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Nees war, wie uns bekannt, ein vorsichtiger, verschlagener Wechsler, und wußte die Personen, mit denen er sich einließ, gut zu beurtheilen, und hatte auch für ganz Holland und Niederland ein gutes Gedächtniß, wenn es galt, die Handelshäuser mit ihren Unternehmungen zu beurtheilen, die er immer geneigt war, auszuhorchen – aber Nees war ein elender Politiker und hatte nur ein paar Ansichten erhascht, die er mit kurzsichtigem Eigensinn festhielt und an die er als ganz untrügliche glaubte. Nun hatte er grade jetzt ein bedeutendes Kapital zu einer portugiesischen Anleihe hergegeben, welche ihm große Zinsen einbrachte und ihm als eine äußerst weise Maaßregel erschien, besonders da sie nur unter der Hand und ganz im Geheim betrieben wurde.

Der Friede mit Portugal stellte dies Geschäft plötzlich in das zweideutigste Licht. Die Zinsen hörten ganz auf – des Kapitals ward gar nicht erwähnt und schien bei der Finanzkrisis des Landes sehr bedroht – ja, in der Art, wie er zurückgewiesen wurde, erkannte Nees mit einem Male zu seinem nicht geringen Schrecken, daß er sogar in ein Unternehmen verwickelt gewesen, das er vielleicht nicht einmal eingestehen durfte, angefangen zu haben, noch weniger den Schutz der Staaten dafür fordern konnte, da ihm seine Schuldner schon die Frage entgegen warfen, wie er als Bürger Hollands dazu gekommen sei, den Feind desselben mit Geldmitteln zu unterstützen.

So lange das Geschäft einen ungestörten Fortgang gehabt, hatte Nees sich heimlich mit seiner Klugheit gespreizt, denn an die moralische Zulässigkeit desselben waren ihm keine Zweifel gekommen, da er bei den schon vorhandenen, nicht sehr weit getriebenen Bedenklichkeiten seine Ansichten über Handelspolitik so erweitert hatte, daß eigentlich nur noch die Fragen: Vortheil, Gelingen und Sicherheit über die Zulässigkeit entscheiden durften.

Nun war es ihm nicht unbekannt geblieben, daß dies Geschäft, welches durch verkappte Agenten und unter andern Vorwänden eingeleitet ward, von den besten und ehrenhaftesten Kapitalisten mit der Miene stolzer Verachtung abgewiesen worden war. Nees, der aber ihre höheren Bedenken nicht verstand, hielt sich blos für klüger und ging mit wahrer Schadenfreude in dies unsichere und unrechtliche Geschäft ein, hielt sich durch sehr pomphaft ausgestellte Papiere unter Garantie des Ministers mehr wie gesichert und genoß kurze Zeit den hohen Zins-Zuschuß mit ungemeiner Befriedigung.

Jetzt also hatten die Zahlungen aufgehört, und Nees versäumte nicht, sich an die vermittelnden Agenten zu wenden, und damit stellte sich die Sache sogleich in ihrem ganzen wahren Lichte heraus.

Um den Frieden zu bewirken, waren die Minister, welche jene Anleihe garantirt hatten, in Ungnade entlassen und alle ihre Schritte, so weit dies irgend zu treiben war, ihrer eigenen Verantwortlichkeit zugeschoben worden.

Die dadurch ganz rein gewordene Regierung konnte nun ohne Rücksicht für die Vergangenheit thun und lassen, was sie wollte, und der Frieden war in einer Weise abgeschlossen, welche alle früheren Hemmungen aufhob und die ganze bisher befolgte Politik umwandelte. Die Antwort, die Nees auf seine Forderungen erhielt, war, daß man ihm die Papiere, auf welche er sich dabei stützte, ohne weitere Beachtung zurücksendete, und ihm bemerkte, daß die Verantwortlichkeit des früheren Ministeriums zu einer Privatsache geworden wäre, über die sich die gegenwärtige Regierung jeder Entscheidung enthalten müßte. Nun stellte sich dabei auch vollständig heraus, daß Neesens Papiere keine höhere Autorität als eben die der abgesetzten Minister besaßen, von deren Handlungen die nachfolgenden keine Notiz zu nehmen hatten und sich überdies der Nachweis einer solchen Anleihe in den ministeriellen Akten nicht sollte auffinden lassen, der Herr Jakob van der Nees also mit seiner ganzen Forderung, als mit einem Privatgeschäft, an die nunmehr in Privatleute verwandelten Minister verwiesen war.

Diese Zurückweisung geschah um so rücksichtsloser, da ihnen ihre vortheilhafte Stellung gegen einen Bürger, welcher die Feinde des Vaterlandes bei der Verwicklung eines Krieges mit demselben mit Geld zu unterstützen im Stande war, einleuchtete, da seine Handlung, wenn sie durch fortgesetzte Beschwerden zu einiger Oeffentlichkeit kam, ihn wenig besser, als in die Kategorie der Landesverräther stellen mußte. Ihre Antwort enthielt, wie schon erwähnt, diese Meinung auch ziemlich rücksichtslos; ja, es war eine großmüthige Warnung hinzugefügt, ein mitleidiges Versprechen, von dieser Handlungsweise keine Anzeige an die Staaten von Holland machen zu wollen und die Warnung setzte hinzu: daß er sich ruhig verhalten möge, damit nicht durch seine eigene Unbesonnenheit sein unredliches Verfahren gegen das Vaterland an den Tag gebracht werde.

Man denke sich Nees nach diesen Auseinandersetzungen. Die Gicht war wie verschwunden – er brüllte und hoppste wie unsinnig umher, ehe er zu einem Entschluß kommen konnte, ohne die Schmerzen der Gicht dabei zu fühlen und vielleicht hörten sie grade deshalb auf – es ward eine Kur für die gesteiften Glieder – der gewöhnliche Prozeß der Natur bei allen Gemüthsexaltationen.

Voll Erstaunen fand Caas das Bett leer, als er kam, den Herrn wie gewöhnlich zu kleiden und herunter zu führen. Die Magd erzählte ängstlich von dem fürchterlichen Gebrüll, was Nees den Tag vorher und die Nacht getrieben, wie er umher gelaufen ohne alle Hülfe von einem Koffer mit Papieren zum andern, und sie nicht gewagt habe, ihm in den Weg zu kommen, da er oft an sich selbst die Hand gelegt und sich Kleider und Haar zerrissen habe, und – sie wolle beschwören – auf die Tische gesprungen und wieder dort herumgesetzt, daß Alles gekracht habe.

Jetzt war er mit Tagesanbruch ausgerannt, ohne Suppe, und hatte die Kleider nicht gewechselt und seit gestern früh nichts genossen.

Nees hatte zu spät das rechte Licht über seine Handlung bekommen, und er sah sich in einer Falle gefangen, welcher entschlüpfen zu wollen eben so gefährlich war, als drinnen sitzen zu bleiben. Seine elenden Kenntnisse politischer Konsequenzen hatten ihn in dies Unglück gebracht, und da es ihm unmöglich war, seiner eigensinnigen Beschränktheit und seiner wüthenden Habsucht dies zuzurechnen, so ergoß sich seine Seele in den rachsüchtigsten Flüchen gegen Minister, König, Land, Agenten – gegen Alles, was er nicht selbst war, und sein nächster Entschluß war, nach Antwerpen zu reisen, wo der damals vermittelnde Agent der portugiesischen Minister lebte und ihn für seine Forderungen verantwortlich zu machen.

Es kam aber nicht zuerst ein Fall vor, welcher ihn wittern ließ, daß noch über der käufmannischen Berechnung eine Staatenpolitik geheime Schlußfolgen habe, die zwar, wie er hochmüthig zu seiner Beruhigung annahm, ein dummer, unnützer Wortkram sei, aber doch gelegentlich nicht unwichtig war, zu kennen, und daß dies aberwitzige Zeug, wie er es nannte, der Herr Cornelius Hooft sehr gut inne hatte, und er sich diesen daher, wie er sich rühmte, dazu hielt, ihm seine eigne gesunde Politik mit dem konfusen Firlefanz nachzuflicken.

Zu Herrn Cornelius Hooft stürzte daher Nees in der wahnsinnigen Aufregung, welche ihm seine Befürchtungen gaben – und es war die erste Hand, die den blanken Klopfer der Thür rührte, denn die Sonne fing erst an, die Spitzen der Kirchthürme und die Dächer der höchsten Häuser zu vergolden.

Herr Cornelius war durch und durch ein Lebemann. Er hatte von drei Frauen, die er alle verloren, nur eine Tochter, welche vortheilhaft verheirathet war und im Haag wohnte. Seitdem führte Herr Cornelius das Leben eines feinen Junggesellen, mit allen Comforts des Reichthums und Geschmacks umgeben; von einer wohlgeschulten Dienerschaft gehegt und gepflegt, war das ganze Haus ein Muster stiller und geregelter Ordnung.

Der Pförtner war daher sogleich bereit, sehr ungehalten über das frühzeitige Klopfen Neesens zu werden, und da er ihn in seiner Verwilderung zuerst gar nicht erkannte, wollte er ihn nicht einmal einlassen, da Herr Cornelius eben zu seiner ersten Toilette schritt.

Nun hielt aber Neesens Grobheit immer am längsten gegen Domestiken vor, wenn er brutale Entgegnungen von ihnen erfuhr, und so ließ sich Nees nicht abweisen, sondern wurde selbst so wüthend, daß der Portier nicht noch stärker dagegen sein konnte. Der frühzeitige Larm, der bei der Ruhe der Straßen zu dieser frühen Stunde das ganze Haus durchdrang, erreichte endlich auch das behagliche Schlafgemach des Herrn Cornelius, welches, von grünseidenen Behängen eingehegt und über dem blühenden Garten liegend, so leicht nicht beunruhigt werden konnte. Da nun Nees außerdem in seiner Wuth ein paarmal seinen Namen gegen den Portier genannt, so war es mehr der natürliche Eigensinn grob behandelter Domestiken, welcher sich die kleine Genugthuung verschaffte, Nees toben zu lassen, als die Sorgfalt für den Herrn, die er hinreichend beitrug, zu stören, die ihn immer wieder vermochte, Nees abzuhalten, weil ein solcher Mensch, wie er ihn nannte, nicht berechtigt sei, den Herrn Bürgermeister zu sprechen.

Als Herr Cornelius Hooft erfuhr, was vorging, wurde der Streit natürlich bald beendigt, und Nees rannte dem Leibdiener, der ihn zu holen kam, die polirte, mit köstlichen Teppichen belegte Treppe grunzend und wie ein wildes Thier sich schüttelnd nach, bis zu dem kleinen Empfangssaal, welcher an das Schlafzimmer des Herrn Cornelius stieß, und in dessen marmornen Kamin ein Feuer brannte, vor welchem ein Frühstückstisch mit dem reichsten Silbergeschirr und einigen seidenen Fauteuil's stand, in deren einem Herr Cornelius Hooft in einem bequemen, mit Pelz verbrämten Sammtrock saß, um sich an den feinen Leckereien eines ersten holländischen Frühstücks zu erquicken.

Nun gab es keinen größeren Gegensatz, als beide Männer, wie Nees losgelassen, den Saal durchrannte, um vor dem Herrn Cornelius still zu halten.

An dem Einen war Alles sauber, fein, elegant und mit der Sorgfalt gewählt, die der Luxus allmälig angewöhnt; er sah gesund, heiter und für sein Alter hübsch aus, und der Ausdruck seiner Gutmüthigkeit war angenehm belebt durch seine feurigen, geistreichen Augen und ein kleines sarkastisches Lächeln um den feinen Mund.

Dagegen kennen wir Neesens Bildung und seine Art, sich zu kleiden; aber wie war dies Alles jetzt herabgekommen! Er hatte noch nie einen großen Verlust erlebt – und dieser sollte sogar ohne Murren und Klagen ertragen werden – Leidenschaften hatten ihn seit dem vergangenen Tage unterwühlt – er hatte weder geschlafen noch gegessen noch an seinen Anzug gedacht, offenbar gewaltsam durch seine aufgeregten Leidenschaften die schwere Krankheit der Gichtlähmung überwunden, und war sich dessen nicht einmal bewußt geworden in der Vertiefung seiner Gedanken – genug Nees sah entsetzlich aus, und es wäre eben so wahrscheinlich gewesen, ihn für ein in menschliche Kleidung gehülltes Thier zu halten, als unwahrscheinlich, eine Menschenbildung in dieser Verwilderung zu suchen.

Herr Cornelius überlief die Erscheinung Neesens mit um so größerem Erstaunen, da er ihn zwei Tage früher, noch von der Gicht gelähmt, in seinem Stuhl gesehen, und obwohl das Vorübergehen dieses Zustandes nicht zum ersten Male eintrat, war doch das Ungewöhnliche und Wilde in seinem ganzen Wesen nicht zu übersehen.

»Wahrlich, Nees!« rief er ihm entgegen – »für einen Gichtkranken seid ihr rasch auf den Füßen. Diesmal hat sich das Uebel schneller, als sonst verzogen, doch immer seid ihr dann auch gleich wieder oben auf.«

»Laßt das! – das ist Alles gleich,« sagte Nees – »Unglück macht Beine. Ich glaube, ich war noch gestern früh so steif wie Einer; aber es läßt nach, wenn's sein muß – und an meine Beine habe ich nicht gedacht – die sind von selbst hinterdrein gelaufen.«

»Was? Nees!« rief Herr Cornelius – »habt ihr wirklich Unglück erlebt, was Unglück zu nennen ist? Mein Gott! Floris ist doch gesund?«

»Floris – Floris – « rief Nees ingrimmig, daß dies das größte Unglück sein sollte – »Floris wird nun bald all' ihre Thorheiten einstellen müssen und nicht mehr das Fräulein spielen können. – Floris wird den Tand der vornehmen Sippschaft ablegen müssen und an die Arbeit gehn ohne Gürtelmagd und Laufburschen!« –

Nees weidete sich ein wenig daran, den Herrn Cornelius mit den Drohungen für dessen Liebling zu plagen, da er wußte, seine Beschwerden würden ihn nicht allzusehr betrüben.

»Nees,« sagte auch Herr Cornelius ziemlich ruhig – »kommt erst zu Sinnen. Euch hat wieder irgend eine Iämmerlichkeit unwirsch gemacht. Wenn Floris gesund ist, werdet ihr das Andere wohl aushalten. Setzt euch in einen dieser Stühle und nehmt statt eurer Suppe, die so früh gewiß noch nicht fertig war, diese gute Tasse ächten Mocca.«

»So?« schrie Nees und schlug mit der Faust auf den fein polirten Tisch, daß Alles bebte – »was Nees erlebt, ist Alles nichts – wenns nur der Zierliese, der Jungfer Floris, nichts an hat. Aber diesmal – diesmal geht es ihr mit an den Kragen – diesmal wird sie so gut wie ihr armer, verachteter Vater leiden – diesmal wird sie betteln gehn wie Nees – diesmal wird sie das Joch mittragen so gut wie ihr armer, unglücklicher ruinirter Vater.«

Herr Cornelius wurde nun etwas aufmerksamer. »Nees,« sagte er ernst – »legt eure thierische Wildheit ab und redet dann wie ein gesetzter Mann. Habt ihr Verluste gemacht? Faßt euch doch – ihr macht ja Alles aufmerksam auf euch – ihr seid ja nicht zu retten, wenn ihr gleich durch eure Verzweiflung euren Kredit auf's Spiel setzt.«

Darin lag etwas, was für Nees verständlich war. – Er hielt ein wenig an, dann sagte er, indem er die unglücklichen Papiere hervorzog: »Ja, ja, Herr Bürgermeister – wenn ihr auch sagt, das taugt nichts – dann ist Nees so gut wie ein Bettler und kann anfangen, wo er vor 40 Jahren stand: Packknecht für Andere sein und Gewölbe haben mit fremden Gütern.«

»Ihr übertreibt wieder, Nees!« sagte Herr Cornelius. – »Zeigt doch her – was habt ihr denn? Solch' schlauer Fuchs, wie ihr, wird sich nicht verrechnen.«

»Ja, wenn's die gewöhnliche Rechnung wär',« schrie Nees, auf's Neue seiner Verzweiflung anheimfallend – »aber so – so! Da ist was bei von eurem Fach – das hat der T..... erdacht – da hört mein Rechenerempel auf! Da – da les't! les't und sagt, ob da noch Rath und Hilfe ist, wo solche Höllenbrut einem ehrlichen Mann mit ihrer Schandthat den Beutel ausräumt wie Straßenräuber und Taschendiebe.«

Herr Cornelius schob aber bei dem ersten Blick, den er darauf warf, den einladenden Frühstückstisch mit einigem Ungestüm zurück, und indem er alle Papiere auf einen Büchertisch warf, der im Fenster stand, veränderte sich sein Gesicht jeden Augenblick mehr, und das Schwellen der sehr verrätherischen Stirnader, die das geheime Gefühl dieses sanguinischen Mannes so oft verrieth, trat diesmal, mit drohenden Falten der Stirn verbunden, hervor.

Ohne bis zu Ende zu lesen, warf er plötzlich mit einer Art Abscheu die Papiere von sich, und mit einer auffallend heftigen Bewegung auf Nees zurennend, rief er:

»In diese schmutzige entehrende Geschichte seid ihr verwickelt? Solch' ein elender, verrätherischer Wucherer seid ihr, daß ihr, um diesen erbärmlichen Zins zu gewinnen, den der gemeinste Wechsler unseres Geldmarktes mit dem Fuße von sich stieß, weil er ihn verunehrte – daß ihr dieses ehrlose Geschäft aufnahmt und euch damit den Strick verdientet? Wißt ihr« fuhr er in steigender Heftigkeit fort – »daß ihr nicht allein ehrlos, niederträchtig, wie ein ganzer Schurke gehandelt habt – sondern auch dumm – elend dumm – daß ihr wie ein Schulbube übervortheilt seid und ein Gelächter für eure Gegner.«

»Uebervortheilt!« schrie Nees, die Hände ringend – »übervortheilt, sagt ihr? Und diese Papiere – diese großen Namen – diese Minister – diese Sicherheit!«

»Elender, einfältiger Wucherer!« schrie Herr Cornelius, außer sich vor Wuth. – »Mit dem Fuß müßte ich dich zur Thür hinaus stoßen!« Wüthend warf er die Papiere auf den Fußboden und rief: »Sie beschmutzen die Stelle, wo sie liegen! Weißt du, daß, wenn ich dich verrathen wollte, du aus der Kaufmannsgilde gestoßen würdest und dann den Gesetzen anheim fielest, um als gemeiner Verräther des Vaterlandes gebrandmarkt und mit dem Stricke belohnt zu werden?«

Nees wich zurück – ihm schlotterten die Kniee. – »Aus der Gilde – Herr Bürgermeister – und ein Bettler – und das Alles nichts werth?« schrie er plötzlich, in wahrer Todesangst neben den Papieren hinstürzend.

»So viel werth, daß ihr eurem Gott danken könnt,« rief Herr Cornelius – »wenn ich sie mit der Zange in diesen Kamin werfe, damit jedes Zeugniß getilgt wird, das eure unauslöschliche Schande verrathen kann! Ha – Mensch! warum kamt ihr hierher, um mich zum Vertrauten eurer Büberei zu machen! Wißt ihr nicht, daß es meine Pflicht und Schuldigkeit wäre, diese Papiere aufzugreifen und sie dem hohen Handelsgericht zuzusenden?«

Mit einem wilden Schrei stürzte sich Nees über die zerstreuten Bogen und griff sie hastig zusammen. Furcht und Schrecken vor Herrn Cornelius, dem sonst so milden und gütigen Manne, ließen sein Herz beben, ohne ihm doch sein Unrecht klar zu machen.

»O, gestrenger Herr!« rief er kriechend – »ist es denn wohl so, wie ihr sagt? Ihr habt nicht Alles gelesen – mein Gott! mein Gott! im Handel und Wandel ist doch Alles erlaubt, was sicher ist! Warum soll ich denn gesündigt haben mit solcher Anleihe, wie die großen Staaten – sie oft – unter einander machen!«

Cornelius sah ihn plötzlich an, und ihm kam der Gedanke, daß dieser Mensch wirklich die Größe seines Unrechts nicht möchte beurtheilen können – der Vergleich, den er aufstellte, war die kurzsichtige Ueberredungsformel des gemeinen Wucherers, der von Vaterlandspflichten, von Bürgertugenden und Ehrlichkeit wie von leeren, täppischen Redensarten denkt, die Niemand im Ernst meint.

»Nees,« sagte der edle milde Mann plötzlich etwas gefaßter – »man weiß nicht, ob ihr ein größerer Schurke oder Dummkopf seid. Was ihr sagt, ist reiner Unsinn, und ich will zu eurer Ehre glauben, ihr seid blos dumm gewesen.«

»Aber – eure elende Habsucht hat euch so dumm gemacht – und jetzt straft sie euch! Hab' ich euch nicht immer gesagt: mischt euch nicht in politische Geschäfte? Der kleine Krämer- und Wucherhandel ist euer Feld – da erbeutet ihr allmälig euren Vortheil, aber für größere Geschäfte fehlt euch aller Ueberblick, und in der Politik wart ihr immer ein Narr! Habt ihr je gehört, wenn die Staaten Anleihen genehmigten, daß sie dem Lande zu gut kamen, mit welchem die Staaten in Krieg verwickelt waren? Hatte das nicht die Kugeln gießen heißen, mit denen wir beschossen werden sollten? Könnt ihr das nicht begreifen?«

»Ja, ja, ich begreife!« schrie Nees – »ich begreife! Aber davon steht hier nichts – nein, nein! Das ist hier anders!«

»So wie ihr dem Lande, das mit Holland im Kriege war, Geld liehet, um den Krieg fortsetzen zu können, beginget ihr dasselbe, und seid ein Landesverräther und müßt an den Galgen, wenn Recht und Gerechtigkeit geübt werden soll!«

»Heil'ger Gott – ihr werdet doch nicht?« schrie Nees, vor Herrn Cornelius auf den Knien hinrutschend – »habt doch Erbarmen! Mein Gott – mein Gott! Bettler bin ich schon – Bettler – und noch Strafe – noch an den Galgen – und Alles verloren – das lang besessene Eigenthum! Angela's Vermögen – heil'ger Gott! Liebster Herr Bürgermeister, denkt an Floris – an euern Liebling – an das arme Goldkind! Ihren Vater an den Galgen – und das Kind – denkt! das Kind alsdann! Ach, Gott! ich weiß nicht wohin!«

Mit Abscheu wandte sich der arme Cornelius von ihm. Sein Herz wollte vor Unwillen zerspringen – und jetzt hatte der listige Nees die Saite in ihm berührt, die ihn weich und nachsichtig machen konnte. Wenn er an Floris dachte, sank sein muthiger Zorn zusammen, und Gedanken, wie er ihn wenigstens vor öffentlicher Schande schützen könnte, stiegen in ihm auf.

Nees erkannte sogleich seinen Vortheil. Herr Cornelius war gegen ein Fenster getreten, um sich zu sammeln. Als er die blühenden Bäume des Gartens, den frischen Rasen, die Schönheit und ungestörte Betriebsamkeit der heiligen Natur sah – schauderte sein edles Herz vor der monströsen Verwilderung, in welche allein der Mensch mit seinem freien Willen zu versinken vermag, wenn er sich losreißt aus den Armen des höheren Lenkers. Ein tiefes Erbarmen mit der Schuld und dem Laster drang aus dem unschuldig vollkommenen Leben der Natur zu ihm auf, und er faltete mit feuchten Augen einen Augenblick die Hände und bat Gott um den rechten Ausweg.

Als er sich umwendete, stand Nees wie ein armer Sünder und hielt die gesammelten Papiere in den Händen.

»Gott mag wissen, ob ich Recht thue,« sagte Herr Cornelius – »wenn ich die Hand biete, euren Frevel zu unterdrücken. Doch ich sage euch – nur unter der einen Bedingung, daß ihr diese Schwelle nicht überschreitet, bis das letzte Blatt dieser Papiere, die eure Schande bezeugen, hier in diesem Kamin in Feuer aufgegangen ist!«

Nees wich mit einem Sprunge zurück. »Heil'ger Gott!« schrie er – »verbrennen – all' diese Dokumente, Sicherheiten, Quittungen – Alles so gut wie baar Geld – von einem Königreiche ausgestellt – Alles – Alles soll in dem Kamin verbrannt werden – verloren sein? – Ihr – ihr wollt sagen, es sei nur so viel werth? Ihr könnt nicht helfen zum Gelde – zu meinem und meiner Floris Vermögen?«

»Davon kann nicht die Rede sein!« rief Herr Cornelius. – »Diese Kontrakte sind absichtlich oder aus Leichtsinn so abgefaßt worden, daß für die nachfolgenden Minister keine bindende Verpflichtung darin enthalten ist. Aus der Antwort, die ihr bereits erhalten, muß euch das ja überzeugend klar werden. Ihr hört, daß man euch sagt, dies müsse der Minister als ein Privatgeschäft mit seinem Vorgänger ansehen, da sich nirgends in den Finanzprotokollen des Ministeriums auch nur die Erwähnung einer solchen Anleihe fände – besonders aber auch, da die Papiere, welche ihr zur Bestätigung eurer Forderung eingesendet hattet, jedes officiellen Charakters entbehrten. Merkt es euch also! Der Staat verleugnet eure Forderung und hat alles Recht dazu, aber eben so der Minister, der mit euch kontrahirte. Er natürlich erklärt diese Schuld für Verpflichtungen des Staats, die ihn nichts angehen, und merkt es euch – er hat dazu auch Recht! Beide Parteien aber gehen ungescheut so hart mit euch um, weil beide recht gut wissen, ihr dürft sie nicht verklagen und die Autorität der Staaten anrufen, die euch bei jeder anderen Gelegenheit schützen würde, weil ihr mit der ganzen Sache grade an den Staaten ein Verbrechen beginget. Fühlt ihr nicht, wie verächtlich man euch behandelt? Wie gleichgültig und frostig man die ganze Sache betreibt? Der Feind liebt wohl den Verrath, aber er verabscheut jedesmal den Verräther, und das ist jetzt aus Dummheit und Habsucht euer Fall geworden.

»Und doch, und doch!« brüllte Nees dumpf und schob die Papiere in seine Brusttasche – »und doch werde ich sie nicht verbrennen – ich werde nicht ruhen, bis ich mein Geld habe! Wollt ihr nicht helfen, so fahrt wohl! Ihr habt mich genug beleidigt – geht, geht; ihr seid ein falscher Freund, der hochmüthige Gedanken hat, und den seine feinen Grübeleien dahin bringen, den geringeren Mann zu beschimpfen. Ich aber – ich werde Mittel und Wege finden, mein Recht zu verfolgen, und hier in der Stadt bin ich nicht der Einzige, der so was getrieben – und Einer muß jetzt dem Andern beistehen – und die Staaten, die lache ich aus. Man kennt ihre krummen Wege auch; geht – geht! Nees ist kein Neuling; macht euren Kamin mit was Anderem warm – ich werde aus diesem Brennmaterial hier noch Gold münzen.«

Wüthend stürzte er gegen die Thür. Noch einmal hielt ihn Herr Cornelius am Arm fest. »Ihr seid zu unvernünftig, um euch helfen zu können; aber eins sage ich euch: verlautet etwas von dieser Geschichte öffentlich, auf den Märkten, an der Börse, im Senat der Stadt – es sei, wo es sei – so zeige ich euch an und fordere eure Bestrafung. Floripes wird dann von euch genommen, tritt unter die Vormundschaft des Oberschulzen und legt euren Namen ab. Ihr wißt, uns steht dazu das Recht zu, und ich werde es ausüben, so wie von dieser entehrenden Geschichte das geringste laut wird.«

»Und ich!« schrie Nees – »ich verbiete euch mein Haus – und kommt nur – und fordert Floris – da werdet ihr an Nees denken! Will man mich zum wilden Thiere stempeln, so soll man sehen, was es für Kräfte hat, wenn man ihm sein Junges rauben will! Jetzt, jetzt, sie süßer Herr Vormund, soll ihr Püppchen, was in Seide und Flor gehen mußte, erfahren, was es heißt, einen Bettler zum Vater haben. Sie – sie soll es jetzt büßen, und wenn's bloß wäre, damit ihr die Angst davon hättet!«

Mit einem wilden Stoß schob er den Herrn Cornelius zurück und setzte mit einem wahnsinnigen Schrei der Wuth um die Thür.

Erschrocken öffnete der Leibdiener des Herrn Cornelius nach einer kleinen Weile die Thür des Salons und entschuldigte sich, als er mit sichtlicher Freude seinen Herrn unverletzt vor sich sah, mit der Furcht, die ihnen Allen Herr Nees eingeflößt, der wie ein Wahnsinniger in großen Sprüngen davon gejagt sei.

Nees aber sammelte in seinem gemarterten Geiste alle Mittel, die ihm noch möglich schienen, um sich zu retten. Er nahm seinen Weg nach den verachtetsten Theilen der Stadt; er kehrte in Spelunken des zweideutigsten Rufes ein, er sah und sprach Menschen, die sich nicht an der Börse zeigen durften und nur durch die dritte, vierte Hand Geschäfte bekamen, die stets das Licht zu scheuen hatten. Er suchte durch sie wieder die Agenten in Antwerpen, die zu derselben verstoßenen Klasse der Handelswelt gehörten, anzuwerben; er beschloß sogar, in seiner Verzweiflung immer weiter getrieben, im Falle dies zu nichts führe, selbst die Reise nach Portugal zu machen, und hoffte dort dreister als hier hervortreten zu können.

Von den Trostgründen und Versprechungen dieser niedrigen Helfershelfer etwas beruhigt, rannte nun Nees gegen Mittag zu Hause. Aber es konnte nicht fehlen, daß es ihn auf's Neue zur äußersten Verzweiflung reizen mußte, als ihm hier ein ruhig begründeter Wohlstand, sogar mit kleinen Versuchen des verbreiteten Luxus, entgegentrat – und es erfaßte ihn die wildeste Erbitterung, ein wüthender Groll, daß er in diesem Augenblicke noch der allein Leidende war, und in seinem Hause noch Niemand gekränkt und in Verzweiflung gestürzt.

Er unterließ daher nicht, mit einer Art satanischer Lust die Stätte, wo sein ahnungsloses Kind noch in ungestörter Ruhe behütet war, so schnell als möglich zu verheeren. Er haßte selbst Floris, die mit ihrem blassen, bekümmerten Gesicht im Hofe unter ihren Blumen saß, bestrebt, ihr Herz und ihren Geist an ihre Reize zu fesseln und unter ihren zarten Wurzeln die kühnen Hoffnungen zu begraben, die sie zwei Tage lang so weit von ihnen weggelockt hatten.

Er lugte erst durch die Thür und stieß einen Fluch des Hasses selbst über sie aus, als er sie noch so ahnungslos sah, und stürzte dann mit so wilder Gewalt in den kleinen Lusthof, daß er hoffen konnte, sie mit einem Male um ihre friedliche Ruhe zu bringen.

»Heiliger Gott! Vater, was ist dir?« schrie Floris, als sie ihn sah und stürzte sich ihm entsetzt entgegen – »ich wußte nicht, daß dir ein Unfall begegnet sei!«

»Ein Unfall!« schrie Nees wild – »einen Unfall nennst du das? Närrin! hochmüthige Närrin!« schrie er und stieß sie unsanfter, als sie es je erfahren, zurück – »Unfall also ist es, wenn dein Vater ein Bettler ist – Unfall also ist das in deinen Augen, wenn dein armer Vater auf seine alten Tage wieder Packknecht werden muß, und Herr Caas gegen ihn ein großer Mann sein wird? Unfall! Unfall! O, der Unfall soll dich zuerst treffen! Fort – fort – mit dem Staat von deinem Leibe – fort! fort mit dem Aufwande in Haus und Hof! Deine Kleider sollen an den Schaumarkt – deine Blumen aus der Erde – für Brot, für Brot sollen sie verhandelt werden. Das Haus soll leer werden, noch heute soll Silber, Teppiche, Betten, Geräthe, Schmuck und alle deine Thorheiten, womit du deinen Vater ruinirt hast, auf einen Haufen geworfen werden, und die Trödler sollen kommen und sollen es forttragen für Brod – Brod sage ich dir, Dirne! Für Brod, das dein Vater nicht mehr kaufen kann! – Und du – mit den Sammthändchen und dem glatten Gesicht – du sollst den Schauer- und Küchendienst thun, denn hier darf es keine unnützen Mäuler mehr geben, die Brod essen wollen – und Herr Caas, der vornehme Herr, der soll die Mauer zu hoch und die Thüren zu dick finden – mein Fräulein braucht keinen Leibdiener mehr! Das trockne Brod, was wir noch zu essen haben werden, kann sie allein einholen!«

Er hätte noch viel länger sprechen können – Floris hatte ihn nicht unterbrochen. Ein namenloses Entsetzen hatte sie erstarrt – aus ihrer weichen Schwärmerei wurde sie zu einer Wirklichkeit geweckt, die alle Grenzen des bisher mit ihrem Vater Erlebten überstieg. Sie verstand es, was wirklich eingetreten war – daß er sie haßte. Er sprang vor ihr herum, und jeden Augenblick glaubte sie, er werde sie erwürgen, denn seine Blicke schossen Pfeile des bittersten Hasses.

Sie wußte nicht, daß grade ihre Unbeweglichkeit ihn so toll machte, da es ihm schien, er könne sie nicht dahin bringen, so sehr zu verzweifeln, als er selbst, und dies hätte ihm die einzige Ausgleichung verschafft. Vielleicht schützte sie vor thätlicher Mißhandlung nur die Dazwischenkunft der Magd und des armen Caas; denn gegen diese nun brach die bis jetzt verhaltene Wuth aus und Beide waren mit Püffen und Schlägen, so viel sie es sich gefallen ließen, und nicht ohne daß er selbst einige zurückbekommen hätte, in kürzester Zeit zum Hause hinaus gejagt – und so fürchterlich war die Angst der armen Floris, als sie sich mit ihrem Vater allein sah, daß sie auf ihre Kniee stürzte, die Hände zu ihm aufhob und mit irrer Stimme rief: »Tödte mich nicht! Laß mich nicht durch deine Hand sterben!«

Aber das war grade, was ihn befriedigte. Er sah jetzt, sie war hinreichend in Verzweiflung – nun unterließ er nicht, ihr auf's Neue das Leben, zu schildern, was anheben sollte, und worin er mit roher Faust alle Freuden des armen zitternden Kindes zerstörte – und endlich, als das Bild bis in die kleinsten Berechnungen fertig war, hatte er das Leben geschildert, was er Gröneveldts Witwe und ihrer Tochter aufgezwungen hatte, und er kehrte mit der thierischen Lust und Befriedigung zu diesem niedrigen Zustand der Dinge zurück, und befand sich jetzt wieder vollkommen auf dem Standpunkt, aus welchem längere als zwanzigjährige Bemühungen ihn nur langsam heraus gelockt hatten, und den er stets gegen Willen und Neigung, bloß als eine Last ertragen hatte. Es war, als ob seine bis dahin in Zwang gewesene Natur, sich nun in ihrer ganzen Wildheit rächen wollte, für das, was ihr so lange streitig gemacht war, und als ob sie höhnisch zeigen wolle, sie sei zu stark gewesen, um jemals in sich verändert worden zu sein, und wolle nun in den alten Schwelgereien die Lust nachholen, die ihr nach und nach versagt worden. – Nees war jetzt der niedrige Geizhals ohne alle Scheu – der Menschenhasser und Neider aller Welt – der mitleidslose Tyrann – der seiner Heftigkeit sich mit Wonne hingebende Wütherich. Und dabei wurde ihm kannibalisch wohl, und als ob er seit jahrelanger Beängstigung zuerst frei wieder aufathme.

Floris war so völlig an Leib und Seele gebrochen, so betäubt, stand vor einem so räthselhaften Greuel, daß ihr Geist ihn nicht fassen konnte, und Nees ihrerseits durch nichts abgezogen wurde, sein ganzes neu erwecktes scheußliches Innere mit Behagen an's Licht treten zu lassen. Dann sprang er mit dem Bescheid fort, daß er das ganze Haus jetzt ausbeuten wolle, um Alles zum Verkauf zu bringen – und gebot ihr sich ruhig zu verhalten, Keinem die Thür zu öffnen, schloß aber dennoch die Thür, die zum alten Purmurand'schen Banketsaal führte, da er diesen zuerst vornehmen wollte, von innen hinter sich zu. Als Floripes das Schloß vorschlagen hörte, stöhnte sie auf und sank ohnmächtig vor ihrem Sitz, auf dieselben marmornen Fliesen, auf denen sie einst, von der Liebe einer Mutter geschützt, ihre unschuldigen Tänze aufgeführt hatte.

Caas war indessen, nachdem er die schreiende Magd zur Ruhe verwiesen, überzeugt, Nees habe den Verstand verloren und werde Floris umbringen, zu Herrn Cornelius Hooft gestürzt, um seine Hülfe für das arme verlassene Kind in Anspruch zu nehmen.

Herr Cornelius war nun keineswegs unthätig geblieben. Er hatte unter der Hand zu erfahren gesucht, was für Gerüchte über Nees zirkulirten und wenigstens den Trost bekommen, daß noch nichts der Art über ihn verlautete, also seine Helfershelfer, wahrscheinlich klüger als er, die Gefahr der Sache eingesehen hatten. Ueber Floris war er dabei ziemlich besorgt, und überlegte mehrere Male, welchen Werth er nöthig habe auf Neesen's Hausverbot zu legen, da er sich sehnte dem armen Kinde seinen persönlichen Schutz zu gewähren, als ihm Caas gemeldet wurde und er auf dem Gesicht dieses ehrlichen Burschen sogleich eine Hiobspost stehen sah, welche ihn in heftiger Unruhe aufspringen ließ, um Caas zum Reden zu bringen, ehe der arme Bursche, der seine Beine nicht geschont hatte, nur Athem dazu fand.

Nachdem er den treuen Bericht angehört, zweifelte auch er nicht, daß Nees könne den Verstand verloren haben, und der Gedanke, daß Floris ohne alle Hilfe mit diesem Wütherich allein sei, entsetzte den armen Herrn Cornelius dergestalt, daß er fast schneller als Caas, sein Barett und seinen Mantel kaum übernehmend, durch die Straßen fortrannte.

Caas und ein Leibdiener folgten, und alle Drei versuchten vergeblich, vor dem alten Hause angelangt, Einlaß zu bekommen, selbst kleine Steine gegen die Fenster blieben ohne Entgegnung – das Gitter, die Thür zum Lusthof, zum Packhof – Alles war fest verschlossen, und kein Zeichen des Lebens ließ sich bei der schärfsten Beobachtung wahrnehmen.

Endlich riß dem armen Caas die Geduld, und so hoch die Mauer des Lusthofes war, mit Hilfe des Herrn Cornelius, der seine kräftigen Schultern ohne Bedenken für Caasens Füße hergab, erkletterte dieser die Mauer, um in den Lusthof hinein sehen zu können.

Der ehrliche Bursche stieß einen lauten Schrei aus, denn seine, in der einen Befürchtung aufgeregte Phantasie, glaubte die Bestätigung vor sich zu haben, da Floris, von der Bank herunter gefallen, durch eine kleine Contusion mit Blut gefärbt, noch auf derselben Stelle am Boden lag, wo wir sie verlassen haben.

»Er hat sie umgebracht!« schrie er verzweifelnd – »da liegt sie in ihrem Blute!« und im selben Augenblick schwang er sich mit der größten Anstrengung über die Mauer und sprang halb fallend in Floris weiche Blumenbeete.

Das fürchterliche Geschrei, was Herr Cornelius vor der Mauer erhob, überwältigte Caas, der zuerst zu Floris hinstürzen wollte – von innen steckte der Schlüssel – er öffnete die Thür und Beide waren im selben Augenblick zu Floripes Füßen.

»Nein! nein! sie ist nicht todt,« schrie Herr Cornelius unter Freudenthränen – »sie ist nicht stark verwundet – sie ist nur ohnmächtig! O Gott! o Gott! was mag sie erlebt haben! Aber ich schwöre es zu Gott im Himmel – es ist das Letzte, was sie in diesem Hause erduldet hat – sie soll nicht länger in der Gewalt dieses Nees bleiben, den man mit Unrecht unter die Menschen zählt.«

Die vertriebene Magd fand sich zur rechten Zeit bei der hilflosen Lage der Männer ein. Caas trug Floripes wie ein Kind auf seinen Armen nach ihrem Schlafzimmer, und hier zeigte sich, wie sie von der Magd entkleidet und in ihr Bett gebracht war, das leise Wiederkehren des Athems; als Herr Cornelius an ihr Bett gerufen wurde, schlug sie, von seiner liebevollen Stimme geweckt, die Augen auf, und wenn ihr auch nur eine unbestimmte Wahrnehmung ihres Zustandes gekommen war, erkannte sie doch Herrn Cornelius, und ein sanftes Lächeln lohnte seine zärtlichen Fragen.

»Ruhe! Ruhe wird ihr das Beste sein!« rief er, sich losreißend – und die Magd mit Befehlen für ihr Verhalten bei der Kranken zurücklassend, eilte er in das untere Haus hinab, um Caas zu beruhigen und sich mit allem Ernst jetzt über den Zustand von Nees Gewißheit zu verschaffen.

Da alle übrigen Räume leer waren, kamen sie immer wieder darauf zurück, er müsse sich in dem alten Purmurandschen Saale eingeschlossen haben, und Caas und der Diener, von Herrn Cornelius ermuthigt, schlugen mit einer Axt das Schloß an der Thür auf.

Das Erste, was Herr Cornelius sah – war das geöffnete, in der Wand befindliche Geldspind des Geizigen – er war nun sicher, auch Nees zu finden.

Als er vortrat, lag Nees zwischen dem großen Tisch und dem Geldspinde auf der Erde – aber er lag nicht allein – auf seinem Rücken – halb zur Seite gefallen – lag die alte Susa. –

Cornelius schauderte und blieb stehen. Was sich bestätigte, als Alle näher traten, ahnte er gleich. Beide waren todt!

Ueber die Art ihres Endes blieb ein undurchdringliches Dunkel verbreitet. Susa verließ fast nie den angewöhnten Winkel hinter dem Kamin in diesem Zimmer. Seit lange völlig geistesschwach, verschlief sie hier in einem bequemen Stuhl ihre Tage; nur zwei Wahrnehmungen behielt sie: für Floripes – deren kleine Hand sie zuweilen strich – und für Nees einen instinktartig gewordenen Haß; denn sie erkannte ihn unter Allen – dann schimpfte sie leise mit dem ihr gebliebenen Wort: Räuber! – und hatte sie etwas in der Hand, was sie zu heben vermochte, warf sie es nach ihm – ja, als er es einmal noch versucht hatte, sie zu necken und ihr dabei ein wenig zu nah gekommen war, hatte sie ihn mit Wuth bei den Haaren gepackt und das Gesicht zerkratzt, und er hatte ihr nur mühsam und übel gezeichnet entkommen können.

Nun war anzunehmen, daß Nees in seiner Wuch die Anwesenheit der alten Susa vergessen hatte und sie mit sich in den Saal eingeschlossen. Er mochte wohl selbst durch neue Ausbrüche von Wuth, deren er sich immer durch die wildesten Bewegungen zu entledigen suchte, ihre Aufmerksamkeit erregt haben, denn die Stühle waren noch verschoben und ließen auf Unruh im Zimmer schließen.

Offenbar hatte Beide der Schlag gerührt – wie sie dabei wahrscheinlich vorher in feindliche Berührung gekommen, blieb unergründlich. Nees hatte einen Sack mit Goldstücken aus dem Geldspinde gerissen – sein Inhalt lag halb verschüttet unter ihm – auch Susa hielt ein Goldstück in der durch den Tod festgeschlossenen Hand. Aber vorzüglich auffallend war es, daß die unglücklichen Papiere, aus denen Nees Gold münzen wollte, zerrissen und zerknittert halb in Susa's, halb in Neesens Händen steckten und ein Theil in Fetzen um Beide her lag. Welch ein Zufall den Kampf grade deshalb unter ihnen erregt, konnte Niemand ahnen.

Achtungsvoll ließ Herr Cornelius die Leiche der alten Susa auf einen Stuhl tragen. »Ehrliches Weib,« sagte er bewegt – »so ist noch dein letzter Kampf unbewußt für die Ehre der armen Familie gewesen, der du dein ganzes Leben geweiht; als habest du geahnt, welche Schande diese Papiere enthielten, hast du sie zerstört und vielleicht um den Preis deines Lebens!«

Nees trug noch als Leiche einen abscheulichen Ausdruck – und noch war sein Gesicht roth und blau – und daß ein Schlagfluß so unnatürliche Aufregungen, als die vorangegangenen, so strafen würde, war nicht auffallend und schon früher zu erwarten gewesen.

Nachdem Herr Cornelius unter den Leichen die Reste der Papierschnitzeln weggezogen und die am Boden zerstreuten Fetzen hatte sammeln lassen, verschloß er diese und das wieder eingesackte Gold und nahm die Schlüssel zu sich.

Sein Bestreben ging nun dahin, diese letzte entsetzliche Katastrophe, welche die Tragödie dieses unglücklichen Hauses beendigte, so milde als möglich an Floris vorüber zu führen.

Ihre vorherrschende Schwäche überzeugte ihn bei seinem zweiten Besuche, daß die Nacht vorüber gehen würde, ohne daß sie den wahren Zustand des Hauses ahnen werde. Er ließ sich von ihr versprechen, daß sie das Bett nicht verlassen wolle, bis er anderen Tages bei ihr eingesprochen, und antwortete ihr auf ihre ängstlichen Fragen nach dem Vater, daß dieser wieder an der Gicht erkrankt sei, jetzt von Caas gepflegt im Bett liege und schliefe und dies erleichterte das arme Kind so sichtlich, daß er sie mit großer Beruhigung verlassen konnte.

Da Herr Cornelius ein paar Waibel der Stadt hatte herbeirufen lassen, und dem Todtenbeschauer wie dem Vorstand des Trauerdienstes die Beerdigung beider Leichen mit Anempfehlung der größten Stille übertragen, hatte er die Beruhigung, daß schon bei Einbruch der Nacht von männlichen und weiblichen Dienern die nöthigen Einrichtungen besorgt waren, und beide Leichen in ihren Sterbekleidern, in ihren Särgen ausgestreckt, dicht nebeneinander in dem alten Saal der Purmurand lagen.

Herr Cornelius stand lange in tiefen Gedanken vor diesen beiden Gestalten, die der Tod vereinigt hatte nach einer Feindschaft, die mit dem ersten Tage ihres Zusammentreffens begonnen, bis zum letzten Hauch ihres Daseins unversöhnlich fortgedauert hatte, und über deren Ende mit einander, vielleicht durch einander, ein undurchdringliches Dunkel schwebte. Aber jetzt mußte Nees schweigend die Nähe seiner Feindin dulden – und in diesem Saal, wo Nees so grobe Sünden gegen Andere begangen, auf diesem Kampfplatz der tiefsten menschlichen Erniedrigung, des härtesten Elendes, was er mit Befriedigung um sich verbreitete – und in dem Augenblicke, wo er mit einem Tigersprunge in den alten Lastern, die er heimlich liebte und erhielt, wieder Fuß fassen wollte, ward dies schrecklich verhängnißvolle Leben auf derselben Stelle beendigt, und über der Quelle aller seiner Laster – dem Golde – hatte er seine entwürdigte Seele ausgehaucht.

»O,« sagte Herr Cornelius tief bewegt – »ist das etwa nicht gerecht? Ist diese Gerechtigkeit nicht überall nachzuweisen, wenn wir von unserm Herzen die kurzsichtige Leidenschaftlichkeit trennen, die unsern Blick trübt und uns die göttlichen Wege verhüllt? Nein, nein, mein ewiger Vater! Du bist schon auf dieser Erde der gerechteste Richter – und wer dich nicht versteht, keucht in seiner sich selbst geschaffenen Gerechtigkeit hin und verfällt zu seiner Strafe in Hader mit der Vorsehung, in Haß gegen das Leben, in Feindschaft mit seinen Brüdern und steift sich in seinem Eigendünkel bis an's Ende einer traurigen Laufbahn.«

Mit dieser kurzen Leichenrede, die Herr Cornelius unwillkürlich dem Andenken des Jakob van der Nees hielt – wollen auch wir sein Leben abgethan halten und uns von ihm zu seiner einzigen Erbin zurückwenden.

Herr Cornelius säumte nicht, andern Tages so früh als möglich die arme Waise zu besuchen, und da er sie blaß und traurig, aber von der Nachtruhe gestärkt, ohne alle Krankheits-Symptome fand, erlaubte er ihr aufzustehen und mit ihm im Lusthofe zu frühstücken.

Er wartete ihrer an der Treppe, und es rührte ihn mehr, als er sich durfte merken lassen, wir er sie schüchtern und von einer Bangigkeit ergriffen, die sie ahnungslos doch fast niederzubeugen schien, die Treppe leise hinabsteigen sah, und, sich ihm mit Thränen in die Arme werfend, zitternd nach ihrem Vater fragen hörte. –

»Er schläft,« sagte Cornelius mit gesenkter Stimme und führte sie an der verschlossenen Thüre des alten Saals vorüber, worin Nees wirklich seinen letzten Schlaf hielt.

Sein Wunsch war nur, ihr erst in der Morgenluft durch etwas Nahrung Kraft zu den Erschütterungen einzuflößen, die ihr nicht erspart werden konnten.

Aber obwohl der Morgen so schön war, daß er jedes unbefangene Herz entzücken mußte, hatte Floris doch keinen Blick dafür. Sie hatte ein schwarzes Kleid angezogen – sie setzte sich gehorsam neben ihren gütigen alten Freund unter die süß duftende Linde und versuchte, eine kleine Stärkung zu nehmen, die ihr so dringend anempfohlen wurde. Aber ihr Athem wurde kürzer – sie schreckte zusammen bei der kleinsten Bewegung im Hause, und als Caas endlich schüchtern mit seinem bekümmerten Gesicht, worauf er ein Lächeln erzwingen wollte, in dem Lusthof erschien – schrie Floripes laut auf – ihr Gefühl brach sich Bahn, und ganz außer sich rief sie: »Was ist hier geschehen – o, ich bitte euch, habt Erbarmen und sagt es mir!«

In diesem Augenblicke sah sie den alten Freund ihrer Mutter, ihren theuren Lehrer und Seelsorger, den guten Herrn Harsens, aus dem Hausflur treten, und indem sie auf ihn zueilte, rief sie zitternd: »O, sagt mir – sagt mir, was ist hier geschehen – wo – wo ist mein Vater?«

»Er schläft den ewigen Schlaf,« sagte Herr Harsens mit fester und ruhiger Stimme – »die Last der irdischen Versuchung, die ihn so elend und unglücklich machte, ist von ihm genommen. Komm, meine Tochter, wir wollen an seiner Leiche beten.«

Wir müssen nun sagen, daß Nees in dem Herzen seiner Tochter den vollen Tribut kindlicher Liebe davon trug; daß sie kein Gedächtniß hatte für irgend etwas, was diesen Gefühlen hatte Eintrag thun können; daß sie trostlos war, daß er sich im Zorn von ihr getrennt, und das ganze Vertrauen, was sie zu Herrn Harsens hatte, dazu gehörte, um ihm glauben zu können, daß ihr dadurch nicht ein bleibender Vorwurf, ein nicht wieder gut zu machendes Unrecht zurückbliebe.

Dies Gefühl war stark genug, um ihr den Tod Susa's, als sie ihn nun auch erfahren mußte, leichter vorüber zu führen, obwohl es den Schmerz der Heimathlosigkeit, der sie überfallen, nur noch verstärkte.

Von der höchsten Sehnsucht getrieben – wie sie es war – fühlten ihre beiden Freunde bald, sie müßten diesem reinen, kindlichen Gefühle vollen Lauf lassen – und erst als sie an seinem Sarge knieen konnte und unter heißen Thränen beten, ward ihr ganzes Wesen aus der Heftigkeit des ersten Schmerzes erlöst.

Es war nicht möglich, wie es Herr Cornelius vorgehabt hatte, Floris sogleich aus dem Hause zu entfernen. – Standhaft blieb das treue Kind als Wache an dem Sarge ihres Vaters und ihrer alten Pflegerin – und wer die flehenden Bitten hörte, die sie an seinen Geist richtete, ihr zu vergeben und sie zu segnen – der konnte nicht ohne Gemüthsbewegung sehen, wie sich die zu Anfang so finster grollenden Züge des Todten nach und nach lichteten und endlich fast ein Lächeln um seinen Mund entstand, welches selbst die Falten von seiner Stirn zu nehmen schien.

»Weiß Gott,« sagte Herr Cornelius zu Herrn Harsens – »sie betet ihn aus der Hölle heraus. Man könnte denken, er habe um dieser Bitten willen Gnade vor Gott gefunden – so verklärt sich diese verwilderte Menschenbildung.«

»Zweifeln wir nicht,« sagte Herr Harsens mit milder Freundlichkeit – »daß, was wir von der Gnade Gottes in unserer beschränkten Sphäre annehmen können, immer von seiner unerschöpflichen Fülle überboten werden wird.«

 

Nachdem endlich die irdischen Ueberreste dieser beiden letzten Bewohner des alten Purmurandschen Hauses zu ihrer ewigen Ruhestätte getragen waren, verließ auch Floris zwischen Herrn Harsens und Cornelius Hooft das Haus ihrer Eltern, um in Urica's Armen die neue Wohnstätte zu finden, die ihr mit mütterlicher Zärtlichkeit geboten wurde.

Indessen ordnete Herr Hooft den Nachlaß des Jakob van der Nees, unterstützt von der thätigen Hülfe des Herrn Harsens, welcher jetzt ein angesehener Prediger bei der Altkirche, der reichsten und angesehensten der Stadt, geworden war und mit einer segensreichen Wirksamkeit ein ansehnliches Einkommen vereinigt fand, wodurch sein häusliches Glück kaum, aber seine Wohlthätigkeit bedeutend vermehrt wurde.

Es zeigte sich, daß wirklich, nachdem auch die zweifelhaften Papiere über die portugiesische Anleihe durch den letzten, geheimnißvollen Kampf der beiden Feinde zerstört waren, nichts Anderes sich darüber vorfand, und nachdem beide Männer diese schauererregenden Fetzen verbrannt hatten, mußten sie sich eingestehen, daß damit auch zugleich der größte Theil von dem so lange zusammen gewucherten Vermögen des Geizigen verschwunden war – und wie diese Ueberzeugung, die er wohl nicht von sich abzuhalten vermocht haben werde, ganz dazu gemacht gewesen sein mußte, seine letzten Stunden mit allen Qualen, die er zu leiden vermochte, auszufüllen und ihm endlich den Tod zu geben in der maaßlosen Aufregung seines Gehirns. Alles, warum er gesündigt und sich und Andere zu Kummer und Elend verdammt hatte, schwand in den letzten Stunden seines Lebens dahin – und der Fluch Gröneveldts, den er so oft gehört zu haben glaubte, hatte ihn auf derselben Stelle todt zur Erde gestreckt, wo er einst den feierlichen Eid geschworen, seinen Verlassenen ein Schutz zu sein und ihrem Eigenthume ein treuer Verwalter, und woran er zum Meineidigen geworden war.

Der baare Bestand, die Juwelen, endlich der beabsichtigte Verkauf des Hauses mit seinem Inventarium gab eine Summe, deren Zinsen Herr Cornelius mit eifersüchtiger Liebe zu verwalten beschloß, und da Floris vorerst an der Seite ihrer Tante geborgen war, konnte diese kleine Revenue, gut benutzt, sich noch mit der Zeit vermehren.

Da Herr von Marseeven Obervormund war, aber nach dem Tode seiner Gemahlin sich den Geschäften entzogen und seine erschütterte Gesundheit auf einer Reise mit seinen Töchtern herzustellen suchte – fielen all' diese Pflichten den beiden andern Vormündern, den eben genannten Ehrenmännern zu, und wurden von ihnen bis auf die kleinsten Umstände hin erledigt. Ein Versuch des Herrn Cornelius aber, die Summen der portugiesischen Anleihen zu retten, indem er selbst das Gewissen der zur Zeit kontrahirenden Herrn zu rühren sich bemühte, ihnen den Tod Jacob van der Nees als Folge anführte, und die Rechte der Waise geltend zu machen suchte, blieben bei aller schuldigen Achtung gegen den wohlangesehenen Bürgermeister von Amsterdam, doch mit den früheren Entschuldigungen ohne allen Erfolg.

 

Floripes blieb in dem Hause ihrer Tante, und sie verlebten mit einander, in einer durch Liebe und geistige Gemeinschaft erhöhten Existenz, schöne Tage, in denen Floris – ungestört durch den Einfluß häuslicher Leiden – in ihrer Vervollkommnung vorschritt, und zu der Weichheit, welche ihr die Natur gegeben, mehr Kraft und Bewußtsein bekam, begründete Ansichten, Unterscheidungen, die festzuhalten waren, und wodurch ihr Verstand in ein richtigeres Verhältniß zu ihren Gefühlen trat.

Unübersehbar war es jedoch, wie Urica im Lauf des Winters in ihrer Lebenskraft herab kam, und wie drohend ihre Auflösung heran nahte. Auch konnten die erfahrenen Freunde, zu denen vor Allen Hooft und Harsen's gehörten, sehr wohl fühlen, wie Urica ihre Auflösung nunmehr erwartete, und wie all' ihre Anordnungen sich auf diese ihr immer näher rückende Periode bezogen.

Sie wünschte nicht, daß Floris und Orla nach ihrem Tode in das große Haus der Marseevens übergehen sollten. Floris Vermögen war jedenfalls zu so vornehmen Angewöhnungen zu gering; und Orlas Vermögen schien ihr so ganz in Frage gestellt, daß sie auch von ihr die Bedürfnisse des Luxus abzuhalten wünschte. Ueber diese Bestimmungen sprach sie auch mit Floris, und sagte ihr, daß sie wünsche, Orla und sie in das Haus des guten Herrn Harsens übergehen zu sehen. Herr Harsens hatte beide Töchter verheirathet; er und seine musterhafte Gattin bewohnten ein schönes geräumiges Haus, worin die gebildete Sitte Beider eine edle Eleganz geschaffen hatte, wie sie aber nicht die Grenzen überschritt und nur mit der angesehenen Stellung eines Pfarrherrn bei der ersten Kirche der Stadt übereinstimmend war. Hier konnten die jungen Mädchen in dem ehrenhaftesten Schutz, in ähnlichen Gewohnheiten ungefährdet leben, bis ihre anderweitigen Verhältnisse sich Vertrauen einflößend gestaltet haben würden.

Urica fürchtete gegen Ende des Winters, sie werde Harrys Rückkehr nicht mehr erleben, und sie vertraute ihren Freunden den Wunsch an, daß Orla so lange bei Herrn Harsens bleiben möge, bis ihr Bruder vermählt und den bestimmten Verhältnissen desselben zu vertrauen sei. Ihr Herz blieb hier stets in Bezug zu Floris von großen Zweifeln bewegt.

Herr Cornelius Hooft war ein schlechter Rathgeber dabei. – Er war immer für heirathen, glücklich machen – und wenn Floripes ein wenig blaß oder schwermüthig aussah, hätte er ihr die Wünsche, an denen er fürchtete, daß ihr Herz hing, vom Himmel herunter holen mögen. Auch hatte er immer einen Grund, der sich längst bei Urica geltend gemacht und den sie eben nicht hören wollte, nämlich: wie sicher dann Orla's Schicksal war, wenn sie eine solche Schwägerin fand, und daß dann diese Kinder sich nicht zu trennen brauchten.

Herr Harsens, als zweiter Rathgeber, kannte die Verhältnisse zu wenig, um sich eine Ansicht zu erlauben; er sagte nur: wenn man von der Ehe etwas fordern wolle, müsse man zuerst berücksichtigen, ob die Herzen sich gefunden – und da könne – Trennen – auch eine Sünde werden.

Herr von Marseeven blieb aber den Winter aus, da er bei einer seiner Töchter in Venedig kurze Zeit lebte. Sein Rath war der ausreichendste, der, welcher den meisten Ueberblick mit der größten Menschenkenntniß vereinigte – aber er fehlte Urica.

Dazu kam, daß sich schon in dem ersten Jahre Misshelligkeiten zwischen England und den Staaten einstellten, die es wahrscheinlich machten, daß diese eifersüchtigen Rivalen des Meeres, sich über kurz oder lang die Stirn bieten würden; und Urica, die trotz ihrer stolzen Zurückgezogenheit in jeder ihr beliebigen Verbindung mit den hohen Autoritäten des Hofes und Staates blieb, schöpfte darüber aus den sichersten Quellen Nachrichten, welche ihr auch über Williams ferneres Verbleiben in holländischen Diensten große Bedenken gaben – da es ihn zuletzt ganz außer Dienst, oder in feindliche Verhältnisse zu seinem Vaterlande bringen konnte.

Zwischen diesen Sorgen machten die Briefe aus Frankreich von Harry und William die wohlthuendste Unterbrechung. Nicht allein wirkten die Anregungen des fremden Landes mit seinen großartigen Verhältnissen, die sich alle durch den König an seinem glänzenden Hofe vereinigten, so belebend und kräftigend auf Beide – es lag auch in dem Zusammensein der jungen Leute, die wünschenswertheste Wechselwirkung.

William's offenes vertrauensvolles Gemüth, das feurige Leben, was ihn durchströmte, die Glut der Phantasie, die unerschütterliche Heiterkeit, die in der eisernen Festigkeit seiner Gesundheit ruhte – dies Alles riß Lord Harry mit fort; es gab ihm einen Theil seiner verlorenen Jugend zurück – und immerfort von den heiteren Voraussetzungen William's aus sich heraus getrieben, lernte er die Fähigkeit der Heiterkeit erst in sich verstehen, und sie war zu natürlich, um ihn nicht mit einem Gefühl von Gesundheit und Lebensmuth zu erfüllen, in welchem sich schnell die edelsten Kräfte dieses jungen begabten Mannes zeitigten.

Wenn Urica diese schönen Briefe empfing und aus ihnen Alles herauslas, was wir eben mitgetheilt, dann sagte sie oft sinnend zu sich: »Warum sollte ich ihm nicht vertrauen? Warum das Glück dieser Herzen stören, da ich in so kurzer Zeit die Fehler, die mich beunruhigten, von einer ganz neuen männlichen Entwicklung überragt sehe?«

Wenn dann diese Briefe zu Floris übergingen und immer und immer wieder von ihr gelesen wurden – dann begegneten sich oft die Augen dieser schönen aufrichtigen Seelen, und die entzückte Frage in Floris Augen fand eine tröstliche Antwort in Urica's sanftem Blick.

 

Gegen Anfang des Frühjahrs erhielt Urica von der Königin von England durch Harry mehrere Briefe, worin sich eine Einlage befand an ihre Tochter, die Prinzessin von Oranien, die Mutter Wilhelms des Dritten. Da aber die Bedingung einer sicheren Einhändigung dabei war, schrieb Urica der Prinzessin, mit der sie in freundschaftlicher Verbindung stand, und befragte sie um die Art, wie sie dieselbe zu empfangen wünschte.

Sie bekam die Antwort, daß die Prinzessin selbst mit ihrem Sohne nach Amsterdam kommen werde, da sie beschlossen, die Staaten zu bereisen, um ihren Sohn – den die Stimme des Volks immer entschiedener in seine alten Rechte zurück berief, und dem de Witt eben so wie die hochmögenden Herrn der Städte schon den Rang eines General-Kapitains von Holland übertragen und einstimmig die Ausschließungsakte aufgehoben – durch seine persönliche Gegenwart der endlichen Entscheidung näher zu bringen.

Dies unterbrach auf eine für die jungen Mädchen höchst beschäftigende Weise die Einsamkeit des stillen Jagdhauses; denn die Prinzessin besuchte Urica selbst und stellte ihr den schönen zwölfjährigen Prinzen vor, der, bestimmt, eine so große Rolle in zwei gleich bedeutenden Ländern zu spielen, schon jetzt den Stempel eines erhabenen Sinnes, einer ungewöhnlichen Charakteranlage und eines Scharfblicks zeigte, der von der lebhaftesten Wißbegierde unterstützt wurde.

Während die Prinzessin und Urica sich die Mittheilungen machten, welche keine Zeugen duldeten, durchstrich der Prinz mit den beiden jungen Mädchen den Garten und ward nicht müde, sich die verwandtschaftlichen Verhältnisse derselben erklären zu lassen, und wußte sie zuletzt auswendig, und erzählte sie seiner Mutter, als die jungen Leute zurückberufen wurden, mit einer Klarheit, daß die Prinzessin lachend zu Urica sagte:

»So ist er mit Allem, liebe Marquise! Sie bekommen ein Pröbchen seiner Gründlichkeit – aber auf diese Weise behalt er auch Alles, und wir können, denke ich, die Zeit Beide nicht erleben, wo er es vergißt.«

Der Prinz lächelte, was seinem ruhigen Gesicht sehr schön stand; dann äußerte er den frühreifen Gedanken, daß Alles, was man nur halb und unvollständig wisse, den Geist beschwere und nur der vollständige Besitz eines Begriffs ihn klar erhielte.

Darauf sagte die Prinzessin, plötzlich in officiellen Ton zu dem wahrscheinlichen Statthalter der Niederlande übergehend:

»Hoheit! wir haben der Marquise von Montrose, unserer und unserer Mutter Freundin versprochen, nach ihrem Tode, von dem wir hoffen, daß er fern sei – über das Schicksal dieser jungen Mädchen wachen zu helfen und sie der Macht und dem Schutz Eurer Hoheit empfehlen zu wollen.«

»Wenn,« sagte der Prinz sich verbeugend – »ich je zu Macht und Ansehn gelange, so werde ich dieses Besuchs und dieser beiden Fräulein nicht vergessen, und wenn ihnen Schutz nöthig wird, soll ihnen der meinige, wenn er weit genug reicht, hilfreich werden zu können, niemals fehlen – und als Cavalier darf ich ihn ja jedenfalls geloben.«

Dies war der letzte Vorfall, der Urica mit dem äußeren Leben in persönliche Berührung brachte. Nach diesem Besuch bekam sie ein sehr höfliches Schreiben des Herzogs von Hamilton, worin er ihr die Vermählung des Grafen von Laneric mit der Lady Jane Graham anzeigte und zugleich meldete, daß die jungen Eheleute vorerst nach Spanien auf den Gesandtschaftsposten des Grafen von Laneric abgegangen waren und wahrscheinlich bis zu seinem Tode, der den Grafen dann als Haupt der Familie nach England rufe – dort verbleiben würden.

»Wieder ein Hinderniß weniger!« sagte Urica – und ihr Blick fiel mit der Wärme der Hoffnung auf Floris, welche dem Frühling, der auch Harry aus Frankreich zurück bringen sollte, mit einer so überschwenglichen Beseeligung entgegen ging, daß Urica nicht ohne Berührung davon blieb und mit ihr zu wünschen begann, daß die Befürchtungen, die sie genährt, alle sich auflösen möchten.

Weiter enthielt der Brief des Herzogs von Hamilton eine feine Andeutung, es könne besser sein, daß der junge Engländer, der Pflegesohn der Lady Urica, lieber jetzt in vaterländische Dienste überginge, da die Verhältnisse beider Länder noch freundschaftlich zu nennen wären, und Urica sah darin die Nachrichten ihrer Landsleute bestätigt, die einen langen Frieden beider Länder nicht mehr möglich hielten. Der Herzog wiederholte dabei seine Anerbietungen für William und konnte die Aeußerungen der Theilnahme nicht ganz unterdrücken, die ihm die Person des Jünglings eingeflößt.

»Also dessen Schicksal drängt sich auch nach England hin!« sagte sich Urica – »und mir kommen noch in den letzten Tagen meines Lebens all' diese Umstände näher, als forderten sie meine letzte Entscheidung.«

Sehr erleichterte sie die Ankunft des Herrn von Marseeven, da sie schon nicht mehr das Bett zu verlassen vermochte, und in seine Brust legte sie all' ihre Besorgnisse, all' ihre Wünsche, alle Beschlüsse nieder, welche sich auf die Lieblinge ihres Herzens bezogen. Die ruhige, würdige Haltung ihres Verwandten bürgte ihr für eine gewissenhafte Prüfung aller Umstände, sein großer Geschaftsüberblick, seine politischen Einsichten ließen die ausreichendste Feststellung der äußeren Verhältnisse annehmen, und sie durfte von ihm in allen Dingen das Maaß erwarten.

Gegen ihren Willen betrieb Herr von Marseeven die Rückkehr von Harry und William, da Urica's Auflösung jeden Tag Fortschritte machte, die ihr Ende fast auf Stunden berechnen ließ.

 

Aber sie erlebte ihre Ankunft nicht mehr. Mit dem Frieden und der Freudigkeit einer Heiligen ging ihr reiner Geist von hinnen, und ihre letzten Stunden hatten einen solchen Abglanz ihres Zustandes um sich verbreitet, daß Alle, wie sie den letzten Athem entflohen wußten, in ein stummes, heiligendes Nachdenken verfielen, und der Tod an diesen, von Urica's Geist gesegneten Herzen seinen Pfeil gebrochen hatte.

Als am nächsten Tage, Ulla, die alte Kammerfrau Urica's, die Trauernden in das Sterbezimmer einlud, welches auszuschmücken sie sich allein vorbehalten hatte, feierte Urica's irdische Hülle den letzten Triumph der Schönheit. Schon vor ihrem Hinscheiden hatten Alle, die sie umgaben, das Gefühl gehabt, daß ihre Schönheit wiederzukehren schien. Jetzt hatte der Stolz ihrer Dienerin die Wahrnehmung gesteigert. Das Zimmer war mit Orangenbäumen umstellt, deren Blüthen die Luft mit ihrem Wohlgeruch erfüllten. In Mitte dieses Hains stand in Moos und Blumen der offene Sarg, auf dem die wunderbare Schönheit lag. Seit langen Jahren hatte Niemand mehr die Pracht ihres reichen blonden Haares geahndet – jetzt lag es von der Stirn gescheitelt, vom Haupt bis über die Knie niederfließend, wie ein goldner Mantel von beiden Seiten die zarte Gestalt umschließend. Ein weißes seidnes faltenreiches Gewand deckte den Körper, und unter der Brust lagen die wunderschönen Hände gefaltet, die nicht mehr die kleinen Grübchen zeigten, die Frau von Marseeven einst bewundert, und an deren kleinem Finger der geheimnißvolle Ring der Frauen des Hauses Casambort fehlte, der bereits feierlich durch Herrn von Marseeven an den, auch ihr wie Orla dazu verliehenen, Finger der armen Floripes übergegangen war.

Ein kleiner Reif von Rubinen, den Urica als Braut bei ihrer ersten Vermählung getragen, ruhte über der glänzend weißen Stirn, die von einer Heiterkeit und Verklärung leuchtete, daß nur das lebensvolle und doch so überirdische Lächeln des Mundes noch bezaubernder war. Die Abzehrung des Körpers war bei der Feinheit der Knochen kaum auffallend und gab der ganzen Erscheinung jetzt eine Jugendlichkeit, daß es schien, es sei eine Jungfrau hier in den ersten Stadien des Alters hinüber gegangen.

Alle blieben in lautlosem Entzücken vor diesem herrlichen Bilde des Todes stehen – und Alle knieten in feierlicher Sammlung nieder und der Schmerz ward Andacht.

Da drang der Ton eilender Schritte näher – Floripes erbebte – Orla erkannte mit einem Schrei die fragende Stimme des Bruders, und William und Harry standen unter den Trauernden, und Beide riefen mit allen Tönen des Schmerzes: »Also doch zu spät?«

»Nicht zu spät, um mir uns zu beten,« sagte Herr Harsens – »nicht zu spät, um mit uns in diesem verklärten Angesicht die Seligkeit zu ahnen, die ihr zu Theil geworden! – Auch ließ sie euch, meine jungen Freunde, ihren Segen zurück – ihre Liebe kannte keine irdischen Grenzen mehr – sie war mit euch vereint, als ob sie Raum und Zeit besiegt, und vielleicht habt ihr in eurem Geiste die Anklänge des ihrigen empfunden.«

William warf sich jetzt laut weinend in die Arme seines alten Lehrers, während er Orla fest an sich zog. Als der erste Sturm der Gefühle überwunden war, segnete Harsens die Leiche feierlich ein, und Marseeven und Hooft nöthigten endlich ihre jungen, im Schmerz schwelgenden Freunde das theure Sterbezimmer zu verlassen.

 

Nach der Beisetzung der Leiche folgten Orla und Floripes der Anordnung Urica's gemäß, ihrem theuren Lehrer Herrn Harsens in sein wohnliches Haus, wo ihnen von der trefflichen Gattin eine Stelle bereitet war, die allen Reiz häuslicher Ruhe und feiner geistiger Bildung trug.

William kehrte nicht nach der Marineschule zurück – Lord Harry machte, nachdem jene Verhältnisse durch Urica's und seiner Vormünder Willen aufgelöst waren, seine Rechte auf ihn geltend, und sie waren ihm bereits durch den Willen seiner Stiefmutter zuerkannt. –

 

Nachdem die erste Zeit der Trauer vorüber war, und diese stillen Wochen das Beisammensein der jungen Leute nicht gestört hatten – trat Lord Harry gegen den Obervormund der trauernden Floripes mit seinen Wünschen für sie hervor.

Herr von Marseeven nahm diesen bestimmten Antrag nicht mit Erstaunen und Ueberraschung auf, sondern sagte ihm, daß er ihn vorausgesehen habe, und sobald er des Herzens seiner Mündel gewiß sei, nichts gegen diese Verbindung einzuwenden habe. Doch ließ er den jungen Mann nach dieser Willfährigkeit nicht so schnell aus den Händen, wie dieser es sich wünschen mochte, denn jetzt wollte der Vormund von Floris und Orla, der strenge Geschäftsmann, sein Recht haben, und Harry fühlte bald – Widerstreben werde seine Freiheit nur noch länger beschränken.

Er theilte ihm nun die Verluste mit, die Nees in seiner letzten Lebensperiode erlitten und einen genauen Nachweis des übrig gebliebenen kleinen Vermögens der armen Floripes. Dies erleichterte Harry förmlich. Von ihm sollte dies geliebte Wesen nun Alles annehmen müssen – und der schmutzige Gewinn des Geizigen haftete nicht mehr an ihrer Person.

Als dies abgesprochen war, ging Herr von Marseeven zu Orla's Verhältnissen über und sagte ihm, wie ihr Vermögen von der Redlichkeit des Königs abhinge, und wie außerdem das Testament seines Vaters ihr eine Entschädigung anweise, die ihr die Rechte der Erbschaft, im Fall ihr eignes Vermögen ihr vorenthalten würde, zugestehe. Er nahm zu dem Ende das Portefeuille, welches alle diese Papiere enthielt, um sie gegen gehörige Abschriften und Quittungen in seine Hände zu übertragen. Wir wissen nun, daß Herr von Marseeven das Testament des Marquis von Montrose nicht mehr darunter fand; aber nach der ersten unangenehmen Empfindung, die ihm dies machte, war er geneigt, den Grund dieser Versäumniß in der sehr gewöhnlichen Zerstreuung des Königs zu suchen, und überzeugt, da der König sich diesem Geschäfte selbst unterzogen hatte, wie das eben erst gebrochene Siegel desselben bestätigte, daß er das Testament unter seine Papiere gelegt haben werde, statt es denen des Herrn von Marseeven hinzuzufügen. Er versprach dem jungen Lord, ihm deshalb einen Brief an den König mitzugeben, der ihm die Sache in Erinnerung bringen sollte, deren baldige Erledigung er nicht bezweifelte, da er kein Interesse beim Könige voraussetzen konnte, diese Sache von sich abzulehnen.

Da Harry unter der Autorität des Herrn von Marseeven bei Floripes erschien und die nur gestiegene Neigung Beider ihnen die Schwierigkeiten verschwinden ließ, womit Urica einst ihr Herz beunruhigt hatte, zweifelte Floris nicht langer, Herr von Marseeven habe von ihrer Tante die Einwilligung gehabt, die sie sich sehnte, dem Geliebten ihres Herzens zu geben.

In Wahrheit schien nun eine Ausgleichung aller Verhältnisse einzutreten, die ihnen wie der Segen des Himmels erscheinen mußte, da Orla und William nun eine Heimath fanden, die ihnen keine Trennung von den Personen auferlegte, zu denen sie sich mit allen Banden der Liebe und der Verwandtschaft gehörend fühlten.

Ulla und der alte Diener gingen zu ehrenhafter Versorgung in das Haus des Herrn von Marseeven über; Caas aber, der nicht ohne Schulkenntnisse war und besonders eine schöne Hand schrieb, sollte als Sekretair der jungen Marquise in ihre Dienste treten und ihm damit die kühnste Hoffnung, die er zu nähren gewagt, erfüllt werden.

 

Da die Trauer keine öffentliche Ceremonie zuließ, ward Floripes in einer frühen Morgenstunde in der alten Stadtkirche, von allen ihr noch gebliebenen Lieben umgeben, von ihrem alten Lehrer, Herrn Harsens, mit dem jungen Lord Harry getraut, und nachdem sie den schmerzlichen Abschied überstanden, begaben sich alle nach dem Haag, um sich den Segen der edlen Prinzessin von Oranien zu holen und sich dann in Scheveningen auf einem für Lord Harry bereit gehaltenen Schiffe nach ihrem neuen Vaterlande einzuschiffen.

Als die Anker sich lichteten und die Küste Hollands vor ihren Blicken verschwand, warf Lord Harry, mit Floripes im Arm, einen stolzen Blick auf die drei theuren Menschen, die ihr Glück ihm anvertrauten, und die Verantwortlichkeit, die er dafür fühlte, hob seinen männlichen Muth – er dachte an Urica, und sein Geist erhob sich zu ihr mit dem Versprechen, ihre Liebe in dem Glücke der Ihrigen verdienen zu wollen.

 

Ende.


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