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[II]

Ankunft in Holland. – Amsterdam. – Holländische Bauart. – Bilder-Gallerien. – Herrn Costa's Diamanten-Schleiferei. –.Das Harlemer Meer. – Ein holländischer Kuhstall. – Utrecht. – Das Studentenfest.

 

Ich traf in Amsterdam am 16. Juni Mittags ein. Schon im Hafen erwartete mich mein würdiger Freund Oberst Steuerwald. Dieser Herr ist eine meiner ältesten Reise-Bekanntschaften; ich lernte ihn auf der Reise von Gothenburg nach Stockholm kennen, traf ihn später in Batavia und nun hier in seinem Vaterlande, wo er mich auf das herzlichste aufnahm und sogleich in seinen Familienkreis einführte.

Ich blieb in Holland bis 2. Juli und hatte während dieser Zeit Gelegenheit, einen großen Theil dieses interessanten Landes zu bereisen; doch will ich all' des Gesehenen nur flüchtig erwähnen, da es natürlich nicht in dem Zwecke meines Buches liegt, ausführliche Beschreibungen von allgemein bekannten Ländern oder Städten zu machen.

Was mir in Amsterdam vor Allem auffiel, war die Bauart der Häuser; ich möchte sie der altdeutschen vergleichen, wie z. B. in Magdeburg. Die Häuser, meistens nur von einer Familie bewohnt, sind sehr schmal, 2 bis 4 Stockwerke hoch und enden in spitze oder runde Giebeldächer. Sie sind von Backsteinen aufgeführt, dunkelbraun übertüncht und zuweilen mit Arabesken geschmückt. Einen sonderbaren Eindruck macht der Ueberblick einer Straße; die Häuser stehen zwar in geraden Reihen, erheben sich aber nicht in senkrechter Linie. Bei manchen überragt der obere Theil den unteren, bei den anderen der untere den oberen, bei anderen wieder ragt der mittlere Theil hervor. Die Abweichung von der geraden Linie beträgt oft über einen Fuß. Man sollte meinen, daß dergleichen Häuser leicht dem Einsturze ausgesetzt seien; ich las jedoch manche Inschriften, welche bezeugten, daß sie bereits über 100 Jahre, ja einige sogar über 200 Jahre standen. – Ein sehr großer Uebelstand in den holländischen Häusern ist die schmale, steil aufsteigende Treppe. Man muß wahrlich ein geborener Holländer und von frühester Kindheit an diese Unbequemlichkeit gewohnt sein, um sie ertragen zu können, um so mehr, da man durch das Bewohnen eines schmalen und hohen Häuschens jeden Augenblick gezwungen ist die Treppe auf und ab zu klettern. Daß die Häuser der Reichen, die Gasthöfe u. s. w. bequemer eingerichtet sind, versteht sich von selbst.

Nicht minder befremdend war es mir zu sehen, daß in den Häusern, deren Erdgeschoß zu Verkaufsläden dient, letztere den ganzen Raum einnehmen und eine besondere Hausthüre unmöglich machen. Die Köchin mit dem Einkaufskorbe, der Wasserträger mit dem Kübel, die Frau vom Hause wie der Besucher, Alles geht durch das oft sehr geschmackvoll eingerichtete und kostbare Waarenlager. Natürlich muß an Sonn- und Festtagen die Thüre des Ladens wie an den Wochentagen offen stehen.

Alle diese Unbequemlichkeiten werden durch den hohen Preis des Bodens veranlaßt. Jedermann weiß, wie mühsam der größte Theil von Hollands Grund und Boden dem Meere abgetrotzt wurde, wie kostspielig ein Bau auf einem Grunde kommt, der durch eingeschlagene hohe Pfähle so zu sagen erst geschaffen werden muß. Gewöhnlich kostet der Bau bis an die Oberfläche der Erde eben so viel wie jener, der sich über der Erde erhebt.

Amsterdam ist von unzähligen Kanälen durchschnitten, die alle mehr oder minder breit sind und über welche 250 Brücken führen. Man könnte diese Stadt füglich das »Venedig des Nordens« nennen, nur fehlen ihr die Marmor-Paläste, das muntere Leben und Treiben des Volkes, das Gewühl der Gondeln auf den Kanälen und die melodischen Gesänge der Barcarolis. Doch zeichnet sich Amsterdam vor Venedig dadurch aus, daß hier neben den Kanälen auch schöne breite Straßen laufen, und daß man überall hin zu Wagen gelangen kann. Viele der Straßen sind mit herrlichen Bäumen besetzt, wodurch die Stadt ein frisches, freundliches Aussehen gewinnt.

An Gebäuden gibt es einige hübsche, aber keine ausgezeichneten, das königliche Schloß ausgenommen, welches in früheren Zeiten das Stadthaus war. Es ist in einem großartigen Style gebaut und mit schönen Sculpturen verziert.

Noch muß ich einiger Eigenthümlichkeiten Amsterdams erwähnen, die mir sehr aufgefallen sind. Die erste ist, daß in einer so großen Stadt (200,000 Einwohner) auf den Plätzen und Straßen keine Miethkutschen stehen. Will man fahren, so muß man erst in das Haus eines Lohnkutschers schicken oder gehen und warten, bis angespannt wird. Die zweite Eigenthümlichkeit fand ich besonders originell; sie besteht darin, daß manche Leute mitten im Sommer auf den gepflasterten Straßen in Schlitten fahren. Diese Schlitten, niedere Wagen, anstatt auf Räder auf Kufen gesetzt, werden »Steepkoets« genannt, und vorzüglich die alten Leute bedienen sich derselben; die Fahrt geht zwar sehr langsam, ist aber sehr bequem.

Eine große und schöne Anlage ist der zoologische Garten, der an die Stadt grenzt. Die Anzahl der außer-europäischen Thiere ist bedeutend, und war gerade durch mehrere Giraffen vermehrt worden. Vögel und Schlangen sind reich vertreten.

In dem Museum findet man eine kostbare Sammlung von Seemuscheln und Landschnecken.

Bilder-Gallerien besuchte ich zwei; jene im Trippenhuis und jene des Herrn van der Hoop. (Das Wörtchen »van« bedeutet keinen adeligen Titel; jeder Holländer kann es vor seinen Namen setzen.) Die vorzüglichsten Gemälde, die ich sah, sind: »der Nachtwächter und die Stallmeister«, von Rembrandt, »die Mahlzeit«, von van der Helst, »das St. Nikolaus-Fest«, von Steen, und »die Schule bei Nachtbeleuchtung«, von Dow. Außerdem gibt es in beiden Gallerien noch viele Meisterwerke sowohl von obgenannten Künstlern als auch von Anderen, wie: Ruisdael, Wouverman, Ostade u. s. w.

Die Gallerie van der Hoop befindet sich in der Akademie und ist ein Vermächtniß dieses Herrn. Die Akademie zögerte sehr lange, das werthvolle Geschenk anzunehmen; es fehlten ihr die Mittel die hohe Erbsteuer zu bezahlen.

Sehr interessant ist ein Besuch der Diamanten-Schleiferei des Herrn Costa, welche für die ausgezeichnetste gilt. Die Holländer sind bekanntlich in der Kunst Diamanten zu schleifen noch von keiner anderen Nation Europa's übertroffen worden und nur in Indien haben sie ihre Meister gefunden, wie der Schliff des großen Diamanten beweist, welchen der Sultan besitzt und der in Hinter-Indien geschliffen wurde. Dieser Diamant, der größtbekannte in der Welt, ist, obwohl unten sich rundend, dennoch durchaus in gleich große Rosetten eingetheilt – eine Kunstfertigkeit, welche selbst die Holländer nicht begreifen können.

Ueberraschend ist die Größe des Fabriksgebäudes, wenn man bedenkt, wie kleine Gegenstände da verarbeitet werden; es ist über 100 Fuß lang und drei Stockwerke hoch.

Die Schleiferei geht auf folgende Art vor sich: der rohe Diamant kommt erst in die Hände der Klopfer, dann der Schneider und zuletzt in jene der Schleifer. Der Klopfer entfernt die in dem Steine befindlichen Flecken mittelst eines scharfen Diamanten; er feilt damit in den Stein hinein und schlägt dann das schadhafte Stück ab. Der Schneider gibt dem Steine die gehörige Form, indem er die Ecken und Ungleichheiten auf ähnliche Art beseitigt. Der Staub, der bei diesen Arbeiten abfällt, wird auf das Sorgfältigste gesammelt, denn er ist zu dem Schliff des Diamanten unentbehrlich. Der Schleifer bedient sich einer Bleikugel, die in Holz gefaßt ist und deren freier Theil in der Glut erweicht wird, damit man den Stein so tief als nöthig hineindrücken kann. Er wird auf einer Stahlscheibe geschliffen, auf welche etwas weniges von dem Diamantstaub gestreut ist. Die große Kunst besteht darin, die Kanten und Rosetten vollkommen gleich zu schleifen, wodurch das Feuer und die Schönheit des Diamanten unendlich gesteigert werden.

Das Drehen der Schleifmaschine (durch Dampfkraft) geht so rasch, daß man glaubt, die Scheibe bewege sich gar nicht; sie macht in einer Minute zweitausend Umdrehungen.

Durch den Schliff geht sehr viel verloren; der englische Krondiamant, Koh-i-noor z. B. verlor, als er zum zweiten Male geschliffen wurde, ein Viertheil seiner Größe. Die erste Schleifung dieses schönen Diamanten war mißglückt und das englische Gouvernement ließ im Jahre 1852 einen holländischen Schleifer aus Herrn Costa's Fabrik kommen, um den Stein kunstgerecht zu schleifen. Der Arbeiter benöthigte hiezu sechs Monate, und die reinen Kosten ohne Gewinn für den Fabriksherrn (Herr Costa nahm nämlich keine Zahlung an) betrugen 4000 holländische Gulden, etwas mehr als 330 Pfund Sterling.

Herrn Costa's Fabrik, deren Eigenthümer er allein ist, beschäftigt 125 Arbeiter, von welchen 5 Klopfer, 30 Schneider und 90 Schleifer sind. Die Arbeiter gewinnen pr. Woche von 30 bis 70 und 80 holländische Gulden.

Ich besah in Amsterdam auch die Zucker-Raffinerien der Herren Spakler, Vloten und Fetterode. Der Zucker wird, wie ich schon in anderen Ländern gesehen habe, mittelst Dampfmaschinen raffinirt. Diese Fabrik liefert jährlich ungefähr 5 Millionen Kilos (nahe an 100,000 Wiener Centner) Zucker. Die größte Fabrik Hollands liefert 16 Millionen Kilos und das Gesammt-Erzeugniß beträgt 80 Millionen.

Ganz nahe bei Amsterdam liegt das berühmte »Harlemer Meer«, dessen Austrocknung gewiß eine der großartigsten Unternehmungen unseres Jahrhundertes ist. Wo vor wenig Jahren noch große Schiffe fuhren, wo der Fischer seine Netze auswarf, da weiden jetzt Tausende von Kühen, da prangen üppige Felder und Wiesen, ja hie und da erheben sich schon einzelne Häuschen, und gewiß wird es bald an Ortschaften und Dörfern nicht fehlen.

Die Trockenlegung des Sees, dessen durchschnittliche Tiefe 13 Fuß betrug, wurde im Februar 1849 begonnen, und schon nach vier Jahren war dieses Riesenwerk beendet. An drei verschiedenen Orten wurden Dampfmaschinen von 400 Pferdekraft eingerichtet, deren jede 8 Pumpen sechsmal pr. Minute in die Höhe hob und das Wasser in die Kanäle goß, welche nach dem Meere führten. Die 24 Pumpen der drei Maschinen schöpften in jeder Minute 20,340 Eimer Wasser aus.

Der Gewinn an Flächeninhalt beträgt 31,000 Joch (österreichisches Maß); die ersten Anpflanzungen wurden schon im Jahre 1853 gemacht.

Herr Muyskens, der die Güte hatte mir dieses neue Weltwunder zu zeigen, ist Eigenthümer einer hübschen Besitzung, auf welcher er bereits im vergangenen Jahre die erste Ernte abgehalten hat. Auch sein Haus war schon fertig und mit vielem Geschmacke gebaut. Hier sah ich zum ersten Male, wie weit die Vorliebe der Holländer für die Viehzucht geht – der Kuhstall war unstreitig der schönste Theil des Hauses. Man muß freilich bedenken, daß, da der größte Theil Hollands aus fetten Wiesen und Triften besteht, die Viehzucht der Hauptreichthum des Landes ist, und daß natürlicherweise für die Ausdehnung desselben alle mögliche Sorge getragen wird. Daß aber diese Sorgfalt so weit geht, den Kühen reinlichere und elegantere Wohnungen einzurichten als gar viele wohlhabende Leute in den weniger civilisirten Ländern Europa's (von anderen Welttheilen gar nicht zu sprechen) besitzen, hätte ich doch nicht erwartet. Der Kuhstall nahm den größten Theil des Gebäudes ein; seine Fenster, von gefälliger ovaler Form, waren mit weißen Vorhängen versehen, die von farbigen Bändern gehalten wurden. Auch die Eingangsthüre, deren oberer Theil von Glas war, schmückte ein blendend weißer Vorhang. Das Innere bestand aus einer hohen luftigen Halle; die Stände waren gerade so breit, daß die Hinterfüße der Thiere an die Grenze eines fußtiefen Kanales zu stehen kamen, in welchen die Excremente fielen, ohne die Streu oder den Boden zu verunreinigen. Oberhalb des Kanales war den Ständen entlang ein Seil gezogen, an welches die Schwänze der Kühe gebunden werden, damit sie mit denselben nicht um sich schlagen und sich beschmutzen. Alle diese Einrichtungen fand ich für das Auge recht hübsch; meiner Meinung nach wurden aber die armen Thiere, könnte man sie befragen, es gewiß vorziehen, etwas weniger Reinlichkeit und etwas mehr Freiheit zu haben.

Eine Abtheilung des Stalles war durch eine drei Fuß hohe Bretterwand abgeschieden, mit gedieltem Boden versehen und bildete ein ganz niedliches Zimmerchen, welches den Bauersleuten zum Aufenthalte diente. Die Käse-, Milch-und andere Vorraths-Kammern waren von eben so fabelhafter Reinlichkeit wie der Stall. Die Wände in den Eingangshallen, an den Treppen, in der Küche, in den Vorrathskammern u. s. w. sind beinahe in jedem Hause 3 bis 4 Fuß hoch mit weißen Porzellan- oder grünen Thon-Platten belegt, die leichter rein gehalten werden können, als weiß übertünchte Wände.

Bei Herrn Muyskens trank ich nach langer Zeit zum ersten Male wieder Kaffee mit guter Milch; sie wurde rein gegeben, wie sie von der Kuh kam. Man sollte glauben, daß es in einem Lande wie Holland, wo solcher Reichthum an Kühen herrscht, der guten Milch im Ueberflusse gebe; dem ist aber nicht so; vor lauter Butter- und Käse-Machen gönnt sich der Holländer, wie der Schweizer, nicht einmal so viel gute Milch, als er zum häuslichen Gebrauch benöthigt. Beinahe überall, selbst in den wohlhabendsten Familien, fand ich den Kaffee ziemlich schlecht.

Da ich gerade bei diesem für uns Frauen so wichtigen Artikel bin, kann ich nicht umhin eines Gebrauches zu erwähnen, der in Holland allgemein herrscht, und welchen ich weder unter die Rubrik der Reinlichkeit rechnen, noch überhaupt als nachahmungswürdiges Beispiel aufstellen möchte. Sobald das Kaffee- oder Theetrinken zu Ende ist, wäscht die Frau oder Tochter, oder sonst ein weibliches Wesen des Hauses, das Geschirr am Tische im Beisein der Gesellschaft ab. Sie gießt etwas heißes Wasser in die Tassen, spült sie einfach aus, trocknet sie ab – und die Geschichte ist fertig.

Herr Muyskens war so freundlich, mich den ganzen ausgetrockneten See hindurchzuführen, bis an eine der drei Maschinen, die das Wasser herausheben und von welchen zeitweise eine oder die andere in Gang gesetzt wird, wenn sich zu viel Regenwasser angesammelt hat. Wir kamen gerade zu rechter Zeit, die Maschinen arbeiten zu sehen.

Von hier ging es nach Harlem, wo wir den schönen Park mit dem geschmackvollen königlichen Lustschlosse, so wie einen Theil der netten Stadt besahen. In letzterer fiel mir über dem Thore eines Hauses eine ungefähr anderthalb Fuß lange, ovale Platte auf, die mit rosenrothem Seidenstoff überzogen und mit in reiche Falten gelegten Spitzen überdeckt war. Diese Platte bedeutet, wie man mir sagte, daß sich in dem Hause eine Wöchnerin befindet. Ragt oberhalb der Platte noch ein Papierstreifen hervor, so ist dieß ein Zeichen, daß das Kind weiblichen Geschlechtes ist. Dieser Gebrauch stammt aus den alten Kriegszeiten her, wo das Haus einer Wöchnerin von dem Krieger geschont wurde, und war in ganz Holland üblich. Jetzt hat sich die Sitte verloren und nur in Harlem ist man ihr treu geblieben.

Ich war so glücklich, in Holland außer dem Herrn Obersten Steuerwald, der sich meiner auf das wärmste annahm, auch noch einen anderen, mir sehr wohlwollenden Freund zu finden, den Herrn Residenten van Rees, welchen ich, wie sich die Leser meiner zweiten Reise um die Welt erinnern werden, in Batavia kennen gelernt hatte. Herr van Rees lebte im Haag. Kaum hatte er aber von meiner Ankunft in Holland gehört, so kam er nach Amsterdam, mich zu einer kleinen Rundreise in seinem Vaterlande einzuladen.

Wir begannen mit Utrecht (8 deutsche Meilen), in welcher Stadt zufälligerweise gerade ein großes Studentenfest stattfand. Die Studenten pflegen nämlich alle fünf Jahre die Errichtung der Universität zu feiern. Die Feier währt eine ganze Woche und besteht aus Masken-Umzügen, Konzerten, Bällen, Wettrennen, Mahlzeiten, Beleuchtungen u. s. w. Dieses Jahr sollte das Fest ganz besonders glänzend sein; die Herren Studenten hatten sich nämlich überworfen und in zwei Partheien getheilt, in die aristokratische und in die demokratische. Eine Parthei wollte es der anderen zuvorthun und jede nahm eine Woche für sich allein in Anspruch.

Wir kamen in Utrecht in der Woche der Aristokraten an. Der Zudrang war so groß, daß wir in keinem Gasthofe Platz fanden; glücklicherweise nahmen uns Herr und Frau Suermondt, Freunde des Herrn van Rees, mit größter Zuvorkommenheit in ihrem Hause auf.

Nachmittags fand ein Umzug statt. Die Studenten trugen alle die kostbarsten Kostüme; da sah man nichts als Sammt, Atlas, Spitzen und Straußfedern. Die Einen stellten Scenen aus dem 16ten Jahrhunderte dar, die Anderen Prinzen von Java, Hindostan, Bengalen u. s. w. mit reichem Gefolge. Selbst an einer indischen Gottheit fehlte es nicht, die im Palankin getragen wurde und von einem malai'schen Musikchor begleitet war. Ganze Scenen wurden auf unglaublich langen Wagen vorgestellt, von welchen einige wirklich sehr malerisch waren. So z. B. ein ganzes Haus mit offenen Seitenwänden. Ein Ehepaar saß an einem Tische, die Frau hatte ein Kind auf dem Schoße, ein zweites spielte zu ihren Füßen, der Arzt und ein anderer Freund des Hauses waren zum Besuche da, man sprach und trank Thee; vor dem Hause scheuerte die Magd u. s. w.

Auf einem anderen Wagen stand eine Windmühle; ein Mann zimmerte davor an seinem Boote, ein Anderer besserte sein Netz aus.

Auf einem dritten sah man das Innere einer Bauernstube; da wurde Butter gerührt, Segeltuch gewoben, Seil gedreht. Dazwischen kam wieder ein Jagdzug, die Jäger mit den Falken auf dem Arme, es war wirklich herrlich anzusehen. – Militär-Musik eröffnete den Zug und königliches Militär schloß ihn. Abends wurde die Stadt herrlich beleuchtet, und zwar mit weißen und farbigen Glaslampen und mit papierenen Laternen in schönen Festons an beiden Seiten der Straßen und der vielen Kanäle. An manchen Häusern hatte man die ganzen Vorderwände reich beleuchtet, und an den Brücken waren die Portale und Geländer mit Tausenden von Lampen behangen. Manche Straße gewährte einen wahrhaft feenartigen Anblick.

Gegen Mitternacht kehrte der Zug mit einer Unzahl von Fackeln, welche blaue und dunkelpurpurfarbige Lichter von sich sprühten, zurück. Erst um 2 Uhr ging das Fest zu Ende. Schön und glänzend war es, daß ist nicht zu läugnen, aber viel zu großartig für Studirende. Es ginge noch an, wenn es alle hundert oder höchstens alle fünfzig Jahre stattfände; auch wäre wohl ein Tag dazu hinreichend; allein in der gegenwärtigen Form kann es nicht von guter Wirkung sein. Die jungen Leute beschäftigten sich gewiß schon mehrere Wochen vor dem Feste viel weniger mit ihren Studien als mit ihren Masken, ihren Costümen, den Bällen und anderen Unterhaltungen. Außerdem sind die Kosten so groß, daß nur der Reiche sie leicht tragen kann; der Unbemittelte muß zurückbleiben oder Schulden machen. Da lobe ich mir das einfache, burleske Künstlerfest in München; das verursachte wenig Kosten, war voll Heiterkeit und Witz, dauerte nur einen Tag und befriedigte die Zuseher wie die Mitwirkenden eben so, wenn nicht mehr, als dieses glänzende Studentenfest.

Auch die Bewohner der Stadt werden durch die Beleuchtung, welche an zwei Abenden stattfindet, zu Ausgaben veranlaßt, die gar vielen armen Bürgern nicht sehr willkommen sein mögen; unterließen sie indeß die Illumination, so würden die Studenten ihnen wahrscheinlich die Fenster einwerfen oder irgend einen Schabernack treiben.

Eine andere Sache, die ich eben auch nicht sehr passend fand, ist, daß die Studenten die ganze Woche in ihren Masken-Anzügen, der Eine als Prinz, der Andere als Ritter u. s. w. in der Stadt umhergehen.

Das zweite Fest, welchem ich beiwohnte, bestand aus Wettrennen zu Pferde und aus einigen Kunststücken, wie sie von Kunstreitern gezeigt werden. Ich erwartete, aufrichtig gesagt, etwas Besseres – ein Ringelstechen oder ein Karoussel, von den Studenten im Kostüme ausgeführt, hätte, da sie ja die Kostüme und Pferde schon besaßen, auch nicht mehr Kosten verursacht, und wäre dem großartigen Programme entsprechend gewesen. Bei dieser Gelegenheit beobachtete ich, wie schwer es ist, den Holländer aus seiner kalten Ruhe zu bringen. Ein Herr Loisset führte ein schönes, wunderbar geschultes Pferd vor, welches die schwierigsten Kunststücke vollbrachte, die gewiß bei jedem anderen Publikum die lautesten Beifalls-Bezeigungen veranlaßt hätten. Zu meinem Erstaunen blieben die Leute kalt wie Eis und Herr Loisset verließ den Circus mit seinem Pferde, ohne das geringste Zeichen von Anerkennung erhalten zu haben.

Die Stadt Utrecht ist von sehr hübschen Bosquets und parkähnlichen Anlagen umgeben, doch fehlen hier, wie überall in Holland, Hügel und Berge.

An Sehenswürdigkeiten bietet sie wenig. Von den Kirchen besuchte ich blos die protestantische Domkirche, deren imposantes Aeußere mich verführte. Leider fand ich das Innere auf eine unbegreifliche Weise entstellt. Man hatte nämlich, da die Kirche sehr groß ist, und die Zuhörer die Predigten nicht gut vernehmen konnten, einen hohen großen Verschlag von Holz errichtet – eine Kirche in der Kirche. Natürlich geht der Eindruck, den das wirklich schöne Gebäude hervorbringen würde, ganz verloren durch diesen abscheulichen Bretter-Verschlag, welcher über die Hälfte des inneren Raumes einnimmt.

Unser freundlicher Wirth, Herr Suermondt, ließ uns nicht so bald fort, und nur zu gerne gaben wir seiner herzlich gemeinten Einladung nach und verweilten noch einige Zeit; die ersten Tage wurden der Stadt selbst und den Festen geweiht, dazwischen fand ich hie und da ein Stündchen, die ausgezeichnet schöne Bilder-Gallerie zu besehen, welche Herr Suermondt besitzt und deren Besuch er Fremden gestattet.

Den Lieblingsort der Utrechter, das Dörfchen Zeijst (2 deutsche Meilen), besuchten wir ebenfalls. Es ist dieß eine reizende Spazierfahrt. Die Straße, wie beinahe alle Landstraßen Hollands mit Backsteinen gepflastert, führt an niedlichen Landhäusern mit schönen Garten-Anlagen vorüber; an vielen Stellen ist sie mit Alleen besetzt von so stämmigen, umfangreichen Bäumen, wie ich noch wenige gesehen. Linden, Eichen und Buchen, und von letzteren besonders die Blutbuchen, gelangen in Holland zu einer Höhe und zu einem Umfange, wie vielleicht in keinem anderen Lande.

In Zeijst ist der Sitz einer Herrnhuter-Gemeinde.


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