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Muhme Grete.

Muhme Grete hockt dort auf der Erden,
Hockt, und steht nicht: will nicht größer werden.
Ihre Nase sattelt eine Brille,
Und sie näht ... wohl ihre Leichenhülle.
Muhme Grete, wer Euch damals kannte,
Da man Euch im Dorf noch »Gretchen« nannte!

Was einst unten war am Kleid der Alten,
Hat sie nun im Antlitz oben: Falten;
Schlottrig hängt das Kleid dem armen Weibe,
Wie mit Rechen hingestreut, vom Leibe.
Muhme Grete, wer Euch damals kannte,
Da man Euch im Dorf noch »Gretchen« nannte!

Seh' den Winter ich im Haar ihr drinnen,
Friert's mich – weiß ist's wie gebleichtes Linnen,
Sitzt zerrauft auf ihrem Kopfe oben,
Gleich 'nem Storchnest in der Esse droben.
Muhme Grete, wer Euch damals kannte,
Da man Euch im Dorf noch »Gretchen« nannte!

Tief zurück ihr Aug' sich zog, als hätte
Satt es schon die alte Heimatstätte,
Und da drin blinzt es so düster-helle,
Wie das Licht in morscher Gruftcapelle.
Muhme Grete, wer Euch damals kannte,
Da man Euch im Dorf noch »Gretchen« nannte!

Ihre Brust: 'ne Fläche still und eben,
Als möcht' drunter gar kein Herz mehr leben;
's ist wohl da, doch ohne jedes Regen,
Dann und wann nur pocht's in leisen Schlägen.
Muhme Grete, wer Euch damals kannte,
Da man Euch im Dorf noch »Gretchen« nannte!

Toll verprassend streut mit beiden Händen
Knabe »Jugend« aus die reichsten Spenden;
Doch sein Vater »Alter« naht am Ende,
Daß er all' die Schätze uns entwende.
Muhme Grete, wer Euch damals kannte,
Da man Euch im Dorf noch »Gretchen« nannte!


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