Anton von Perfall
Truggeister
Anton von Perfall

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1.

Der Tag graute noch kaum, dichte kalte Herbstnebel ließen ihn nicht durchdringen. Die schwarzen Umrisse der Pappeln lösten sich eben aus dem Nichts, raschelnd jagten die Blätter, vom Morgenwinde getrieben, über die gefrorene Landstraße. Eine Reihe einstöckiger, wie nach einem und demselben Plan gebauter Häuser, mit langen, rückwärts in das Feld sich streckenden Bretterzäunen, zog sich in gleichen Zwischenräumen zur rechten Seite derselben hin, der Plänklerkette eines noch unsichtbaren Feindes vergleichbar.

Alle diese Häuser lagen noch in tiefem Schatten, nur eines wachte bereits. Ein gelber Lichthof bildete sich im Nebel, zwei dunkle Gestalten regten sich wie Schattenbilder darin in rhythmischer Bewegung.

Es war Vater Margold, der Gärtner, der, laut zählend, seinem auf einem Wagen stehenden Sohne Kohlköpfe zuwarf. Bei »Hundert« hörte er auf.

»Genug, Hans! Jetzt rasch die Blumen und die zwei großen Yukka! Ist schon alles hergerichtet – rasch! rasch! Beim Weinmann drüben sind sie jetzt auch schon auf und unser Fuhrwerk war sonst immer das erste.«

»Als ob was dran läg'!« entgegnete sichtlich übelgelaunt der junge Mann.

»Ja, euch jungen Leuten liegt freilich nichts daran, das ist eben das Elend! Wo ihr einen Stolz haben solltet, da habt ihr ihn nicht, aber sonst alleweil oben hinaus!«

Der junge Mann brummte etwas Unverständliches und ging mit der Laterne in den Schuppen. »Schau nur, daß die Bertl fertig wird, wegen meiner brauchst dich nicht zu kümmern!« rief er.

Vater Margold ging, das graue Haupt schüttelnd, über den Flur und die knarrende Holztreppe hinauf.

An einer der Türen klopfte er.

»Bertl!«

»Was gibt's?« fragte eine helle Mädchenstimme. »Bist du's, Papa? Komm nur herein, ich bin schon fertig.«

Margold trat in die niedere Stube. Peinliche Sauberkeit herrschte da bis in die Ecken hinein, ein warmer feuchter Duft lag darüber, der von den Töpfen mit frischem Samen am Fenster ausging. – Vor dem überhängenden Spiegel stand Bertl, sein Kind, und legte die letzte Hand an ihre Kleidung.

Sie rückte das spitz zulaufende Hütchen, strich die Falten des Regenmantels an den Hüften zurecht, ordnete mit den Fingern die Löckchen an den Schläfen, wandte sich rechts, wandte sich links, und zuletzt mit einem Ruck ganz dem Vater zu, militärisch mit den Stiefelchen aneinander klappend.

»Nun, wie gefall' ich dir, Papa?«

Der Alte humpelte mit den Schlappschuhen um sie herum, und strich da und dort mit seinen krummen, erdigen Fingern sorgfältig ein Fältchen zurecht.

»Gefallen? – Was gefällt mir nicht an dir? Das ist's ja eben! Aber schau, ich mein' halt – die Bertl Margold bist du nicht, die Gärtnerstochter von Haching.«

»Alles zu seiner Zeit, Papa!«

»›Vater‹! Bertl, ich bitt dich – ›Vater‹!« flehte der Alte.

»Im Garten, bei der Arbeit, wirst du dich über meine Aufmachung nicht beklagen können. Das ist eben der Unterschied zwischen euch Alten und uns Jungen! Ihr haltet es für ein Verbrechen, als Arbeiter denselben Rock zu tragen wie die vornehmen Leut', und meint, ihr seid aus einem andern Holz geschnitzt als diese – wir denken ein bißchen anders darüber und kleiden uns ebenso, wenn es uns Spaß macht und wir einen guten lieben Papa – Vater wollt' ich sagen, haben, der uns das Geld dazu gibt . . .«

Sie umarmte und küßte die gebräunten lederartigen Wangen.

»Deswegen sind wir um kein Haar schlechter und rühren ebenso die Händ', wenn es not tut – oder ist's etwa nicht so? Hundert Kohlköpfe gestern zurecht gemacht mit diesen Händen – na, sie sind auch danach!«

Bertl spreizte die kräftigen, für ihre sonst schlanke Erscheinung etwas derben roten Hände.

»'S ist wahr. Du arbeitest für zwei! Aber schau – wenn ich so zurück denk', wie ich jung war – – da – man lernt's halt nicht mehr in meinen Jahren –«

»Wie du jung warst, da war Haching eben noch Haching, ein Bauernnest, und jetzt gibt es bald kein Haching mehr und wir sind Bürger von M . . ., Großstädter! Man muß sich jetzt schon vorbereiten – das kommt über Nacht,« erklärte das Mädchen.

»Großstädter!« Der Alte nickte mit dem Kopfe. »Das ist eben das Elend, wir werden aufgefressen von der verdammten Kreuzspinne! Wie weit wir auch fliehen, sie erreicht uns dennoch mit ihren endlosen Fangarmen, das ist ja eben das Elend!«

»Und alle Hachinger, außer dir, können es nicht mehr erwarten, bis sie aufgefressen werden, um dann in dem Bauch der bösen Spinne ein behagliches Leben zu führen –«

»Nicht alle außer mir! Es gibt noch Männer, die keinen Segen darin sehen, trotz des augenblicklichen Vorteils!«

»Du meinst den Herrn von Brennberg, ich weiß schon – ja, der ist hartgesotten, aber der junge Herr denkt auch anders; wir Jungen rechnen eben ein bißchen –«

»Rechnen?« – Vater Margold lachte. – »Der junge Brennberg und rechnen? Ja, wie er das Geld seines Vaters am besten durchbringt! 'S ist keine Solidität mehr darin. Und ihr werdet schon sehen, wie es endet, euer Rechnen, ich erleb's nicht mehr, Gott sei Dank!«

Ein dreimaliges Peitschenknallen tönte von der Straße herauf und das Rasseln fahrenden Fuhrwerks.

»Komm, Bertl!«

Sie gingen die Treppe hinunter. Hans saß bereits auf dem Wagen; er trug auffallend sorgfältige städtische Kleidung; ein hellgrauer Filzhut auf dem glatt gescheitelten Haar und ein hellbrauner Überzieher gaben ihm ein fast sportsmännisches Aussehen. Frau Margold, die Mutter, eine untersetzte Frau, der man die jahrelange Arbeit ansah, stand in eifrigem Gespräche neben dem Gefährte; aber sie paßte in ihrem Werktagskleid gar nicht zu ihren Kindern.

»Jetzt bin ich allerdings nicht mehr der erste,« sagte Hans, seiner Schwester Platz machend.

»Ja, bis die Bertl fertig ist!« meinte Frau Margold mit strahlender Miene ihre Tochter betrachtend. »Aber verstehen tut's halt das Mädel, ich hab's mein Lebtag nicht so zusammengebracht – nur schad', daß die Krautköpf' euch verraten!«

»Verraten als die Gärtnerskinder! Das ist gut,« sagte bitter Margold.

»Geh, Alter, werd nicht wieder spitzig! Du weißt ja, wie ich's meine. Das mußt du doch selber sagen, daß die Zwei nimmer recht da hinaufpassen – andere Zeiten, andere Leut'!«

»Natürlich, sag nur gleich, daß es eine Schand' ist – – fahr zu, Hans!«

Ein flotter Traber war vorgespannt. Hans verstand es, wie ein Kavalier die Zügel zu führen, das Gefährt sprang nur so auf der gefrorenen Straße, daß die Kohlköpfe lustig in die Höhe hüpften und die Yukka sich in ihren Töpfen schüttelte. Der Traber flog vorbei an den schweren Fuhrwerken, die sich der Straße entlang der Stadt zu bewegten. Hans wollte doch der erste sein.

Allmählich zerrissen die Nebel, die bereiften, gefrorenen Äcker dampften im Morgensonnenstrahl. Es war empfindlich kalt, üble Gerüche verschiedenster Art durchzogen die Luft, entströmten den unzähligen, im Brachfelde zerstreuten Leim-, Farben-, Dachpappen- und anderen stadtverbannten Fabriken, die hier auf Rechnung von Gottes freier Natur ihr Unwesen trieben. Dazwischen bildeten sich bereits geradlinige Häuserreihen, Wirtschaften, Wohnungen von Kleingewerbsleuten – Arbeiterquartiere; und jetzt rasselte das Gefährt an dem ersten Neubau an der Landstraße vorbei, einer riesigen Mietskaserne, der in kurzen Zwischenräumen andere sich anschlossen, weiter vorgeschrittene, eben vollendete, schon bewohnte, links und rechts der Straße. Die Pappeln waren schon längst verschwunden, seitwärts in die Felder zogen sich bereits weit hinaus frisch ausgesteckte Straßen, Grund wurde ausgehoben überall Arbeitslärm, Reihen von Ziegelfuhrwerken – es war einer der vielen Fangarme von Margolds so gefürchteter Spinne, welche täglich ein neues Glied ansetzte. Das Untier schien jetzt einen bestimmten Raub gierig ins Auge gefaßt zu haben, so zielbewußt reckte es die Fänge – – Haching!

Das Stoßen des Wagens ließ die Geschwister nur zu einem abgerissenen Gespräch kommen. Die Neubauten beschäftigten sie beide. Wie stattlich die mit aufgepappter Stukkatur geschmückten Fronten dalagen! Kaum eingedeckt, waren die Häuser auch schon bewohnt! Diese Einnahmen von einem Stück Boden, auf welchem vor einem Jahre noch schlechte Kartoffeln wuchsen! Und da jammerte der Vater über die Kreuzspinne, die, nachdem er selbst sie sein ganzes Leben lang mit seiner Arbeit hatte ernähren helfen, jetzt in der Überfülle ihrer Kraft sich dehnte und streckte! Im Gegenteil, sie war ein dankbares Geschöpf, welches ihm seine viele Arbeit, den vielen um sie vergossenen Schweiß reichlich lohnen wollte, indem sie ihn in ihre steinernen Fänge schloß. – So dachten beide.

Rechts von der Straße, von Fabriken und Neubauten fast verdeckt, erblickte man im freien Felde ein schloßähnliches Bauwerk im französischen Stil des vorigen Jahrhunderts, an welches sich ansehnliche Wirtschaftsgebäude anschlossen.

Es bildete mit seiner vornehmen altertümlichen Fassade einen starken Gegensatz gegen die geschmacklosen nagelneuen Kasernenbauten, welche dem Schlößchen bedenklich auf den Leib rückten. Die Spinne war sichtlich auch danach lüstern; quer über die Felder richtete sich drohend eine eben im Bau begriffene Häuserreihe gerade gegen die Front des Gebäudes, wenn auch noch eine ansehnliche Strecke Feldes dazwischen lag.

Hans stieß mit dem Arm die Schwester an und wies mit der Peitsche hinüber.

»Der Brennberg ist auch so ein Narr, tut alles, um die Ausbreitung der Stadt nach seiner Seite zu verhindern, und pflanzt seine Erdäpfel weiter, nur wegen des alten Kastens, der schon seinem Urgroßvater gehört hat. Könnt' ein Millionär sein, wenn er wollte – na, der Leutnant wird ihn schon mürbe machen! Ein fescher Mann, der junge Brennberg, nicht wahr, Bertl?« Er lachte verschmitzt. »Dein Freund!«

Bertl ließ ihr von der Kälte gerötetes Antlitz in dem hohen Kragen des Regenmantels verschwinden.

»Das war er auch, wie der Vater noch dort im Dienst stand – Gott, wir waren Kinder, die kennen keinen Unterschied! Jetzt ist das alles aus! Ein Offizier und eine Gärtnerstochter von Haching – das wär' eine nette Freundschaft!«

»Wenn du eine Gärtnerstochter von Haching bleibst, dann ist's freilich aus – aber ein reiches Bürgermädel von M . . . .. ist auch für einen Leutnant gut genug.«

»Dazu habe ich alle Aussicht!« meinte Bertl.

»In vier Wochen könntest du's sein, wenn der Alte vernünftig wär'! Der alte Weinmann, unser Nachbar – da hast du's ja – heute soll's verbrieft werden – hunderttausend Mark kriegt er für seine zwei Hütten und seine drei Äcker Land, und unser Vater hat mehr im ganzen.«

»Wirklich, hunderttausend Mark? Und da springst du und singst du nicht? Da brauchst du ja den Vater gar nicht mehr!«

»Warum?«

»Geh, verstell dich nicht so! Glaubst du, ich hab' keine Augen und kenn' dein Techtelmechtel nicht mit der Loni Weinmann? Sie selbst hat mir schon davon erzählt.«

»Ich leugne's auch nicht,« entgegnete Hans, das Pferd zu stärkerem Lauf antreibend; »aber grad die hunderttausend Mark ändern die Sach', ich kenn' die Loni!«

»Die können's doch nur zum Guten ändern, mein' ich.«

»Das meinst du, die Berti; die Loni denkt aber anders, die will jetzt keinen Gärtnerburschen von Haching mehr zum Mann haben – die will höher hinaus –«

»Eine nette Lieb'!« warf Bertl ein.

»Aber es ist so, und recht hat sie!« Hans hieb zornig auf das Pferd, daß dieses einen Seitensprung machte und ein Krautkopf auf die Straße kollerte. »Wenn man aus dem Elend einmal heraus ist, will man nicht wieder hinein, und am End' – der Vater ist ein kräftiger Mann – der kann noch –«

»Hans!« fuhr Bertl auf, »schäme dich! Laß sie laufen, es ist kein Schade um so ein herzloses Ding. Sei froh, daß du sie zur rechten Zeit erkannt hast! Wenn ich so seh', wie's Geld doch schlecht und hart macht, mein' ich, der Vater hat am End' ganz recht. Es käm' mir selber hart an, von meinen Blumen weg zu müssen, aus meinem Garten, wo ich jede Pflanze kenn'; es ist doch eine schöne, lustige Arbeit, viel lustiger, als den ganzen Tag in so einem langweiligen steinernen Haus zu sitzen und sich zu langweilen wie eine vornehme Dame. Abgehen tut uns ja nichts – er hat recht, der Vater!«

»Nun, dann schlag dir den Leutnant aus dem Kopf und behalte deine Blumen und Krautköpf' dafür, Bertl!«

»Was du nur mit dem Brennberg hast – als ob ich – ich verbitt' mir das, Hans, als ob ich – es ist zu dumm, wenn du so sprichst, was sollen die andern Leut' – – kann ich dafür, wenn er mir überall nachläuft? Du solltest mich in Schutz nehmen gegen ihn, anstatt – anstatt –« Bertl standen die Tränen in den Augen – »o, ich hasse diese Stadt! Der Vater hat ganz recht – ganz recht hat er!«

»Du bist nicht gescheit, Bertl,« entgegnete Hans, »als ob ich dir nicht recht gäbe? Nur nicht so heucheln sollst du. Schau – wir wollen alle beide was besseres werden, als der Vater und die Mutter waren – wollen einmal das Leben besser genießen. Das macht der Stadtwind, da nutzt alles nichts, und daß du es als Frau von Brennberg genießen willst, das werd' ich dir nicht verdenken – war auch alles schon da – es kommt nur darauf an, wie man's angreift.«

»Jesus, was der Mensch heut' alles zusammenred't! Als ob ich daran dächte!« – –

Man war jetzt in der eigentlichen Stadt angelangt, Bertl trocknete sich rasch mit dem Taschentuch die nassen Augen, rückte das Hütchen zurecht und zog dann den Schleier wieder herab.

Auf den Straßen drängte sich zu dieser frühen Stunde nur die arbeitende, dienende Klasse; die Fenster der vornehmen Häuser waren noch alle mit schweren Vorhängen verhangen. Bertl fiel das heute besonders auf, und ihre Phantasie schlüpfte hinter die Vorhänge in prächtige Gemächer mit kostbaren Möbeln, kostbaren Spitzenbetten, jeden Laut dämpfenden Teppichen. – Sie hatte das alles schon als Mädchen gesehen, wenn sie mit Aufträgen ihres Vaters in die Häuser der Reichen kam, heute aber sah sie sich zum ersten Male selbst hinter diesen verschwiegenen Vorhängen, in dem duftigen Spitzenbett, und vor ihr stand ein schöner junger Mann in glänzender Uniform und drückte einen Kuß auf ihre Stirn, wie es bei den Vornehmen Sitte ist, und wünschte ihr Guten Morgen. – – Leutnant von Brennberg! – Von einem Fenster zum andern schweifte ihr Blick und hinter jedem sah sie dasselbe Bild! –

Jetzt kam man durch das Geschäftsviertel – da verschwand der schöne Traum, und um sie her sprangen wieder die Krautköpfe, gaukelten die Blumen, die sie so sehr liebte, von denen sie sich nicht trennen konnte, wie sie eben dem Bruder gesagt hatte. Wie das alles durcheinander stürmte hinter der kleinen, schneeweißen Stirn! Daran war nur der Hans schuld mit seinem dummen Geschwätz.

Nun war man auf dem Marktplatze. Der wirre Lärm, das bunte Gedränge, diese ihr heimische Atmosphäre von Obst- und Blumenduft, Fleisch- und Fischgeruch verscheuchten auf einmal alle müßigen Gedanken. Rasch eine Schürze vorbindend, griff Bertl wacker zu, die Blumentöpfe und die Yukka mit dem Bruder in den Stand zu schleppen, auf welchem in goldenen Buchstaben stand: »Thomas Margold.«

Der Markt war bereits gefüllt, es schillerte von kräftigen bunten Farben; da lagen in Pyramiden aufgeschichtete rotbackige Äpfel, strotzende Trauben, Berge von Gemüsen in allen Schattierungen des Grün, daneben scharfriechende Gewürzpflanzen, Sämereien, in zierlichen Säckchen ausgestellt, verlockende Butter in großen Ballen, ätzend riechendes Sauerkraut in mächtigen Kübeln, weißglänzendes Schmalz und in der Sonne rosig schimmernde Eier; dazwischen tönte das Gegacker unzähliger Hühner, das Gequiek der Schweinchen, Gemecker der Lämmchen und Gurren der Tauben – das lärmende, lawinenartig sich fortpflanzende Gefeilsche der Käufer und Verkäufer, das Fluchen der Bauern und Fuhrleute, helles Gelächter – – das alles sammelte sich im Glanze der Oktobersonne zum farbigen, kraftstrotzenden Lebensbilde.

Die fruchtreiche, liebevolle Erde schüttete hier ihre Schätze auf zur Fütterung des steinernen Kolosses, der hochmütig mit seinen Türmen und Palästen hinausblickte auf ihre durchwühlten, bescheidenen Fluren, und ihr kräftiger aromatischer Duft lag wie eine segenbringende Wolke über dem Platz, den wüsten Dunst verbrauchter Luft, den Qualm des Häusermeeres ringsumher besiegend. –

Neben dem Verkaufsstand Thomas Margolds lag der seines Nachbarn von der Landstraße, des Gärtners Weinmann. Er war heute geschlossen und bildete einen schmutziggrauen Fleck inmitten des Blumenwaldes ringsum. Jedermann wußte, warum. Weinmann hatte sein Anwesen verkauft, der Kaufpreis betrug, wie der junge Margold berichtete, hunderttausend Mark; er verursachte allgemeine Aufregung. Weiber und Männer starrten in Gruppen mit einer gewissen Ehrfurcht auf den alten staubigen geschlossenen Kasten. Solch ein Glück! Das große Los! Und womit haben sie es denn verdient, die Weinmanns? Waren sie besser wie andere? Nur weil ihr Anwesen gerade im Wege lag! Warum hatte man nicht auch das Glück? Warum mußte diese verfluchte Stadt gerade dorthin sich ausdehnen, auf der anderen Seite konnte man sich zu Tod arbeiten und kam doch zu nichts. Nun, der wird jetzt den Großen spielen und die Loni, diese eitle Person, wie wird's die jetzt erst treiben!

Diejenigen, welche in gleicher Richtung wie Weinmanns ihre Gärten hatten, befiel ein ordentliches Fieber; sie berechneten mit pochendem Herzen ihren jetzt sicheren Erlös, sie sahen schon den Tag nahe, wo auch ihr Stand geschlossen sein würde, wo auch sie zu den Verzehrenden, nicht zu den Ernährenden dieser Stadt gehören, wo sie der schwarzen Erde, die sie ein Leben lang umgewühlt hatten, Lebewohl sagen würden, wo das ewige Säen endlich aufhörte und die ewige mühelose Ernte begann. Kein dankbarer Gedanke, kein Quentchen Liebe blieb übrig für die getreue stetige Ernährerin, die ihnen jede Arbeit reichlich gedankt hatte. Das lustige Brausen der Großstadt umher betäubte sie jetzt schon, und jeder hatte seine heimlichen üppigen Wünsche, die er dann zu befriedigen gedachte. Genießen, mühelos genießen!

Dieser Zuruf erscholl ja in allen Tonarten aus allen Häusern, aus den glänzenden Läden der stattlichen Paläste, aus den Wirtschaften und Vergnügungslokalen, den üppigen Auslagen der Bilderläden, die sie auf ihrer Wanderung durch die Stadt so oft staunend mit geheimer Begierde betrachtet hatten. Das alles gehörte jetzt auch den Weinmanns, gehörte auch ihnen in kurzer Zeit, und der geschlossene Stand dünkte ihnen der Sarg der Arbeit – sie wollten ihn tüchtig vernageln, wenn sie einmal so weit wären, daß er gewiß sich nicht mehr öffnete und ihre Quälerin aufs neue ans Tageslicht erstehen ließe.

Hans war zunächst der Mittelpunkt des allgemeinen Neides; als Nachbar Weinmanns mußte sein Vater ja sofort an die Reihe kommen, und man konnte seine helle Freude nicht verbergen, als Hans den Starrsinn desselben schilderte – eines ausgemachten Narren in den Augen aller.

Margolds Stand stach vorteilhaft ab gegen seine Nachbarn durch seine Sauberkeit und durch die mit den einfachsten Mitteln erreichte Gefälligkeit der Form, noch mehr aber durch die dort feilgebotene Ware; selbst den völligen Laien mußte es auffallen, wie dort alles nach Farbe und Wirkung sinnreich geordnet war: das Aufdringliche mehr zurück, das Bescheidene, Schlichte mehr im Vordergrunde. Dann die großen und kleinen Sträuße und Kränze, welcher Geschmack bei aller Einfachheit! Sie wären einem sinnigen Gemüte auch in der glänzenden Auslage der hauptstädtischen Kunstgärtner aufgefallen. Das Publikum, das diese beehrte, das Publikum hinter den seidenen Vorhängen, welche heute morgen in Bertl so sonderbare Gedanken hatten aufsteigen lassen, kaufte allerdings nicht bei Margolds. Ihre Kunden waren ein ganz anderes, eigenes Publikum, das sich schwer unter bestimmte Begriffe fassen ließ – das Publikum der Dachstuben, der Hinterhäuser, die »kleinen Leute« nach dem großstädtischen Ausdruck; der arme Student, der Ladenjüngling, der junge Künstler, der Arbeiter, der Unteroffizier, der mit sorgfältiger Wahl ein Sträußchen ersteht für sein Liebchen; die junge Frau, die mit strahlendem Antlitz ein Angebinde aussucht für irgend ein häusliches Fest, für den kleinen Liebling, für den Gatten, oder zum Schmuck des dürftigen Heims, das alte Mütterchen, das mit feuchten Augen und zitternden Lippen einen Kranz kauft für das Grab des letzten teuren Toten.

Dieses große Heer der vielgestaltigen Liebe, in dessen Panier immer und ewig die Blume prangt, zog täglich vor dem Stande Margolds vorüber. Bertl, durch deren fleißige Hände all diese duftigen Liebesgaben gingen, kannte genau die Bedürfnisse ihrer Kunden. Sie verstand wie keine ihrer Genossinnen die Sprache der Blumen, unter denen sie aufgewachsen war, sie wußte auch die bescheidenste, wertloseste sinnig zu verwenden und so um billigen Preis den liebevollen Zweck des Käufers zu erfüllen. Und ihre Abnehmer fühlten das; sie kamen immer wieder, und die Nachbarn mit ihrer plumpen aufdringlichen Ware, mit ihren schlechten Nachahmungen der Kunstgärtnerei sahen mit scheelen Augen auf das unverschämte Glück neben ihnen, nicht ohne spitzige Bemerkungen über die schöne Verkäuferin.

Bertl beteiligte sich nicht an dem Gespräche über Weinmanns, sie war mit ihren Blumen beschäftigt, denn schon standen die ersten Kunden prüfend umher. Sie fühlte, die Arbeit war das beste Mittel gegen die dummen Gedanken, die sie jetzt so oft quälten. Sie war überhaupt nicht schuld daran, daß die begehrlichen Wünsche immer stärker sich aufdrängten, sie war ja ganz zufrieden und glücklich bei ihrer Hantierung, in dem kleinen Häuschen beim Vater, den sie so gern hatte, sie wünschte es sich gar nicht anders, die Stadt war ihr selbst zuwider, wo die armen Blumen in den staubigen Vorgärten, auf den öffentlichen Plätzen kränkelten. Der Bruder war schuld daran mit seinen verlockenden Reden und seinen Plänen von Reichtum und Wohlleben, auch die Nachbarstochter, die Loni, ihre Schulfreundin, die immer etwas Neues, Aufregendes wußte aus der Stadt, das ihr Blut so unruhig machte und – dann noch jemand, das konnte sie nicht leugnen – der Leutnant von Brennberg, ihr Jugendgespiele. Ihr Vater war Gärtner auf dem Gute seines Vaters gewesen, und jetzt war der junge Brennberg ihr einziger, aber ständiger Kunde aus den vornehmen Kreisen. Die treue Anhänglichkeit, die sie darin zu sehen glaubte, bestärkte nur ihre Neigung zu dem schönen jungen Manne. Er flüsterte ihr Schmeicheleien zu, deren Einfluß sie sich nicht entziehen konnte: sie sei viel zu gut für ein Gärtnermädchen; mit ihrer schönen, eleganten Erscheinung, ihrem künstlerischen Geschmack sei sie zu Besserem geboren, in der Stadt nur könne sie ihr Glück machen! Sie sei ja reich, wenn der Vater nur wolle, ein reiches Bürgermädchen, dem bei den jetzigen gesellschaftlichen Anschauungen die ganze Welt offen stehe – es war dasselbe, was ihr der Bruder heute auf dem Weg gesagt, und darum hatte es sie so gepackt. Ihre fast kokette Kleidung, die dem Vater so unnatürlich vorkam, war nur eine Folge davon; alle diese Redensarten vom Fortschritt der Jungen, mit welchen sie den alten Mann heute so gekränkt hatte, waren nur das Echo der Brennbergschen Ansichten, in ruhigen Stunden stand sie wieder ganz auf der Seite des Vaters.

Das Geschäft ging heute vortrefflich; der Ärmste suchte ein Stückchen Sommer sich zu retten für den langen traurigen Winter, und Bertl war unerschöpflich in herzlichen Zusprüchen, guten Ratschlägen betreffs Behandlung ihrer Lieblinge, heiteren Bemerkungen und Anspielungen und, wenn es not war, kräftigen Trostesworten; sie suchte sich gewaltsam zu zerstreuen, um etwas zu verdrängen, das sich immer wieder in ihr regte.

Die Stunde vor Mittag war immer die lebendigste; Bertl konnte all den unentschlossenen, sich drängenden Käufern gar nicht mehr nachkommen; dann aber nahm der Zulauf mit einem Male ab, und sie konnte sich wieder mit dem Binden der kleinen Sträußchen beschäftigen, um die entstandenen Lücken auszufüllen. – Da kamen sie wieder, die bösen Gedanken, und zu allem Überfluß leistete ihr Hans noch Gesellschaft, der unterdessen seinen Gemüsehandel an der Rückseite des Standes beendigt hatte, und begann von dem Glück der Weinmanns zu schwärmen, seine Befürchtungen in betreff Lonis zu äußern, die ihm sichtlich näher stand, als er gestehen wollte. Er fand es zum Erstaunen Bertls ganz begreiflich, daß das Mädchen ihm von jetzt ab die Freundschaft kündigen werde, daß sie von nun ab mit dem Markt und seinem Trödelkram nichts mehr zu tun haben wolle, jetzt, da sie ebensogut wie jede andere berechtigt sei, die Dame zu spielen. Bertl meinte allerdings, eine wahre Liebe lasse sich dadurch nicht abschrecken, doch Hans, den grauen Hut im Genick, die Hände in den Hosentaschen, lachte hellauf darüber: das seien Hachinger Begriffe, die er sich schon längst abgewöhnt habe.

Bertl ging dabei die Arbeit nicht von der Hand, jeden Augenblick riß der Faden, die Rosen entblätterten sich, die Veilchen fügten sich nicht und neigten die Köpfchen nach innen – da klirrte es auf dem Fußsteig, es gab ihr einen Stich in das Herz, sie wagte nicht, aufzusehen – wenn er nur heute nicht käme! Die Rose zitterte in ihrer Hand.

Hans beugte sich vor, blinzelte seiner Schwester lachend zu und zog sich pfeifend zurück.

Leutnant Brennberg trat mit leichtem Gruß an den Blumenstand.

»Guten Morgen, Fräulein Berta! Immer fleißig und reizend, die personifizierte Flora!«

Er griff in einen Blumenkorb und suchte scheinbar nach etwas Geeignetem.

»Ich kann's nicht ändern, es tut mir immer weh, wenn ich Sie unter all dem eckigen häßlichen Marktvolke da sehe, in dieser Bude Ihr junges Leben verträumend!«

»Verträumend! Wer sagt Ihnen denn das?« entgegnete in verletztem Tone Bertl.

»Gewiß, verträumend! Das ist doch kein Leben für ein junges, hübsches Mädchen, wie Sie sind, die in der Lage wäre, eine ganz andere Stellung einzunehmen, wenn nicht ihr Herr Papa so bockbeinig wäre! – Ah, was ist denn da mit Ihrer Nachbarin, mit der Loni? Vater gestorben?« – Er deutete auf die geschlossene Bude Weinmanns.

»Er hat sein Anwesen verkauft um hunderttausend Mark.«

»Um hunderttausend Mark! Donnerwetter! Das ist ein Gebirge von Gemüse! Da sehen Sie es ja am besten, wie es mit Ihrem Vater stände. Er besitzt ja fast das Doppelte! Sie wissen, ich interessiere mich für ihn, er zählt zu meinen liebsten Erinnerungen, der alte Gärtner Margold, und das hält nach in den Stürmen des Lebens, Fräulein Berta!«

Er sagte die letzten Worte in einem ernsten, dem lebenslustigen Manne sonst fremden Tone.

Bertl wurde feuerrot und nestelte in den aufgeschütteten Blumen.

»Ich glaube es Ihnen, Herr von Brennberg, wir alle hegen ja auch die innigste Verehrung für Ihren Herrn Vater, der so viel Gutes für uns getan hat.«

»Ach, gehen Sie, das meine ich nicht! Gutes getan! Ich meine, Ihr Vater sollte endlich einmal Vernunft annehmen und sich ein behagliches Alter verschaffen, wie man es ihm von allen Seiten anbietet –«

»Und macht es Ihr Herr Vater nicht ebenso? Könnte er nicht auch ein reicher Mann sein, wenn er aus seinem Gute Baugründe machen würde? Und doch tut er es nicht!«

»Ganz richtig, Fräulein Berta, derselbe Eigensinn, ganz richtig! Aber bei Ihnen wäre der Unterschied zwischen den zukünftigen Verhältnissen und Ihren jetzigen immer noch bedeutender, Sie würden damit in einen ganz anderen Lebenskreis treten. Was kümmert man sich heutzutage um die Vergangenheit!«

»Wie meinen Sie das, Herr Leutnant? Ich denke, unsere Vergangenheit war eine durchaus ehrliche, die jeder wissen darf!« entgegnete Bertl etwas gereizt.

»Aber, Fräulein, es liegt mir doch fern, Sie beleidigen zu wollen! Alle Achtung vor der Arbeit, dem Handwerk! Gott, heutzutage denkt man selbst in der Uniform etwas freier über diese Dinge! Aber ich meine das anders – es gibt einmal gewisse Gesetze, über die wir nicht hinaus können – ich meine, Sie treten dann in einen Lebenskreis, der – der – –« der junge Mann zögerte – »der es jedem, wer es auch sei, ermöglicht, offen mit Ihnen zu verkehren,« sagte er dann rasch. »Fräulein Berta Margold, ein reiches Bürgermädchen, eine Dame – das meine ich – und – –« er ergriff eine Rose und sog wiederholt ihren Duft ein – »und das ist mir gar nicht gleichgültig, Fräulein Berta! Sehen Sie zum Beispiel, ich möchte jetzt noch gern mit Ihnen plaudern – aber es geht nicht – es würde sofort darüber gesprochen werden!« Er beugte sich etwas vor und reichte ihr die Rose. »Verstehen Sie mich jetzt? – Guten Tag, Berta, denken Sie darüber nach!«

In demselben gleichgültigen Bummelschritt, in dem er gekommen war, entfernte er sich, um sich in den Augen der allenfallsigen Beobachter nicht den Anschein eines absichtlichen Besuchers des Blumenstandes zu geben. Bei den Marktweibern umher fruchtete indessen diese Bemühung wenig, sie hatten ihn und Bertl schon längst beobachtet.

»Da kann man freilich das Geschäft hinaufbringen, wenn man es so macht!« das war der Inhalt ihrer nicht eben freundschaftlichen Bemerkungen.

Auf Bertl machten die Worte Brennbergs einen gewaltigen Eindruck. Sie waren ja gar nicht mißzuverstehen; was sie kaum zu denken wagte, das sprach er eben klar aus – er liebte sie! Er wollte sie zu sich emporheben – als – als – Aber nein, das war ja gar nicht möglich – er wollte nur mit ihr, ohne darum angesehen zu werden, verkehren – das konnte er jetzt ja nicht – Jugendfreundschaft, weiter nichts! »Das ist mir gar nicht gleichgültig!« Wie fest er das sprach, wie bedeutungsvoll! Die Freundschaft einer Gärtnerstochter war einem Leutnant von Brennberg nicht gleichgültig! Dann war es eben keine Freundschaft, sondern – Liebe, heiße, innige Liebe! Es gab für sie kein Drittes! Ihre Neigung zu dem jungen, vornehmen Mann, deren sie sich schon längst bewußt war, schlug jetzt plötzlich in hellen Liebesflammen empor. Nichts entzündet ein Mädchen mehr als das Herabsteigen des geliebten Mannes von einer wirklichen oder eingebildeten Höhe, ihm zu Liebe. In dem Sinnes- und Herzensrausch bei diesem seligen Anblick vergißt es nur zu leicht die sorgfältige Prüfung der Beweggründe.

Bertl war nur eins klar: sie hatte jetzt die heiligste Verpflichtung, alles zu tun, um sich emporzuschwingen zu dem Geliebten, der ihr ja bereits beide Arme helfend entgegenstreckte; jede andere Rücksicht mußte verschwinden. Am Ende gab es ja gar keine Rücksicht mehr zu nehmen, der Vater würde selbst nicht mehr bei seinem Willen beharren, sobald er das Glück seiner Bertl erfuhr; er liebte sie über alles, er verehrte das Haus Brennberg – den alten Herrn von Brennberg! – Herrn von Brennberg – o weh! den kannte sie als gestrengen, absonderlichen Herrn; er verschmähte alles Geld, das man ihm für sein altes, ihn und seine Familie kaum ernährendes Familiengut bot, und jetzt sollte sein einziger Sohn die Tochter seines Gärtners –

Doch das ist ja das Große, das Herrliche der neuen Zeit, von der man immer spricht, daß diese dummen Schranken gefallen sind, ihr muß das Alte weichen – der Herr von Brennberg – der Vater! Sie band die verwirrtesten, sinnlosesten Sträuße bei diesen stürmischen Gedanken, sie mußte über die häßlichen Dinger lachen, als sie zu sich selbst kam – da stand Hans vor ihr, der ihr schon lange zugeschaut hatte.

»Komm, Bertl, es ist jetzt Mittag, wir sperren die Bude zu und wollen uns auch einmal etwas gönnen. Ich lade dich zu einem Mittagsmahl bei Arnold ein.«

Bertl sah den Bruder erstaunt an. Arnold galt für das vornehmste Lokal der Hauptstadt.

»Na, was schaust du? Glaubst du vielleicht, wir dürfen dort nicht hinein? Da sitzt mancher drin und macht sich breit, der nicht die Hälfte von dem hat, was wir haben könnten. Grad' extra! Ich hab's satt, die ewige Schinderei!«

Um keinen Preis hätte Bertl unter anderen Umständen je eingewilligt, sie hätte gar nicht den Mut gehabt, dort einzutreten. Heute aber willigte sie ein, ja, die Aufforderung schien ihr ganz erwünscht zu kommen, der hastigen Eile nach, mit welcher sie zusammenräumte und den Stand zuschloß. Sie richtete sich vor dem kleinen Spiegel sorgfältig her, sie durfte sich überall sehen lassen, nur die roten Finger konnten sie verraten. Hans steckte eine Rose in das Knopfloch, setzte den hellen grauen Hut gerade und bot seiner Schwester den Arm. Spitzige Reden verfolgten sie auf dem Wege durch die Stände links und rechts, aber sie fühlten sich jetzt schon beide erhaben darüber.

Zum ersten Male bummelte Bertl so ohne alle Beschäftigung und Zweck, nur zum Vergnügen, in den Straßen der Stadt herum. Es entging ihr nicht, daß die Herren ihr nachblickten, manch schmeichelhafte Bemerkung drang an ihr Ohr. Vor jedem Auslagefenster blieben sie stehen. Da blitzten kostbare Geschmeide in rot- und blausamtenen Futteralen, dort war alles Erdenkliche ausgebreitet, was weibliche Eitelkeit reizen konnte, in den hohen Spiegelscheiben erblickte Bertl ihre schlanke Gestalt; wenn sie erst diese Hilfsmittel der Schönheit alle zur Verfügung hätte, da sollten sie nur kommen, diese feinen Damen alle, die da so stolz an ihr vorübergingen!

* * *

Es war jetzt die Promenadezeit der ersten Gesellschaft, und das Restaurant Arnold lag in der Hauptstraße. Dahin war Bertl noch nie gekommen. Das war eine ganz andere Welt als in den engen übelriechenden Vierteln um den Markt herum, mit ihrem farblosen Publikum! Diese Kleider, diese lautlos dahinrollenden, sich wohlig schwingenden Gefährte, diese prächtigen, alle Sinne in Aufruhr bringenden Auslagen, an den Ecken unzählige bunte Plakate mit verlockenden Bildern, mit Anzeigen von Bällen, Konzerten, Theatervorstellungen. Die Arbeit war hier unbekannt, sie mußte sich erschrecklich düster, schmutzig ansehen in dieser Umgebung. »Genießen« war hier die Losung, »mühelos, rücksichtslos genießen!« Was ihr auffiel, das waren die ernsten oder wenigstens völlig gleichgültigen, kalten Gesichter, die sie überall erblickte. Warum lachten diese Menschen nicht? Freuten sie sich nicht über ihr Glück? Sie, Bertl, glühte ja und hätte laut aufschreien mögen vor Lebenslust. Diese schöne junge Frau da am Arme des Offiziers in glänzender Uniform, der ihr entgegenkam, wie gelangweilt, wie freudlos sah sie drein! – Wenn sie einmal am Arme ihres Geliebten –

Die Sinne schwanden ihr fast bei dem Gedanken, sie hielt sich fest an dem Arm des Bruders, dem alle diese Dinge durchaus nicht mehr neu waren; er hatte sich bereits das Nichtverblüffenlassen des Großstädters zu eigen gemacht, diese erheuchelte Gleichgültigkeit gegen alles, die Bertl empörte.

Sie traten in das Restaurant Arnold.

»Guck nicht so erstaunt herum wie ein Bauernmädel, man lacht dich sonst aus!« flüsterte ihr der Bruder zu und schritt, den Stock unter den Arm geklemmt, die Schultern emporziehend, mit kühnem Blick durch die Reihen der tadellos gedeckten Tische. Bertl folgte ihm Schritt für Schritt, schüchterne Seitenblicke werfend; ihr sonst so entschlossenes Wesen war verschwunden, es lag ein so eigentümlich schwüler und doch so prickelnder Dunst über dem weiten Raume, gemischt aus dem Aroma feiner Zigarren, Speisegeruch und Weindunst, dem Parfüm der Damen und Herren.

Aus einem lauschigen Winkel, in welchem bereits das Gas brannte, erschallte lautes, lärmendes Gelächter und Gläserklingen.

Hans wollte eben in erzwungener Achtlosigkeit daran vorbei, da rief jemand seinen Namen, und er wandte sich danach um. Ein breitschulteriger, knochiger Mann mit hochgerötetem Antlitz inmitten einer lärmenden Gesellschaft schwenkte ein Schaumweinglas gegen ihn.

»Nur 'ran, Nachbar! Kommen ja wie bestellt – es lebe die – die – Gä – Gärtnerei! Prosit, Kinder!«

Er fiel auf das rote Samtpolster zurück, und unter schallendem Gelächter stieß man an.

Es war Weinmann, der Gärtner, der Nachbar der Margolds.

Hans wußte, was hier gefeiert wurde, und er wäre am liebsten sofort umgekehrt, denn der Neid packte ihn. Da erblickte er Loni, die Tochter, unter der Gesellschaft, sie lachte und scherzte mit einem jungen, fein gekleideten Mann – da folgte er der Einladung.

Alles war schon ziemlich angeheitert, eine Batterie geleerter Flaschen mit roten Köpfen stand umher.

Loni war in sichtlicher Verlegenheit beim Anblick des jungen Mannes, der ihren Nachbar so scharf ins Auge faßte; sie wandte sich, um dieselbe zu verbergen, mit lauter Stimme an Bertl, welche, ganz betäubt von dem Lärm, dem schweren Weindunst, dem blendenden Lichte, sich kaum zurecht fand.

Der alte Weinmann übernahm die Vorstellung.

»Herr Bau – Baumeister Stef–f–fanelly, Herr Ingenieur Mareschall – künftiger Schwie – Schwiegersohn.«

»Papa!« rief Loni in verweisendem Tone.

Herr Stefanelly machte ein verdutztes Gesicht.

»A was – lange G' – G'schichten – seid fi – fidel Kinder! Heute darf man ja doch einen Spaß ma – machen!«

Man nahm Platz, ein Kellner brachte zwei weitere Gläser und schenkte ein.

Hans war empört über den angetrunkenen Alten; denn sprach er auch zu viel, so war doch etwas daran. Mareschall war die rechte Hand des Stefanelly, des Käufers des Weinmannschen Anwesens, eines der ersten Bauspekulanten M . . .s. Aber Hans hatte doch bereits von der Welt so viel gelernt, um sich nichts merken zu lassen.

»Natürlich schon gehört, Herr Mar–Margold? Herr Stefanelly ist jetzt Ihr Nachbar – großer Palast – Straße Stefanelly – Sie sind doch ein verfluchter Kerl, Stefanelly –«

Weinmann drohte blinzelnd mit dem von harter Arbeit gekrümmten Finger. »Die Hachinger sollten Ihnen die Hand küssen – alle – der alte Margold – das heißt, mir sollte man sie eigentlich küssen, ich habe den Anfang gemacht, jetzt kann's jeder – keine Kunst mehr!«

»Da irren Sie sich ein wenig,« sagte Stefanelly, dem die Art und Weise Weinmanns sichtlich nicht angenehm war; er rückte wenigstens etwas von ihm weg. »Herr Margold hätte schon längst vor Ihnen verkaufen können, das sage ich Ihnen, aber er will nicht.«

Hans schoß das Blut in den Kopf: kein Zweifel, Stefanelly selbst hatte dem Vater schon ein Angebot gemacht, ein höheres jedenfalls wie dem Weinmann.

»Entschuldigen Sie, Herr Margold, aber ich versichere Sie,« wandte sich der Baumeister an Hans, »ich habe noch nie eine solche Hartnäckigkeit getroffen wie bei Ihrem Vater.«

»Na, der Brennberg – bei dem langt's auch!« warf Weinmann ein.

»Bei solchen Leuten begreife ich es eher, die stecken einmal in ihrem Vorurteil und all dem alten Kram, aber ein Mann wie Margold, ein Mann der Arbeit, dem jetzt das Glück in den Schoß fällt, daß er sich so gegen seinen Vorteil wehrt, das ist mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen. Das Gute ist nur, daß er zu seinem Glück noch gezwungen wird; einem solchen Ungeheuer wie M . . . kann man keine Schranke entgegensetzen, es zerbricht sie einfach. Entschuldigen Sie meine Offenheit, Herr Margold, aber ich setze voraus, daß Sie in diesem Punkte andere, praktischere Ansichten haben als Ihr Herr Vater.« Er betrachtete Hans von oben bis unten.

»Hab' ich auch, aber was nützt es mir? Er fürchtet sich nun einmal vor barem Gelde, er hat keine Ahnung, wie man damit arbeitet.«

Weinmann lachte hellauf.

»Es ist etwas daran, es ist etwas daran!« – die hohe kahle Stirn des Baumeisters zog sich, als er das sagte, in schwere Falten – »aber so ein einfacher, solider Mann, er braucht ja nicht zu spielen – sicherste Anlagen –«

»Nein so was! Fürchten tut er das bare Geld!« fiel Weinmann dazwischen, indem er sich wand vor Lachen. »Ich nicht! Ich nicht! Mein Lebtag nicht! Allerdings ein bißl umzugehen damit muß man verstehen, daß es auch was gleich sieht; das kann man aber auch als früherer Mann der – Arbeit – ha, da ist mir nicht bang' – G'schmack muß man haben – da – da – zum Beispiel –«

Er spreizte seine krummen harten Finger; an dem einen steckte ein blitzender, aufdringlich gefaßter Diamant, der die Hand wie aus Erde geformt erscheinen ließ.

»Den hat mir die Loni heut' gekauft zur Erinnerung an den Tag, das heißt, die Loni – Sie verstehen schon!« – er lachte selbstgefällig und wendete die Hand hin und her, daß sich die Strahlen darüber kreuzten – »das nenn' ich Geschmack und haben tut man auch was davon – ja, da ist mir nicht bang'!«

Er ergriff ein Kelchglas, als packe er eine Schaufel und trank es auf einen Zug leer.

Während die anderen, dem Beispiele Weinmanns folgend, ihre Gläser leerten, richtete Stefanelly sein stechendes schwarzes Auge auf Bertl. Diese konnte den Blick dieses Mannes nicht ertragen, sie dachte unwillkürlich bei seinem Anblick an die Kreuzspinne, von der heute früh der Vater gesprochen hatte.

Augenblicklich war Bertl ganz allein und ungestört. Loni hielt sich jetzt in ihrer lebhaften Unterhaltung mit dem hübschen jungen Mann an ihrer Seite nicht mehr zurück; so hatte Bertl Muße, das Lokal zu betrachten, das jetzt schon in vollem Lichtglanz strahlte. Das war ein unruhiges Geflunker von Gold und Farbe: dort umfing Amor voll heißen Verlangens Psyche, oben aus der Decke raste ein Bacchantenzug, aus allen Ecken winkten üppige Figuren, Becher und Kränze schwingend; grellrote schwellende Polster die Wände entlang, Nischen, mit schwerseidenen Vorhängen verschlossen, aus denen heimliches Geflüster klang, unterdrücktes Gelächter, leises Gläserklingen – ein Glas des Bertl so ungewohnten Schaumweins genügte, um sie vollends zu betäuben; es war ein häßliches, nie empfundenes Gefühl, das sie jetzt durchzitterte, eine pochende Hitze in den Wangen, dazu der lärmende angetrunkene Weinmann, der Mann mit dem stechenden Auge, Lonis freches Benehmen –, Bertl sehnte sich hinaus in das kleine Häuschen zum Vater, zu ihren Blumen, und einen Augenblick dämmerte in ihr mitten in dem unsteten Treiben um sie her der Gedanke auf, ob das Glück dieser Welt nicht so falsch sei wie all das Gold, all der Marmor, all der Glanz im Restaurant Arnold.

Sie machte Hans schon lange ein Zeichen, daß er aufbrechen solle, doch dieser sah und hörte nicht darauf – die Spekulation war jetzt Gesprächsstoff. Weinmann schrie und schlug mit der Faust auf die Marmorplatte, daß die Gäste im Saale mit ärgerlicher Miene hereinblickten; er wolle in einem Jahr Millionär sein, es handle sich nur um die ersten Hunderttausend, das andere sei Spaß – nicht mit der Hand, mit dem Kopfe müsse man arbeiten – wobei er sich mit der rauhen Hand auf seinen knochigen Schädel schlug – ja, wenn er das früher begriffen hätte, dann führe er jetzt schon lange mit Vieren.

Stefanelly stimmte ihm vollkommen bei, indem er seine Rede größtenteils an Hans richtete. Er schilderte in den verführerischsten Farben die heutige Spekulation, die Zukunft M . . .s. Sein bleiches Gesicht mit den harten Zügen rötete sich, er glaubte offenbar selbst daran. Hans horchte atemlos, Haufen Goldes flammten vor seinen Augen, der Sekt tat das übrige.

Man kaufte und verkaufte M . . ., ein Strom flüssigen Goldes floß durch ihre Taschen und füllte sie mit seinem kostbaren Niederschlag, die Bacchanten winkten und grinsten aus allen Ecken, Faunen, Amoretten lächelten lüstern herab auf den glühenden Hans – »komm! genieße, genieße!«

Auch Bertl lauschte jetzt: es war ja auch die Zukunft des Geliebten, ihres künftigen Gatten, von der die Rede war. Sein Bild stand wieder lebhaft vor ihr, sein Wort tönte ihr wieder im Ohr – da kam ihr plötzlich der Gedanke: ja, du gehörst ja gar nicht mehr unter diese Leute, unter diese Weinmanns und Stefanellys – wenn er dich jetzt darunter sitzen sähe! – Eine förmliche Angst befiel sie – da klirrte es draußen im Saale, sie fuhr jäh zusammen, sie sprang auf und rüstete sich zum Gehen, aber Hans hielt sie zurück. Da trat Leutnant Brennberg, begleitet von einem Freunde, unter den grauseidenen Vorhang, der die Nische vom Saale trennte. Eben wollte er beim Anblick der lärmenden Gesellschaft wieder umkehren, da erblickte er Bertl, die sich vergebens hinter Hans zu verbergen gesucht hatte, trat, seinem Kameraden winkend, ein und nahm mit einem kurzen und gemessenen Gruße an dem noch freien Tische nebenan Platz.

Stefanelly hatte den Eintretenden scharf ins Auge gefaßt, sprang dann plötzlich auf und machte eine untertänige Verbeugung, die kaum erwidert wurde. Das war unangenehm, man fühlte sich auch sonst in seiner Lust gestört, besonders Weinmann, der mit seinem wankenden Haupte und verschleierten Blicke die Eindringlinge betrachtete und seinen Diamant möglichst zur Geltung brachte.

Bertl saß wie auf Kohlen, sie zitterte vor jedem lauten Worte, vor jeder Bewegung ihrer Tischgenossen; besonders Loni brachte sie zur Verzweiflung, die sofort in der auffallendsten Weise mit den Offizieren kokettierte, ohne daß dieselben im geringsten Notiz davon nahmen. Bertl war in atemloser Spannung, was Brennberg tun würde. Wenn er herbeikäme und sie begrüßte, das wäre ein Triumph vor diesem Volk!

Kaum dachte sie es, da erhob sich Brennberg, seinem Gefährten etwas zuflüsternd, und trat zu ihr, ohne die Gesellschaft weiter zu beachten.

»Sie nehmen sich ja meine Lehre sehr gut zu Herzen, Fräulein Berta!« sagte er. »Arnold – Champagner – das sind Fortschritte! Ich darf Sie wohl Ihrer Gesellschaft nicht entziehen! Ja, wenn ich das gewußt hätte, würde ich mir schon längst einmal erlaubt haben, Sie einzuladen. Übrigens –« er sprach jetzt ganz leise, sich von dem Tisch abwendend, »haben Sie sich das überlegt, was ich heute früh sagte? Es war mein voller Ernst.«

Er sah mit einem eigentümlichen Ausdruck in das Antlitz Bertls, das jetzt in seiner Erregung doppelt schön war.

»Was Sie sprechen, vergesse ich gewiß nicht!« entgegnete sie.

»Und noch etwas« – er flüsterte jetzt nur noch – »gefällt Ihnen die Gesellschaft, in der Sie sich jetzt befinden?«

»Ich verachte sie!« erwiderte Bertl.

»Das ist alles, was ich wissen wollte. Es ist schon spät, ich rate Ihnen, rasch heimzukehren. Auf Wiedersehen, Fräulein Berta!«

Leicht grüßend trat er zurück zu seinem Kameraden.

Bertl war es, als müßte sie sich an ihm festhalten, als müsse sie ihn anflehen, daß er sie rette aus dieser Gesellschaft, die ihr jetzt mit einem Male in ihrer ganzen Roheit erschien. Loni machte spöttische Bemerkungen, der alte Weinmann blinzelte beleidigend, auch Stefanelly und der Ingenieur warfen ihr Blicke zu, die sie wohl verstand. Sie fühlte aus allem einen häßlichen Verdacht heraus, und sie mußte sich zurückhalten, um sich nicht offen als die Braut des Herrn von Brennberg zu bekennen. Aber bleiben durfte sie jetzt nicht mehr, ihr Geliebter würde es ihr nie verzeihen! Was lag ihr daran, wenn sich diese Leute beleidigt fühlten! Sie stand entschlossen auf.

»Wenn du nicht mitkommst, fahre ich allein; der Vater ängstigt sich zu Tode,« sagte sie zu Hans.

Mißmutig stand dieser auf; er hatte sich so wohl gefühlt in diesem Element, der Gedanke an Haching war ihm jetzt fürchterlich.

Brennberg sprang Bertl hilfreich bei, als sie ihren Regenmantel anzog. Dieser kleine Ritterdienst machte sie beben vor Wonne und Stolz, in diesem Augenblick gehörte sie ihm ganz. Sie schwur in ihrem Innern die heiligsten Eide.

Stefanelly sprach noch einige Worte insgeheim mit Hans. Bertl verließ mit kurzem Abschied den Tisch und warf Brennberg noch einen Blick zu, der ihm seine völlige Herrschaft über dieses Mädchenherz verkündete.

Hans war in übelster Laune. Er wäre heute überhaupt nicht mehr heimgekehrt, wenn Bertl nicht bei ihm gewesen wäre. Von dem Stefanelly, meinte er, habe er in einer Stunde mehr gelernt, als sein Lebtag in der Gärtnerei des Vaters. Er schalt auf seinen Beruf, auf den Vater, auf die Arbeit und bedauerte fortgesetzt sich selbst, daß er in solche Ketten geschmiedet sei.

Bertl hörte ihn gar nicht mehr, sie mußte sich nur alle Mühe geben, nicht zu lachen und zu jubeln, so glücklich, so selig fühlte sie sich. Die glänzende Zukunft an seiner Seite lag ja sonnenklar vor ihr, und, in ihrem vorausstrahlenden Lichte gesehen, kamen ihr die eben erlebte Stunde in der abgeschmackten Gesellschaft, ihr einfältiger Bruder, das Gartenhaus in Haching, die Mutter und selbst der Vater furchtbar kleinlich vor.

Das Fuhrwerk stand im »Schwarzen Rößl« auf dem Marktplatze, dem ständigen Absteigequartier Margolds.

Hans spannte rasch ein, denn es war schon dunkel. Schweigend fuhren sie an den jetzt geschlossenen und verlassenen Marktbuden, an den umgestürzten Ständen vorbei, an der Bretterstadt, in der sie beide ihr junges Leben verbracht hatten. Die Gesichter der Geschwister glühten vom Wein und von Erregung, und zornig hieb Hans auf den Traber ein. In der Vorstadt wälzte sich ihnen das Heer der Arbeiter entgegen, welches von den außerhalb gelegenen Bauplätzen und Fabriken kam. »Als ob es nicht von dem Volk genug gäbe!« brummte Hans vor sich hin. »Andere arbeiten lassen, darin liegt's! Ja, der Stefanelly, das ist ein Mann!«

Wieder fuhren sie die neuentstandene Straße entlang, die geradeswegs zu ihrem Anwesen führte. Die noch unbeworfene kahle Häuserreihe strahlte schon im Lichtglanz, der zu jedem Fenster herausdrang – fast alle diese Häuser gehörten dem Stefanelly! War es da ein Wunder, wenn die Loni sich an den Ingenieur hing, der bei ihm ein riesiges Geld verdiente? Sie hatte es ihm ja insgeheim zugeflüstert, daß sie den Mann nichts weniger als lieb habe, aber der Vater dränge zu der guten Partie; Hans solle doch seinen Alten rasch herumkriegen, dann gebe sie dem Ingenieur sofort den Laufpaß. Hans war über solche gewissenlosen Reden Lonis gar nicht empört. Nach seinen Begriffen war sie einfach ein schlaues, kluges Mädchen, dem er es im gleichen Falle ohne weiteres nachtun würde. Ein Ingenieur und ein Gärtnerbursche – das war ein Unterschied! Ein Ingenieur und der Sohn eines reichen Privatmannes war auch einer, aber nur einer zu seinen Gunsten. An ihm, dem Hans, war es jetzt, den Vater gehörig zu behandeln; er mußte nachgeben! Daß Bertl zu derselben Zeit denselben Entschluß gefaßt hatte, daran dachte er nicht.

* * *

Es war völlig Nacht, als die Geschwister an Margolds Haus ankamen. Das Dorf lag schon in stiller, lichtloser Ruhe, nur gegen Osten schimmerte über die schwarzen Felder eine rötliche Glut – die Stadt.

Die Eltern Margold saßen eben beim einfachen Abendessen, Kraut mit Knödeln, des Alten Lieblingsspeise; doch heute berührte er sie nicht. Das Ausbleiben seiner Kinder erfüllte ihn mehr mit Unwillen als mit Besorgnis: das war noch nie vorgekommen, wenigstens nie, wenn Bertl dabei war. Er erging sich in unzähligen Vermutungen. Frau Margold fand dagegen nichts Besonderes daran. »Die Leute sind jung,« meinte sie, »wollen sich auch einmal unterhalten, und für Bertl ist das ja so kein Dasein mehr; das Herz tut mir weh, wenn ich das schöne Kind so dahinleben sehe!«

Diese Reden waren dem Alten stets unverständlich; er hatte es aber schon längst aufgegeben, zu widersprechen, denn am Ende geschah ja doch, was er wollte. Als er endlich das Fuhrwerk vor dem Hause halten hörte, ging er voller Grimm hinaus.

»Wo treibt ihr euch denn herum bis in die sinkende Nacht, daß es eine Schande ist vor den Nachbarn?« schalt er.

»Spare deinen Zorn, Vater, wir kommen ja eben von unseren Nachbarn!« entgegnete Hans gereizt, das Pferd in den Stall führend.

Der Alte ging ihm nach, während Bertl sich eilig zur Mutter in das Zimmer begab.

»Was schwätzst du da für albernes Zeug, Hans? Von den Nachbarn kommst du? Von welchen Nachbarn?«

»Nun, vom Weinmann, der seit heute mittag bei Arnold sitzt und Champagner kneipt mit dem Stefanelly – das ist gar nicht albern – hunderttausend Mark! Der lacht über dich!«

»So, lachen tut er? Laß ihn nur lachen! Wer zuletzt lacht, lacht am besten!«

»Vater, ich muß heut' noch ein ernstes Wort mit dir reden,« sagte Hans plötzlich in einer Art von überlegenem Tone.

»Du ein ernstes Wort, da bin ich wirklich neugierig – nur heraus damit!«

Hans lehnte sich auf den Braunen. »Das Geschäft, das unser Nachbar gemacht hat, muß dir doch zeigen, was unser Anwesen wert ist, und daß es einfach eine Narrheit wäre, so weiter zu arbeiten.«

»Aha, daher bläst der Wind? Na natürlich, Champagner bei Arnold – kann mir's denken, und der Stefanelly dazu – kann mir's denken, wie sie dir den Kopf vollgeschwatzt haben. Und ich sage dir, ich arbeite so weiter, trotz aller Weinmann und Stefanelly und trotzdem dir's so gefallen hat bei Arnold und seinem Champagner! Das verstehst du natürlich nicht, trotz deiner Klugheit, an die wir Alten nicht mehr 'rankönnen – das ist eben das Elend! Könnt ihr nicht ein paar Jahr' noch warten, bis ich in der Grube lieg'? Ich mein', es sei nachher noch alleweil Zeit für euch, in euer Unglück zu rennen, und ich kann euch nachher nimmer aufhalten –«

»Ja, was soll denn das für ein Unglück sein, wenn man, anstatt sich Tag für Tag um ein paar Groschen abzurackern, ein schönes Vermögen einsteckt, von dem man gut und sorgenfrei leben kann?« entgegnete Hans.

»Das ist freilich an und für sich kein Unglück, ein schönes Vermögen, aber in eurer Hand ist's ein Unglück! Weil ihr jungen Leut' es nur anschaut als ein Mittel, der Arbeit ledig zu werden, gut zu leben, ohne einen Finger mehr zu rühren, deshalb ist's in eurer Hand ein Unglück! Es gibt kein Glück ohne Arbeit, es gibt keine Ernte ohne Saat, außer eine Teufelsernte, die unter der Hand zergeht.«

»Aber wer sagt denn, daß ich nicht arbeiten will? Gibt es denn keine Arbeit als graben und schaufeln? Mit dem Kopf muß man arbeiten, so wie der Stefanelly arbeitet! Oder ist das keine Arbeit?« warf Hans ein.

Der Alte fuhr jäh auf, diese Bemerkung schien seine empfindlichste Seite zu treffen. »Nein, das ist keine Arbeit für unsereinen!« rief er, »das ist ein Spiel, ein frevelhaftes Spiel mit dem Zufall, mit anderer Leute Glück und mit dem der eigenen Familie! Ein Spiel, das wie jedes andere den Mann durch und durch vergiftet, ein Spiel, das den Unterschied zwischen Recht und Unrecht bald verwischt und zuletzt, wenn es nicht hinein ins Zuchthaus, so doch grad' daran vorbeiführt! Dir steckt der Schwindel schon im Kopf, und grad' deswegen tu' ich's nicht! – Du bist ein Gärtner, als der bist du erzogen, das verstehst du; es ist ein ehrliches, gerechtes Handwerk, warum verachtest du's? Glaubst du wirklich, daß so einer wie der Stefanelly besser ist als unsereiner, Hans?«

Der Alte legte seine Hand auf des Sohnes Schulter.

»Glaub' mir auch ein bißl, gib nicht so viel auf den äußeren Schein, 's ist eine Krankheit heutzutage, das Jagen nach dem Glück!«

»Aber du weißt ja nicht, um was sich's bei mir handelt, hör' mich doch zuerst!«

»Na, so red'!«

»Um die Loni handelt es sich, die einen andern nimmt, wenn ich das bleib', was ich bin, ein Gärtnerbursch. Du weißt ja schon lang, daß ich ein Verhältnis mit ihr hab'.«

Der alte Margold schüttelte das Haupt. »Und du schämst dich nicht, mir das zu sagen, daß du ihr zu schlecht bist, der nixnutzigen Person? Wo bleibt denn da dein Stolz, dein Hochmut? Ihr seid komische Leut', euch studier' ich nimmer aus. Also der Loni ist mein Sohn, der Gärtner Margold, zu schlecht, und deshalb soll ich – – kein Wort mehr, sonst packt mich der Zorn.« Und er ging schnellen Schrittes aus dem Stall.– –

Im Zimmer erzählte unterdes Bertl der freudestrahlenden erstaunten Mutter ihr Zusammentreffen mit Brennberg. Die schwache Frau konnte ihre Freude darüber nicht zurückhalten, sie sah in ihrer Tochter schon die künftige Frau von Brennberg und versprach Bertl ihre tatkräftigste Unterstützung. Aber beide fuhren jäh auseinander, als Vater Margold mit zorngerötetem Antlitz eintrat.

»Ihr wart ja in einer sauberen Gesellschaft, da paßt du hin, Bertl!« begann er scheltend.

»Jedenfalls besser als unter Krautköpf' und Rüben!« meinte die Alte.

»Schweig! Ich red' jetzt mit der Bertl,« fuhr er jäh auf. »Hast du dir auch den Kopf verdrehen lassen von dem Stefanelly?«

»Aber Vater, wie kommst du denn auf den Stefanelly? Ich habe ganz andere Dinge auf dem Herzen!«

»Oho! Auf dem Herzen? Schieß nur los, heute bin ich auf alles gefaßt!«

Bertl zögerte – begann – brach wieder ab.

»Mutter, sprich du mit dem Vater, ich bring' es nicht heraus.«

»Na, ich mein', so was sagt sich leicht! Der Herr von Brennberg, der Leutnant, will die Bertl heiraten. Na, Alter, darauf warst nicht g'fast!«

Sie stellte sich mit in die Hüfte gestemmten Armen triumphierend vor Margold hin.

Der prallte förmlich zurück und hielt sich die Stirn.

»Der Herr von Brennberg, der Sohn von meinem Herrn – «

»Von deinem Herrn? Hast du denn einen Herrn?« höhnte die Frau.

»Die Bertl heiraten! Ja, bin ich denn bei Verstand? Der Loni ist ein Gärtnerbursch' zu schlecht, und der Brennberg – – Ja, wo hat dir denn der Brennberg das gesagt – – ach so, auch bei Arnold, haha! – beim Champagner – und da hat dir der Gelbschnabel so was vorgeschwatzt! – Na, den werde ich! – Und ihr Schwachköpfe nehmt das für Ernst? Der Bertl ist halt der Champagner in den Kopf gestiegen – aber du, Alte – du! – Der Brennberg die Bertl! Heilige Zeit!«

»Nicht beim Champagner, Vater, hat er mir's gesagt, am Stand hat er mich besucht – schon oft – heute aber hat er es klar ausgesprochen –«

»Daß er dich –« Margold brach in ein gezwungenes Gelächter aus.

»Daß er mit mir in nähere Beziehung treten möchte, was aber nicht möglich sei, solange ich da außen bin, ein Gärtnermädel!«

»Hat er gesagt, der gnädige Herr? In nähere Beziehung treten? Hahaha! Und das nennt ihr einen Heiratsantrag? O lieber Himmel!« Margold ließ sich ermattet auf die Bank nieder. »Ich sag's ja immer, die Welt ist verrückt, ist aus den Angeln –«

»Es ist aber doch so,« begann jetzt Frau Margold wieder, »wenn du es auch in deinen alten Tagen nicht begreifen kannst und begreifen willst; und du wirst als Vater, der seine Kinder gern hat, ihnen nicht im Wege stehen wollen und wirst alles tun, um dieses große Glück ihnen zuzuwenden.«

»Das große Glück? – Ein großes Unglück wär's und eine rechte Schlechtigkeit an meinem alten braven Herrn, wenn ich dazu die Hand böte – sein Tod wär's!«

»Margold, jetzt ist meine Geduld am Rand!« rief zornglühend die Mutter, »du sprichst ja, als wenn sein Sohn wunderwas für schlechte Absichten hätte! – Wen heiratet er denn? Ein braves, schönes Bürgermädel mit einer hübschen Mitgift, deswegen braucht der alte Herr nicht zu sterben – und wenn, dann stirbt er an einer Krankheit, von der die jungen Leut' schon lang kuriert sind – an der Einbildung!«

Bertl weinte helle Tränen, der Vater ging stürmischen Schrittes in der Stube auf und ab.

»Ja, das ist die Stadt, diese verfluchte Allerweltsgleichmacherin! Alles gleich, Häuser und Menschen! Und doch ist's eine Lüge, eine großmaulige Redensart, und nirgends glaubt man im Herzen weniger daran als gerade in der Stadt. Es gibt keine Gleichheit, solange es Menschen gibt, und wer es erzwingen will wie ihr, der erzwingt sein Unglück.«

»Ich versteh' von dem allem nichts,« mischte sich jetzt Bertl unter Tränen ein, »ich weiß nur, daß ich von dem Mann nimmer lasse und alles tue, um die Kluft, die mich und ihn trennt, auszufüllen, und daran soll mich niemand hindern! Ich verlasse morgen dein Haus, Vater; wenn es dir mehr am Herzen liegt als dein eigenes Kind – auch gut!«

Sie erhob sich mit entschlossener Miene.

»Dann gehen wir zusammen, Bertl!« – Hans sagte das, der eben eingetreten war.

Unter der Tür blieb Bertl stehen und sah zurück auf den Vater. Aber der sprach kein Wort. Er stand am Fenster und starrte in die Nacht hinaus.

Bertl ging auf ihr Zimmer, durch dessen offene Fenster der würzige Geruch des Herbstes, aufgewühlter Erde, überreifen Obstes drang; wie kahl und dürftig ihr hier jetzt alles erschien! Die Mutter kam eilig nach. Sie mußte erst recht ausführlich erzählen hören! Die Augen der Frau Margold glänzten von mitempfundenem Glück, der Vater war ihr unbegreiflich in seiner Hartnäckigkeit; übrigens zweifelte sie nicht, daß er nachgeben werde. »Er weint unten,« sagte sie, »und das hat er nur einmal getan, seit wir verheiratet sind; da hat er nachher auch nachgegeben. Es war am Abend, bevor er auf mein Zureden den Dienst kündigte beim alten Brennberg, um selbst ein Geschäft anzufangen. Er muß immer gezwungen werden zu seinem Glück, er ist wie ein Kind. – Träume nur recht schön von deinem Schatz! Gott, ist das eine glückliche Zeit!« Sie küßte leidenschaftlich ihre Tochter und verließ das Stübchen.

Margolds sonst so stilles Haus konnte diese Nacht nicht zur Ruhe kommen. Bald da, bald dort leuchtete es hinter den Fenstern auf, zwischen den Schuppen, selbst in den Warmhäusern im Garten – wie ein unruhiger Gedanke.

»Die läßt der Neid nicht schlafen!« meinte Loni, als sie spät in der Nacht mit dem schlaftrunkenen Vater heimkam, um zum letzten Male in dem kleinen Häuschen an der Landstraße zu übernachten.


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