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[VII]

Die Zuckerrohr-Pflanzungen. – Die indischen Arbeiter. – Ein Prozeß. – Der botanische Garten. – Pflanzen und Thiere. – Sonderbares Denkmal. – Der Wasserfall. – Mont Orgueil. – Trou du cerf. – Die Kreolen und die Franzosen. – Abschied von Mauritius.

 

Die größten Zuckerrohr-Pflanzungen sind in dem Distrikte von Pamplemousse, in welchem zu gleicher Zeit der botanische Garten liegt. Ich besuchte die Pflanzung Monchoisy, Herrn Lambert gehörend. Der Direktor, Herr Gilat, war so gefällig, mich auf den Feldern und in den Gebäuden umherzuführen und mir über die Pflanzungen und über die Verarbeitung des Zuckerrohres eine so faßliche Erklärung zu geben, daß ich mich bemühen will, seine Worte so viel wie möglich zu wiederholen.

Das Zuckerrohr wird nicht durch Samen erzielt, sondern man pflanzt Stücke des Rohres. Das erste Rohr braucht zur Reife 18 Monate. Da aber während dieser Zeit der Hauptstamm bereits Sprößlinge erzeugt, so findet jede der folgenden Ernten schon nach 12 Monaten statt. Man kann derart in 4½ Jahren vier Ernten abhalten. Nach der vierten Ernte muß das Feld vollkommen vom Rohre gereinigt werden. Ist das Land Urland, d. h. ist vorher nichts darauf gepflanzt gewesen, so kann man sogleich wieder frisches Rohr einlegen und auf diese Art in neun Jahren acht Ernten machen. Im entgegengesetzten Falle baut man nach der Reinigung vom Rohre Ambrezades an – eine Pflanze, welche reichbeblätterte Gesträuche von 8 bis 9 Fuß Höhe bildet und deren beständig abfallende Blätter verfaulen und den Dünger ersetzen. Nach zwei Jahren wird das Gebüsch ausgerottet und das Pflanzen des Rohres geht von neuem an.

Seit ungefähr zehn Jahren hat man auch schon hie und da die Felder mit Guano gedüngt und dadurch die besten Resultate erlangt. Auf gutem Boden soll man bis 8000 Pfund pr. Acre und auf schlechtem, der sonst höchstens 2000 Pfund gibt, bis zu 4000 erzielt haben.

Sehr erstaunt war ich, die schönen ausgedehnten Ebenen von Pamplemousse mit großen Lava-Felsstücken übersäet zu sehen. Man sollte glauben, daß da gar nichts gedeihen könne; aber gerade diese Eigenthümlichkeit des Bodens ist dem Zuckerrohre günstig, welches keine lange Trockenheit verträgt. Man pflanzt es zwischen die Felsentrümmer, wo sich in den Ritzen, Löchern und Vertiefungen das Regenwasser sammelt und der Boden lange seine Feuchtigkeit behält.

Wenn das Rohr reif geworden ist und die Ernte beginnt, wird jeden Tag nur so viel abgeschnitten, als Presse und Siederei verarbeiten können. Der Saft im Rohre verdirbt bei großer Hitze zu schnell. Das Rohr wird mittelst zweier Walzen, die durch Dampf getrieben sind, derart ausgepreßt, daß es schließlich ganz flach gedrückt und vollkommen trocken zum Vorscheine kommt; es kann hierauf sofort zur Feuerung unter den Sudkessel verwendet werden.

Der Saft fließt nach und nach in sechs Kessel oder Pfannen, von welchen die erste am stärksten erhitzt wird; unter jeder der folgenden nimmt die Stärke des Feuers ab. In dem letzten Kessel ist der Zucker bereits auf 45 Prozente eingekocht. Er kommt sodann auf große hölzerne Tafeln, wo man ihn 4 bis 5 Stunden auskühlen läßt; hier verwandelt sich die Masse bereits in Krystalle von der Größe eines Stecknadelkopfes. Zum Schlusse gießt oder vielmehr schüttet man ihn in hölzerne Gefäße mit kleinen Löchern, durch welche der noch im Zucker enthaltene Syrup durchsickert. Zu dem ganzen Prozesse sind 8 bis 10 Tage nöthig. Bevor der Zucker verpackt wird, breitet man ihn auf großen Terrassen aus und läßt ihn einige Stunden in der Sonnenhitze trocknen. Er wird in Säcken zu 150 Pfunden verschifft.

Herrn Lambert's Zuckerpflanzung enthält 2000 Acres Land, von welchem aber natürlich immer nur ein Theil bepflanzt ist. Er hat 600 Arbeiter, die sieben Monate auf dem Felde, die übrigen fünf Monate mit der Ernte und dem Sude beschäftigt sind. In einem guten Jahre, das will sagen, wenn es viel regnet, wenn die Regenzeit früh eintritt und lange anhält, gewinnt Herr Lambert aus seiner Pflanzung drei Millionen Pfund Zucker; aber er ist auch schon mit 2½ Millionen sehr zufrieden. Hundert Pfund Zucker werden mit 3 bis 4 Thalern bezahlt.

Der stärkste Pflanzer auf Mauritius ist gegenwärtig ein Herr Rochecoute – er soll jährlich gegen 7 Millionen Pfund Zucker gewinnen.

Zucker und nichts als Zucker sieht man auf dieser Insel, auf Zucker bezieht sich jede Unternehmung, von Zucker handelt jedes Gespräch – man könnte Mauritius die Zucker-Insel nennen und in ihrem Wappen sollte sie ein Bündel Zuckerrohr mit einigen Zuckersäcken führen.

Während meines mehrwöchigen Aufenthaltes hatte ich Gelegenheit die Lage und die Verhältnisse der Arbeiter zu beobachten. Die Arbeiter, hier »Culis« genannt, kommen, wie ich bereits bemerkt habe, aus Bengalen, Hindostan und Malabar. Sie verdingen sich auf fünf Jahre und der Dienstherr gibt außer der Summe, welche er an die Regierung für die Ueberfahrt zu entrichten hat, jedem Arbeiter monatlich 2½ bis 3½ Thaler, 50 Pfund Reis, 4 Pfund getrocknete Fische, 4 Pfund Bohnen, 4 Pfund Fett oder Oel, Salz nach Bedarf und eine leere kleine Hütte zur Wohnung.

Die Lage des Arbeiters ist lange nicht so gut, wie jene des Dieners. Der Arbeiter hat auf dem Zuckerfelde, in den Siedereien schwer zu arbeiten und ist ungleich mehr der Willkühr seines Herrn ausgesetzt, den er vor Ablauf des Kontraktes nicht verlassen darf. Er kann freilich klagen, wenn er hart behandelt wird, Richter und Gesetze sind vorhanden; aber da die Richter leider häufig selbst Pflanzer sind, so findet der arme Arbeiter natürlich nur selten sein Recht. Auch muß der Arbeiter die Gerichte oft 8 bis 10 englische Meilen entfernt aufsuchen. An Wochentagen hat er keine Zeit hinzugehen und an Sonntagen sind sie geschlossen. Gelangt er einmal mit vieler Mühe bis zu dem Gerichte, so sind vielleicht gerade viele Geschäfte an der Tagesordnung, man kann ihn nicht anhören, er soll die 8 oder 10 Meilen wieder zurückgehen und an einem anderen Tage kommen. Dabei wird er, um ihm die Sache noch schwieriger zu machen, ohne Zeugen gar nicht vor Gericht gelassen. Wo soll er aber diese hernehmen? Keiner seiner Unglücksgenossen wagt es, ihm diesen Dienst zu leisten, – er fürchtet von seinem Dienstherrn dafür bestraft, vielleicht gar mißhandelt zu werden.

Ich will hier einen Fall erzählen, welcher sich während meiner Anwesenheit auf Mauritius ereignete:

Auf einer der Pflanzungen wollten zehn Arbeiter nach Beendigung ihres Kontraktes ihren Dienstherrn verlassen und zu einem anderen gehen. Der Pflanzer erfuhr dieß und drei Wochen vor dem Ablauf der Dienstzeit dieser Leute, überredete er zehn andere, die Papiere jener vor Gericht für die ihrigen auszugeben und den Kontrakt auf ein Jahr verlängern zu lassen. Dieß geschah in der That. Er ließ hierauf von den Unzufriedenen jeden einzeln vor sich kommen, zeigte die ausgefertigte Schrift und sagte ihm, daß er noch ein Jahr zu bleiben habe. Natürlich behaupteten die Leute, daß das nicht möglich sei, daß sie ja gar nicht bei dem Gerichte gewesen waren und die Schrift nicht einmal in Händen gehabt hätten. Der Pflanzer aber entgegnete ihnen, die Schrift sei vollkommen giltig, und wollten sie klagen, so würde man sie bei Gericht gar nicht anhören, im Gegentheile ihnen vielleicht noch eine körperliche Strafe ertheilen. Er seinerseits würde ihnen in diesem Falle den Lohn (welchen er ihnen seit fünf Monaten schuldete) nicht ohne Klage herausgeben.

Die Armen wußten nicht, was sie thun sollten. Glücklicherweise wohnte ganz in der Nähe ein hochgestellter Beamter, der allgemein als großer Menschenfreund bekannt war. Zu diesem gingen sie, erzählten ihm den Fall und baten um seinen Schutz, welchen er ihnen auch sogleich zusagte. Es kam zum Prozesse. Der ging jedoch sehr langsam von Statten, da keiner von des Pflanzers Leuten es wagte, Zeugenschaft abzugeben. Dieß wäre ihnen auch, wenn sie den Willen gehabt hätten, sehr schwer geworden, weil der Pflanzer während der ganzen Zeit des Prozesses seinen Arbeitern verbot auszugehen und sie strenge bewachen und mit niemanden verkehren ließ.

Im Verlauf von 2½ Monaten wurden fünf Sitzungen oder Verhöre abgehalten. Die ersten drei fanden in Gegenwart eines einzigen Richters statt, der noch dazu Pflanzer war. Der Beschützer der armen Kläger drang darauf, drei Richter aufzustellen, wie es das Gesetz vorschreibt und protestirte gegen den Einen, den seine Eigenschaft als Pflanzer parteiisch erscheinen lassen konnte. Da diese Forderung von einem hochgestellten Manne ausging und dem Gesetze entsprechend war, konnte man nicht umhin, ihr zu willfahren, und der erste Richter wohnte den zwei letzten Sitzungen blos bei, um über die früheren die nöthigen Erklärungen abzugeben.

In der fünften Sitzung wurde zwar der Prozeß zu Gunsten der Arbeiter entschieden, aber der Urtheilsspruch auf eine Art gegeben, wie ich dieß in einem unter englischer Regierung stehenden Lande nie erwartet hätte.

Der Richter oder Pflanzer, welcher in den ersten drei Sitzungen die Leute verhört hatte, erklärte, daß, als die zehn Leute zu ihm gekommen seien, er nicht wissen konnte, ob sie die wirklichen Eigenthümer der Papiere seien, denn beinahe täglich kämen Hunderte von Arbeitern mit ähnlichem Anliegen. Er hätte den neuen Kontrakt zu Papier gebracht, und zwar auf ungestempeltem Papier, da er gerade kein gestempeltes gehabt, und die Leute, von welchen keiner schreiben konnte, hätten Kreuze darunter gezeichnet. Später habe er den Kontrakt auf gestempeltes Papier schreiben lassen, weil er sonst nicht giltig gewesen wäre, und um die Leute nicht wieder vorzurufen, hätte sein Schreiber die Kreuze darunter gezeichnet. Da also die Leute nicht selbst die Kreuze auf das gestempelte Papier gezeichnet hätten, so sei der Kontrakt ungiltig und die Leute seien frei. Damit war der Prozeß entschieden.

Die Sache verhielt sich aber in Wirklichkeit ganz anders. Hätten die Arbeiter keinen einflußreichen Beschützer gehabt, so würde der Pflanzer-Richter den Prozeß zu Gunsten des Dienstherrn entschieden haben. Das Einschreiten des mächtigen Beamten zwang die Richter wenigstens zu einem Anscheine von Gerechtigkeit, und da nahmen sie ihre Ausflucht zu einer Fälschung, für welche in jedem anderen Lande Richter und Schreiber nicht nur ganz gewiß ihren Platz verloren, sondern wohl auch durch einige Jahre frei Kost und Wohnung und geschlossene Gesellschaft in einer gewissen öffentlichen Anstalt gefunden hätten.

Auch der Pflanzer ging straflos aus, obwohl er selbst nach dem auf Mauritius herrschenden, für die Pflanzer sehr rücksichtsvollen Gesetzen, wie man mir sagte, nebst einer Geldstrafe, ein Jahr Gefängniß verdiente.

Um seiner schönen Handlung die Krone aufzusetzen, betrog er noch die armen Arbeiter und zog ihnen den letzten Monatslohn ab, indem er vorgab, daß sie wenig gearbeitet und das Arbeitszeug theils zerbrochen, theils gestohlen hätten.

Dieser elende Mensch ist auf Mauritius sehr angesehen und wird in jeder Gesellschaft freundlich aufgenommen. Allerdings ist er reich, auch fehlt er nie in der Kirche und hier, wie an vielen Orten, haben die Leute über Reichthum und Religion ganz eigene Ansichten – Ansichten, die anständige Menschen nie verstehen werden.

Ich wollte das Gebiet von Pamplemousse nicht verlassen, ohne auch den botanischen Garten zu besehen, der unter der Leitung des sehr kenntnißreichen Botanikers und Direktors Herrn Duncan steht.

Kaum hatte ich mich mit diesem liebenswürdigen Manne, einem Schotten von Geburt, eine Viertelstunde unterhalten, so lud er mich auf das freundlichste ein, einige Tage in seinem Hause zuzubringen, um die in dem Garten enthaltenen Schätze mit Muße besichtigen zu können. Obwohl ich in Betreff der Einladungen auf Mauritius etwas vorsichtig geworden war, so konnte ich doch der gemüthlichen Miene Herrn Duncan's nicht widerstehen – ich blieb bei ihm und hatte es nicht zu bereuen. Herr Duncan machte wenige Worte; dagegen that er was er konnte, um mir den Aufenthalt in seinem Hause angenehm zu machen. Als er sah, daß ich Insekten suchte, half er mir persönlich und brachte mir jeden Augenblick etwas für meine Sammlung.

Mit ihm durchging ich zu verschiedenen Malen den botanischen Garten, der sehr reich an Pflanzen und Bäumen aller Weltgegenden ist. Hier sah ich zum ersten Mal Gewächse und Bäume, die aus Madagaskar stammen und dieser Insel eigenthümlich sind. Ich bewunderte darunter vorzüglich eine Wasserpflanze: Hydrogiton fenestralis, deren Blätter bei drei Zoll lang und über einen Zoll breit und ganz durchbrochen sind, wie wenn sie künstlich ausgeschlagen worden wären. Auffallend, aber nicht durch seine Schönheit, sondern durch seine Häßlichkeit ist ein Baum: Adansonia digitata genannt. Sein Stamm ist bis zur der Höhe von 8 bis 20 Fuß von gleichmäßiger, unförmlicher Dicke, dann wieder plötzlich dünn; die Rinde hat eine helle häßliche Farbe, ist ganz glatt und beinahe glänzend.

Außerdem gab es viele Gewürzbäume und einige Exemplare der reizenden Wasserpalme, die ich schon auf meiner zweiten Reise um die Welt in Batavia gesehen und beschrieben habe.

Ich bin keine Botanikerin und kann daher keine ausführliche Beschreibung dieses Gartens machen; aber sachverständige Leute haben mir gesagt, daß er äußerst sinnig und verständig angelegt sei. Sieht man die mannigfaltigen, zahllosen Gewächse, die ausgedehnten, mitunter sehr mühsam zu bearbeitenden Pflanzungen, so sollte man gar nicht glauben, daß Herr Duncan nur über ganz geringe Arbeitskräfte zu verfügen hat. Die Regierung bewilligt ihm blos 25 Arbeiter – Bengalen und Malebaren – die gewiß nicht so viel leisten, wie 8 oder 10 kräftige Männer in Europa.

Da ich gerade von den Pflanzen und Bäumen spreche, will ich auch der Früchte erwähnen, die man in Mauritius findet. Die gewöhnlichsten sind vielerlei Gattungen von Bananen und Mangos, Citschy, Butterfrüchte, köstliche Ananasse, Wasser- und Zucker-Melonen. Letztere gelangen hier zu einer ungewöhnlichen Größe (manche wiegen über 30 Pfund), haben aber wenig Geschmack. Pfirsiche sind häufig, bedürfen jedoch, um gut zu werden, einer sorgfältigen Pflege. Es gibt außerdem Granat-Aepfel von bedeutender Größe, Papaias und andere ähnliche Früchte. Ich habe dieselben alle ebenfalls bereits in meinen früheren Werken beschrieben und verweise daher meine Leser darauf.

Was das Thierreich anbelangt, so ist Mauritius so glücklich, weder reißende Thiere, noch giftige Reptilien zu besitzen. Die Tausendfüße, Skorpione sind klein; ihr Stich ist wohl schmerzlich, aber nicht gefährlich. Auch Ameisen gibt es hier viel weniger als in Indien oder Süd-Amerika. Ich konnte meine gefundenen Insekten oft halbe Tage lang auf dem Tische liegen lassen, ohne daß Ameisen hinzukamen, während dieß in anderen heißen Ländern stets schon nach wenigen Minuten der Fall war. Am lästigsten sind die Muskitos. Diese bringen den Fremden manchmal wirklich zur Verzweiflung. Ist man mehrere Jahre im Lande, so soll man, gleich den Eingeborenen, viel weniger davon leiden.

Der widerwärtige Kakerlak treibt wohl auch mitunter sein Unwesen, aber bei weitem nicht so arg, wie in anderen Ländern. Zwischen dem Kakerlak und der wunderschönen grünen Fliege, Sphex viridi-cyanea, sollen sehr interessante Gefechte vorfallen. Ich habe leider keines gesehen, sondern blos in der Reisebeschreibung des Herrn Bory de St. Vincent davon gelesen. Die Fliege umschwärmt den Kakerlak so lange, bis er, man möchte sagen, wie magnetisirt ohne alle Bewegung bleibt, dann packt sie ihn und schleppt ihn nach einem schon vorher dazu ausersehenen Loche, legt ihre Eier in seinen Körper, verstopft das Loch mit einer Art Cement, den sie bereitet und überläßt ihr Opfer der ihm aufgedrungenen Nachkommenschaft, von welcher es bald verzehrt wird.

Beinahe hätte ich vergessen, noch einer Merkwürdigkeit zu erwähnen, welche der Bezirk von Pamplemousse enthält. Es ist dieß ein Grabmal zur Erinnerung an die schöne Erzählung: »Paul und Virginie«, deren Schauplatz der Dichter Bernardin de St. Pierre auf diese Insel verlegte.

Schon war der Monat April herangerückt und außer meinem Ausfluge nach dem Bezirke von Pamplemousse und einigen kleinen Spazierfahrten in dem Distrikte von Mocca, war ich nicht weiter in Mauritius umhergekommen. Ich wollte doch die Insel nicht verlassen, ohne wenigstens die interessantesten Punkte zu besuchen, nur wußte ich nicht, wie ich dieß anfangen sollte. Da lud mich der freundliche Ober-Richter, Herr Satis, zu einer Partie nach dem Famarin-Wasserfalle ein. Auf dem Wege dahin kamen wir an dem Landhause Herrn Moon's vorüber, welchen Herr Satis gebeten hatte, mit seiner Familie an unserer Partie Theil zu nehmen.

Bald gelangten wir an den Wasserfall, der kaum eine kleine englische Meile von dem Landhause Herrn Moon's entfernt lag und hier, gerade dem Falle gegenüber, unter schattenreichen Bäumen, war durch Herrn Satis' Vorsorge ein reiches Frühstück bereitet.

Einen schöneren Platz konnte man wahrhaftig nicht finden. Wir lagerten auf einer Hochebene, 1160 Fuß über der Meeresfläche; uns zur Seite öffnete sich eine Schlucht von 800 Fuß Tiefe, welche hier oben mehr als 500 Fuß breit war und gegen das Meer hin immer enger wurde. In diese Schlucht stürzt der Fluß, sieben reizende Fälle bildend, von welchen zwei über 100 Fuß hoch sind. Er durchströmt in stürmischer Eile die mit der üppigsten Vegetation bekleidete Thalsohle und beschließt in der nahen See seine kurze, aber höchst bewegte Laufbahn. Noch ungleich großartiger soll dieß Bild nach lange anhaltendem Regen sein, wo sich die kleineren Fälle mit den großen verschmelzen und die ganze gewichtige Wassermasse blos in zwei Absätzen in die Tiefe stürzt.

Unvergeßlich bleibt mir dieser schöne Tag, aber nicht allein wegen des herrlichen Naturgenusses, sondern mehr noch wegen des Vergnügens, das mir die Bekanntschaft der liebenswürdigen Familie Moon machte. Ich wurde gleich so vertraut mit Frau Moon, daß es mir schien, als hätte ich sie schon lange gekannt, und eine große Freude war es für mich, als sie mir mit inniger Herzlichkeit anbot, einige Zeit bei ihr zu verweilen. Leider war die für meine Abreise nach Madagaskar festgesetzte Zeit schon ganz nahe; ich konnte nur drei Tage in ihrem Hause bleiben – drei glückliche Tage, die mich für manche erfahrene Täuschung entschädigten.

Ich lernte in Frau Moon nicht nur eine sehr liebenswürdige, sondern auch eine höchst gebildete Dame kennen; namentlich besitzt sie ein ausgezeichnetes Talent für Malerei. Auf Ersuchen der Direktion des britischen Museums hat sie für dasselbe alle 120 verschiedenen Mango-Gattungen, so wie auch die auf Mauritius vorkommenden medizinischen Pflanzen gemalt.

Herr und Frau Moon und ihr nicht minder gefälliger Verwandter, Herr Caldwell, waren gleich darauf bedacht, mir die Schönheiten ihrer Insel zu zeigen und schon den folgenden Tag führten sie mich nach dem Hügel »Orgueil,« von welchem man die reizendste Ansicht des Landes und der Gebirge genießt. Auf der einen Seite sieht man den »Morne Brabant« – einen Berg, der ganz in die See hinausgeschoben und mit dem Lande blos durch eine schmale Erdzunge verbunden ist; unfern von ihm den »Piton de la rivière noire,« den höchsten Berg der Insel (2564 Fuß). Auf einer anderen Seite thürmen sich der »Tamarin« und »Rempart« auf und wieder auf einer anderen liegt ein Berg mit drei hohen Spitzen »Les trois mamelles« genannt. Ganz in der Nähe dieser Spitzen öffnet sich ein tiefer Kessel, von dessen vier Wänden zwei beinahe ganz eingestürzt sind, während sich die beiden anderen steil und schroff erheben. Außer den bereits genannten Bergen sieht man noch den »Corps de garde du Port Louis de Mocca«, »le Pouce« (Daumen), dessen dünne Spitze plötzlich aus der Mitte eines kleinen Berg-Plateau's gleich einem Daumen oder Finger emporsteigt und den »Peter Booth.« Letzterer erhielt diesen Namen nach seinem ersten Besteiger. Seine Spitze wurde nämlich lange für unersteiglich gehalten. Peter Booth gerieth auf den Einfall, mittelst eines Pfeiles über die Spitze einen starken Bindfaden zu schießen, der auch glücklich auf der anderen Seite auf einen zugänglichen Ort fiel. An den Bindfaden band er ein starkes Seil, welches auf diese Art über die Spitze gezogen und auf beiden Seiten befestigt wurde, so daß Peter Booth sich daran fortwinden konnte und auf die Spitze und zu gleicher Zeit zu der Ehre gelangte, seinen Namen verewigt zu sehen. Den Schluß der Gebirge macht die »Nouvelle decouverte.«

Die Berge dieser Insel zeichnen sich durch ihre mannigfaltigen und schönen Formen aus. Die einen bilden breite, senkrecht abfallende Wände, die anderen steigen gleich Pyramiden in die Höhe; manche sind bis auf den Gipfel mit reichen Waldungen bedeckt, andere nur bis zur Hälfte, und die hohe Felsenspitze erhebt sich plötzlich glatt und kahl aus dem grünen Blätter-Meere. Schöne Thäler, tiefe Schluchten lagen dazwischen und ein wolkenloser blauer Himmel wölbte sich darüber – ich konnte mich an dem reizenden Bilde gar nicht satt sehen, und je länger ich es betrachtete, desto mehr Schönheiten entdeckte ich daran.

Unser folgender und leider letzter Ausflug galt dem »Trou du cerf« (Hirschloch), einem vollkommen regelrecht geformten Krater mit reicher Vegetation. Der Anblick dieses Kraters macht einen um so größeren Eindruck, als nichts sein Vorhandensein verräth und man ihn erst bemerkt, wenn man an seinem Rande steht. Obwohl die Wege steil abfallen, führt doch ein schmaler Pfad bis in die Tiefe, welche während der Regenzeit mit Wasser angefüllt ist.

Von dem Rande des Kraters hat man einen überraschenden Ueberblick auf drei Theile der Insel: man sieht die schönen Gebirge mit den üppigen Urwäldern, aus welchen die glatten, schroffen Felsenspitzen emporsteigen, die großen Ebenen mit den reichen Zuckerrohr-Pflanzungen, die das ganze Jahr über in frischem Grün prangen und die azurblaue See, deren brausende Wogen die Küste mit silberweißem Schaume bedecken – eine wahrhaft herrliche Landschaft, welcher blos einige Flüsse fehlen, um ihre Schönheit vollkommen zu machen.

Die Insel leidet zwar durchaus nicht an Wassermangel, ist aber zu klein, um einen wirklichen Fluß zu ermöglichen, was jedoch die Bewohner nicht hindert, einige der größeren Bäche mit diesem Namen zu belegen.

Mit großem Bedauern verließ ich die Familie Moon. Ihrer Gefälligkeit hatte ich es zu verdanken, daß ich die interessantesten Punkte von Mauritius besuchen konnte; ich sah in den letzten wenigen Tagen mehr, als in den langen vier Monaten, die ich bereits auf dieser Insel zugebracht hatte.

In den meisten Häusern, besondern bei den Kreolen, machte man wohl viele Worte, versprach mir das Blaue vom Berge, aber mit den Versprechungen war auch alles abgethan. Nicht die kleinsten Dienste erwies man mir, nicht eine jener Aufmerksamkeiten, welche einem Fremden ungleich mehr Vergnügen machen, als die Wohnung und Kost, die man ihm gibt und die er sich überall für Geld verschaffen kann. Noch viel weniger dachte man daran, Ausflüge, Partien nach schönen Punkten zu veranstalten. Die Leute selbst verstehen ja gar nicht, daß es ein Vergnügen ist, Naturschönheiten zu sehen. Sie begreifen nicht, daß man sich, um einen Berg, oder einen Wasserfall, oder eine schöne Aussicht zu bewundern, der kleinsten Ermüdung aussetzen kann.

Die Männer sind einzig und allein damit beschäftigt, in möglichst kurzer Zeit reich zu werden – ihr goldenes Kalb ist der Zucker und was mit diesem nicht in Verbindung steht, hat keinen Werth für sie. Nicht viel besser steht es mit den Frauen; diese besitzen zu wenig Bildung und dabei zu viel von jener Theilnahmslosigkeit, die man so häufig in südlichen Ländern findet, um an irgend einem ernsteren Gegenstande Interesse zu nehmen. Das Einzige, was sie beschäftigt (die Sorgfalt für ihre eigene, höchst werthe Person natürlich ausgenommen), ist, über andere Leute Verleumdungen anzuhören oder zu erfinden, und leider gibt es auch viele Männer, welche über diesem christlichen Vergnügen auf Augenblicke sogar ihren Zucker vergessen.

Ich entging dem allgemeinen Schicksale nicht. Die liebenswürdigen Bewohner und Bewohnerinnen von Port Louis gaben mich für nichts weniger als eine Giftmischerin aus; sie behaupteten, ich sei von der englischen Regierung erkauft worden, um Herrn Lambert zu vergiften.

Herr Lambert hatte nämlich für die Königin von Madagaskar sehr werthvolle Geschenke aus Paris mitgebracht und dabei die unverzeihliche Rücksichtslosigkeit begangen, nicht allen Leuten anzuvertrauen, was er durch diese Geschenke bezwecken wolle. Natürlich mußten es geheime politische Aufträge von Seiten Frankreichs sein; das hatte die englische Regierung erfahren, und da hatte sie mich dazu auserwählt, diesen gefährlichen Mann aus der Welt zu schaffen.

So sinnlos diese Erdichtung war, so fand sie doch unter den Kreolen und selbst unter den Franzosen vielen Anklang und ihretwegen wurde ich des Vergnügens beraubt, eine interessante kleine Reise zu machen.

Herr Lambert ging nämlich vor dem Antritt der Reise nach Madagaskar, im Auftrag der französischen Regierung nach Sanzebar und Mozambique, um daselbst Neger zu kaufen und nach der Insel Bourbon zu bringen. Es ist dieß eine neue Art gemilderten Sklavenhandels, welche Frankreich erfunden hat, und die von England geduldet wird. Der Neger ist blos während fünf Jahren Sklave und erhält von seinem Herrn außer Kost und Wohnung 2 Thaler monatlich. Nach fünf Jahren hat er die Freiheit – fortzuarbeiten oder Hungers zu sterben, wenn er nicht arbeiten will. Er kann sich diese Freiheit auch schon früher mit 50 Thalern erkaufen und sogar nach seinem Vaterlande zurückkehren, wenn er das hiezu nöthige Geld besitzt.

Da Herr Lambert meine Reisebegierde kannte und wußte, wie gerne ich jede Gelegenheit ergriff, neue Länder zu sehen, wollte er mich mitnehmen. Der französiche Agent erfuhr dieß und ging augenblicklich zu Herrn Lambert, um ihn zu ersuchen, mich ja nicht mitzunehmen, denn ich sei ganz gewiß von der englischen Regierung als Spionin angestellt.

Und woher kam dieser Haß der Kreolen und Franzosen gegen mich unbedeutendes Wesen? – Ich kann mir keinen anderen Grund denken als den, daß ich beinahe nur mit englischen Familien verkehrte. War es aber meine Schuld, daß die englischen Familien mich aufsuchten, mich, wenn ich ihren Einladungen folgte, auf die zuvorkommendste Weise behandelten? Warum thaten dieß die Franzosen nicht? – Alle Artigkeiten und Gefälligkeiten wurden mir von Engländern erwiesen; von den Franzosen nahmen sich blos die Herren Lambert und Genève meiner wirklich mit Wärme an. Die übrigen, so wie die Kreolen boten mir höchstens leere Versprechungen. Ich bekam, ich gestehe es aufrichtig, eine solche Abneigung gegen die französische Bevölkerung in diesem Theile der Welt, daß ich mich nicht entschließen konnte, die nahe Insel Bourbon zu besuchen, so gerne ich es sonst gethan hätte.

Wie froh bin ich, nicht mit Mauritius begonnen zu haben, als vor ungefähr 14 Jahren in mir die Reiselust erwachte. Da wäre letztere mir rasch vergangen und meine geduldigen Leser hätten manche langweilige Stunde erspart.

Freilich wurde ich in diesem Falle auch nicht nach Rußland gekommen sein und nicht erfahren haben, daß in diesem verrufenen Despoten-Reiche freisinnigere Einrichtungen herrschen, als in einer Kolonie des auf seine Fortschritte so stolzen England. – Und doch ist es so, wenigsten was das Paßwesen betrifft.

Verläßt man Petersburg oder irgend eine der größeren Städte Rußlands, um eine Reise anzutreten, so muß man dieß acht Tage zuvor anzeigen. Der Name des Reisenden kommt dreimal in die Zeitung, damit, wenn er Schulden hat, seine Gläubiger die nöthigen Maßregeln ergreifen können. Hier auf dieser großen umfangreichen Insel sind acht Tage viel zu wenig. Hier sind drei Wochen nöthig, oder man muß, wie ebenfalls in Rußland, einen Bürgen stellen.

Ich war so wenig darauf gefaßt, in einer englischen Kolonie eine so veraltete Einrichtung zu finden, daß ich mich um meinen Paß gar nicht bekümmerte. Einige Tage vor meiner Abreise bat ich, wie ich meinte, mehr zu meiner Erinnerung als aus Nothwendigkeit, den französischen Konsul um ein Visum.

Zufällig hörte ich denselben Tag bei Tische, daß dieß nicht genug sei, und daß man zur Abreise die Erlaubniß der Polizei haben müsse. Ich speiste bei Herrn O..., Associé des Herrn Lambert, und da gerade mehrere Herren meiner Bekanntschaft zugegen waren, ersuchte ich sie, einer von ihnen möchte die Güte haben, diese, meiner Ansicht nach, ganz unbedeutende Förmlichkeit zu besorgen und die Bürgschaft für mich zu leisten. Zu meinem größten Erstaunen erschöpften sich die galanten, feingebildeten Franzosen in leeren Ausreden – Keiner wollte mir diesen Dienst erweisen. Am nächsten Morgen ging ich zu Herrn Kerr, einem Engländer, und einige Stunden später hatte ich meinen Paß.

Zu meinem Leidwesen muß ich gestehen, daß mir zum Schlusse auch von einem Engländer eine Unhöflichkeit erwiesen wurde, und zwar von dem Gouverneur.

Dieser Herr hatte mich, als ich in Mauritius ankam, sehr gut aufgenommen, sogar auf sein Landhaus eingeladen und mir unaufgefordert einen Brief für die Königin von Madagaskar angeboten. Als ich kurze Zeit vor meiner Abreise um den versprochenen Brief zu ihm ging, fertigte er mich ebenfalls mit einer Entschuldigung ab, und zwar mit dieser, daß ich zu Ihrer madagaskarischen Majestät in Gesellschaft des Herrn Lambert reise, und daß mein Reisegefährte ein politisch gefährlicher Mann sei.

Schöne Ehre erwies man mir in Mauritius – die Franzosen hielten mich für einen Spion der englischen und der englische Gouverneur für einen Spion der französischen Regierung!

Nach all' diesen angenehmen Erfahrungen wird es jedermann begreiflich finden, daß ich den Augenblick gar nicht erwarten konnte, diese kleine Insel mit ihren noch viel kleinlicher denkenden Bewohnern zu verlassen, und ich will mich bestreben, von ihr keine andere Erinnerung zu behalten als jene der Naturschönheiten, die sie besitzt, und die der Freundschaft und Gefälligkeit, welche mir von den im Laufe meiner Beschreibung genannten Personen bewiesen wurden. Aller zu erwähnen habe ich nicht Gelegenheit gehabt, denn auch andere, wie die Herren Fernyhoujk, Beke, Gonnet u. s. w. haben mir gar manche Dienste geleistet.

Ich danke ihnen dafür auf das herzlichste.


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