geschmack am Schönen und Edlen, alle Erkenntniß der menschlichen Würde zu verlieren. Möchten sie doch bedenken, welch' üblen Einfluß ihr böses Vorbild auf die Eingeborenen übt, wie sehr die Civilisation der letzteren dadurch gehemmt wird!

Doch zurück zu meinem liebenswürdigen Wirthe. Das prachtvolle Frühstück war vorüber, meine Hoffnung getäuscht. Doch gab ich mich nicht der Verzweiflung hin, ich baute neue Luftschlösser auf das Hauptmahl, welches immer Abends abgehalten wird. Mit größter Ungeduld erwartete ich die Stunde – neue Enttäuschung! Es erschienen dieselben Gerichte wie bei dem Frühstück, nicht eines weniger, nicht eines mehr. Das fand ich doch gar zu arg. Zum Glück war der ältere Bruder meines Wirthes von der zweiten Besitzung herübergekommen, ebenfalls ein junger Mann, der nicht nur auf der Insel Bourbon, sondern sogar neun Jahre in Paris gewesen war. Obwohl er gleich seinem Bruder das Abendessen auf echt malegaschische Weise mittelst des Blatt-Löffels verzehrte, faßte ich doch mehr Zutrauen zu ihm und lud mich ohne Umstände für den nächsten Morgen zum Frühstück bei ihm ein – schlechter konnte es mir ja keinesfalls ergehen.

Abends machte man mir in meiner Kammer auf dem Boden ein recht gutes Bett zurecht, vergaß aber leider das Musquito-Netz. In Folge dessen konnte ich die ganze Nacht kein Auge schließen.

Bevor ich mich zur Ruhe begab, ersuchte ich meinen Wirth, mir Morgens eine Tasse Milchkaffee in mein Zimmer zu schicken. Was brachte man mir aber? Ein Waschbecken voll Milch und etwas Zucker, allein weder Kaffee, noch Tasse, noch Löffel. Das Waschbecken benahm mir natürlich alle Lust an der sonst ganz gut aussehenden Milch. Ich fragte nach dem Kaffee – da sah ich, daß man erst darnach suchte, daß er erst gebrannt werden sollte. Ich dankte für Milch und Kaffee, nahm Abschied von meinem gastfreundlichen Wirthe und begab mich abermals ohne Frühstück auf den Weg.

Wir fuhren in einem Kahn auf dem hübschen Flusse Joondro, der sich eine halbe Meile von hier in die See ergießt, nach der Behausung des Pariser Malegaschen. Er bewohnte ein hübsches Haus, kam mir schon von weitem entgegen und führte mich sogleich in den Speisesaal, wo ich zu meiner großen Freude den Tisch auf europäische Weise gedeckt und mit einem reichlichen guten Mahl besetzt fand.

Dieser junge Mann zeichnete sich überhaupt von jenen seiner Landsleute, die gleich ihm in Bourbon oder Europa gewesen waren, sehr vortheilhaft aus. Ich glaube, er ist der einzige, der sich nicht bestrebt, alles, was er in Europa gelernt hat, so rasch als möglich wieder zu vergessen. Ich fragte ihn, ob er Paris nicht vermisse, ob er kein Verlangen darnach habe, dort zu leben. Er erwiederte mir, daß er freilich gerne in einem civilisirten Lande leben möchte, daß aber andererseits Madagaskar sein Vaterland sei, und daß er seine ganze Familie hier habe, von welcher sich zu trennen er sich nicht entschließen könne.

Man sah es ihm an, daß dieß keine leeren Worte waren, daß er auch fühlte, was er sprach. Dieß überraschte mich sehr, denn im allgemeinen ist nichts lächerlicher, als wenn ein Malegasche von seiner Familie, von Familien-Banden spricht. Ich kenne kein sittenloseres Volk als das von Madagaskar, und wo ähnliche Sitten-Verderbniß herrscht, können die Familien-Bande nur höchst lose sein.

Meine Feder erlaubt mir nicht, eine Beschreibung zu geben von den vielen unsittlichen Gebräuchen, die nicht blos unter dem Volke, sondern in den höchsten Familien des Landes üblich sind, und welche den Leuten ganz natürlich erscheinen; ich kann nur sagen, daß die Keuschheit einer Frau hier nicht den geringsten Werth hat, und daß, was Ehen und Nachkommenschaft anbelangt, so sonderbare Gesetze herrschen, wie gewiß nirgends in der Welt. So kann sich z. B. der Mann von seinem Weibe scheiden lassen und ein anderes nehmen, so oft er will. Die Frau kann zwar auch mit einem anderen Manne leben, darf sich jedoch nicht wieder verheirathen; alle Kinder aber, die sie gebirt, nachdem sie von ihrem ersten Manne geschieden ist, werden dessenungeachtet als diesem angehörig betrachtet. Der eigentliche Vater hat nicht das geringste Recht auf sie, und die Mutter muß sie ihrem ersten Gatten auf dessen Verlangen augenblicklich ausliefern. Auch wenn der Mann stirbt, werden alle Kinder, die seine Witwe in der Folge gebiert, dem Verstorbenen zuerkannt. Diesem Gesetze zufolge kommt es, daß der Prinz Rakoto, Sohn der Königin Ranavola, obwohl erst lange Zeit nach König Radama's Tode geboren, dennoch als dessen Sohn gilt.

Sehr häufig geschieht es auch, daß Männer, die von ihren Frauen keine Kinder haben, sich mit Mädchen in gesegneten Umständen verheirathen, um ein Kind zu bekommen und es das ihrige nennen zu können. Diese Sucht nach Nachkommenschaft wird durch ein Gesetz veranlaßt, welches dem Staat das Vermögen jedes Mannes zuerkennt, der kinderlos stirbt.

Unter solchen Verhältnissen von Familien-Banden zu sprechen, klingt natürlich sehr komisch, und hätte ich nicht bei verschiedenen Gelegenheiten an meinem Wirthe eine wirklich seltene Gemüthlichkeit beobachtet, so wurde ich seinen Aeußerungen wenig Glauben geschenkt haben.

Ich unterhielt mich viel mit ihm und fragte ihn ferner, ob er denn gar kein Bedürfniß fühle nach einem geistreichen Umgange, nach jenen angenehmen gesellschaftlichen Verhältnissen, wie sie in Europa bestehen; ob es ihm nicht schwer fiele, beständig unter diesen rohen, unkultivirten Menschen zu leben? – Er gestand mir zu, daß der gänzliche Mangel an Bildung bei seinen Landsleuten ihm deren Gesellschaft nicht sehr angenehm mache, daß er aber seine Zerstreuung in Büchern suche, die er lese und studiere. Er nannte mir einige sehr gute Werke, welche er von Frankreich mitgebracht hatte.

Mir that es um diesen jungen Mann wirklich leid. Ich will gerade nicht behaupten, daß er sich durch besonderen Geist und Scharfsinn auszeichnet; aber er besitzt hinreichendes Talent und verbindet damit so viel Herz und Gemüth, daß er sich in jedem Lande der Welt Freunde erwerben würde. Schade um ihn – hier, bei gänzlicher Entbehrung jedes besseren Umganges wird er wohl auch wieder nach und nach ganz zum Malegaschen werden.

Ich blieb bei Herrn Ferdinand Fiche, so ist sein Name, einen Tag; das Wetter war fortwährend so schlecht, daß ich weder Spaziergänge machen, noch mich mit dem Insekten-Fange beschäftigen konnte. Am folgenden Tage kehrte ich nach Tamatavé zurück.


 << zurück weiter >>