Anton von Perfall
Truggeister
Anton von Perfall

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7.

Stefanelly war der staunenerregende Wundermann, unter dessen Händen wie einst unter denen des sagenhaften Königs Midas alles zu Gold wurde. Das Glück zog strahlend wie ein Stern der Verheißung vor ihm her, und wie eine Schar von Mücken und Faltern stürzte sich alles, hoch und nieder, verständig und unverständig, taumelnd, geblendet in seinen Lichtkreis. Ein Schwall von Papieren aller Art ergoß sich aus dem Bankhaus Stefanellys über das Land, er war unerschöpflich in Gründung neuer Unternehmungen, Häuser-, Straßen- und Bahnbauten, Bergwerke, Flußregulierungen, Pferdebahnen, Gasanstalten, Kanalisierungen und so weiter. Man kümmerte sich nicht mehr weiter um die Art des Unternehmens, um die unzähligen neu erfundenen, oft völlig unklaren Namen, es genügte, daß die Aktien in Stefanellys Bankhaus ausgegeben wurden, daß er an der Spitze stand. Tausend Hände streckten sich täglich aus nach den bunten Papieren, die dem Besitzer mühelosen reichen Gewinn versprachen.

Viele, welche der Mühe des Wartens im Büro enthoben sein wollten oder fürchteten, bei besonders günstigen Emissionen zu spät zu kommen, trugen ihr ganzes Hab und Gut, jeden Sparpfennig in barem Gelde als Depot in die Bank, wogegen sich dieselbe verpflichtete, diesen Getreuen beim Erscheinen neuer gewinnversprechender Anlagepapiere, die Vorhand zu lassen. Man schätzte es als eine Gnade, wenn Stefanelly das Geld nahm, besonders der Mittelstand drängte sich in lichten Haufen herbei. Der Sinn für geregelten Erwerb ging immer mehr verloren, die Arbeit mit ihrem vielen Schweiß und ihrem geringen Lohn wurde immer mehr verachtet, gehaßt. Anderseits erzeugte das wilde zügellose Verlangen nach barem Gelde, das in diesem Augenblicke so riesige Vorteile bot, einen gefährlichen Haß und Neid gegen alle Besitzenden, welche hinwiederum keine Gelegenheit vorübergehen ließen, den Unbemittelten durch glänzenden Aufwand ihre bevorzugte Lage recht anschaulich zu machen. Eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem jetzt in dem tollen Genußtaumel doppelt schwer zu ertragenden eigenen Los griff Platz, die das Schlimmste befürchten ließ.

Die Presse feierte in Stefanelly eine Finanzgröße ersten Ranges, welche für die wirtschaftliche Entwicklung des Vaterlandes geradezu bahnbrechend wirke, jede Unternehmung wurde von vornherein ins beste Licht gestellt. Einzelne warnende Stimmen wurden einfach verlacht, totgeschwiegen, mit dem Vorwurf des Neides belastet.

Es war auch nicht zu leugnen, Handel und Industrie blühten zusehends bei dem gewaltig gesteigerten Unternehmungsgeist, bei dem unerschöpflich zuströmenden Kapital. M . . . schwamm im Wohlstand; der Luxus, der Verbrauch hatte seine höchste Höhe erreicht. Aber dem scharfsichtigen, nüchternen Beobachter entgingen nicht die Keime des Verderbens unter diesem plötzlichen unnatürlichen Blütenschwall, den ein einziger ungewohnter Sturm wie dürre Spreu verwehen mußte, einen kahlen, entsafteten Stamm zurücklassend.

Christian von Brennberg konnte den vielgestaltigen, großartigen Plänen des Bankiers schon lange nicht mehr folgen. Trotzdem er sich das offen gestand, wurde er von Stefanelly doch immer weiter hineingezogen; willenlos, urteilslos folgte er ihm, magnetisch angezogen von diesem alle Hindernisse überspringenden, rücksichtslosen Mann.

Brennberg fürchtete ihn, ja, er glaubte zu gewissen Zeiten, ihn zu hassen, einen bösen Dämon in ihm zu erblicken; dann aber genügte wieder ein Blick, ein Wort des Unternehmers, den alten Herrn unwiderstehlich mitzureißen, und die Frage, ob das, was von ihm verlangt wurde, recht sei oder unrecht, verstummte auf seinen Lippen.

Bei allen neuen Unternehmungen mußte er sich beteiligen, sich in den Aussichtsrat wählen lassen. Oft schienen ihm dieselben geradezu unmöglich, unbegreiflich, im höchsten Grade gewagt, er sträubte sich dagegen, sie öffentlich anzupreisen, er ahnte die Falschheit der angegebenen Bedingungen, er empörte sich über die Höhe des Kapitals im Vergleich zu dem Wert des Gegenstandes, um den es sich handelte. Doch seine schüchternen Einwendungen, Bedenken, Befürchtungen wurden jedesmal glänzend abgeschlagen. Beharrte Christian auf seinem Widerstand, dann nahm Stefanelly ein so drohendes Wesen an, wußte dem Alten seine völlige Abhängigkeit so klar zu machen, daß dieser schwieg und tat, was ihm geheißen wurde. Und jedesmal ging es wieder zum Guten aus, behielt Stefanelly recht, wandte sich alles zu Gunsten des Unternehmens, und die scheinbaren Fälschungen und Lügen erschienen nachträglich als großartige, durchdachte Feldzugspläne, denen er, der unerfahrene Landjunker, nicht gewachsen war.

Sein ganzes Hab und Gut war in die Stefanellyschen Gründungen verwickelt; er hatte offene Kasse bei dem Bankier, den wahren Bestand seines Vermögens kannte er längst selbst nicht mehr, seiner Berechnung nach mußte es sich mindestens verdoppelt haben.

Einzelne Unternehmungen gingen augenscheinlich schlecht, so zum Beispiel die erste, die Grunderwerbung.

Das Wachstum der Stadt stockte sichtlich, obwohl man es sich nicht zu gestehen wagte. Bereits standen ganze Viertel unbewohnt, der Schönauer Grund war noch immer nicht bebaut, das Schlößchen blickte noch immer herüber über den Park. Doch das hatte unbegreiflicherweise gar keinen merklichen Einfluß auf den Stand der Aktien, und es wurde immer flott weiter gekauft und verkauft. – –

Berta hatte ihr Ziel erreicht. Der Traum, den sie einst geträumt an dem herbstlichen Morgen auf dem Gefährte mit Kohlköpfen, als sie die geheimnisvoll geschlossenen seidenen Vorhänge an den Fenstern der Reichen betrachtete, er war nun Wirklichkeit geworden. Sie lag in dem spitzenbesetzten Bette, hinter blauseidenen Vorhängen, sie schmiegte sich wohlig in die weichen Kissen und träumte von den seligen Wochen im sonnigen Italien an der Seite ihres Gatten.

Seit bald einem Jahre waren sie schon zurück von der Reise. Theodor hatte sie damals überrascht mit dieser üppigen Einrichtung, die sie gar nicht gewünscht hatte; sie war fest entschlossen gewesen, dem ganzen Hause einen einfachen bürgerlichen Geist einzuhauchen, Theodor allmählich an eine stille bescheidene Häuslichkeit zu gewöhnen; er sollte jetzt nicht mehr der Welt, er sollte ihr angehören. Aus diesem Zimmer aber wehte eine üppige Weltlust, die ihr selbst den Kopf verwirrte, die ihr die Kraft benahm, ihren Vorsatz auszuführen. Sie freute sich über den schön geschmückten Raum, denn die Liebe hatte ihn ja geschaffen, aber in ihrer Stube mit den alten Möbeln aus Schönau, die sie sich ausbedungen hatte, war es ihr doch heimlicher, da kehrten auch all die guten Vorsätze wieder zurück.

Leider hatten sie selten Zeit, darin zu verweilen. Theodor stürzte sich absichtlich mit ihr mitten in den Strudel der Gesellschaft, denn er wollte zeigen, daß er sich ihrer Abkunft nicht schäme, daß er trotz allen Naserümpfens eine beneidenswerte Wahl getroffen habe. Ihr Weg ging seit Monaten mitten durch alle Salons der Hauptstadt.

Man bewunderte die Kühnheit des Mannes, der sich mit dieser Frau von niederer Herkunft so hervorwagte, und das Geschick der Frau, die sich nicht das Geringste vergab. Man spielte wohl oder übel den Freigeist, den Aufgeklärten; der Name Brennberg, welcher auf unzähligen Wertpapieren stand, hatte einen zu verführerischen metallenen Klang, die Sonne Stefanelly beschien ihn zu warm und blendend mit ihren Strahlen, als daß man lange Bedenken geltend gemacht hätte, ob die Frau auch wirklich gesellschaftsfähig sei.

Berta hatte ihrem Gatten zwar das Versprechen abgenommen, sobald einmal sein Zweck, sie überall einzuführen, erfüllt sei, zu einem einfachen, stillen Leben zurückzukehren, aber die Erfüllung dieses Versprechens schob sich von Monat zu Monat hinaus und beide dachten noch nicht an eine Einschränkung des Verkehres, besonders konnten sie sich der ausgedehnten Geselligkeit im Hause Stefanellys nicht entziehen.

Anfangs war Berta das ganze Wesen dort verhaßt gewesen, sie hatte ein bedrücktes Gefühl empfunden in den überladenen, aufdringlichen Räumen mit dem sonderbar gemischten Publikum, das sich darin bewegte. Allmählich jedoch gewöhnte sie sich daran, das alles mit milderem Auge anzusehen, weniger streng darüber zu urteilen. Man lebte einmal so in der Welt; sie allein konnte nicht dagegen aufkommen und mußte zufrieden sein, wenn nur sie sich rein erhielt von dem lockeren Wesen, das dort herrschte.

Von Stefanelly fühlte sich Berta mit besonderer Auszeichnung behandelt, ihr Mißtrauen, ihr innerer Widerwillen schwanden immer mehr, er war trotz aller seiner Fehler, die er haben mochte, ein einnehmender, liebenswürdiger Mann. Seine rastlose Tatkraft imponierte ihr, der beispiellose Erfolg blendete sie. Stefanelly ging sogar so weit, über seine Pläne mit ihr zu sprechen, deren Kühnheit und Großartigkeit sie mit Bewunderung erfüllte. Das war ein großer Mann, an welchen man nicht den gewöhnlichen Maßstab legen durfte; er schmeichelte ihrer Eigenliebe, indem er bei diesem und jenem ihre Ansicht verlangte, ihren Rat einholte, indem er den geringsten Wunsch, den sie aussprach, immer sofort erfüllte. So bekam der Schlossermeister Georg Bergmann, der Mann ihrer Freundin Therese, auf ihre Empfehlung sämtliche Schlosserarbeiten für die Stefanellyschen Bauten übertragen.

Nur Loni blieb ihr stets gleich verhaßt. Ihr ganzes Wesen erschien ihr unweiblich, ein unreiner Hauch ging von ihr aus, der Berta ein Greuel war, und diese gefallsüchtigen Blicke auf die Männer, mit welchen sie jeden an sich zu fesseln suchte, mit welchen sie auch Theodor nicht verschonte, waren ihr unerträglich. Sie empfand keine Eifersucht, weil sie an eine Gefahr von dieser Seite nicht glauben konnte, nur Ekel.

Hans war nicht mehr wieder zu erkennen. Berta hatte Mitleid mit dem Bruder. Was war aus dem gesunden kräftigen Jungen geworden! Ein schwächlicher, kränkelnder Mann mit abgelebten Gesichtszügen, fieberhaft brennenden, tiefliegenden Augen. Das machte das viele Arbeiten für Stefanelly, in dessen Dienst er sich aufrieb, das Durchwachen der Nächte bei wilden Gelagen, diese Körper und Geist zerstörende Kaffeehaus- und Kneipenluft, der qualvolle Gelddurst, der mit dem täglichen Anblick des gleißenden Goldes in den eisernen Kassen des Chefs ins Unendliche wuchs. – »Geld! nur Geld! Dann nimm alles, Gesundheit, Ehre, alles!« tobte es in ihm Tag und Nacht.

Der alte Margold war unerbittlich; er gab keinen Pfennig heraus von seinem Gelde, trotz der Bitten und Vorstellungen seines Sohnes. Im Gegenteil, am Tag nach der Hochzeit Bertls kam er und verkaufte seine sämtlichen Aktien der Grunderwerbungs-Genossenschaft, die eben im besten Zuge waren. Er gab keine Auskunft über die Gründe, die ihn dazu veranlaßten, und Hans tobte darüber, daß »der alte Narr« das schöne bare Geld daheim im Kasten liegen lasse, anstatt es ihm anzuvertrauen. So war Hans in seinen eigenen Spekulationen nur auf seinen Schwiegervater Weinmann angewiesen, der zum Glück »vernünftiger« war und ihm ganz freie Hand ließ, wofür er dann Loni durch die Finger sah. – –

Berta ließ diese Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart an ihrem inneren Auge vorüberziehen, während sie halb unbewußt auf den geschäftigen Lärm der Straße horchte; aber das stetige Gleichmaß dieser Töne wirkte zuletzt einschläfernd, sie sank wieder in Schlummer.

Plötzlich ward sie von neuem wach; Theodor kam herein und trat vor ihr Bett, der junge schöne Mann, ganz wie sie es damals im Geiste geschaut hatte auf dem Wagen mit den Kohlköpfen; nur gab er ihr keinen Kuß, sondern er blickte ernst und sorgenvoll. Überhaupt hatte sie ihn schon oft in solch gedrückter Stimmung überrascht, ihn und seinen Vater, der in der letzten Zeit ein so scheues, unruhiges Wesen gegen sie angenommen hatte. Sie hatte sich oft ihre Gedanken darüber gemacht, doch waren sie in dem ruhelosen und bewegten Leben immer rasch wieder verflogen.

»Was hast du, Theodor? Warum so ernst? Oder bist du nicht wohl? O, dieses lange Aufbleiben und Nachtschwärmen! Auch ich kann es nicht ertragen; machen wir doch ein Ende damit und verkriechen wir uns in unser stilles schönes Heim! Wer uns sehen will, kann uns ja hier aufsuchen. Du hast dich gestern abend bei Stefanelly über etwas geärgert, nicht wahr? Ich merkte es schon beim Nachhausefahren.«

»Ja!« erwiderte Theodor kurz, sich setzend und an seinem Schnurrbart kauend.

»Du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf Stefanelly, weil ich mich mit ihm so angelegentlich unterhalten habe? Er erklärte mir das neue Bergwerksunternehmen, an dem auch dein Vater beteiligt ist, das interessierte mich. Er sprach von den böswilligen Verdächtigungen und Angriffen, denen er ausgesetzt sei, und wie man sich alle Mühe gebe, seine Pläne zu durchkreuzen. Ich wunderte mich, daß ein so bedeutender Mensch wie er sich darum kümmern könne, es sei das doch einmal das Los aller Großen, Hervorragenden. Das freute ihn und er drückte mir herzlich die Hand. War es das, Theodor? O, dann muß ich bitten, dann hätte ich mehr Grund, wenn ich Loni und dich betrachte – doch nein, pfui! Ich habe keinen Grund, ich müßte mich schämen, wenn ich auf dieses Wesen eifersüchtig sein wollte.«

»Laß diese Scherze, Berta!« entgegnete Theodor. »Auch ich ärgere mich über diese versteckten Angriffe auf Stefanelly, von denen er mit dir sprach, und ärgere mich doppelt, seitdem ich weiß, woher sie, wenigstens teilweise, stammen – von deinem Vater!«

»Wie lächerlich!« fuhr Berta nach einem Augenblick sprachlosen Staunens auf. »Mein guter Vater soll den Stefanelly angreifen! Wozu sollte ihm das nützen? Wer würde auch auf ihn hören, auf den alten Margold? Das klingt ja wie Hohn!«

»Du irrst dich,« entgegnete Theodor, »es ist so, und ich begreife ganz wohl, daß dem Stefanelly das Gerede sehr unangenehm ist. Er sagte es mir selbst und bat mich, vermittelnd einzutreten. Ein kleiner Stein kann eine vernichtende Lawine ins Rollen bringen. Irgendwo taucht ein bedenkliches Gerücht auf – einer flüstert es dem andern ins Ohr, wie ein Lauffeuer läuft es, ins Ungeheure wachsend, ganze Straßen hinunter – eine Panik entsteht oft aus der unscheinbarsten Ursache, und wenn sie in diesem Falle entsteht, ist Stefanelly verloren.«

»Aber da müßte noch vor allem etwas Wahres an den Gerüchten sein, wenn sie eine so vernichtende Wirkung haben sollen.«

»Es ist immer etwas Wahres an solchen Gerüchten, in diesem Falle aber ist vielleicht alles wahr, wahrer, als dein Vater denkt. Um so unbegreiflicher ist es von ihm, da er doch weiß, daß wir mit Stefanelly stehen und fallen. Papa hat sein ganzes Vermögen in Stefanellys Unternehmungen stecken, er ist mit seinem Namen, mit seiner Ehre an allem beteiligt; es war nicht mein Wille, daß er sich so weit eingelassen hat, aber es ist nun einmal so. – Ich muß dich aufklären, Berta. Wir stehen auf einem Vulkan, der jeden Augenblick zum Ausbruch kommen kann. Stefanelly ist ein verwegener Spieler, der die Schwäche seiner Zeit, die allgemeine Sucht, rasch und mühelos reich zu werden, vortrefflich auszunutzen versteht. Es ist unmöglich, daß alles bei ihm mit rechten Dingen zugeht, daß seine Erfolge alle wahre Erfolge sind, es kann plötzlich einmal fürchterlich tagen und Tausende können zugrunde gerichtet, zu Bettlern geworden sein. Stefanelly wird dann keine Rücksicht kennen, wenn es sich für ihn darum handelt, sich selbst aus der Schlinge zu ziehen, ich halte ihn zu allem fähig – zu einem Verbrechen, wenn es sein muß, und mir bangt für meinen Vater, der viel zu ungewandt ist, um zur rechten Zeit zur Seite zu springen, wenn der Einsturz droht.«

Berta war entsetzt von dieser ganz unerwarteten Aufklärung.

»Dann hat aber ja der Vater ganz recht, wenn er den Stefanelly angreift, vor ihm warnt!« rief sie.

»Das hat er nicht,« entgegnete Theodor, »deshalb nicht, weil wir nicht zu den Tausenden gehören dürfen, die ruiniert sein können, weil wir Zeit brauchen, uns allmählich zurückzuziehen. Der Vater ist seit gestern auch mißtrauisch geworden, nur einen Monat soll es halten, und wir sind außer Gefahr.«

»Und während dieses Monats gehen die andern Tausende ahnungslos zugrunde!« warf Berta entrüstet ein. »Das sagst du, ein Kavalier, der für das Wörtchen ›Ehre‹ sein Blut vergießt, das sagt dein Vater, der ehrwürdige Mann, in dem ich von Jugend auf den Inbegriff des Guten und Edlen verehrte, der all den Tausenden als Vertrauensmann gilt? – Nein, das glaube ich nicht! Du siehst zu schwarz, Theodor, du klagst ihn eines Verbrechens an, dessen er nicht fähig ist.«

Theodor ging erregt im Zimmer umher.

»Verbrechen! Mäßige dich, Berta! Er hat ja anfangs alles im guten Glauben getan, und jetzt nützt auch ein offenes Bekennen der Lage nichts mehr; ein Rückzug aller ist eben der Ruin aller, abgesehen davon, daß seit gestern überhaupt keine Rede mehr von einer offenen Erklärung sein kann. Bisher hat der Vater nur in seiner Unwissenheit gehandelt, geblendet von diesem Stefanelly, der euch alle blendet, auch dich, nur mich nicht, den leichtsinnigen, unbedachten Theodor, als der ich immer galt. Aber gestern hat der Vater zum ersten Male wissentlich eine Handlung begangen, die wirklich ein Verbrechen ist, wenn sie an das Licht kommt. Was hilft's, daß auch hier nur seine Gutmütigkeit, seine Vertrauensseligkeit, der verderbliche Einfluß dieses Schuftes Stefanelly daran schuldig ist! Das alles wird ihm kein Mensch glauben! ›Der Brennberg ist ein Spieler‹, so wird es heißen, ›er hatte große Verluste, da teilte er sich mit dem Stefanelly in die vierhunderttausend Mark‹ – –«

Berta war fassungslos. Ihr Gatte sprach wie im Wahnsinn, wirre, grauenhafte Dinge, die sie nur erriet, nicht verstand. Der alte Brennberg, der verehrte Greis, ein Spieler! vierhunderttausend Mark, die irgendwo genommen wurden – von ihm – der Stefanelly ein Schuft – ein Betrüger! – Und sie lebte sorglos inmitten all dieses Truges! Ihr dunkles unruhiges Gefühl, das sie einst das alles ahnen ließ, hatte sie nicht getäuscht! Sie hatte es unterdrückt, gewaltsam unterdrückt, um nicht aufgescheucht zu werden aus dem üppigen Leben, das ihr so gut gefiel. Wo waren alle ihre guten Vorsätze geblieben? Hatte sie die Ermahnungen und Bitten ihres Vaters, das als Frau zu bleiben, was sie war, eine einfache, schlichte Bürgerstochter, und dadurch das Haus Brennberg zu retten, hatte sie diese Mahnungen, die sie jetzt erst ganz verstand, befolgt? – Sie trug die Schuld mit, wenn es so weit kam, wie Theodor befürchtete, und jetzt war es wohl zu spät zum Helfen. Was war nur gestern Furchtbares geschehen bei Stefanelly? Sie erinnerte sich, daß Stefanelly den Schwiegervater auf sein Zimmer nahm, daß derselbe auffallend bleich und verstört zurückkam – sie mußte jetzt alles wissen, um handeln zu können.

Und Theodor verschwieg ihr nichts, er schien die Last des Geheimnisses nicht allein tragen zu können.

Durch die umherschleichenden Gerüchte über Stefanelly, vielleicht auch durch das plötzliche Fallen der Aktien einiger der von ihm gegründeten Unternehmungen mußte, so behauptete wenigstens Stefanelly, in gewissen Kreisen eine kleine Panik entstanden sein. Man forderte in den letzten Tagen auffallend viele, mitunter bedeutende Depots aus seiner Bank zurück, es stand zu befürchten, daß diese Zurückziehungen weitere Ausdehnung annehmen würden. Stefanelly hatte sich aber nach allen Seiten in weitgehende Spekulationen eingelassen, die anvertrauten Gelder waren in der allgemeinen Geschäftskrisis, welche auch den glücklichen Stefanelly nicht unberührt ließ, nicht sofort flüssig zu machen, sie staken zerstreut in seinen Unternehmungen, in augenblicklich nur mit großem Verlust verkäuflichen Aktien – das geringste Zeichen von Schwäche, die geringste Stockung in der Auszahlung der Guthaben, und alles war verloren. Es war zu erwarten, daß die Gläubiger in Scharen kommen würden, ihr Geld zu holen, und damit war der Bankrott fertig. Nur um einige Tage handelte es sich, bis das Vertrauen wieder hergestellt war, dann konnte alles wieder gut werden. Wie aber über diese Tage hinwegkommen?

Nun lagen in dem Gewölbe des Bankhauses Stefanelly in einer mächtigen eisernen Kasse unter doppeltem Verschluß der Reservefonds und die laufenden Werte der Grunderwerbungs-Genossenschaft im Betrage von vierhunderttausend Mark. Stefanelly und Brennberg hatten die Schlüssel zu dieser Kasse, keiner konnte dieselbe ohne den andern öffnen. Stefanelly verlangte nun von Brennberg, er solle ihm die vierhunderttausend Mark stillschweigend auf vier Wochen anvertrauen, bis dahin könnten sie leicht zurückbezahlt werden, niemand wisse etwas davon, noch bringe es irgendwem Schaden.

Nach langer Weigerung und qualvollem Kampfe willigte Herr von Brennberg ein, denn mit Stefanelly war ja auch er verloren, nicht nur sein ganzes Vermögen, auch seine Ehre – sein Name! Sie gingen noch des Abends zusammen in das Gewölbe, öffneten die Kasse und nahmen die Summe heraus.

»Hält Stefanelly sein Wort, oder vielmehr, kann er es halten,« so schloß Theodor erregt seinen Bericht, »dann ist die ganze Sache nichts als eine harmlose Gefälligkeit des Kollegen gegen den Kollegen; kann er es nicht halten, kommt die Bilanz oder werden die Aktionäre auch in das Mißtrauen hereingezogen und verlangen Revision, ehe die Summe ersetzt ist – dann ist es ein Betrug – ein Diebstahl!«

Theodor sank erschöpft auf einen Stuhl neben dem Bett.

»Dem Vater preßte die Besorgnis das Geständnis mir gegenüber heraus,« fuhr er nach einer Weile fort, »leider zu spät, um die Tat verhindern zu können. Lasse ihn nicht merken, Berta, daß du alles weißt! Ich sollte es dir ja nicht sagen, aber auch ich kann es nicht allein tragen, es ist mir, als wenn du einen Rat wüßtest. Jedenfalls kannst du deinen Vater davon abhalten, weiter gegen Stefanelly zu wirken; es ist ja auch mir nicht denkbar, daß er an allem schuld sein soll, am Ende gebrauchte Stefanelly nur den Vorwand, um sich aus irgendeiner augenblicklichen Verlegenheit zu retten. – Gott, er wird ja zahlen, meine Angst wird grundlos sein, aber wenn ich bedenke, was sich ereignen könnte, die Schande – ehrlos – ruiniert – dem Mangel preisgegeben, die ganze Zukunft vernichtet für mich, für dich, Berta – ich ertrüge es nicht!«

Er war außer sich, Tränen standen ihm in den Augen und er vergrub sein Gesicht in den Kissen des Bettes.

Berta faßte sich rasch. So gewaltig und unvorhergesehen sie auch aus ihren Träumen aufgeschreckt worden war, die ihr angeborene Tatkraft, das Bewußtsein ihrer Pflicht erwachte. Mit einem Male sah sie klar, was sie zu tun hatte, und ihr Entschluß stand fest. Trotz der schlimmen Botschaft empfand sie eine stürmische Freude in diesem Augenblick, als Theodor verzweifelnd ihr sein Herz erschloß: er liebte sie wirklich und wahr, er bedurfte ihrer im Unglück, er sah in ihr seine einzige Stütze – und er sollte sie nicht vergeblich in ihr suchen.

»Du bist ein großes Kind,« begann sie unbefangen, indem sie ihn an sich zog und einen Kuß auf seine Stirn drückte, »du hast mir wahrhaftig selbst angst gemacht. Gewiß ist es nicht halb so schlimm, als du denkst, der Stefanelly wird alles in Ordnung bringen, das Mißtrauen wird sich rasch verziehen, er selbst wird vorsichtiger werden. Dein Vater zieht sich allmählich von den Geschäften zurück, läßt aber von dem häßlichen Jagen nach Reichtum, das er gar nicht mehr nötig hat und das ihm und uns nur angstvolle unruhige Stunden bereitet. Dann kaufen wir ein kleines Gütchen, ziehen uns von aller Welt zurück und leben glücklich und zufrieden auf unserm Grund und Boden. Deine Berta zieht wieder Blumen, bepflanzt den Garten wie früher, du gehst auf die Jagd, reitest, besorgst die Wirtschaft, und wir sind die glücklichsten, zufriedensten Menschen. O, ich hatte das schon lange im Kopf; aber der ewige Gesellschaftstrubel ließ mich ja nicht mehr zur Besinnung kommen. Nicht wahr, so machen wir es, Theodor?«

Ihr Auge leuchtete vor inniger Liebe, sie sah das alles schon im Geiste, wovon sie jetzt sprach, die lieben Blumen, den Garten, die selige Ruhe auf dem Lande –

»Ja, wenn es nur nicht zu spät ist, das wäre freilich schön!« entgegnete Theodor, dem in seiner augenblicklichen Herzensunruhe das Gemälde, welches Berta eben entwarf, wie ein Paradies erschien.

»Es ist nicht zu spät. Ich gehe sofort zum Vater und rede mit ihm über die Angelegenheit. Er wird mich auslachen, wenn ich ihm sage: ›Der Stefanelly hat Angst vor dem alten Margold!‹ Jetzt geh nur! O, ich Faulpelz, bei hellem Sonnenschein noch im Bette zu liegen! Das muß alles anders werden: auf mit der Sonne und um neun Uhr zu Bett! Ja, das geht nicht anders bei der Landwirtschaft, laß mich nur wieder in mein Fahrwasser kommen, nur wieder eigene Erde unter meinen Füßen haben, da sollst du Wunder erleben, was ich leisten kann und wie dann das Essen schmeckt und der Schlaf. – Gott, in dem tollen Leben, das wir jetzt führen, verliert man sich ja ganz. Ich sehe mich oft im Spiegel an und frage: ›Bist du es denn noch? die Berta Margold?‹ Aber ich bin es noch, ich bin es noch, du sollst es sehen.«

In einer nervösen Hast, die ihre innere Unruhe verriet, kleidete sie sich an. Dann eilte sie ins Nebenzimmer und zog den schweren Fenstervorhang auf, daß das helle Tageslicht voll hereinflutete, und ihres Mannes Hand ergreifend, wies sie hinaus.

»Siehst du dort, wie Schönau blitzt in der Sonne? Siehst du das Türmchen mit der leeren Fahnenstange? Wer weiß? Noch steht es aufrecht!«

Theodor legte den Arm um den Nacken seines Weibes und blickte traumverloren hinüber auf den glitzernden Punkt, lange, lange.

Endlich riß Berta sich los.

»Jetzt zum Vater, dann wird sich alles aufklären.«

Theodor wollte anspannen lassen, aber Berta nahm es nicht an; sie wäre erstickt in dem Wagen bei dem Gedanken, welche Opfer er wohl ihren Schwiegervater gekostet hatte.

Kaum war sie aus dem Hause, so war es vorbei mit ihrer vor Theodor geheuchelten Fassung. Tödliche Angst ergriff sie, und von neuem machte sie sich bittere Vorwürfe, daß sie gedankenlos, berauscht von ihrem jungen Glück, unbewußt mitgearbeitet habe an dem Verfall des Hauses, zu dessen Rettung sie sich von der Vorsehung auserkoren geglaubt hatte. Wenn es schon zu spät wäre, wenn der kurze selige Traum ihres Lebens ein entsetzliches Ende nähme, nach einem Jahre schon – der liebe Vater Christian ein Verbrecher, ein Dieb, verurteilt, Theodor verarmt, mit entehrt! O, sie wollte ja für ihn mit Freuden wieder arbeiten, für das Brot war ihr nicht bange, noch waren ihre Arme kräftig; keine Träne wollte sie all den falschen Freuden dieser eitlen Welt nachweinen. Aber ob er es ertragen würde? Ein Schauer überlief sie, ein entsetzliches blutiges Bild stieg vor ihr auf, wie sie es oft in Zeitungsberichten geschildert gelesen hatte.

Sie beschleunigte ihre Schritte. Der Vater mußte gewarnt werden und durfte kein Wort mehr reden gegen den Stefanelly, es wäre wirklich unverantwortlich von ihm. Sie dachte jetzt nicht mehr an die Tausende, die in ihr Verderben rannten, sie verstand davon nichts, wollte nichts davon verstehen – es galt das Leben ihres Gatten.

Der Vater war nicht zu Hause, die Mutter wie gewöhnlich bei der alten Frau Bergmann, der Schlossermeisterin. Berta betrat die Werkstatt. Lili trug, ein Liedchen trällernd, das einen Monat alte Söhnchen Theresens umher und begrüßte den Besuch mit einem selig lächelnden Blick auf das strampelnde Kind.

»Sehen Sie nur, gnädige Frau, den herzigen Jungen! Wie er gedeiht! Gerade hier in der Werkstatt will er immer sein, der Lärm macht ihm Spaß und die leuchtenden Feuer; ich komme an gar keine Arbeit mehr mit dem kleinen Bösewicht.« Und sie überhäufte das Kind mit Küssen.

»Sie lieben das Kleine wohl sehr?« fragte Berta.

»Über alles! Ein ganz neues Leben hat für mich begonnen, ich hätte es nimmer geglaubt, daß sie einem Menschen so alles ersetzen könnte, die Liebe zu so einem kleinen Wesen! Ich habe keinen Wunsch mehr. Warten Sie nur, gnädige Frau, Sie werden es auch bald erfahren.«

»Wo ist denn Therese?« fragte Berta ausweichend unter tiefem Erröten.

»Mein Gott, sie rechnet wieder da nebenan. Das ist ja eine reine Krankheit seit einigen Monaten. Georg brachte sie eigentlich ins Haus, und wenn Ihr guter Vater, der Herr Margold, nicht wäre, der ihm keine Ruhe läßt, ich glaube, es wäre kein Geselle mehr im Hause.«

»Was für eine Krankheit denn, Lili?« fragte Berta ganz erstaunt.

»Spekulieren, nichts als spekulieren, gnädige Frau! Therese kennt alle Papiere, alle neuen Unternehmungen, jeder verdiente Pfennig wird auf die Bank getragen. Ich verstehe nichts davon – es soll mehr Geld tragen als alles Arbeiten, sie will halt auch einmal reich werden wie Sie, gnädige Frau, und ich wünsche es ihr von Herzen, für meinen lieben, kleinen Maxi da wünsch' ich es, meinen Maxi –«

Lili scherzte und schäkerte mit dem lallenden Kinde auf ihrem Arme und vergaß darüber die Spekulation und die schöne vornehme Frau neben ihr, die schwer aufatmend, den Kopf schüttelnd, auf das Zimmer der Schwester zuging.

Therese sah erstaunt von einem großen Kassabuch auf, in welches sie eben vertieft war, als Berta eintrat.

»Ah, Berta, findest du es auch einmal wieder der Mühe wert, uns kleine Leute aufzusuchen? Nun, ich kann es dir nicht verdenken, es ist gerade kein angenehmer Anblick, so eine Werkstatt, so eine ärmliche Stube, wenn man von dir zu Hause kommt. Ich tät' es bei Gott auch nicht.«

Berta hatte ihre Freundin in der letzten Zeit wirklich vernachlässigt; aber dieser harte, gereizte Ton, aus dem eine nicht zu verkennende Unzufriedenheit sprach, überraschte sie sehr an der früher so herzlichen glücklichen Therese.

Dieses veränderte Wesen mußte mit der Spekulation zusammenhängen, von der die Schwester sprach; kein Zweifel, auch in diese Stätte des Friedens und der Arbeit war in der Tat das verhaßte Fieber gedrungen.

»Setze dich, setze dich, Berta, und sei mir nicht böse über meine schlimme Laune! Das kommt so, wenn man einmal verheiratet ist. Du weißt freilich nichts davon, aber unsereines – nichts als Arbeit, Sorge und karger Verdienst! Wenn man nicht ein Sparkassenbuch bei Stefanelly hätte, man könnte sich nicht die kleinste Freude gönnen. Da wirft aber doch jedes bißchen Ersparnis seine ordentlichen Zinsen ab. Sieh, Berta, das ist mir eine Freude – dir wird sie freilich lächerlich vorkommen – so insgeheim in der Wirtschaft recht viel zu ersparen und damit zu Stefanelly zu gehen. Ganze Nächte denke ich darüber nach, wie das am besten zu machen ist. Wenn ich dann dem Georg die Zinsen bringe, das freut ihn, da schmunzelt er. Er hat es nachgerade auch satt, zu sehen, wie andere so leicht, ohne sich zu rühren, reich werden, während er sich abmüht um das tägliche Brot von morgens bis abends.«

Berta stieg das Blut ins Gesicht bei diesen Worten Theresens. Also auch der arbeitsame brave Georg Bergmann sollte zu den Tausenden gehören, die der Untreue Stefanellys, der Vertrauensseligkeit, vielleicht der Gewissenlosigkeit ihres Schwiegervaters zum Opfer fielen – und sie sollte dem Vater verbieten, die Leute zu warnen, nur damit sie selber Zeit gewänne zur Rettung ihrer Familie, ihres Namens! Die ganze furchtbare Verantwortung, welche Christian auf sich geladen hatte, stand vor ihren Augen, die ganze Verwerflichkeit dieses Geldspieles.

»Hast du denn gar keine Angst, diese Spekulation könnte einmal schlimm enden? Du verstehst doch nichts davon. Wie schrecklich, wenn der saure Verdienst deines Gatten verloren ginge!« konnte Berta nicht umhin zu sagen.

»Wer wird denn da Angst haben,« meinte Therese, »wenn die reichsten, klügsten Leute mittun und ihren Namen dazu hergeben! Das wäre noch schöner, wenn es da nicht mit rechten Dingen zuginge! O, dein Vater warnt uns auch immer, ich weiß nicht, was er gegen den Stefanelly hat; er hat schon längst alle seine Papiere verkauft. Dein Bruder Hans ist wütend darüber, und der versteht es doch! Wir sind dem Hans wirklich zu Dank verpflichtet, er benachrichtigt uns immer, wenn ein bißchen was zu verdienen ist. Das ist übrigens gut! Du, Berta von Brennberg, die Schwiegertochter des Aufsichtsrats, sprichst von Angst. Wenn ich dich nicht so genau kennen würde, müßte ich annehmen, du gönntest mir den Gewinn nicht – doch das wäre ja rein lächerlich! Nur einen Augenblick, Berta, ich muß nur noch rasch die Posten zusammenzählen; morgen ist Zahltag, was uns übrig bleibt, wandert zu Stefanelly. Er muß uns zu einem schönen Haus verhelfen, der Vater Georgs will nicht heraus mit dem Gelde.«

Berta schwieg betroffen und blickte auf die rechnende Freundin. Welche Veränderung war hier vorgegangen! Wie glücklich und zufrieden war Therese oben in dem kleinen Stübchen als Näherin an der Seite ihrer Mutter und Lilis, wie selig in ihrer Liebe zu Georg gewesen, und jetzt diese Unzufriedenheit mit ihrem Los, dieser Gelddurst, dieser geheime Neid gegen die reiche Frau von Brennberg, während die verwachsene Lili draußen fröhlich umherging, den Knaben der Schwester im Arm, Lieder singend!

Über den Hof nahten jetzt Georg, der junge Schlossermeister, und der alte Margold in heftigem Gespräche. Therese schlug ihr Buch zu und schloß es in den Kasten.

Georg ging achtlos an dem Kinde vorbei, das Lili ihm entgegenhielt, warf einen Pack Handwerkszeug auf einen Arbeitstisch und ließ sich in sichtlicher Erregung auf einen Amboß nieder.

Therese kam heraus mit Berta. Georg grüßte kurz, mürrisch.

»Was führt denn dich her, Bertl? Du bist ja ein seltener Gast geworden in diesem Hause,« fragte der alte Margold.

Berta zögerte.

»Nur heraus! Habe keine Geheimnisse vor meinen Freunden!«

»Nun, warum soll ich denn hinter dem Berge halten,« erwiderte Berta, »Therese sprach ja eben davon –«

Die Mutter trat ein, begrüßte Berta mit einem fast ehrfurchtsvollen Knicks und strich bewundernd an ihrem reichen Gewande herum. Berta aber fuhr fort: »Du äußerst zu offen deine Ansichten über Stefanelly und seine Unternehmungen, Vater. Das ist aber sehr peinlich für Herrn von Brennberg und auch für mich, die ihm so nahe steht. Stefanelly hat sich auch schon darüber beklagt.«

Die Mutter stieß einen Ruf der Entrüstung aus und auch Georg fuhr auf: »Ja, das ist nicht recht, Herr Margold, gar nicht recht! Ich wollt', ich hätte mehr, was ich zu Stefanelly hintragen könnte. Ich habe es Ihnen soeben gesagt: Sie begehen ein Verbrechen, daß Sie meinen Vater abhalten, mit seinem bißchen Vermögen den Vorteil der Zeit zu genießen, ein Verbrechen an uns, an dem kleinen Kerl da« – er deutete unwirsch auf den Kleinen in Lilis Armen – »der auch einmal über die Werkstatt hinauskommen möchte wie anderer Leute Kinder!«

Margold ließ den erregten Mann ruhig aussprechen, nur hie und da schüttelte er abwehrend das Haupt.

»Ich komme ja eben her aus dem Bankhaus,« fuhr Georg fort, »aus dem Geldkeller, ich mußte eine Kasse reparieren. Gold und Silber, ganze Säcke und Rollen, liegen da beieinander, sage ich Ihnen, eine Million wenigstens. Der Herr Papa war auch da,« wandte er sich an Berta; »allein kann der Stefanelly gar nicht zu dem Gelde, der Herr Baron muß immer dabei sein, wenn die Kasse geöffnet wird. Jeder hat seinen eigenen Schlüssel, also, wenn der Stefanelly auch wollte, könnte er nichts machen. Ich sage euch, da freut einen die Arbeit nimmer, wenn man das so mit ansieht, eine ordentliche Wut packt einen, da hineingreifen zu können und mit einem Griff all der Plackerei ein Ende zu machen – eine wahre Wut!«

Georg blickte mit glänzenden Augen starr auf den Boden, als suchte er dort den blinkenden, verführerischen Schatz.

Berta erzitterte in ihrem Innern bei dieser Erzählung, bei diesen Beweisen eines felsenfesten Vertrauens auf ihren Schwiegervater, welches dieser gestern so schmachvoll mißbraucht hatte, beim Anblick dieses heißen Verlangens nach den goldenen Schätzen, dieser gierigen Blicke, in denen es aufleuchtete wie ein verbrecherischer Gedanke. »Was macht doch dieses häßliche, dämonische Geld aus uns!« dachte sie.

Der Vater Margold aber hielt sich jetzt nicht mehr zurück.

»Ein Narr bist du, ein verblendeter Narr, trotz all des Silbers und Goldes, was du gesehen hast, Georg, wie ich einer war, bis mir die Augen aufgegangen sind, bis ich wieder zurückgekehrt bin zu meinem alten guten Glauben. Es gibt keine Ernte ohne Saat, es gibt keinen Lohn ohne Arbeit, es kann keinen geben, es kann nur eine Täuschung sein, ein geschickter Betrug, der über kurz oder lang in sich zusammenbrechen muß. Ich habe meine zwei offenen klaren Augen noch immer und ich habe damit Umschau gehalten. Neue Häuser stehen leer, die Mieten gehen herunter, und trotzdem kauft der Stefanelly weiter um riesige Preise. Ist das möglich? Ist das nicht ein Unsinn? Und dann der wahnsinnige sündhafte Aufwand in seinem Haus! Wovon wird der bestritten? Aus dem Erlös der Arbeit etwa? Keine Idee! Aus dem mühelosen Agiogewinn wird er bezahlt, dem zuliebe Aktien auf Aktien ausgegeben werden, nach deren wahrem Wert in dem allgemeinen Taumel gar nicht gefragt wird. Hat irgendeine Baugesellschaft, weiß Gott wo, um einen fabelhaften Preis Grund erworben und sieht, daß es schief geht, patsch, wird eine neue von Stefanelly gegründet und den Aktionären der Grund um das Doppelte, um den dreifachen Preis aufgehalst, der Gewinn bleibt in seinen Händen, bis einmal die große Abrechnung kommt und der ganze Schwindel zusammenbricht!«

Margold keuchte vor Erregung.

»Und Ihr Herr von Brennberg, den Sie so hoch verehren als Ihren früheren Herrn, von dem Sie nicht schön genug reden können, steht nicht sein Name unter all dem ›Schwindel‹, wie Sie es nennen?« fragte Georg.

»Das ist ja der Jammer, daß er drunter steht, der ehrliche alte Name, aber er ist eben der Betrogenste von allen Betrogenen, der arme Herr. Er denkt gewiß an nichts Schlimmes dabei, sein Leben täte er lassen, ehe er sich zu einem Unrecht hergäbe, darauf lege ich meine Hand ins Feuer. Sein blindes Vertrauen reißt ihn ins Verderben wie dich, Georg, deine plötzlich erwachte Habsucht, welche dir die ehrliche Arbeit verleidet, welche dir Gedanken eingibt, vor denen du dich früher entsetzt hättest. Und da soll man nicht dagegen ankämpfen und soll seine besten Freunde blindlings ins Verderben rennen lassen? Ja, wenn es nur was nützen würde, dieses Ankämpfen! Wenn es nur die Wirkung hätte, die der Stefanelly vorgibt, das wäre ja ein Segen! Vor allem für den Herrn von Brennberg, dem vielleicht dann noch zu rechter Zeit die Augen aufgingen, ehe jede Rettung unmöglich ist. Aber wer hört denn auf den alten Margold? Weiß Gott, was dahinter steckt, daß dieser schlaue Fuchs mir eine solche Bedeutung zuschreibt! Das fällt mir jetzt erst auf! – Der Stefanelly bekümmert sich um das Gerede eines Mannes, wie ich bin! Sonderbar! Sehr sonderbar! – Also deshalb bist du hier, Berta? Beruhige dich, das ist alles Geflunker, ich kann ihm nicht schaden, dem Stefanelly, mit meinem Gerede.«

»Und doch behauptet er, daß es so ist,« entgegnete, erschüttert von den Worten des Vaters, Berta; »gerade die kleinen Leute werden plötzlich unruhig und fordern in Masse ihre Einlagen zurück. Das könne nur durch einen aus ihrer eigenen Mitte veranlaßt sein.«

»Das habe ich selbst gesehen,« bemerkte Georg; »die Bank war heute vormittag gedrängt voll Menschen, aber alle gingen mit ihrem prompt ausbezahlten Gelde heim und schimpften über die leeren Gerüchte, die sie veranlaßt hätten, es zu holen. Der Stefanelly wird sich hüten, es ihnen zum zweiten Male abzunehmen. Noch tausend solche Narren mögen kommen, und der Keller wird noch lang nicht leer.«

»Der Keller hat dich ja ganz toll gemacht, Georg, mit seinem Goldgeflimmer,« sagte Margold. »Steh auf, nimm deinen Hammer und arbeite dich tüchtig aus, das hilft dir am besten gegen solchen geheimen Durst.«

Und er verließ mit Berta die Werkstatt.

Lili hatte von dem allem nichts gehört; sie saß in der Ecke und herzte ihren Maxi.

»Sprich wenigstens jetzt, die nächste Zeit nicht solche Dinge über Stefanelly,« bat Berta, als sie mit dem Vater allein war. »Brennberg verliert jetzt mehr als sein ganzes Vermögen, wenn die Katastrophe hereinbricht, die du befürchtest, er verliert seine Ehre!«

Margold erschrak.

»Seine Ehre? Du meinst, man wird ihm Vorwürfe machen? Das wird man, freilich, das bleibt nicht aus; aber jeder wird auch sehen, daß er selbst im guten Glauben gehandelt hat und selbst das Opfer dieses Stefanelly war. So traurig es ist, darin liegt für mich noch ein Trost, wenn es wirklich so weit kommt.«

»In vier Wochen wird es so sein, wie du sagst,« entgegnete Berta, »aber jetzt nicht – jetzt – ich beschwöre dich, Vater, habe Mitleid mit ihm, du liebst ihn ja – jetzt – ist er ein Verbrecher!« stieß Berta mühsam hervor.

Margold knickte zusammen bei diesen Worten. Jetzt wußte er alles und damit auch, daß er sich über die Lage Stefanellys nicht getäuscht hatte.

»Ein Verbrecher! Der alte Herr von Brennberg! Wie ist denn das möglich? Hat ihn denn der Stefanelly so weit –«

»Ich darf dir das Nähere gar nicht sagen,« jammerte Berta, »ja, ich habe dir in meiner Todesangst schon zu viel gesagt. Er wird sterben an der Schmach, und Theodor – und ich – und mein Kind – –«

Sie brach in lautes Schluchzen aus.

Margold stand regungslos, wie erstarrt. »Meine Ahnung, meine Ahnung!« rief er endlich. »Kannst du dich noch erinnern, Bertl, als du damals spät in der Nacht zurückkamst aus dem Café Arnold mit Hans, vor dem ich mich fürchte, wenn ich ihn ansehe – kannst du dich noch erinnern, was ich damals gesagt habe: ›Ein Spiel ist's, das den Unterschied bald verwischt zwischen Recht und Unrecht, das ins Zuchthaus führt?‹«

Berta schrie auf bei den Worten des Vaters.

»Ich dachte damals an den Hans, nicht an den Herrn von Brennberg, den ehrenhaften alten Herrn von Brennberg,« schloß er mit dumpfer Stimme.

»Aber es ist doch auch nicht an ihn zu denken,« rief Berta in qualvoller Erregung, »nur du hast mich so ängstlich gemacht. Es handelt sich ja nur um einige Wochen. – Oder weißt du einen Rat? Aber ich darf ja nicht sprechen – Gott, das ist hart!«

»Du brauchst nicht zu sprechen,« entgegnete Margold ruhig, »ich weiß alles, und ich habe nur einen Rat – ein offenes Bekenntnis – man wird ihn dann milder beurteilen. Aber den Rat wird er freilich nicht annehmen, er ist ein Spieler geworden, er wird auf einen glücklichen Zufall rechnen und alles verlieren. Nur um eines beschwöre ich dich, Bertl; wenn der glückliche Zufall eintritt, um den ich jetzt Gott anflehe, wenn es auch vielleicht ein Unrecht ist an tausend andern, die noch länger getäuscht werden, dann tritt du ein und reiß ihn zurück vom Abgrund und werde das, was man von dir gehofft hat, seine Retterin! Sein Vermögen ist so wie so verloren, wie ich annehmen muß. Laßt es verloren sein, für die Not bin ich da, dem unser Herrgott noch zu rechter Zeit die Augen geöffnet hat. Aber die Ehre seines Namens kann dann wenigstens noch gerettet werden.«

»Das will ich, das schwöre ich dir!« rief Bertl begeistert. »Den ganzen Glanz will ich von mir werfen und wieder arbeiten wie eine Magd, wenn nur diese furchtbaren Wochen vorüber sind. – Leb wohl, Vater, du siehst mich nicht mehr, bis ich mit guter Botschaft kommen kann, und dann sollst du erkennen, daß ich noch deine alte Bertl bin.«

Voll qualvoller Unruhe eilte sie hinaus aus dem Hofe auf die Straße; es trieb sie förmlich zu dem Bankhaus Stefanellys.

Wirklich glaubte sie eine besondere Erregung in den Gesichtern der desselben Weges Gehenden zu bemerken, ein ausfallendes Hasten und Drängen nach dieser Richtung. Jetzt kam sie auf den Platz, wo das Gebäude lag. Überall standen erregte Gruppen, vor dem Bankhause drängte sich eine dichte Menge. Es ging also doch etwas Besonderes hier vor, aber die weitgeöffneten Flügeltüren, durch welche das Volk ein- und ausströmte, machten auf sie einen beruhigenden Eindruck; etwas Freimütiges, Offenes lag für sie darin, eine großherzige Einladung: »Kommt alle, ihr Mißtrauischen!«

Sie näherte sich den Gruppen, um da und dort ein Wort zu erhaschen, der neugierigen Blicke nicht achtend, die man der schönen vornehmen Dame mit dem sonderbaren Benehmen zuwarf. Es gelang ihr nicht, und so trat sie vor das hohe Auslagefenster, drängte sich mitten unter das Volk, dessen Blicke gierig die Scheiben durchdrangen, an dem blitzenden, gemünzten und ungemünzten, zu kleinen Hügeln aufgehäuften Gold, an den verheißungsvollen bunten Papieren hafteten, aus denen der Name »Brennberg« wie mit feurigen Buchstaben geschrieben Berta entgegenleuchtete.

Eben trat ein Bauer, seinen schweren Ledergurt festschnallend, aus dem Haus unter die Menge, welche lachte, spottete, fragte.

»Na, wenn ich den erwisch', der mir den Bären aufgebunden hat, daß es schief geht da drinnen!«

Er hob drohend den Ziegenhainer unter dem schallenden Gelächter der Umstehenden.

»Grad überlaufen tun alle Kästen vor Gold und Silber – Na, wenn ich den – –«

Er verschwand unter dem Haufen, welchen das beim Öffnen der Türen hörbare metallene Rauschen zu bannen schien.

Da drängte sich in wilder Hast ein ärmlich gekleidetes Weib nach dem Eingang, tödliche Besorgnis im Antlitz; sie achtete weder auf die Scherzreden noch auf die ermutigenden Zurufe der Menge. Es dauerte eine Weile, dann aber trat sie selig lachend, mit feuchtem Auge heraus.

»Na, war's nicht so, Frauchen, hat's noch gelangt?« fragte man sie.

Sie brach in helle Tränen aus.

»O, das ist schändlich, den braven Mann so zu verleumden! Gelangt? Noch nie habe ich so was gesehen von vielem Gold; und er hat's wieder behalten, auf meine Bitte, ›weil ich eine arme Witwe bin‹, sagte er.«

Ein beifälliges und zugleich drohendes Gemurmel verbreitete sich. Wer war der Verleumder?

Irgendein Konkurrent, ein Bankier, der gekaufte Schreier herumschickte! – Der Name Anspacher wurde auch genannt.

Berta schlug das Herz mächtig vor Freude. Als die arme Frau erzählte, konnte sie es sich nicht versagen, mit einzustimmen in das Lob Stefanellys, so daß die Leute umher, die größtenteils dem Arbeiter- und Handwerkerstande angehörten, überrascht auf die vornehme Dame blickten.

Waren es wirklich die vierhunderttausend Mark, welche diese massenhaften Auszahlungen ermöglichten, so hatte der Schwiegervater ja ein vortreffliches, edles Werk getan, als er einwilligte, sie zur Beruhigung der augenblicklichen Aufregung zu verwenden; die Freudentränen der armen Witwe allein wuschen in ihren Augen allen Makel von seiner Handlungsweise. Ehe der Tag vergeht, wird die Krisis vorüber sein, der Name Stefanelly höher stehen als je, das Doppelte, was jetzt herausgetragen wurde, trug man sicher morgen wieder hinein. Stefanelly wird die Summe zurückerstatten und Brennberg zu ewigem Danke verpflichtet sein. Bereits reute Berta der Schwur, den sie ihrem Vater eben abgelegt hatte: Brennberg zu retten vor dem Abgrunde, wenn die Krisis glücklich vorüber sei. Aber der Abgrund war ja dann nicht da, das mußte auch der Vater einsehen, und damit fiel ihr Versprechen in sich zusammen.

Sie wäre jetzt am liebsten selbst hineingegangen und hätte Stefanelly, dem kühnen, verleumdeten Mann, die Hand gedrückt, um das Unrecht ihres Vaters einigermaßen wieder gut zu machen. Doch er hatte jetzt gewiß keine Zeit für sie und es zog sie auch nach Hause, wo Theodor in trostloser Unruhe wartete. Rasch eilte sie heim, sie konnte ihrem Gatten ja gute Nachrichten bringen.


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