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Ehe und freie Liebe

Von P. Berthold

(1900)

Das fünfte Heft des laufenden Jahrganges der Sozialistischen Monatshefte bringt einen Artikel über Ehe und freie Liebe. Er ist der Ausfluß eines sehr energischen Mißfallens mit den heutigen sozialen Einrichtungen, ein Gefühl, das der Autor mit einer ungemein großen Anzahl von Menschen teilt.

Ob den Schäden unserer Gesellschaft aber durch »die freie Liebe in der kollektivistischen Gesellschaft« so gründlich abzuhelfen sei und ob das Bild dieser kollektivistischen Gesellschaft ein so nach allen Richtungen hin sehr anziehendes ist, kann nicht ganz kritiklos hingenommen werden.

Den Ausgangspunkt für die Erörterungen des Verfassers bildet das meist traurige Schicksal der unehelichen Kinder.

Ohne darüber Rechenschaft zu geben, ob es nicht auch Mittel, und Möglichkeiten gäbe, teils auf dem Wege der Gesetzgebung, teils auf dem Wege der größeren und verallgemeinerten Geistes- und Herzensbildung die Gleichberechtigung der unehelichen Kinder mit den ehelichen zur Thatsache werden zu lassen, – soll nach der angeführten Utopie die Institution einer legalen Ehe aufhören, d.h. alle Geburten sollen unehelich werden, um dadurch den unverschuldeten Makel aus der Welt zu schaffen.

Es wird uns ein Zustand in der künftigen Gesellschaft geschildert, in dem die heute schon vorhandenen »Keime und Ansätze jenes neuen, besseren Systems«, schon zur vollen Entwicklung gekommen sind. Die Gebärhäuser, Wöchnerinnenheime und Findelhäuser –

»Sie bilden sozusagen die Technik aus, die später verallgemeinert und vervollkommnet werden kann.«

»Von der Unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lehrmittel und der Beköstigung der Schulkinder bis zur vollständigen Erziehung und Verpflegung der Kinder und der heranwachsenden Jugend auf öffentliche Kosten ist theoretisch nur ein Schritt.«

Folgt dann die Beschreibung des Arbeiterstaates, wie wir ihn bei den Bienen- und Ameisenvölkern in höchster Vollendung bewundern können. Allen Neigungen, Trieben und Instinkten wird in dem Schema des neuen Staates Rechnung getragen, so weit sie sich verstaatlichen lassen. Was den Einzelnen um seiner selbst willen trägt und fördert, findet keine Beachtung.

Im Bebelschen Sinne verspricht man uns, daß die kollektivistische Gesellschaft eine »Gesellschaft ohne Prostitution« sein wird; sie wird uns »das Recht des freien Gewährens und Versagens bringen.«

»Je weiter einerseits die öffentliche Fürsorge für die Kinder und deren Mütter ausgebaut, je mehr für sie passende Erwerbszweige anderseits und unter je günstigeren Bedingungen sie den Frauen erschlossen werden, desto entbehrlicher wird die Ehe für die Frau. Und daß die Ehe für die Frau entbehrlich werde, darauf kommt es an; denn um der Frau willen war die Ehe bisher notwendig.«

Ist die Ehe wirklich nur um der Frau willen notwendig? Dient sie ausschließlich den speziellen Interessen der Frau in ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Manne oder zu der Zeit »der Hilfsbedürftigkeit der Frauen in jenen Lebensabschnitten, in welchen ihnen die Natur die schwersten Lasten auferlegt«?

Wenn diese Fragen zu bejahen wären, dann wäre freilich »die freie Liebe in einer kollektivistischen Gesellschaftsordnung ein Heilmittel,« – dann wäre es auch gleichgiltig, »daß die Dauer der meisten Liebschaften eine zeitlich begrenzte sein dürfte« und wir könnten uns mit der Zusicherung begnügen: »ob aber langfristig oder kurzfristig, jedenfalls werden die Liebschaften der Einzelnen keinen Einfluß haben auf ihre soziale Stellung«.

Aber die Ehe dient nicht nurzum Schutze der Frau. Die Ehe ist oder sollte es doch sein, die Veranlassung zur Gründung eines festen, geregelten Haushaltes. Damit wird sie die Grundlage der Familie und als solche ist sie einzig in ihrem Einfluß auf die Nachkommenschaft und auf die aufstrebende Fortentwicklung des ganzen Menschengeschlechts.

Eine soziale Veränderung, die die Frau zur auskömmlich bezahlten Arbeiterin außerhalb des Hauses macht und ihre wertvollste Funktion als Gattin und Mutter zur Nebensächlichkeit, zu einem unvermeidlichen Uebel herabdrückt, kann nie als wünschenswertes Ziel erscheinen.

Wünschenswert ist, daß die Lohnverhältnisse eine solche Regelung erfahren, daß die alleinstehende oder unverheiratete Frau sich selbständig erhalten kann, ohne »Prostitution als Zusatz zum Lohn«, aber auch ein fleißiger, gesunder Mann muß seine Familie ernähren können, ohne daß Frau und Kinder zum Schaden ihrer geistigen, körperlichen und sittlichen Existenz über ihre Kraft mitarbeiten müssen.

Der Unterricht, die Lehrmittel sollen jedermann unentgeltlich zugänglich sein, aber Gebäranstalten, Findelhäuser, große Speisehäuser sollen selbst in höchster Vollkommenheit nur Behelfe für diejenigen sein, denen aus irgend einem bedauerlichen Grund eine eigene, gesunde Heimstätte oder eine Häuslichkeit versagt ist.

Soziale Einrichtungen, die eine Auflösung der Familie, der Pflanzstätte der besten, kräftigsten Lebensenergien eines Volkes anstreben, müssen sich in letzter Konsequenz als antisozial erweisen.


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