Bertha Pappenheim
Sisyphus: Gegen den Mädchenhandel
Bertha Pappenheim

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Der jüdische Frauenbund und die Königin von Rumänien

1909

Petition des jüdischen Frauenbundes an die Königin von Rumänien sowie Bericht Bertha Pappenheims über ihren Besuch in Rumänien:

Der Vorstand des jüdischen Frauenbundes sendet uns die nachfolgende Petition und den Bericht von Fräulein Pappenheim über ihren Aufenthalt in Rumänien. Wir sehen darin, daß die Königin von Rumänien Fräulein Pappenheim angehört hat, schon einen Fortschritt in der jüdischen Frauensache und hoffen, daß dadurch der Bekämpfung des Mädchenhandels genutzt wird.

Die Petition des jüdischen Frauenbundes an die DichterköniginCarmen Sylva (eig. Elisabeth von Rumänien), 1843-1914, aktiv in der sozialen Fürsorge, geist- und phantasievolle Dichterin in neuromantischen, impressionistischen Stil; schwermütige Lyrik, Erzählungen, Dramen, symbolische Märchen, Volksballaden, Erinnerungen. lautete:

Herrliche Worte der Milde und der Gerechtigkeit, wie sie nur der Feder einer Frau, einer Dichterin und Königin entstammen können, klingen durch die Kulturwelt. Ermutigt durch solche Worte, wagt es ein Verband von Frauen, der jüdische Frauenbund in Deutschland, die Königin und Frau auf den furchtbarsten Schimpf unseres Geschlechtes hinzuweisen – auf den Mädchenhandel.

Seitdem von England durch Josephine Butler unsere Sinne geweckt und geschärft sind für die tausendfältigen Formen von Frauenelend seitdem William Coote angefangen hat, den geheimen Wegen des Verbrechertums nachzugehen, das aus den Töchtern eines Landes eine Handelsware macht, die den niedrigsten Zwecken dient – seitdem wir wissen, daß es einen Mädchenhandel gibt – ist es Pflicht und Aufgabe der Frauen aller Stände, aller Nationen und aller Konfessionen, der Bekämpfung des Mädchenhandels ihre Kräfte zu weihen.

Besondere soziale Verhältnisse des Königreichs Rumänien sind für tausende von Frauen und Mädchen dort verhängnisvoll geworden, so verhängnisvoll, daß ihr sittliches Bewußtsein von dem einfachen Selbsterhaltungstrieb übertönt wird. Wir finden darum zahllose rumänische Jüdinnen in die Wege des Lasters gedrängt. Anstatt daß sie aufrechte Trägerinnen einer uralten Kultur bleiben, anstatt daß sie wertvolle sittliche Elemente bilden innerhalb einer Nation, der sie durch Geburt, Sprache und Erziehung unauslöslich angehören, werden sie, gemeinsam mit vielen ihrer christlichen Schwestern zur Schande getrieben.

Wenn wir jüdische Frauen aus Ew. Majestät Heimatland es wagen, Ew. Majestät ehrfurchtsvoll zu bitten, der Bekämpfung des Mädchenhandels in Rumänien Allerhöchst Ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, so sprechen wir zwar als eine Organisation aus einem verhältnismäßig kleinen Kreise, doch sprechen wir auch für die Allgemeinheit der rumänischen Frauen und Mädchen. Das Schicksal der christlichen Rumänin, die zu Laster gedrängt ist, ist dasselbe wie das der rumänischen Jüdin psychische und moralische Vernichtung des Individuums – und gleichzeitig Schädigung der Volksgesundheit, der Volkswohlfahrt und des sittlichen Empfindens der Allgemeinheit.

Und darum hoffen wir, daß diese Worte, bestätigt und unterstützt von der Unterschrift vieler Frauen, die ihre Kraft und ihr Interesse dem Wohle ihrer Mitschwestern widmen, bei der hochherzigen Dichterkönigin einen Widerhall finden. Unsere ehrerbietige Bitte geht dahin, daß Ew. Majestät es nicht verschmähen mögen, auf den Jammer aus einer Welt zu hören, die der Königin zu fern, der Frau aber so nah ist, und die der königliche Wille einer Frau durch einen Federstrich zum Guten zu verändern vermag.

In tiefster Ehrerbietung
der Vorstand des Jüdischen Frauenbundes

Der Bericht von Fräulein Bertha Pappenheim, der unermüdlich tätigen 1. Vorsitzenden des Jüdischen Frauenbundes, hat folgenden Wortlaut:

In Ausführung des Auftrages aus der letzten Vorstandssitzung vom 7. Februar 1909, der darin bestand, die damals im Text vorliegende Petition an die Königin von Rumänien, der hohen Frau, namens des Jüdischen Frauenbundes zu überreichen, bin ich am 3. März in Bukarest eingetroffen. Zu meinem Bedauern hörte ich dort, daß die Königin leidend sei und zur Zeit keine Audienzen erteile, sie habe jedoch von der Petition Kenntnis genommen, und da sie deren Gegenstand, die Bekämpfung des Mädchenhandels, lebhaft interessiere, möchte ich die Angelegenheit mit einer Hofdame besprechen. Ich tat dies, doch war eine Schriftstellerin, die, man darf wohl sagen, freundschaftliche Beziehungen zur Königin hat, so liebenswürdig, mir die Möglichkeit in Aussicht zu stellen, binnen kurzer Zeit doch noch von der Königin empfangen zu werden.

Ich durfte mir diese Möglichkeit als Beauftragte des jüdischen Frauenbundes nicht entschwinden lassen und beschloß, einige Tage im Lande dazu zu benutzen, im Sinn meiner Aufgabe Umschau zu halten und solche Personen aufzusuchen, die sich bereit finden lassen würden, an einer Bekämpfung des Mädchenhandels werktätigen Anteil zu nehmen.

Daß eine solche Agitation im Lande zu einer unerläßlichen Notwendigkeit geworden ist, darüber war bei denjenigen, die die Verhältnisse des Landes kennen, nur eine Stimme. Um so unbegreiflicher mag es aber erscheinen, daß manche Kreise in Unkenntnis der Dinge leben und daß die Wissenden nie ein Wort der Aufrüttlung gesprochen, nie einen Versuch der Sanierung getan; auch solche Männervereinigungen nicht, die von ihren westeuropäischen Brüdern auf die Schädigung aufmerksam gemacht sein mußten, die dem Volkswohl und der Volksgesundheit aus der sogenannten »orientalischen Lebensauffassung« erwächst.

Ich habe sowohl von Juden und Nichtjuden aus allen Schichten der Gesellschaft sehr viel Bedauerliches und Beschämendes erfahren, dagegen hatte ich aber auch die Freude, bei vielen Personen nicht allzuschwer Interesse, und wie wir hoffen wollen, tatkräftige Freunde für unsere Frauenmission zu finden. Ich nenne in Bukarest an erster Stelle Herrn Rabbiner Dr. Beck, der sich zu der seelsorgerischen Seite der Aufgabe bekannte; Frau Rosa Staadecker, eine in sozialer Arbeit und sozialem Denken geschulte Frau, Herrn Schwarz, Dr. Stern und andere, die in der Erkenntnis der Wichtigkeit unserer Bestrebungen eine kleine Konferenz zusammenberiefen, in der ich die Ziele unseres Bundes im allgemeinen und die Gründung von Auskunftstellen für Frauen und Mädchen im besonderen auseinandersetzen konnte. An Wohlfahrtseinrichtungen scheint Bukarest – das trotz seiner 50 000 jüdischen Einwohner keine Gemeinde ist, nicht sehr reich; alle Kraft wird für die Schulen verwendet, deren es 15 gibt und die ganz aus eigenen privaten Mitteln erhalten werden müssen.

Nach einigen Tagen in Bukarest ging ich nach Braila, wo ich durch die liebenswürdige Vermittlung von Herrn und Frau Focsaniam sehr rasch meinen Weg zu denjenigen Persönlichkeiten fand, die für unsere Ideen zu gewinnen waren. Dr. Nosteriano bestätigte als Arzt und gründlicher Kenner die Verhältnisse und die Notwendigkeit sie zu ändern; im Hause der Frau Dr. Adler hatte ich Gelegenheit, in einem kleinen konfessionell gemischten Kreise über den Zweck meiner Reise zu sprechen, und was unter Umständen das Wertvollste sein kann, ich hatte Gelegenheit, mit dem Deputierten Herrn Constantin Alessien über den Mädchenhandel von sozialpolitischer und volkshygienischer Seite zu sprechen.

Er erschien interessiert und zugänglich und versprach jede Agitation zu unterstützen, die dann am meisten Erfolg verspräche, wenn aus einer Initiative der Königin, den maßgebenden Kreisen im Lande das Zeichen gegeben werde, sich offiziell zu dieser Aufgabe zu bekennen.

Braila ist eine jüdische Gemeinde, deren Mittel auch durch die Erhaltung der Schulen sehr in Anspruch genommen sind. Eine Eisenbahnstunde von Braila entfernt ist Galatz, gleich Braila ein Hafen und darum für den Mädchenhandel ein wichtiger und für dessen Bekämpfung ein notwendiger Punkt. Auch hier für alle Teile und Schichten der Bevölkerung die Notwendigkeit, gewisse Begriffe und Anschauungen zu revidieren. Ich konnte gar nicht oft genug sagen, daß wir Frauen die Bekämpfung des Mädchenhandels absolut nicht nur als Gegenstand sentimentaler Caritas betrachten wollen, sondern als eines der unerläßlichen Mittel, Volksgesundheit und Volkswohl zu verbreiten, resp. zu erhalten.

Volles Verständnis für alles, was ich vorzubringen hatte, fand ich in Galatz bei den Damen Frau Wendel-Halford und Frau Konsul Schmierer, ebenso bei der Frau Orenstein und Frau Glaser, die versprach, zur Bildung eines Komitees Herrn Glaser zu interessieren, der in seinem Amt als Inspektor der Donau-Dampfschiffahrt unserer Sache unschätzbare Dienste leisten kann. Der Handel geht natürlich den abgelegenen und weniger kontrollierten Wasserweg, oft auf Frachtschiffen, und es wird bei den Konferenzen immer wieder auf die Notwendigkeit einer Schiffsmission hingewiesen werden müssen. Galatz ist eine jüdische Gemeinde und besitzt außer den Schulen Wohlfahrtsanstalten, die sowohl der Opferwilligkeit als dem Verständnis der Gemeinde ein schönes Zeugnis ausstellen. Bemerkenswert als Bau durch seine Einrichtung ist das unter der Leitung von Dr. Feldmann stehende Hospital, dem nur eine Oberin und geschultes weibliches Pflegepersonal fehlt, um es zu einer vorbildlichen Anstalt für das ganze Land zu machen. Die Krankenpflege als Beruf für die gebildete Frau ist im ganzen Lande gänzlich unbekannt. Auch ein Asyl für Alte und Einrichtungen für Kinderspeisung sind schön. Hervorragend ist die Mädchenschule, deren Neubau durch Mittel der J.C.A ausgeführt ist und wo leider die Beschränkung der Kinderzahl auf 250 nur durch die Beschränkung der Mittel geboten ist. Frau Wendel vermittelte mir noch eine Rücksprache mit dem Stadtpräfekten Herrn Gussi, ebenso mit dem Gemeindevorstand Herrn Gottesmann und dem bekannten Vertreter des Zionismus Herrn Pinclas, und so hoffe ich, daß sich auch die maßgebenden Kreise von Galatz bald zu einem Komitee für eine Auskunftstelle zusammenfinden werden.

Der wiederholten Aufforderung, solange in der Stadt zu bleiben, bis die Konstituierung eines Komitees erfolgt, konnte ich natürlich nicht nachkommen. Am 13. März kehrte ich wieder nach Bukarest zurück und hatte die Freude, am 14. morgens die Mitteilung zu bekommen, daß ich noch am selben Tage zur Audienz bei der Königin erscheinen solle.

Es waren für mich höchst interessante eineinhalb Stunden, die die hohe Frau in anregendstem Gespräche mir zu widmen geruhte. Eine Frau, gütig, klug, liebenswürdig, von feinem sozialen Empfinden beherrscht, ist Königin Elisabeth von Rumänien diejenige, von der für das ganze Land die Initiative werktätiger Hilfe in modernem Sinne ausgeht, und nach kurzer Zeit, die man in dem Bann der Persönlichkeit Carmen Silvas steht, findet man die Begeisterung begreiflich, die ihr aus allen Schichten der Bevölkerung entgegengebracht wird. Die Königin versteht ebenso gut zu fragen als zu sprechen, und mit großem Geschick steuert sie die Konversation, die die hervorragendsten Punkte des modernen Frauenlebens berührte: Mädchenhandel im Zusammenhang mit Erziehungsfragen, Frauenkleidung, Frauenstimmrecht, Mutterschutz, Wohlfahrtseinrichtungen jeder Art, Abolition, Alkoholismus und vor allem die Judenfrage. Wenn die Königin Einfluß auf die Politik hätte, die vorläufig in Rumänien wie anderwärts ein Reservat der Männer ist, dann würde den rumänischen Juden sicher mehr Gerechtigkeit zuerkannt werden. In den sozialen Einrichtungen, die der Initiative und dem Einfluß der Königin unterstehen, duldet sie keine soziale Unduldsamkeit. Ihre Lieblingsschöpfung ist das Blindenheim »Vatru luminoasa Elisaveta«, die zukünftige Blindenstadt. Bis heute fanden 153 Blinde Aufnahme, darunter 17 jüdischer Konfession, und drei jüdische Blindenlehrer unterrichten. Die Königin selbst sagte mir, daß diejenigen jüdischen Blinden, die Wert darauf legen, aus einer jüdischen Restauration beköstigt werden.

Bei dem, wie die Königin selbst sagte, »brennenden Interesse«, das sie längst den verschiedenen Teilfragen entgegenbrachte, die in der Bekämpfung des Mädchenhandels zusammenlaufen, glaube ich zuversichtlich, daß die Petition des jüdischen Frauenbundes der äußere Anstoß gewesen sein wird, daß man sich auch in Rumänien offiziell zur Bekämpfung des Mädchenhandels bekennen wird, und wenn ich auch immer wieder hören mußte, wie zu unserer Schande, Juden an dem Markte beteiligt sind, so dürfen wir jüdischen Frauen auch mit einer gewissen Befriedigung konstatieren, daß wir anfangen auf dem Wege der Bekämpfung des Mädchenhandels Erfolge zu erringen, indem wir unerschrocken für Recht und gute Sitten eintreten.


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