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Frauenfrage und Frauenberuf im Judenthum

Von P. Berthold

Man mag sich zur Frauenbewegung stellen wie man will: man kann sich ihrer freuen, oder man kann sie verspotten, man kann sie beachten, oder man kann sie verachten, man kann ihr eine Bedeutung für die Zukunft zu- oder absprechen und ihre Anhänger für Schwätzer oder für Idealisten erklären, all das kann man, aber wegleugnen als bewegendes Element des gegenwärtigen sozialen Lebens kann man sie nicht. Und in der Erkenntniß nun, daß eine Frauenfrage, eine Frauenbewegung existirt, ist es ganz erstaunlich, daß es noch eine ganze Menge schulgebildeter Menschen und vor allem Frauen giebt, die sich von dieser Bewegung keine Rechenschaft geben und weit entfernt davon sind, zu ihr Stellung zu nehmen. Dazu gehören zum großen Theil die jüdischen und noch viel mehr die orthodox jüdischen Kreise mit ihren Frauen.

Eigentlich sollte ein Stamm, der Jahrhunderte lang unter der Entziehung der Freiheit gelitten hat, und der sich körperlich wie geistig erst von dem Drucke der Unfreiheit zu erholen beginnt, dieser Stamm sollte für eine soziale Regung wie die Frauenbewegung das größte Verständniß haben. Die Frauen ebenso wie die Juden verlangen nur Gerechtigkeit, d. i. ihre Gleichstellung mit den Gleichbefähigten. Und doch sind es gerade die Juden und zumeist die konservativen, die das nicht bedenken. Nun liegt es aber gar nicht in der Natur der Juden, eine Geistesströmung oder Moderichtung, sei sie nun vernünftig oder thöricht, nicht zu bemerken, nicht auszunützen oder mitzumachen. Es muß also ein tieferer Grund dafür da sein, daß die Juden der Frauenbewegung gegenüber vielfach noch ganz verständnißlos geblieben sind, und es giebt auch eine ausreichende Erklärung für diese Erscheinung.

Die Frau nahm bei den alten Juden theoretisch und dichterisch eine sehr geschätzte und geachtete Stellung ein, als Mutter der Kinder, als Hüterin des Hauses. Ihr gegenüber stand aber auch von jeher ein seine patriarchalischen Rechte ausgiebig gebrauchender Haustyrann, der seine Meinung und seinen Willen so lange durchzusetzen gewußt hat, bis im Laufe der Zeit der Frau das Bewußtsein der Unterdrückung und der Willenlosigkeit ganz abhanden gekommen ist. Im Ghettoleben war es von geringer Bedeutung, in gewisser Beziehung sogar vortheilhaft, daß die Tugend der Demuth und der Geduld von dem weiblichen Theil der jüdischen Bevölkerung durchgehends als selbstverständlich geübt wurde. Aber auch seitdem es politisch kein Ghetto mehr giebt, hat die jüdische Frau wenig Anstalt gemacht, sich zu einer Individualität auszubilden oder auch nur im Allgemeinen an sozialen Interessen oder gar an sozialer Arbeit sich zu betheiligen. Gedankenreihen, die Jahrhunderte lang in unserem Gehirn angebahnt waren und von vielen Generationen nur so und nicht anders gedacht worden sind, verwischen sich eben nicht mit einem Male. Es gehört Ueberzeugung und viel Wille dazu, um anders zu denken als unsere Vorfahren. Weil also in jüdischen Kreisen über die Stellung der Frau lange Zeit dasselbe gedacht wurde, in orthodoxen heute noch nicht anders gedacht wird, so ist die Stellung der Frau dort unverändert geblieben, und man hat kein Verständniß für die Frauenbewegung.

Damit soll aber durchaus nicht gesagt sein, daß die Frauenbewegung mit Orthodoxie oder Frömmigkeit nicht zu vereinen sei. Die Frauenbewegung ist eine Bewegung auf geistigem Gebiete, die mit dem religiösen Bedürfniß, dem religiösen Bekenntniß und der Färbung dieses Bekenntnisses absolut nichts zu thun hat. Die Frauenbewegung hat nur zum Zweck, die Frau zu einem dem Manne gleichwerthigen Kulturträger zu machen, ihr Rechte zu geben und Pflichten vorzuhalten, deren sich kein Gebildeter begeben sollte.

Entzieht sich aber die Frau der Mühe, für diese ihre Rechte einzutreten, und vor allem, bleibt sie ihren Pflichten gegenüber indolent, dann ist es eben die Frau, die ihr Haus wieder zu einem Ghetto macht, Thor und Riegel vorschiebt gegen das Eindringen des höchsten Gutes, der geistigen Freiheit.

In dem Rahmen dieser Besprechung ist es natürlich unmöglich, alle Punkte zu erwähnen, wo die einzelne Frau beginnen muß, mit dem großen Kulturstrom Fühlung zu bekommen und aus dem Typus in eine Individualität zu wachsen. Es sei hier in bestimmter Absicht nur ein wichtiger sozialer Faktor erwähnt, dem gegenüber die jüdische Frau in erster Linie eine Korrektur ihres herkömmlichen Gedankenganges eintreten lassen muß. Es ist dies in Bezug auf die Wohlthätigkeit, das Almosengeben. Die Gedankenlosigkeit des Gebens muß künftighin einem vernünftigen, planmäßigen, zweckdienlichen Helfen weichen und damit wird im Leben der jüdischen Frau der erste Schritt gethan sein, sich der Frauenbewegung anzuschließen. Die gebildete Frau muß einsehen lernen, daß sie die Pflicht hat, zu helfen, wo es nöthig ist. Die Arbeit, die eine solche Pflichterfüllung mit sich bringt, fröhlich und verständig thun, ist ein Quell unendlicher Lebensfreude, unendlichen Lebensgenusses.

Um diesen Weg einschlagen zu können, hat aber jede Frau, eine Reihe von Vorurtheilen in sich und um sich zu bekämpfen. Da muß zuerst der Gedanke Raum gewinnen: Arbeit ehrt, ob man »es nöthig hat«, zu arbeiten, oder nicht. In diesem Punkte gabelt sich die Frage nach zwei Seiten, nach der besitzenden und der nicht besitzenden Frau. Arbeiten sollen Beide; nur soll die besitzende Frau für die besitzlose arbeiten, d.h. sie soll der besitzlosen Frau deren Schicksal erleichtern helfen durch Rath und That. Der Rath darf aber nicht oberflächlich und gedankenlos sein, und die That soll nicht nur in Geld- oder anderen Geschenken bestehen. Vom gerechten menschlichen Standpunkte ist es doch nicht mehr als Pflicht und Schuldigkeit, daß die begüterte Frau aufhört, gedankenlos in den Tag hinein zu leben, und daß sie anfängt, einen kleinen Theil ihrer Zeit und einen etwas größeren ihrer Intelligenz, vereint mit jenen Mitteln, die sie bisher dem sinnlosen Almosen gewidmet hat, in den Dienst der allgemeinen Wohlfahrt zu stellen. Und deshalb sind es die allgemeinen Wohlfahrtseinrichtungen, denen zuerst die Frau ihr Interesse und ihr Augenmerk zuwenden soll. Auf diesem Gebiete der sozialen Arbeit giebt es sehr viel zu thun und sehr viel zu lernen.

Guter Wille und Intelligenz, Beobachtung und Erfahrung, Uebersicht und mancherlei Ueberwindung und Selbstverleugnung sind erforderlich, um diese wichtige Arbeit recht zu thun, und viele von diesen geistigen Qualitäten liegen heute noch ungeweckt und unbenutzt in der jüdischen Frau.

Die besitzende Frau, die nicht durch den täglichen Broderwerb ermüdet und daran gehindert ist, sich einen gewissen Ueberblick über den Arbeitsmarkt zu verschaffen, soll es zu ihrer Aufgabe machen, die einen Broderwerb suchenden Frauen und Mädchen einem richtigen Berufe zuzuführen. Man schütze nicht Mangel an Gelegenheit vor, Einfluß auszuüben. Jeder Mensch kann es in seinem Kreise, und sei dieser noch so klein. Aber indolent sein, ist auch pflichtvergessen.

So gilt es denn vor allem, die Unterstützung falscher Ehrbegriffe zu vermeiden und die erwerbsuchenden Mädchen davon zu überzeugen, daß das Wie der geleisteten Arbeit über den Menschen entscheidet und nicht gewisse Aeußerlichkeiten, die mit einem Amte oder einer Stellung zusammenhängen.

Mehr als andere betrachten die jüdischen Mädchen einen Beruf nur als Durchgangsstation zur Ehe. Sie versäumen darum, sich gründlich für einen Erwerb vorzubereiten, vermeiden thunlichst jede körperliche Anstrengung, die als »grobe Arbeit« verpönt ist, und suchen Stellen, die diese Vorbedingungen auch noch mit der Möglichkeit verbinden sollen, jederzeit von dem Beruf in die Ehe zu springen.

Daher der große Zudrang der jüdischen Mädchen zur Schneiderei, zum Putzmachen, zum Ladendienst und zu »Kinderfräuleins«, die die schlechteste Lohn- und zum Theil auch Moralitätsstatistik aufweisen, und daher auch die geringe Vorliebe für die Krankenpflege und Haus- und Küchenarbeit, Erwerbszweige, die vorzüglich bezahlt werden und geschützte und gesicherte Lebensstellungen bieten.

Es erübrigt nun nur noch, aus diesen Betrachtungen den einfachen Schluß zu ziehen. Die gebildete jüdische Frau lasse jene Bewegung, die zum Wohle der Nationen die Frau der Unthätigkeit zu entreißen sucht, nicht unbemerkt an sich vorübergleiten.

Der Wunsch, zum Besten Vieler beitragen zu können, führe sie in die Reihe der Arbeiterinnen und sie weihe Herz und Kopf solchen Veranstaltungen und Schöpfungen, die dazu bestimmt sind, der Wohlfahrt zu dienen, seien es nun Haushaltungs- und Kochschulen, Volkskindergärten oder Flickschulen, Volksküchen oder Stätten zur Heranbildung von Krankenpflegerinnen. Ein weites Arbeitsfeld für die Frau! Macht sie sich auf irgend einem Gebiete desselben wirklich nützlich, dann trägt jede einzelne Frau das Ihre dazu bei, die Frauenfrage als einen Theil der sozialen Frage einst zu glücklicher Lösung zu führen.


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