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Friedrich Bodenstedt
voll inniger Verehrung
gewidmet.

 

 

[Einleitung]

Verehrter Herr!

Zu einer ungünstigeren Zeit hätte mir Ihre Bitte, ein paar einleitende Worte zu Ihrer neuen Uebersetzung Petöfi's zu schreiben, nicht kommen können als gerade in diesem Augenblicke, wo Pflichtarbeiten anderer Art mich ganz in Anspruch nehmen. Wenn ich dennoch Ihre Bitte erfülle, so kann das nur geschehen indem ich sie wörtlich nehme und es bei einigen schnell hingeworfenen Zeilen bewenden lasse, die jedenfalls mehr Aussicht haben gelesen zu werden als eine lange Vorrede. –

Unter denjenigen fremden Dichtern, welche ich erst in reiferen Jahren kennen lernte, ist mir keiner so schnell in's Herz gesprungen wie Petöfi, obgleich diese Bekanntschaft nur durch Uebersetzungen vermittelt wurde, welche das Fremdartige der Erscheinung noch steigerten, und zwar nicht selten in etwas herb anmuthender Weise.

Doch wie man eine edle Gestalt an Gang und Haltung leicht erkennt trotz nicht ganz anschmiegsamer Gewandung, und wie ein schönes Auge auch durch einen dunklen Schleier strahlt, so erging es mir ähnlich mit der Petöfi'schen Muse in der Hülle, in welcher sie mir zuerst entgegentrat. Sie fesselte mich von vornherein durch die völlig sorglose Natürlichkeit ihrer Bewegungen, durch ihr ganz und gar eigenartiges Gesicht, in seinem wechselnden Ausdruck voll harmloser Schelmerei, tiefen Gefühls, sprudelnden Uebermuths, flammender Leidenschaft.

Oder, um meine ersten Eindrücke durch ein anderes Bild zu veranschaulichen: die Gedichte kamen mir in der Uebersetzung vor wie eine fremdartig schöne Landschaft in der Morgendämmerung, welche Einzelnes schon deutlich und in günstiger Beleuchtung hervortreten läßt, während Nebelschleier noch rings umher hängen. Vor meinem inneren Auge fielen die Nebel bald, oder zeigten sich so durchsichtig, daß sie mich nicht hinderten schnell in Petöfi's poetischer Welt heimisch zu werden.

Man pflegt zu sagen: die Welt sieht uns an wie wir sie ansehen, und in der Regel mag das zutreffen, allein ein ächter Dichter zwingt uns durch Zaubergewalt die Welt so anzusehen wie sie sich in seinen Augen und Werken abspiegelt, wo wir dann eine ganz neue Welt zu sehen glauben, weil uns Altbekanntes in überraschend neuer Beleuchtung erscheint. Und Alexander Petöfi war ein ächter Dichter, der Allem, was er berührte, höhere Bedeutung zu geben wußte. Sein ganzes, leider so kurzes Leben war ein poetisches Ein- und Ausathmen und er führt uns auf seinem abenteuerlichen Entwickelungsgange oft in Regionen, welche die Muse sonst zu betreten sich scheut; aber in seiner Gesellschaft darf sie Alles wagen, mit ihm bis an die äußersten Grenzen des poetisch Erlaubten gehen. Ein Sohn des Volks, mit Vorliebe in dessen buntesten Kreisen sich bewegend und des Volks beredtester poetischer Dolmetsch, war er doch mehr als ein bloßer Volksdichter, denn er hat Lieder geschaffen, die denen der größten Lyriker aller Völker ebenbürtig sind und ihm deshalb neben diesen einen Ehrenplatz in der Weltliteratur sichern.

Auf Petöfi's poetischen Entwicklungsgang hier näher einzugehen, ist nicht meine Aufgabe; bemerken will ich nur, daß ein so frühes und mächtiges Heranreifen des Dichters, selbst bei der höchsten Begabung, unmöglich gewesen wäre, wenn er allein gestanden und nicht schon früh poetische Luft geathmet, nicht unter seinem eigenen Volke bedeutende Vorbilder und Mitstrebende gefunden hätte.

Ungarn ist reich an poetischen und musikalischen Talenten. Diese brechen sich leichter Bahn als jene, denn die Musik ist allgemein verständlich, die Dichtung zunächst und ganz nur dem Volke, welches des Dichters Sprache redet. Uebersetzungen sind immer nur ein Nothbehelf und besonders geht dadurch bei lyrischen Gedichten viel von der melodischen Eigenart, vom Duft und Schmelz des Originals verloren. Doch hat Petöfi das Glück gehabt immer liebevoll für ihn begeisterte Uebersetzer unter seinen eigenen deutschredenden Landsleuten zu finden. Diese neueste Uebersetzung scheint mir wesentliche Vorzüge vor den früheren zu haben; sie enthält viele Lieder, welche so voll und rein ausklingen als ob Petöfi sie selbst in deutscher Sprache gedichtet hätte.

Wiesbaden, 14. November 1877.
Friedrich Bodenstedt.


Die Gedanken eines großen Dichters in einer fremden Sprache treu wiederzugeben, ist an und für sich eine Aufgabe, der nur wieder ein Dichter gewachsen ist.

Der Uebersetzer muß die Dichtung nicht nur verstehen, sondern auch mit seinem ganzen Wesen in derselben aufgehen.

Um so schwieriger ist die Aufgabe, Petöfi in der wahren Stimmung des Dichters in eine andere Sprache zu übertragen. Sein Grundton ist selbst seinen ungarischen Epigonen unnachahmlich.

Einmal geschah es einem ungarischen Aesthetiker, daß er Petöfi ins Ungarische übersetzte: »So hätte er sich ausdrücken sollen!«

Die Uebersetzung Neugebauers ist, abgesehen von ihrer Formtreue, eine von der begeistertesten Liebe und Pietät eingegebene Nachdichtung des Originals, dem sie keinen Gedanken verkümmert, und dabei jede Nuance voll Verständniß ablauscht und wiedergiebt.

Besonders rühmend möchte ich das glückliche Erfassen und Festhalten des Klanges und der Stimmung hervorheben, die über die Dichtungen Petöfi's jenen unsäglichen Zauber breiten.

Möge es somit dieser Sammlung Petöfi'scher Gedichte im deutschen Gewande gelingen, den Namen Petöfi's zur immer allgemeineren, begeisterteren Anerkennung zu bringen!

Budapest, im November 1877.
Maurus Jókai.

 

»Worterklärung« und »Erläuternder Nachtrag« befinden sich am Schlusse des Buches.


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