Bertha Pappenheim
Sisyphus: Gegen den Mädchenhandel
Bertha Pappenheim

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Reise-Eindrücke von einer Orient-Reise

1911

Sie haben gestern viel von der katholischen Caritas und von der protestantischen Inneren Mission gehört. Als Vertreterin des Jüdischen Frauenbundes habe ich Ihnen heute von jüdischer Arbeit zu sprechen. Selbstverständlich haben wir in der Wohlfahrtspflege auch unsere jüdische Caritas und in der Erziehung unserer Jugend unsere innere Mission: aber heute will ich Ihnen von unserer Arbeit zur Bekämpfung des Mädchenhandels nur von dem sprechen, was praktisch und dem Geiste nach international in die Arbeit des Deutschen Nationalkomitees eingreift. Es fügt sich gut, daß gerade das, was ich über Bordellwesen vorzubringen habe, auch als Vertreterin der jüdischen Frauen, ein lebhafter Protest gegen die Anschauungen des jugendlichen Diskussionsredners von gestern abend sein wird in seiner Stellungnahme für die Reglementierung und in unserer Zurückweisung alles dessen, was die Reglementierung zeitigt.

Ich glaube, daß ich am raschesten und besten in meine Materie eindringe, wenn ich meinen Antrag vorbringe, den ich dem Deutschen Nationalkomitee vorlegte, dieser lautet:

»Das Deutsche Nationalkomitee möchte bei dem Bund deutscher Exporteure in Hamburg oder bei anderen Stellen anregen und erwirken, daß der Verband Schritte tue, für die jungen Reisenden in Rumänien und auf dem Balkan einwandfreie Pensionen und Logierhäuser ausfindig zu machen evtl. zu begründen.« Es ist von höchster Wichtigkeit, die Hotels jener Gegenden, die zum größten Teil Bordelle sind oder doch den jungen Reisenden die Gepflogenheiten öffentlicher Häuser aufdrängen, auszuschalten.

Zur Erklärung lassen Sie mich sagen, daß der ganze Balkan fast in allen seinen Unterkunftsstätten für die Reisenden ein Wohnen in Bordellen bedeutet. Es ist nicht zahlenmäßig nachzuweisen, aber es ist ganz fürchterlich zu denken und für jeden anständigen Menschen geradezu widerlich, daß es Donau abwärts wenige Hotels gibt, in denen man wohnen kann, ohne das Gefühl zu haben, in einem Haus zu sein, in dem alles frei und möglich ist. Es ist garnicht möglich, daß ein junger Mann, der dort reist, sich diesem Einfluß entziehen kann. In den kleinen und mittleren Hotels kein Bad (dagegen die Badeanstalten öffentliche Häuser), kein Lesezimmer, keine Schreibgelegenheit und damit der Zwang, öffentliche Lokale aufzusuchen, die den Reisenden auf ihre Art ausbeuten. Deshalb halte ich es heute für kein Glück, wenn ein Mann, sei er Familienvater oder unverheiratet, Reisender für den Balkan wird, denn es ist fast unmöglich, daß er sich absolut von dem Schmutz fern hält und da nicht nach irgend einer Richtung infiziert wird von dem, was einfach als landesüblich gilt.

Ich denke natürlich nicht an eine »Bevormundung« der Reisenden. Die Menschen, die in die Welt hinausgehen, müssen wissen, was ihnen bevorstehen kann. Sie müssen eine gewisse Kraft haben, moralisch und physisch, um den Dingen, die ihnen begegnen können, gewachsen zu sein. Aber es muß auch jede Familie oder jede Firma, die den Sohn oder den Reisenden nach dem Balkan hinausziehen läßt, sich doch sagen: da schicken wir unseren Reisenden, unsern Sohn in eine große Gefahr. Wenn eine Firma weiß, daß irgendwo die Cholera herrscht, wird man wahrscheinlich die Reisenden zurückziehen. Die Krankheiten aber, denen der junge Mann stillschweigend ausgesetzt ist, sind mindestens so schlimm wie diejenigen, die irgend eine Epidemie für sie darstellen würde. Darum muß aber die Möglichkeit geschaffen werden, daß junge Leute auf ihren Geschäftsreisen zu zivilen Preisen einwandfrei wohnen können. Wie ich die Dinge kennen gelernt habe, ist diese Möglichkeit nur in sehr wenigen Hotels gegeben.

In diesem Sinne möchte ich Sie bitten, meinen Antrag anzunehmen.

Mein Vorschlag geht dahin, daß der Verein deutscher Exporteure oder eine andere in Betracht kommende Stelle dahin wirken möge, daß in jeder der meist bereisten Städte des Balkans ein Haus so geführt werde, daß ein anständiger Mensch dort wohnen kann, ohne daß es ihn anwidert, ohne daß er gezwungen ist, aus geschäftlichen Rücksichten mit Menschen übelster Sorte verkehren zu müssen. Ich erinnere Sie an dieser Stelle an die Anekdoten und Reiseabenteuer, die von »da unten« kursieren und die wohl in meinem Sinne ernst genommen zu werden verdienen.

Ich habe meinen Antrag dem Deutschen Nationalkomitee übergeben und habe noch gebeten, über andere Dinge sprechen zu dürfen. Einen vollständig ausführlichen Bericht über meine Orientreise zu geben, ist mir natürlich im Augenblick nicht möglich. Ich werde diesen Bericht in wenigen Tagen einsenden und möchte hier nur einzelne Punkte hervorheben.

Neben diesem einen praktischen Vorschlag, der für den Balkan zu machen wäre, ist dort eine große Aufklärungsarbeit notwendig. Zufällig konnte ich in Belgrad der Hauptversammlung des serbischen Frauenbundes anwohnen. Ich war sehr erfreut, dort eine gewisse Grundlinie fortschrittlicher Bewegung unter den Frauen vorzufinden. Allerdings haben mir die Frauen gesagt, daß die Arbeit unendlich schwer ist, weil der Boden für dieselbe die Bevölkerung, die ganze Anschauung, die sich dort anbietet, der Bekämpfung des Mädchenhandels – ich beschränke mich heute auf dieses Gebiet, weil wir in einer Konferenz zur Bekämpfung des Mädchenhandels sind – im großen Publikum kaum anzuschneiden ist. Nichtsdestoweniger haben die Männer, mit denen ich sprach, zugestanden, daß der Balkan ein Herd des Handels, ein Herd der Seuche ist. Freilich wagt man es dort auch noch nicht, von den Dingen öffentlich zu sprechen. Ich habe mit einer Ärztin gesprochen, die mir in ihrer Weise die unendlichen Schwierigkeiten auseinandergesetzt hat, soziale Regungen in jenen Ländern hervorzurufen.

Der nachträglich eingegangene Bericht, der hier als Manuskript abgedruckt wird, lautet folgendermaßen:

Um die Notwendigkeit der Anträge, die nach meiner Orientreise der Ausgangspunkt von Besprechungen waren, nochmals zu unterstreichen, möchte ich wie auf kleinen Films einige Momentbilder an Ihnen vorbeiführen. Sie werden das Gefühl des Grauens und die Beschämung, die die Wirklichkeit in mir erweckten, nicht in der ganzen Intensität wiedergeben können. Doch hoffe ich, daß es mir gelingen wird, einen großen Kreis davon zu überzeugen, daß das Schicksal jener Mädchen, die zwischen Bordell, Hospital und Gefängnis herumgeschleudert werden – teils durch launenhafte Willkür teils durch eigenwillige der dehnbare Gesetzesparagraphen – eine Selbsterniedrigung der Gesellschaft bedeutet, die sich gerade dort taub und blind stellt, wo sie ihre Sinne besonders zu schärfen hätte.

Mein erster Eindruck auf dieser Reise war in einer großen Stadt das Spital für 140 venerisch Kranke. Dem Torbogen gegenüber führt eine kleine Türe in einen Hof. Als wir eintraten, promenierten dort eine Anzahl Kranke in unbeschreiblichen Aufzügen. Die eine trug zu dem lose und offen von den Schultern hängenden Spitalskittel silberne Schuhe mit hohen Absätzen, durchbrochene schwarze Strümpfe mit blauseidenen Strumpfbändern; eine andere einen rosa seidenen Unterrock, dazu eine schmutzige Nachtjacke; manche hatten Frisuren mit Kämmen, Nadeln, Bändern und Blumen, anderen hingen wirre Haarsträhnen wild um den Kopf. So lachten und schwatzten und schimpften sie laut durcheinander – ein Bild aus einer Irrenanstalt, wie sie selbst als solche nicht sein dürfte. Meine Begleiterin und ich begaben uns dann, gefolgt von den neugierigsten der Mädchen, in die Krankensäle. Da lagen, saßen und hockten sie auf oder in den Betten, Mädchen aller Konfessionen, meist im Alter von 16-25 Jahren, in Stellungen und Bewegungen, mit einem Ausdruck von Verkommenheit oder Stumpfheit auf den Gesichtern, daß wir beide Mühe hatten, unsere Bewegung zu unterdrücken.

Ein Kind von 16 Jahren lag mit fieberroten Wangen da, denn es hatte eine Einspritzung mit 606 bekommen; ein anderes in einem gelbseidenen Hemd mit Spitzen garniert – lachte Tränen – über unseren Besuch und unsere Absicht, mit den Mädchen zu sprechen; eine schämte sich und steckte den Kopf ins Kissen; eine saß, nur mit einem tief ausgeschnittenen Hemd bekleidet aber sorgfältig frisiert, und schrieb Ansichtskarten; manche hatten allerlei Eßwaren, die sie genäschig oder gefräßig verzehrten. Darüber waltete als Hüterin, ein faßdickes, schwer bewegliches Weib, dessen beste Eigenschaft eine gewisse Gutmütigkeit schien, eine Gutmütigkeit, die aber sicher auch einem Staffeltarif von Trinkgeldern unterworfen ist.

Eine Ecke, durch einen schmutzigen Vorhang von dem Saal abgetrennt, ist vermutlich der Raum, wo der Arzt entscheidet, wann ein Mädchen wieder geeignet befunden wird, ihren »Erwerb« aufzunehmen, um nach kurzer Zeit wieder krank genug befunden zu werden, daß die Stadt Spitalskosten an sie wendet. – Keine Arbeit, kein Buch, kein freundliches, erziehendes oder ermutigendes Wort, kein Versuch, die Jüngsten wenigstens von den Verdorbensten zu trennen und sie einem gesunden, arbeitsamen Leben zuzuführen. Nichts dergleichen – vom 16. Jahre an die Sicherheit, eine Dirne zu sein und zu bleiben.

In einer anderen Stadt Donau abwärts sind fünf neugebaute Bordelle. Sechsundfünfzig »eingeschriebene Mädchen« gewähren der Stadt, die die öffentlichen Häuser eingerichtet hat, durch die Preisgabe ihres Körpers eine gute Rente. Die Häuser sind an Wirte oder Wirtinnen verpachtet, die die Hälfte des Geldes für einen Besuch (Normaltaxe Frs.2.-) direkt einstreichen und die natürlich noch an dem Alkohol und anderem Konsum ihre weitere Einnahme haben. Nicht gerechnet die Erpressungen und Übervorteilungen, durch die sie sich an den Mädchen bereichern, die ihren ganzen Gebrauch an Kleidern, Wäsche, Schmucksachen etc. nur durch diese unsauberen Zwischenhändler kaufen können. Zu dem Widerlichsten, was ich erlebte, gehörte dort ein Gespräch mit einem Wirt, der mir den hygienischen Wert seines Instituts auseinandersetzen wollte. Dieser Ehrenmann war erst Metzger, dann Klavierspieler, und zum Schluß hatte er als Bordellwirt seinen wahren Beruf entdeckt.

Natürlich wagen die Mädchen in und außer der Hörweite dieses Mannes nichts anderes zu sagen, als daß sie sich unter seinem Dache wohl und ganz zufrieden fühlen. Bei der Brutalität ihres Sklavenhalters hätte eine abfällige Bemerkung ihnen schlecht bekommen können. Was nun die Häuser betrifft, so liegt in dem Treiben in den »Salons«, wenigstens zu der frühen Abendstunde, in der der Alkohol noch nicht alle Hemmungen weggeräumt hat, noch ein gewisser Schein von einfacher Heiterkeit. Doch welche Roheit und Niedrigkeit mag sich entfesseln, wenn sich die Türen hinter den Einzelzimmern schließen, hinter denen die Opfer mit stereotypem Lächeln verschwinden.

Ich werde das junge Mädchen nie vergessen, das mit blondem, gescheiteltem Haar, alabasternem Teint, in einem einfachen hellblauen Kleidchen, mit wiegenden Tanzschritten einigemal lächelnd an mir vorbei glitt. Ich sprach sie an, sie reichte mir die Hand und setzte sich wie ein wohlerzogenes Pensionsfräulein zu mir.

Dann hörte ich, daß sie zwanzig Jahre alt sei, früher ein Jahr in einer anderen Stadt, seit zwei Jahren in diesem Bordell lebe.

Während der Zeit hatte sie immer bei Tag geschlafen und bei Nacht »gearbeitet«. Mir wurde so weh zumute, als sie gar lieblich anzusehen, neben mir saß.

»Haben Sie gar keine Sehnsucht, aus diesem Haus, das wie ein Gefängnis für Sie Alle ist, herauszukommen? Es ist doch zu schade um Sie, daß Sie hier so elend zugrunde gehen werden«, sagte ich.

»Ich bin's jetzt so gewöhnt«, sagte sie, »ich bin seit zwei Jahren nicht mehr draußen gewesen.«

Sie lächelte freundlich, erhob sich und tänzelte im Takte des Gassenhauers, der auf dem Piano gespielt wurde, einem Manne, der eintrat, entgegen. Ich wußte nun, woher das Mädchen diesen alabasternen Teint hatte, der so gut zu dem blauen Kleidchen stimmte: sie hatte zwei Jahre lang die Sonne nicht gesehen.

Sie war 20 Jahre alt, seit ihrem 17 Jahre eingeschriebene Prostituierte und kein Mensch hatte sich je zum Guten um sie gekümmert.

Und weiter hörte ich in einer anderen Stadt, daß auch hier das Prostitutionswesen eine Quelle großer kommunaler Einnahmen bilde. Ein neu angestellter Arzt zeigte mir voll Stolz die Häuser und angrenzende Spitalsanlagen. Er erzählte mir, wie gut es den »Mäderln« geht. Wenn sie gesund sind, haben sie – da sie nicht ausgehen dürfen – Wagen und Pferde zur Verfügung, um, natürlich unter Aufsicht der Bordellhüterin, ihre Einkäufe zu machen. Im Spital dürfen sie, »wenn sie brav sind«, sich ihr Essen nach Belieben bestellen. Zur Zeit meiner Anwesenheit waren »26 Mäderln« in den Häusern, aber der eifrige Arzt hatte schon, natürlich mit Hülfe der rührigen Polizei, 140 auf der Liste, und er hoffte es bald auf 1000 zu bringen.

»Ist es nicht schöner bei uns, als auf der Friedrichstraße in Berlin?!« sagte er in der ehrlichen Überzeugung, das Beste zu wollen. –

In einer Stadt mit beginnendem orientalischen Gepräge sitzt seit 20 Jahren eine Frau, die unter dem Namen und dem Vorwande eines Café chantant in Wirklichkeit ein öffentliches Haus führt. Wenn sie frische Ware bekommt – sie hat zwei Brüder, die sie von Galizien und Rumänien mit Nachschub versehen, dann hält sie die jungen Mädchen, oft Minderjährige, so lange eingesperrt, »bis sie kein Heimweh mehr haben«. In einer anderen Stadt, wo sich die Brüder auch mit einem Kunstinstitut gleichen Ranges niederlassen, resp. einnisten wollten, ging ich zum Vali und bat ihn, den unsauberen Geschäftsbetrieb nach Tunlichkeit einzustellen oder doch zu erschweren. Er sprach sehr verständnisvoll und entgegenkommend und die Brüder sollten Landes verwiesen werden. Von der geschäftstüchtigen Frau hörte ich später, daß sie monatlich Tausende aufwende, um für ihren Betrieb das nötige Entgegenkommen der Polizei zu genießen, was ihr auch gelingt; das Leumundszeugnis, das dazu erforderlich ist, bezieht sie von ihrer Heimatsbehörde. Wie viel muß sie am Mädchenhandel verdienen, daß sich solche Geschäftsunkosten und das Risiko rentieren!

Eines Vormittags kam ich mit einem Vertrauensmann in eine sogenannte »Pension«. Der Tenancier mit seinem Spitzbubengesicht und seinen eleganten Manieren unterdrückte infolge dessen die ablehnenden Gefühle, die er mir gegenüber haben mochte, ebenso tat es, nur knurrend, eine große Dogge, die im Hausflur lag.

In der Pension seien nur vier Damen, von denen eine krank sei und nicht erscheinen könne, sagte der Tenancier. Er verschwand einen Augenblick und es erschienen im Salon drei Mädchen, eine Griechin, eine Türkin und eine Jüdin. Alle drei waren hervorragende Schönheiten; die schönste war die Jüdin. Da ich mit der Türkin und der Griechin nicht sprechen konnte, verschwanden sie bald. Die Jüdin in grausamtenem Hauskleid, ein feines Goldkettchen um den Hals, eine blauschwarze Haarkrone auf dem Kopf, das Bild jugendlicher Frauenschönheit, blieb in sichtlicher Befangenheit stehen. Sie sei 20 Jahre alt – als 12jähriges Kind in der Tabakfabrik sei sie schon – sie sei viel auf Reisen, in Athen und Konstantinopel – sie habe keine Angst für ihre Gesundheit – sie denke nicht an die Zukunft – sie könne und verstehe garnichts – nicht einmal schreiben und lesen. –

Schrecklich ist ein Gang durch das Prostitutionsviertel einer Stadt. Haus an Haus offene Türen, auf deren Schwellen oft ganz junge Mädchen und entsetzliche Weiber sitzen. Ich sprach einige von ihnen an: manche lachten, manche schämten sich, manche wurden ausfallend, manche weinten, einigen wäre mit gutem Willen zu helfen gewesen, sich aus dem Sumpf herauszuheben.

Trotzdem es eine Polizeiverordnung geben soll, die jungen Leuten ohne Schnurrbart den Zutritt zu den Bordellstraßen verbietet, sah ich sie doch zu zweien und dreien am hellichten Tag durch die Straßen schlendern. So lernen sie das weibliche Geschlecht kennen, wie es ihnen verächtlich werden muß, – den künftigen Gesetzgebern.

Es gibt Häuser – für's Militär! – deren Besuch nur 10 Centimes kostet.

Eine furchtbare Gefahr für die armen Umwohner des Prostitutionsviertels ist, daß Unrat und Abfälle aus den öffentlichen Häusern auf die Straße geworfen werden, von wo sie weiter gewirbelt oder verschleppt oft als Spielzeug der Kinder entsetzliches Unheil anrichten. Ein Arzt hatte erschreckende Beobachtungen gemacht. Seine Anzeige blieb erfolglos.

Wichtig und bedeutsam ist, daß das neue stehende Heer der jungtürkischen Armee, das den jungen Mann aus dem Familienleben hinausführt, zur Einführung der Prostitution unter den Muselmännern führt.

Die Fälle mehren sich, daß auch türkische Mädchen feil werden – trotz des Koran's, der den verwildernden käuflichen Geschlechtsverkehr nach europäischer Unsitte streng verpönt. Ich sah einige Prostituierte in ein türkisches Asyl für Obdachlose aufgenommen. Die »Rettung« dieser Mädchen soll sehr einfach sein – man verheiratet sie!

In einer Stadt, deren Bevölkerung ein Gemisch aller Nationalitäten darstellt, war ich durch einen Polizeibeamten in verschiedene öffentliche Häuser geführt worden, zuletzt auch bei einbrechender Dunkelheit in ein arabisches.

In einem Zimmer, dessen Steinboden Kühle, dessen blaue Vorhänge und Portieren mit schönen eingewebten Palmengruppen Verschwiegenheit garantierten, kamen uns drei Mädchen entgegen. Sie luden durch Handbewegungen und mir unverständliche Worte zum Sitzen ein, und wir reihten uns um einen großen runden Tisch, über dem eine Hängelampe brannte.

Die Mädchen waren in farbige Gewänder und Tücher gekleidet, mit Ketten und Münzen geschmückt. Zwei schienen sehr befreundet miteinander, trugen sie doch sogar gemeinsam ein Paar Ohrgehänge, jede eins im rechten Ohr.

Die beiden Mädchen waren sehr lebhaft, beweglich und kindlich neugierig, und mit Hilfe des Beamten, der in freundlicher und geduldiger Weise den Dolmetsch machte, erfuhren wir gegenseitig von einander, was wir erfragen konnten und gerne wissen mochten.

Beide Mädchen, fast noch Kinder von 16 oder 17 Jahren, waren vor einem Jahr aus Langeweile und Abenteuerlust ihren Eltern durchgebrannt. Wenn Jemand dagewesen wäre, um es in der gegebenen lokalen und landesnötigen Form einzurichten und zu veranlassen, sie wären gerade so gerne wieder heim gegangen, und wenn sie 20 Frs. mitgebracht hätten, wären sie mit offenen Armen wieder aufgenommen und bald darauf verheiratet worden.

Die Dritte saß still und feierlich mir gegenüber. Arme, Schultern, Hals entblößt, bronzebraun, von wundervollen Formen, ein unbewegliches Gesicht, über den großen dunkeln Augen ein breiter schwarzer Strich, der ihnen einen fast unheimlichen Ausdruck gab. Sie sprach nichts und fragte nichts, und ich nahm an, daß sie unserm englisch-arabisch geführten Gespräch nicht folgen konnte.

Als wir fortgingen – gegen den Wunsch der beiden gesprächigen Mädchen – reichte ich auch ihr die Hand und als wir, die dunkle Treppe hinunter tastend, wieder auf der Straße waren, sagte mein Begleiter zu mir: »Als Sie zur Türe hinausgingen, da hat das stille große Mädchen, auf Sie deutend, gesagt: Sie soll gesund sein und ihre Familie soll gesund sein, denn keine solche Frau hat noch so zu uns geredet.«

Es überlief mich wie ein Schauer bei dem Ausspruch des arabischen Freudenmädchens, der wie eine Anklage und ein Weckruf in die Frauenwelt hinausgehen soll.


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