Anton von Perfall
Truggeister
Anton von Perfall

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Das Rittergut Schönau, dem Freiherrn Christian von Brennberg-Schönau gehörig, war noch vor zehn Jahren durch einen ehrwürdigen Hochwald von der Stadt getrennt. Für Christian war das ein heiliger unverletzlicher Bannwald, der, eine lebendige Mauer, sein geliebtes Schönau umgab und den verhaßten üblen Dunst der nahen Stadt in realem und idealem Sinne aufsaugte. Da machte sich in M . . . vor einigen Jahren das Bedürfnis eines zweiten Bahnhofes auf der Südseite der Stadt geltend, die Schienenwege führten unvermeidlich durch Brennbergs Wald. Verzweifelt wehrte sich der alte Mann um sein Heiligtum; er prozessierte zum ersten Male in seinem Leben, er trat bittend bis vor den Thron; dort, glaubte er, müsse man seine Gefühle ehren – Schönau war ein altes Lehen der Brennberg, hier an dieser ehrwürdigen Stelle hatten es vor Jahrhunderten seine edlen Vorfahren als Lohn der Treue erhalten – umsonst! Der Südbahnhof von M . . . erschien wichtiger als die Erhaltung des Schönauer Waldes. Da ergriff Christian von Brennberg zum ersten Male in seinem Leben ein Gefühl, das ihn verletzte, das Gefühl der Empörung, des Trotzes – er begriff plötzlich Dinge, die ihm stets ein Rätsel gewesen waren: offene Auflehnung gegen die Staatsgewalt, Barrikaden, rote Fahnen. Doch das hielt nicht lange an.

Als dann wirklich die Bresche geschlagen wurde, als seine alten Freunde krachend, ächzend zu Boden sanken, durch die kahle Lücke die Häuser der Vorstädte so unverschämt herüberzublicken begannen auf Schönau, da gab es ihm nur einen schmerzlichen Riß durch und durch, dann erfaßte ihn jene Ergebung, welche ein unabwendbares historisches Schicksal einer absterbenden Rasse gleichsam zum Trost verleiht. Es handelte sich in Christians Augen nicht um den Südbahnhof; nein, eine neue Zeit brach durch diese Lücke, der jede Absonderung, jede Individualität verhaßt war. Und mochte es auch nur ein unbedeutendes Rittergut sein hinter dem Walde – unter die Nivellierwalze damit! Platz gemacht für die steinerne Armee, die in geschlossenen Gliedern unaufhaltsam anrückt.

Der Freiherr bekam jedesmal einen Hustenanfall, wenn jemand die Rede auf den Wald und die Bahn brachte: er behauptete, die schlechte Stadtluft, die jetzt bei Nordwind gerade auf ihn zugetrieben wurde, sei daran schuld. Und sie kam wirklich an ihn heran, die Stadtluft. Der Holzhändler, dem er sonst die Tür gewiesen hatte, wurde von ihm jetzt wenigstens angehört. »Der Wald ist ja doch verloren, der Sturm kann ihn jetzt von allen Seiten fassen, die Freude daran ist mir nun einmal verdorben,« so redete er sich selbst ein, während der gebotene hohe Preis ihn lebhaft erregte. Sein Theodor, der Leutnant, brauchte viel Geld – so schlug er einen Morgen um den andern los. Schönau warf eine spärliche Rente ab, und Christian hatte sein ganzes Leben mit finanziellen Verlegenheiten zu kämpfen, nur zu oft sparte er sich die Repräsentationskosten seines Hauses vom Munde ab. Jetzt in seinen alten Tagen fiel ihm auf einmal das Geld nur so in den Schoß, um das er oft die qualvollsten Nächte durchlebt hatte. Die Habsucht erwachte in ihm.

Was wurde denn geschätzt in der Stadt? Etwa ein alter Name, ehrenvolle Überlieferungen einer Familie? – Geld, und nichts als Geld! Nicht nur beim Volke, nein, auch bei Hofe! Wie sie ihn behandelten, die Herren Adjutanten und Kammerherren, ihn, den armen Brennberg von Schönau im altmodischen Frack, als er Audienz verlangte! Gab etwa sein Sohn, sein Theodor etwas auf die Güter, die er selber, der Vater, hochzuhalten gewohnt war? Konnte er die Idee in ihm retten, in der sein Vater aufgewachsen war? Nimmermehr! Die Kinder sind nicht mehr Kinder ihrer Väter wie früher, sondern Kinder ihrer Zeit. Theodor lachte über das verschnörkelte, altmodische, ärmlich eingerichtete Schlößchen, über die alten brüchigen Ahnenbilder, über den Vater selbst in dem kaffeebraunen langen Rock mit steifem Kragen, der hohen schwarzen Krawatte und den Vatermördern, über das »Euer Gnaden« der Dienstboten, auf das so streng gehalten wurde. Geld wollte er, Geld, um zu genießen! Das war das neue Evangelium, gepredigt allerorten, von allen Ständen, tausendstimmig scholl es heraus aus dem schwarzen Dunst der Stadt, und an den alten Mauern von Schönau brach sich das Echo.

Darum, wenn auch mit blutendem Herzen, die Taschen gefüllt von dem Erlös des alten treuen Waldes! Ihn selbst freilich, den Herrn von Brennberg mit dem kaffeebraunen Rock und der hohen Krawatte, sollte der Zeitgeist doch nicht unterkriegen, ihn nicht und das Schlößchen auch nicht, das schwur er sich wiederholt: da wollte er sich verschanzen und alle Angriffe mutig abschlagen, keinen Fußbreit weichen von seinem Standpunkt – sterben im kaffeebraunen Rock unter dem Gelächter der Menge!

Seine Frau war gestorben kurz nach der Geburt seines Sohnes, des letzten Brennberg; alles tat der Vater, den Jungen in seinen Anschauungen zu erziehen; doch sonderbar, der kümmerte sich um nichts, als was hinter dem Walde lag. Seit er einmal mit dem Vater in die Stadt gefahren war, da war es vorbei, da war er nicht mehr zu halten, Schönau war ihm zu eng, zu langweilig; er war glücklich, als ihn der Vater in ein städtisches Institut gab, er lachte und schlug in die Hände vor Freude, als es zur Abfahrt ging.

Das war Christian zu viel. Er verstand sein Kind nicht mehr, an dem er hing mit der ganzen Liebe, die ein Vater zu seinem Einzigen haben kann. Er selbst hatte bis zu seinem zwölften Jahre nichts als Schönau gekannt, der Wald war seine Grenze gewesen, er hatte sich gefürchtet, sie zu überschreiten, und als er sie überschreiten mußte, welch qualvoller Schmerz, welch bitteres Weh der Trennung, welche Sehnsucht nach Hause! – Und sein Sohn, sein Theodor, der Erbe von Schönau, der Letzte auf Schönau, er haßte es nahezu! Christian fühlte es damals schon, die Grenzlinie einer neuen Zeit lag zwischen Vater und Sohn, er hüben, dieser drüben! –

Noch einmal hoffte er, als sein Theodor den Entschluß faßte, Offizier zu werden. Das Brennbergsche Blut regte sich also doch in ihm, und einmal in der Uniform, so dachte der Vater, würde er auch alle die anderen neuzeitlichen, geradezu staatsgefährlichen Schwärmereien verlieren. Aber auch darin irrte er sich. Trotz aller Unterordnung im Dienste regte sich auch in den Offizierskreisen schon der neue tolle Geist. Die Kameraden frugen nicht nach dem Alter und dem Adel der Familie, sondern nach der Höhe der Zulage. Schönau war in den Augen des jungen Leutnants erst recht ein altes fades Nest, und seine bürgerlichen Kameraden, die hie und da mit ihm hinausgeritten kamen, bestärkten durchaus nicht seinen Sinn für alte Überlieferungen mit ihren schlechten, Christian tief kränkenden Witzen über das altertümliche Gerümpel.

Der alte Brennberg glaubte sich gefeit gegen die verlockenden Töne des neuen Evangeliums der Genußsucht; er lachte bei den Ermahnungen seines Sohnes, den Rest seiner Jahre es sich doch noch wohl sein zu lassen, jetzt, wo er um die Mittel dazu nicht verlegen sei. Und doch ertappte er sich oft auf einsamen Ritten durch Feld und Flur auf sonderbaren Gedanken. Er sah sich bei Hofe, in der ersten Gesellschaft der Stadt, als der reiche Brennberg, sein Wappen prangte an dem Wagenschlag, die Diener waren in den Farben seines Hauses gekleidet, – trotz aller Aufklärung da drinnen in der Stadt, mit Geld in der Tasche spielt der Adel noch immer seine Rolle! Es wäre eigentlich eine drollige Ironie des Schicksals, wenn gerade die neue Zeit seinem Haus wieder zu dem alten, längst entschwundenen Glanze verhälfe!

Aber er wies sie jedesmal ärgerlich ab, diese Gedanken, und wenn der Stefanelly kam, der alles Land umher völlig auffraß, ließ er ihn jedesmal derb abfahren, so verlockend auch seine Anträge waren.

* * *

Die Herbstarbeiten waren im vollen Gange, die gelben Stoppelfelder verschwanden immer mehr, der rotbraune Ton des umgeackerten Erdreiches beherrschte die weite flache Landschaft. Schwere Ackergäule, Ochsenpaare tauchten da und dort schwerfällig aus dem Nebel auf, im täuschenden Lichtspiel zu unnatürlicher Größe anwachsend, während andere in der Ferne langsam zerflossen. Nur die saftgrünen langgezogenen Rübenfelder, aus denen die roten und blauen Kopftücher und Röcke der Tagelöhnerinnen herausleuchteten, brachten Farbe in die Eintönigkeit der Landschaft.

Der alte Gutsherr von Schönau ritt von Acker zu Acker; die Reitstiefel mit gelben Überschlägen, der lange Rock, der zu beiden Seiten des altmodischen Sattels herabhing, die verschossene grüne Schirmmütze, der fette alte Schimmel mit dem langen Schweif, alles war weit und breit bekannt, es gab nur einen Brennberg im ganzen Lande. Die Mägde in den Rübenäckern stießen sich und kicherten, die Knechte winkten sich lachend zu, niemand grüßte ihn, das war er schon längst gewohnt. Mit gebeugtem Haupte, in Gedanken versunken, ritt er seinen Grundstücken zu.

Gegen Norden drang dumpfes Tosen aus dem Nebel. Dann hob sich dieser auf einen Augenblick; strahlenförmig sich in das Ackerland bohrende, im Bau begriffene Straßen wurden sichtbar, Dachstuhlgerippe, in denen es ameisenartig wimmelte; auf der Landstraße bewegten sich knarrend von der Stadt her ganze Kolonnen Ziegelfuhrwerke. Christian hielt an, hob sich im Sattel und blickte wie ein Feldherr prüfend auf die sich entwickelnde Schlachtlinie des Feindes. Er maß mit den Augen die Entfernung der ersten Vorposten von seinem Acker, sie betrug kaum mehr tausend Schritte! Vor ihm lagen die Felder bereits ungepflügt; wozu denn pflügen? Es verlohnte sich nicht mehr, im Frühjahr wurden sie ja überbaut, und die Leute erhielten, ohne eine Hand zu rühren, den zehnfachen Ertrag in klingender Münze. Ackern, säen, ernten, dreschen, welche Fülle von Schweiß und Sorge, und hier das blinkende schöne Geld mühelos über den Tisch hinuntergestrichen! Für diese Leute war es doch eine herrliche Zeit, sie mußte es für jeden sein, der kein Brennberg war!

Da kam ein Mann aus einem Feldweg gerade auf ihn zu, und seine bekannte Erscheinung riß den Freiherrn aus diesem Gedankengang. Es war der alte Margold, sein früherer Gärtner. Auch ihn, den treuen Diener, den er von seinem Vater übernommen, hatte der Selbständigkeitstrieb der Zeit gepackt; Margold hatte ihn verlassen und eine Gärtnerei angefangen; und doch war er ihm nicht bloß Diener gewesen, er hatte ihn mit der alten treuen Herrenliebe geliebt, die schon längst ausgestorben ist, und Christian fühlte sich ihm jetzt noch verwandter als den in seinen Augen gesinnungslosen Standesgenossen, er war ein Stück seiner Zeit.

Christian ritt Margold entgegen, und der alte Schimmel wieherte hell auf, denn er erkannte seinen alten Futtermeister – Margold war seinerzeit im Hause Schönau alles gewesen. Der Gärtner ging gebeugt und stützte sich ermattet auf den derben Knotenstock, demütig grüßend blieb er stehen. Christian erwiderte huldvoll, er tat ihm so wohl, der Gruß Margolds!

»Wohin? Wohin, Alter?« fragte er mit der barschen Gemütlichkeit alten Stils.

»Zu Ihnen, gnädiger Herr! Ich brauche Ihren Rat, unsereiner kommt nicht mehr mit in der klugen Zeit. Wenn ich den gnädigen Herrn so wie einen einfachen Bauer der Arbeit nachschauen sehe, dann könnt' ich weinen vor Zorn.« Er stieß mit dem Stocke auf.

»Vor Zorn? Über mich? Du Margold? Hat sie dich auch schon gepackt, die moderne Krankheit?«

»Über Sie? Wie können Sie nur so etwas denken, gnädiger Herr! Nein, aus Zorn über meine Kinder – die Kinder eines Arbeiters, denen die Arbeit zu niedrig, eine Schande ist! Es ist ihnen zu schlecht bei mir draußen in Haching, ich soll verkaufen, in die Stadt ziehen – der Stefanelly hat ihnen den Kopf ganz verrückt. Es ist wahr, er bietet eine sündhafte Summe für das Anwesen – aber was nutzt denn das, wenn man nichts dabei im Sinn hat, als flott zu leben, den Herrn zu spielen und nichts mehr zu arbeiten, wie es den jungen Leuten jetzt allen im Kopf steckt! Ein paar Jahre, zehn Jahre vielleicht, und alles ist verlumpt und verludert in der Stadt drinnen! – Da kommen sie nun, um mich herumzukriegen mit Sachen, die mich ganz irre machen. Der Hans will die Loni Weinmann, die Nachbarstochter, heiraten. Ihr Vater hat erst vor ein paar Tagen an den Stefanelly verkauft um ein Heidengeld, und das ist dem Mädel in den Kopf gestiegen, sie will keinen Gärtnerburschen mehr zum Mann haben. Zu meiner Zeit wäre ein Mann viel zu stolz gewesen, so einem Mädel noch nachzulaufen – aber heutzutage! Mein Hans gibt ihr ganz recht und macht mir Vorwürfe, daß ich seinem Glücke im Wege stehe, und das will ich doch nicht, bei Gott nicht! So fremd einem heutigen Tages seine eigenen Kinder werden, man hat sie ja doch über alles gern! Und dann die Bertl! Das Mädel ist ja so fleißig und brav, hat mir immer Freude gemacht mein Lebtag, auch die haben sie herumgekriegt in der Stadt, und sie ist eigentlich die Hauptsach', warum ich hier bin, – ich halt's für meine Pflicht dem gnädigen Herrn gegenüber. Sie werden mir's nicht glauben, Sie können's ja fast nicht glauben, aber es ist doch so, Ihr Herr Sohn, der Herr Theodor, hat ihr den Kopf so voll geschwätzt; Sie wissen ja, gnädiger Herr, die Kinder sind zusammen aufgewachsen, sie haben sich gern gehabt – aber wer hätte denn an etwas weiteres gedacht!«

Brennberg fuhr aus seiner gebückten Stellung, in der er, mit dem Kopfe nickend, Margold zugehört hatte.

»Und wer soll denn an etwas weiteres denken?« fragte er in strengem, kaltem Tone.

»Der Herr Theodor selbst! Ich sag' es ja, die ganze Welt steht auf dem Kopf, der Herr Theodor selbst! Sie soll machen, daß ich verkaufe, hat der Herr Theodor meiner Bertl eingeredet, mit einer reichen Bürgerstochter könne heutzutage auch ein Leutnant von Brennberg verkehren, der ständen alle Häuser offen, und er wolle mir ihr verkehren, er habe sie über alles lieb, und was so ein junger Herr denn halt alles sagt, um einem armen jungen Mädel den Kopf zu verdrehen. Da gibt's nur zweierlei, was man glauben kann. Euer Gnaden, entweder, er meint's wirklich ernst, der Herr Theodor – und dann ist es für beide ein Unglück – oder er hat schlimme Absichten mit meinem Kinde, dann – dann – 's muß heraus, Euer Gnaden, dann ist er ein schlechter Mensch und macht Ihren alten Margold unglücklich! Darum bin ich gekommen, daß Sie dem jungen Herrn den Kopf zurechtsetzen, daß Sie nicht eines Tags sagen können: ›Der alte Margold selber hat dahinter gesteckt!‹ – Gott bewahre mich davor!«

Er seufzte schwer auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er seine Rede beendet hatte.

»Das glaube ich dir alles aufs Wort, lieber Margold,« entgegnete Christian; »ich glaube sogar, daß mein Junge die Werbung ernst nimmt. Was kümmert ihn sein Name, sein Stand! Deine Tochter ist hübsch, sie ist auch sehr klug und brav, und sie ist eines reichen Mannes Tochter, wenn du dein Anwesen verkaufst! Sein Vater, der alte Narr, will ja nicht, und der Bursche steckt in Schulden bis über die Ohren! Befriedigung seiner Leidenschaft, Genuß, Geld um jeden Preis, was sucht er denn sonst? Ich wüßte ein einfaches Mittel, meinem Jungen diese Heirat aus dem Kopf zu bringen: ich bin klüger als du, verkaufe Schönau an den Stefanelly um ein paarmal hunderttausend Mark, ziehe in die Stadt – und mein Theodor sieht deine Berta nicht mehr an! Du bist starr, Margold, nicht wahr? Der alte Brennberg verkauft sein Schönau, die Welt geht unter, meinst du? Sie geht aber nicht unter wegen des alten Brennberg und dreht sich lustig weiter. Ich sage dir, Margold, du bist nicht gescheit, wenn du nicht verkaufst an den Stefanelly und in deinen alten Tagen dir Ruhe gönnst. So lange wird es ja reichen, und dann – was kümmert einen das ›Dann‹? Bei mir ist es was anderes, ein alter Name, ein uralter Stammsitz – alter Kram, den alles verlacht, verhöhnt und den ich doch liebe! Wenn ich du wäre, ich würde mich nicht besinnen, ich würde verkaufen und den tollen Tanz der Zeit noch mit meinen grauen Haaren mittanzen.«

Margold zerknüllte die Mütze zwischen den Händen und starrte mit offenem Munde und ängstlichem Blick auf Christian.

»Das sagen Sie, der Herr Christian von Brennberg aus Schönau! Mein Geschäft aufgeben, mit zwei noch rüstigen Armen ein Herumlungerer werden in der Stadt und ruhig zusehen, wie – wie alles das hart mit diesen Händen Erworbene zum Teufel geht, verpraßt wird von meinen Kindern? – Sie sagen das? Ja dann – dann haben Sie ja ganz recht, die Bertl und der Hans, dann bin ich wirklich der einzige Blinde auf der Welt! Da muß ich ja laufen, daß ich den Stefanelly nicht versäume!«

Seine Stimme klang wie von zornigem Weinen erstickt, er wandte sich zum Gehen.

»Da schaue hin, Alter,« – der Gutsherr wies mit dem Reitstock auf die neue Baulinie – »glaubst du, dem gefräßigen Ungetüm dort könnten wir widerstehen? Unmöglich! Auch Schönau wird und muß fallen! Ich habe alle Hoffnung aufgegeben, es zu erhalten, deine Nachricht über Theodor beschleunigt nur meinen Entschluß. Für uns zwei handelt es sich um etwas ganz anderes: darum, daß wir mit unseren grauen Haaren nicht von unseren Jungen selbst mit hineingezogen werden in den schwindelhaften Taumel, der jetzt alles beherrscht; das wäre das schmachvollste! In dir steckt gesundes Arbeiterblut, bei dir hat das weniger Gefahr, anders ist es bei mir, mein Großvater war ein Spieler, die Brennbergs waren reich, bis er an das Regiment kam; wenn nun das alte Laster, das unserem Stamme schon so viel Verderben gebracht hat, wieder zum Durchbruch käme! Mein Theodor kämpft bereits mit ihm, und dir kann ich es ja sagen, Margold, das viele Geld, das ich für meinen Wald eingenommen habe, beunruhigt mich ganz sonderbar. Das glaubst du nicht, wenn du mich so ansiehst in meinem alten Rock und meinen Kappenstiefeln – und doch ist was daran! Ich sage dir, ich fürchte mich vor mir selbst, darum verkaufe ich nicht, wenn ich nicht muß.«

Margold bekam eine förmliche Angst um seinen alten Herrn; der Schmerz um seinen Wald, meinte er, und der Leichtsinn seines Sohnes könnten ihn wohl verrückt gemacht haben.

»Das verstehe ich alles nicht,« erwiderte er verwirrt; »aber das sehe ich schon, ich muß nachgeben, und vielleicht kann ich meine Kinder vor dem Taumel bewahren, denn es steckt auch in ihnen Arbeiterblut, denke ich. Nichts für ungut, gnädiger Herr, wegen dessen, was ich von dem Herrn Sohn berichtet habe! Mein Gott, er wird es sich nicht so überlegt haben. Ich hätte gar nichts sagen sollen! Es ist ja zum Lachen – der Herr Leutnant von Brennberg und die Bertl Margold! Rein zum Lachen!«

Und Margold ging ohne Gruß den Feldweg zurück, den er gekommen war. »Rein zum Lachen!« klang es noch aus dem Nebel, in dem er rasch verschwand.

Christian blickte seinem alten Gärtner nach, und das Wasser trat ihm in die Augen. »Der hält aus! Den kriegen sie nicht unter!« murmelte er vor sich hin, und in tiefes Sinnen versunken ritt er gegen Schönau zurück.

Das Rollen eines Wagens weckte ihn aus seinen Gedanken; in der Pappelallee, die sich gegen das altertümliche Portal von Schönau hinzog, fuhr ein elegantes Gefährt, zwei herrliche Rappen waren vorgespannt, und das silberbeschlagene Geschirr blitzte zwischen den alten Stämmen auf. So fuhren die Brennbergs nach Hause, ehe dieser Verschwender, der Großvater, an das Regiment kam. Christian dachte es und blickte unwillkürlich an sich herab.

Der Wagen fuhr nach Schönau, zu ihm, ohne Zweifel! Wer es nur sein konnte? Von der städtischen Aristokratie besuchte ihn niemand, wer kümmerte sich dort um den armen komischen Kauz, den Brennberg! Er glaubte zwei Herren erkannt zu haben – wenn der Stefanelly dabei wäre? Dieser war zwar bis jetzt nur mit Lohnfuhrwerk gekommen, aber er konnte ja seitdem ein Millionär geworden sein, denn er war klug und nutzte seine Zeit. In dem Gefährt ein Stefanelly! Vor zehn Jahren arbeitete er noch als einfacher Vorarbeiter in Schönau, und die Brennbergs waren schon vor dreihundert Jahren – das Blut stieg dem alten Herrn in den Kopf, und der alte Schimmel bekam zum ersten Male seit vielen Jahren die Sporen. Er machte einen drolligen Sprung, wandte den Kopf erstaunt nach seinem Herrn um, und rannte dann wie von Entsetzen gepackt dem Schlosse zu.

So kam Christian gar ritterlich angesprengt; die Knechte im Hofe rissen erstaunt die Mäuler auf, denn so etwas war noch nie vorgekommen. Vor dem Portale stand Theodor mit Stefanelly in eifrigem Gespräche.

Der ungewohnte kühne Ritt hatte das Antlitz Christians gerötet, und als ob durch denselben alle Ideen des Rittertums wieder in ihm wachgerufen worden wären, hob er sich aus dem Sattel und erwiderte im Tone eines großen Herrn den untertänigen Gruß Stefanellys, der zu dem vornehmen Gefährt auf dem Kiesplatz gar nicht paßte.

Theodor war sichtlich verlegen, gedrückt.

»Herr Stefanelly hat mit dir in wichtiger Angelegenheit zu verhandeln,« begann er; »wir sind zusammen aus der Stadt herausgefahren. Ein brillantes Gespann, was?« Er deutete auf die zwei Rappen.

»Sehr hübsch,« erwiderte Christian gemessen, ohne sein Gefallen daran zu verraten. »Wie kommen Sie dazu, Herr Stefanelly? Ich dachte wirklich in der Ferne, Fürst Löwenstein komme angefahren.«

Ein leichtes, aber nicht verletzendes Lächeln zog über das glatte Antlitz des Bauunternehmers.

»Etwas Glück, Herr Baron!«

Christian nickte mit dem Kopfe in der hohen Krawatte bei dieser Benennung.

»Heller Kopf, unverdrossene Arbeit – und man braucht heutzutage nicht Fürst Löwenstein zu sein, um sich diese kleine Freude gestatten zu können,« fuhr Stefanelly fort. »Für Herrn Baron würde sich dieses Gefährt allerdings weit besser schicken als für mich, einen Arbeiter, und wenn der Herr Baron wollen, kann es heute noch bestellt werden.«

Christian erschrak, denn er wußte nun genau, weshalb Stefanelly gekommen war, und fühlte, daß er in diesem Augenblick nur schwachen Widerstand zu leisten vermöchte.

»Treten Sie ein, Herr Stefanelly!« forderte er ihn auf mit zitternder Stimme.

Ein bittender Blick traf ihn aus den in höchster Erregung flimmernden Augen Theodors – er verstand ihn wohl.

Das Gemach, in welches Stefanelly und Brennberg eintraten, war bürgerlich einfach, verblichenes Rokoko; zerbrochene Porzellanfigürchen standen auf Gestellen, aus einem verschnörkelten Glasschranke blickten alle Kostbarkeiten der seligen Herrin: bunte Tassen, niedliche Figürchen, Silberzeug, Schmucksachen. Ein altes Spinett, dessen weißer Lack überall gesprungen war, stand in einer Ecke. An den Wänden mit den zerbröckelten Goldleisten hingen die Bilder der Brennberge mit Zopf und Allongeperücke. Auch der unglückselige Großvater war darunter, seine langen schmalen Finger, durch welche all das schöne Brennbergsche Geld gelaufen war, ruhten feierlich gespreizt auf der weißen Brustkrause, als wollte er seine Unschuld beteuern. Er sah Christian auffallend ähnlich: dieselbe lange gebogene Nase, der stolz nach unten gezogene, von zarten Falten umgebene Mund.

Der Bauunternehmer setzte seinen goldenen Klemmer auf und ließ seine scharfen Blicke überall umherschweifen.

»Ihre Ahnen wohl, Herr Baron? Famos!«

Dann ließ er das Glas plötzlich fallen.

»Ich komme, geradeheraus gesagt, Herr Baron, um Ihnen ein Angebot für Schönau zu machen, welches Sie nicht ausschlagen dürfen. Ich könnte Ihnen, ich gestehe es, aus eigenen Mitteln das Angebot gar nicht stellen, wenn nicht Kapitalisten hinter mir ständen, die meine Pläne unterstützen. Wir bieten Ihnen –« er machte eine kleine Pause – »fünfmalhunderttausend Mark, das heißt eine halbe Million!«

Christian machte sich absichtlich auf die Nennung einer hohen Summe gefaßt, um nicht überrascht zu werden, aber diese übertraf doch weit alle seine Erwartungen. Er preßte die Faust unter dem braunen Rock auf das Herz – umsonst! Eine halbe Million! Da zuckte er jäh zusammen, es flimmerte vor seinen Augen, durch die langen Finger des Großvaters an der Wand rieselte ein Goldstrom auf ihn herab – und der kalte stechende Blick des Unternehmers ruhte regungslos auf ihm; es war ein fürchterlicher Augenblick. –

»Nein, ich verkaufe nicht, um keinen Preis!« sagte er endlich, mit fast übermenschlicher Anstrengung sich beherrschend. Ein furchtbarer Kampf wütete in der Brust des Gutsherrn, der Schweiß stand auf seiner Stirn.

»Auch nicht, wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Herr Sohn, der letzte Brennberg, dann ruiniert ist und wegen Spielschulden den Dienst verlassen muß?« sagte jetzt scharf, mit blitzenden Augen Stefanelly.

»Wegen Spielschulden, sagen Sie?«

Die Stimme Christians klang wie von Tränen erstickt, seine Hände krampften sich um die Lehne des Stuhles.

»Hohe Spielschulden, dreißigtausend Mark!« klang die kurze Antwort.

»Dreißigtausend Mark! Ja, dann – dann – muß ich wohl –«

Christian nestelte an seiner Krawatte, wie um Atem zu bekommen.

»Dann bin ich ja gezwungen, nicht wahr? Ich kann doch nicht meinen Sohn – ja, Sie haben ganz recht, Herr Stefanelly, und es ist ja ein hoher Preis, eine halbe Million!«

Sein Antlitz glühte, sein Auge brannte fieberhaft, er sprach die Worte heftig, dann rief er, wie von plötzlicher toller Freude gepackt: »Ich – ich schlage ein, ich verkaufe um eine halbe Million, Schönau gehört Ihnen.« Dann sank er wie leblos in den Sessel zurück.

Stefanelly entsetzte sich, der Schlag hatte den Alten wohl getroffen, die Aufregung hatte ihn getötet; er rief laut um Hilfe.

Theodor trat hastig ein. Er erkannte sofort die Lage. »Rasch, fahren Sie in die Stadt um einen Arzt, das Entsetzen über meinen unverantwortlichen Leichtsinn hat ihn am Ende getötet! Wie konnten Sie aber auch so rücksichtslos alles sagen?«

»Sie irren vollständig,« entgegnete sarkastisch Stefanelly, »nicht die Entdeckung Ihres Leichtsinns, sondern das Angebot von einer halben Million hat ihn getötet, wenn es wirklich so schlimm ist. Ich hole einen Arzt.« Und er entfernte sich.

Vor dem bleichen Vater, dessen Lippen leise zitterten, kniete Theodor. Bittere Selbstvorwürfe regten sich in seiner Brust über seinen Leichtsinn, der an allem schuld war. Er kannte ja seinen Vater, was kümmerte der sich um Geld! Und wenn es eine ganze Million wäre, er würde Schönau nicht lassen, außer in der äußersten Not, um seinen ehrlichen Namen zu retten. Innige Verehrung für den Vater, verbunden mit aufrichtiger Verachtung seiner selbst und seines unordentlichen Lebens, stieg in ihm auf, die besten Vorsätze wurden gefaßt. Da schlug Christian die Augen auf, blickte wirr, ängstlich im Zimmer umher, dann starr auf seinen Sohn.

»Theodor! Du? Ich hörte doch eben eine andere Stimme?«

»Stefanelly war bei dir und erschreckte dich so. Es ist ja nicht wahr, was er dir sagte!« beruhigte Theodor.

Der Alte trommelte mit den Fingern auf der gefurchten Stirn.

»Was sagte er mir nur gleich? Ja, ja, eine halbe Million, sagte er, und das ist nicht wahr, Theodor, die halbe Million ist nicht wahr?«

Sein Gesicht drückte ängstliche Erwartung aus.

»Die halbe Million ist schon wahr,« entgegnete der Sohn, »aber das, was dich so entsetzte, die Geschichte mit den dreißigtausend Mark Spielschulden – Gott! wahr ist es auch, aber es drängt nicht so, wie er dir vorstellte, vorderhand nicht, beruhige dich darüber! Ich sehe ja meinen Leichtsinn ein, und es soll nicht mehr geschehen, ich weiß selbst nicht, wie ich zu der unglückseligen Leidenschaft komme –«

Christians Gesicht hellte sich auf, er lachte.

»Also die halbe Million ist wirklich wahr? Nun, dann beruhige dich, Theodor, dann kann ich ja einstehen für dich. Du bist ja dann reich und wirst nicht mehr spielen, nicht wahr? Man spielt doch nur so hoch, um zu gewinnen, und wenn man reich ist, nützt es nichts mehr, man hat ja dann, was man am Spieltisch suchte! Ist es nicht so, Theodor, nicht so? Sprich! Oder ist es eine Leidenschaft, die auch den Reichen nicht verläßt, eine Krankheit? Ich habe nie gespielt, ich weiß es ja nicht. Freilich, dein Urgroßvater da oben – der war auch reich – also das wäre keine Rettung davor, auch die halbe Million nicht! Es muß doch eine eigentümliche Leidenschaft sein, das Spiel!«

»Der ich für immer entsagen will, Papa,« schwur Theodor, den die wirren sonderbaren Reden Christians beängstigten. »Man ist jung, lebenslustig, ständig in Geldverlegenheit, da hat es etwas arg Verführerisches, zu denken: in einer Stunde kannst du die ganze Last vom Herzen haben! Aber das wird ja jetzt alles anders, wenn du in den Verlauf willigst – und du willigst doch ein? Schönau ist ja doch nicht mehr zu halten.«

»Gewiß, Theodor, ich bin fest entschlossen, du sollst die Last vom Herzen haben und nicht mehr spielen – nur nicht mehr spielen, Theodor, das schwöre mir! Wenn er nur wiederkommt, der Stefanelly! Daß ich auch ohnmächtig werden mußte! Das ist mir noch nie begegnet – ein böses Zeichen! Du wirst bald allein sein, Theodor, der letzte Brennberg. Dann bist du reich, kannst eine glänzende Karriere machen, unserem Namen wieder zum alten Glanze verhelfen, dafür opfere ich ja mein geliebtes Schönau. Eine vornehme Heirat wird dir – da fällt mir ein – du sollst ja ein Verhältnis zu dieser Berta Margold haben, der Alte war eben bei mir. Ein leichtsinniger Streich, weiter nichts, ich weiß es ja; aber das ist nicht recht von dir, ich habe ihn gerne, den treuen Margold – versprich mir, die Sache nicht weiter zu treiben – mit einer halben Million, ein junger Brennberg!«

Theodor wurde feuerrot; er schämte sich dieses Verhältnisses, das ihm plötzlich furchtbar lächerlich vorkam.

»Ich denke ja nicht daran, Papa, es ist reine Einbildung von dem Alten; weiß Gott, was ihm das Mädel vorgeschwatzt hat! Ein paar scherzhafte Worte, die ich neulich zu ihr sprach, weiter nichts! Ich weiß, was ich dir und meinem Namen jetzt schuldig bin, du wirst mit mir von nun an zufrieden sein!«

Gleich darauf betrat Stefanelly mit dem Arzte das Zimmer. Seine glatte Stirn zog sich in Falten, als er den Gutsherrn ohne alle Hilfe aufstehen und auf sich zukommen sah; er hatte sich eine andere Erwartung gemacht.

»Beruhigen Sie sich, mein Herr, es war nur ein kleiner Anfall ohne jede weitere Bedeutung. Ich bedaure sehr, daß Sie sich herbemüht haben, Herr Doktor! Ich werde alt und bin großen Aufregungen nicht gewachsen.«

Der Arzt war bereits von seinem Begleiter über die Art dieser Aufregung aufgeklärt und entfernte sich mit einem sonderbaren Lächeln, nachdem er pflichtgemäß die üblichen Fragen gestellt hatte. Der Gutsherr sah jetzt wieder so lebensfrisch aus, sein Auge leuchtete von jugendlichem Feuer, ein Arzt war hier nicht mehr nötig und konnte nur stören.

»Wir sind entschlossen, Ihr Anerbieten anzunehmen,« sagte jetzt Christian, als der Doktor das Zimmer verlassen hatte, zu Stefanelly, der bei dem »Wir« mit einem spöttischen Blick auf Theodor lächelte; »wollen Sie gleich einen Rundgang durch die Besitzung machen, durch den Park, die Stallungen? Ich fühle mich wieder bei vollen Kräften.«

Stefanelly lehnte dankend ab.

»Ich kenne Schönau zur Genüge, und die Einzelheiten sind für mich weiter nicht von Belang. Ich rechne, offen gesagt, nur nach Quadratmetern Bauplatz, weiter nichts, was darauf steht, ist für mich wertlos. Die Einrichtung beanspruche ich gar nicht. Sie sehen, Sie haben es mit einem entgegenkommenden Mann zu tun.«

Sein früher so ehrerbietiges Wesen hatte sich in ein völlig geschäftsmäßiges verwandelt.

Christian verursachte die trockene Erklärung über das künftige Schicksal Schönaus einen heftigen Schmerz, obwohl er kein anderes dafür hatte erwarten können. Der alte, ehrwürdige Park, das Schloß, die gut gepflegten Felder, die Musterstallungen – die heiligste Stätte seines Lebens – alles wertloses Zeug, zum Abbruch reif, eine Fläche von so und so viel Quadratmeter Bauplatz! Die Tränen traten ihm in die Augen, es war ihm, als müsse er alles widerrufen, das ganze Todesurteil, das er über sein Schönau gefällt hatte. Er blickte auf Theodor, und dieser, sein Stammhalter, gab ihm wieder Mut. Den anderen Tag sollte der Notar kommen.

Theodor küßte seinen Vater innig, er las alles in seinen feuchten Augen; er war ein guter Junge und vergoß selbst ein paar Tränen in seiner weichen erregten Stimmung, nahm aber trotzdem die Einladung Stefanellys, mit ihm in die Stadt zurückzufahren, an. Dieser denkwürdige Abend in seinem Leben durfte nicht in dem langweiligen Schönau vertrauert, der mußte der neuen glänzenden Zukunft entsprechend würdig begangen werden!

Als das stolze Gefährt in der Allee verschwunden war, trat der Rückschlag bei Christian ein: die Kniee wankten ihm, unsagbares Weh packte ihn; er schleppte sich mühsam in die Stallungen, las mit schmerzlichem Kopfnicken die alten halbverwischten Pferdenamen über den jetzt leerstehenden Ständen, »Achill«, »Esperance«, »Marwick«, »Esther«, kraute den Rindern, die, gewohnt, von ihm Obst, Rüben und dergleichen Leckerbissen zu bekommen, ihm von weitem entgegenschnupperten, die lockigen Stirnen. Von da ging er in den Park, zu den von Gesträuch überwucherten, ruinenhaften Götterstatuen, die er so liebte; zu seinen Lieblingsplätzen, wo er mit der Seligen gesessen hatte. Es dunkelte schon, der Mond zerriß den Nebel, durch eine Lücke der alten Akazien erblickte er das weiße Schlößchen mit den hohen, von reicher Stukkatur umgebenen Fenstern, seinen Türmchen und verfallenen Terrassen; wie ein Traum aus alter Zeit, mondlichtumwebt, erschien es ihm, er bedeckte sein Antlitz mit dem großen blauen Schnupftuch und weinte und schluchzte wie ein Kind.

Der schrille Pfiff einer Lokomotive brachte ihn zu sich; fest auf seinen Stock gestützt. Trotz im Antlitz, ging er dem Schlosse zu.


 << zurück weiter >>