Anton von Perfall
Truggeister
Anton von Perfall

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5.

Bertl lebte seit jenem Heimgang am Arme Theodors nur noch der Zukunft. Sie war praktisch veranlagt, gewohnt, alles am rechten Ende anzufassen. Die frische Arbeit ihrer Jugend im väterlichen Garten hatte nicht nur ihre körperliche, sondern auch ihre seelische Muskulatur gefestigt; schwärmerischem Sinnen konnte sie nicht lange nachhängen.

Sofort erkannte sie, was ihr vor allem not tue, welchen Weg sie einschlagen müsse, um zum Ziele zu gelangen. Sie mußte dafür sorgen, daß die schnell aufgeloderte Leidenschaft in Theodors Herzen feste Wurzeln schlage, daß er mit dem Bekenntnis derselben offen, ohne Opfer vor alle Welt treten könne, und das war nur dadurch zu erreichen, daß sie sich auf die Bildungsstufe seines Lebenskreises schwang. Mit raschem Blick hatte sie während ihres kurzen Aufenthaltes in der Stadt erkannt, daß dies gar nicht so schwer sei, wie sie einst gefürchtet hatte, daß diese Bildung eine ganz auffallende Ähnlichkeit mit den kostbaren Häuserfronten des neuen Stadtteiles hatte, deren Pracht und Üppigkeit sie noch vor kurzem mit kindischer Bewunderung angestarrt hatte. Wenn sie aus dem Hause trat, so sah sie eben gegenüber eine solche Front entstehen und ergötzte sich herzlich an dem Zusammenleimen der mächtigen Riesen unter dem Toreingang, die ihr einst eine solche Achtung eingeflößt hatten, an dem Aufkleben der kühnen Gesimse – die reinste Konditorarbeit! Und wenn alles fertig war, stand das Volk davor und reckte die Hälse nach all der Pracht und Herrlichkeit, obwohl es sich hundertmal von der Hohlheit derselben überzeugt haben mußte.

Vor allem galt es das Studium der modernen, äußeren Erscheinung. Bertl hatte Geschmack, Sinn für Form und Farbe, die Blume war ihre Lehrmeisterin; was diese ihr früher gewesen, das war jetzt ihre Kleidung. Ihr widmete sie sich mit derselben Hingabe, nur mit dem kleinen, vorderhand noch unmerklichen Unterschiede, daß Blumen in einer geheimnisvollen duftigen Seelenbeziehung stehen mit der liebevollen Pflegerin, die Gemütstätigkeit steigern, Kleider und Stoffe dagegen, tote Hüllen, auf Kosten des Gemüts alle Sinne für sich in Anspruch nehmen, magnetisch nach außen ziehen, ab von dem verlassenen leeren Herzen.

Doch das geht nicht so rasch bei einem Mädchen von so gesunden Anlagen, wie Bertl sie besaß, besonders wenn der Beweggrund ein rein seelischer – die Liebe ist!

Aber Bertl blieb dabei nicht stehen; sie schämte sich nicht, einen Kursus in einer Töchterschule mitzumachen, und sie ertrug geduldig die Spöttereien der um ein bedeutendes jüngeren Mitschülerinnen. Der Klaviersturm, welcher die vornehmen Viertel der Stadt förmlich durchbrauste, ließ ihr auch Unterricht auf diesem Instrumente nötig erscheinen.

Sie kannte den Treibhausbetrieb, seine wenn auch unnatürlichen und immer etwas krankhaften, so doch raschen Erfolge, und nur um letztere war es ihr zu tun. Sie lachte selbst dazu, erkannte wohl die Wertlosigkeit all dieser Bestrebungen, erblickte aber eine zwingende Notwendigkeit darin; hatte sie ihr Ziel erreicht, dann fort mit dem unnützen Ballast, zurück in die frische freie Ursprünglichkeit ihrer Jugend, auf das Land unter die lieben Blumen, in den duftigen Wald, die wogenden Felder – o, sie hatte jetzt schon Heimweh danach und malte sich das alles so schön aus an seiner Seite, wie sie ihn bekehren, wie sie mit ihm die Stadt fliehen wollte.

Der Vater schüttelte den Kopf zu diesen gewaltsamen Veränderungen, doch war in ihm selbst so viel vor sich gegangen, so viel anders geworden, daß er auch Bertl keinen Vorwurf machen konnte. Am allerunheimlichsten aber fühlte sich jetzt die Mutter; Bertl wurde ihr von Tag zu Tag fremder, ihr Mann zog auch seine besonderen Wege, die neue ungewohnte Lebensweise, das ewige Grübeln, welches bei ihr an die Stelle der Arbeit getreten war, machte sie mürrisch, streitsüchtig, Hans bekam sie überhaupt nicht mehr zu sehen. Dieser verkehrte nur noch mit »noblen« Leuten, hatte einen flotten Einspänner und war den ganzen Tag in Geschäften als Agent und, wie man sagte, stiller Teilhaber Stefanellys unterwegs. Seine schöne Frau Loni machte Staat wie eine Gräfin und wollte von der alten derben Frau Schwiegermutter nichts wissen, sie rechnete dieselbe nicht mehr zu ihrer Gesellschaft. So war Frau Margold verlassen in der neuen fremden Welt; sie sehnte sich von allen wohl am meisten zurück nach dem Häuschen an der Landstraße, wo sie glückliche, zufriedene Jahre verlebt hatte – aber sie hütete sich wohl, davon etwas merken zu lassen.

Margold war dem Beispiele Weinmanns gefolgt und hatte das eben vollendete Nachbarhaus erworben. Er sprach noch immer von dem Gartengeschäft, das er errichten wollte, wohl um sich selber zu beruhigen, traf aber keine Anstalten dazu.

Die Wände des neuen Besitztums waren noch feucht, die Handwerker noch im Hause, und schon war alles um guten Zins vermietet an »schöne« Leute.

Im Vorderhaus wohnte ein Regierungsbeamter mit Familie, ein berühmter Maler mit einer fürstlichen Einrichtung, eine Offiziersfamilie, ein junger Arzt, zu ebener Erde hatten sich zwei Geschäfte eingerichtet, im Hinterhaus war eine Schlosserwerkstätte, darüber ein photographisches Atelier und Margolds eigene Wohnung, von welcher er noch zwei kleine Zimmer an eine alte Frau, eine Registratorswitwe mit zwei Töchtern abtrat, die mit Blumenmachen, Kleidernähen und anderen weiblichen Arbeiten ihr Brot verdienten.

Alles war ausgenützt, alles Zureden Bertis, doch im Vorderhaus Wohnung zu nehmen, war vergeblich geblieben; Margold fühlte sich heimischer in dem einstöckigen Anbau, der ihn an das alte Häuschen an der Landstraße erinnerte, und der Arbeitslärm in der Schlosserwerkstätte tat ihm ganz wohl, das war seine Atmosphäre. Das Vorderhaus betrachtete er als sein Kapital; es selbst zu beziehen wäre ihm gleichsam wie ein Angreifen desselben erschienen, vor dem er eine ängstliche Scheu hatte; er hatte ja auch in seinem Garten früher die feinsten teuersten Gemüse, die kostbarsten Pflanzen gepflegt, aber auf seinen Tisch kam nur Sauerkraut und Kohl, vor seinem Fenster, in seinem Privatgärtchen wuchsen nur Reseda und ungefüllte Pelargonien. Seit er verkauft hatte, wurde er das bange Gefühl nicht los, das ganze Geld könnte ihm unter den Händen zerrinnen, ein Gefühl, welches ihm auch der Kauf des Hauses nicht benahm. Die Sicherheit des bebauten fruchtbaren Bodens, an die er ein ganzes Leben gewohnt war, fehlte ihm und mit ihr der ruhige Schlaf nach arbeitsvollem Tag.

Auch Frau Margold war in bezug auf die Wohnung ganz auf seiner Seite gewesen. Da wurde ihr doch wieder die unentbehrliche angenehme Stunde am Brunnen. Die Mägde kamen und brachten Neuigkeiten, die Schlossersfrau wurde bald ihre Vertraute, und abends kam man zusammen mit dem Strickstrumpf; auch die Frau Köhler, die Registratorswitwe, verschmähte es dann nicht, nach Feierabend herabzukommen mit ihren zwei Töchtern, der Therese und der etwas verwachsenen Lili. Frau Margold hatte zwar ein lebhaftes Vorurteil gegen das »hochmütige Beamtenvolk«, das selbst in der hellen Not noch seinen Stolz bewahrte, wie eben diese zimperliche Frau Köhler und ihre Töchter; aber sie liebte einmal solch eine altgewohnte Hausplauderei, und am Ende spielte sie als die Hausbesitzerin doch die erste Rolle.

Bertl mit ihren Hoffnungen und Kämpfen, mit ihrer blühenden, von Tag zu Tag sich edler entwickelnden Schönheit war jetzt eine fremdartige Erscheinung in dieser Umgebung, von welcher sie absichtlich sich möglichst fern hielt, um nicht wieder in ihren Bann gezogen zu werden.

Theodor schmeichelten die opferfreudigen Bestrebungen Bertls, die nur ihm galten und von der Heftigkeit und Wahrheit ihrer Leidenschaft zeugten. Es war mehr als ein flüchtiges Verlangen nach dieser herrlichen Mädchenblüte, was ihn immer wieder zu ihr trieb. Schon erregte die neue herrliche Erscheinung Bertls Aussehen, da und dort wurde sie mit Theodor gesehen, er wurde bestürmt mit Fragen. Indem er den Bescheid gab, sie sei ein wohlhabendes Bürgermädchen, die Tochter eines Hausbesitzers in der Vorstadt, ein hochanständiges, vortreffliches Mädchen, verschaffte er ihr ein für allemal eine Stellung, die ihm gestattete, unbehindert mit ihr zu verkehren.

Nur die Besuche im Hinterhaus waren für ihn peinlich. Vorn wohnte ein höherer Offizier seines Regiments, dessen Gattin, Mutter zweier heiratsfähiger Töchter, jeden derselben in ihrem schwarzen Buche verzeichnete. Der alte Margold machte trotz seiner stillen Zukunftspläne immer ein argwöhnisches bitteres Gesicht, wenn Theodor kam, die Schlossergesellen stießen sich an und lachten, und auch die Mutter störte mit ihrem aufdringlichen Wesen, so herzlich gut sie es auch meinte. Da mußte Änderung geschaffen werden um jeden Preis. –

Es war um die Karnevalszeit. Bertl fühlte sich reif, in die Welt zu treten, sich sehen zu lassen, sie brannte darauf, Theodor auf offenem Kampffelde entgegenzutreten, ihm zu zeigen, daß sie es mit jeder Nebenbuhlerin aufnehmen könne. Die Liebe erweckte in ihr den Ehrgeiz, zu glänzen. Auch der Geliebte hegte den gleichen Wunsch, obwohl er sich selbst nicht bewußt war, warum. War es der knabenhafte Stolz, mit dem schönen Mädchen sich seinen Kameraden gegenüber brüsten zu können? Trieb ihn die Neugierde, sie in der neuen Umgebung zu sehen und prüfend zu vergleichen, oder gingen seine Gedanken weiter? Wollte er sie allmählich immer mehr zu sich heraufziehen, bis sie, ohne Aufsehen zu erregen, neben ihm stehen könnte als seine Gattin?

Er dachte an all das und lachte zuletzt darüber. Vor allem wollte er sie nicht entbehren bei seinen Karnevalsfreuden, die ihm alle schal dünkten ohne sie. Die Mutter wurde zu Rate gezogen; sie begriff selbst, ohne daß sie dabei besonderes Weh empfand, daß sie nicht geeignet sei, mit ihrer Tochter auf einem öffentlichen Balle zu erscheinen, und nach langem Nachsinnen kam ihr ein vortrefflicher Gedanke: Frau Rätin Stürmling, welche im ersten Stockwerk des Vorderhauses wohnte.

Bertl lachte sie aus: das wäre gerade die rechte, die stolze Frau, die daherkomme, wie eine Fürstin gekleidet, und ihre eingebildete Tochter, das Fräulein Irma, das die Nase rümpfe, wenn es an einem der Hinterhausbewohner vorüber müsse – wie die Mutter nur auf den Gedanken komme!

Doch diese ließ sich nicht davon abbringen.

»Ich weiß, was ich weiß,« sagte sie pfiffig. »Alles Schwindel in der Stadt, mein Alter hat eigentlich ganz recht. Da wohnen viele Leute, wunderschön eingerichtet, kommen daher im ewigen Sonntagsstaat und schauen herab auf unsereinen in der Schürze, und wenn man hineinschaut, ist's nichts als ein glänzendes Elend! Ich sage dir, Bertl, du gehst mit der Frau Rätin, laß mich nur machen, und brauchst dich nicht zu sorgen, daß die nicht hinkommt, wo die feinen Leute sind – die versteht's! Mein Gott, der arme Herr Rat, er tut mir leid, so oft ich ihn sehe. Ein freundlicher, lieber Herr, aber man sieht ihm die Sorge an um den teuren Haushalt. Freilich, was will er denn machen? ›Standesrücksichten‹ nennen 's die Quälerei 's ganze Leben durch, und auf das hin wird dann drauflos gewirtschaftet von solch einer Frau!«

Frau Margold liebte nicht umsonst die Stunde am Brunnen im Hofe. Da erfuhr sie die Geschichten aller ihrer Mietsparteien; das ganze Haus war für sie wie aus Glas, sie sah in die innersten Gemächer, in jede Schüssel, es gab keine Geheimnisse für sie.

Frau Rätin Stürmling war noch eine schöne, stattliche Frau, trotz ihrer fünfundvierzig Jahre; ihr einziger Fehler war nur, daß sie nicht einen Baron Anspacher, sondern einen Rat Stürmling mit fünftausend Mark Gehalt und geringem Vermögen geheiratet hatte, sie wäre sonst eine Zierde der großen Welt geworden. Doch das Zeug dazu steckte einmal in ihr, das wurde ihr nur zu oft von Schmeichlern gesagt, und so mußte sie doch einigermaßen ihrer natürlichen Bestimmung nachkommen. Ihr Gatte war ein guter Ehemann, der in den ersten Jahren nach seiner Verheiratung dem schönen, abgöttisch verehrten Weibe nichts versagen konnte, später nichts mehr versagen durfte, obwohl die wachsenden Wünsche der Gattin in keinem Verhältnis standen zu der Steigerung seines Gehalts. Ständige pekuniäre Wirren, ein verzweifeltes aufreibendes Ringen, die Ehre des Standes aufrechtzuerhalten, sich keine Blöße zu geben, die von oben herunter übel vermerkt werden könnte, den äußeren Schein zu wahren – das war die unausbleibliche Folge davon.

In den Augen der Welt lebte das Ehepaar Stürmling in himmlischem Frieden. Der früh ergraute Scheitel des Rates, seine gebeugte Gestalt fielen nicht auf, man schob es auf den anstrengenden Beruf, auf das rastlose Leben der Großstadt. Unter dem Vorwande, sein schwächliches Töchterchen Irma könne die Luft und den Lärm der Stadt nicht ertragen, war er in dies neue Viertel gezogen, wo die Mieten noch verhältnismäßig niedrig waren.

Fräulein Irma sollte nun heuer zum ersten Male die Bälle besuchen in Begleitung der Frau Mama, welche sich schon lange nach diesem Zeitpunkt gesehnt hatte, um die Stätte ihrer früheren Erfolge wieder aufsuchen zu können. Der Beginn des Karnevals und der Termin des Mietzinses fielen aber diesmal bedenklich zusammen. Die umfassenden Vorbereitungen der Frau Rätin hatten bereits die Kasse des Hausherrn erschöpft und Rat Stürmling war verzweifelt, als der gefürchtete Tag kam, ohne daß er sich trotz aller Anstrengung die nötigen Mittel verschaffen konnte – und doch war's der erste Termin in diesem Hause. Das Gefühl der Schande drückte ihn zu Boden, und zum ersten Male seit langer Zeit trat er vor die Gattin mit ernstlichem Vorwurfe. Frau Stürmling lächelte über die Engherzigkeit ihres Gemahls. Das käme ja in den besten Familien vor; außerdem sei sie ja ganz schuldlos, die Zukunft ihres Kindes müsse ihr wichtiger sein als eine augenblickliche kleine Verlegenheit. Heutzutage müsse man vor allem den Schein wahren, dürfe man sich nicht in die Karten sehen lassen, besonders wenn man eine heiratsfähige Tochter habe, sonst sei alles verloren. Er solle die Regelung der Angelegenheit nur ihr überlassen, Frau Margold sei eine ganz verständige Frau, die werde das alles wohl begreifen.

So kam es, daß Frau Margold eines Tages von der Frau Rätin im Stiegenhaus auf die liebenswürdigste Weise angesprochen wurde, und daß sich die Frau Rätin lebhaft nach der Frau Margold schöner Tochter Berta erkundigte, die ja geradezu Aufsehen mache in der Stadt.

»Ja, ja, die Kinder! Was tut man nicht alles für sie, Frau Margold! Meine Irma wird heuer zum ersten Male die Bälle besuchen – Gott, man hat ja auch seine Jugend genossen! Aber was das heutzutage für Geld kostet! O, wie glücklich preise ich Sie, daß Sie davon nichts wissen – aber was will man machen, man wird gezwungen dazu in unserer Stellung – – was ich sagen wollte, Frau Margold –« die Frau Rätin strich sich dabei mit den kleinen Händen über den kostbaren Pelzbesatz – »es wird Ihnen wohl nichts daran liegen, wenn mein Mann Ihnen die Miete erst in einem Monat übersendet, nicht wahr? Es ist ja nur eine Kleinigkeit – aber was die Irma uns heuer kostet! Schauderhaft! Na ja, nicht wahr, Frau Margold?«

Mit einem liebenswürdigen Lächeln beendete sie das Gespräch, ohne die Antwort abzuwarten, vor welcher der gewissenhafte Rat Nächte hindurch gezittert hatte.

Frau Margold glaubte nun, diesen Umstand benutzen zu können: wenn die Rätin Bertl unter ihren Schutz nähme, dann sollte es mit der Mietzahlung gute Weile haben. Und danach verfuhr sie.

Die Rätin war unangenehm überrascht, als Frau Margold in einem gewissen drohenden Tone, der im Verweigerungsfalle das Schlimmste erwarten ließ, die Anfrage an sie stellte; wie das Verhältnis an und für sich stand, war ja das Verlangen eigentlich nicht zu erfüllen – die Tochter eines früheren Gärtners, die Tochter einer Margold in ihrer Gesellschaft an der Seite ihrer Irma! – das schien ihr auf den ersten Blick unmöglich. Doch die Frau Rätin kannte Bertl, bewunderte täglich ihr Geschick, sich zu kleiden, sich zu benehmen, sie wußte, Bertl würde ihr, was Äußeres und Anstand betraf, keine Schande machen, und darauf kam es am Ende ja nur an. Die Eltern kannte man nicht, Bertl war einfach ein wohlhabendes bürgerliches Mädchen, wie viele heutzutage in der Gesellschaft auftraten, und – – Frau Margold durfte um keinen Preis gereizt werden.

So ging sie auf die Bitte ein, Frau Margold überbrachte triumphierend Bertl die Nachricht, und diese suchte, Tränen der Rührung im Auge, sofort die Rätin auf und küßte ihr in übersprudelndem Dankgefühl die Hand.

»Ich will Ihrer Mutter gern den Gefallen tun, obwohl man mir vielleicht einen Vorwurf daraus machen wird in meiner Stellung. Nur mache ich Sie darauf aufmerksam, daß der Eintritt in die Gesellschaft an der Seite meiner Irma für Sie seine Bedenklichkeiten hat; es ist ja nicht Ihre Schuld, daß Sie die Erziehung nicht genossen haben, wie sie in unseren Kreisen üblich ist, ich möchte nur nicht verantwortlich gemacht werden für eine allenfallsige Enttäuschung Ihrerseits. Sie haben Mut, Fräulein Berta, sehr viel Mut; es ist ein glatter Boden, den Sie betreten wollen! Was die Kleidung betrifft, bitte ich Sie, vorher mit mir darüber zu Rate zu gehen, ich fürchte das Zuviel – man macht sich leicht lächerlich damit.«

Die spitzen Worte kühlten mit einem Male in Bertas Brust die Begeisterung für die Rätin, und an die Stelle der flammenden Dankbarkeit trat der heiße Wunsch, diese Frau samt ihrer Tochter zu beschämen.

* * *

In dem Zimmer der Frau Köhler herrschte fieberhafte Tätigkeit. Sie war mit ihren zwei Töchtern ganz in den Dienst Bertas gestellt.

Der Registrator Köhler, ein hoffnungsvoller Beamter, war nach zehnjähriger glücklicher Ehe das Opfer einer Epidemie geworden und hatte seine Frau mit zwei Töchtern in den dürftigsten Verhältnissen hinterlassen. Ein schwerer Lebenskampf begann. Das eine der beiden Mädchen, Lili, litt noch dazu an einer Verkrümmung des Rückgrates und war nur mit der sorgsamsten Pflege über die Kinderjahre hinwegzubringen gewesen. Trotz alledem verlor die entschlossene Frau weder Mut noch Stolz und rang sich mit ihrer Hände Arbeit durch, bis die zwei Mädchen mit erwerben konnten. Jetzt hatte sie, dank den eifrigen sechs Händen, mit Nahrungssorgen nicht mehr zu kämpfen, aber ein bitteres Weh saß ihr in der Brust, denn die freudlose düstere Jugend ihrer Mädchen ging ihr schwer zu Herzen.

Lili machte ihr in dieser Beziehung weniger Kummer, ihr körperliches Leiden hätte sie von vornherein von den Freuden der Welt mehr oder minder ausgeschlossen, und sie zeigte auch keinerlei Sehnsucht danach. Mit immer heiterem Sinn trug sie ihr hartes Los unermüdlich, unbeirrt, mit inniger Liebe an der Mutter hängend. Aber die ältere, Therese! Sie war ein bildhübsches, stattliches Mädchen, und sie konnte dem Mutterauge die gewaltsam unterdrückte, stetig wachsende Sehnsucht nach Glück und Freude, die in jeder jungen Brust keimt, nicht immer verbergen.

Frau Köhler versuchte ja alles, um diesem natürlichen Gefühl ihrer Tochter gerecht zu werden, aber was konnte sie tun bei rastloser Arbeit, ohne den Schutz eines Mannes? Die sommerlichen Sonntagsausflüge, der vereinzelte Besuch eines Theaters trugen eher dazu bei, den Drang nach Freiheit und berechtigtem Lebensgenuß in Theresens Innern zu verstärken, als daß sie ihn gestillt hätten.

Es war der letzte Abend vor dem Beamtenballe, auf welchem Bertl an der Frau Rätin Stürmling und ihrer Tochter Irma Seite ihren Eintritt in die große Welt feiern sollte. Bertl war in der Stadt, die letzten Einkäufe zu besorgen, nach ihrer Rückkehr sollte Generalprobe sein, und noch war nicht alles fertig. Die drei Frauen arbeiteten unermüdlich, kein Wort wurde gesprochen. Die Nähmaschine klapperte, die Stoffe rauschten unter den fleißigen Händen.

Lili summte leise ein Lied, während sie Mohnrosen formte. Frau Köhler blickte während der Arbeit forschend auf Therese, die oft schwer aufseufzend die dunkelbraunen Haare aus der Stirn strich. Die Arbeit brannte unter ihren Fingern – – wenn sie das alles für ihre Therese machen dürfte! Sie fühlte es, daß das junge Mädchen auf demselben Gedankengange sich befand. Berta, die Tochter dieser ungebildeten Frau Margold, ging morgen auf den Beamtenball, wurde dort gefeiert, und Therese, die Tochter eines Beamten, ebenso schön, ebenso freudebedürftig, mußte unterdessen am Nähtische sitzen! Es war nicht Neid, was sich in ihr regte, sie hatte Berta, das offenherzige schöne Kind, wirklich gern, und auch die derbe Ehrenhaftigkeit der Frau Margold wußte sie zu schätzen, aber sie litt unter ihrer Lage wie unter einem ihr widerfahrenen Unrecht, sie empfand einen Haß gegen das Schicksal, das sie so vernachlässigte, einen Widerwillen gegen diese Rätin Stürmling, die ihr, der armen Standesgenossin, unbedingt abgeschlagen hätte, was sie Frau Margold aus unlauteren Gründen, wie sie richtig ahnte, genehmigte. Für sich verlangte sie ja nichts mehr von diesem Leben. Das stolze Bewußtsein, sich ehrenhaft durchgerungen zu haben, genügte ihr vollkommen. Sie hatte die Arbeit liebgewonnen, fand für sich eine Freude darin und sehnte sich durchaus nicht danach, in die alten Kreise zurückzukehren, die sie im Unglück nicht mehr gekannt hatten; ihre Tochter Therese dereinst von einem tüchtigen Handwerksmann, welchem Fache er auch angehöre, heimgeführt zu sehen, war ihr innigster Wunsch. Darum billigte sie auch nicht das Streben Bertls, aus ihrem Stand herauszukommen, sie verwarf entschieden deren Verhältnis zu Theodor von Brennberg und machte daraus weder Bertl selbst noch ihrer Mutter gegenüber ein Hehl.

Der Sohn des Schlossermeisters Bergmann im Hinterhause, ein hübscher, tüchtiger Mann, hatte, wie Frau Köhler nicht entging, ein Auge auf Therese geworfen, und auch diese schien ihm nicht abhold. Aber es machte den Eindruck, als sei sie stark von Bertl beeinflußt, als schäme sie sich vor ihr der aufkeimenden Neigung zu dem jungen Schlosser, seit sie wußte, daß ein Offizier, ein Herr von Brennberg, gewissermaßen Bertls Verlobter war.

»Das gute Fräulein Berta wird sich auch täuschen,« begann plötzlich die Registratorswitwe, ihre Arbeit unterbrechend, »trotz aller Aufmachung wird man doch dahinterkommen, wer sie ist; gerade weil sie schön ist, wird man nicht ruhen mit Fragen und Forschen – und dann nutzt es ihr alles nichts, das Gärtnerkind werden sie nicht dulden.«

»Das sag' doch nicht, Mutter,« entgegnete Therese, ihr brünettes, feingeschnittenes Gesicht mit den rehbraunen Augen erhebend. »Du sprichst noch von deiner Zeit; heutzutage fragt kein Mensch danach. Wenn ein Mädchen schön ist und wohlhabend wie Bertl, dann ist alles ganz recht. Das gefällt mir von unserer Zeit, daß sie keine so schroffen Unterschiede mehr kennt; das Kind eines Gärtners zu sein ist doch keine Schande!«

In Frau Köhlers Auge blitzte es freudig auf.

»Gewiß ist es keine Schande, aber eben deshalb soll man es auch nicht zu verbergen suchen, daß man ein Gärtnerskind ist, und sich nicht in einen anderen Stand unter dem Mantel einer Frau Stürmling eindrängen, in einen Stand, in dem man noch immer dieselben Vorurteile hegt wie früher, nur mit dem Unterschiede, daß man einem schönen Gesicht und einer guten Mitgift zuliebe seine Grundsätze leichter verleugnet. Ein tüchtiger Handwerksmann, der die Hände zu rühren weiß, der sein Geschäft versteht, der lacht sie doch alle aus, die Herrschaften mit ihren unzähligen Bedürfnissen, die in keinem Einklang stehen zu ihren Einnahmen, mit ihrem kummervollen Scheinleben, zu dem sie verdammt sind. So eine Meisterin wie die Bergmann zum Beispiel, glaubst du, die würde mit der Frau Rätin tauschen? Die wäre schön auf den Kopf gefallen! O, das Glück sieht oft recht rußig und garstig aus, und das Unglück recht schön und glänzend, merke dir das, Therese!«

Das Mädchen errötete tief und beugte sich wieder über die Arbeit.

»Ei, da bin ich ja am Ende ein Glückskind!« sagte lachend Lili.

»Du bist es auch,« entgegnete die Mutter, »weil du zufrieden bist mit deinem Los und unter dich, nicht über dich blickst. Darin liegt das ganze Geheimnis.«

In diesem Augenblick trat Bertl ein mit der Frau Stürmling, welche Musterung halten wollte, ob ihr Schützling morgen auch ihrer würdig gekleidet sein würde. Die Rätin grüßte Frau Köhler und die Mädchen mit einem mitleidigen »Guten Abend« und bat dann Therese, das Kleid Bertls anzuziehen, damit sie und Bertl den Gesamteindruck kennenlernten.

Verdrossen zögerte Therese; sie war keine Probiermamsell. Aber die zärtliche Bitte Bertls bestimmte sie, nachzugeben.

Therese sah reizend aus in dem duftigen meergrünen Gewande, das ihren Nacken, ihren feingeformten Arm frei ließ; trotz des peinlichen Gefühls, das sie empfand, betrachtete sie sich selbst mit Wohlgefallen in dem Spiegel. Frau Köhler aber trat das Wasser in die Augen beim Anblick ihres schönen Kindes, das sie noch nie in solchem Schmuck gesehen hatte.

Bertl schlug das Herz mächtig; wie mußte sie sich erst darin ausnehmen in der vollen Beleuchtung eines Ballsaales! Der Sieg konnte ihr nicht fehlen.

Die Rätin war sichtlich verdutzt. Solchen Geschmack hatte sie Berta, dem Gärtnerskind, doch nicht zugetraut, und trotz aller Ausstellungen, die sie machte, mußte sie ihre Zufriedenheit doch bekennen. Der Gedanke kam ihr, daß sie eine große Unvorsichtigkeit begangen habe. Berta würde noch schöner aussehen als dieses Mädchen und ihre bleichsüchtige magere Irma gänzlich in den Schatten stellen – nein, nicht nur Irma, auch am Ende sie selbst, die sieggewohnte Frau Rätin! Das war denn doch zu viel verlangt für den Aufschub der Miete um einen Monat.

Indessen gab es keinen Ausweg mehr und die Rätin mußte sich wieder mit dem Gedanken trösten, daß es doch schließlich auf das Auftreten ankomme. Aber die Prüfung von Bertls Ballstaat noch lange auszudehnen, daran hatte sie kein Interesse mehr. Sie entschuldigte sich: das Hämmern und Kreischen aus der Schlosserwerkstätte greife ihre Nerven an, und drückte ihre Bewunderung aus, wie man das aushalten könne. »Glückliche Nerven, die Sie haben, Frau Köhler, ich bewundere Sie darum! Wenn Sie Ihre Freundin morgen von der Galerie aus beobachten wollen, Fräulein Therese, so verschaffe ich Ihnen gern eine Karte, Sie können vortreffliche Kleiderstudien machen; der Beamtenball ist berühmt dafür. Man will sich vom Adel und der hohen Finanz nicht ausstechen lassen, das ist der Zeitgeist, lieber bringt man die größten Opfer!« Sie atmete schwer auf. »O dieser abscheuliche Lärm! Daß man solche Gewerbe in einem Hause duldet, wo die besten Leute wohnen.«

»Sie zahlen gut für den Lärm, den sie machen, das ist der Grund, Frau Rätin,« konnte sich Frau Köhler, in der es gärte, nicht enthalten, zu sagen.

Die Rätin wurde feuerrot und empfahl sich schleunigst. – –

Endlich war der lang ersehnte Ballabend angebrochen. Bertl war den Tag über in nervöser Unruhe gewesen; aber das bange Gefühl, die Angst vor einem Mißlingen schwand immer mehr mit der vorrückenden Zeit, eine prickelnde, siegesbewußte Kampflust erfüllte sie, hob ihr ganzes Wesen und verlieh ihr doppelten Reiz.

Jetzt war alles bereit. Das ganze schimmernde Rüstzeug lag ausgebreitet in der engen Stube und bildete einen sonderbaren Gegensatz zu der bürgerlich einfachen, fast ärmlichen Einrichtung.

Frau Köhler und ihre beiden Töchter waren um Bertl beschäftigt, in der Ecke saß regungslos in stummer Bewunderung all der Herrlichkeiten Frau Margold, die große Hornbrille auf der Nase, die Augen feucht vor Rührung.

Lili ordnete die roten Mohnblumen im schwarzen Haar Bertls, Therese steckte das duftige Kleid zurecht; keine Spur von Bitterkeit, von geheimem Neid spiegelte sich auf ihrem Antlitz, nur die reine Freude an der gelungenen Arbeit.

Bertl stand still, feierlich wie ein geschmücktes Opfer vor dem vom Photographen entlehnten hohen Standspiegel und zitterte vor ihrer eigenen Schönheit. Ein mächtiges Lebensgefühl durchströmte sie, machte ihre Pulse fliegen, gab ihrer weißen Haut eine herrliche blühende Farbe. Sie war überzeugt, daß die Frau Rätin bersten würde vor Neid bei ihrem Anblick. Aber was kümmerte sie die Frau Rätin – nur für Theodor wollte sie schön sein! Sie wollte ihn heute ganz und für immer in ihre Fesseln schlagen, und sie traute sich's zu, sie war sich der ganzen Macht ihrer Weiblichkeit bewußt.

Kaum war das Kunstwerk vollendet, die letzte Nadel gesteckt, da riß Frau Margold das Fenster auf und ließ einen förmlichen Schlachtruf gegen die Werkstatt erschallen; das ganze Haus mußte ihre Bertl sehen, wie sie zum Balle ging. Die Schlossermeisterin war schon darauf vorbereitet, sie wartete nur auf den Ruf, der auch in den verschiedenen Küchenräumen vernommen wurde.

Alles drängte in die enge Stube, die Meisterin, der Meister, der alte Margold, dem es seit Wochen unheimlich war in seiner Wohnung, die Mägde aus den verschiedenen Stockwerken, die Freundinnen vom Brunnen.

Leises Flüstern, andächtiger Ausdruck der Bewunderung wurde hörbar. Die Augen auf ihre eigene Pracht gesenkt, die tadellosen Arme hochgehoben, die Wangen gerötet, so stand Bertl da und genoß den ersten Triumph des heutigen Abends. Selbst den alten Margold packte der Anblick, er war stolz auf sein schönes Kind und vergaß den Verdruß, den ihm die vielen Kosten und das seiner Ansicht nach schwindelhafte Eindrängen in die vornehme Gesellschaft bereitet hatten. Warum sollte das nicht eine Frau von Brennberg geben, eine gnädige Frau, was unterschied denn dies schöne Kind von den andern, Höhergestellten? Wo war da ein Merkmal niederer Geburt zu sehen? Es war am Ende doch wirklich ein altes Vorurteil aus einer längstvergangenen Zeit, welches ihm diese Verbindung immer wieder, so oft er darüber nachdachte, unnatürlich erscheinen ließ.

Georg, der Sohn des Schlossermeisters Bergmann, ein kräftig gebauter Mann mit dem Anflug eines roten Bartes um die frischen Lippen, war auch heraufgekommen, den Hammer noch in der Faust. Er stand unter der Tür, aber er schien sich wenig um die geschmückte, angestaunte Bertl zu kümmern, sein Auge ruhte sinnend auf Therese, deren bescheidenes, dunkles Kleidchen ganz umwallt war von dem meergrünen Gewand Bertls.

Die geschäftige Lili, die immer noch da und dort etwas zu bessern hatte, zupfte ihre Schwester lächelnd; Theresens Blick wandte sich nach der Tür, dunkle Röte schoß den weißen Hals hinauf, die Schere entglitt ihren Händen.

»Respekt, Fräulein Therese, das ist eine feine Arbeit, das kann unsereiner auch beurteilen!« unterbrach der junge Mann die feierliche Stille, indem er näher trat. »Aber man traut sich kaum, es anzuschauen, so dünn und fein ist das Zeug. Das wird eine Lustbarkeit werden, Fräulein Berta! Warum geht denn die Frau Mutter nicht selber mit?«

»Das geht ja nicht, Herr Georg, in eine so feine Gesellschaft! Was glauben Sie denn! Da müßt' ich mich gut ausnehmen!« fiel Frau Margold ein.

Georg machte ein verdutztes Gesicht und sah auf den alten Margold, der den Blick zu Boden senkte und sich in den Haaren kraute.

»Ah so! Entschuldigen Sie, das verstehe ich nicht. Aber wissen Sie was, da mache ich einen Vorschlag: die Frau Köhler und ihre beiden Töchter kommen nachher zu uns hinunter. Die Mutter macht einen guten Punsch, der Bartl spielt uns eins auf der Zither, und die Werkstatt ist der Tanzboden. Da werden der Herr und die Frau Margold auch nicht nein sagen. Was meinen's dazu, Fräulein Therese? Gar fein ist es freilich nicht da drunten, aber es wäre doch auch eine kleine Faschingsfreude, meinen Sie nicht, Fräulein Therese?«

»Von Herzen angenommen, wenn die Mutter nichts dagegen hat,« erwiderte Therese unter allgemeiner Zustimmung.

Bertl fühlte eine Regung des Mitleids: Therese, die mehr Berechtigung hatte als sie, diesen Ball zu besuchen, mußte sich mit der Einladung zu einer Tanzbelustigung in der Werkstatt begnügen! Wie hart doch das Schicksal ist! Bertl warf Therese einen bedauernden Blick zu.

»Trösten Sie sich,« sagte sie, »ich werde der Frau Rätin keine Ruhe lassen, das nächste Mal müssen Sie mit.«

»Ich danke Ihnen,« erwiderte diese. »Ich habe gar kein Bedürfnis danach, im Gegenteil, so zufällige gesellige Unterhaltungen im Haus sind mir viel lieber als glänzende Feste, wo ich doch als Fremde betrachtet werde. Sie würden der Frau Rätin nur lästig fallen damit.«

Georgs Antlitz leuchtete vor Vergnügen bei diesen Worten und er warf dem Mädchen einen dankbaren Blick zu.

Die Frau Rätin schickte herüber, es sei Zeit zur Abfahrt. Begleitet von der Schar der bewundernden Hausgenossen schritt Bertl über den Hof zur Rätin.

Diese konnte ihre unangenehme Empfindung nicht verbergen beim Anblick der in Schönheit strahlenden Berta. Wie mager und kümmerlich nahm sich doch, mit Bertl verglichen, trotz der reichen Kleidung, ihre Irma aus! Der Rat verschwand neben seiner stattlichen Frau, deren schweres cremefarbiges Stoffkleid ihre noch immer tadellose Figur vorteilhaft hob; nur das breite rote Ordensband mit einem Kreuz in weißem Email und Gold, das er an seinem Halse trug, lenkte das Auge auf die schwarze unscheinbare Gestalt. Er hatte sofort das Unpassende in dem Antrag der Frau Margold erkannt, nachdem derselbe aber einmal angenommen, war unter den obwaltenden Verhältnissen weiter nichts zu machen. Als er jetzt Berta in der Fülle blühender Jugend erblickte, da schweifte sein Auge bekümmert hinüber zu Irma mit dem blutleeren Antlitz, dem krankhaft nervösen Zug um den zierlichen kleinen Mund und, was ihm am wehesten tat, dem nüchternen kalten Blick gegenüber dem lebensvoll strahlenden, freudeerregten Bertas. Dort eine strotzende, lachende Frucht, vollgereift am gesunden Stamm durch freie Sonnenkraft, hier eine früh kränkelnde, in erschlaffender Treibhauswärme aufgezogene Blüte – und welche Opfer hatte er gebracht!

Endlich hatte die Frau Rätin die letzte Hand an ihre Kleidung gelegt. Man stieg in den Wagen. Vom Hofe her tönten Akkorde einer Zither, welche gestimmt wurde – das war Bartl, der Zitherspieler, der sich für den Abend rüstete. »Arme Therese!« dachte Bertl wieder.

Der Rat sah nur noch mit dem Kopf aus den Wolken heraus, in welche seine drei Göttinnen ihn hüllten, selbst das rote Band war begraben.

Frau Rätin gab unterwegs Verhaltungsmaßregeln, zupfte an Irma herum und besprach mit ihrem Manne, unter welchem Titel Berta eingeführt werden sollte; man beschloß, sie als Tochter eines wohlhabenden Gutsbesitzers auszugeben, der sein Anwesen mit einem Hause in der Stadt vertauscht habe und jetzt hier lebe. Die Mutter sei leidend, der Vater menschenscheu, ein zurückgezogenes Leben gewohnt.

Berta empfand eine tiefe Scham bei diesen Auseinandersetzungen; das Bewußtsein eines häßlichen Betruges, der hier gespielt wurde, des Verrates an ihren Eltern, an sich selbst, kam ihr, und ein augenblicklicher Ekel erfaßte sie, Ekel an dieser verlogenen Welt, der sie entgegenfuhr. Ihre ehrliche Abkunft wurde wie ein Schandfleck durch eine Lüge verhüllt, dieser schon ergraute, gutmütige Ehrenmann mit dem schönen Orden um den Hals fuhr mit seinem festlich gekleideten Weib zu einem Ballfeste und nahm das tief unter ihm stehende Gärtnerkind mit, um einen Aufschub seiner dem Vater schuldigen Miete zu erreichen.

Lüge! Nichts als Lüge! Und im Dunkel des Wagens tauchte vor Bertl das kleine Häuschen an der Landstraße auf, der wohlgepflegte Garten, ihre Blumen, die einfache Mahlzeit an dem runden Tisch im Kreise der Ihren, die so vortrefflich schmeckte nach arbeitsvollen Stunden.

Da hielt der Wagen an einer elektrisch beleuchteten Halle. Ein reichbetreßter Diener öffnete den Schlag, mit einem raschen Sprung war Bertl draußen, die Vision verschwunden, vor ihr hob sich die breite teppichbelegte Treppe in strahlendem Licht wie die Jakobsleiter, von der sie gelernt hatte in der Schule zu Haching, und hinauf wallten plaudernd, lachend Damen in hellen Überwürfen, langen geheimnisvoll rauschenden Schleppen, Herren mit besternten Fräcken, in strahlenden Uniformen; schwere Wohlgerüche strömten herab, alles Licht, Duft, Glanz! Ein Zittern durchschauerte ihren Leib: dort oben hinter der riesigen Flügeltür, welche sich lautlos öffnete und schloß, wartete ihrer der Geliebte, um sie zu empfangen in seiner Welt, der sie einst auch gehören sollte.

Die Spiegelwände zu beiden Seiten strahlten ihr Bild zurück. War das wirklich sie, die Bertl Margold? Nein, sie war es nicht mehr, wie der bunte Falter die ärmliche Raupe nicht mehr ist, aus der er auferstand.

Die Flügeltür schloß sich auch hinter ihr; ein Gewoge von Farben, Stoffen, Tönen und Düften nahm sie auf. Aber ihr Blick forschte nur nach ihm, nach Theodor. Warum empfing er sie nicht am Eingang des Paradieses?

Die Rätin und Irma waren sogleich von Bekannten umschwärmt, sie trafen von allen Seiten prüfende, fragende Blicke; sie sah die Paare, die Damen untereinander flüstern; eine beschämende Angst befiel sie: gewiß hatte man sie erkannt, »die Bertl vom Stande Nummer sieben«, und gleich wird eine an sie herantreten und sie hinausweisen aus diesen Räumen, in welche sie sich eindrängte.

Doch im Gegenteil: die Herren, welche ihr die Rätin zugleich mit Irma vorstellte, indem sie die unterwegs getroffene Abmachung Wort für Wort einhielt, waren überaus freundlich und galant gegen sie, ja, es entging ihr nicht, daß Irma um ihretwillen jetzt schon vernachlässigt wurde. Die Frau Rätin war bald von älteren Herren so in Anspruch genommen, daß sie die Jugend sich selbst überlassen mußte, der Herr Rat stand festgebannt in gekrümmter Linie vor einem Herrn, der einen großen glitzernden Ordensstern vorn an der Brust trug und mit Exzellenz angeredet wurde. So befand sich Berta auf einmal allein in dem eigentümlich rauschenden, nur von gedämpften Lauten durchtönten Gewühle, aber sie fühlte sich durchaus nicht verlassen, sie dachte nicht mehr an die Vergangenheit wie im dunkeln Wagen; nur kam ihr jetzt plötzlich der komische Gedanke, alle diese geschmückten, geputzten Menschen hätten am Ende auch ihre Miete nicht bezahlt wie die Rätin. Auch an Theodor dachte sie für den Augenblick nicht. Jede Befangenheit schwand, sie war sich bewußt, daß sie mit keiner Bewegung sich etwas vergab.

Unter den Herren herrschte große Aufregung. Einige hatten Berta als die neue Schönheit erkannt, mit welcher Herr von Brennberg in Beziehung stand, zugleich erinnerte man sich aber auch der Auskunft, die er über sie gegeben hatte: ein reiches Bürgermädchen von tadellosem Rufe. Das klang sonderbar zurückhaltend; man fragte die Frau Rätin, mit welcher die Dame gekommen war, und auch ihre Erklärung machte den Eindruck des absichtlichen Verbergens. Warum kam das Mädchen nicht mit seinen Eltern? Die Ungewißheit schlug zu ihren Gunsten aus; ihrem Äußeren, ihrem ganzen Wesen nach konnte man unmöglich auf die wahren Gründe ihres etwas geheimnisvollen Erscheinens kommen.

Der Name Margold klang zwar vielen bekannt, manche kannten das Mädchen selbst vom flüchtigen Sehen, doch in einer Großstadt wie M . . . hatte dies nichts zu sagen. Man suchte schließlich in ihr etwas ganz Besonderes, eine reiche Erbin, die unerkannt bleiben wollte. Weiß Gott in welcher Ecke fielen die Worte »aus Westindien, Amerika« – wohl von einem Spaßvogel ausgesprochen – und im Nu machten sie die Runde; »etwas Ausländisches« war den meisten »gleich an der Dame aufgefallen«.

Berta hatte gewonnenes Spiel. Jede allenfallsige Unschicklichkeit, jedes ungehörige Wort, jede auffallende Gebärde, Dinge, die ja trotz ihres gesellschaftlichen Talentes nicht zu vermeiden waren, galten jetzt als pikant, echt westindisch oder amerikanisch.

Die Frau Rätin war empört über die unerwartete Wendung der Dinge, und in ihrem Ärger darüber war sie nahe daran, alles zu verraten; aber davor hütete sie sich doch, es stand für sie dabei zu viel auf dem Spiele.

Man wartete jetzt nur noch auf Herrn Leutnant von Brennberg, welcher allein imstande war, nähere Auskunft zu geben. Daß er kam, war ja außer allem Zweifel, er wäre ja ein Tor gewesen, hätte er sich einen solchen Ausbund von Schönheit und Reichtum wegkapern lassen.

Und er kam, ahnungslos, seine Berta als schüchternen Ballneuling an der Seite der Frau Rätin vermutend, absichtlich etwas später, um keinerlei Abmachung ahnen zu lassen. Wie erstaunte er aber, als er das entzückende Geschöpf erblickte, voll Anmut, mit jener Sicherheit, die Schönheit und Geist verleiht, umschwirrt von Herren, die sich in Schmeicheleien erschöpften.

»Haben Sie die Westindierin schon gesehen – die Amerikanerin? Großartig! Ein Millionenweib!« riefen ihm die einen zu; »jetzt müssen Sie heraus mit der Sprache, wir haben auch ein Recht darauf! Wer ist sie? Woher? O, Sie wissen alles, Sie täuschen uns nicht länger!« drängten die andern.

Einerseits war es ihm peinlich, so wider seinen Willen in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerissen zu sein; er hatte sich das Zusammensein mit Bertl heute abend ganz anders gedacht. Anderseits genoß er aber den Triumph Bertas mit, seinem Stolz war geschmeichelt, und er war selbst hingerissen, bezaubert von der überraschenden Erscheinung.

Berta war trotz aller Gewandtheit doch noch zu sehr Neuling auf diesem Boden, um, wie es sich gehört hätte, das mächtige Aufwallen ihres Herzens bei Theodors Anblick zu verbergen; sie las ihren Erfolg, ihren stürmischen Sieg in seinen Augen, und so traten sich beide mit verräterischen Blicken, unter einer mächtigen Bewegung ihres Inneren entgegen, welche die ganze Umgebung mitfühlte, wie sich entladende Elektrizität. Und das erregte Aufsehen, fast Anstoß.

Im Ballsaal ist jede Wahrheit, jedes echte Gefühl verboten, und wenn es sich schon der feinen Sitte zum Trotz regt in einer Brust, so verlangt man wenigstens, daß keine Blutwelle es verrät. Man rümpfte die Nase. »Echt amerikanisch! Er wenigstens hätte sich mehr beherrschen sollen.« Man fühlte sich überflüssig neben diesen beiden und zog sich zurück.

Berta achtete nicht darauf, und sie lief Gefahr, im Sturm ihrer Leidenschaft sich ganz zu verraten.

Der Tanz begann und nahm sie mit ihm auf seine Wogen – seliges Schweben, trunkenes Vergessen!

Ihr Auge leuchtete, ihr ganzer Leib atmete Lust; ja, sie gab sich so sehr dem Vergnügen hin, daß es unangenehm auffiel. Es fehlte ihr die gemessene Ruhe, die wohleingeschulte mädchenhafte Zurückhaltung ihrer Genossinnen.

Jetzt zweifelte man erst recht nicht mehr an ihrem Ausländertum, wie man schon den sonderbaren Empfang Herrn von Brennbergs auf diese Rechnung geschrieben hatte; sie meinte es gewiß nicht so ernst, die Südländerinnen sind einmal so; man gewann wieder Hoffnung und war begierig, diese leidenschaftliche Tänzerin auch einmal im Arme zu haben, so eine Gelegenheit gab sich auf dem Beamtenballe lange nicht mehr.

Und Berta war nicht spröde in ihrem Wonnegefühl, sie fand gar keine Zeit mehr, zu ihrer Beschützerin, der Frau Rätin, zurückzukehren, welche ihren Freunden und Verehrern gegenüber nicht verhehlte, wie sehr sie es bereue, in ihrer Gutmütigkeit dieses Fräulein in die Gesellschaft eingeführt zu haben. Die Eltern seien brave anständige Leute, aber Emporkömmlinge, die nicht hereinpaßten.

»Emporkömmlinge!« Da hatte man es ja: irgend ein steinreicher Pflanzer, ein Minenbesitzer, der einst als armer Teufel ausgewandert und jetzt goldbeladen zurückgekehrt war und seine alten Tage in Ruhe verleben wollte; es gelang der Rätin auch auf diesem Wege nicht, den Nimbus, der sich um Berta gebildet hatte, zu zerstören. Die Tochter eines fraglichen Abenteurers, der an irgendeinem Weltende durch irgendwelche zweifelhafte Mittel sich Reichtum erworben hatte, erregte kein Bedenken, die »Gärtnerstochter aus Haching« aber hätte einen Schrei des Entsetzens hervorgerufen, und diese drei Worte durfte die Frau Rätin um ihrer selbst willen nicht sprechen, so sehr sie ihr auf der Zunge brannten.

Als sich die Familie des Rats während der Tanzpause zum Essen begab, mußte nach Berta erst lange gesucht werden; endlich kam sie, von Leutnant Brennberg begleitet, welcher wohlweislich zuvor einige Runden mit Irma getanzt und so den Unmut über seine hinterlistige Verabredung mit Berta, deren Werkzeug die Rätin gewesen war, beschwichtigt hatte; der Ansicht der letzteren nach beabsichtigte der junge Baron ja nichts anderes als ein oberflächliches »Verhältnis« mit dem Bürgermädchen, nach Art aller Lebemänner, von ernstlicher Absicht konnte keine Rede sein. Ihr moralisches Gefühl war darüber nicht verletzt, und sie hätte ihm das alles gern verziehen, auch für die nächste Zeit ein Auge zugedrückt, wenn er zum Dank dafür ihre Irma zur Frau von Brennberg gemacht hätte.

Die Sektpfropfen knallten, die strenge Etikette lüftete etwas den grauen Mantel, und da und dort blitzte es darunter gar schelmisch auf.

Selbst der Herr Rat vergaß seine Sorgen und hörte auf, die Flaschen mit den roten Köpfen, welche sich vor ihm schrecklich mehrten, zu zählen, selbst für ihn saßen frohe süße Hoffnungsgeister in den aus der Tiefe der Kelchgläser aufsteigenden Perlen und umschwirrten, aus ihrer Haft befreit, sein graues Haupt.

An seinem Tische herrschte das regste Leben. Er fühlte sich jetzt seit langer Zeit zum ersten Male wieder frei aus der Brust, seine schöne Frau entzückte ihn wieder, er freute sich, sie so gefeiert, umschwärmt zu sehen, und für ein leises Zulächeln, einen Blick, ein Anstoßen vergaß er allen Kummer, den sie ihm bereitet hatte. Auch seine Besorgnis, daß die Mitnahme Bertas ihm Unannehmlichkeiten bereiten könnte, war geschwunden. Unzählige Herren mußte er ihr vorstellen, und die ewig wiederholte Lüge von der Gutsbesitzerstochter kam ihn gar nicht mehr schwer an.

Da tippte ihn plötzlich jemand auf die Schulter – er blickte um und fuhr jäh in die Höhe, sein glückliches Lächeln verschwand, das kümmerliche Amtsgefühl legte sich wieder in die Falten seines Gesichts.

Die Exzellenz mit dem Stern, sein Minister, Graf Derwitz, sein höchster Vorgesetzter, stand vor ihm, ein stattlicher Herr mit schneeweißem, stramm gewichstem Schnurrbart; sein dunkles durchdringendes Auge blitzte in heiterer Weinlaune.

»Herr Rat, haben Sie die Güte und stellen Sie mich einmal Ihren Damen vor!« sagte er, mit einem Blick auf Berta, der diese erbeben machte.

Schöpfte er Verdacht, wußte er am Ende alles? Ihn belügen, war gefährlich, ihm die Wahrheit sagen, noch gefährlicher, denn der Minister hielt alles auf die Wahrung des Standesbewußtseins unter seinen Beamten und war durchaus nicht demokratisch gesinnt.

Der Rat warf einen fragenden, verzweifelten Blick auf seine Gattin, als suchte er dort Hilfe. Aber sie achtete nicht auf ihn.

»Exzellenz sind zu gnädig! Meine Frau – meine Tochter Irma –« er machte eine Pause, vielleicht genügte das der Exzellenz.

Vergebliche Hoffnung! Der Minister blickte immer noch auf Berta, er mußte sie vorstellen.

»Fräulein Berta Margold, eine Freundin meiner Tochter,« stotterte er.

Die Exzellenz ging geradeswegs auf das Mädchen zu, sie interessierte sich offenbar für diese Erscheinung.

Berta hatte keine Ahnung von der Bedeutung dieses Mannes und benahm sich infolgedessen ganz unbefangen. Das schien den Minister nur zu reizen; er nahm mit einer leichten Verbeugung neben ihr Platz, richtete der Form halber einige Worte an die Rätin und zog dann sofort Berta ins Gespräch.

Der Rat saß wie auf Kohlen; der Orden brannte ihn auf der Brust, er sah ihn schon herabgerissen von diesem Manne mit dem weißen Schnurrbart, sich selbst pensioniert.

Jetzt erkannte auch die Rätin die Gefahr und suchte die Exzellenz abzulenken – alles vergeblich.

Der vornehme Herr kehrte immer wieder zu Berta zurück, drückte ihr seine Verwunderung aus, sie heute zum ersten Male in der Gesellschaft zu sehen, sie sei wohl erst seit kurzem in der Stadt; der Name klinge ihm bekannt.

Der Minister schaute Bertl scharf und prüfend einen Augenblick an. »Sind Ihre Eltern etwa krank, daß sie nicht mitgekommen sind?« fragte er dann.

Dem Rat stockte der Atem. Nun war sie da, die verhängnisvolle Frage! Aber Theodor, welcher den Minister persönlich kannte, parierte vortrefflich: die Eltern der Dame hätten sich völlig von der Welt zurückgezogen, nachdem ihr kleines Gütchen der sich nach dieser Richtung hin ausdehnenden Stadt zum Opfer gefallen sei.

»Das wäre also in der Richtung nach Haching zu gelegen?« fragte der Minister, gegen den Rat gewendet.

»Ganz richtig, Exzellenz, gegen Haching,« stammelte dieser mit einer Verbeugung.

»Und der Herr Papa findet sich wohl schwer in das Stadtleben, Fräulein Margold?« fuhr Graf Derwitz fort. »O, das begreife ich, es ist ein Übelstand, den ich schon längst bemerkt habe, dem aber schwer abzuhelfen ist. Die Zeit verlangt ihr Recht. Wenn ich nicht irre, Herr von Brennberg, sind Sie ein Schicksalsgenosse des Fräuleins« – ein Lächeln kräuselte dabei die Lippen des Ministers – »Ihrem Vater ging es ja ebenso mit Schönau, nicht wahr? Doch scheint er sich eher in die neue Zeit hineinzufinden wie Herr Margold, er ist ja bereits Aufsichtsrat in der neuen Aktiengesellschaft, an deren Spitze dieser Stefanelly steht –« die Stirn des Ministers zog sich, während er dies sagte, in Falten. »Ihr Herr Vater ist darin sehr kühn – da hat der Ihre, Fräulein Margold, das bessere Teil erwählt. Fern von allen Aufregungen genießt er seine alten Tage in Ruhe und Frieden, und läßt sein schönes Töchterchen unter dem Schutze der Frau Rätin dahinflattern. Wo wohnt denn Ihr Herr Papa, wenn ich fragen darf?«

»In demselben Hause mit dem Herrn Rat,« entgegnete Berta, in welcher von neuem die Scham über die Verleugnung ihrer Eltern und ihres Standes mit der Angst kämpfte, ihre glänzende Stellung für den heutigen Abend zu verlieren. »Es ist das Eigentum meines Vaters.«

Der Minister stutzte und blickte auf den Rat, der förmlich in sich zusammensank.

»Sie wohnen doch seit einigen Monaten in der äußern Mariannenstraße?« fragte er.

Der Rat nickte stumm, in sein Schicksal ergeben.

Der Minister strich sich die hohe Stirn.

»Wie doch mein Gedächtnis nachläßt! – Margold! Den Namen las ich erst in einem Schriftstück, die Anlage der neuen Straße betreffend –«

Der Rat Stürmling fühlte die Nacht um seine Augen sich legen; er kannte nur zu gut das vortreffliche Gedächtnis seines Vorgesetzten, und dieser war auf der rechten Fährte, er ließ sie nicht mehr los.

Berta sah ängstlich flehend auf den Minister.

»Ja, jetzt erinnere ich mich,« fuhr dieser fort, den Blick des Mädchens ganz verstehend und mit wohlwollendem Lächeln erwidernd. Dann faßte er den Rat scharf ins Auge. »Ich kenne ihn selbst, den Herrn Margold, ein wackerer Mann, von dem es mich herzlich freut, zu hören, daß es ihm gut geht. Solche neuen Bürger können uns nur erwünscht sein.«

Die Worte klangen scharf, verweisend, und dennoch waren sie eine Himmelsbotschaft für den Rat, der das Haupt wieder hob wie eine Blume, die nach langen Regenschauern sich gegen die Sonne emporrichtet. In seinem Innern freilich mußte er lachen über die demokratische Regung, die ein Blick aus den Augen Bertas in der Brust des Ministers wachgerufen hatte. Berta stiegen die Tränen in die Augen; sie hätte diesem Mann die Hand küssen mögen, der ihren guten Vater so lobte, der, trotzdem er jetzt wußte, wer sie war, sein liebenswürdiges Benehmen nicht änderte. Es war also alles nicht wahr, was der Vater immer sagte, was der Rat und selbst Theodor glaubten, daß es eine Schande sei, das Kind eines einfachen schlichten Gärtners zu sein. Wenn dieser hohe Herr mit dem Stern, der Höchste hier im Saale, vor dem sich alles beugte, es nicht dafür hielt, dann durfte es niemand dafür halten.

»Übrigens, das ist ja zu komisch, Fräulein Margold,« fuhr der Minister, jetzt wieder zu Berta gewendet, fort, »daß man Sie heute abend durchaus zur Westindierin machen wollte. Ich lasse jedermann in dem Glauben, Ihnen wird es ja nichts schaden, das Ausländische hat nun einmal eine besondere Anziehungskraft in M . . . Jeder Russe ist ein Fürst, jeder Amerikaner ist unermeßlich reich, jeder Franzose geistreich, pikant, jeder Südländer ein heißblütiger Othello, und wir selbst sind nichts als ausgemachte Spießbürger.«

Die ganze Umgebung beobachtete die vertrauliche Unterhaltung der Exzellenz mit Berta, man beneidete den Rat um das Glück, sie am Tische zu haben, man nannte ihn einen Streber, der alles zum voraus berechnet habe, die Schwäche des Ministers für schöne Damen kennend. Auf Berta fiel jetzt das strahlende Licht des diamantbesetzten Ordens auf der Ministerbrust, sie war gefeit, für jeden jungen Beamten war es jetzt Pflicht und Ehre, mit ihr zu tanzen.

Der Minister empfahl sich endlich mit einem herzlichen »Auf Wiedersehen« von Berta, welche in ihrem überströmenden Dankesgefühl ihm gegenüber fast ihre Stellung als Dame vergaß und seine Hand leidenschaftlich drückte, – mit einer kühlen abgemessenen Verbeugung vor dem Rat und der übrigen Gesellschaft.

Der Rat atmete auf und trank in langsamen Zügen ein frisch eingeschenktes Glas Schaumwein aus. Die Sache war ja über alles Erwarten günstig für ihn abgelaufen und er hatte Exzellenz nie so gnädig gesehen; Berta war eine Perle, sie mußte jetzt auf jeden Ball mit, sie, die Tochter eines wackeren Mannes, eines guten neuen Bürgers – warum denn nicht? Wie er nur hatte zweifeln können, ob das ginge oder nicht!

Die Frau Rätin faßte die Sache anders auf; sie raunte Bemerkungen über den »alten verliebten Narren«, wie sie zum Entsetzen des Rates den Minister nannte, ihrem Gemahl zu, so daß dieser achselzuckend den Tisch verließ.

Ohnehin begann die Musik wieder, der Tisch leerte sich; auch Theodor empfahl sich und forderte Berta zum Tanze auf, mit einem sarkastischen »Bitte, Herr Leutnant« von seiten Irmas und ihrer Mutter entlassen. Alles verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor Berta, die gar nicht begriff, warum sie denn jetzt eine andere sei als vor dem Essen. Theodor mußte ihr alles erklären: auch wenn man jetzt erfahre, daß sie die Tochter des Gärtners Margold sei, werde niemand mehr wagen, ihre Anwesenheit hier oder irgendwo in der guten Gesellschaft unpassend zu finden, nachdem der Minister sie so ausgezeichnet habe.

Wohl mußte Bertl herzlich über diese Auskunft lachen, aber sie fand doch, daß dieser Minister ein recht gescheiter, herzensguter Mann sein müsse, ohne alles Vorurteil, ein Mann, der die Menschen immer nach ihrem inneren Wert schätze; und als ihr Theodor erklärte, daß der Graf von Derwitz diese Eigenschaften mit Ausnahme der erstgenannten durchaus nicht besitze, daß er als Feind im höchsten Grade gefährlich, gegen seine Untergebenen von maßlosem Stolze erfüllt, im ganzen nichts weniger als ein Volksmann sei, da sagte sie, ganz verwirrt von diesem Widerspruche: »Und für mich war er ein Engel heute abend. Wie kommt das nur? Was bin ich für ihn?«

»Ein schönes Weib!« flüsterte Theodor ihr ins Ohr, »und das ist hier alles, die höchste Macht.«

Berta zitterte in seinem Arme bei diesen Worten. Den ganzen Abend schon hatte sie diese Macht gefühlt, jetzt aber war es klar ausgesprochen von dem, den allein sie derselben unterliegen sehen wollte, und der Ton, in dem er diese verführerischen Worte sprach, ließ sie nicht mehr daran zweifeln, daß er wirklich schon unterlegen war. Es galt nur eine entscheidende Frage, aber noch tat sie diese nicht, denn es war ihr, als schwände damit der geheime Zauber, der über dem Unausgesprochenen lag. Es gelüstete sie plötzlich, ihre Macht erst voll und ganz zu genießen, sie auch andere fühlen zu lasten, ehe sie dieselbe auf den Geliebten allein beschränkte. Sie dachte dabei an keine Untreue, nur ein Spiel sollte es sein, Rache vielleicht an dieser lügnerischen, sie im Innern doch geringschätzenden Gesellschaft.

Sie genoß jetzt erst all die Blicke, all die schönen Worte, die ihr gesagt wurden; besonders von dem Minister fühlte sie sich eigentümlich angezogen, trotz seiner weißen Haare; absichtlich trat sie ihm in den Weg, und sie empfand ein wonniges Schauern unter seinen Blicken, eine sonderbare Sympathie, die sie sich selbst nicht erklären konnte.

Theodor entging ihre Verwandlung nicht. Er bereute jetzt seine Worte, es war ihm, als habe er damit den Blütenstaub weggewischt, der über ihrem Wesen lag; ein wildes leidenschaftliches Verlangen erfaßte ihn, gepaart mit der Angst eines möglichen Verlustes, den er nicht mehr ertragen zu können glaubte. Zum ersten Male liebte er wirklich, zum ersten Male fühlte er die Sehnsucht, völlig zu besitzen. Er gab sich alle Mühe, Berta in einen der kleinen, an den Ballsaal grenzenden Nebenräume zu bringen, um ihr ein rückhaltloses Geständnis, einen unverblümten Antrag zu machen. Aber geschickt seine Absicht ahnend, wußte sie es zu vermeiden; mit einem Male war sie vertraut mit all den weiblichen Künsten der Liebe, verstand sie es, sich klug zurückzuhalten, bald anzuziehen, bald abzustoßen, abwechselnd Hoffnung und Eifersucht zu wecken. Theodor selbst hatte den verhängnisvollen Zauberspruch getan, der die Bande ihrer ahnungslosen Jungfräulichkeit sprengte. Mit innerlichem Frohlocken sah sie ihn an der Säule lehnen, das Auge unverwandt auf sie gerichtet, während sie mit andern sprach, scherzte, sich köstlich zu unterhalten schien; sie sah ihn auf einen Wink ihrer Brauen selig herbeieilen, um ihm dann mit ihrer scheinbaren Kälte die bitterste Enttäuschung zu bereiten.

Es ward Morgen über dem grausamen koketten Spiel, in dem sie so rasch Meisterin geworden war. Der Rat, welcher in seiner rosigen Laune über die Gnade seines Vorgesetzten unten im Bierstübel des Guten etwas zu viel getan hatte, rief zum Aufbruch und schleppte mit glühendem Antlitz und komischer Ritterlichkeit den Abendmantel Bertas herbei.

Irma glich einem welken Blatte, die Lust und Anstrengung der Nacht schienen ihre Kräfte verzehrt zu haben, matt hing sie am Arme des Vaters. Die Frau Rätin ging etwas verstimmt nebenher. In einiger Entfernung folgten Berta und Theodor.

»Fräulein Berta, erinnern Sie sich noch unseres nächtlichen Heimganges von der Hochzeit Ihres Bruders?« flüsterte Theodor hastig; die Zeit war kurz bemessen – unten stieg bereits die Rätin in den Wagen.

»Gewiß!« entgegnete sie mit schelmischem Lächeln, an ihrem Mantel etwas zurechtzupfend.

»Ich wiederhole, was ich damals gesagt habe. Ich liebe Sie, Sie müssen mein Weib werden.« Er drückte fest ihren Arm.

Aber sie zog ihn zurück, es schwindelte ihr; trotz aller Erwartung kam ihr der Antrag zu plötzlich. Gestern wäre sie Theodor mit Tränen der Rührung um den Hals gefallen; heute war es anders.

»Hat Ihnen der Minister Mut gemacht?« fragte sie schnippisch, mit einem erzwungenen Lächeln.

Theodor war tief verletzt von diesem kalten Scherze in diesem Augenblicke und er erschrak über den verheerenden Einfluß, den wenige Stunden auf diese Mädchenseele gehabt hatten. Aber auch Berta entsetzte sich vor ihren eigenen Worten. Sie waren ihr ja nicht ernst gewesen, sie hatte sich nur in dieser Verstellung gefallen.

»Ich scherze nur, Theodor,« flüsterte sie rasch, »ich bin ja dein seit lange –«

Die Rätin rief in gereiztem Tone aus dem Wagen nach Berta.

»Aber kommen Sie doch, Fräulein!«

Theodor half ihr hinein.

»Hüten Sie sich vor dem Minister, er ist ein gefährlicher Nebenbuhler,« warnte die Rätin den Leutnant, und der Rat lachte vergnügt dazu.

Berta aber drückte eine Rose in Theodors Hand, die sie von der Brust genommen hatte – dann rasselte der Wagen von dannen.

Wie anders waren die Bilder, die jetzt das Mädchen umgaukelten! In der Straße erwachte bereits das Leben der Großstadt, lange Reihen von Wagen mit Lebensmitteln aller Art, die dem Markte zufuhren, begegneten ihnen; Berta sah sich selbst auf einem derselben sitzen neben Hans; wie hart, rauh und kalt ihr das alles jetzt vorkam im düstern Dämmerlichte des Wintermorgens. Sie schauderte bei dem Gedanken an das Einst und wickelte sich in ihren Pelz. Welch ein Glückskind sie doch war! Ein inniges Dankgebet schwebte auf ihren Lippen.

Endlich war man zu Hause. Irma war schlaftrunken, der Rat machte wieder sein ernstes sorgenvolles Gesicht. Im Hinterhaus brannte Licht, Frau Köhler war schon wieder bei der Arbeit mit ihren beiden Töchtern, und in der Werkstatt wurden bereits die Feuer geschürt.

Jetzt war Bertl wieder die alte. Sie sprang die Treppen hinauf, Frau Köhler und Therese sollten vor allen ihr Glück erfahren, die Mutter schlief ja noch.

Sie blieb an der Tür stehen, das Herz schlug ihr bis in den Hals, drinnen klapperte die Nähmaschine.

»Die arme Therese!« dachte wieder Bertl, »sie wird am Ende die Armut erst recht fühlen, wenn sie mein Glück erfährt, meine zügellose Freude wird sie verletzen –« und Bertl zögerte, einzutreten.

Da verstummte die Maschine.

»Er wird dich auf den Händen tragen, der gute Mann,« klang drinnen die Stimme der Frau Köhler. »Ich kann's selbst noch nicht glauben. Und da kränkte es mich, daß du nicht mit der Bertl auf den Beamtenball gehen konntest, und in der Werkstatt dein Tanzvergnügen suchen mußtest, wo du jetzt dein Glück gefunden hast – Frau Schlossermeister Bergmann!«

»Kunstschlossermeister, Mama,« verbesserte Therese, »das ist ein großer Unterschied heutzutage.«

»Das ist mir gleich, der Name macht's nicht, sondern der Mann,« meinte Frau Köhler. »Handwerk oder Kunst, wenn's nur was Tüchtiges ist und man sich gern hat, und daran fehlt's ja bei euch nicht!«

»Mutter, ich bin so glücklich!« Ein Kuß war hörbar, dann lärmte die Nähmaschine wieder.

Erstaunt horchte Bertl. Das also nannten die armen Leute Glück – eine Verlobung mit dem Sohne des Schlossermeisters, während sie von dem Minister so gefeiert wurde, während Theodor von Brennberg sie umwarb.

Ein Gefühl unedlen Stolzes ergriff sie. Sie trat mit erhitzten Wangen in den Arbeitsraum; aber beim Anblick Thereses, die über ihre Arbeit sich beugte, überkam sie eine plötzliche Rührung, sie eilte auf sie zu und umarmte sie unter Tränen.

»Ich bin die Braut des Herrn von Brennberg,« flüsterte sie selig.

Frau Köhler blickte forschend auf Therese.

»Und ich die Braut des Georg Bergmann!« sagte diese fest, selbstbewußt.

Frau Köhler nickte zufrieden lächelnd, nur einen Augenblick hatte sie für ihr Kind gefürchtet. Lili atmete schwer auf und beugte sich tiefer über die Blumen, die in ihrer Hand zitterten.

Die beiden Mädchen erzählten nun wechselseitig die Geschichte ihrer Liebe, die Ereignisse dieser Nacht. Bertl von all der Pracht des Balles, von ihren Triumphen, vom Minister, von Theodors stürmischem Antrag – Therese von der Lustbarkeit in der Werkstatt, von ihrer längst heimlich gehegten Neigung, von Georgs schüchternem Werben, dem sie so gern Gehör schenkte, und beide vergaßen die Kluft, die zwischen ihnen liegen sollte, sahen sich in die leuchtenden Augen und schwärmten von der glücklichen Zukunft.


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