Oskar Panizza
Das Liebeskonzil
Oskar Panizza

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Fünfter Aufzug

Erste Szene

Rom. Ein Saal im päpstlichen Palast, der zur Privatkapelle des Papstes umgestaltet ist; zur Rechten (von der Bühne aus) ist an der Wand ein temporärer Altar errichtet, an dem ein Priester amtiert; zur Linken, bis gegen die Mitte der Bühne reichend, stehen Armsessel, zum Teil mit Betpulten davor, auf denen der Papst mit seiner Familie, darunter Cesare und Lucrezia Borgia, die Vanozza und Julia Farnese mit den Mitgliedern des heiligen Kollegiums, Bischöfen und Erzbischöfen, Almoseniern, dem Zeremonienmeister Burcard, dem Kapitän der päpstlichen Garde und anderen zum unmittelbaren Gefolge des Papstes Gehörigen, Platz genommen; zu äusserst links, hinter den Stühlen, stehen dichtgedrängt und ohne das Ende des Saales auf dieser Seite erkennen zu lassen, teils Geistliche, teils niedere Beamte des päpstlichen Hofstaates und ganz hinten auch etliche von der Dienerschaft, welche alle mit grösserer oder geringerer Aufmerksamkeit der heiligen Handlung folgen. Von einem unsichtbaren, höheren Chor zur Linken herab tönen, dem Gang der Messe folgend, in Ermangelung eines Singchores, die larmoyanten, morosen Töne einer gedämpften Orgel. Erleuchtet wird der ganze Raum lediglich von den vier grossen Kerzen, die am Altar brennen, so dass die entfernter gelegenen Teile in Halbdunkel gehüllt sind. Im Hintergrund befindet sich ein einziges grosses Portal, welches offen steht.

Priester am Altar den man längere Zeit hantieren gesehen und flüstern gehört hat, nachdem ein kurzes Präludium auf der Orgel beendet ist. Hoc est enim Corpus meum. – Das Flüstern und Zischeln geht weiter. – Hic est enim Calix Sanguinis mei, novi et aeterni testamenti; mysterium fidei; qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionem peccatorum.

Während mitten unter den Zuhörern, die teils knien, teils stehen, der Papst mit überschlagenen Knien und im Schoss gekreuzten Händen, wie es scheint, gleichgültig dort sitzt, geht unter den übrigen, besonders unter den weiblichen Mitgliedern, ein lebhaftes Plauschen und Austauschen von Meinungen einher, welches von den Rückwärtsstehenden wiederholt durch ein diskretes ›Pst!‹ unterbrochen wird.

Priester am Altar. Hostiam puram, hostiam sanctam, hostiam immaculatam...

Lucrezia teilt aus einer Tüte Konfetti an ihre jüngeren Geschwister aus.

Priester am Altar. Panem sanctum vitae aeternae, et Calicem salutis perpetuae...

Die Jüngeren scheinen sich um die Konfetti zu streiten; einiges fällt zu Boden; sie eilen sich, es aufzuheben; man hört Raufen und Schimpfwörter; Stühle werden gerückt; die Damen benehmen sich um die Kleinen, die Herren mahnen zur Ruhe; der Papst schaut hinüber und lächelt; von rückwärts wiederholte ›Pst – Pst!‹

Priester am Altar, mit lauter Stimme. Per omnia saecula saeculorum.

Die Anwesenden mechanisch murmelnd. Amen.

Cesare ist von seinem Stuhl aufgestanden und begibt sich hinter die Lehne seines Vaters, des Papstes, zu dem hinübergebeugt er sich längere Zeit halblaut unterhält; die Damen fangen ebenfalls unter sich ein halblautes Gespräch an; die Kleinen, wieder beruhigt, molfern an ihren Konfetti.

Priester am Altar, halblaut. Agnus Dei, qui tollis peccata mundi...

Bei diesen Worten ist das Weib plötzlich auf die Schwelle des rückwärtigen Portals getreten. Hinter ihr sieht man eine schwarze Gestalt verschwinden. Sie ist in der gleichen naiv-zauberhaften Attitüde wie oben im Himmel und trägt dasselbe weisse, jugendlich-züchtige Gewand wie damals, von dem eine von der Beleuchtung der Kerzen unabhängige Helle auszugehen scheint. – Die Orgel fällt mit einem Agnus Dei ein.

Priester vollendet. miserere nobis!

Sofort entsteht eine heftige Erregung und grosse allgemeine Unruhe unter allen Anwesenden, deren Blicke starr gegen die Türe gerichtet sind, und unter denen ein bald unentwirrbares Gemisch von staunenden Ausrufen von seiten der Männer, von Verwünschungen von seiten der Frauen hin und her geht.

Priester am Altar, wie oben. Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis!...

Die Unruhe wächst immer mehr; der Gardekapitän ist einige Schritte gegen das Portal zu getreten; die Dienerschaft drängt sich von dieser Seite immer stärker gegen die Mitte des Saales.

Priester am Altar. Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem...

Der Papst ist ebenfalls aufgestanden und schaut starr gegen die Türe, wo das Weib in regungsloser Haltung verharrt; Gruppen bilden sich und pflegen in erregter Weise Meinungsaustausch. Der Zeremonienmeister Burcard ist von hinten vorgekommen, um sich mit dem Papst zu benehmen, der ihm aber kein Gehör schenkt. Man hört die Kleinen schreien.

Priester vollendet und sagt sein Dominus vobiscum! – dessen Antwort: Et cum spiritu tuo nicht mehr vernommen wird.

Man hört jetzt aus der Menge Rufe, wie: ›Wer ist die?‹ – ›Woher kommt die?    – ›Eine Neapolitanerin!‹ – ›Schafft sie hinaus!‹ – ›Halt! Halt!‹ – Man hört die Stimme des Papstes: ›Schonung! Schonung!‹ –

Priester am Altar, wendet sich um, sieht erschrocken die Verwirrung, sagt aber sein Ite missa est!... und erteilt darauf, ohne dass sich noch jemand um ihn kümmert, den Segen.

Das Orgelspiel endet. Alle verlassen nunmehr ihre Plätze und drängen gegen die Türe zu; die Männer zunächst, die Frauen wie zurückgeschoben; der Papst, umgeben von seinem Sohn Cesare, dem Zeremonienmeister und dem Gardekapitän, geleitet das Weib, es vornehm bewillkommnend, unter grossem Nachdrängen von seiten der Männer, unter lauten Ausrufen und Verwünschungen von anderer Seite, etwas gegen die Mitte des Saals. – Der Priester hat sich inzwischen am Altar verbeugt und ist rechts abgegangen; ein Sakristan ist gekommen und löscht vorschriftsgemäss die vier grossen Kerzen aus. – In dem so entstandenen Halbdunkel, in dem das Weib wie magisch beleuchtet herausglänzt, sieht man noch, wie die Männer wie wild gegen die helle Gestalt losstürzen, die der Papst jetzt fest unter den Arm genommen hat, während der Gardekapitän den Degen zieht, Burcard die grossen mächtigen Arme, wie zur Ruhe mahnend, hoch emporhebt, und Cesare wie wütend gegen die Eindringenden um sich schlägt. Die Betstühle werden umgeworfen; man sieht vereinzelt Dolche in der Luft blitzen; im Hintergrund halbersticktes Weibergeschrei: ›He, Hilfe!‹ – ›Ich bin's nicht!‹ – ›Ich bin die Falsche!‹ – ›Waffen!‹ – ›Soldaten!‹ – Man hört Lucrezias Stimme: ›Cesare! – Cesare! – Mio papa! – Zu Hilfe!‹ – Schliesslich drängt die Gruppe mit dem Weib und dem Papst in ihrer Mitte zur Türe hinaus; alles wie wild nachstürzend; die Frauen kreischend zu beiden Seiten ab; – der Vorhang fällt. – Längere Zwischenpause.

Schluss-Szene

Eine Strasse in Rom vor dem päpstlichen Palast. Trübe, nasskalte Morgendämmerung; an einer Ecke ein tief herabgebranntes flackerndes Öllicht. – Totenstille.

Eine Türe am päpstlichen Palast öffnet sich leise und heraus tritt das Weib, die Röcke knapp zugebunden, die halb entblösste Brust vor der Kälte schützend, mit verwirrten Haaren und hohläugigen Blicks, übernächtig und abgeschlagen; macht die Türe leise hinter sich zu; schlürft einige Schritte vorwärts: sie hat zweierlei Pantoffeln an, beide zu gross; in den Ohren und am Hals reichen Brillantschmuck; schaut sich scheu und vorsichtig um; da bricht der

Teufel der bis dahin ungesehen längs einer Dachrinne im Schatten gestanden, hastig hervor, auf sie zu, gebieterisch Jetzt zu den Kardinälen! Dann zu den Erzbischöfen! Dann zu den Gesandten! Erst zu den Gesandten der italienischen Staaten; dann zu den fremdherrlichen Gesandten! Dann zum Camerlengo! Dann zu den Neffen des Papstes! Dann zu den Bischöfen! Dann durch alle Klöster durch! Dann zu dem übrigen Menschenpack! – Tummle dich und halte die Rangordnung ein! – Weib langsam ab.

Der Vorhang fällt.


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