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In Mitte dieser freudigen Aufregung im Mai 1660 finden wir Amsterdam wieder.

Es lag nicht in dem Charakter Karls des Zweiten, sich nach Thaten, oder der Uebernahme ernster Pflichten zu sehnen. Zu spät trat die eigentliche Gelegenheit ein, die Fähigkeiten zu zeigen, die ihm nicht fehlten. Immer wieder zu einem müßigen Leben verdammt, wenn seine Anstrengungen ihn zurückwarfen, hatte sich endlich ganz außer seiner Wirksamkeit das Resultat ergeben, welches ihm mehr gab, als er gewollt – und die Ironie seines Wesens, die Spottsucht, womit er sich für die tiefen, ihm früher schonungslos auferlegten Kränkungen rächte, hatten sein ganzes Wesen so eingenommen, daß er selbst über diesen schnellen Wechsel in den Gesinnungen seiner Landsleute sich des Spottes nicht enthalten und eine Art hochmüthiger Gleichgültigkeit, zu ihnen zurückzukehren, nicht ganz verbergen konnte.

Obgleich daher Lord Montague mit einer Flotte bei Scheveningen vor Anker lag und der König den Herzog von York zum Admiral der Flotte ernannte, beeilte er sich doch nicht, dieselbe sogleich zu seiner Ueberfahrt nach seinem jauchzenden Vaterlande zu benutzen, sondern er hielt im Haag wie in Amsterdam mit aller Gemächlichkeit und guter Laune einen ihm lang nicht zugestandenen Hof, als wollte er eine kleine Vorübung machen, und nahm als eine ganz unerläßliche Höflichkeit seinerseits die Feste an, die man bereitwillig an beiden Orten für ihn veranstaltete.

In dem alten Purmurandschen Hause waren indessen große Veränderungen vorgegangen. Angela hatte schon lange an einer Hinfälligkeit gelitten, die endlich in entschiedene Abzehrung überging, und seit einem Jahre ruhte sie bei ihrer Mutter, und Floripes war allein zurückgeblieben, und hütete die geistesschwache Susa und Nees, ihren Vater, der, grausam von der Gicht verzogen, ein trostloses Leben weiter führte.

Es hatte sich nach dem Tode seiner Frau noch einmal herausgestellt, wie sehr er, so viel dies seine bösen Leidenschaften zugelassen hatten, an dieser ersten Liebe seines Herzens gehangen, denn Floripes mußte selbst ihren großen Schmerz überwinden lernen, um den wahnsinnigen Zustand ihres Vaters, der sein Leben bedrohte, durch ihre Liebe und kindlichen Ermahnungen aufzuhalten.

Seitdem nun war Nees so ziemlich wieder der Frühere geworden, und da das Alter und die Gicht solch' Gemüth nicht zu verbessern pflegt, werden wir ihn nicht liebenswerther wiederfinden.

An dem Abend, wo wir bei ihm eintreffen, scheint er guter Laune – er sitzt im alten Saal in Decken eingehüllt – aber die Gichtschmerzen, die diese Vorsicht veranlaßten, haben nachgelassen. Er hat es gern, wenn an kühlen Abenden, gegen die er empfindlich wird, der Heerd im Hausflur unbenutzt bleibt, und die Abendsuppe im Kamin des Saals gekocht wird.

Dies geschieht so eben von der Magd; denn zu den Widersprüchen die ihn peinigen, gehört, daß er diese gern abschaffte, aber für Floripes weiße, feine Finger und ihre zarte Gesichtsfarbe, einen so anbetenden Respekt hat, daß er sich die Haare ausrauft vor Verzweiflung, daß sich diese Maaßregel der Sparsamkeit nicht anders durchführen läßt, als indem Floripes dann die Arbeit der Magd thäte, da Susa blödsinnig und krank, zu nichts mehr zu gebrauchen ist.

An dem großen eichenen Tisch in Mitte dieses Zimmers sitzt nun Floripes, welche eben sechszehn Jahr geworden ist.

Ob Urica in ihrem sechszehnten Jahre so schön war, wissen wir nicht, da wir sie erst in ihrem zweiundzwanzigsten Jahre kennen lernten; einen Vorzug aber hatte Floripes gewiß, den Urica erst als die Gattin Montroses bekam – den Ausdruck der Milde, den Hauch der Liebe und der harmlosen Güte. Floripes hatte bis zum Verlust ihrer Mutter in einer solchen reinen Atmosphäre gelebt, da diese ihr nah und fern das Böse abgehalten hatte, daß der launenhafte, leidenschaftliche Trotz, der einst Uricas Lippe kräuselte, nie in diesem holden Antlitz Raum gefunden hatte.

Dennoch kannte sie den Schmerz; denn außer dem Krankenlager der Mutter und deren Tode, war sie neben dem Kummer der von ihr angebeteten Tante Urica groß geworden, und ihre frühe Befähigung hatte sie zu einer verstehenden Theilnehmerin dieser Zustände gemacht.

Sie war so groß wie ihre Tante, schlank und gerundet wie eine Hebe. Ihr goldblondes Haar bildete das süßeste Labyrinth von Flechten; nur ihre Farbe hatte noch nicht dies stehende Licht kräftiger Gesundheit, obwohl Kenner ihre zarte Blässe grade bewunderten, und die tiefen dunkelblauen Augen mit den schwarzen Wimpern und Augenbraunen, vielleicht dazu beitrugen, diese Hautfarbe hervorzuheben.

Sie war schön und vornehm gekleidet. Nees konnte zwar nicht mehr hopsen, da seine Beine geschwollen und gekrümmt waren; aber dies so oft zweifelhafte Symptom zwischen Entzücken und Wuth, ersetzte er jetzt durch ein unsäglich widriges Singen und Trommeln mit den Fingern, und wenn er sein Kind in dem Putze sah, den sie harmlos von dem Gelde, welches Herr von Marseeven ihr zukommen ließ, anschaffte, trompetete er mit dem Munde oft so wunderlich, zerklopfte oft die gichtischen Finger so jämmerlich auf Stuhl oder Tisch, daß, wer ihn kannte, das alte Gelüst ihm anfühlen mußte, zu rasen und zu toben.

Auch bei Floripes zeigte sich die göttliche Gabe der Natur, welche die Gefühle schont, die dazu bestimmt sind, die heiligsten Bande unter den Menschen festzuhalten. Floripes kannte jetzt schon alle Sünden ihres Vaters; aber sie hatte keinen Namen dafür, oder nicht den rechten. Ohne Ueberlegung und Rücksicht hatte sie gelernt, ihn zu ertragen, zu schonen, und sich gegen ihn in Vortheil zu setzen, halb scherzend, halb von kindlicher Liebe und sanftem Erbarmen geleitet, dem sie noch häufig das strenge Pathos der Jugend hinzufügte, das so rührend sein kann, wenn es die Erstlingsblüte eines frommen Herzens ist.

Wie ein armer Sünder konnte Nees heulen, wenn dieser leuchtende Engel vor ihm stand und ihn ermahnte, von dem Einen oder Andern abzustehen. Er versprach dann gar kläglich Alles, was sie forderte, und Gott segnete, gegen die gewöhnliche Folge, dies umgekehrte Verhältniß der Autorität, denn Floripes liebte ihren Vater nach solchen Scenen inniger fast, als vorher, that sich dann nur durch die sinnigsten Beweise der Liebe gegen ihn genug, und hielt nur inne, wenn sie sehen mußte, daß er ganz toll vor Freude wurde, da sie diese Art von Lustigkeit, die gemeine Naturen so schrecklich zu Tage fördert, nicht wohl ohne ein Gefühl von Beschämung ertragen konnte, die ihm in ihrer Empfindung fast nachtheiliger zu werden drohte, als die oft ernstere Veranlassung solcher Aufregung.

Neben Floripes saß Herr Cornelius Hooft, welcher eine zärtliche Liebe für dies schöne Kind gefaßt hatte, und gern kam, um sich ihr als Gesellschafter oder ehrbarer Begleiter anzubieten, wenn sie ausgehen wollte, da Floripes nicht die Straße betreten konnte, ohne eine lästige Bewunderung zu erregen, die ihr einen männlichen Schutz nöthig machte.

Heute Abend erzählte Herr Hooft von den Feierlichkeiten, welche zu Ehren des englischen Königs im Haag bereits stattgefunden hatten, und wie der Prinz von Oranien zugleich die Vermählung seiner Muhme mit dem Fürsten Georg von Anhalt gefeiert habe. Floripes hörte mit dem freundlichsten Engelslächeln zu, und hatte immer wieder eine neue Frage über die schöne Braut, ob sie gelächelt oder geweint, wie viel edle Damen im Geleit gewesen wären, und ob Fräulein von Marseeven ihr die Geschenke der holländischen Frauen überreicht habe, und ob man ihre Rede wohl habe verstehen können.

Dagegen erzählte Hooft, wie der König von England die Braut geführt, zuerst mit ihr getanzt und mehr denn einmal den Bräutigam so verdrängt habe, daß es hätte scheinen können, er wäre es – und wie die Braut oft gar ängstlich gethan, dann aber auch wieder habe lachen müssen, um all' der lustigen Einfälle Willen, die der König in seiner guten Laune verschwendet habe, obwohl der Bräutigam oft sehr finster drein geschaut.

»Ich hätte nicht gelacht,« sagte Floripes kurz – »wenn es meinen Bräutigam gekränkt hätte. Ueberhaupt – ich habe für euren König Karl nichts übrig in meinem Herzen! Gut, daß ich nicht die Prinzessin war, – er hätte es schon merken sollen, daß er nicht Recht thut, hier zu schmausen und zu tanzen und sein Volk da drüben am Ufer vergeblich stehen zu lassen, daß es sich die Augen nach ihm blind sieht!«

Nees kicherte vor sich hin – es gefiel ihm sehr, was Floripes sagte, denn er haßte alle Verschwender, und vorerst wußte man nicht viel Anderes über den König zu sagen.

»Ja! ja!« rief er – »meine kleine Floris versieht's schon. – Na, na! die Tasche wird bald wieder leer sein – 50,000 Pfund Sterling haben sie ihm geschickt! Ist es etwa kein Sümmchen für so einen Herrn Habenichts, der jeden ehrlichen Mäkler ausschälen wollte, um neue Mäntel sticken zu lassen, spanischen Wein zu trinken, oder der Lucie Walters die Schuhschnäbel vergolden zu lassen, und ihrem kleinen Monmouth ein Gefolge zu geben, wie einem rechtmäßigen Königssohn! – 50,000 Pfund – wenn's nach den Rechten ginge, so führe kein Schilling über die See – denn hier sind genug, die mehr Recht darauf haben, als der Herr selbst! 50,000 Pfund! Frage doch Tante Urica, ob er ihre Schlösser und Güter, ihre großen Kapitalien eingelöst hat?«

»Vater,« sagte Floripes – »du weißt, die Tante will nicht, daß es in den Mund genommen wird – laß' das doch!«

»Warum denn?« rief Nees eifrig – »Ja! diese Dame Hochmuth will nie in ihrem Leben dumme Streiche gemacht haben – darum – darum soll man schweigen, damit die Leute nicht auf sie und ihren verstorbenen großmächtigen Herrn Marquis Montrose mit Fingern zeigen und sagen können: Hochmuth kommt vor dem Fall!«

»O, Vater!« sagte Floripes, noch viel blasser werdend und den Kopf mit der Hand stützend – »kränke mich doch nicht wieder so sehr! – du weißt ja, von der Tante und meinem armen, lieben Montrose kann ich dich nicht böse reden hören, ohne daß ich weinen möchte.«

»Nun, nun!« sagte Nees unruhig – »du bist's doch nicht, die ich meine! du Närrchen du! wer meint es denn böse mit dir! ich doch nicht? Aber die – die« – rief er plötzlich mit einem Anfall von Wuth, da er sah, wie Floripes schnell ihre Augen trocknete – »die bringt immer Unheil über uns! Was weinst du, mein Kind? Laß' das! laß' das! – das verdienen die Beiden nicht – die mir dein Herz stehlen – die Frau Tante alle Tage – und der Herr Marquis, der – der schon zehn Jahr todt ist, wo du noch ein Kind, ein kleines Kind warst, und weinst noch um ihn! Heil'ger Gott! – dein armer Vater – ich will sehn, ob du weinst, wenn er zehn Jahre todt ist?«

»Seid ihr denn wieder ganz toll?« rief Hooft stark dazwischen – »Das arme Kind hatte schon die Augen getrocknet; aber ihr ruht nicht, bis sie wieder anfängt, ihr unverständiger Mann, der nicht alt werden kann mit seinem hitzigen Blut!«

Nees schwieg und blickte ängstlich zu Floripes hinüber. Hooft sagte, er wolle ihnen nun noch erzählen, was für Feste die Stadt Amsterdam geben werde, und Floripes nickte ihm freundlich zu. Dabei stand sie auf und legte die Decken um Nees zurecht, die sein unruhiges Rutschen und Haben verschoben hatte. – »Vater!« sagte sie mit ihrer klaren Stimme, indem sie ihn mitleidig ansah – »du bist gewiß kalt geworden.«

»Nein, nein! mein Engelchen! Nein – nein,« sagte Nees kläglich und mit weinerlichem Gesicht – »wenn du mir nur dein kleines, seidenweiches, liebes Patschchen ein wenig nur reichen willst.«

Floripes aber sprang auf ihn zu – schlang beide Arme um seinen Hals, und drückte ihn kindlich zärtlich an sich, indem sie ihr wieder erheitertes Gesicht zu ihm überbog.

Hooft räusperte sich ein wenig, oft um seine Rührung zu bezwingen, und fing dann seinen Bericht an. –

Da wurden schon Tempel und Häuser auf der Landstraße gebaut – bei jedem war eine neue Feierlichkeit. Der goldene Wagen, der die junge Maria von England, die Mutter des jetzigen Prinzen, 1642 eingeholt, war neu ausgeschlagen und vergoldet – und diesmal gehörte es zu den sehr neuen Ideen, auf deren Erfindung sich Hooft viel zu gut that, da sie ganz in seinem Charakter als großer Weiberfreund war, und er sie vorgeschlagen hatte, nämlich: die schönsten und jüngsten Jungfrauen der Stadt paarweis zu rüsten, mit weißen Gewändern und Blumen und Bändern, um sie der jungen Prinzessin und dem Könige entgegen zu senden – und die Schönste sollte dem Könige einen Strauß, eine Zweite der Prinzessin einen Kranz bringen.

Das fand nun auch Floripes wunderhübsch ersonnen, ohne zu ahnen, daß der listige Hooft, der wohl die Schönste kannte, sie zu dieser Jungfrau ersehen hatte – sie sagte sogar schüchtern: sie möge wohl zusehen können, irgend wo – doch schwieg sie schnell – denn Nees trommelte gleich stark auf dem Tische.

Dann beschrieb er die kostbaren Geschenke, welche die Stadt zu machen gedachte, und was man für ungeheure Küchen- und Weinvorräthe angeschafft habe; wie viel alle Handwerker zu thun hatten, was an Tuch, Sammt und Seide zu Beschlägen, Polstern und Tapeten verwendet werde und wie viel Dukaten schon an den Vergoldungen verbraucht waren.

Das hörte Nees gern, denn obwohl er sie alle für toll hielt, freute ihn doch der ungeheure Aufwand – er täuschte sich für kurze Zeit dabei mit der Hoffnung, sie würden alle Bettler daran werden, er allein, der keinen Heller dazu hergab, werde der Reiche bleiben und sie nachher Alle ablaufen lassen.

Indessen fingen Nees und Floripes an ihre Suppe zu essen und Hooft blieb noch immer und führte offenbar eine kleine List im Schilde, denn er rühmte den schönen, warmen Maiabend, fragte, ob Floripes schon in der Luft gewesen wäre, und als sie nein sagte, tadelte er dies sehr und meinte, sie sei ihm auch recht blaß heut vorgekommen.

Nees schluckte immer eifriger seine Suppe und guckte immer scheuer nach Floripes auf – er war mindestens so pfiffig als Hooft und merkte gleich, er wolle sie noch hinaus führen – etwa zur Tante oder zur Frau von Marseeven – das litt er nun sehr ungern – und nur die Furcht für die Gesundheit der blassen Floripes lag damit in Streit und überwand ihn zur Nachgiebigkeit gegen solche Zerstreuungen, von denen sie immer kräftiger und nicht selten mit gerötheten Wangen zurückkam.

So wie die Suppe verzehrt war, trat ein großer, kräftiger Bursche herein, das war Caas, der, obwohl er einen bedeutenden Glückswechsel erlebt hatte, dennoch lieber eine elende Bodenkammer bewohnte und Nees bediente, als von Floripes sich trennte, die ihn noch immer zu tausend kleinen Hülfsleistungen nöthig hatte, und die er hegte, schützte, anbetete ohne alle Nachgedanken, wie ein junges, reines, männliches Herz es nur vermag.

»Die Sonne meinte es heute scharf,« sagte er zu Floripes im Vorbeigehen – »aber jetzt habe ich sie alle tüchtig begossen – nun sind sie frisch und man kann's wachsen sehen.«

»Ja!« rief Floripes vergnügt – denn sie verstand die Rede Caasens, die so viel Voraussetzungen machte, sehr gut. »Dann will ich gehen und will sie ansehen,« fuhr sie fort – »ich danke dir auch.«

Solch' ein freundliches Wort war wie ein Hebebaum für Caas – denn es fuhr dem ehrlichen Burschen wie ein Jubel durch die Glieder, und er hätte in solchen Augenblicken Kraft gehabt, den schweren Nees wie ein Kind in sein Bett zu tragen. Das litt aber Nees nie; denn obwohl es ihm zur Zeit der Gichtanfälle unmöglich war allein zu gehen, sagte er doch jeden Tag zu Caas, wenn er ihn von einer Stelle zur andern halb trug – er solle nur gehen, er könne es ohne ihn – was das heißen solle, daß er ihn so anpacke und thäte, als ginge Alles nach seinem Kopfe.

Caas schleppte unterdessen, ohne inne zu halten, fort. Er hatte für alle Beleidigungen, die von Nees kamen, gar keine Ohren – ja, ein gelegentlicher Puff von ihm schien auf Stahl und Eisen zu fallen.

»Geht ihr zu Bette, Nees?« brach nun Herr Hooft heraus – »Nun, das ist früh – die Sonne ist noch nicht unter, da müßt ihr mir Floris mitgeben zur Tante, damit sie ein wenig Bewegung hat und die blassen Wangen verliert.«

»Floris noch ausgehen?« schrie Nees und drängte Caas ungestüm zur Seite, um seine mißtrauischen Augen auf Beiden wurzeln zu lassen – »das sind schlechte Angewöhnungen und Thorheiten, bei denen nichts herauskommt – hat sie nicht ihre Blumen – ihre Vögel – ihre Laute?«

»Alles wahr,« sagte Hooft – »aber im kleinen Hofe kann sie sich nicht müde gehen, da stockt das Blut – und da entsteht die bleiche Farbe und die Abmagerung. Sie ist in den Jahren, wo das kein Mädchen aushält.«

Nees schwieg; die Kraft des Widerstandes legte sich schon – auch müssen wir bekennen, daß das Stück oft spielte, daß Nees zuletzt immer nachgab, aber auch immer vorher an Hooft noch in stärkeren Aeußerungen seine Galle kühlte, wogegen dieser sich dieselben Ohren wie Caas angeschafft zu haben schien – und dies ihm dann so holdselig begütigende Blicke von Floripes eintrug, daß er immer ein fröhliches Lächeln behielt.

Auch heute vollendete Floripes wie immer den letzten Akt, indem sie sich ihrem Vater nahte, ihm die zottige Hand küßte, ihm gute Nacht wünschte und schon, der Erlaubniß gewiß, mit einem wahren Engelslächeln sagte: »Nicht wahr, ich darf doch gehen?«

Dann zwickte Nees die Augen zusammen und that, als bekäme er Schmerzen oder habe ihn Caas unsanft berührt – er zankte und seufzte, aber er widersprach ihr nicht mehr und sagte nur, wenn ihn Caas endlich hinauf geschleppt und in sein Bett gelegt: »er solle nicht so lange unnütz herum trödeln und sich um Dinge bekümmern, die ihn nichts angingen, sondern mit dem Fräulein gehen und vor der Thür warten, damit sie sicher zu Hause käme.«

Mit einem Satz war Caas dann um die Thür, und wie sauber er sich auch hielt, für solche glückselige Aufträge hatte er stets ein paar blanke Schuhe, einen besseren Mantel und eine Mütze mit einer kleinen Hahnenfeder und einem Schaustück.

Es war keine kleine Abendbewegung zur Tante Urica zu gehen, denn diese wohnte hinter der Stadt, wo die Sommerhäuser der Vornehmen zwischen den Hütten der Fischer lagen und nicht selten zu romantischen Prospekten der Ersteren dienten.

Die Marquise von Montrose bewohnte weder eins der prachtvollen Sommerhäuser, die hier im Gebüsch, umgeben von köstlichen Gartenanlagen mit dem Blick auf die See, zerstreut waren, noch eine der romantischen Hütten, welche näher zum Strande die wohlhabigen Fischer-Familien inne hatten. Nachdem sie ihr Haus im Haag verkauft hatte, der Gräfin Comenes ein bedeutendes Geschenk gemacht und sie zu der Stelle der Oberhofmeisterin bei der jungen Prinzessin von Oranien empfohlen – nachdem auch ihre Juwelen verkauft waren, behielt sie ein kleines Kapital, womit sie am Ende eines städtischen Wildgartens ein kleines Jagdhaus mit Gartengehege kaufte und hier von den geringen Interessen des bleibenden Kapitals mit einigen ihr treu gebliebenen Dienern und der kleinen Orla, ihrer zehnjährigen Tochter wohnte. Von hier aus leitete sie die Erziehung ihres Pflegesohns William Bedfort, welcher jetzt auf der Marine-Schule in Amsterdam seine Studien als dereinstiger Seemann machte und jede Stunde der Muße, die seine Studien ihm frei gaben, bei seiner angebeteten Pflegemutter zubrachte.

Man konnte in Floripes noch immer die kleine, tanzende Gefährtin des Mondes erkennen. Wenn sie dahin ging, schien ihre ganze Gestalt rhythmisch getragen – man hätte darnach singen können und ihr Fuß grub sich dem feuchten Sande kaum ein.

So wie sie nur die Stadt hinter sich hatte, schlug sie den langen schwarzen Schleier, der über dem goldgestickten Sammtkäppchen hing, zurück und nun hob er sich von dem sanften Frühlingswinde, der die scheidende Sonne begleitete, getragen – und die feine Hülle schien eine Nische um sie her zu bilden.

Sie trug ein Sammtleibchen von derselben azurblauen Farbe wie das Käppchen und dazu das Kleid vom feinsten Tuche und gleicher Farbe. Nie fehlte der gestickte Rand von Gold, Perlen oder Seide und eine kostbare Spange für das feine Battisthemdchen des Halses, oder eine Kette, oder eine Perlenschnur.

Die Frauen von Amsterdam machten tausend Erfindungen, um selbst an ihren täglichen Trachten den ungeheuren Reichthum los zu werden, der sich ihnen zu jeder Phantasie darbot.

Das sogenannte Wildgehege hatte breite, aber düstere Wege und am liebsten ging Floripes, wenn sie mit Herrn Hooft des Abends den Weg machte, am Strande, wo sie diese gar nicht berührte und kurz vor dem Jagdhause wieder an den Dünen einen kleinen Stieg hinauf klimmen mußte, der in die Allee alter Linden einlenkte, die vor das Gitter führte, hinter welchem der Garten des Hauses abgezweigt lag.

In den Fischerhütten, die da unten lagen, hatte sie in jeder Freunde und Bekannte – sie grüßte und ward gegrüßt – die Kinder liefen ihr nach – die jungen Leute begleiteten sie und wollten sie ein wenig auf dem Wasser fahren – oder sie hatten ihr eine Muschel, ein polirtes Steinchen, eine seltene Wasserpflanze verwahrt. Das hatte nun Floripes gar zu gern – da lachte sie und scherzte, und nahm, und versprach, und verweigerte, Alles ohne den leichten Schritt aufzuhalten, denn keine Minute wollte sie versäumen, wenn sie zur Tante gehen durfte. Und das wußten Alle und liefen hinterher bis zum Stieg, der in die Höhe führte; aber sie gaben es doch nicht auf, ihr Anträge zu machen, denn sie ließen sich selbst ihre abschlägigen Antworten lieber gefallen, als daß sie gar nicht mit ihnen verkehrt hätte.

In einem Gange von beschnittenen Buchen, deren zarte Zweige über ein leichtes Holzgeflecht gezogen waren, was in Bogen hinlief, und bei der frühen Jahreszeit erst einen florartigen Schatten zu geben vermochte – ging eine Dame in Trauerkleidern, in der wir schwerlich Urica wiedererkennen würden.

Sie geht langsam und der Ausdruck der Schwäche ist ihrem Gange selbst in einiger Entfernung anzusehen. Doch ist ihre Haltung noch grade und der Kopf aufgerichtet; ihren linken Arm stützt ein schöner Jüngling von etwa siebzehn Jahren – es ist William Bedfort – er trägt die enganschließende Kleidung der jungen Seekadetten, die seine schöne jugendliche Gestalt vortheilhaft zeigt. –

Er spricht lebhaft und heiter mit seiner geliebten Pflegemutter und so feurig und unruhig all' seine Bewegungen sind, so sieht man doch, wie er die zärtlichste Aufmerksamkeit für diese Mutter hat; er küßt zuweilen die kleine bleiche Hand, die aus der schwarzen Umhüllung hervorsteht; wenn sie stehen bleibt, um ein wenig zu ruhen, schlingt er seinen Arm um sie, um auch ihren andern Ellenbogen zu stützen und dann biegt er sich vor, um ihr in's Gesicht zu sehen – er lächelt – oder er stemmt sich mit gehobener Brust, um recht fest zu stehen, und überragt dann mit fast schon männlichem Maaß die Gestalt Uricas um Vieles.

Diese hat das milde Lächeln auf dem bleichen Gesicht, was den Antheil verräth und das Vertrauen der Jugend hervorruft. – Zuweilen öffnet sie zu kleinen Erwiederungen die feinen blassen Lippen, die kaum noch die ängstlich weißen Perlenzähne decken – sie scheint zu fragen, oder doch zu verrathen, daß sie der Mittheilung gefolgt ist und lockt damit einen neuen Strom von Erzählungen aus seinem Munde; denn was sie hört, sind Vorfälle aus der Marine-Schule, und da nicht ausreicht, was er Alles erlebt, erfährt sie auch die Erlebnisse seiner Lieblings-Kameraden.

Am Ende des Berceau's, nach dem Hause zu, sitzt Orla auf einem Heuhaufen, und ihr kleiner Wachtelhund wird eben von ihr gesattelt, denn neben ihm harrt schon ihre Lieblingspuppe, die Prinzessin von Oranien, welche sogleich Black besteigen soll, um nach Deutschland zu reiten. Hier zeigt sich ein Rasenplatz vor dem kleinen bequemen, aber altfränkischen Hause ausgebreitet, und unter den Lindenbäumen, die das Vorhaus beschatten, stehen Sitze, und Kissen und Decken verrathen den Ruhepunct einer Kränkelnden.

So wie sich Urica dem kleinen Mädchen naht, bleibt sie stehen, und der Hauch von Liebe und Befriedigung, der dann aus den großen stahlgrauen Augen dringt, ist unendlich rührend, wenn man ihr Schicksal kennt. – Orla hört das leiseste Rauschen von dem Kleide ihrer Mutter, und so groß ihr Eifer ist, die beabsichtigte Cavalcade ins Werk zu richten, immer hat sie Zeit, das frische, rosige Gesichtchen umzuwenden, die dicken braunen Locken zurückzuschütteln und mit dem ganzen Zauber der kindlichen Zärtlichkeit »Mama« zu rufen. Dann fährt sie sogleich mit dem größten Eifer fort, den kleinen Sattel auf Black's runden Rücken festzubinden und verschwendet dabei Bitten, Liebkosungen, Drohungen und kleine gelegentliche Puffe, um ihn zu dem beabsichtigten Dienst bereit zu machen, wogegen er viel Einwendungen zu haben scheint; denn, wenn er auch mit einer kläglichen Miene, die fast Falten auf seiner glatten Stirn zieht, alle Anordnungen erträgt, die seinen schönen, glänzend schwarzen Rücken belasten, so lange die kleinen dicken Hände seines Lieblings noch über ihm geschäftig sind, kann er doch nicht widerstehen, im Augenblick, wo sie ihn nun fertig hält und los läßt, um sich an ihm zu weiden, sich so gewaltig zu schütteln, daß fast im selben Augenblick der Sattel wieder unter dem Bauch sitzt und die arme Prinzessin mit der Krone und dem Florkleide wieder nicht den Ritt nach Deutschland antreten kann.

Wenn wir hätten beobachten können, wie oft Orla von vorn angefangen, um zum Zweck zu kommen, würden wir auf ihre Sanftmuth und Geduld schließen können, ohne uns zu wundern oder es ihr anzurechnen, daß sie plötzlich aufsprang und mit dem weinerlichsten Gesicht, die Hände ringend, Black nachsah, welcher eben mitsammt dem verschobenen Sattelzeuge mit freudigem Bellen nach dem Berceau jagte und so die letzte Hoffnung des armen kleinen Stallmeisters vereitelte.

Aber ihr, wie dem armen Black, sollte aus derselben Quelle Trost und Zerstreuung kommen, die sie Beide so nöthig hatten; denn Floripes flog weit vor Herrn Cornelius Hooft den Gang hinauf, und neben ihr setzte Black mit dem Sattelzeug und allen Symptomen unsinniger Freude daher.

Nun hatten aber Orla und Black hierin wenigstens ganz denselben Geschmack, denn Orla liebte Floripes eben so sehr, und ihr Besuch war daher das glücklichste Ereigniß, was sich für Beide zutragen konnte. Nicht minder ungestüm sprang sie daher von ihrem Heuhaufen der lieben kleinen Tante entgegen und hing sich schnell, allen Kummer vergessend, in ihre Arme.

Aber nur kurze Zeit ließ sich Floripes diesen Rausch von ihren beiden Lieblingen gefallen, denn ihr glänzendes Gesicht hob sich schon über Orla's Kopf nach der Tante Urica, die mit dem matten Lächeln, was so unaussprechlich rührend und gütig war, auf William gestützt, ihr entgegen schwankte.

Sie ließ sich von Floripes die Hände küssen und drückte leise ihre Lippen auf die schöne, jugendliche Stirn; dann setzte sie langsam ihren Weg nach dem Vorhause fort, und die schnell hinzutretende Ulla hatte doch ein Flacon nöthig, um die Lebensgeister ihrer Herrin beisammen zu erhalten.

Herr Cornelius fand sich nun auch ein – es schien, es habe hier Jeder seinen Platz, denn nachdem nur Urica erst wieder in ihrem Lehnstuhl saß und die Decken über sie geschlagen waren, saß Floripes in einem eichenen Holzstühlchen neben ihr – Orla auf einem Kissen zu ihren Füßen – Herr Hooft auf der andern Seite von Urica und William auf der Stufe des Vorhauses so nah neben Orla, daß sie ihre Händchen auf seiner Schulter ruhen ließ.

Der Mai war stets der Monat, der Urica um einige Jahre ihrem Grabe näher brachte. Die Erinnerung an Montrose's Hinrichtung, welche in diesen Monat fiel, schnitt jedesmal neue Lebensfäden durch, und nur der edle, große Charakter Urica's vermochte sie so lange ihren Pflichten zu erhalten. Zwar hatte sie gehofft, weder ein lebendes Kind zur Welt zu bringen, noch ihr eignes Leben dabei zu erhalten – da aber Beides gegen ihre Erwartung sich gestaltete und die Natur mit der Mutterliebe ihr Herz fast mit Gewalt erstürmte, fühlte sie sich auch von dem Willen des Allmächtigen wie von einem Blitz getroffen, und sie widerstrebte nicht zu leben und ergab sich geduldig ihren Pflichten.

Nach einer kleinen bewegten Pause, welche Urica's Schwäche an diesem Abend hervorgerufen, war sie es selbst, die, aus ihrer Betäubung sich empor ringend, das wehmüthige Schweigen um sich her zu unterbrechen suchte. Sie fragte William, ob er Herrn Hooft schon erzählt, daß die Marine-Schule dem Könige entgegen ziehen wolle, und wenn er Abends zu Wasser fahren werde, eine Art Manövre in großen Ruderbooten aufzuführen beabsichtige.

Nun erzählte William, und dann folgten wie von selbst die Erzählungen des Herrn Hooft über die Feierlichkeiten, welche die Stadt außerdem beschlossen, und er kam wieder zu den weißgekleideten Jungfrauen.

Alle fanden den Gedanken wunderschön und Floripes zahlte ihre Bekanntinnen her, unter denen ihre Cousinen, die lieben Fräulein von Marseeven, natürlich die ersten seien mußten – aber an sich dachte sie mit keinem Gedanken.

»Ja,« sagte Herr Cornelius – »allerdings werden die Fräulein von Marseeven dabei sein, wenn der Zustand ihrer Mutter nicht etwa bedenklicher wird – «

»Fürchtet ihr das?« fragte Urica antheilvoll – »mein Gott! soll sie noch vor mir dahin gehen?«

»Die Aerzte denken wohl, daß ihre Tage gezählt sind und freuen sich nur, daß sie so wenig jetzt leidet, meist außer dem Bette liegen kann und die ganze Klarheit ihres Geistes hat; aber freilich mögen die Töchter keine Freuden theilen und sind eifersüchtig auf die Stunden, die sie ihnen noch schenken kann. Nun wird Herr von Marseeven gepeinigt, seine Töchter nicht zurückzuhalten, und ihr könnt denken, wie das seinem Herzen widerstrebt, da er schon durch diese Unruhen in der Stadt von seiner Gemahlin so oft getrennt ist und von lauter Lust und Freude hören muß, während die nahe Trennung von dieser würdigen Gattin sein Herz mit Kummer erfüllt. Ich sage euch, Frau Marquise, ihr würdet euren Vetter kaum wieder erkennen, wenn ihr ihn in den letzten Wochen nicht saht. Er geht ordentlich gebeugt, und wir Alle bei der Stadt schonen ihn und kommen ihm zu Hülfe, denn er ist oft so sehr zerstreut, daß er nicht hört, was vor ihm verhandelt wird, und zu Dingen seine Zustimmung giebt, die er sonst nicht hätte durchgehen lassen. Gebt Acht, er dankt unwiderruflich ab. Diese Feierlichkeiten sind ihm zu schnell über den Hals gekommen, er konnte sich vorher nicht mehr zurückziehn; aber immer spricht er von unwiderruflichem Abdanken und bittet alle seine Mitbürger, sie sollen ihm Ruhe gönnen; denn er weiß wohl, wenn seine Zeit auch um ist, sie werden ihn doch immer wieder wählen.« »

»Der arme Vetter,« sagte Urica milde – »aber meine Muhme wird ihre Kinder fast alle versorgt, oder erwachsen und wohl erzogen zurücklassen – das können nicht Alle sagen, die sich dem Tode nahe fühlen, und es ist eine schwere Versuchung, sich den Tod wünschen und ihn fürchten müssen, um des schwachen Schutzes willen, den wir noch denen gewähren, die wir lieben.«

Herr Cornelius verstand sie wohl und wünschte sie abzulenken, indem er Grüße von Frau von Marseeven bestellte und erzählte, wie sie von ihrem Ruhebette aus noch immer die Festlichkeiten mit Rath und That unterstützte, und wie ihr Geschmack und ihr richtiger Takt erst die Anordnungen der Männer läuterte.

»Sie läßt nun euch, Frau Marquise, ersuchen, es doch zu erlauben und bei Nees zu betreiben, daß Floris dabei sei, ja, daß sie dem Könige den Strauß reiche; oder noch schöner, glaubt Frau von Marseeven, würde es sein, wenn Floris die liebe, kleine Orla vorführte und diese dem Könige den Kranz gäbe, als ihrem König; vielleicht die Einzige, die Engländerin und Holländerin zugleich ist.«

So wenige Worte das waren, sollten sie doch Alle, die so friedlich und ohne Beziehung zu dem Treiben der Außenwelt waren, und bisher sich in nichts bei ihren Beschlüssen betheiligt gehalten, in die vollständigste Aufregung versetzen.

»Ich dabei – Herr Hooft?« rief Floripes, getheilt in Schrecken und Freude –

»Auch Kinder sind dabei?« rief Orla, sich blitzschnell auf ihrem Kissen zu Hooft umwendend – »Ach Mama! Mama!«

Aber ihr letztes Mama war schon voll Schrecken, denn nachdem Hooft die rasche Rede über Orla rücksichtslos herausgestoßen hatte, war ein Grauen und Erbeben über Urica's Körper geschlichen, und als er schwieg – stürzten heiße Thränen aus ihren Augen und sie rief mit einem herzzerreißenden Tone des Schmerzes: »Orla – Montrose's Tochter – den König empfangen, der ihn verrathen und seinem Märtyrertode keine Thräne geweint!«

Die schwere Anklage dieser Worte hemmte Allen den Herzschlag und selbst das Kind, welches das Gewicht derselben noch nicht verstand, fühlte doch, die Mutter habe etwas Wichtiges gesagt, wodurch Alle in ehrerbietiges Schweigen verwiesen waren.

»Mißkennt mich nicht, Cornelius Hooft,« fuhr Urica fort, während bittere Thränen die gewohnte Spur auf ihren Wangen fanden – »und denkt, ich fühle für die Sache, welche das Opfer meines ganzen Lebensglückes kostete, darum kälter. Gott ist mein Zeuge, wie ich diesen Sieg an jedem Tage meines verödeten Lebens erfleht – und zöge Monk in diese Stadt ein – Orla sollte ihm den Kranz bringen, den diese sterbenden Hände selbst geflochten; denn Monk hat vollendet, was Montrose begonnen – sie wären Brüder, wenn er lebte – und sein Geist segnet ihn von dort, wo er niederschaut. Diesem Helden durfte die Tochter des großen Märtyrers derselben Sache den Siegerschmuck bringen – sie durfte es mit dem Stolze, durch ihren edlen Vater dem Lande anzugehören, dem Monk mit glücklicheren Waffen den Frieden zurückgegeben und seinem Könige den rechtmäßigen Thron.«

»Aber sagt mir nichts von diesem König; ich habe genug gethan, wenn ich seine Sache von seiner Person getrennt habe – weiter kann ich nicht – und Orla darf nicht den Schein auf ihr unschuldiges Haupt laden, als habe ihre Mutter die Schmach verschmerzt, welche die elende Feigheit des Königs über ihren Gatten brachte, der mit entehrenden Unterhandlungen den Nerv der Kraft durchschnitt, wonach Montrose's Unternehmen den Stempel der Verwerfung tragen mußte und er mit ihm unterliegen.«

Sie war bei diesen Worten die frühere Urica geworden. Die trüben stahlgrauen Augen bekamen Glanz und den veilchenblauen Schein zurück – die Todtenfarbe wich einem sanften Roth – und die eingesunkenen Lippen hoben sich von dem Feuer der Worte geschwellt.

Doch diese trügerischen Zeichen, die des armen Cornelius unbesonnene Worte mehr straften, als Urica ahnte, versanken eben so schnell wie sie entstanden! Bleich sank sie zurück – träumend schaute ihr erblindendes Auge über den weiten Abendhimmel – Seufzer auf Seufzer brachen ihre Kraft – »Montrose! Montrose!« stammelte sie abgebrochen – »sie feiern deinen Sieg! Du warst bei deinen Tapfern! Solch' ein Geist stirbt nicht – Hooft – in diesem Monk, der unter Montrose's Reitern als ein tapferer Jüngling diente, war kein Heldengeist! Aber Montrose hatte ihn lieb – er war mit ihm – er hat ihm den abgeschiedenen Geist geliehen – Monk konnte das nur thun, da Montrose ihm voran gegangen war.«

Als ob sie plötzlich fühlte, sie habe sich lautdenkend ihren Träumen hingegeben, richtete sie sich auf, blickte auf Alle hin, und da Alle weinten, gewann sie Gewalt über sich. –

»Lassen wir das, meine Freunde – und du, meine Floris – du wirst gewiß die erbetene Erlaubniß von deinem Vater erhalten, besonders wenn Herr von Marseeven es ihm andeuten läßt!«

»Ich,« – rief Floripes – »die Nichte Montrose's? Ich werde ihm gewiß keinen Strauß geben!« rief sie, hochroth im zürnenden Schmerz vor sich niederblickend. –

Urica's Auge ruhte wohlgefällig auf ihrem Liebling. – »Mein muthiges Mädchen!« sagte sie und küßte zärtlich ihre Stirn. – »Hast du den Freund – deine erste kindliche Liebe noch nicht vergessen?«

Herr Cornelius sagte aber erschrocken, als er sein ganzes Anliegen in Gefahr sah: »Aber die junge Prinzessin – ihr sollt ihr ja den Kranz bringen eurem Liebling – der jungen Gemahlin des Prinzen von Anhalt!«

»Hör'!« sagte Urica – »deinem Liebling, der sanften, edlen, jungen Fürstin! Hörst du nicht, mein Liebchen?« fuhr sie fort, da Floripes weinend ihr Gesicht in Urica's Schleier verborgen hatte – »das könntest du gewiß thun, meine Floris! Da schautest du dem bunten Leben einmal recht nah' in die Augen – und wirst auch kaum »nein« sagen können, wenn dir die Stadt die Ehre zugesteht!«

»Aber warum denn mir?« rief Floripes – »ich bin ja kein vornehmes Mädchen! Nees, mein armer Vater, ist ja kein großer Handelsherr, wie die Großmögenden der Stadt.«

»Ei!« sagte Herr Cornelius bedeutsam lächelnd – »danach geht es diesmal nicht ganz genau! Es sind andere Bedingungen nöthig – und was bedenken wir uns lange, da Frau von Marseeven es so ausgedacht hat und ihre Vorschläge so gutes Ansehn haben, daß Alles danach horchte und nirgends Widerspruch zu hören war, als der Herr von Marseeven euch nannte.«

»Aber,« entgegnete Floripes mit getrockneten Thränen sich gegen Herrn Cornelius wendend – »meine jüngste Muhme von Marseeven ist doch so vornehm, und so schön, und nicht viel älter als ich – und die jungen Mädchen aus den alten Geschlechtern der Stadt.«

»Nun, das Fräulein von Marseeven wird auch mit euch gehen, wenn ihr es wünscht – sie wird nun wohl dem Könige den Strauß geben,« setzte er mit einem Seufzer hinzu, indem sein Auge Orla streifte, mit der sein herrlicher Plan mißglückt war.

»Ihr sollt sehn,« sagte Floripes nachdenklich und altklug – »das wird sich noch ändern – die Geschlechter werden Einspruch thun, daß ein Mädchen wie ich, von geringer Geburt und ohne Namen – wovon die vornehmen Mädchen, die bei Marseevens Besuch machten, wenn's die Muhme nicht hörte, so viel schwatzten – den Vortritt haben soll bei der Prinzeß!«

»Was sagst du Tante?« fragte sie Urica anblickend.

– »Nun,« sagte diese lächelnd – »wenn von so geringen Dingen die Rede wäre als Geburt und Familie – möchte es dir zu Statten kommen, daß du mit den vornehmsten Familien nah verwandt bist. Deine Großmutter war meine Schwester, wie du weißt – eine Casambort – Frau von Marseeven ist uns auch ganz nah verwandt – so hat man dich wohl bisher zu den Familien gerechnet.«

»Mein armer Vater!« sagte Floripes plötzlich traurig – »wenn ich das so auseinander setzen höre, und es ist nicht das erste Mal, denn so lange Susa noch ihren Verstand hatte, drehte er sich immer um den einen Punkt dieser Verwandtschaft! Aber du glaubst nicht, wie mir danach immer traurig wurde, wenn ich den armen Vater dann ansah – als wenn sie mich von ihm losreißen wollten – dann kam er mir so verlassen vor – so einsam – und ich liebte ihn dann aus Angst schon noch mehr, denn ich blieb ja doch sein rechtmäßiges Kind mit seinem Namen und es war doch immer, als sollte ich mich vornehmer halten als er – er, der mich liebte – so gut gegen mich ist – wie das gottlos gewesen wäre – ich kann's fast nicht denken! Und du und die Mutter – ihr Beide habt das auch nie gesagt oder gewollt.«

»Deine edle Mutter war mir darin bei weitem zuvor,« sagte Urica mit schöner Offenheit. – »Ich mußte erst von ihr lernen, wie dein Verhältniß allein richtig anzusehen war – glaube nur – ich war einmal auf dem Wege einen großen Fehler darin zu machen; aber ihr heiliger, reiner Sinn hat mich davor bewahrt und ich fühle nun, sie hat auch in deine Seele die richtige Erkenntniß niedergelegt – die Natur, die dich zu deinem Vater hintreibt, ist in dir nicht verkümmert durch die eitle Sucht der Menschen.«

»Ich konnte es wohl denken, daß du das Einsehen haben würdest,« sagte Floripes – »aber nun stehe mir auch bei, denn ich will nicht um meiner vornehmen Verwandten willen den Ehrenplatz haben. Wenn die Tochter von meinem armen Vater Nees nicht dazu passend ist, dann lass' die Nichte der Marquise Montrose zu deinen Füßen sitzen bleiben.«

»Was meint ihr dazu, Hooft?« sagte Urica, nicht ohne einen kleinen Anflug von Stolz und Freude auf ihre Nichte blickend – »ist sie nicht ein stolzes Mädchen, das man nicht anders haben möchte?«

Hooft war schon wieder in der größten Entzückung, die ihn immer zu seinem wahren Verdruß mit einer unmännlichen Weichheit überwältigte.

»Ach was,« sagte er aufstehend, sich räuspernd und sein Wamms unsanft zurecht rückend, indem er, sich wegwendend, den Fernblick zu genießen schien – »das Mädchen weiß nicht, wie sehr sie mit solchen Gesinnungen ihre hohe Abkunft verräth. Mein Goldmädchen!« rief er plötzlich, von seiner Zärtlichkeit überwältigt, sich zu ihr wendend – »mein braves, wackeres Mädchen! Was hast du denn für Angst? Als wenn wir's Alle nicht wüßten, daß wir dich nicht anders nennen dürfen, als Floripes van der Nees. Also mein kleiner Hochmuth: ›Der Schöffe Cornelius Hooft ist beauftragt, das Fräulein Floripes van der Nees, Tochter des Kaufherrn Jacob van der Nees, von Seiten der guten Stadt Amsterdam einzuladen, an den Einholungsfeierlichkeiten der Prinzessin von Anhalt gnädigst Theil zu nehmen und dabei einen Kranz mit geziemenden Worten zu überreichen.‹«

Weil nun Hooft zu dieser Rede mit vielem Humor allerlei Gesten und Diener machte, geriethen die jungen Leute in gute Laune; Orla lachte Thränen – William fand den Scherz allerliebst und Floripes wurde jung und lustig und machte auch ihrerseits die niedlichsten Knixchen und hielt eine Gegenrede, die zwar Scherz bedeutete, aber ihren Verstand und ihre Einsicht sehr entwickelt zeigte, denn sie hätte den großmögenden Herrn sogleich als bescheidene und zweckmäßige Antwort übergeben werden können.

»Das heißt,« schloß sie ihre Rede, »wenn der gute alte Handelsherr Jakob van der Nees seiner Tochter dazu seine Erlaubniß geben will.«

»Nun, die soll er schon geben,« sagte Hooft – »da laßt mich nur machen, liebe Floris – und dann geht ihr morgen gleich zur Frau von Marseeven und laßt euch das weiße Seidenzeug anmessen, und die Schleier, und die weiße Perlenhaube, und an den Ohren werden die Flechten um Zweige von Orangenblüthen gewunden. Ihr kleinen Schelminnen werdet aussehen, daß den Alten das Herz hüpfen wird, wie viel mehr den Jungen.«

Urica's Aufregung war vorüber – desto sichtlicher war aber ihre eintretende Erschöpfung. Orla's Wärterin führte diese fort, um zu Bett zu gehn; Ulla trat ein paar Mal aus dem Hause und machte endlich hinter dem Stuhl ihrer Gebieterin verständliche Zeichen, daß man sich entfernen möge.

Auch schien in Urica kaum noch Theilnahme zu sein, und die Hand, die Alle zum Abschied küßten, erwiderte auch nicht durch den leisesten Druck den Abschiedsgruß ihrer Lieben.

Doch mochte dies für Alle eine wiederholte Erfahrung sein, die durch die Macht der Gewohnheit nicht mehr ihre Stimmung auf lange trübte; denn Hooft, der beinah noch jünger war als diese jungen Leute, gab allerlei Anschläge, wie man den schönen Abend noch genießen könne, und endlich bestiegen sie ein Boot und beschlossen, Floripes von der Wasserseite nach dem Purmurand'schen Hause zu bringen, denn Caas hatte den Schlüssel zum Gitter der kleinen Gasse, von wo aus die Thür in den Lusthof führte.

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