Anton von Perfall
Truggeister
Anton von Perfall

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8.

Zwei Tage dauerte trotz der fortgesetzten ungesäumten Auszahlungen der Sturm auf die Bank Stefanellys. Wie ein Feldherr stand er von früh bis spät unter der Schar seiner Beamten, sein Antlitz verriet nicht die geringste Erregung. Unerschöpflich floß der Goldstrom aus dem Gitterfensterchen der Hauptkasse; viele bereuten bei diesem Anblick ihr Mißtrauen und wollten das Geld nicht in Empfang nehmen; aber Stefanelly drängte es ihnen auf, weigerte sich, es zu behalten, spielte den Beleidigten, der sich zu rächen weiß. Die Beträge, die eilig zurückgefordert wurden, waren größtenteils kleine; die vierhunderttausend Mark des Reservefonds hielten, das wußte der Bankier, schon noch eine Woche stand, während die Menschenmasse, die den Tag über sich hereindrängte, das unbeteiligte Publikum auf Unsummen schließen ließ, welche hier anstandslos ausbezahlt wurden. Man sprach von einer, von mehreren Millionen, und dagegen vermochten die Stimmen der besorgten Warner nicht aufzukommen. Glänzender konnte sich Stefanelly nicht rechtfertigen. Er war jetzt der unschuldig Verleumdete, seine Anhänger hoben stolz das Haupt und lachten über das blöde Volk, das sich von jedem blinden Lärm schrecken ließ. Die Ängstlichen schämten sich und fürchteten, von Stefanelly von nun an zurückgewiesen zu werden.

Am dritten Tage herrschte Totenstille in der Bank, niemand kam mehr, um Einlagen zurückzufordern, nur die guten Freunde fanden sich ein, die Stefanelly glückwünschend die Hand drückten, ihn baten, Mitleid zu haben mit dem betörten Volk und seine Hand nicht von ihm zurückzuziehen. Und Stefanelly war großmütig! In den Zeitungen erschienen Ankündigungen, die Bank habe beschlossen, auch fernerhin von den durch falsche Vorspiegelungen Irregeleiteten Einlagen zu dem alten Zinsfuße wieder anzunehmen. Und wieder strömte dieselbe Masse auf den Platz und balgte sich um den Vortritt, der Goldstrom kehrte wieder in sein Bett zurück. Das allgemeine Vertrauen zu Stefanelly war wieder da.

Der alte Brennberg wagte es jetzt nicht mehr, den Bankier an seine Verpflichtung zu erinnern.

Auch Theodor vergaß alle Besorgnisse, alle guten Vorsätze und stürzte sich mit seinem schönen blühenden Weib von neuem in die noch höher gehenden Wogen der von der Angst eines bevorstehenden Krachs befreiten Gesellschaft.

Und doch pochte es von Zeit zu Zeit da und dort unheimlich wie vor einem Erdbeben, und eine schwüle Gespanntheit lag in der Atmosphäre, die dem Börsen- und Geldmann nicht entging und unbewußt auch auf die Masse wirkte. Die Schwankungen der Papierwerte wurden immer größer, die Börse glich einem aufgeregten Meere, ohne daß man eigentlich wußte, woher der Sturm kam, der sie ausgewühlt hatte, und mit der kritiklosen Nervosität, die eine unbekannte rings drohende Gefahr erzeugt, überließ man sich von neuem dem Kultus der Phantasiewerte.

Stefanelly täuschte sich keinen Augenblick über die Lage, er kannte die Hohlheit jedes Steins an dem Schwindelbau, den er aufgeführt hatte. Er hatte zu hoch gebaut, das Machwerk mußte zusammenstürzen, es galt nur noch, zu rechter Zeit sich aus den stürzenden Trümmern zu retten. Die vierhunderttausend Mark konnten den Zusammenbruch nur verzögern, nicht verhindern. Es handelte sich jetzt nur noch um einen Hauptstreich, der seine Tasche zum Überquellen füllen sollte, dann ein gewandter kühner Sprung zur Seite – und hohnlachend zugesehen aus weiter Ferne, wie es zusammenprasselte über der törichten verachteten Menge! Auch nicht der leiseste Gedanke an Mitleid mit den Tausenden vernichteter Existenzen, auch nicht die leiseste Regung des Gewissens machte sich in ihm geltend; nur der eiserne Vorsatz, sein Gaunerstück durchzuführen bis zum Ende, um jeden Preis; ein bestienhafter Zorn bei dem Gedanken an die Möglichkeit des Mißlingens beherrschte ihn.

Die neue Bergwerksaktiengesellschaft, die er gegründet hatte, sollte das Mittel zum Zweck sein.

Der bei Erwerbung der Zechen gezahlte Preis war ein ungeheurer und stand in keinem Einklang zu dem Ertrag; Stefanelly mußte seine äußerste Kraft anstrengen, um die Aktien erst einmal in Fluß zu bringen. Aber der neu gegründete Glaube des Publikums an sein Glück half ihm wieder vorwärts; bald konnte er der Nachfrage nach Aktien kaum mehr genügen, sie stiegen immerfort, riesige Summen Agio flossen in seine Kasse, und trotzdem war das Unternehmen unhaltbar.

Da kam ihm ein vortrefflicher Gedanke. Es gelang ihm, wesentlich durch Vermittlung des Rats Stürmling, welchen er klugerweise ganz für seine Pläne zu gewinnen verstanden hatte, den Handelsminister Graf Derwitz zur Anlage eines großen Teiles seines Vermögens in diesen Aktien zu bestimmen. Wenige Wochen darauf machte Stefanelly, indem er den volkswirtschaftlichen Wert dieser Erwerbung klarzulegen suchte, dem Minister den Vorschlag, daß der Staat das Bergwerk ankaufen solle. Der Minister ist völlig gegenteiliger Ansicht, schlägt den Unsinn rundweg ab, da erklärt ihm der Bankier mit frecher Stirn die ganze Sachlage, die ganze Gefährdung des Unternehmens. Der Minister ist empört, nennt Stefanelly einen Schurken; die Hälfte seines Vermögens ist verloren, mit ihm seine Stellung; Stefanelly zuckt die Achseln, auch er verliert, das ist das Börsenspiel.

Kurze Zeit darauf wird er von der Regierung aufgefordert, genauen Bericht zu erstatten betreffs der allenfallsigen Bedingungen einer Erwerbung des Werkes von Staats wegen. Die List ist gelungen! Jetzt gilt es nur noch, auf einige Wochen das Unternehmen, gewaltsam in die Höhe zu treiben, die Aktien künstlich hinaufzuschrauben – und eine Million ist verdient!

Alle Mittel mußten benutzt werden, eigene und fremde, der Kredit, alles!

Der Tag nahte, an welchem die vierhunderttausend Mark in den Reservefonds zurückbezahlt werden mußten, jeden Augenblick konnte die genaue Kassenrevision kommen. Stefanelly war fest entschlossen, nicht zu zahlen, ehe das Geschäft mit dem Bergwerk erledigt war; Brennberg mußte dazu helfen um jeden Preis.

* * *

Der Palast Stefanelly erstrahlte in hellem Lichterglanz. Der Karneval des Jahres sollte dort seine glänzende Eröffnung feiern. Seit Wochen gingen in der Stadt Gerüchte von Vorbereitungen, die alles bisher an derartigen Festlichkeiten Dagewesene in Schatten stellen sollten. Stefanelly, der Emporkömmling, der ehemalige Arbeiter, warf der ganzen luxustollen, genußdürstigen Gesellschaft der Großstadt, der hohen Finanzwelt, dem stolzen Aristokratentum, selbst dem Hof gleichsam den Fehdehandschuh hin, als wollte er sagen: »Wer tut es mir gleich? Wer wagt es, an mir zu zweifeln?« Und man hob den Handschuh auf. Man kam, die einen lachend, nur mit der Absicht, dieses glänzende üppige Fest mitzugenießen, die andern voll ergrimmten Neides, mit dem festen Willen, wenigstens ihrer Würde gemäß auf dem Kampfplatz zu erscheinen, und wäre es mit den größten Opfern. Die unheimlichen Schauer, welche den Börsenkörper durchzitterten, taten der allgemeinen Erwartung keinen Abbruch – man wollte sich nicht stören lassen.

Ein glänzendes Gewoge erfüllte die neueingerichteten Räume; was die Hauptstadt aufbieten konnte an Schönheit, Vornehmheit, Reichtum, Rang und Titel, war vereinigt.

Das lebhafte Interesse, welches der Staatsminister Graf Derwitz in den Verhandlungen betreffs Verstaatlichung des Bergwerks für Stefanelly zeigte, hatte genügt, die ganze hohe Beamtenschaft dort zu vereinigen, und zum allgemeinen Erstaunen sah man den Festgeber Arm in Arm mit Baron Anspacher in vertraulichem Gespräche. Also auch dieses Gerücht von der Feindschaft beider Männer, von den Umtrieben des letzteren gegen den ersteren, war falsch gewesen!

Die ganze ordensgeschmückte, seidenrauschende, juwelenblitzende Gesellschaft, die sich da in einem Meer von Licht und Blumen, Duft und Goldgeflunker bewegte, war eine feierliche Anerkennung des ganzen gewissenlosen Treibens Stefanellys – ein entarteter Tanz um das goldene Kalb!

Baron Christian von Brennberg war wohl der einzige, der mit schwerem Herzen den Palast betrat. Es erfaßte ihn ein kalter Schauder, als er die Volksmasse erblickte, die sich wie eine finstere drohende Wolke um das Portal drängte, mit gierigem Blick all den herein- und herausströmenden Glanz bestaunend. Er fühlte die hohe Spannung in dieser drohenden Wolke – dachte an die furchtbare Entladung, die plötzlich eintreten konnte.

In der nächsten Zeit mußte dem Aufsichtsrat der Grunderwerbungs-Genossenschaft die Bilanz vorgelegt und die Kassenrevision vorgenommen werden; Stefanelly hatte dem Baron für heute abend Bescheid versprochen, wie die vierhunderttausend Mark ersetzt werden könnten.

Beim Anblick all der Pracht und Verschwendung stieg dem alten Herrn die Schamröte ins Antlitz, es kam ihm das volle Bewußtsein des schwindelhaften Treibens, in das er verwickelt war.

Dieser Stefanelly gab ein Fest, das ein Vermögen verschlang, mit veruntreutem – mit seiner Hilfe veruntreutem Gelde! Loni Margold, die Tochter des Weinmann von der Landstraße, die Frau des Agenten, geschmückt wie eine Fürstin, in Edelsteinen strahlend, spielte die Dame des Hauses und empfing die ganze hohe Gesellschaft. Sie konnte es ja nicht wissen, daß unter ihren Füßen eine leere Kasse stand, aber daß das ganze Wesen um sie her eine Lüge war, mußte sie wissen, wußte sie auch, aber sie wollte es nicht wissen, die Genußjagd hatte sie erschlafft, betäubt – und unten zuckte es drohend aus der Wolke, dumpfes Grollen drang heraus.

Der Baron beobachtete Stefanelly scharf und studierte jede Miene seines Gesichts. Der Bankier war heiter, lachte laut mit Anspacher, sprach eifrig mit dem Minister und anderen Würdenträgern, aber seinem Aufsichtsrate schien er absichtlich auszuweichen. Dieser jedoch war fest entschlossen, das Haus nicht ohne bestimmte Erklärung zu verlassen.

An gemeinsamer Tafel zu Abend zu essen, galt nicht mehr für fein. Stefanelly hatte alle Räume des ersten Stockes ohne Ausnahme den Gästen überlassen, und während im großen Saale getanzt wurde, standen in allen andern Zimmern reich mit allen Leckerbissen des In- und Auslandes gefüllte Anrichten, Batterien von Flaschen, stets bereite Diener. Zeit und Ort sollten keine lästigen Schranken bieten, die verschiedenartigsten Elemente der Gesellschaft sollten sich nach freier Wahl ungebunden zusammen finden. Und so war überall ein ununterbrochenes Rauschen und Flüstern, ein lautloses Auf- und Abwallen über die teppichbelegten Gänge, ein Hin und Wider durch die lichterfüllten großen und kleinen Gemächer an all den vielgestaltigen unnennbaren Kostbarkeiten vorüber, die mit der sorglosen Üppigkeit des Reichtumes umhergestreut standen und lagen.

Das monumentale Stiegenhaus, welches ein architektonisch reich gegliederter Kuppelbau krönte, war in einen duftigen Garten von Palmen, Lorbeerbäumen und anderen Ziergewächsen verwandelt und in diesem eine Tafel für die bevorzugten Gäste des Hauses gedeckt. Die Familie Brennberg, Exzellenz Graf Derwitz mit seiner Gattin, Rat Stürmling mit seinen Damen trafen sich dort, Loni selbst erfüllte hier die Pflichten des Gastgebers.

Christian hatte vergebens gewartet, von Stefanelly angesprochen zu werden, und auch jetzt schien der Bankier die fragenden Blicke des alten Freiherrn noch immer nicht zu bemerken. Berta und Theodor hatten ihre Besorgnisse ganz vergessen; erstere war wieder ganz in Beschlag genommen von ihrem alten Gönner, dem Grafen Derwitz, der die junge Frau mit Liebenswürdigkeiten überhäufte und über ihr sogar den nicht von seiner Seite weichenden Stefanelly vernachlässigte. Aber Berta vermochte heute keine Freude an diesem neuen Triumph ihrer Schönheit zu empfinden; es störte sie das geradezu jede gute Sitte verletzende kokette Spiel, welches Loni mit Theodor trieb, und das schmerzlichste für sie war dabei, daß Theodor offenbar nicht ganz unberührt davon blieb, denn er ging heute zum ersten Male auf diesen Ton ein und vernachlässigte seine Frau auffallend.

Eben war Baron Anspacher an den Tisch getreten. Stefanelly trank ihm zu, indem er lachend rief: »Auf gute Kameradschaft! Und daß Sie mir nicht noch einmal solch einen Streich spielen!«

Allgemeine Heiterkeit entstand. Man machte schlechte Witze über die Angst der kleinen Leute, über die drollige Idee, daß sich, wie der Minister scherzend bemerkte, »zwei Krähen die Augen aushackten«.

Endlich kam die Sprache auch auf das Bergwerk. Anspacher erkundigte sich angelegentlich bei dem Minister nach dem augenblicklichen Stande der Angelegenheit. Jetzt verließ Stefanelly seine bisherige heitere Ruhe, seine Züge spannten sich, er lauschte auf jedes Wort. Der Minister hielt sich sehr zurück und gab nur oberflächliche Andeutungen; die Sache sei noch nicht reif, im besten Falle würden darüber noch einige Wochen, vielleicht Monate verstreichen.

Bei diesen Worten wechselte Stefanelly sichtlich die Farbe und warf einen langen Blick auf Brennberg, der diesen nichts Gutes ahnen ließ.

Im Saale begann wieder die Musik, die Damen verließen am Arme ihrer Herren den Tisch, sie begannen sich ohnehin bei dieser geschäftlichen Unterhaltung zu langweilen.

Stefanelly benützte den Augenblick.

»Folgen Sie mir, Herr von Brennberg, ich habe mit Ihnen zu reden,« flüsterte er.

Die Stunde der Entscheidung nahte. Mit klopfendem Herzen folgte der Freiherr. Stefanelly sprach kein Wort. Erst als die Tür seines Arbeitszimmers sich hinter ihnen schloß, frug er kurz: »Sie haben gehört, Herr von Brennberg, was eben der Minister sagte?«

Seine Stimme klang trocken, sein schwarzes stechendes Auge ruhte drohend auf dem Baron.

»Daß das Geschäft mit dem Staat gemacht wird,« entgegnete dieser hoffnungsvoll.

»In Monaten,« klang es kurz scharf. »Also müssen Sie noch Monate warten –«

»Mit den – mit den vierhunderttausend Mark noch Monate warten?« – Brennbergs Unterlippe zuckte krampfhaft – »das ist unmöglich!«

Der Bankier stampfte auf den Boden, ein haßerfüllter Blick traf den Aufsichtsrat.

»Es muß möglich sein, verstehen Sie mich!«

Einen Augenblick schien Brennberg dem dämonischen Willen des Unternehmers zu unterliegen – nur einen Augenblick, dann bäumte sich in ihm eine ihm selbst bisher unbekannte Kraft empor, ein wilder Zorn gegen diesen Mann, der ihn zum Betrüger gemacht hatte, ein plötzlicher Drang, die verhaßte Kette abzuschütteln, die ihn an Stefanelly band. Dieser innere Vorgang drückte sich auch in seiner ganzen Haltung, in seinem aufleuchtenden Antlitz aus.

»Es ist aber unmöglich, eine Prüfung der Kasse innerhalb der nächsten zwei Wochen zu verhindern, und wenn sie zu verhindern wäre, so würde ich nicht die Hand dazu bieten, da es doch nichts nützen und mein Verbrechen nur verdoppeln würde. Sie werden auch in ein paar Monaten die Summe nicht aufbringen können.«

»Aber, lieber Herr von Brennberg,« begann jetzt Stefanelly plötzlich in zutunlichem Tone, »seien Sie doch vernünftig! Kauft der Staat das Bergwerk, so verfüge ich über Millionen. Bedenken Sie doch, was auf dem Spiele steht! Ich leugne es nicht – alles! Alles für mich und für Sie! Und da wollen Sie im letzten Augenblicke, nachdem Sie mit mir durch Dick und Dünn gegangen sind, plötzlich den Ängstlichen spielen? O pfui! Das wäre kläglich. Sie werden die Sache irgendwie hinausziehen können – nicht wahr? Sie stellen sich nur im ersten Schrecken die Schwierigkeiten zu groß vor. Sie sind ja ein Pfiffikus ersten Ranges.«

Er versuchte zu lächeln und klopfte Brennberg auf die Schulter.

Aber Brennberg veränderte seine schroffe Haltung nicht.

»Es ist unmöglich; ich weiß kein Mittel, welches nicht das Mißtrauen noch mehr rege machen würde!« sagte er mit unverminderter Entschiedenheit.

Der Bankier sah einen Augenblick starr auf den Boden, dann auf Brennberg. Schließlich zuckte er mit den Achseln und schlug die Hände zusammen.

»Nun, wenn es wirklich unmöglich ist, wenn ich wirklich im letzten Augenblick noch scheitern muß – auch gut! Wir scheitern zusammen, lieber Brennberg. Es tut mir leid um Sie, Sie werden es härter fühlen, als ich, ich habe wenigstens keinen ehrwürdigen Namen, den ich beflecke –«

Ein schmerzlicher Zug erschien um seinen Mund – oder war es ein höhnischer?

Jetzt kam Brennbergs Zorn aber zum Ausbruch.

»Und das wußten Sie alles und überredeten mich doch zu dem Betrug? Sie feiern heute ein Fest, das Tausende verschlingt, und sagen mir jetzt frech ins Gesicht, daß Sie Ihr Wort brechen, daß Sie nicht bezahlen? Sie sind ein Schurke, Herr Stefanelly! Hören Sie, ein Schurke!«

Der Bankier schwieg, indem er lächelnd auf die Marmorplatte des Tisches klopfte.

Das Schweigen reizte den Zorn des alten Freiherrn noch mehr. »Morgen berufe ich den Aufsichtsrat und erkläre öffentlich in seiner Gegenwart, daß Sie ein Schurke sind. Alles erkläre ich, den ganzen scheinheiligen Handel, ich selbst führe die Herren vor die geleerte Kasse – ja, das tue ich – das tue ich –«

Er hatte alle Fassung verloren, die Tränen rollten über seine bleichen Wangen, er ballte die Fäuste gegen den Bankier, der sich nicht bewegte und seinen Gegner nur mit verzehrenden Blicken betrachtete.

»Das tun Sie alles nicht,« sagte er schließlich ruhig, »sondern Sie werden auf ein Mittel sinnen, wie man die vierhunderttausend Mark nicht zahlt vor frühestens in zwei Monaten, die Kasse revidiert und doch sich nicht verrät, das werden Sie und ich zustande bringen, weil wir keine Narren sind und uns nicht mit der Pistole aus der Verlegenheit und aus der Welt bringen wollen.«

Brennberg war überrascht. Der Gedanke, daß doch am Ende eine Rettung möglich wäre vor dem unabsehbaren Verderben, übermannte ihn. Er starrte sprachlos auf Stefanelly, als wollte er die Gedanken lesen, die sich hinter dieser breiten Stirn bargen.

»Sie halten einen Ausweg augenblicklich für unmöglich,« fuhr Stefanelly in demselben kühlen Tone fort, »das finde ich begreiflich. Heute nacht werden Sie ihn aber finden, vielleicht in einer Stunde, die Not macht erfinderisch. Vielleicht finde ich ihn – habe ihn vielleicht schon gefunden in diesem Augenblick –«

Brennberg griff in qualvoller Angst nach der Hand des Unternehmers.

»Sprechen Sie, ich beschwöre Sie, sprechen Sie! Lassen Sie mich diese Nacht nicht durchleben –«

»So rasch geht das nicht!« erwiderte dieser. »Ich habe nur eine unklare Vorstellung. Nur eines möchte ich wissen: wenn mein Plan reift, vielleicht plötzlich, in einer Viertelstunde reift, werden Sie mich ihn ausführen lassen, ohne daß ich Ihnen denselben nenne, ohne daß Sie sich irgendwie einmengen?«

Christian von Brennberg zögerte. Er glaubte, in diesem Antlitz ein neues Verbrechen zu lesen, in das er mit verwickelt werden sollte.

»Denken Sie an Ihren Sohn, Ihren Namen!« drängte Stefanelly. »Ich verlange eine völlige Passivität Ihrerseits, das schließt auch jede Verantwortung für Sie aus.«

Der Aufsichtsrat machte vergebliche Anstrengung, Stefanellys Vorhaben zu erraten; in seinem Gehirn tobte es, seine Gedanken verwirrten sich immer mehr. Warum nannte der Mann ihm nicht den Ausweg, wenn dieser nicht noch schlimmer war als das Vergehen, dessen Folgen er abwenden wollte?

Da traten zwei Bilder vor Christians fieberndes Auge, Theodor mit seinem blühenden Weib und das alte Schönau.

»Handeln Sie in Gottes Namen!« flüsterte er mühsam; »Sie werden mich nicht noch unglücklicher machen wollen, als ich's so schon bin –«

Stefanelly atmete sichtlich erleichtert auf.

»Beruhigen Sie sich, die Sache ist lange nicht so schlimm, als sie vielleicht aussieht – und wenn alles glücklich vorüber ist, werden Sie selbst lachen über meine Finte, die niemand Schaden bringen soll.«

Christian schloß aus diesen Worten, daß Stefanelly schon mit seinem Plane fertig war. Das schreckte ihn von neuem.

»Ja, Sie sagten aber doch eben, Ihre Vorstellung von dem Auswege sei noch unklar!«

»Jetzt ist sie mir eben vollständig klar. Das geht bei mir rasch!« entgegnete der Bankier.

»Und niemand soll Schaden leiden?«

»Niemand!«

»Und welche Rolle soll ich –«

»Die Rolle des völlig Unbeteiligten, Unwissenden. Aber merken Sie wohl auf, die Rolle ist nicht so leicht, jede Miene, jede Bewegung muß beherrscht werden.«

Brennberg zitterte vor dem Unbekannten und wagte doch nicht ein entschlossenes »Nein«.

»Und wann?« fragte er erschöpft.

»Das überlassen Sie mir! Seien Sie nur jeden Augenblick darauf gefaßt.« Unter diesen Worten drängte Stefanelly zur Tür. »Kommen Sie, unser Wegbleiben darf nicht auffallen.«

»Am Ende in dieser Nacht noch? Während des Festes?« fragte Christian.

»Vielleicht! Denken Sie so, und Sie werden nicht überrascht werden. Jetzt kommen Sie!«

Sie verließen das Zimmer und kehrten zu den Gästen zurück.

Loni hatte sich unterdessen vollständig Theodors bemächtigt, mit welchem sie Arm in Arm durch die Gemächer schritt. Ihr leichtfertiges Gespräch, ihre verführerischen Blicke weckten in dem jungen Manne die alten leichtlebigen Erinnerungen, und er vergaß darüber nicht nur die Entfernung seines Vaters mit Stefanelly, deren Grund und Zweck er wohl ahnte – sondern auch Berta!

Eben machte Loni einen gewagten Scherz und strich leise mit dem Fächer über Theodors Hand, da traten die beiden Männer in das Zimmer.

Einen Augenblick erwachte Theodor aus dem Sinnentaumel, dem er verfallen war, und warf einen fragenden Blick auf den Vater; der nickte stumm mit aufeinander gebissenen Lippen; die Gebärde bedeutete zweifellos »in Ordnung«, aber das bleiche, abgespannte Antlitz paßte nicht zu der Botschaft.

Stefanelly trat zu Theodor.

»Unterhalten Sie sich gut, Herr von Brennberg? Nun, in so liebenswürdiger Gesellschaft steht das außer Frage! Übrigens erwartet man Sie,« wandte er sich an seine Begleiterin, »schon seit einer halben Stunde in der Küche. Weiß Gott, wo es wieder fehlt! Entschuldigen Sie, Herr von Brennberg, aber ich armer verlassener Mann wäre ja verloren ohne Frau Margold – alles ihr Werk, die ganze Anordnung!«

Er zog die Uhr heraus. »Wie die Zeit vergeht, schon zwölf Uhr! Aha, es wird sich um die Bowle handeln; ich sage Ihnen, Herr Baron, darin ist sie eine unübertreffliche Meisterin. Bitte, bitte, Frau Margold, säumen Sie nicht!«

»Ich säume nicht,« entgegnete Loni, und Stefanelly empfahl sich mit einem Lächeln, das zu dem steifen verlorenen Blick nicht paßte.

Theodor achtete nicht weiter darauf; bei der Antwort Lonis: »Ich säume nicht,« mußte er aber lachen, es klang so komisch ernst und es lag ein so sonderbarer Nachdruck darin, als handelte es sich um eine große Tat. Sie sah ihn erstaunt an.

»Säumen Sie nicht!« sagte scherzend Theodor, den eigentümlichen Ton nachäffend. »Es gilt eine Bowle!«

Jetzt lachte Loni mit. »Wollen Sie mitgehen und meine Kunst bewundern, von welcher Stefanelly so viel Aufhebens – doch nein, ich lasse mir mein Geheimnis nicht abgucken, aber begleiten dürfen Sie mich bis vor die Pforte des Heiligtums!«

Theodor folgte der Einladung. Sie gingen die große Freitreppe hinab, dann durch den engen Gang. Niemand begegnete ihnen dort.

»Wie unvorsichtig von Stefanelly, das Haus, in welchem solche Schätze liegen, so unbewacht zu lassen,« sagte Theodor, dem es allmählich an der Seite dieses Weibes unbehaglich wurde, »wie leicht könnte sich das jemand zunutze machen!«

Der weiße Arm Lonis zuckte in dem seinen.

»Dafür wird schon gesorgt sein, beruhigen Sie sich!«

Endlich waren sie an der Küche.

Theodor atmete auf und empfahl sich rasch. Er sah Loni noch die Küche betreten und stieg dann eine schmale Treppe hinauf, die wohl nach oben führen mußte.

Berta hatte ihren Gatten nicht mehr aus den Augen gelassen. Sie glaubte die kecken Worte zu hören, die Loni ihm ins Ohr flüsterte, sie beobachtete das katzenartige Streicheln mit dem Fächer, die Glut in seinen Wangen, und sie dachte in ihrer Herzensangst schon, dazwischen zu treten, als sie zum Glück von einigen Damen in die Unterhaltung gezogen wurde, über welcher sie das Paar aus den Augen verlor.

Als sie dasselbe nach wenigen Minuten wieder suchte, war es nirgends mehr zu finden. Sie durcheilte alle Nebenräume, der Schmerz jäher Eifersucht ergriff sie und trieb sie rastlos umher.

Nach den beiden zu fragen, schämte sie sich. Im ersten Stock waren sie nicht, so ging sie unbemerkt die Treppe hinab und durch denselben engen Gang, welchen Theodor mit Loni durchwandert hatte und welcher in den alten Teil des Stefanellyschen Hauses führte. Verschobenes Winkelwerk, kleine Treppen, ein Gewirr von sich kreuzenden Seitengängen nahm sie auf. Sie befand sich plötzlich völlig im Dunkeln und lauschte ins Leere. Was wollte sie hier? Sie wußte es selbst nicht mehr und tappte nur vorwärts, um wieder ins Freie, zu Menschen zu kommen. Da drang ein dumpfer Ton an ihr Ohr, er schien von unten zu kommen, ein metallisches Hämmern, ein Kratzen und Rascheln – der Atem stockte ihr. Sie folgte dem unerklärlichen Lärm – er wiederholte sich in kurzen Zwischenräumen und wies ihr den Weg zu einem Seitengang, eine Treppe hinab. Ein kalter Luftzug wehte herauf – rechts aus einem dunklen Gang quoll leiser Lichtschimmer hervor. – Auf den Fußspitzen schlich sie ihm nach – jetzt klang es wie das Bersten irgendeines spröden Gegenstandes – dann fiel klirrend etwas zu Boden –: »Diebe im Kassengewölbe!« durchzuckte es sie. Sie wollte schreien, aber die Angst hielt sie ab. Zurück, lautlos, wie sie gekommen war, und Alarm gemacht, das war das Beste! Schon war sie die Treppe hinaufgeeilt; unten war es schon wieder still, die Verbrecher ruhten offenbar in der Arbeit. Da plötzlich nahm der Lichtschimmer zu, es näherte sich etwas. Lähmender Schreck erfaßte sie, die Füße versagten ihr den Dienst. Wenn die Diebe sie hier entdeckten, so war sie verloren. Immer näher flammte der Lichtschein, deutliche Tritte ertönten, ein unerklärliches Rauschen – es war zu spät zum Entkommen, halb bewußtlos vor Angst flüchtete sich Berta in eine dunkle Nische. Der Lichtbogen an der Decke über ihr vergrößerte sich, schon hörte sie hastiges Atmen – zu einem Knäuel sich zusammendrückend, starrte sie auf die Treppe – da mußte sie die Hand vor den Mund pressen, um nicht aufzuschreien: ein Licht erschien, ein bloßer Arm lehnte sich an die gegenüberliegende Mauer, er war von schmutzigen Flecken bedeckt, eine hohe Frisur, rote Blumen darin, hob sich und blieb einen Augenblick regungslos – Berta kannte diese Blumen – ein schwerer Seufzer wie nach einer großen Anstrengung drang herauf, dann bewegten sich die Blumen und der Arm, Lonis erhitztes Antlitz erschien über der Brüstung, ihr schweres Seidenkleid, über welchem eine große Küchenschürze hing, rauschte über die Stufen herauf.

Berta zuckte ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf. Sie hatte keine Angst mehr, entdeckt zu werden, sie sah nicht mehr auf die sich entfernende Gestalt, sie lauschte nur, ob ihr nicht jemand folge – Theodor! Schon herrschte wieder völlige Dunkelheit und sie lauschte noch immer; das Entsetzliche war wenigstens nicht wahr, was sie eben gedacht hatte! Sie hatte Theodor völlig Unrecht getan, und die Freude darüber, daß sie sich getäuscht hatte, war so groß, daß sie im ersten Augenblick das unerklärliche Erscheinen Lonis an diesem Platz, das Geräusch, das sie aus dem Gewölbe gehört hatte, ganz vergaß. Erst als sie sich mit Mühe aus dem Labyrinth herausgefunden und das hellerleuchtete Stiegenhaus betreten hatte, fiel es ihr wieder ein. Die Erinnerung an die Angst vor den Dieben, den Einbrechern kam ihr wieder, noch zog ein Frösteln durch ihren Körper. Es waren ja aber keine Einbrecher gewesen, sondern Loni, und das Geräusch – dieses Knirschen und Kratzen, wo hatte sie das doch schon gehört? Sie mußte unwillkürlich an die Schlosserwerkstätte zu Hause bei Bergmanns denken; wie der junge Schlosser Georg mit dem fiebernden Blick von der goldstrotzenden Kasse erzählte – wenn er? – Aber wie kam dann Loni da herauf! Warum diese Hast in ihrer ganzen Erscheinung, woher der Arm mit den dunkeln schmutzigen Flecken –?

Als Berta wieder unter die Gesellschaft trat, war sie fest entschlossen, kein Wort von dem eben Erlebten zu sprechen, sondern nur zu beobachten; Loni mußte ja wieder erscheinen. Und richtig trat sie kurz darauf herein; Berta glaubte zu bemerken, daß sie mit Stefanelly einen langen Blick wechselte. Auf ihrem Arm sah man noch deutlich einige dunkle Stellen, trotzdem er offenbar abgewaschen worden war. Sollte Loni selbst der Einbrecher gewesen sein? Aber wozu denn? Stefanellys Reichtum stand ihr ja zur Verfügung! Das hätte sie noch eher ihrem eigenen Bruder, dem verdorbenen Hans, zugetraut, der, in sein Kartenspiel vertieft, im Nebenzimmer saß. Am Ende war an der ganzen Sache nichts! Weiß Gott, was Loni geholt haben mochte, sie war ja die Hausfrau. Vielleicht war der Weinkeller da unten.

Jetzt trat Theodor zu Loni und Berta gesellte sich wie zufällig zu ihnen.

»Nun, ist das Kunstwerk vollendet?« fragte Theodor.

»Welches Kunstwerk, wenn man fragen darf?« wandte sich Berta an Loni.

»Eine Bowle, Berta,« entgegnete Theodor, »in welcher deine Frau Schwägerin Meisterin sein soll.«

»Und die ich eben in der Küche selbst gebraut habe,« vollendete Loni; »man kann so etwas nicht den Leuten überlassen.«

»In der Küche?« fragte unwillkürlich Berta.

»Wo denn sonst?« entgegnete Loni.

»Ich dachte nur, es könnte ja auch wo anders, etwa im Keller gewesen sein.« Und Berta beobachtete bei diesen Worten Loni scharf, der eine Blutwelle ins Gesicht stieg.

Im Saale ordneten sich die Paare zur Quadrille, die Damen wurden geholt und daher das Gespräch abgebrochen. Bald darauf boten die Diener wirklich eine köstlich duftende Ananasbowle an.

Die Herren gruppierten sich um die frische Quelle selbst, eine riesige Bronzeschüssel auf einem Kredenztische, und Stefanelly brachte die Gesundheit der Damen aus. Man pries die Verfasserin dieses »köstlichen Gedichtes aus Champagner, edlem Wein und Ananas«, wie die Exzellenz den Trank nannte, alles war in heiterster Laune. Auch Berta dachte nicht länger mehr an das Erlebte, denn ohne Zweifel hatte Loni irgendwelchen Bedarf zu dem Gebräu aus irgendeiner Vorratskammer geholt; vielleicht hatte dabei ein Schloß widerstanden, so daß sie es gewaltsam hatte aufbrechen müssen – daher wohl das verdächtige Geräusch. Wie kindisch von ihr, gleich an Diebe und Einbrecher zu denken!

Nur ihr Schwiegervater machte ihr Sorge. Stefanelly hatte offenbar den Alp noch immer nicht von seiner Brust genommen, und dem alten Mann gelang es nicht, seine Angst zu verbergen, sie schien eher gewachsen zu sein. Unstät irrte sein Blick umher, eine unbestimmte qualvolle Erwartung lag in dem abgespannten bleichen Antlitze, dem auch das feurige Getränk keine Farbe verlieh.

Da trat plötzlich Hans zu der Gruppe in einer Erregung, an der Berta sofort etwas ganz Eigentümliches auffiel, etwas Gemachtes, Gewaltsames.

Er bat Stefanelly auf die Seite, flüsterte ihm etwas ins Ohr, der fuhr entsetzt zurück, das Glas entfiel seiner Hand und zerbrach klirrend am Boden; alles wendete sich nach ihm um.

Berta fühlte sofort: da war etwas Besonderes, Schreckliches geschehen, was in Zusammenhang stand mit dem, was sie erblickt hatte.

Stefanelly ließ sich auf einen Stuhl nieder, wischte mit dem Taschentuch über sein Antlitz, das den Ausdruck eines tödlichen Schreckens zeigte.

»Das ist entsetzlich! Gerade jetzt!« stammelte er.

Alles drängte sich um ihn.

»Was ist geschehen? Ein Unglück? Um Gottes willen!«

Wie ein Blitz durchzuckte den ganzen Saal die Empfindung einer Katastrophe, ohne daß jemand wußte, wie und wo. Das schlechte Gewissen regte sich unbestimmt in jeder Brust.

Stefanelly schien sich jetzt wieder gefaßt zu haben.

»Senden Sie sofort auf die Polizei, Herr Margold; es kann ja erst heute abend geschehen sein! Gehen Sie –«

»Was ist geschehen?« rief es aus aller Munde immer dringender.

Stefanelly erhob sich mit leichtem Schwung, ein Lächeln kräuselte wieder seine Lippen.

»O, beruhigen Sie sich, nur im ersten Augenblick hat mich die Sache etwas gepackt. Es ist ja auch zu frech! Eine Kasse ist erbrochen und rein ausgeleert worden – eine halbe Million einfach futsch, wenn der Bursche nicht erwischt wird – das ist alles, meine Herrschaften. Wie gesagt, beruhigen Sie sich! – Ah, da sind Sie ja, Herr von Brennberg!«

Der Aufsichtsrat war vor ihn getreten, fahl, mit weit aufgerissenen Augen.

»Eine nette Überraschung für Sie! Die gestohlene Summe gehört dem Reservefonds der Grunderwerbungsgenossenschaft an. Nun, erschrecken Sie nur nicht gleich so – die ganze Geschichte geht ja auf mein Konto, ich bin bestohlen, nicht die Gesellschaft. Sie müssen mir aber einen Kredit auf einige Monate verschaffen,« sagte er in einem erzwungen scherzhaften Tone, »ein halbes Milliönchen ist auch bei mir nicht so rasch zusammengezählt. Mich ärgert nur die Frechheit dieser Diebesbande, und es ist mir ganz unerklärlich, wie sie an die Kasse kam! Na – wir werden ja sehen – lassen Sie sich nicht stören, meine Herrschaften – ich komme gleich wieder.« – »Musik!« rief er laut.

Ein Straußscher Walzer begann.

Stefanelly wollte den Schauplatz der Tat selbst besichtigen und bat zu diesem Zwecke den erschrockenen Minister, den Rat Stürmling und Herrn von Brennberg um ihre Begleitung; am liebsten wäre die ganze Gesellschaft mitgezogen, um ihre Neugierde zu befriedigen, aber das ging denn doch nicht. Nur Theodor schloß sich auf das Drängen Bertas unaufgefordert an.

»Ist die Angelegenheit mit den viermalhunderttausend Mark in Ordnung?« fragte Theodor flüsternd seinen Vater, mit ihm etwas zurückbleibend.

»Noch nicht – das heißt – dieser Zwischenfall – in ein paar Monaten, sagte er,« stammelte unsicher Christian.

»Sie sind also noch nicht bezahlt?« fragte Theodor.

Christian schüttelte den Kopf.

»Dann wurde ja eine leere Kasse erbrochen,« flüsterte Theodor, die Hand des Vaters in wildem Zorne packend.

»Schweig! Ich beschwöre dich. Später sollst du alles erfahren – – ich bin ja unschuldig – ich wußte ja nicht – Gott, Gott!« jammerte der gequälte Mann.

»Kommen Sie, Herr von Brennberg!« rief Stefanelly vorn. »Sie müssen als Aufsichtsrat der erste sein, der den Raum betritt, um sich von dem Tatbestande zu überzeugen.«

Christian wankte vorwärts mit einem Blick auf Theodor, welcher noch einmal um Schweigen bat.

Berta sah die Herren in dem engen Gang, der auf das Stiegenhaus mündete, verschwinden. Kein Zweifel, es war derselbe Weg, den Loni gegangen war. Sie stiegen die Treppe hinab, an der Nische vorbei, in welcher sie in Todesangst gekauert war, und gelangten endlich in den gewölbten Gang, aus dem das verdächtige Geräusch herausgedrungen war. Eine eiserne Tür stand offen und ließ in einen kellerartigen Raum mit großen dunklen Schränken blicken; ein schwerer eichener Tisch stand in der Mitte, in welchen eine große Schiefertafel eingefügt war; kleine Holzschüsselchen standen darauf umher – man war in dem Gelddepot des Bankiers Stefanelly. Die Tür des einen Schrankes war weit aufgerissen, Papiere lagen am Boden umher, quollen aus den einzelnen Fächern, und als Stefanelly die Leuchte hob, glänzten einzelne Goldstücke am Boden, eine aufgebrochene Rolle fand sich in einem Fache.

Der Dieb hatte offenbar Eile gehabt und eben noch rechtzeitig die Flucht ergriffen, ehe er von Hans Margold überrascht wurde. Auffallend war nur, daß die zwei schweren Sicherheitsschlösser, welche die Tür des Geldschranks schlossen, kaum verletzt waren; nur außen war der Lack verkratzt, und auch an der Eisentür, die in das Gewölbe führte, bemerkte man nur eine leichte Verbiegung der Riegel, welche den Verschluß herstellten.

Der Dieb konnte nur ein fachkundiger Mann gewesen sein, der es verstanden hatte, sich in den Besitz der Schlüsselabdrücke zu setzen und die sehr komplizierten Schlösser der Kasse förmlich zu studieren. Die sichtbaren Verletzungen konnten nur oberflächlich zur Nachhilfe gedient haben. Ja, der Minister, welchen diese Angelegenheit aufs lebhafteste beschäftigte, war überzeugt, daß dieselben überhaupt nur zum Scheine angebracht worden seien, um die Art des Einbruches zu verdecken und so die Verfolgung auf falsche Fährte zu lenken; wahrscheinlich hätte der Dieb die Zerstörung noch weiter fortgeführt, wenn er Zeit gehabt hätte, um die Täuschung vollständiger zu machen.

Diese Ansicht überraschte alle Anwesenden. Man sah sich erstaunt an und es herrschte eine augenblickliche Stille in dem niedrigen Raum. Das spärliche Lampenlicht auf dem Tische spiegelte sich in dem polierten, mächtigen Schranke und übergoß die einzelnen Gesichter der Anwesenden mit trübroter Glut.

Stefanelly verlor einen Augenblick seine Sicherheit, er wußte nicht, sollte er dieser Vermutung des Ministers beipflichten oder ihr entgegentreten.

Brennberg starrte wie gebannt auf den weit geöffneten Schrank.

In diesem Augenblicke trat, von Hans geführt, ein Polizeikommissar in den Raum. Alles wich zurück, auch der Minister.

Stefanelly gab an, wie er Hans Margold hierhergeschickt habe, um etwas zu holen, und wie er durch diesen von dem Diebstahl erfahren habe; dann untersuchte der Beamte die Schlösser. Alles schwieg erwartungsvoll, Stefanelly wollte weiter sprechen, aber der Kommissar winkte ihm ab mit einem einfachen »Bitte«.

»Der gewaltsame Einbruch ist nur fingiert. Der Dieb öffnete mit Nachschlüsseln, kein Zweifel,« erklärte er endlich.

»Dieselbe Ansicht äußerte bereits Exzellenz,« bemerkte Stefanelly.

Der Kommissar lächelte verbindlich und machte seine Notizen.

»Im Besitz der Schlüssel zu dem Raum und zu der Kasse waren Sie, Herr Stefanelly, und wer noch?« fragte der Kommissar, Bleistift und Notizbuch in der Hand, mit dem unheimlichen, forschenden, stets argwöhnischen Blick der Männer dieses Berufes.

»Herr Baron Christian von Brennberg-Schönau, Aufsichtsrat der Gesellschaft, deren Reservefonds die Kasse enthielt, – dieser Herr hier.« Stefanelly deutete, während er dies sagte, auf Brennberg, der sich krampfhaft an seinem Sohn festhielt.

Der Kommissar wandte sich um; wieder der forschende Blick, der für Christian eine Ewigkeit währte. Noch einen Augenblick länger, und er hätte alles gestanden.

»Und wann, meine Herren, haben Sie zum letzten Male die gemeinsamen Schlüssel benützt?« fragte der Kommissar, die Augen jetzt fast vollständig schließend.

»Vor einiger Zeit! Es handelte sich um eine Reparatur!« gab Stefanelly zur Antwort.

Der Kommissar öffnete die Augen.

»Um eine Reparatur? Und wer machte die Reparatur? In Ihrer Gegenwart natürlich –«

»Natürlich, in unserer beider Gegenwart,« bestätigte Stefanelly.

»Und die Reparatur machte?« frug zum zweiten Male der Kommissar.

Brennbergs und Stefanellys Blicke trafen sich einen Augenblick. »Jetzt gilt's« lag in dem des Bankiers, »alles verloren, ich kann nicht«, in dem des andern.

»Ein Schlosser,« sagte Brennberg; die Stimme schlug ihm um.

»Das denke ich mir,« meinte der Kommissar und lächelte. »Aber welcher Schlosser? Den Namen bitte ich.«

Wieder trat eine auffallende Pause ein, es war, als ob jeder der beiden Herren dem andern das Wort lassen wollte.

»Schlossermeister Georg Bergmann aus der Mariannenstraße,« erklärte Stefanelly geschäftsmäßig.

Der Kommissar nickte, indem er den Namen aufschrieb.

»Kennen Sie den Mann?«

»Gewiß, er arbeitet seit längerer Zeit für mich.«

»Halten Sie ihn für ehrlich?«

Der Kommissar blickte bei dieser Frage dem Bankier fest ins Gesicht.

Wieder die schwüle Pause! Die Musik von oben drang gedämpft herab, wie aus unendlicher Ferne.

Stefanelly zuckte die Achseln.

»Ich kenne ihn weiter nicht, auch nicht seine Lage. Der Anblick des vielen Geldes hat ihn vielleicht verführt, für unmöglich halte ich es nicht,« sagte er in festem Tone.

Christian hätte aufschreien mögen; wie Bergeslast wälzte es sich auf seine Brust, es flimmerte vor seinen Augen, er sah nur noch, wie der Kommissar eine Aufzeichnung machte, dann sank er ohnmächtig in die Arme seines Sohnes.

»Eine schlechte Luft hier,« bemerkte der Kommissar, »ich will Sie nicht länger aufhalten, meine Herren, ich bin fertig.«

»Bringen Sie Ihren Vater nach Hause,« flüsterte Stefanelly Theodor zu, »die Sache hat ihn doch angegriffen, und ich möchte jedes neue Aufsehen bei meinen Gästen vermeiden.«

»Das glaube ich Ihnen,« erwiderte Theodor in einem Ton, der Stefanelly stutzig machte. Dann führte er seinen nur mechanisch sich bewegenden Vater, dessen kummervolles Antlitz an seines Sohnes Schulter lehnte, mit Hilfe des Rats langsam hinaus.

Im Saale tanzte man noch, aber es war niemand mehr Ernst damit; eine drückende Stimmung herrschte, eine gewitterschwüle Ahnung wie vor irgendeinem gewaltsamen Naturereignis. Da unter ihren Füßen bereitete sich irgend ein dunkles Zerstörungswerk vor, vielleicht brannte schon die todbringende Lunte.

Die Freude ließ sich nicht mehr gewaltsam festhalten, der festliche Schein erhöhte nur das bange Gefühl. Man wollte möglichst rasch den unsicheren Grund verlassen, so heiter und sorglos auch Stefanelly schien, so dringend die Hausfrau auch bat, doch die herrliche Bowle über der unliebsamen Geschichte nicht zu vernachlässigen.

Es war noch nicht zwei Uhr, und schon lag der Palast Stefanelly finster und schweigend da wie eine böse Tat. Zwei Polizisten gingen vor der Front auf und ab, ihre Schritte hallten laut durch die Nacht.

Die Brennbergs hatten den Saal nicht mehr betreten. Stefanelly selbst teilte der in peinlichster Spannung harrenden Berta das Unwohlsein ihres Schwiegervaters mit und ließ sie durch Hans an den Wagen geleiten, vor welchem Theodor bereits ihrer harrte. Sie stiegen ein zu dem matt, mit geschlossenen Augen, in der Ecke lehnenden Vater; nur in wenigen leise geflüsterten Worten sprach Theodor über die Ereignisse im Keller. Endlich atmete Christian schwer auf, blickte durch die Fenster auf die Straße und machte eine Bewegung, als wollte er halten lassen.

»Nicht wahr, sie können ihn nicht verurteilen lassen, diesen Schlosser?« fragte er plötzlich. »Ohne allen Beweis, nur weil er dort gearbeitet hat – einen ehrlichen Mann – sage, Theodor, können sie es?«

»Das wohl nicht, Vater, aber verhaften werden sie ihn, vor Gericht ziehen, und wenn sie keinen andern Täter finden – wer weiß, – jedenfalls ist sein ehrlicher Name befleckt, geschändet –«

Christian stöhnte auf.

»Aber sie werden den wahren Täter finden, und zwar wirst du selbst ihn nennen, ehe ein Unschuldiger leiden muß.«

Berta sprach diese Worte im Tone der vollen Überzeugung.

Christian sank vom Polster herab auf die Kniee und vergrub sein Antlitz in Bertas Schoß.

»Ja, ja, das wirst du – was es auch koste!« stimmte Theodor bei.

Der Wagen hielt vor der Brennburg.

Christian stieg ohne Hilfe aus, ging ohne Hilfe, festen Trittes die Treppe hinauf, begleitet von seinen Kindern.

»Du kennst also den wahren Täter?« fragte er, im Wohnzimmer angelangt, mit fester Stimme seinen Sohn.

»Stefanelly selbst!« erwiderte dieser.

»Das ist unmöglich! Ich ließ ihn keinen Augenblick aus den Augen seit meiner Unterredung mit ihm, und erst dann konnte es geschehen sein; auch ich habe alle Gründe, daran zu glauben, aber die Möglichkeit ist doch nicht ausgeschlossen, daß ein sonderbares Zusammentreffen von Umständen vorliegt, ein wirklicher Einbruch –«

Theodor war freudig betroffen. »Du bist also unschuldig an diesem Betrug, wußtest nichts davon?«

»So wahr mir Gott helfe, ich wußte nichts davon. Stefanelly versprach nur, ein Mittel zu finden, um Zeit zu gewinnen, bis er die Summe zahlen könne, ein Mittel, das niemand Schaden bringen solle, und er bat mich, ruhig zuzusehen.«

»Ja dann – dann ist ja noch Hoffnung!« jubelte Theodor. »Der Dieb konnte ja nicht wissen, daß die Kasse leer war, und Stefanelly benutzte vielleicht nur die nutzlos gesprengte Kasse – das wäre am Ende verzeihlich. Hans hat auch sein Kartenspiel nicht verlassen, bis kurz vor dem Augenblick, wo er die Nachricht brachte. Wer soll es nun getan haben, wem konnte Stefanelly sich anvertrauen? Gott, wenn es so wäre – wenn doch dieser Schlosser Bergmann der Täter – dann wäre es nutzloser Wahnsinn, sich zu verraten. Bergmann ist ja dann ein Dieb und verdient seine Strafe, ob die Kasse leer war oder gefüllt!«

Ein Strahl der Hoffnung zuckte über beider Männer Antlitz.

»Und Loni?« fragte jetzt Berta, die ruhig zugehört hatte.

»Unmöglich, Loni, ein Weib!« erwiderte Theodor, ärgerlich, in seiner Hoffnung, die in ihm immer mehr zur Gewißheit wurde, gestört zu werden, »außerdem war Loni die ganze Zeit an meiner Seite –«

»Bis sie in die Küche ging, um die Bowle zu bereiten,« erwiderte Berta.

»Wohin ich sie begleitete.«

»Das ist möglich; sie blieb aber nicht in der Küche, sondern ging in das Gewölbe. Ich selbst hörte sie dort ihre Arbeit vollbringen, ich selbst sah sie noch beschmutzt davon heraufkommen: Ich suchte dich – Theodor – und mein Argwohn gegen dich ward zum Verräter an ihr.«

Dumpfe Stille trat ein. Berta sah den letzten Hoffnungsstrahl erlöschen auf dem Antlitz des Vaters und des Sohnes und ein qualvoller Kampf begann in ihrem Innern. Er währte lange. –

Christian hatte ihn zuerst überstanden.

»Es muß sein!« sagte er, sich erhebend. »Gut! Genug der Lüge! Der Name Brennberg soll nicht durch ein neues Verbrechen gerettet werden!« Dann trat er auf Theodor zu und ergriff seine Hand. »Es muß sein! Verzeih deinem unglücklichen Vater – und jetzt laßt mich allein! Ich muß Abrechnung halten mit mir und den alten Brennberg von Schönau zusammensuchen: nur der kann vollbringen, was vollbracht werden muß.« –

Der Morgen rang sich herauf und noch immer brannte Licht in dem Zimmer Brennbergs, – die Abrechnung war noch immer nicht fertig.

Berta drängte es zu ihrem Vater; sie fühlte, daß bei ihm die Zukunft lag, daß für ihn ein heiliges Amt begann, worauf er sich wohl schon lange vorbereitet hatte. Auch der Verdacht, der auf Thereses Gatten lag, beunruhigte sie.

Sie schlich sich von der Seite ihres von Kummer und Verzweiflung ermatteten Gatten und eilte fort.

Vor dem Hause des Vaters sah sie schon von weitem eine für die frühe Tageszeit auffallende Menschenmenge versammelt; eine böse Ahnung stieg in ihr auf, sie beschleunigte ihre Schritte, sie fragte, was denn da vorgefallen sei, und unwirsch gab man der vornehmen jungen Frau die Antwort: »Verhaftet ist einer worden, soeben haben sie ihn fortgeholt aus dem Bett.«

Wer war der Verhaftete? Berta bedurfte des Namens nicht, sie wußte ihn und es wankten ihr die Kniee. So rasch schritt das Verhängnis?

Im Hofe standen die Leute Kopf an Kopf, ein wilder Lärm herrschte. Männer schimpften, Weiber kreischten. »Das ist eine Gemeinheit,« konnte man hören, »der Bergmann ist ein Ehrenmann! Weiß Gott, was dahinter steckt! Natürlich, nur keine Umstände machen, hinein ins Loch mit unsereinem – und nachmittag wieder heraus – was schadet's dem Kerl!«

Berta drängte sich durch und die Männer staunten über die kräftigen Rippenstöße einer vornehmen Dame. Was wollte die zu dieser Stunde hier? Einige Weiber erkannten sie und riefen ihr Lästerworte nach.

Berta eilte durch die leerstehende Werkstatt, sie rief nach Therese – da öffnete sich die Tür und Vater Margold trat heraus.

»Wo ist Georg?« rief Berta, obwohl sie die Antwort zum voraus wußte.

»Verhaftet!« erwiderte finster Margold.

Berta verbarg ihr Antlitz in die Hände.

»Ja, so weit kann man kommen mit der verdammten Gier nach dem Geld, die den Menschen packt wie ein Geier und ihm jede ehrliche Arbeit verleidet! Er hat am Ende nur einen Räuber bestohlen, der die Sache im großen betrieb, er ist gewiß nicht schlechter als der, aber das macht die Sache nicht besser. Dieser ehrliche fleißige Georg!« Margold schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Aber wer sagt dir denn, daß Georg wirklich der Dieb ist?« brach Berta plötzlich los.

»Wer mir das sagt? Glaubst du denn, man verhaftet einen Bürgersmann heutzutage ohne triftigen Grund, so mir nichts dir nichts! Wer mir das sagt? Sein fieberndes gieriges Auge, seit er in diesem verfluchten Keller gewesen ist, sein Haß gegen alle Arbeit sagt es mir, von dem alles Schlechte kommt. O, ich habe schon lange für ihn gefürchtet, der verdammte Schwindelgeist hatte ihn ganz in seinen Klauen.«

»Und Therese? Wo ist Therese?« fragte Berta.

»Komm nur herein, da liegt sie, das arme Wesen, fast besinnungslos vor Entsetzen.«

Berta trat ein; auf dem braunen alten Sofa lag Therese, totenbleich, das Haar hing wirr in die tränennassen Wangen, sie atmete schwer; jetzt schlug sie die Augen auf, aber beim Anblick Bertas brach eine neue Tränenflut sich Bahn.

»Therese, glaubst du auch an die Schuld deines Mannes?« fragte Berta, vor sie hintretend.

»Ich muß ja, ich muß ja!« jammerte sie. »Er sprach ja von nichts mehr als dem Schatz bei Stefanelly, er hatte ganz den Kopf darüber verloren, und wie er heute nacht nach Hause kam – dieser scheue Blick! da ahnte ich schon, daß etwas Entsetzliches geschehen war. Berta! Wer hätte das gedacht vor einem Jahre – wir waren so glücklich, er das Muster eines Mannes, und jetzt – – O, sieh mich nicht so verächtlich an, ich weiß es ja, ich bin mit schuld an dem Verbrechen, ich habe den Keim gelegt mit meinem selbstsüchtigen, unzufriedenen Wesen – o, ich ertrag' es nicht – meine arme Mutter – Lili – mein Kind!«

Sie sank stöhnend zurück.

In Berta stürmten Schmerz, Scham und Freude durcheinander.

»Wenn ich dir aber sage, dein Mann ist unschuldig!« rief sie.

Ein Aufschrei Thereses antwortete ihr; wie eine Wahnsinnige blickte sie aus der dunklen aufgelösten Haarflut.

»Unschuldig? Georg? Er sagte es ja auch, er hat es beschworen, aber ich glaubte ihm nicht. Berta –« sie fiel auf die Kniee und rutschte auf dem Boden zu ihr hin mit aufgehobenen Händen, – »Berta! Woher – wie –«

Die Sprache versagte ihr, nur ein stummes gieriges Flehen lag auf ihrem Antlitz.

»Vollständig unschuldig, der Täter ist bekannt und in einer Stunde ist dein Mann frei!«

»Frei! Frei!« kreischte Therese auf. »Aber das ist ja nicht möglich, und wie kannst du das alles wissen? Sprich doch, Berta, sprich ums Himmels willen!«

»Das darf ich nicht. Laß dir vorerst daran genügen, daß ich es weiß, das übrige wirst du bald erfahren.«

Ihr Atem flog, sie machte sich aus der Umklammerung der erschütterten Freundin los, die vergebens um weitere Aufklärung in sie drang, und ging hinaus. Draußen nahm sie den Vater bei der Hand und sagte: »Jetzt komm du mit mir nach Hause, du bist dringend notwendig dort. Es hat Eile, rasch!«

Sie ließ ihm nicht Zeit, andere Kleider anzuziehen. Auf der Straße erzählte sie stoßweise die Ereignisse der verwichenen Nacht und den Entschluß des alten Herrn von Brennberg, dem Gerichte den ganzen Tatbestand mitzuteilen; er, der Vater, solle ihm Mut zusprechen für den schweren Gang. Und trotz seines Entsetzens über diese Nachrichten, die ja auch seinen Sohn betrafen, sah Margold doch in der Entscheidung Brennbergs auch die Heilung von seinem Wahn.

Als sie in der Brennburg ankamen, ging Bertl zuerst allein zu ihrem Schwiegervater, um mit ihm zu sprechen und ihn auf den Besuch des Vaters vorzubereiten. Sie erschrak vor seinem Anblick: die Nacht hatte eine fürchterliche Verheerung angerichtet in diesem Antlitz. Er sprach eben mit Theodor, der Mut schien beide verlassen zu haben vor der nahenden Entscheidung. Sie erklärten Berta, mit der Anzeige noch warten zu wollen; am Ende würde dieser Bergmann gar nicht verhaftet bei dem Mangel sonstiger Beweise, dann wäre ja die Anzeige ein nutzloses, wahnsinniges Opfer.

Da erzählte Berta, woher sie kam und was sie gesehen. Die Verhaftung des Schlossers war bereits vollzogen.

Diese Tatsache schmetterte Christian nieder. Jetzt war kein Ausweg mehr, der furchtbare Gang mußte getan werden, das Schicksal wollte es so.

Da öffnete Berta die Tür, Margold trat ein, tief gebeugt.

Der Baron schrie auf und wankte ihm entgegen.

Margold ergriff seine Hand und wollte sie nach alter Gewohnheit küssen. Das war zu viel für Christian. Der Geist längst vergangener glücklicher Zeiten umwehte ihn, er brach in Tränen aus und sank dem alten Freund und Diener laut schluchzend an die Brust.

»Mut, Herr von Brennberg, der alte Gott lebt noch, und was Sie jetzt tun, sühnt alles! Sehen Sie dort, über den Bäumen,« – er deutete zum Fenster hinaus –, »die Stadt hat es noch immer nicht aufgezehrt, das gute Schönau. Ich habe so einen Gedanken, es ist mir immer, als warte es auf uns zwei Alte!«

»Du bist grausam, Margold, ich bin ein Bettler.«

»Unsinn, Herr von Brennberg! Es ist ja das erste Mal in meinem Leben, daß mir das Geld eine Freude macht. Ja, jetzt macht es mir eine Riesenfreude, weil ich sagen kann: es langt für uns alle, wenn es auch kein Reichtum ist, und an dem, meine ich, haben wir uns alle, wie wir da stehen, satt gesehen. Also frisch herausgeschnitten die Pestbeule und dann wieder ein bißchen altmodisch! Es braucht dazu nicht den kaffeebraunen Rock und die gelben Stiefel, so lieb sie mir auch waren, aber das alte Herz, die alte Freude an der Arbeit, dann geht es schon! Nicht wahr, Herr Theodor? Habe ich nicht recht? Sind Sie nicht auch dabei? Bertl kann es Ihnen erzählen, es waren gewiß nicht ihre schlimmsten Tage draußen an der Landstraße.«

Theodor reichte dem schlichten Manne schweigend die Hand; er fühlte wohl den edlen Kern dieser Worte, aber er sah die Lösung nicht in so rosigem Licht.

Eine Viertelstunde darauf fuhr der Aufsichtsrat von Brennberg mit Berta zum Staatsanwalt, um offene Beichte abzulegen.


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