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Wintersonnenwende

I.

Trübe Nebel hüllen
Rings mein Dörfchen ein –
Allum Todesschweigen
Und kein Sonnenschein!
Träumerisch, reifbehangen
Steht der Tannenwald,
Und kein Röslein duftet,
Und kein Liedchen schallt.

Todesahnung ziehet
Durch mein müdes Herz
Und das Auge blicket
Sehnend himmelwärts:
»Komm mit deinem Lichte,
Holdes Sonnenbild!
Leben kann nur blühen,
Wenn die Lichtflut quillt!« …

 

II.

Ich grüße euch, ihr Winterflocken!
Ihr mahnt mich an die Jugendzeit.
Was gab es da für ein Frohlocken,
Wenn es zum ersten Mal geschneit!
Das Christkind kommt auf Schlittenbahnen,
– So jubelten wir lustig-hell.
Das war ein selig-süßes Ahnen,
Das war der reichste Freudenquell! …

Der Vater saß im Sorgenstuhle
Und las in einem lieben Buch,
Liebmütterchen hielt mit uns Schule
Und lernte uns den Neujahrsspruch.
Und bei des Kienspans Dämmerlichte
Des Märchens Kinderstimme klang …
Das Leben ward uns zum Gedichte,
Zum weihevollen Festgesang. –

Und heute? … Winter ist es wieder,
Doch fernab liegt die Jugendzeit,
Die Märchenzeit voll Duft und Lieder,
Voll reiner Himmelsseligkeit!
Im Kampf ums Dasein heißt sich's wehren,
Dass schier die schwache Kraft erliegt –
Doch wich sie nicht! In Mannesehren
Hab' alle Stürme ich besiegt!

Der Vater schläft im kühlen Grabe
Den tiefen Schlaf der Todesruh',
Und müde schreit' am Wanderstabe
Ich meinem fernen Ziele zu.
Doch eins gab mir des Himmels Güte
Auf meiner dornenvollen Fahrt:
Ein Weib in holder Jugendblüte
Und einen Kranz von Kindlein zart.

Wohlan denn, Winter, sei willkommen,
Du mahnst mich an die Jugendzeit!
Das Schicksal hat mir viel genommen,
Doch nicht den Geist der Heiterkeit.
Solang mir Weib' und Kindlein lachen,
Bin ich zu neuem Kampf bereit
Und segle in der Freude Nachen
Zum Hafen der Glückseligkeit! –


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