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[XIV]

Der verunglückte Staatsstreich. – Prinz Ramboasalama. – Der Pas de deux. – Entdeckung der Verschwörung. – Tod des Fürsten Razakaratrino. – Unabhängigkeit der madagaskarischen Frauen. – Anfang der Gefangenschaft. – Ein Kabar. – Verfolgung der Christen. – Die Uebergabe der Geschenke.

 

20. Juni. Heute endlich sollte der große Tag der Entscheidung sein.

Herr Lambert war so ziemlich von dem Fieber hergestellt, man wollte daher nicht länger zögern und diese Nacht den beabsichtigten Staatsstreich in Ausführung bringen.

Die beiden Missionäre, welche scheinbar keinen Antheil an der Revolution haben sollten, gingen Morgens nach einer der Besitzungen des Herrn Laborde, die 30 englische Meilen von der Stadt entfernt liegt. Auch mich wollte man dahin senden; aber ich zog es vor, in Tananariva zu bleiben, denn ich dachte, bei einem Mißlingen des Streiches würde man meinen Kopf überall zu finden wissen, und wäre ich auch 100 Meilen von der Stadt entfernt.

Der Plan, welchen die Verschworenen ausgedacht hatten, war folgender: der Prinz sollte um 8 Uhr Abends mit den Herren Lambert, Marius, Laborde und dessen Sohne in dem Gartenhause des Herrn Laborde speisen, und dahin sollten auch alle Nachrichten von den übrigen Theilnehmern der Verschwörung gebracht werden, um zu wissen, ob alles in der besprochenen Ordnung und jeder auf dem ihn angewiesenen Platze sei. Nach aufgehobener Tafel, um 11 Uhr Nachts, würden sich die Herren, wie von einem Feste kommend, unter Begleitung der Musik nach der oberen Stadt nach Hause begeben, und jeder hätte sich bis 2 Uhr Nachts ruhig in seiner Wohnung zu verhalten; um 2 Uhr aber sollten sämmtliche Verschworene in aller Stille nach dem Palaste schleichen, dessen Eingänge der Chef der Armee, Fürst Raharo mit ergebenen Offizieren besetzt haben und offen halten würde, sich in dem großen Hofe vor den von der Königin bewohnten Gemächern versammeln, und auf ein gegebenes Zeichen mit lauter Stimme den Prinzen Rakoto zum König ausrufen. Die neuen Minister, welche von dem Prinzen bereits ernannt worden waren, hätten dann der Königin zu erklären, daß dieß der Wille der Adeligen, des Militärs und des Volkes sei, und zu gleicher Zeit sollte Kanonen-Donner von den Wällen des königlichen Palastes dem Volke die Regierungs-Veränderung und seine Befreiung von der blutigen Herrschaft der Königin verkünden.

Leider kam dieser Plan nicht zur Ausführung; er scheiterte an der Feigheit oder Treulosigkeit des Chefs der Armee, des Fürsten Raharo. Noch als die Herren bei Tische saßen, erhielten sie von diesem die Hiobspost, daß es ihm in Folge unvorhergesehener Hindernisse nicht möglich gewesen sei, den Palast ausschließend mit verläßlichen Offizieren zu besetzen, und daß er daher die Thore diese Nacht nicht offen halten könne; man müsse eine günstigere Gelegenheit abwarten. Vergebens sandte der Prinz Posten über Posten an ihn; er war zu nichts zu bewegen.

Schon im Jahre 1856 hatte sich der Prinz Rakoto an die Spitze einer ähnlichen Verschwörung gegen die Königin gestellt, schon damals waren bereits Nacht und Stunde zur Ausführung bestimmt, und ebenso wie dieses Mal scheiterte alles an dem plötzlichen Zurücktreten des Chefs der Armee. Es ist möglich, daß Feigheit dabei im Spiele ist, daß der Mann im entscheidenden Augenblicke den Muth verliert; ich würde aber eher glauben, daß er in die Verschwörung nur zum Scheine eingeht, in der Wirklichkeit jedoch eine Kreatur der Königin, des Premier-Ministers Rainizoharo und, wie ich am meisten befürchte, des Adoptiv-Sohnes der Königin, des Prinzen Ramboasalama ist.

Dieser Prinz, Sohn einer der Schwestern der Königin Ranavola, wurde von letzterer schon vor vielen Jahren adoptirt, als sie selbst keinen Sohn hatte und ihres ziemlich vorgerückten Alters halber nicht leicht hoffen konnte, noch Nachkommenschaft zu bekommen. Sie betrachtete den Prinzen als ihren natürlichen Erben und erklärte ihn mit allen üblichen Förmlichkeiten zu ihrem Nachfolger. Bald darauf ward sie wider Erwarten Mutter und gebar den Prinzen Rakoto. Man sagt, daß sie zwar in der Folge den Prinzen Ramboasalama der Thronfolge entsetzt und ihren eigenen Sohn zum direkten Nachfolger ernannt habe; wie jedoch viele behaupten, soll dieß nicht mit den üblichen Förmlichkeiten geschehen sein. Es ist daher sehr zu befürchten, daß es nach dem Absterben der Königin zwischen den Partheien der beiden Prinzen zu großen blutigen Zwisten kommt, und daß am Ende jene des Prinzen Ramboasalama die Oberhand behält. Dieser Prinz ist viel älter, und hat natürlicher Weise viel mehr Erfahrung als Prinz Rakoto. Er soll auch sehr verständig, unternehmend, von festem Charakter, zwar nicht so gutmüthig und menschenfreundlich wie Rakoto, aber auch bei weitem nicht so grausam und blutdürstig sein, als die Königin.

So viel ich nach dem, was man mir sagte, beurtheilen kann, scheint er sich schon eine mächtige Parthei gebildet und sich des größten Theiles der Adeligen durch viele Zugeständnisse und besonders dadurch versichert zu haben, daß er durchaus nicht mit der Aufhebung der Sklaverei einverstanden ist, während Prinz Rakoto gerade diese im Sinne hat und überhaupt sehr die Vorrechte der Großen beschränken will. Diese Gründe allein sollten genügend sein, um eine oder die andere der europäischen Mächte zu vermögen, sich des Prinzen Rakoto anzunehmen; aber die europäischen Regierungen nehmen sich immer nur jener Dinge an, die ihnen einen sichtbaren, augenscheinlichen Nutzen bringen. Aus bloßer Philanthropie etwas zu thun, davon sind sie weit entfernt.

Die Verschwörung ist leider so zu sagen ein öffentliches Geheimniß geworden. Alle Welt weiß darum, selbst in das Volk sind Gerüchte von der beabsichtigten Regierungs-Veränderung gedrungen, und nur die Königin allein solle, wie man uns versichert, nichts ahnen von dem, was um sie vorgeht. Ich kann es nicht glauben. Man versichert uns freilich, daß es niemand wagen könne, den Prinzen bei der Königin anzuklagen, weil jeder ganz gut wisse, daß die Königin in diesem Falle ihren Sohn sogleich vor sich berufen und ihm die Beschuldigung bekannt machen, daß letzterer natürlich alles läugnen, und daß der Angeber als Verräther betrachtet und hingerichtet würde. Dieß mag der Fall sein; aber die Ergebenen und Günstlinge der Königin können den Namen des Prinzen ganz bei Seite gelassen und blos die Herren Lambert und Laborde oder einige der übrigen Verschworenen angegeben haben. Und Ergebene und Günstlinge hat die Königin trotz ihres egoistischen und grausamen Charakters in großer Menge; sie weiß sich dieselben unter den einflußreichsten Großen des Landes zu verschaffen, obgleich sie ihnen nicht den geringsten Gehalt gibt. Sie macht ihnen Ländereien und Sklaven zum Geschenk oder, was noch von größerem Werth ist, sie weist ihnen unter dem Titel: »Aides de camp« Hunderte von Leuten zu, welche alle Dienste gleich Sklaven zu verrichten haben und dafür weder Lohn noch Kost erhalten. So hat der gegenwärtige Chef der Armee, der Fürst Raharo, 800 solcher Aides de camp beständig in seinem Befehle; sein Vater, der ebenfalls Chef der Armee war, hatte deren gar 1500.

21. Juni. Heute sagte uns der Prinz Rakoto, daß seine Mutter Herrn Lambert, sobald dessen Gesundheit hergestellt wäre, nebst mir in dem inneren Palaste empfangen werde, und daß sie sehr wünsche, uns beide zusammen tanzen zu sehen. Ein besonderes Vergnügen würde es ihr gewähren, wenn wir ihr irgend einen, ihr noch unbekannten Tanz zeigen wollten, deren wir als Europäer gewiß gar manche wüßten. Ihre Majestät erfreut sich in der That herrlicher Gedanken! Erst stempelt sie mich zur Konzertgeberin, jetzt soll ich Ballet-Tänzerin werden, und am Ende vielleicht gar noch Tanz-Lehrerin – ich, die ich in meiner Jugend schon wenig vom Tanzen hielt und selbst immer die größte Mühe hatte, die gehörigen Schritte und Figuren im Gedächtnisse zu behalten. Und Herr Lambert! – Welche Zumuthung für diesen noch jungen Mann, mit mir beinahe sechzigjährigen Frau einen Pas de deux aufzuführen! – Wir hatten auch beide keineswegs im Sinne, uns dieser lächerlichen Laune zu fügen, und da Herr Lambert gerade diesen Morgen wieder sehr fieberkrank geworden war und ich ebenfalls einen erneuerten Anfall dieser bösen Krankheit erlitt, so diente vor der Hand unser Unwohlsein zur Entschuldigung.

22. Juni. Heute bekamen wir sehr traurige Nachrichten. Die Königin hat von der Verschwörung Kenntniß erhalten. Wie uns unsere Freunde sagen, sucht man sie jedoch von der wahren Spur abzubringen und will ihr glauben machen, daß das Volk einen Regierungswechsel wünsche. Man soll ihr keine Namen von Einzelnen verrathen, sondern vorgegeben haben, daß jener Wunsch im allgemeinen unter dem Volke ausgesprochen worden sei.

Unsere Freunde mögen so gethan haben; aber unsere Feinde, deren Herr Lambert, wie ich schon früher bemerkte, in ziemlicher Anzahl besitzt, werden nicht dieselben Rücksichten beobachten, und gewiß ist leider, daß die Königin schon seit einiger Zeit Herrn Lambert im Verdacht hatte, denn sie äußerte heute gegen ihren Sohn, daß sie, als Herr Lambert so schwer am Fieber darnieder lag, das Sikidy (Orakel) befragt hätte, ob er etwas Böses gegen sie vorhabe, und wenn dem so wäre, ob er an dem Fieber sterben werde. Der Ausspruch des Sikidy sei gewesen, daß Herr Lambert, sollte er etwas Böses gegen die Königin vorhaben, dem Fieber jedenfalls erliegen würde. Da dieß nun nicht der Fall gewesen, d. h. er nicht gestorben sei, so könne er, wie sie meinte, auch nichts Böses gegen sie im Sinne haben.

Ist dieß die Wahrheit oder spricht die schlaue Frau nur so, in der Absicht, vielleicht dem Prinzen selbst etwas zu entlocken? Und wenn es auch die Wahrheit ist, kann sie das Orakel nicht zu wiederholten Malen befragen und kann dieses nicht eines schönen Morgens eine andere Antwort geben?

Auf jeden Fall ist, so viel ich glaube, unsere Sache verloren, und Gott weiß, was die Königin gegen uns ausbrüten mag! Das sind die Folgen von dem Zaudern des Prinzen, von seiner Unentschlossenheit! – Doch schon einige Male ist mir der Gedanke gekommen, und besonders das Benehmen des Fürsten Raharo läßt mich vermuthen, daß Verräther den Prinzen umgeben, die in alle seine Pläne scheinbar eingehen, aber blos um Kenntniß von ihnen zu erlangen und die Königin davon zu unterrichten, und daß man ihm vielleicht wie einem Kinde sein Steckenpferd läßt, aber stets von vorne herein die nöthigen Maßregeln trifft, dem prinzlichen Spiele, wenn es zu weit gehen sollte, Einhalt zu thun.

27. Juni. Diese Nacht starb der Marschall Fürst Razakaratrino, Schwager der Königin. Der Tod dieses großen Herrn wird mir Gelegenheit geben, manches Neue und Interessante zu sehen, denn die Beerdigung einer so hohen Person geht auf Madagaskar mit den größten Feierlichkeiten vor sich. Der Körper wird, nachdem er gewaschen ist, in rothe, aus einheimischer Seide gewobene Simbu's gehüllt, deren Zahl oft auf mehrere hundert steigt, und von welchen jeder wenigstens zehn Piaster kosten muß gewöhnlich aber viel theurer ist. So eingehüllt wird die Leiche in eine Art Sarg gelegt und in dem festlich ausgeschmückten Haupt-Gemache des Hauses unter einem Baldachin, ebenfalls von rother Seide, aufgestellt. Ringsumher kauern Sklaven, so nahe als möglich an einander gedrängt, und zum Zeichen der Trauer die Haare aufgelöst und die Köpfe ganz vorgebeugt; jeder von ihnen ist mit einer Klappe versehen, um die Fliegen und Musquito's von dem Verstorbenen abzuwehren. Diese kurzweilige Beschäftigung dauert Tag und Nacht fort, und da man eine so hohe Person oft erst nach einigen Wochen zu Grabe bringt, so werden die Sklaven stets abgelöst.

Während die Leiche unter dem Baldachin ausgesetzt ist, kommen Abgeordnete aus allen Kasten des Adels und aus allen Bezirken des Landes in Begleitung großer Züge von Dienern und Sklaven, um in ihren eigenen, ihrer Freunde und des Volkes Namen Beileids-Bezeugungen abzustatten. Jeder der Abgeordneten bringt, je nach seinem Vermögen und je nach dem Range und der Beliebtheit des Verstorbenen, eine kleinere oder größere Gabe an Geld mit, von einem halben bis zu 50 und mehr Thalern. Herr Laborde z. B. gab dieses Mal 20 Thaler in Geld und einen Simbu im Werthe von 25 Thalern. Diese Geschenke nimmt der nächste Verwandte des Verstorbenen in Empfang, und sie dienen zur Bestreitung der Beerdigungskosten, die sich oft sehr hoch belaufen, denn außer dem Ankaufe der vielen Simbus muß auch eine große Menge Ochsen geschlachtet werden. Sämmtliche Besucher und Abgeordnete verweilen nämlich bis an den Tag des Begräbnisses und werden sammt ihren Dienern und Sklaven auf Kosten der Erben ernährt. Währt die Aussetzung der Leiche einige Wochen, und ist die Zahl der Gäste groß, so kann man sich denken, was da verzehrt wird, um so mehr, als die Madagaskaren, Herren wie Sklaven, sobald es nicht auf eigene Kosten geht, zu den stärksten Essern der Welt zählen. So wurden, als der letzte Befehlshaber des Heeres, der Vater des Fürsten Raharo, starb, nicht weniger als 1500 Ochsen geschlachtet und verzehrt. Dieser Mann stand aber auch in der besonderen Gunst der Königin, und seine Leichenfeier soll eine der glänzendsten seit Menschengedenken gewesen sein. Er blieb drei Wochen lang ausgesetzt, und aus den entferntesten Gegenden des Reiches strömte Jung und Alt herbei, ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Was die Eßkunst der Madagaskaren anbelangt, so wurde mir erzählt, daß vier Eingeborene einen ganzen Ochsen in Zeit von 24 Stunden aufzehren können und nach einer solchen Herkules-Mahlzeit so leicht davon gehen, als hätten sie gerade nur den nothdürftigsten Hunger gestillt. Ich kann freilich meinen Lesern die Wahrhaftigkeit dieser Angabe nicht verbürgen, da ich nie Zeuge davon gewesen bin, und wenn ich die großen fetten Ochsen betrachte, welche bei ähnlichen Gelegenheiten geopfert werden, kommt mir die Heldenthat jedenfalls etwas übertrieben vor.

So eßgierig die Eingeborenen sind, wenn sie Gelegenheit dazu haben, so ertragen sie andererseits gleich den Wilden mit bewunderungswürdiger Geduld den größten Mangel, und können sich wochenlange von einer kleinen Portion Reis und einigen dünnen Streifen getrockneten Fleisches ernähren.

Wenn der Leichnam aus dem Hause getragen wird, müssen vor der Thüre einige getödtete Ochsen liegen, und die Leichenträger über deren Rücken schreiten.

Die Dauer der Aussetzung, so wie die Zeit der Trauer, werden von der Königin nach Belieben bestimmt; für diesen Marschall hatte sie erstere auf 4, letztere auf 10 Tage angesetzt. Wäre er ein näherer Verwandter der Königin, ein Bruder oder Onkel oder einer ihrer bevorzugten Günstlinge gewesen, so hätte man ihn nicht unter 10 bis 14 Tagen bestatten dürfen, und die Trauer wäre wenigstens auf 20 bis 30 Tage anbefohlen worden.

Der Geruch des Körpers soll nie arg sein, da er in so viele Simbus eingeschlagen ist.

Wir gingen selbst nicht mit dem Leichenzuge, sondern sahen ihn von Herrn Laborde's Hause aus; die Begleitung war überaus zahlreich, und es gab der Adeligen und Offiziere, der Frauen, Klageweiber und Sklaven in großer Menge. Alle, vom Höchsten bis zum Niedersten, trugen als Trauer die Haare aufgelöst. Sie sahen mit diesen aufgelösten Haaren so abscheulich, so abschreckend häßlich aus, wie mir noch nichts ähnliches, selbst unter den widerwärtigsten Völkern Indiens oder Amerika's, vorgekommen ist. Besonders die Weiber, die ihre Haare länger wachsen lassen als die Männer, glichen wahren Vogelscheuchen und Furien.

In der Mitte des Zuges kam der von mehr als 30 Menschen getragene Katafalk. Wie zu den Kostümen auf den Hofbällen, mochte man wohl auch zu seiner Anfertigung irgend einen Kupferstich zu Rath gezogen haben, denn er war ganz auf europäische Art errichtet und ausgestattet, mit dem einzigen Unterschiede, daß man ihn anstatt mit schwarzem Tuche, mit rothen und buntfarbigen Seidenstoffen überhangen hatte. Der Marschalls-Hut nebst anderen Adels- und Ehrenzeichen lag darauf, und an beiden Seiten gingen viele Sklaven mit Klappen, um die Fliegen von dem Katafalk abzuwehren.

Die Leiche wurde 30 Meilen weit nach einer Besitzung des Verstorbenen getragen, um dort begraben zu werden; ein großer Theil der Adeligen und Offiziere geleitete sie nur bis auf einige Meilen, viele jedoch trieben die Höflichkeit so weit, die ganze Reise mitzumachen.

Es gibt auf ganz Madagaskar keinen eigenen Ort, um die Todten zu beerdigen. Jene, die Grund und Boden besitzen, werden darauf bestattet, die Armen bringt man nach einem Orte, der niemanden angehört, und häufig wirft man sie hinter ein Gebüsch oder legt sie in irgend eine Vertiefung, ohne sich die Mühe zu geben, etwas Erde darüber zu werfen.

Als ich jenes wahrhaft europäische Begräbniß sah, dachte ich, wie bei vielen anderen Gelegenheiten, welch' sonderbares Land doch Madagaskar ist, wie viele grelle Widersprüche man bei diesem Volke findet. Kultur und Wildheit, Nachahmungssucht europäischer Sitten und Gebräuche von höchster Barbarei gehen hier Hand in Hand. – Wie in Europa findet man alle Adels-Titel von dem Fürsten bis zu dem einfachen Edelmann, alle Militär-Klassen von dem Feldmarschall bis zu dem Lieutenant; viele der Vornehmen gehen häufig in europäischer Kleidung, manche sprechen und schreiben englisch oder französisch; die Reichen speisen auf Silber und besitzen schöne, geschmackvoll eingerichtete Häuser. Weitere Nachahmungen unserer europäischen Gebräuche sind: die Etiquette, mit welcher die Königin ihre Person umgibt, der ceremonielle Prunk, den sie ihrem Hofstaate zu verleihen sucht, die feierlichen Ausflüge nach den Lustschlössern, die Bälle en Costume, die großen Festessen, die Begräbnisse hochgestellter Personen u. dgl. m.

Auch was die industrielle Bildung des Volkes betrifft, so ist sie in einzelnen Zweigen ziemlich vorgeschritten und bei gehöriger Anleitung und Aufmunterung könnte sie sehr bald auf eine höhere Stufe gelangen. Wie ich bereits bemerkt habe, liefern beispielsweise die Gold- und Silberschmiede wirklich so schöne Arbeiten, daß ich sie nicht genug bewundern konnte; die Seidenweberinnen verfertigen sehr hübsche Stoffe aus einheimischer Seide, und Herr Laborde in seinen verschiedenen Fabriken producirt mit inländischen Arbeitern alle Waffen, selbst kleine Kanonen, Pulver, Glas, Seife, Wachskerzen, Rhum und die feinsten Liqueure.

Nur hinsichtlich der Bildung des Geistes und des Herzens haben die Bewohner Madagaskar's die Europäer nicht nachzuahmen gesucht, und in dieser Beziehung stehen manche der wildesten Völker, die mit Europäern noch gar nicht in Berührung gekommen sind, wie z. B. die Dayak's auf Borneo, die Alforen auf Celebes, die Antropophagen in dem Innern Sumatra's und andere, hoch über den Hovas und Malegaschen. Es ist ein trauriges Zeichen, daß die letzteren gar keine Religion, nicht den geringsten Begriff von einem Gott, von der Unsterblichkeit oder auch nur von dem Vorhandensein der Seele haben. Die Königin verehrt zwar, wie man mir sagte, einige Haus-Götzen; sie legt aber ungleich mehr Werth auf die Aussprüche des Sikidy, und als ihr einst ein Missionär von der Unsterblichkeit der Seele sprach, soll sie ihn für verrückt gehalten und ihm laut in's Gesicht gelacht haben. Dem Volke ist es erlaubt, jeden beliebigen Gegenstand zu verehren, einen Baum, einen Fluß oder Fels, nur nicht Christus. An diesen zu glauben, ist strenge untersagt. Mit Ausnahme der wenigen, welche trotz des königlichen Verbotes die christliche Religion angenommen haben, glaubt indeß der größte Theil des Volkes an gar nichts, was mich um so mehr Wunder nimmt, als einige der auf Madagaskar lebenden Racen von den Arabern und Malaien abstammen, welche Nationen schon in den frühesten Zeiten Begriffe von Gott und Religion hatten.

Wie sehr wäre es zu wünschen, daß die Regierung in die Hände des Prinzen Rakoto käme! Ich bin überzeugt, dieses schöne Land würde dann in intellektueller, wie in materieller Beziehung die raschesten Fortschritte machen.

30. Juni. Als ich in den Vereinigten Staaten Nord-Amerika's war, glaubte ich, diese Republik sei das Land, in welchem die Frauen die größte Unabhängigkeit, die größte Freiheit in ihren Handlungen und Bewegungen hätten. Großer Irrthum! Hierher muß man kommen, nach Madagaskar, da führen sie ein noch ungleich freieres, ungebundeneres Leben. Von der Königin Ranavola will ich gar nicht sprechen; dieser gibt schon ihr Rang das Recht, nur den Eingebungen ihres Willens zu folgen; aber auch die anderen Frauen sind durchaus nicht solchen Anstands-Gesetzen unterworfen, wie die Europäerinnen. So kam z. B. Marie, die Geliebte des Prinzen Rakoto, mit dessen Wissen sehr häufig ganz allein in unser Haus, und zwar nicht nur, um Herrn Lambert Artigkeits-Besuche abzustatten, als er das Fieber hatte, sondern auch wenn er vollkommen wohl war. Schon einige Mal hatte sie an unserem Abendessen Theil genommen; so auch heute. Wir saßen eben bei Tische, als man ihr Söhnlein brachte. Ich hatte sie nie in kleinem Kreise mit ihrem Kinde zusammen gesehen, und da ich begierig war, die Aeußerung ihrer Gefühle zu beobachten, so ließ ich Mutter und Kind den ganzen Abend nicht aus den Augen. Beide verhielten sich jedoch so kalt, als hätten sie sich gar nicht gekannt, viel weniger einander angehört. Als das Kind in das Zimmer trat, begrüßte es nicht einmal seine Mutter, sondern ging gleich auf den Tisch zu, wo man ihm an der Seite Herrn Lambert's Platz machte, und während des ganzen Abendessens wechselten Mutter und Kind weder Blick noch Wort, obgleich sie nur durch Herrn Lambert von einander getrennt waren.

Die Versicherungen des Herrn Laborde und der anderen auf Madagaskar lebenden Europäer, daß unter den Eingeborenen viel Liebe zwischen Eltern und Kindern herrsche, daß es aber nicht Sitte sei, selbe zur Schau zu tragen, kann ich nicht glauben, wenn ich eine solche Gleichgiltigkeit sehe. Eine Mutter, die wirklich Zuneigung zu ihrem Kinde fühlt, ist gewiß nicht im Stande, einer solchen Sitte in solchem Grade zu huldigen, und keinen Falls wird sie sich so beherrschen können, um nicht wenigstens von Zeit zu Zeit einen liebevollen Blick auf ihr Kind zu werfen. Uebrigens war die Beobachtung, die ich heute Abend machte, nicht die einzige; während der ganzen Dauer meines Aufenthaltes in Madagaskar ist mir auch nicht eine zärtliche Mutter, auch nicht ein seine Eltern liebendes Kind zu Gesicht gekommen.

2. Juli. Was wird noch aus uns werden! Die Verschwörung scheint nicht mehr ausführbar zu sein, denn seit dem Tage, an welchem der Befehlshaber der Armee sich geweigert hat, die Thore des Palastes zu öffnen, fällt einer der Verschworenen nach dem anderen ab, und Verräther und Spione umgeben uns von allen Seiten. Schon seit dem 20. Juni verkehrt beinahe niemand mehr mit uns, man betrachtet uns halb und halb als Staats-Gefangene; wir sind unter diesen Verhältnissen gezwungen, den ganzen Tag über in unseren Häuschen zu verbleiben und können es nicht wagen, einen Fuß über die Thürschwelle zu setzen.

Der sicherste Beweis, daß die Königin von der Verschwörung genau unterrichtet ist, und daß sie sich nur ihres Sohnes halber, den sie ungemein liebt, den Anschein geben will, als wisse sie nichts davon, liegt darin, daß sie vor einigen Tagen bei Todesstrafe verboten hat, gegen letzteren die geringste Beschuldigung laut werden zu lassen, oder ihr mitzutheilen.

Dieser Zug ist der ihrer Race eigenthümlichen Schlauheit und Feinheit vollkommen würdig. Nachdem sie alle nöthigen Maßregeln getroffen und sich davon überzeugt hat, daß die Macht der Verschworenen gebrochen ist, und daß ihr keine Gefahr mehr droht, sucht sie dem Volke gegenüber das Vergehen ihres Sohnes zu bemänteln.

3. Juli. Der heutige Tag brachte Jammer und Schrecken über die ganze Stadt. Am frühen Morgen wurde dem Volke verkündigt und anbefohlen, sich zu einer bestimmten Stunde auf dem Bazar einzufinden, um einem daselbst abzuhaltenden großen Kabar beizuwohnen. Eine solche Verkündigung erfüllt das Volk stets mit Angst und Entsetzen, denn es weiß aus trauriger, oft gemachter Erfahrung, daß Kabare nichts anderes bedeuten als Quälereien, Verfolgungen und Todesstrafen. Es gab ein Geheul und Lärmen, ein Fliehen und Laufen in den Straßen, als wäre die Stadt von einem feindlichen Heere überfallen worden, und im Grunde genommen, hätte man dieses glauben mögen, denn Truppen besetzten alle Ausgänge der Stadt, und die armen Leute wurden von den Soldaten mit Gewalt aus ihren Häusern und Verstecken gerissen und nach dem Bazar getrieben.

Wir Europäer, in unserem Hause verschlossen, sahen nur wenig von diesen Scenen, Herrn Laborde ausgenommen, welcher bei der Beliebtheit, die er unter allen Ständen genoß, es noch immer ungescheut wagen konnte, seinen gewohnten Beschäftigungen nachzugehen. Voll banger Erwartung harrten wir seiner Rückkehr. Er kam bleich und aufgeregt nach Hause und erzählte uns, daß dieser Kabar von allen jenen, deren Zeuge er während seines Aufenthaltes in Tananariva gewesen, der grausamste und folgenschwerste sei. Der größte Theil der Bevölkerung der Stadt, Männer, Weiber und Kinder seien auf dem großen Platze versammelt worden, und das Fürchterlichste erwartend, habe jeder zitternd auf den königlichen Befehl gehorcht, welchen einer der Beamten mit lauter Stimme verkündigte.

Die königliche Mittheilung lautete: Die Königin habe schon lange die Vermuthung gehabt, daß es noch viele Christen unter ihrem Volke gebe. Vor einigen Tagen habe sie Gewißheit darüber erlangt und mit Entsetzen vernommen, daß deren in und um Tananariva allein mehrere Tausend lebten. Jedermann wisse, wie sehr sie diese Sekte hasse und verabscheue, wie strenge sie die Annahme dieser Religion verboten habe; da man ihre Befehle so wenig achte, werde sie alle Mittel anwenden, die Schuldigen zu entdecken und sie mit der größten Strenge zu bestrafen. Die Dauer des Kabars wurde auf 15 Tage angesetzt und dem Volke zum Schluß mitgetheilt, daß diejenigen, welche sich während dieser Zeit selbst angäben, das Leben geschenkt erhalten, jene dagegen, welche angezeigt wurden, auf die schrecklichsten Todesarten gefaßt sein sollten.

Ich glaube kaum, daß nach der Erfahrung, welche die Leute in diesem halben Jahre gemacht haben, sich irgend jemand freiwillig angeben dürfte. Meine Leser werden sich des ähnlichen Falles erinnern, den ich unter den von der Königin begangenen Grausamkeiten angeführt habe, in welchem die Unglücklichen, die sich selbst angaben, zwar dem königlichen Versprechen gemäß nicht hingerichtet, aber in schwere Ketten geschlagen wurden und kümmerlich verkamen. Und damals handelte es sich nur um Zauberei, Diebstahl, Grabesschändung und andere Verbrechen, die in den Augen der Königin viel geringer sind, als jenes, die christliche Religion angenommen zu haben. Für die unglücklichen Bekenner des Christenthums würde sie gewiß noch ungleich stärkere Qualen ersinnen.

Wer sollte es glauben, daß der Verräther, der Angeber der Christen, selbst ein Christ, und noch dazu eine Art Priester war, den die englischen Missionäre mit dem Titel: »Reverendissimus« beehrten! Dieser erbärmliche Mensch heißt Ratsimandisa, gehört zu dem Stamme der Hovas, ist in Tananariva geboren und hat eine halb-europäische Erziehung genossen, die aber leider keinen Einfluß auf die Veredlung seines Herzens und seiner Gesinnung ausübte. In der Absicht, das Wohlwollen der Königin zu gewinnen, und auf eine große Belohnung hoffend, gab er vor, die christliche Religion nur scheinbar angenommen zu haben, um alle Christen kennen zu lernen und so der Königin Gelegenheit zu geben, sie mit einem Schlage zu vernichten. Er hatte auch wirklich ein vollständiges Namens-Verzeichniß der in und um Tananariva lebenden Christen verfertigt. Glücklicher Weise kam es ihm nicht in den Sinn, eine Audienz bei der Königin zu verlangen, um ihr dieses Namens-Verzeichniß persönlich zu übergeben. Er händigte es einem der Minister ein, welcher zufällig zu der Parthei des Prinzen Rakoto gehörte und einer seiner treuesten Anhänger war. Dieser Mann wollte ein so wichtiges Dokument der Königin nicht überreichen, ohne den Prinzen erst davon in Kenntniß zu setzen. Kaum hatte letzterer dessen Inhalt gelesen, so zerriß er es in Stücke und erklärte, daß er denjenigen, der sich unterstünde, ein zweites Verzeichniß zu machen, oder es auch nur anzunehmen, um es der Regierung vorzulegen, augenblicklich hinrichten lassen würde. Dadurch wurde freilich einigen Tausenden von Christen das Leben gerettet. Sie gewannen Zeit und konnten fliehen, was auch die meisten thaten; aber in den wilden, unwirthbaren Wäldern, in welchen es ihnen allein möglich ist, sich zu verbergen, ohne Obdach, ohne Nahrungsmittel, muß die Mehrzahl der Armen dem Hunger und dem Elend erliegen.

Um ihr Unglück zu vergrößern, war gerade kurze Zeit vor dem Verrathe Ratsimandisa's ein englischer Missionär, Herr Lebrun von Mauritius, auf einige Tage nach Tamatave gekommen und hatte von da aus an mehrere Christen in Tananariva Briefe geschrieben, in welchen er sie aufforderte, dem Christenthum treu zu bleiben, und der Versicherung zu glauben, daß die Zeit der Verfolgung nicht mehr lange währen könnte, daß bald bessere Zeiten für sie kämen. Den Aermeren wurde überdieß noch Geld versprochen und, wie man mir sagte, theilweise auch gegeben. Einige dieser Briefe gelangten leider der königlichen Regierung in die Hände; andere wurden bei den Untersuchungen in den Häusern der des Christenthumes verdächtigen Personen gefunden, und da in den Schriften mehrere Namen von Christen vorkamen, an welche der Missionär durch den Empfänger des Briefes Grüße oder Botschaften sandte, so konnte man die Kompromittirten festnehmen. Die Unglücklichen wurden wie zur Zeit der Inquisition in Spanien auf alle denkbare Art gemartert und zur Angabe der ihnen bekannten Christen gebracht. Auf diese Weise gelang es der Regierung, gleich in den ersten Tagen eine ziemliche Anzahl zu verhaften.

4. Juli. Herr Lambert erlitt wieder einen Rückfall des Fiebers, und zwar einen so starken, daß wir sehr um sein Leben besorgt waren. Auch mit meiner Gesundheit geht es nicht gut; ich habe zwar keine so heftigen Anfälle des Fiebers wie Herr Lambert; allein ich kann es nicht los werden, und meine Kräfte schwinden von Tag zu Tag.

6. Juli. Schon über 200 Christen sollen in den wenigen Tagen seit der Verkündung des Kabars theils angegeben, theils aufgespürt worden sein. Man sucht überall nach ihnen, man dringt in jedes Haus – wer nur immer des Christenthums verdächtig ist, sei es Mann, Weib oder Kind, wird von den Soldaten aufgegriffen und nach den Gefängnissen geschleppt.

Wenn der Umsturz der Regierung nicht bald stattfindet und man dieser Megäre nicht die Macht aus den Händen reißt, bevor die angesetzten 15 Tage um sind, werden schauderhafte Gräuelthaten und Hinrichtungen stattfinden! Herr Lambert und Herr Laborde scheinen zwar trotz aller eingetretenen Hindernisse die Hoffnung nicht zu verlieren und halten den beabsichtigten Staatsstreich noch immer für ausführbar, auch ich wünschte es von ganzem Herzen, und, man möge es mir glauben, nicht so sehr, weil mein eigenes Leben dabei mit auf dem Spiele steht, als meiner zahlreichen Glaubensgenossen und des ganzen Volkes halber, welches unter der gewiß mildthätigen Regierung des Prinzen Rakoto zu einem neuen Leben erwachen würde. Aber leider kann ich die Hoffnung meiner Gefährten nicht theilen. Wie die Verhältnisse gegenwärtig stehen, sehe ich keine Möglichkeit des Gelingens. Der Oberbefehlshaber der Armee ist nicht dazu zu bringen, und hat meiner Meinung nach wohl überhaupt nie die Absicht gehabt, sein gegebenes Versprechen zu halten und den Verschworenen die Thore des königlichen Palastes zu öffnen; die Gegner des Prinzen Rakoto gewinnen mit jedem Tage an Macht, und an eine Volks-Revolution ist nicht zu denken. Die armen Madagaskaren sind zu gedrückt und unterwürfig; sie haben noch zu viel Ehrfurcht vor der Macht der Königin, vor dem Einfluß des Adels und des Militärs, als daß man sie bewegen könnte, etwas dagegen zu unternehmen.

7. Juli. Die Königin ist davon unterrichtet worden, daß Herr Lambert einen gefährlichen Rückfall des Fiebers bekommen hat, und sie sendet fünf bis sechsmal des Tages vertraute Offiziere, aber jedesmal andere, sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Die Offiziere verlangen stets in sein Zimmer geführt zu werden und ihn zu sehen. Wahrscheinlich haben sie den Auftrag, sich zu überzeugen, ob seine Krankheit eine wirkliche oder eine scheinbare sei. Ihre Majestät scheint den Tod des Herrn Lambert nicht erwarten zu können.

Der Prinz Rakoto ist seit drei Tagen nicht mehr zu uns gekommen. Die Königin, seine Mutter, hält ihn so gut wie gefangen; sie läßt ihn nicht von ihrer Seite, unter dem Vorwand, daß ihr große Gefahr drohe, und sie seines Schutzes bedürfe. Durch diese wirklich ganz feine Politik erreicht sie einen doppelten Zweck. Auf der einen Seite läßt sie dadurch ihren Sohn als theilnahmslos an der Verschwörung erscheinen, auf der anderen benimmt sie ihm die Gelegenheit mit seinen Mitverschworenen in Verbindung zu treten und von diesen vielleicht zu einem entscheidenden Schritte verleitet zu werden. Auch andere Vorsichts-Maßregeln hat sie getroffen. Der Palast ist mit dreifacher Wache umgeben, niemand darf nahe an demselben vorübergehen, und in das Innere werden nur diejenigen gelassen, welche als der Königin vollkommen treu und ergeben bekannt sind.

8. Juli. Unser Gefängniß schließt sich immer enger und enger, und unsere Lage fängt an wirklich sehr kritisch zu werden. Wir haben so eben erfahren, daß seit gestern Abend ein königlicher Befehl jedermann ohne Ausnahme bei Todesstrafe untersagt, unser Haus zu betreten. Herr Laborde wagt es nun auch nicht mehr, sich auf der Straße zu zeigen. Was mich sehr wundert, ist, daß man unseren Sklaven noch erlaubt, nach dem Bazar zu gehen, um die nöthigen Einkäufe zu besorgen. Ohne Zweifel wird es damit ebenfalls bald ein Ende haben, und wenn ich mich nicht irre, mag der Augenblick nicht ferne sein, wo die Königin die Maske abwerfen, uns öffentlich für Verräther erklären und unser Haus von Soldaten umgeben und vollkommen absperren lassen wird. Niemand kann wissen, was dieses Weib mit uns im Sinne hat, und im Hinblick auf ihren Charakter haben wir sicherlich nichts Gutes zu erwarten. Sind wir einmal Gefangene, so kann sie uns leicht durch vergiftete Lebensmittel oder auf irgend eine andere Art aus der Welt schaffen.

Wie uns unsere Sklaven sagen, sind mehr als 800 Soldaten mit der Aufsuchung der Christen beordnet; sie durchstöbern nicht nur die ganze Stadt, sondern streifen auch 20 bis 30 Meilen weit in dem Lande umher, sollen aber glücklicher Weise nur wenig Gefangene machen. Alles flieht nach den Gebirgen und Wäldern, und zwar in solcher Anzahl, daß kleine Abtheilungen von Soldaten, welche die Fliehenden verfolgen und einzufangen suchen, von letzteren in die Flucht geschlagen werden.

9. Juli. Auch heute erhielten wir Nachrichten von der Christen-Verfolgung. Die Königin hat erfahren, daß bis jetzt verhältnißmäßig nur sehr wenige Gefangene eingebracht worden sind. Sie soll darüber auf das höchste erzürnt gewesen sein und in größter Wuth ausgerufen haben, man müsse die Eingeweide der Erde durchwühlen, Flüsse und Seen mit Netzen durchfischen, damit auch nicht einer dieser Verbrecher an den königlichen Gesetzen der Strafe entgehe! – Diese hochtrabenden Worte, die erneuerten strengen Befehle, die sie den mit der Verfolgung der Christen beauftragten Offizieren und Soldaten ertheilt, haben aber, Gott sei es gedankt, keinen großen Erfolg, und wie aufgebracht wird Ihre Majestät werden, wenn sie hört, daß es den Bewohnern ganzer Ortschaften gelungen ist, sich ihrem Zorne durch rechtzeitige Flucht zu entziehen! So geschah es vor wenigen Tagen in dem Dorfe Ambohitra-Biby, 9 Meilen von Tananariva. Als die Soldaten ankamen, fanden sie nichts als die leeren Hütten.

Heute Mittag wurde neuerdings ein großer Kabar auf dem Marktplatze abgehalten. Die Königin ließ dem Volke verkünden, daß alle diejenigen, welche den Christen zur Flucht behilflich oder ihnen daran nicht hinderlich wären, oder sie zu verbergen suchten, die Todesstrafe zu erleiden hätten, daß dagegen jene, welche Christen verriethen, einbrächten oder an der Flucht verhinderten, das besondere Wohlwollen der Königin gewinnen, und als Belohnung in der Folge, wenn sie selbst irgend ein Verbrechen begingen, entweder gar nicht, oder nur sehr geringe bestraft werden würden.

Auch ein Truppen-Korps von 1500 Mann wurde heute abgeschickt, und zwar nach dem Distrikte I-Baly an der Ostküste. Dieser ausgedehnte Distrikt ist von Seklaven bewohnt und nur zum Theil der Königin Ranavola unterworfen. In einem Dorfe des unabhängigen Theiles leben schon seit drei oder vier Jahren fünf katholische Missionäre, welche daselbst eine kleine Gemeinde gegründet haben. Die Königin ist darüber natürlicher Weise sehr erzürnt, um so mehr, als sie in ihrer Anmaßung, Beherrscherin der ganzen Insel zu sein, vor einiger Zeit das Gesetz gegeben hat, daß alle jene Weißen getödtet werden sollten, welche in Madagaskar an einem Orte landeten oder wohl gar verweilten, an dem sich kein Posten von ihren Hovas-Soldaten befände. Diesem Gesetze zufolge will sie nun die Missionäre gefangen nehmen und hinrichten lassen.

Ich glaube kaum, daß die Liebe der Sklaven zu den Missionären so groß ist, daß sie deren Auslieferung verweigern und sich ihretwegen einem Kriege mit einem so mächtigen Feinde wie die Königin Ranavola aussetzen. Selbst wenn sie es thäten, wäre natürlich nicht die geringste Aussicht auf einen guten Erfolg vorhanden. Wir hegen jedoch die Hoffnung, daß die Truppen zu spät kommen und die Missionäre den Ort schon vor ihrer Ankunft verlassen haben werden, denn der Prinz Rakoto hat schon vor einiger Zeit einen zuverlässigen Boten an sie gesandt, um sie von der ihnen drohenden Gefahr zu unterrichten.

Obwohl der Prinz Rakoto noch immer so gut wie gefangen ist und uns nicht besuchen kann, so vergeht doch selten ein Tag, ohne daß wir Nachrichten von ihm erhalten, und ohne daß er uns von allem in Kenntniß setzt, was die Königin und ihre Minister gegen uns vorhaben. Der Prinz hat vertraute Sklaven, ebenso Herr Laborde. Diese begegnen sich anscheinend zufälliger Weise auf dem Bazar oder auf anderen Orten und theilen sich ihre gegenseitigen Botschaften mit. So ließ er uns heute sagen, die Königin habe den Befehl gegeben, an einem der folgenden Tage unser Haus zu durchsuchen, und zwar unter dem Vorwande, daß allgemein behauptet würde, es seien da entflohene Christen versteckt, in der That aber, um unsere Papiere und Schriften in Beschlag zu nehmen. Wir verbargen diese natürlich augenblicklich so gut wie wir konnten.

Auch haben wir erfahren, daß sich die Königin in den letzten Tagen viel mit uns beschäftigt und lange Sitzungen mit ihren Ministern gehalten hat, in welchen berathen wurde, was mit uns anzufangen sei. Nach ihrem Sinn hätte sie uns schon lange in die andere Welt geschickt; aber sechs Europäer auf einmal zu tödten, erscheint ihr doch etwas zu gewagt, und sie soll gegen ihren Premier-Minister, der gleich von Anfang an mit Entschiedenheit für unseren Tod stimmte, geäußert haben, der einzige Grund, welcher sie davon abhalte, sei dieser, daß eine solche Strenge gegen so bedeutende Personen, wie wir zu sein schienen, die Europäer veranlassen könnte, sie mit Krieg zu überziehen. (Glückliche Irrthümer! Der erste, daß sie uns für bedeutende Personen hält – der zweite, daß sie meint, einer europäischen Macht wäre an einigen Menschenleben so viel gelegen; – ja, wenn es sich noch um eine große Summe Geldes handelte!) Doch sei es wie es wolle, unser Leben steht jedenfalls in großer Gefahr, denn es liegt in der Hand eines Weibes, das von wilden Leidenschaften beherrscht, jeden Augenblick sich hinreißen lassen kann, alle Rücksichten bei Seite zu setzen. Sollte uns das Leben geschenkt werden, so fürchte ich eine lange Gefangenschaft. Uns nur des Landes zu verweisen, genügt der Königin wohl nicht, sonst hätte sie es schon längst gethan.

10. Juli. Heute wurden plötzlich unsere Thore geöffnet und ungefähr ein Dutzend hoher Offiziere nebst vielem Gefolge traten in den Hof. Wir dachten, sie kämen, um die uns von dem Prinzen angezeigte Hausuntersuchung abzuhalten; aber zu unserem größten Erstaunen erklärten sie Herrn Lambert, daß die Königin sie sende, um die kostbaren Geschenke zu übernehmen, welche er für sie und für ihren Hof mitgebracht habe.

Herr Lambert ließ augenblicklich die Kisten herbeischaffen und auspacken. Die darin enthaltenen Gegenstände wurden je nach ihrer Bestimmung in große Körbe gelegt, welche die von den Offizieren mitgebrachten Sklaven sofort nach dem königlichen Palaste trugen. Einige der Offiziere begleiteten die Träger; die übrigen traten in unseren Empfangs-Saal, unterhielten sich wenige Augenblicke mit den Herren Lambert und Laborde und empfahlen sich dann auf das höflichste.

Bei dieser Gelegenheit sah ich selbst erst alle diese Herrlichkeiten etwas genauer.

Die Kleider, deren Herr Lambert eine große Menge für die Königin, für ihre Schwestern und andere weiblichen Verwandten mitgebracht hatte, waren wirklich sehr schön. Herr Lambert hatte sie in Paris nach den Mustern jener der Kaiserin von Frankreich von derselben Kleidermacherin, welche für die letztere arbeitet, verfertigen lassen. Es gab einzelne darunter, welche über 300 Thaler gekostet hatten. Jedem Kleide waren die dazu passenden Schärpen, Bänder, Kopfputz-Zeuge, mit einem Worte alle zu einer vollständigen Toilette gehörigen Gegenstände beigefügt.

So ausgestattet mögen sich die glücklichen Damen, welchen dieser Putz beschert ist, noch ungleich lächerlicher ausnehmen, als jene, die an dem Kostüme-Ball Theil genommen hatten. Ich sehe sie in Gedanken mit ihren plumpen Gestalten und dem entenartigen Gange in diesen tief ausgeschnittenen Staatskleidern mit langer Schleppe und kurzen Aermeln! – Und der feine, zarte Kopfputz, hinten auf der Höhe einer dieser wolligen Natur-Perücken hängend – wie neckisch und reizend! – Wahrlich, wenn Herr Lambert vorsätzlich darauf bedacht gewesen wäre, die Häßlichkeit der madagaskarischen Damen-Welt besonders herauszuheben, er hätte nichts passenderes finden können, als diese Putzsachen!

Nicht minder kostbar und zahlreich waren die Geschenke für den Prinzen Rakoto. Da gab es Uniformen, ebenso prachtvoll gemacht und mit denselben reichen Goldstickereien verziert, wie jene des Kaisers der Franzosen, Civil-Kleider von den verschiedenartigsten Stoffen, Formen und Farben, gestickte Battist-Hemden, Taschentücher, Fußbekleidung jeder Art und alle denkbaren Toilette-Gegenstände. Was aber am meisten die Bewunderung und wohl auch den Neid der versammelten Offiziere erregte, war eine reiche Pferdedecke sammt Sattel und Zubehör; die guten Leute konnten sich nicht satt daran sehen, und noch oben im Empfangs-Saale fragte mich einer von ihnen, ob in Frankreich der Kaiser allein eine so prachtvolle Pferdedecke besäße, oder ob auch die Offiziere deren hätten, – worauf ich mir den Scherz erlaubte, ihm zu erwidern, daß nur der Kaiser allein sich einer so reichen Decke bediene, daß er sie aber, wenn sie abgenutzt sei, einem seiner Lieblinge schenke, und sich eine neue machen lasse. Vielleicht schließt sich dieser Mann nun der Parthei des Prinzen an, in der Hoffnung, dessen Liebe und mit ihr in der Folge die Pferdedecke zu gewinnen.


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