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Die Freunde des Königs waren sehr getheilt in ihren Meinungen, und wußten nicht, wozu sie in dieser kritischen Situation rathen sollten, und die Bessern und Uneigennützigen waren mehr dagegen, daß der König so unrühmliche Bedingungen annehmen sollte. Sie sagten, daß diejenigen, die jetzt über Schottland herrschten, die Unsinnigsten und Abergläubigsten unter ihrer Partei wären, und daß, indem sie sich stellten, als wenn sie seinen Rang und Titel anerkennten, wären sie doch in offener Rebellion gegen sein Haus begriffen und hüteten sich, ihm die kleinste Macht in die Hände zu geben, so daß selbst seine persönliche Freiheit und Sicherheit bedroht sei. Diese hielten auch dafür, daß die Aussichten in Irrland ihm günstiger wären. Sie erinnerten ihn überdies an den Märtyrertod seines edlen Vaters, und wie unrühmlich es für ihn sein würde, die Grundsätze, für die er sein Leben gelassen, jetzt um eines leeren Titels Willen aufzugeben. Dabei waren die Schottländer noch überdies nicht zu dem Versprechen zu bewegen, daß sie den König unterstützen wollten, den Thron von England wieder zu erlangen, obwohl sie ihre Absicht dahin wirken zu wollen nicht in Abrede stellten. Aber selbst ihre Kräfte dies zu bewirken, schienen zweifelhaft, und es stand eher zu befürchten, daß Argyle, welcher jetzt an der Spitze der Truppen stand, sobald sich die günstige Gelegenheit fände, sich mit dem englischen Parlament versöhnen werde, und den König, so wie er es mit seinem Vater gemacht, verrätherisch den Händen seiner Feinde ausliefern werde. Diese Meinung theilte auch Montrose.

Dagegen war der Graf von Laneric, welcher nach dem Tode seines Bruders, Herzog von Hamilton geworden, der Graf von Lauderdale und Andere dieser Partei, der Meinung des jungen Herzogs von Buckingham, da Alle gern mit dem Könige aus ihrer Verbannung zurückkehren wollten, daß der König, um nur irgendwo seine Würde anerkannt zu sehen, und damit irgendwo festen Fuß zu fassen, diese nur vorläufig anzuerkennenden Bedingungen annehmen müsse, womit bei einigem Glück der anderweitigen Verhältnisse eine feste Stellung für die Zukunft des Königs nicht gemeint sein könnte. Montrose aber sah sich genöthigt, die Verhältnisse des jungen Königs in Holland zu erwähnen, die er vielleicht richtiger und leichter zu beurtheilen Gelegenheit hatte, als Andere. Es war eine verzeihliche Täuschung, wenn der junge König und seine sich isolirenden Umgebungen diese Stellung für dauernd, sicher und angemessen hielten, denn das Volk in den vereinten Provinzen war ganz dem Interesse des jungen Königs ergeben.

Außer seiner Verwandtschaft mit dem Hause Oranien, welches bei dem Volke sehr beliebt war, sahen auch Alle seinen Zustand mit Mitleiden an, und erklärten ihren äußersten Abscheu gegen den Mord seines Vaters. Obgleich nun das Publikum seine Liebe für Karl an den Tag legte, sahen die Staaten doch seine Gegenwart ungern. Sie fürchteten sich vor dem Parlament, welches durch seine Macht so furchtbar und in allen seinen Unternehmungen so glücklich war. Sie besorgten von Leuten von so heftiger Gemüthsart die übereiltesten Entschließungen, und hätten es lieber gesehen, wenn der König sich entfernt hätte.

Montrose wußte, daß man beabsichtigte ihm Vorschläge zu thun, er möge bei dieser schwierigen Veranlassung den Rath seiner königlichen Mutter, welche ihr kummervolles Leben noch immer an dem Hofe ihres gleichgültigen Bruders dahin schleppte, persönlich einholen, und öffnete den Andern die Augen, daß darin die Bitte läge, die Staaten zu verlassen. Er rieth dem Könige, worin die Meisten ihm beistimmten, dieser beabsichtigten, schonenden Verweisung dadurch zuvor zu kommen, daß er selbst, als seine eigne freie Entschließung, die Absicht nach Frankreich zu gehen den Staaten mittheile, und bei seiner Reise ihren Schutz und Beistand begehre.

Wie Montrose vorher gesagt hatte, wurde der König nach dieser Erklärung auf's bereitwilligste in seinem Plane unterstützt, und die Staaten übernahmen nicht allein mit königlicher Gastfreundschaft die Schulden ihres hohen Gastes zu tilgen, sondern übergaben ihm auch ein höchst nöthiges und willkommnes Geldgeschenk, um seine Reise zu erleichtern, und nachdem der Ritter von Douglas ohne eine entscheidende Abweisung, welche Montrose's Gegner zu verhindern wußten, entlassen war, trat der junge König, vom Grafen von Laneric, Herzog von Hamilton und dem Herzog von Buckingham begleitet, seine Reise nach Frankreich an, um sich an den Hof von Versailles zu seinem mehr als gleichgültigen Oheim zu begeben.

Montrose dagegen gelobte diese Zeit für die königliche Sache redlich zu benutzen und ein Armeecorps zu sammeln, an dessen Spitze sein junger König den Thron von England zurückfordern und den Beistand Schottlands, ohne so entwürdigende Bedingungen einzugehen, erzwingen könne.

Diese neue und große Idee, die Montrose begeistert ergriff, entwickelte eine fast übermenschliche Energie und Thatkraft in ihm. Von dem Augenblick an, als er die Stellung des Königs so aufgefaßt hatte, daß ihn nur eine Armee retten, und dem zerrissenen Vaterlande seine wahren Freunde wiedergeben könne, sammelten sich all' seine Kräfte, all' seine Gedanken und Wünsche nur für den einen Zweck, und er schien ihm so durchaus heilig, würdig und jeder Hingebung werth, daß er jedes Opfer von sich und Andern forderte und hinnahm, als ehre und beglücke sich Jeder, der an dieser heiligen Sache Antheil gewönne.

Montrose's Vermögen war, seit die Verbannung über ihn ausgesprochen, confiscirt und zum Eigenthum des Staats erklärt; seine Kinder wurden zwar nicht verfolgt, aber ihnen war kein Antheil an den Gütern ihres Vaters zuerkannt und sie waren dadurch allein der Großmuth der Lady Southhesk überlassen, welche Schottland mit ihnen verlassen und sich in Irland auf eine ihr gehörige Besitzung zurückgezogen hatte. Natürlich durfte ihr dahin nur folgen, wen sie selbst dazu begehrte, und so war es ein halbes Wunder, daß die alte Lady Master Weston bestimmte, sie zu begleiten, da sie diese Umstände im Uebrigen dazu benutzt hatte, jeden ihr aufgenöthigten fremden Einfluß von den Kindern wieder abzulösen. Aber die auffallende Veränderung in dem Gesundheitszustande der Kinder, eine eig'ne sehr glückliche Erfahrung bei ihren heftigen Krampfanfällen, hatte sie über die größeren ärztlichen Fähigkeiten des Master Weston belehrt und den Pater O'Reil in dieser Beziehung seines Kredit's beraubt. Dies ließ sich dieser nun gegen Erwarten sehr wohl gefallen, denn es hinderte den Einfluß seiner übrigen Stellung wenig und sicherte ihm bei der lächerlichsten Furcht vor Krankheit und Tod, eine Hülfe, die er eben deshalb zu schätzen nicht unterlassen konnte.

Weston aber unterzog sich dieser schweren Aufgabe aus Liebe zu dem Hause Montrose, von den Bitten und Vorstellungen der alten, würdigen Mistreß Crafton überzeugt, und in dem Gefühl bestärkt, daß er fortan der Einzige sein werde, der dem moralischen Verderben der armen Kinder entgegen arbeiten könne.

Der Marquis von Montrose war demnach seit seiner Entfernung aus Schottland ohne den Zuschuß seiner Revenüen gewesen, und es gehörte sein großartiger Charakter dazu und sein festes Vertrauen auf die dereinstige Herstellung aller rechtlichen Verhältnisse in seinem Vaterlande, um eine solche Veränderung seiner Umstände, ohne alle Störung seines Gleichmuths ertragen zu können.

Wir werden nicht zweifeln, daß Urica ganz dazu geschaffen war, Montrose auf eine Weise in den Besitz ihres Vermögens zu setzen, die den Gedanken eines gesonderten Eigenthums fast unmöglich machte, und dieser wahre Mann war sich seiner Würde so bewußt, daß er es mit großmüthiger Liebe seiner Urica gönnte, die Mittel zu seiner freien Bewegung ihm darbieten zu können.

Wenn dies bei ihrem bisherigen Leben das Vermögen Urica's nicht über den Zinsverbrauch angestrengt hatte, änderte sich doch jetzt Beider Ansicht darüber und Urica theilte die Begeisterung und den Eifer Montrose's so ganz wie aus demselben Herzen strömend, daß sie augenblicklich ihr großes Kapitalvermögen in Bewegung setzte und es zu den Kriegsrüstungen Montrose's in seine Hände übergehen ließ.

Er war zwar hierauf nicht allein angewiesen, aber er nahm diese so viel schneller ihm zukommenden Mittel mit um so größerer Sicherheit, als das Interesse verschiedener Großmächte ihm Zusagen verschafft hatte, die ihm Urica's Vermögen als Anleihen erschienen ließen, die bloß verhindern sollten, daß seine Operationen durch fehlende Geldmittel aufgehalten würden. Diese waren allerdings so bedeutend für eine Privatperson, daß Beide die Notwendigkeit einsahen, darüber zu schweigen, um nicht vielleicht die Aufmerksamkeit von Urica's Verwandten, auf die fast damit bewirkte Auflösung ihres fürstlichen Vermögens zu lenken. »Und,« sagte Montrose oft, indem er seine schöne Gemahlin mit Entzücken an seine Brust drückte – »wer kann uns die Sicherheit des Vertrauens nachfühlen, die uns begeistert und mich, mit dir vereinigt, zu dem Gotterwählten Streiter macht, der berufen ist, seinem Vaterlande den rechtmäßigen König und dauernden Frieden zurückzugeben.«

Eine alte Prophezeiung, der Montrose mit seiner glühenden Phantasie nicht ungern Glauben schenkte, sagte aus: »daß er berufen sein werde, die Monarchie in England herzustellen,« und er hatte Urica aus ihrer kühleren Gemüthsstimmung allmälig herauszulocken gewußt, und sie hielt nichts mehr für Schwärmerei und Phantasterei, was Montrose's Geist ergreifen konnte, und es sagte ihrer ganzen Natur überdies zu, diesen Mann, den sie immer lebhafter zu lieben gelernt hatte, an der Spitze seiner Nation zu denken – als den heiligen Georg, der das Ungeheuer der Anarchie unter seinem bewaffneten Fuß zertrat.

Wer kann das Glück beschreiben, was Beide in dieser Zeit über die gewöhnliche Grenze irdischer Beschränkung ausbeuteten – exaltirt von den kühnsten, reinsten und edelsten, patriotischen Ideen – innig und einander hingegeben durch die vollkommenste Einigkeit in allen Gefühlen, lag in dieser thätigen Mitwirkung Urica's – indem es ihr oblag, in der Stille ihr Vermögen einzuziehen – eine Gleichheit der Anstrengung, die dies starke weibliche Herz beglückte – und dies Wagen und Darbringen ihrer ganzen, äußeren Wohlhabenheit, hatte etwas Stählendes und gab ihnen ein Gefühl von Ehrfurcht für einander, was ihrer glühenden Liebe die höchste Weihe gab.

Montrose hatte sich in Holland und im Norden von Deutschland Anhänger erworben, die sein großer, weit verbreiteter Ruf heran zog. Der König von Dänemark und der Herzog von Holstein sandten ihm einen kleinen Zuschuß an Geld, die Königin von Schweden sandte ihm Waffen, und der Prinz von Oranien versprach, ihn mit Schiffen zu versehen.

Seine Rüstungen wurden bald bekannt, und es blieb nicht aus, daß Anhänger des jungen Königs aus England und Schottland sich ihrer strengen Ueberwachung zu entziehen wußten und sich bei Montrose meldeten. Aber dies waren nicht immer die besten Elemente; sie brachten an sich fast nie mehr mit, als einen von allen Mitteln entblößten, oft in Lumpen gekleideten Parteigänger, der durch den Zustand des Landes entmuthigt, keineswegs die Begeisterung des kühnen Feldherrn theilte und den Geist, den Montrose unter seinen Truppen verbreitet wünschen mußte, eher hinderte als förderte und seine Geldmittel auf erschöpfende Weise in Anspruch nahm. Dessenungeachtet durfte Montrose sie nicht zurückweisen, denn es war bei dem Glück der Waffen, welches Cromwells Kriegsunternehmungen bald zu einem Gegenstande allgemeinen Erstaunens erhob, immer schwerer, viele und zuverläßige Soldaten und namentlich Offiziere zu gewinnen, welche sich einem durch solchen Gegner zweifelhaft werdenden Unternehmen anschließen mochten.

Hätte Montrose überall selbst seine Werbungen machen können, wäre ihm der Sieg über die Gemüther der Menschen, den Niemand häufiger als er erreichte, überall zu Hülfe gekommen; aber nach der Abreise des Königs mußte er seine Kräfte konzentriren, um nicht über das Einzelne das Ganze zu verlieren. Er mußte anfangen, das Detail an ihm dazu befähigt scheinende Personen zu vertheilen, und so zeigten sich nicht immer günstige Resultate, da nur Wenige annähernd die Stimmung Montrose's zu theilen vermochten.

Er hatte jetzt den Haag verlassen und mit richtiger Würdigung der besonderen Stellung des Hauses Oranien seine Rüstungen aus der Residenz nach Amsterdam verlegt, welches in seiner weitläufigen Handelspolitik diese Rücksichten nicht zu beobachten hatte. Hier bildete sich nun um Montrose eine Art Hauptquartier, welches zwar ein unverkennbares Gepräge seines Charakters trug, welches aber die Hochmögenden Herren der Stadt für nichts Anderes, als eine Niederlassung der Gräfin Urica angesehen wissen wollten, welche es vorzog, mit ihrem Gemahl in dem Kreise ihrer Familie zu leben.

Sie hielten sich mit dieser Annahme jede zudringliche Anfrage des englischen Parlaments, welches sie zu schonen wünschten, ab, und entzogen doch ihren Schutz nicht einer Sache, welche sie bei der günstigen Stimmung der Bevölkerung für den jungen König, die sie theilten, nicht aufzugeben gesonnen waren, so lange sie in den Händen eines Mannes wie Montrose blieb.

Je tiefer jedoch Montrose in sein Unternehmen eindrang, je mehr beunruhigten ihn die geringen Erfolge seiner Anordnungen, die immer, so wie sie aus seinen Händen in andere übergingen, wie in Wasser zerrannen, und die Sache, die von allen Seiten gefördert werden mußte, auf dem Punkte ließen, den Montrose selbst herangeschaffen hatte. Das rief trübe Wolken auf seiner Stirn hervor, und nach der Wiederholung solcher Erfahrungen kannte er nur einen Platz, auf welchem er ausruhen, seiner Sorgen durch Vertrauen sich entledigen und neuen Muth schöpfen konnte für das kräftige Verfolgen der wichtigen Angelegenheit – und dieser Platz war bei Urica, die in dieser Zeit die ganze Größe ihres Charakters entwickelte, und, wenn sie in früheren Zeiten an die Eigenschaften, die Gott ihr gegeben, oft wie an eine schwere Versuchung für eine weibliche Existenz gedacht hatte, jetzt zu fühlen wähnte, wozu Gott sie gerade so ausgerüstet habe.

Als er eines Morgens aus einer solchen ungünstigen Berathung in Urica's Zimmer trat, hörte er die heitere Stimme seiner Gemahlin und ein lieblich lachendes Kinderstimmchen daraus ertönen. Er lüftete den Vorhang und sah seine schöne Urica auf einem Lehnstuhle in Mitte des Zimmers sitzen und auf ihrem Schooß ein etwa sechsjähriges, kleines Mädchen halten, welches ein solcher Inbegriff von Reiz und Schönheit war, daß Montrose sich ganz im Anblicken vertiefte.

Erst später sah er, daß neben Urica eine blasse, hagere Frau saß, die in den entzückenden Anblick der Gruppe, welche Urica mit dem Kinde bildete, ganz vertieft sich über die Lehne ihres Stuhles gebogen hatte, während, unbeachtet von ihr, wie es es schien, Thrän' auf Thräne über ihre Wange floß.

Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, um zu begreifen, daß dies die Muhme Angela und die kleine Floripes sei, und Montrose konnte nicht widerstehen, seine Lauscherrolle mit einiger Betrachtung der neuen Muhme fortzusetzen.

Angela war noch immer keine Person, die durch ihr Aeußeres gefallen konnte; aber es war zu viel in ihrem Innern hergestellt, um nicht auf ihren Ausdruck, auf ihr Betragen einen günstigen Einfluß auszuüben. Sie war dabei einfach, aber nach der Sitte der Zeit, würdig, in schwarzen Sammt gekleidet, trug eine kostbare, aber das Gesicht nonnenhaft umschließende Spitzenhaube mit einem langen, schwarzen Spitzenschleier. Diese Kleidung, an der kein Schmuck zu sehen war, schien sie in nichts zu belästigen, und ihre Stellung war ungezwungen und rührend, da sie Alles um sich her in dem Anblick vergessen zu haben schien, daß Urica in großer Liebe und Zärtlichkeit ihr Kind im Arme hielt.

Obwohl nun Montrose mit dem Anblick der neuen Muhme viel zufriedener war, als er es erwartet hatte, konnte er sein Erstaunen nicht unterdrücken, als er sich dachte, daß sie die Mutter des Engelkindes sein sollte, welches Urica mit Liebkosungen überhäufte – und nun fiel ihm die große Aehnlichkeit desselben mit seiner Gemahlin auf, und er mußte sich gestehen, daß ein Unbekannter außer Zweifel sein müsse, daß diese die Mutter des Engels sei.

Jetzt theilte er die Vorhänge, und so schnell brachten ihn ein paar tönende Schritte über den glatten Boden des Gemachs, daß beide Damen keine Zeit hatten, sich zu erheben.

Er saß im selben Augenblick, als sie ihn bemerkten, auf einem Tabouret dicht vor ihnen, und indem er mit liebenswürdiger Wärme und Treuherzigkeit Angela die Hand reichte, sagte er lächelnd: »Willkommen, Muhme Angela, nehmet mich freundlich als euren Verwandten an – ich biete euch ein Herz voll Hochachtung und wahrer Zuneigung.«

Angela war wie vom Donner gerührt, als sie plötzlich dicht vor sich, ohne die lange gefürchtete Qual der Vorstellung, den berühmten Mann sah, auf den die Aufmerksamkeit von halb Europa gerichtet war, und dessen große Schönheit so hinreißend durch den strahlenden Ausdruck von Geist und Güte war. Sein Anblick traf sie wie ein plötzlicher Sonnenstrahl, sie zuckte zusammen, senkte Kopf und Augen zur Erde und wußte sich nicht zu retten, da sie nicht aufzustehen vermochte, ehe Montrose seinen Platz verließ.

Das Kind hob die augenblickliche Verlegenheit Aller auf – blitzschnell drehte es sich um, und ihre großen Augen, lachend vor Lust und Schäkerei, die sie eben mit Urica getrieben, auf ihn wendend, streckte sie die Hand nach seinem Gesicht aus und rief: »Bist du unser Vetter?«

Alle mußten lachen und dies erleichterte die arme Angela. Schüchtern erwiderte sie den Druck seiner Hand, worein sie die ihrige gelegt, und von der Mutterliebe ermuthigt, sagte sie auf Floris zeigend: »Laßt sie meine Fürsprecherin sein – sie wird euch einst besser lohnen, als ich es jemals kann und mein Unrecht an meiner Familie versöhnen.«

»O, sage das nie wieder, Angela!« rief Urica – »das weckt meine Vorwürfe gegen mich selbst! Es schmerzt mich so tief, daß du dich schuldig halten willst.«

»Nein, nein, Mama!« rief Floris – »du hast an nichts Schuld« – und die Arme um sie schlingend, sah man ihr den ängstlichen Eifer an, das bekümmerte Gesicht Angela's durch ihre Liebkosungen zu erheitern.

»Sie ist, wie ich sehe, nicht allein schön, sie ist auch gut wie ein Engel,« flüsterte Montrose seiner Gemahlin zu, und das zerstreute Aufblicken Urica's verrieth ihm, daß sie von dem Kinde Angelas ganz eingenommen war.

Es war sehr auffallend, wie schnell Floripes sich an Montrose anschloß, und alle Zeit, die er an diesem ersten Tage bei den Frauen zubrachte, sich mit ihm beschäftigte, und ihre Bewunderung für ihn auf eine naive Weise an den Tag legte. Auch blieb dies Kind das Band zwischen den beiden so ungleichen Häusern, und bald war Floripes von früh bis Abend um Urica, und gewöhnte sich endlich, ohne ihre Mutter, welche aus Schonung für Nees, nicht so oft das Haus verlassen wollte, bei dieser geliebten Tante zu bleiben, wo Alles ihrem Sinn für Schönheit und Glanz schmeichelte, und es ihr so wohl wie dem Fisch in seinem Element war.

Um diese Zeit schickte die Lady Southhesk mit vieler Verbindlichkeit einen jungen Mann, einen vertrauten Freund, wie sie ihn nannte, der sich Oneale nannte, an ihren Schwiegersohn, um ihn zu begrüßen und ihn über das Wohlbefinden seiner Kinder zu beruhigen. In einem etwas unklaren Vortrag wußte sie zugleich in einem Brief an Montrose auf sein Verhältniß zum Könige und seine Kriegsrüstungen anzuspielen, und forderte ihn auf, den Sir Richard Oneale in seiner Nähe zu behalten und sich seiner Leistungen zu bedienen, die sie als ausgezeichnet darzustellen wußte.

Montrose – immer geneigt, ein gutes Vernehmen mit der Großmutter seiner Kinder zu unterhalten, nahm den Sir Oneale mit großer Höflichkeit auf, und war sehr erfreut, als er hörte, Sir Richard habe zwei Briefe von Lord Graham und Lady Jane an seine Gemahlin. Urica gab sehr gern die nachgesuchte Erlaubniß, den Sir Oneale selbst zu empfangen, da sie sah, wie erfreut ihr Gemahl über diese ganze Sendung war, die ihm ein Zeichen wiederkehrender, besserer Gesinnungen bei den ihn so nah angehenden Verwandten schien.

Es war eine von den uns oft neckenden Zufälligkeiten, wenn wir uns von einer Person, welche wir erst kennen lernen sollen, ein ganz anderes Bild machen, als wir dann finden.

Urica hatte sich unter Sir Richard Oneale, den Boten der Lady Southhesk, einen alten, ernsten, finstern Mann gedacht, und sie war daher fast verlegen, als ihr Montrose vor der Tafel, an der sie heute mehrere Gäste empfangen sollte, einen ganz jungen, fast schönen Mann vorstellte, und es dauerte einen Augenblick länger, als Montrose von seiner Gemahlin gewohnt war, ehe sie ihn mit ihrer würdevollen Anmuth begrüßte.

Sir Richard Oneale war zwar nicht sehr groß, aber von zierlicher proportionirter Gestalt mit der vollkommensten Haltung der vornehmen Welt. Er hätte seiner Farbe und Gesichtsbildung nach ein Spanier oder Italiener sein können – Haar, Bart und Form des Kopfes war sehr schön, und ein würdevoller Ernst hob seine ganze jugendliche Erscheinung. Nur als Urica zuerst nach ihrer augenblicklichen Verwirrung die Augen zu ihm aufhob, fiel ihr der spähende, glühende Blick desselben auf, der sich aber augenblicklich veränderte, und einen ruhig melancholischen Ausdruck annahm, so wie er dem Blick Uricas begegnete.

Der nächste Augenblick verwischte den ganzen Eindruck, denn Urica nahm die Briefe der beiden Kinder in Empfang, und nach Harrys zuerst greifend, den der Bote ihr als solchen sogleich bezeichnete, konnte sie nicht widerstehen, ihn zu öffnen, und wenigstens die Ueberschrift: »meine theure Mutter!« mit einem süßen Lächeln der Freude zu lesen.

»Ach, mein lieber kleiner Harry!« rief Urica – »doch ich vergesse, daß es jetzt fast sechs Jahre sind, seit ich ihn nicht gesehen, und daß er fast erwachsen sein wird! Saht ihr ihn, Sir Oneal, und wollt ihr mir wohl beschreiben, wie er aussieht – und auch Lady Jane – sie wird jetzt funfzehn Jahr sein – « setzte Urica schnell hinzu, weil sie fühlte, sie habe Lady Jane ganz vergessen.

»Euer Gnaden würden Lord Harry Graham sehr zu seinem Vortheil verändert finden. Er ist ein ausgezeichnet schöner junger Mann von etwa siebzehn Jahren geworden; aber so schnell erwachsen, daß seine Höhe, an die des Marquis von Montrose reichen wird. Dagegen hat er seine frühere Kränklichkeit, wenigstens im Aeußeren, nicht ganz überwinden können; sein schönes Gesicht ist noch bleich, doch ist sein Befinden ohne allen Tadel. Er ist jetzt auf der Hochschule in Dublin, und seine geistigen Fähigkeiten sind so ausgezeichnet, wie seine Charactereigenschaften.«

»O, welch' entzückende Nachrichten!« rief Urica, indem Thränen in ihre Augen stiegen, und sie zu Montrose freudig hinüber blickte – »welch' ein gesegneter Bote seid ihr!« fuhr sie fort, und indem sie ihr seelenvolles Auge auf ihn heftete, wollte sie den ersten Eindruck des Unbehagens, den er ihr eingeflößt, überwinden, da sie sich glücklich fühlte – aber sie begegnete demselben lauernden Blick, der fast spöttisch auf sie gerichtet war, und sich doch schnell senkte, als er mit dem ihrigen zusammentraf, und sich dann ganz verändert auf sie richtete.

Um sich aus ihrem Nachdenken zu reißen, sagte sie leise: »Und Lady Jane? Hat sie die Folgen der Pocken überwunden – hat sie sich zu ihrem Vortheil entwickelt?«

Sir Oneale lächelte und wollte verlegen scheinen, aber schnell sich zusammennehmend, sagte er: »O, Milady – ein junger Mann findet eine junge Dame von funfzehn Jahren immer schön!« Er lachte, und Urica verzog das Gesicht auch zu einem Lächeln, aber sie glaubte nun gewiß zu wissen, daß Lady Jane häßlich geblieben war.

»Lady Graham,« fuhr Sir Oneale fort – »ist, wie ich höre, auf dem Wege eine Gelehrte zu werden! Sie soll mit ihrem Wissen bereits den Pater O'Reil in Verlegenheit setzen, und gewiß kann Niemand, der sie auch nur wenige Stunden sieht, über ihren raschen und scharfen Verstand in Zweifel sein – allerdings hat sie bei ihrer Jugend und der nachsichtigen Bewunderung ihrer Großmutter, die Klippen noch zu bestehen, die ein bedeutender Verstand jederzeit dem Charakter aufbehält.«

Urica erstaunte, wie dieser junge Mann, ohne es bestimmt ausgesprochen zu haben, vollständig angedeutet hatte, daß Lady Jane noch dieselbe häßliche und verzogene Kreatur wie früher sei.

Sie schwieg nachdenkend, als die Thür sich öffnete und Angela mit Floripes an der Hand herein trat. Floripes flog sogleich auf Urica zu und wurde mit dem gewöhnlichen Entzücken von dieser empfangen und unter den zärtlichsten Küssen auf den Schooß gehoben. Da sich Floripes nach diesem Sturm der Zärtlichkeit etwas unbehaglich nach dem fremden jungen Mann umblickte, der ein beobachtender Zeuge dieser Scene war, trat er näher und sagte verbindlich: »Ich wußte nicht, daß Milady Montrose im Besitz einer Tochter wäre, die so das vollkommenste Ebenbild ihrer schönen Mutter ist!«

Urica, welche diese Bemerkung, abgesehen von ihrer Unrichtigkeit, zu dreist für einen so jungen und fremden Mann fand, sagte rasch und etwas trocken: »Ihr irrt, mein Herr – dies Kind ist nicht meine Tochter!« Doch diesen Worten strömte eine solche Glut auf Urica's Wangen nach, daß sie, erzürnt über den ganzen Vorfall, das Kind zur Erde setzte und sich nun erst Angela näherte, welche unterdessen mit aller Achtung von Montrose unterhalten worden war.

Floripes aber war nicht minder empfindlich geworden; denn die sonderbare Hast, womit sie Urica zur Erde gesetzt hatte, war etwas Ungewohntes für das verwöhnte Kind, und sie ließ nun das Köpfchen hängen und setzte sich schmollend auf einen Fußschemel.

»Was hat Floris?« rief Montrose, indem er munter zu ihr hintrat – aber diese deckte ihr Schürzchen über den Kopf und schmollte weiter. »Nun,« rief Montrose, und hob sie mitsammt dem verhüllten Köpfchen in seine Armen empor –

Da schlang das Kind beide Arme um ihn und sagte, fast weinend: »Nun will Urica nicht mein Mütterchen sein, und wenn wir allein sind, soll ich sie doch nie anders nennen!«

Alle lachten nun, und Urica, die ihre Unbefangenheit wieder erhalten hatte, sagte: »Es kam nur darauf an, diesem Herrn seinen Irrthum zu benehmen. Jetzt bist du wieder mein Töchterchen nach wie vor – schmolle nur nicht weiter mit deinem Mütterchen!«

»Meine Muhme Frau van der Nees – ich stelle dir hier den Sir Richard Oneale vor, welcher uns Nachrichten von Milords Kindern überbringt – und Sir,« fuhr sie fort – »dies ist die Mutter unseres kleinen verzogenen Lieblings!«

So auffallend, als der höchst nöthige Anstand es nur zuließ, war die Bewegung des Erstaunens, mit welcher der junge Mann diese Erklärung aufnahm und nachdem erst Alle dies wahrgenommen haben mußten, sagte er: »Aus dieser wahrscheinlich sehr nahen Verwandtschaft ist auch allein die erstaunenswürdige Ähnlichkeit zu erklären, welche dies kleine Mädchen mit Euer Gnaden hat und welche mich zu der Aeußerung brachte, für welche ich jetzt um Verzeihung bitte!«

»Entschuldigt Euch nicht,« sagte Urica, noch immer ungewöhnlich gereizt – »dies Kind gleicht seiner Großmutter, und diese war meine Schwester!«

»Ich kann nur sagen,« nahmMontrose das Wort – »daß – als ich dies Kind zuerst auf dem Schooß meiner Gemahlin sitzen sah, ich auch das Gefühl hatte, ähnlicher könne eine Tochter ihrer Mutter nicht sein!«

Angela hörte solche Bemerkungen nicht zum ersten Male, und es war ihr bei ihrer anspruchslosen und richtigen Würdigung ihrer eigenen Persönlichkeit eine süße Befriedigung, den Wunsch ihres Herzens so allgemein als erfüllt anerkannt zu sehn. Aber bisher waren es die Aeußerungen zärtlicher Verwandten gewesen, es hatten sie solche Bemerkungen nur erfreut, nie verletzt – dieser junge Mann hatte es in seiner höhnischen und anmaßenden Weise vermocht, sie mit derselben Bemerkung zu kränken, und dies ihr so fremde Gefühl, welches einen vorhandenen Anspruch verrieth, verwirrte sie so, daß ihre ganze Haltung sie verließ und sie sich seit lange zuerst in einer unpassenden Stellung fühlte.

Das sahen Alle, und es vermehrte gewiß den unklaren Eindruck, den der junge Mann zuerst auf Urica gemacht und der ihm nicht günstig war. Dazu kam, daß Urica und Montrose bald ein so großes Vertrauen zu Angela's stillem, treu teilnehmenden Sinn und ihrer verständigen Auffassung gewonnen hatten, daß Beide vor ihr alle Angelegenheiten besprachen und daher die Vertraulichkeit und Achtung, die sie gegen sie empfanden, auch von Andern geachtet wissen wollten, und so mußten viele kleine Umstände zusammenwirken, um aus der gleichgültigsten unbedeutendsten Begegnung eine Scene zu machen, die bei Allen tiefer ging und leidenschaftliche Regungen hervorrief und zu unbegründetem Verdacht und argwöhnischer Beobachtung führte.

Angela verlangte mit Dringlichkeit, daß man sie vor der Tafel wieder entlassen möge und bestand auch diesmal mit einer gewissen Hartnäckigkeit darauf, Floripes mit zurückzunehmen, worin ihre Verwandten sich nach einigen vergeblichen Bitten fügten, wozu Floripes aber nur unter vielen Thränen ihre Einwilligung gab.

Sir Oneale war bei dieser Entwicklung nicht zu entfernen gewesen; aber seine Gegenwart lastete wie Blei auf den beiden Frauen, denn was bei jedem Andern ein bescheidenes Zuschauen gewesen wäre, ward bei ihm die unverschämte Anmaßung eines Beobachters, und als Urica, von dieser Stimmung verfolgt, Angela bis zur Thür begleitete, rief sie ihr mit etwas lauter Stimme nach: »Du siehst mich heute Abend noch unter der Linde auf deinem Lusthof!«

Aber Alles mußte mißglücken; denn dies langgehoffte und erwünschte Zugeständniß Urica's, wozu diese bis jetzt noch nicht gekommen war, tauchte Angela's Augen in Thränen, und um diese zu verbergen, ließ sie, sich umwendend, schnell den Vorhang zwischen sich und Urica niederfallen.

Welchen Aufruhr brachte jedoch Angela mit der Nachricht in ihr Haus, die Marquise von Montrose werde am Abend den Lusthof besuchen. Nees hatte dies Ereigniß so viel zu früh erwartet, daß er jetzt fast nicht mehr darauf rechnete. Er hatte in der ersten Zeit auf der Lauer gelegen, vor Urica's Hause sowohl wie vor dem seinigen, denn er argwohnte, man werde gern die Zeit wählen, wo er abwesend sei, und hatte ohne Weiteres angenommen, sein Verhältniß zur Muhme sei jetzt ganz in der Ordnung und Alles vergessen und vergeben, und er dürfe daher die Ziererei der vornehmen Dame nicht durchgehen lassen, wenn sie ihn etwa wieder vermeiden wolle, wovon er eine unheimliche Ahnung nicht bezwingen konnte.

Seit einiger Zeit aber schien es, er habe diese Begebenheit weder gewünscht noch ferner erwartet; er vermochte zwar Angela's Besuche bei ihrer Tante nicht ganz zu hindern, aber er führte beständig höchst verächtliche Reden über Vagabonden-Leben, Verschwendung und lüderliche Aufführung. Er schrie oft Angela, wenn sie in allem Frieden vor ihm saß, brutal an und fragte, was sie dort gemacht, ob man ihr zu Leibe gegangen, ob sie etwas verrathen habe oder versprochen – er lief dann in seiner alten unstäten Wuth umher und drohte mit der Faust in die Luft und sprach von Bettelvolk – und Plünderern und Beutemachern – und wie er es ihnen zeigen wolle!

Nicht allzu viel Acht gab Angela auf solche Ausbrüche, denn sie bezog zu Anfang unschuldig noch immer Alles auf seine Befürchtung der früher beabsichtigten Trennung. Später, als sie näher in das Vertrauen ihrer beiden Verwandten eingeweiht ward und die Schritte kennen lernte, die Urica hinsichtlich ihres Vermögens thun mußte, kam ihr die Befürchtung, Nees, welcher wirklich ein schlaues Ausspioniren aller Geschäfte des großen Geldmarktes von Amsterdam besaß, habe etwas von diesen Angelegenheiten erfahren, die Urica sehr bemüht war, der Aufmerksamkeit zu entziehen. Sie gab daher jetzt wohl auf ihn Acht, als sie ihm die Nachricht gab: sie erwarte Urica, und ihre Befürchtungen konnten sich nicht dadurch verringern.

Er pruschte lachend auf, als er es hörte, und, hochroth werdend, sagte er: »Nun, Angelchen! laß sie kommen mitsammt ihrem Marquis – ich bin der Mann, der versöhnlich ist – sie hat von mir nichts zu befürchten und kann einem Manne, wie Nees, weder Ehre noch Schande bringen!«

»Die Umstände ändern sich,« fügte er hinzu, gespreizt um sich blickend – »es würden jetzt gewisse Leute viel drum geben, gediegenen Reichthum zu besitzen, und dieser macht sich etwas besser, als wenn wir dabei sind, Alles in den Wind zu blasen! Ja, ja, Angelchen, du siehst mich verwundert an – sag', hat sie dir nichts gesagt? He? warum kommt sie grade jetzt? Verstehst, Angelchen? Aha!« rief er, lustig aufspringend – »das Messer wird an der Kehle sitzen und da können wir das verachtete Haus finden – denkst, Angelchen, sie wird jetzt die Hand nehmen, die sie sich damals weigerte, zu berühren! He! glaubst du? Hör', ich will dir was sagen, ich glaube, wenn Nees dumm sein will und thun, wie das feine Lärvchen will – und hält auf der verachteten, verschmähten Hand das hin, was die Gnaden brauchen können – gieb Acht, sie zieht den Handschuh aus und legt das weiße Sammtpatschchen hinein! Aber,« rief er, tiefe Diener machend und immer zorniger höhnend – »da werde ich meinen Rücken krümmen und der Gnaden ein Schnippchen schlagen! Oho! Nees weiß, was seine Hand wiegt – sie soll durch diese hochmüthige Närrin nicht leichter gemacht werden!«

»Willst du mir nicht sagen, Nees, was du meinst?« sagte Angela – »du stößt gewiß viel böse Worte aus, und doch vermuthe ich, du weißt bei deiner Heftigkeit nicht wohl, was du meinst! Doch kannst du denken, daß mir viel daran liegt, daß du in einer anständigen Stimmung bist, wenn meine Muhme kommt, sobald du gesonnen bist, bei uns zu bleiben, oder sie zu empfangen!«

»Verlaß dich darauf, Angelchen – heute darf Nees nicht fehlen, wenn die Frau Tante kommt! Willst' den Spaß erleben, bleibe ich zuerst weg, wenn die Gnaden Einzug hält, – was wetten wir – heute blickt sie nach Nees aus – heute wünscht sie, der liebe Herr Neffe solle gerufen werden – und dann werden die höflichen Reden angehen, damit Nees vergesse, wie wir ihn einst behandelt. Siehst'! kleiner Schwachkopf – das verstehst und begreifst du nicht! Ja! ja! Nees kann Räthsel aufgeben – und sollst mir den verschlagenen Kopf zeigen auf dem Kaufhause oder den Märkten, der Nees was verbirgt.«

»Lassen wir es dabei,« sagte Angela, nicht ohne sich einer kleinen List zu bedienen – »da ich dich nicht verstehe, so kannst du Recht haben, daß die Tante nach dir verlangt und das würde mir dann recht wohl thun, wenn ich sähe, daß sie dir als Hausherrn auch gerecht zu werden trachtet, das können wir freilich nur erfahren, wenn du, wie du es dir vorgesetzt, zuerst wegbleibst.«

»Ja! ja!« sagte Nees – »so habe ich es mir vorgesetzt und so soll es bleiben – ich will doch sehen, wenn die Frau Tante einlenkt und an's Schmeicheln kommt. Aber hör', da wirst du Nees kennen lernen – und bilde dir nicht ein, daß du für dich was thun kannst – hörst du? Kein Wort! – sonst werde ich zeigen was mir zukommt!«

»Gewiß kennst du Alles, was dir vortheilhaft sein kann, und wenig habe ich dir Veranlassung gegeben, strenge Vorschriften gegen mich geltend zu machen,« sagte Angela – »aber laß das jetzt und ziehe dich zurück, da das dein Wille ist, denn sonst wird uns die Tante überraschen und ich erfahre nicht, ob es sich so mit ihren Gesinnungen verhält, wie du sicher annimmst.«

Diesem fügte sich Nees und wie es so häufig war – er wußte nicht, ob er lustig oder wüthend war – leicht verfiel er aus dem Ersteren in das Letztere und erstaunenswürdig gräulich waren daher seine Ausbrüche von Vergnügen, und die Erfahrung Aller hatte sie gelehrt, daß wenig Heil dabei zu gewinnen war, so daß nur seine gewöhnliche mürrisch brütende Laune eine Art von Ruhe und Sicherheit versprach.

Urica bereute zwar ihre Anmeldung bei Angela nicht, aber es wandelte sie ein unbestimmtes Gefühl von Unbehagen an, wenn sie daran dachte, in diese so trübe Häuslichkeit einzutreten und an Angela's Seite den verhaßten und verachteten Nees sehen zu müssen.

Bisher hatte sie ihre arme Nichte nur bei sich gesehen und getrennt von der widrigen Zugabe ihres Lebens, wodurch sie sich ihres ganzen Werthes bewußt geworden war. Jetzt drang unwillkürlich ein Seufzer aus ihrem Busen, als ihr Wagen vor dem alten Purmurandschen Hause hielt und sie dachte mit einer sonderbaren Schüchternheit an Herrn von Marseeven, dessen Anwesenheit sie sich bei ihrem besonderen Vorhaben hierher erbeten hatte und fühlte, daß sie ihn zu ihrem Schutz herbei wünschte.

Doch erleichterte es sie sehr, als nur Angela und Floripes ihr entgegen traten und sie im Hause selbst, wehmüthigen Andenkens, nur die alte Susa fand, welche sie freundlich und achtungsvoll begrüßte, und ihr ein längst zugedachtes, bedeutendes Geldgeschenk einhändigte.

Als sie auch im Lusthof den Hausherrn nicht fand, nahm Urica sehr erleichtert unter der Linde neben ihrer Nichte Platz, und Beide überließen sich eine Zeitlang ihren tief bewegten Gefühlen, welche die Erinnerung in ihnen hervorrief.

»Aber,« sagte endlich Urica zu leichteren Gedanken übergehend – »war dir dieser Sir Oneale nicht auch ein unheimlicher Gast? War es doch, als ob wir Alle in seiner Gegenwart andere Menschen würden? Gestehe es nur, Angela, du warst zuerst in deinem Leben empfindlich mit uns Allen, ich wußte mich noch nie so schlecht aus einer Verlegenheit zu ziehen, und auch Montrose war ungeschickt, denn er sah uns Beiden ganz erstaunt nach, als müsse er von uns Aufschluß erhalten. Ich habe ihn bereits gescholten und wir haben gelacht; doch läßt er dich sehr um Verzeihung bitten!«

»O das müßte er nicht thun,« rief Angela – »denn ich war die Unartige! Was habe ich mir lebhafter gewünscht, als daß mein Kind euch, meine Tante, gliche; wie stolz war ich, als mir Frau von Marseeven und viele Andere und endlich ihr selbst diese Hoffnung bestätigtet – und nun es ein Fremder thut, was ja für mich als sicherster Beweis gelten könnte, da ergreift mich ein so unbeschreibliches Weh, ein solches Gefühl von Kränkung, daß ich gewünscht hätte, die Erde thäte sich vor mir auf.«

»Die Sache ist die, daß es eigentlich ein unverschämter Gesell ist,« sagte Urica, – »Einer von den sicheren Klugen, die sich ihrer Fähigkeiten bewußt sind und denen man ihre Unarten hat durchgehen lassen, weil man sie gut gebrauchen konnte. Eine lästige Gattung Menschen, besonders wenn sie noch jung sind, wo selten die Geckenhaftigkeit, oder irgend eine Eitelkeit mit dem Aeußeren ausbleibt. Ich bin überzeugt, dieser junge Herr spielt den melancholischen Denker; aber der Schalk lacht aus jedem unbewachten Blick und ich habe ein Gefühl, als müßte ich ihn mir weit abhalten.«

»O thut das! thut das! – Ich hatte wie ein böses Gesicht, als ich ihn vor euch und Floris mit seinen lauernden Augen sah, als wollte er euch durchbohren – mir war es, als sagte mir die Luft: Er hat Böses vor mit Beiden!«

Urica lachte etwas künstlich und blickte dann nachdenkend vor sich nieder; plötzlich sagte sie: »Und Montrose rühmt ihn seit gestern schon, wo er ihn zuerst sah. Selten kommt man ihm mit Einsicht entgegen und versteht seine Befehle. Dieser schien bei Allem schon gewesen und was den Meisten fehlt, Montrose für Alle mithaben muß, eine gebildete geographische Kenntniß des Landes, steht ihm völlig bequem zu Gebot. Er hat ihn sogleich als dienstthuenden Officier um seine Person angestellt, eben um Feldzugspläne zu Papier zu bringen, was mein Gemahl bisher selbst thun mußte. Also« fuhr sie fort und zwang sich zu lächeln – »wir werden uns an diesen unheimlichen Gast gewöhnen müssen, wenigstens während der Gesellschaftsstunden, denn näher lasse ich ihn mir nicht kommen! Doch lassen wir ihn, überhaupt, meine theure Angela,« fuhr sie fort – »und suchen Floris bei den Blumen zu beschäftigen. Was ich dir mitzutheilen habe, leidet ihre Nähe nicht, denn ihr Name kommt zu oft dabei vor.«

Floripes ward nun von Susa beauftragt, Blumen für die Tante zu pflücken und endlich überredet, im Saal nach Caasens Fiedel Probe zu tanzen, um es nachher vor der Tante im Mondschein auf dem Lusthof zu wiederholen.

Urica ergriff nun Angelas Hand und sagte bewegt: »Da es scheint, daß Gott meine Ehe nicht mit Kindern segnet, und die Kinder meines Gemahls reichlich mit Vermögen versehen sind, sobald der Zustand des Landes aus seiner Anarchie gerettet ist, so war die Geburt deines Kindes und die Gefahren, in denen wir uns bei den gefährlichen Kriegsoperationen meines Gemahls befanden, Veranlassung, daß wir oft an unsern Tod dachten, und Montrose forderte, daß ich über mein Vermögen, zu Gunsten meiner Verwandten verfügen sollte, d. h. deiner Tochter! Ich gestehe dir meine Schwäche, daß es mir weh that, zu Gunsten einer van der Nees zu testiren, und daß ich darüber oft in traurige Betrachtungen verfiel, bis mir einmal der Brief wieder zu Händen kam, worin du mir die Geburt dieses Kindes mittheiltest, und wie die Frau von Marseeven dies Kind bei der Taufe, wo du sie nach unserer Großmutter Floripes nanntest, diese, nach dem Recht der Pathen, ihr auch einen Namen zu geben, ihr Casambort als Vornamen beilegen ließ und ihr Gemahl, der zweite Pathe, den Namen Gröneveld. Dies war mir zu Anfang nur als eine folgenlose Absicht, uns Allen wohlzuthun, wenig aufgefallen – jetzt, vielleicht wo meine Gedanken eine ähnliche Richtung nahmen, fiel es mir auf, und ich schrieb nach Rücksprache mit Montrose darüber an Herrn von Marseeven. Dazwischen traten nun traurige Vorfälle ein; wir verließen England, und erst viel später erreichte uns ein umher gewanderter Brief des Herrn von Marseeven in Frankreich. Er sagte mir, daß sie Beide damals an die Möglichkeit gedacht hatten, Floripes dereinst ihre Rechte auf den Namen ihrer Familie zurückzugeben, und daß in der Zeit Aehnliches vorgekommen, indem Familien von altem Adel und Namen, welche die Bürgerkriege, bei Zerstreuung oder Verarmung der Familie, um ihre Rechte gebracht, diese wieder zu erlangen suchten, und dazu, nach Anerkennung der Staaten, eine Art Ritter-Bestätigung bei dem Kaiser einzuholen sei, welcher auch neue Urkunden oder Atteste, über die Richtigkeit der alten vorgezeigten, ausfertigen ließe, wonach jede Einwirkung beseitigt sei, und der Name und das Wappen mit allen Vorrechten wieder in Gebrauch trete.«

»Du wirst jetzt schon ahnen, theure Angela!« fuhr Urica zärtlicher fort, da sie sah, wie das Blut auf der gesenkten Stirn stieg und verschwand, und ein leises Zittern sie bewegte – »was ich, ohne deiner Einwilligung nachzufragen, zu thun wagte! Herr von Marseeven, der alle deine Papiere in Besitz hatte, schickte mir diese auf mein Begehren nach, denn bald nachher begab sich mein Gemahl, wie dir bekannt, an den deutschen Kaiserhof, und hier gelang es mir, indem ich selbst in einer gnädig mir bewilligten Privat-Audienz dem Kaiser dein unverschuldetes Schicksal und deinen heldenmüthigen Entschluß, dies Band der Ehe, was ich deinen Rechten entzog, nicht zu lösen, mittheilte, und indem ich für dein Kind um die Wiederherstellung seiner, durch die Mutter ihm zustehenden Rechte bat, den Kaiser zu überzeugen und seine Einwilligung zu erlangen, und nachdem Herr von Marseeven, in meinem Namen die gehörigen Schritte bei den Staaten gethan, und dies Alles in seiner Richtigkeit dem Kaiser vorgelegt worden war, bestätigte er diese Dokumente, die ich dir nun zur Ansicht vorlege, und dich bitte, sie zu lesen.«

Doch Angela schob mit einer letzten Anstrengung das wichtige Pergament mit seinen Wappenkapseln fort, sie öffnete ihre todtenbleichen Lippen, um zu sprechen, und sank ohnmächtig in die Arme ihrer erschrockenen Tante.

Urica blieb unentschlossen mit ihrer Bürde im Arm sitzen, denn indem sie bald einsah, wie viel besser es sei, diese natürliche Erschütterung der allgemeinen Aufmerksamkeit des Hauses zu entziehen, hoffte sie auch, Angela werde schneller und lieber sich in ihren Armen erholen, und damit aller lästigen Zumuthungen und Erklärungen sich überhoben sehen.

Sie suchte daher bloß nach ihrem Riechflaschen und lüftete den Gürtel des Kleides, und Angela's wiederkehrender Athem lohnte diese Bemühungen. Ihr erster Blick, der wieder Besinnung verrieth, haftete fragend auf Urica, und als damit der ganze Vorgang in ihre Erinnerung zurückkehrte, brach sie in einen Strom von Thränen aus.

»Diese Thränen werden dich erleichtern, und da sie dich verhindern, zu lesen, will ich dir den Inhalt dieses Dokuments erzählen. Es ist ungefähr so abgefaßt, daß es der Tochter des Fräuleins von Gröneveld, von mütterlicher Seite aus dem Hause Casambort, von väterlicher Seite aus dem Hause Barneveld abstammend, welche sich mit dem Bürger und Handelsherrn von Amsterdam, Jakob van der Nees vermählt hat – daß es der Tochter aus dieser Ehe, auf Ansuchen ihrer Tante, der Marquise von Montrose, geborne und vermählt gewesene Gräfin von Casambort, das Recht und die unangreifbare Bevollmächtigung ertheilt, den Namen, die Wappen und die Gerechtsame beider hohen Familien, durch ihre Erhöhung zum gräflichen Range führen, behalten, und gegen jeden Einspruch, welcher dadurch als nichtig erklärt wird, behaupten zu können. Sie soll ferner dies Dokument, nach Bestimmung ihrer Verwandten und Angehörigen, zu derselben beliebigen Zeit in's Leben treten lassen, oder ferner für sich behalten können; sie ist berechtigt, vor oder nach ihrer Minderjährigkeit damit hervorzutreten, und möge sie nie davon Gebrauch machen, so soll sie durch dies Dokument, doch unabänderlich genannt sein: – Floripes, Gräfin von Casambort.«

»Casambort,« – stammelte Angela – »Casambort – und nicht mehr, wie Vater und Mutter van der Nees – abgelöst von ihren Eltern – der Name, den ihr der Wille des Himmels gegeben, als ein Makel von ihr genommen – auf den sie hinsehen soll als eine Schande, von der man sie erretten wollte – und doch unser Kind – doch die Tochter derer, die diesen Namen behalten müssen!«

Angela hätte ersticken müssen, wenn sie die Qual und Aufregung ihres Geistes auf diese Weise nicht hätte los werden dürfen – sie konnte an den Eindruck nicht denken, den sie vielleicht hervorrief – sie mußte aussprechen, was sich in ihrer Ueberzeugung während der qualvollen Momente, daß sie dem Bericht der Tante zugehört, entwickelt hatte.

»Angela!« rief Urica – erschrocken die Hände und das Dokument in den Schooß sinken lassend – »Angela – das ist dein Gefühl bei dieser Angelegenheit?« Mit einem Schrei des Schmerzes stürzte Angela zu den Füßen ihrer Tante, und indem sie ihren Kopf in ihren Schooß verbarg, rief sie in leidenschaftlicher Aufregung: »O, vergebt! vergebt mir! Ich habe euch eben beleidigt, ich fühle es nur zu sehr, ich bin dazu bestimmt, euch Kummer zu machen und euren liebevollsten Absichten entgegen zu treten! Aber habt Erbarmen mit mir, denkt, daß mir nichts von den schönen Gaben des Lebens gelassen war, und daß, als ich überhaupt zur Besinnung kam, ich alle Güter dieser Erde für mich unwiderruflich verloren sah; denkt, daß ich damals nichts übrig behielt, als das heiße Vertrauen, vor meinem Gott im Rechten zu bleiben – Tante, Gott hat da voll Erbarmen ein kleines Glück in mir erwachsen lassen, das ward immer mächtiger, je länger es lebte, es hatte endlich die Kraft, die Welt, die mich verlockte und ängstigte, zu überwinden, und ich will mir hier vor euch voll tiefer Beschämung ein Geständniß erlauben, daß ich habe einsehen lernen, wenn man mit Gott und nur mit ihm lebt, dann wird das Auge klar für das, was wahr ist vor ihm – ich – ja ich, das geringe, unbedeutende, verwahrloste Wesen, ich erkenne oft das Rechte schneller als Andere, und so, als ob es mir Gott selbst sagte – Tante! Tante! als ihr vorher sprachet, da kam die große Erschütterung über mich, die mir meine Besinnung raubte, denn ich rang wie der Prophet mit Gott und er warf mich nieder, aber als ich erwachte, hatte er sich in meinem Geiste offenbaret.«

»Angela – Schwärmerin!« rief Urica in einem seltsamen Widerspruch ihrer Gefühle – »welche Richtung hat dein Geist genommen!«

»Kann das ein Irrthum sein?« fragte Angela und richtete sich mit kindlicher Hingebung in Urica's Armen auf – »weißt du nicht, daß Gott Keinem Steine giebt, wenn er um Brot bittet – und mir, die ich auf ihn lauschte, die ihm nachging, ein lebendiges Gebet – die darauf den trotzigen Glauben empfing: Er müsse mir die Erkenntniß zu ihm geben – mir sollte er Steine statt Brot gegeben haben? Oder vielleicht meint ihr was Gutes mit eurer Schwärmerei, nicht wie es die Welt bezeichnet, als einen hohlen, leeren Trug des sinnlichen Herzens!«

»Wo geräthst du hin, Angela?« sagte Urica sanft – »O, sei sicher, nie kann sich in meiner Seele gegen dich Tadel gestalten – ja, ich fange an zu glauben, daß ich mit meinem weltlichen Eifer im Irrthum war, und du mir weit voraus.«

»Wer kann das entscheiden? Aber sagt mir nur das Eine, theure Tante, daß ihr mir nicht zürnt, daß ihr Erbarmen habt mit der Ueberzeugung, die mich euren Plänen entgegen treten läßt.«

»Entgegen also,« sagte Urica, auf's Neue von dieser Vorstellung bewegt – »wirklich entgegen, weißt du denn, daß diese Urkunden unwiderruflich sind?«

»Unwiderruflicher doch nicht!« rief Angela mit einer überraschenden Kraft – »als daß dies kleine Mädchen, was Gott so herrlich ausgestattet, hier – hier unter dem Dache seines Vaters von der Mutter, die seinen Namen trägt, geboren ist – unwiderruflicher nicht, daß sie damit den Platz gefunden hat, den Gott ihr bestimmt.«

»Angela,« sagte Urica, immer weniger eifrig – »und dennoch siehst du dies Kind als den Uebergang zu unserer Familie an, als das Mittel, deine erfahrene Unbill an dir und uns zu sühnen, und in ihr all' die Vorzüge des Geistes und Körpers erhalten und entwickelt zu sehen, um welche du dich so grausam betrogen glaubst.«

»Ist das nicht ein schöner Ehrgeiz?« rief Angela »Ein Ehrgeiz, den Gott in meinem Herzen geduldet hat neben sich – darf ich ihm nicht vertrauen? Ein herrliches Mädchen zu erziehen – einen Trost für uns Alle – einen Dank für Gott, der es mir gegeben – das – das halt' ich fest – das muß ich aber auch schützen, Tante! Kann ich eine gute Tochter erziehen, wenn ich sie eine Gräfin werden lasse mit einem andern Namen – und sie dann kaum aufhören wird Kind zu sein, und schon einsehen, ihr Vater war ein so gemeiner Mann, daß man ihr seinen Namen nicht lassen konnte, ohne sie zu kränken – führe ich sie damit nicht in Versuchung und bereite selbst vor, was die Macht der Natur vielleicht von ihr abhält – die Verachtung ihres Vaters.«

»Ich kann dich nicht mehr widerlegen,« sagte Urica – »laß uns Alles mit Herrn von Marseeven besprechen; er wollte mich hier finden und das Geschäftliche mit deinem Manne abmachen. Er muß schon länger im Hause sein, denn ich hörte ihn klopfen und eintreten, während du ohnmächtig warst. Vielleicht beredet er, ehe er zu uns kommt, das Nöthige mit Nees.«

»Das verhüte Gott,« sagte Angela sichtlich erschrocken, »daß Nees davon erfahre! Vortheil irgend einer Art ist eine harte Versuchung für ihn – und er kann hartnäckig im Irrthum sein, und euer Besuch regte ihn auf und es ist ein Zufall, daß ich ihn so lange von uns abhalten konnte.«

Während dieses Gesprächs hatte Nees wohl versteckt die Tante eintreten sehen und sie belauscht, in der Erwartung, wie sie nach ihm umsehen und fügsam sich zeigen werde, ihn zu begrüßen.

Nees, der zu den schlauesten und gewandtesten Wechslern gehörte, der große Summen umsetzte und thätig und berechnend eine zuverläßige Erfahrung hatte, war mit dem Vorhaben der Marquise Montrose, ihr Vermögen in baaren Bestand umzusetzen, welches bei den sich wiederholenden Geboten der Art auf einen schnellen Verbrauch schließen ließ, um Rath gefragt worden, und hatte die gewöhnliche Hülfe geleistet, so lange die Sache ihm völlig sicher schien – jetzt aber zog er sich schon völlig davon zurück, denn er glaubte, daß ihr größter Besitz bereits verloren sein müsse. So kam es, daß er sich Urica's plötzlichen Besuch, mit dem sie so lange gezögert, nicht anders auslegen konnte, als daß sie nun bei ihm, dem allbekannten reichen Nees, eine Anleihe zu machen beabsichtige – und wie er schon an und für sich nie ein Darlehn machte, ohne den größten Vortheil bei der größten Sicherheit davon ziehen zu können, so war ihm der Gedanke, sich hier entschieden zu weigern, jetzt noch besonders versüßt durch die Hoffnung, sich damit gegen diejenige rächen zu können, die er vor Allen am meisten haßte, weil sie ihn am tiefsten verachtet, am entschiedensten und stolzesten zurückgewiesen hatte.

Schon stieg seine Ungeduld, weil ihm der Moment, wo er nach der Wette gegen Angela erwartete, gerufen zu werden, zu lange ausblieb, und er, aus einem oberen Fenster in den Hof blickend, die Frauen so ruhig zusammen plaudern sah, als werde er keineswegs dabei vermißt. Um seinen Triumph gebracht zu werden, schien ihm unerträglich, er fuhr aus dem Fenster zurück – er durchschurrte das Haus und setzte von einem Bein auf's andere – es zeigte sich Niemand, ihn zu rufen. Da hörte er zu seiner Zerstreuung den Klopfer an der Thür, und als er Herrn von Marseeven und den Schöffen Cornelius Hooft eintreten sah, zweifelte er keinen Augenblick, seine Vermuthungen würden sich bestätigen, nur wolle ihn die hochmüthige Tante durch den hochmögenden Herrn auf ihr Gesuch vorbereiten.

Es war nun ein lächerlicher Kampf in Nees, da seine natürliche Feigheit und sein elendes Naturell es ihm fast unerläßlich machte, vor Herrn von Marseeven, diesem Mächtigen der Stadt, zu kriechen und er doch sich spreizen wollte, den reichen, hochmüthigen Mann spielen und mit Beleidigungen und Anzüglichkeiten jeden Antrag für die Frau Tante abzuweisen beschlossen hatte.

Zuerst mußte ihn die Art und Weise des Oberschulzen in seinen Erwartungen bestätigen, denn er redete Nees sogleich mit dem Begehren an, ihn allein sprechen zu wollen. Nees vertrieb die arme Floripes sogleich mit Caas und der Fiedel aus dem alten Purmurandschen Banketsaal, und nöthigte in widriger, ungeschickter Geschäftigkeit, seine vornehmen Gäste dort einzutreten.

Marseeven fing die Sache hier nun etwas anders an, indem er ihm, die durch Testamentsbeschluß bereits befestigte Absicht der Marquise Montrose vortrug: Floripes – oder Floris, wie sie abgekürzt genannt wurde – zu ihrer Erbin einzusetzen.

Der Herr von Marseeven fand sich etwas getäuscht, da er bemerkte, daß Nees diese Mittheilung, von der er so viel Wirkung auf ihn erwartet hatte, ziemlich gleichgültig und ohne alle Erwiederung aufnahm. Nees aber dachte: das ist mir eine saubere Schenkung, wenn die Frau Tante vorher reinen Tisch macht – und sah es bloß als eine Finte an, ihm auf diese Verfügung hin, sein Darlehn abzupressen.

Herr von Marseeven wußte aber in der That weniger, wie Nees, daß es so bedenklich mit dem Vermögen Urica's stand, obwohl er hatte abnehmen können, Urica müsse ihrem Gemahl wohl einige Kapitalien geopfert haben.

»Nun,« sagte Nees, nach der Aufforderung sich über diese Bestimmung zu erklären – »das hätten wir, denke ich, ohne viel Reden und Feierlichkeiten lassen können! Angelchen ist einmal mein Weibchen, Angelchens Tochter ist die natürliche Erbin der Frau Tante, das war ja ohne Testament so lang wie breit. Dabei kennt Nees die Gesetze – Testament hin – Testament her – die Frau Tante ist noch in den Jahren – , kriegt sie über's Jahr natürliche Erben, so haben wir den ganzen Prasch umsonst gehabt!« – Er lachte dabei roh und höhnisch auf, glaubte aber die Andern gut bedient zu haben.

»Nees,« sagte Herr von Marseeven – »ihr vergeßt, daß das Vermögen der Marquise von Montrose freies Eigenthum ist und in dem Grade eurer Verwandtschaft eure Tochter keinen Rechtsanspruch daran und diese Verfügung der Güte und Liebe ihrer Tante zu danken hat.«

»Nun ja, meinetwegen!« sagte Nees, immer fort hin und her mit seinen Fäusten auf seinen sammtenen Pluderhosen streichend und dabei sich beständig von vorn nach hinten wiegend – »Frei wird ihr Eigenthum bald genug sein – mag sie testiren, für wen sie will, seht! ich mache mir keinen Deut daraus, und« fuhr er grinsend fort – »wenn die Frau Tante sich eingebildet haben, dafür großen Dank von mir einzuernten, oder mich in Verbindlichkeiten zu verflechten, da hat sie sich gewaltig in Jakob van der Nees geirrt, denn er weiß, was vorgeht in Amsterdam und am Geldmarkt – und Zeit des Lebens hat er gedacht, zum Testiren gehöre, daß man was habe!« Er lachte ungeschickt hinterher, und nickte Herrn von Marseeven listig zu.

Dieser zweifelte nun nicht, daß Nees vielleicht besser als er selbst von einigen aufgenommenen Kapitalien Urica's gehört haben werde, und in seiner argwöhnischen Furchtsamkeit an dem Besitz, der ihm geboten wurde, verzweifelte. Keineswegs aber war die undankbare, abweisende Art, mit welcher Nees den ersten Theil der Mittheilung aufgenommen, sehr erleichternd für den zweiten Theil derselben, welcher ein Gut anbot, welches, wie er voraussetzen mußte, noch viel weniger Werth für Nees haben konnte, und was doch, von ihm vielleicht mit Brutalität zurückgewiesen zu sehen, den guten Herrn von Marseeven schon im Voraus zu kränken begann, und seine überwiegende Stellung nicht wenig zu verletzen drohte.

Aber die Mittheilung mußte gemacht werden, und nachdem der Oberschulze dem Herrn Hooft, der sich des Lächelns kaum erwehren konnte über ihre falsche Stellung zu dem brutalen Burschen, einen Blick des Einverständnisses zugeworfen, überwand er sich fortzufahren:

»Um jedoch eurer Tochter einen Besitztitel an die Casambort'schen Güter zu sichern, war es nöthig, ihr auch die Vorzüge des Standes zu gewinnen, welche sie in ihren späteren Rechten sichern werden, und so hat die Frau Marquise von Montrose bei der Kaiserlichen Majestät, nach vorheriger Zustimmung der Staaten, ausgewirkt, daß eure Tochter den Rang und den Namen einer Gräfin von Casambort zu führen berechtigt ist.«

Bei dieser Mittheilung hatte sich plötzlich Neesens unverschämte Gleichgültigkeit verloren – die Augen prallten ihm aus dem Kopf – das Streichen hörte auf – er lag übergebogen und stierte den Sprechenden an. Als Herr von Marseeven mit der Wirkung zufrieden schwieg, stieß Nees einen seiner wilden Töne aus, schlug die Faust vor den heiser lachenden Mund und schrie überlaut:

»Der Daus! das hat sich die Frau Tante nicht übel ausgedacht! Mein Goldkind Gräfin und mit dem vornehmen Namen der Frau Tante – nun kostet es mich kein Geld, denn ich dachte immer, wenn ich zu Gelde käme, ihr so was zu kaufen, wie jetzt Viele thun, die zu was kommen, damit die vornehme Sippschaft über das Goldkind nicht mehr die Nase rümpfen könnte – aber wer hat zu so was Geld – das kostet was – und wenn's die Frau Tante nicht Alles bezahlt, so ist das nicht meine Sache – ich hab's nicht angefangen – zu Unkosten habe ich nichts übrig!«

Schon regte sich seine wüthende Angst vor Ausgaben und aufspringend fing er an zu setzen, ein wahrhaft grauenvoll, burlesker Anblick, den Herr von Marseeven und sein Begleiter zuerst erlebten.

»Oder,« rief er immer wüthender werdend – »soll das die Falle werden, in die Nees purzeln soll? Aus Dankbarkeit wegen der Titelgeschichte soll Nees loslassen, wenn die Frau Tante pfeift, damit sein ehrlich erworbenes, kärgliches Gut, eben so wie das Ihrige in den Wind geht! Hört mal!« schrie er und schien nicht mehr zu wissen, wen er vor sich hatte – »da können Räuber auch zu zwei Mann in's Haus dringen und den Ueberfall machen, wenn der Andere sicher gemacht ist und ihm seine Säckel leeren und sagen: Bedanke dich noch, daß wir dich zum Bettler machten!«

So fuhr Nees fort unter wüthenden Sprüngen und Gebärden zu schreien, denn wieder zeigte es sich, daß er sogleich aus dem Zustande von wilder Freude, die er zuerst empfunden, als er von Floripes Standeserhöhung hörte, nun in die wahnsinnigste Wuth überging, weil er selbst sich die Freude nicht gönnte und sich überall wie auch jetzt überredete, sie könne ihm was kosten.

Nach einer Pause, welche die beiden Männer nöthig hatten, um ihr Erstaunen bei diesem Anblick zu bemeistern, faßte Herr Cornelius Hooft einen kühnen Entschluß, und indem der kräftige Mann mit der Faust auf den Tisch schlug, daß Alles bebte, befahl er Nees, sich augenblicklich niederzusetzen.

Das wirkte sogleich – Nees fuhr zusammen, als habe man ihn erschossen, rannte dann nach dem Stuhl, den er verlassen, sank fast erschöpft in Schweiß gebadet darauf hin und guckte dann verschüchtert unter den buschigen Augenbraunen hervor, denn er konnte noch nicht ganz seine Sinne sammeln – erkannte aber schon Herrn von Marseeven und den ihm drohend gegenüber stehenden Schöffen.

»Ihr werdet, hoffe ich, einsehen, daß ihr euch wie ein Narr gebärdet habt; außerdem wie ein ungesitteter Mensch und das überdies gegen die hochachtbare Person des Oberschulzen, daß ihr verdientet, der Büttel, wenn wir ihn hier hätten, schmisse euch zur Thür hinaus, da ihr es in keiner Art verdient, daß Seiner Hochmögenden Gnaden sich herab gelassen, die Schwelle eines solchen Wahnsinnigen überschritten zu haben.«

Dies war die rechte Sprache mit Nees, wenn seine rasenden Leidenschaften ihn zu so tollen Ausbrüchen getrieben; er kroch dann vor harten Worten und Drohungen zusammen, und ihm blieb nichts übrig, als seine jämmerliche Feigheit.

»Nun ja, Herr Schöffe!« sagte er – »ich denke nicht, daß ich Recht gehabt, und der Herr Oberschulze wird es nicht hoch nehmen, was so ein armer Mann in seinem Schmerz thut – aber« –

»Schweigt!« rief Hooft mit Donnerstimme – »Ihr hattet keinen Schmerz erlebt, nichts als unverdiente Ehre, und ihr habt euch betragen wie ein Wahnsinniger! Doch jetzt macht und erklärt euch, ob ihr als Vater dieses jungen Mädchens, welches in den Grafenstand erhoben werden soll, gegen diese Absicht ihrer Tante, der Frau Marquise von Montrose, Einwendungen zu machen habt; wenn nicht, so unterschreibt und untersiegelt dies Dokument, damit wir mit euch fertig werden!«

»Gegen das Gräfin-Werden und den vornehmen Namen habe ich nichts,« sagte Nees – »aber Herr Schöffe, das werdet ihr einsehen, kein Mensch kann Dokumente unterschreiben, ohne zu wissen, was drin steht. Denkt selbst« und seine Fassung hob sich schon wieder bedeutend – »da könnten gute Forderungen drin stehen an Nees – was sollte wohl aus ihm werden, wenn er nicht gelernt hätte, sich vor solchen Zumuthungen – «

»Schweigt!« rief Hooft noch einmal, sehr gesonnen, ihn nicht wieder aus seiner Verschüchterung heraus kommen zu lassen – »schweigt! sage ich euch und les't das Dokument und thut dann, was ihr wollt, denn es steht drinnen, daß ihr eure Einwilligung ohne Ueberredung und ganz freiwillig gegeben habt!«

»Ja, wenn's geschehen ist, könnt ihr's loben,« murmelte Nees und schickte sich an, das Dokument zu lesen, während die Herrn an ein Fenster traten und hier kaum wußten, wie ihnen war, da ihr Entsetzen auch wieder an's Lachen grenzte und Beide sich leise besprechend dahin übereinkamen, sie hätten noch niemals ein so gräuliches menschliches Wesen gesehen, als Nees.

Dieser hatte indessen einmal das Pergament durchgelesen, und da er keine Goldforderung an sich darin gefunden, las er es noch einmal, um zu sehen, ob er sich nicht geirrt habe. Als er denselben Inhalt fand, ward er nachdenkend und nun erst recht mißtrauisch, denn nun mußte es wo anders stecken, oder hinterdrein kommen, oder wenn er dies harmlos aussehende Papier unterschrieb, so hatte er vielleicht nach deutschem Recht ein Zugeständniß gemacht, was so lautete, daß wenn man A sagt, B von selber folgt.

»Nun,« sagte Hooft, welcher Herrn von Marseeven gebeten hatte, den groben Menschen nicht wieder anzureden – »nun wird es bald – ich dächte mit zweimal durchlesen könnte man den Inhalt wissen!«

Nees fuhr erschrocken auf und rief, indem er muthlos, nichts auffinden zu können, das Pergament sinken ließ. »Ich kann nichts entdecken!«

»Als unverdiente Wohlthaten,« sagte Hooft, der kaum das Lachen lassen konnte, als er sah, wie Nees sich verrathen hatte – »also haltet uns nicht lange auf, sondern unterschreibt.«

»Ihr seid sehr eilig, Herr Schöffe,« sagte Nees in sichtlicher Angst – »ich habe keine Zeit, zu überlegen!«

»Das habt ihr auch nicht nöthig!« rief Hooft – »denn es wird nichts von euch verlangt, als daß ihr gegen die Standeserhöhung und Namenveränderung eurer Tochter nichts einzuwenden habt.«

»Bei Leibe nicht!« rief Nees – »nicht das allergeringste! und wenn ihr mir auf eure Schöffenehre versichert, daß nichts von mir gefordert wird als die Einwilligung, so will ich unterschreiben.«

Hooft stampfte vor Ungeduld mit dem Fuße, aber eine beschwichtigende Bewegung des Herrn von Marseeven machte ihn nachgiebig. »Nun in Gottes Namen denn!« rief er unmuthig – »bei meiner Schöffenehre! nichts weiter wird von euch gefordert werden!«

Wahrend nun Nees unterschrieb, dachte er sehr unzufrieden: »Also die Frau Tante will nichts von mir! Das hochmüthige Pack! wo sie wohl nicht Alles borgen gehen wird, ehe sie zu mir kommt!« – Der Triumph, es ihr mit brutalen Beleidigungen abschlagen zu können, schien ihm also entzogen, und er hatte Angela nicht durch seine klugen Voraussagen zu überraschen vermocht.

Als er unterzeichnet hatte, nahm Hooft das Blatt in die Hand und sagte halb ärgerlich halb spöttisch: »Nun ist eure Tochter eine Gräfin – d. h. wenn ihre Mutter auch unterzeichnet, denn erst dann bekommt ihr den kaiserlichen Gnadenbrief mit Wappen und Namen!«

»Die haben wir sicher,« sagte Nees, der allgemach in hochmüthiger Freude aufschwoll – »Das wird für mein Weibchen eine Ueberraschung sein – das ahnet sie nicht, daß ihr Kind so hoch hinaus soll – da wird sie ein Einsehen bekommen, daß so ein Handelsherr von Amsterdam kein Hinderniß ist und sich viel daraus machen läßt, wenn man seine Tochter ist! Wollt ihr wohl erlauben, daß ich ein wenig hinrenne? Sie ist mit der Frau Tante im Lusthof – ich möchte gern sehen, was es für ein Gesicht geben wird, wenn sie hört, sie hat einer Gräfin das Leben gegeben!«

»Bemüht euch nicht,« sagte Hooft – »wir werden uns sogleich Alle zu ihr begeben, und die Frau Marquise hat sie bereits von Allem unterrichtet.«

»Hol sie der T.....,« rief Nees giftig – »die muß sich immer in meinen besten Spaß drängen! Nun, es mag sein, ich will's ihr doch wohl noch ansehen!«

Herr Cornelius Hooft mußte ihn zurückdrängen, um den Vortritt für den Oberschulzen zu gewinnen, und so traten Alle auf den Lusthof, als dort nach der tief bewegten Scene, die eine völlig verschiedene Auffassung der Sache veranlaßte, ein stiller Friede zurückgekehrt war und eine ernste, liebevolle Unterhaltung über wichtige Fragen des innern Lebens die beiden edlen Verwandtinnen beschäftigte.

Nachdem Angela ernst und ehrerbietig den Oberschulzen und seinen Begleiter begrüßt hatte, kam nun die unabweisliche Notwendigkeit für Urica, Nees nicht weiter zu übersehen.

Die starke Frau überzeugte sich nach einem flüchtigen Blick, daß er fast noch widriger als früher war; denn nach solchen Scenen, als die eben überstandenen, war sein gemeines Gesicht von Leidenschaften unterwühlt noch lange zuckend und greinend.

Dagegen war alle gerühmte Sicherheit mit einem Male von Nees verschwunden, als er die glänzende Erscheinung Urica's sah, welche weder an Schönheit noch an Würde verloren hatte.

Jetzt überwand sich diese mit starkem Wechsel der Farbe und, sich zu ihm wendend, sagte sie so freundlich, als sie es über ihre Lippen pressen konnte: »Guten Abend, Herr Nees – tretet näher, wir haben eine wichtige Angelegenheit zu berathen, wie ihr vielleicht schon vernommen habt durch unsern Vetter Herrn von Marseeven!«

»Nichts! nichts!« sagte Nees, scharrend und näher fahrend – »Alles abgemacht – nichts mehr zu berathen, Frau Tante – die kleine Gräfin wäre fertig, und Nees ist danach, das glaubt mir, ihr das Gewicht zu geben!« Er greinte grinsend diesen Worten nach, und als sich Urica, von unüberwindlichem Widerwillen ergriffen, wegwendete, huschte sein Auge nach Angela hin, und als er sie blaß und ernst mit gesenktem Blick stehen sah, glaubte er, sie wisse noch nichts von dem, was er für ein Glück hielt, und plötzlich fuhr Urica erschrocken zusammen, denn er hatte sie am Ellbogen gezupft und sagte vertraulich: »Sie weiß wohl noch nichts?«

»Alles! Alles!« sagte Urica, indem sie sich von ihm zurückzog.

Jetzt war es an Nees, wie er glaubte, zu Angela's Verständniß zu sprechen. Er schleifte sich daher rasch um die Andern herum und, sie am Arm fassend, sagte er mit sehr veränderter Stimme: »Du hast das wohl nicht begriffen, was dir die Frau Tante gesagt hat von der neuen kleinen Gräfin und daß du nun Mutter einer Gräfin bist – hörst du – unsere kleine, liebe Floris eine Gräfin ist – hörst du – gewiß und wahrhaftig eine Gräfin, so sicher und natürlich wie früher die Frau Tante selbst!«

»O Nees!« stammelte Angela, indem sie ihn traurig anblickte – »unser Kind! Hast du denn darein willigen können?«

»Kleiner Schwachkopf!« sagte Nees noch mit dem Versuch, den nachsichtigen Ehemann zu spielen – »du hast die Einsicht nicht – darum fragst du so! Du bist ja nun Mutter einer Gräfin – he! ist das nicht was für deinen Hochmuth? Ah! du verstellst dich nur, aber's Herz wird dir schon puckern!«

»Nun,« sagte Nees, jetzt vertraulich zu Herrn Cornelius gewendet – »verlangt nicht mehr Einsicht von ihr, als sie haben kann – sie hat nicht den Verstand für so was – was wollen auch Weiber damit – dafür sind wir, zuletzt sehen sie's ein und sind froh, daß wir Alles machten, wie Recht ist! Sieh, Angelchen, du hast hier nichts zu thun, als auf ein Pergament, was dir der Herr Schöffe vorlegen wird, unter meinen schon darunter befindlichen Namen den deinigen zu schreiben!«

Ohne zu antworten, wendete sich Angela von ihm, und indem sie traurig die Hände faltete, sagte sie: »Sei mir Gott gnädig und stehe mir bei!«

»Setzen wir uns,« sagte der Oberschulze und nahm neben Urica Platz, indem er den Schöffen an Angela's Seite winkte.

»Mein Vetter,« sagte die Marquise von Montrose, indem sie sich zum Oberschulzen wendete – »meine Muhme hat mir ihre Einwilligung zur Standeserhöhung ihrer Tochter verweigert, und zwar aus so edlen Gründen, daß ich mit meiner Gegenrede verstummt bin!«

»Was?« fuhr Nees auf – »du hast deine Einwilligung nicht gegeben, und ich habe schon unterzeichnet?«

»Nees,« sagte mit Autorität der Oberschulze – »ihr werdet euch durchaus ruhig verhalten, bis ihr gefragt werdet – in nichts störend einreden, weder in das, was eure Frau zu sagen hat, noch wir zu entgegnen, sonst werden wir Alle euer Haus augenblicklich verlassen und unsere Verhandlungen an einem andern Ort fortsetzen.«

»Nun,« sagte Nees, seine Feigheit unter trotziger Art verbergend, und stupste sich auf seinen Sitz zurück – »das kann ich auch! Aber gebt Acht, was ihr mit ihr ausrichten werdet – sie kann sich ohne mich nicht heraus finden! Aber ich schweige – oho! das wird mir leicht genug!«

Nachdem jetzt wirklich eine augenblickliche Ruhe eingetreten war, erhob Angela ihre Stimme – zuerst schüchtern und mit stockender Rede, zuletzt immer ruhiger und klarer, und während sie mit Schonung für Nees Alles wiederholte, was sie Urica gesagt, hatte sie dabei bloß die Pantomime von Nees zu ertragen, der in die Hände schlug, bald herunter, bald hinauf rutschte, bald die Achseln zuckend, grinsend um sich her sah, bald die Faust ballte und wüthende Blicke schoß.

Dagegen waren der Oberschulze und Herr Cornelius Hooft nicht wenig ergriffen von dem, was sie zu hören bekamen; denn sie hatten wohl eine stille Theilnahme für Angela bewahrt, aber wenn Frau von Marseeven schon seit lange von ihrer Geistesentwickelung sprach, mehr eine gewisse Gefälligkeit gegen die als mild anerkannte Meinung der Frau von Marseeven dabei an den Tag gelegt, als daß sie daran einigen Glauben hätten fassen können; denn Männer zweifeln länger, als ihnen gut ist, an der Geistesbildung einer Frau, die ihren Unterricht nur aus einem frommen Herzen ziehen konnte.

Jetzt schien es ihnen, sie sei weiter in der richtigen Anschauung aller Verhältnisse des Lebens, als sie selbst, und während Cornelius Hooft, dieser Bewunderer des weiblichen Geschlechts, mit leuchtenden Augen ihren Worten folgte, konnte auch Herr von Marseeven ein wohlgefälliges Kopfnicken nicht unterdrücken.

Dadurch erleichtert und ermuthigt fuhr Angela endlich fort: »Ich höre nun von meiner großmüthigen Tante, deren gute Absicht mit meinem Kinde ich wohl verstehe, daß – an hohen Orten, wie die Staaten und ein Kaiserhof sind – eine beschlossene und vollzogene Urkunde als etwas Unwiderrufliches bleibt, und ich mit meinem mütterlichen Einspruch nur die Folgen aufhalten kann. Liebe Herrn, theure Tante, bewahrt meiner lieben kleinen Floris dies wichtige Dokument, und ich will, wie mein Eheherr Nees bereits gethan, es unterzeichnen, damit es seine vollständige Richtigkeit habe. Aber dagegen wollt ihr mir in großer Güte zu Hülfe kommen, daß es dabei sein Bewenden habe und nichts weiter davon laut werde, weder für die Stadt und das Haus, noch weniger für Floris selbst. – Einer von uns wird doch leben bleiben,« fuhr sie mit bebender Stimme fort – »und wird dies geliebte Kind nach Gottes Willen erwachsen und zu Verstande gekommen sehen – Einer wird doch ein liebevolles Auge auf ihr Leben behalten und die Schicksale prüfen, die ihr von dem zugeschickt werden, der alles regiert – dann möge derjenige überlegen, ob ihr die Kenntniß dieses Dokuments gut ist, und wenn er dafür entscheidet, dann möge er ihr sagen, was für Gründe ihre Mutter hatte, ihr die Kenntniß und die Annahme dieses Ranges vorzuenthalten.«

Alle fuhren aber zusammen, denn Nees, der beinahe zu bersten gedacht, während Angela durch ihre fast heilige Stimmung alle Andern in eine antheilvolle weiche Rührung versetzt hatte – brach nun in ein rohes Gelächter, den Vorboten seines Zorns, aus, und indem er sich zudringlich vorbog, schrie er: »Da haben's die Gnaden! Hab' ich's nicht vorher gesagt, daß es lauter Unsinn sein werde? Die muß man kennen, wie ich – aber wer wollte mir denn glauben? Der ganze Prasch ist umsonst – mit zwei Worten hätte ich sie dahin gebracht, wohin sie muß, und all' der Unsinn, den sie geschwatzt, wäre ihr da nicht erst fest im Kopfe geworden! Unterschreibe, Schwachkopf – ich befehle es dir! und das Andere, was folgt, werden die machen, die so was verstehen.«

Aber es durchzuckte ihn doch und bewies, daß Angela nicht so ohne Einfluß war, wo es ihr der Mühe werth schien, als sie stark seinen Arm faßte und mit einer eisernen Stimme sagte: »Nees, du wirst dich darein fügen, wie ich und diese edlen Herrn und meine Tante es bestimmen werden. – Gehab' dich ruhig, oder ich werde dir zeigen, daß ich Rechte habe, so heilig, als die deinigen, ich will dir zeigen, daß ich nicht aus Unwissenheit mein Vermögen in deinen Händen lasse – ich sage dir, füge dich, versprich hier, daß du dich in Alles finden willst, was beschlossen sein wird, wenn wir uns hier erheben.«

»Nun, nun,« sagte Nees – »du nimmst den Mund voll. Wo ist denn ein Beispiel, daß ich dich zwinge, mein Angelchen? Du bist ein närrisch Ding – zuletzt geht doch Alles nach deinem Kopfe. Ja, wir armen Ehemänner,« setzte er grinsend und sich auf den gewöhnlichen Spaß was einbildend, hinzu, indem er den Herren noch vertraulich zunickte.

Angela ließ ihn nun los, und sich erwartungsvoll zu ihren Freunden wendend, sagte sie beschämt: »Beliebt es euch, mir euren Bescheid zu geben?«

Urica weinte still in ihr Tuch – sie faßte eine erhöhtere Liebe für ihre Nichte; Herr von Marseeven fühlte etwas Aehnliches. »Gewiß,« sagte er – »konnten wir euch nicht hören, ohne von der Wichtigkeit eurer Gründe durchdrungen zu werden. Ihr habt überdies so klar und bestimmt Alles angegeben, was für die Zukunft selbst in dieser von uns Allen etwas übereilten Sache zu thun sein wird, daß wir, glaube ich, Alle einer Meinung sein werden, und ich spreche hier zuerst meine Ueberzeugung aus und sage: So wie ihr es verstanden, so wie ihr darüber bestimmt habt, so ist es das Rechte.«

Im selben Augenblick lag Angela, heftig von Urica ergriffen, an deren Busen, und unter Thränen rief sie: »O vergieb, vergieb meinem übereilten, ehrgeizigen Herzen – zu dir will ich künftig aufsehen – von dir will ich Weisheit und wahre, reine Anschauung des Lebens lernen!

»Aha,« sagte Nees dazwischen, unbestimmt geschmeichelt von der Ehre, die seiner Frau geschah. Diese aber wehrte mit sanftem Ernst alle Lobsprüche ab und schämte sich vor Cornelius Hooft, der fast knieend ihre Hand küßte und begeisterte Worte ausstieß.

Endlich waren Alle gefaßt genug, zu dem Dokument zurückzukehren. Unter der Linde auf dem kleinen Lusthof schrieb Herr von Marseeven mit eigner Hand unter Neesens Unterschrift als Anhang: »daß alle Unterzeichneten sich verpflichteten, vor Gott an heiligen Eides Statt das Dokument dieser Standeserhöhung, der darin gemeinten Floripes van der Nees bis zu ihrer Majorität oder bis zu einer wichtigen Begebenheit ihres Lebens, wo nach gemeinsamer Ueberlegung und gefaßtem Beschluß die Kenntniß ihres Ranges ihr von Nutzen sein könne, ihr durch die gegenseitige Angelobung unverbrüchlichen Schweigens vorzuenthalten.« Diesen Beschluß unterzeichneten Alle und Nees zum zweiten Male auf Angela's ernste Ansprache.

»Aber,« rief er wirsch die Feder niederwerfend, nachdem er seinen Namen unterzeichnet – »das Testament der Frau Tante – wie wird's damit?«

»Das Testament,« rief Angela, plötzlich freundlich und wie begeistert zu Urica's Füßen sinkend – »das Testament wird umsonst sein und euer Vermögen wird in die rechten Hände kommen – das sagt mir eine Stimme in meinem Innern und ich will eure Prophetin sein.« –

Eine sanfte Röthe belebte das bewegte Gesicht Urica's; sie schüttelte zwar leise den Kopf, aber ein süßes Lächeln der Freude verrieth, daß sie der Prophezeiung gern lauschte.

»Na,« brummte Nees vor sich hin – »das Haben und Reden begreife wer kann – hier bin ich überflüssig!«

»Nees,« sagte der Oberschulze, der nichts übersah – »das Testament bleibt in Kraft bis natürliche Erben eintreten!«

»Ah' so!« sagte Nees ironisch – »solche Redensarten beweisen nur, daß es wieder leeres Gerede war! Nun es kann leicht noch anders kommen – der Verlust wird vielleicht zu ertragen sein!«

Man hatte während dieser wichtigen Verhandlung mit Willen überhört, daß im Innern des Hausflurs, zu dem man die Thür, um ungestört zu bleiben, verschlossen hatte, sich jämmerlich klagendes Weinen hören ließ, unterbrochen von den Tönen von Caasens Fiedel, welche aber oft so schnell abbrachen und mit andern ungestümeren Tönen wechselten, daß auf Streit und Gegenstreit und sich vergeblich zeigende Beruhigungsmittel zu schließen war. Nees, Angela und Urica, welche in diesem einen Gefühl sich vielleicht vollkommen begegneten, hatten längst gehört, daß Floripes, die arme kleine Verbannte, mit großem Kummer diese Kränkung ertrug, und ihr erstes Gefühl war nun, das arme Kind zu erlösen.

»O,« rief Urica – »wir bedürfen Erquickung! Oeffnen wir die Thür, um unsere holde Floripes herbeizurufen!«

»Ja! ja!« schrie Nees überglücklich – »die Frau Tante hat ganz Recht – das war ein guter Einfall – danke! danke, Frau Tante!« und damit schoß er gegen die Thür und Floripes flog wie ein Sonnenstrahl aus dem dunklen Raum in den dämmernden Lusthof!

Wie schön war das Engelsantlitz, auf dem noch die Kummerthränen wie Thauperlen standen, während schon die Freude aus ihren dunklen Augen leuchtete und alle weißen Zähnchen des schönen kleinen Mundes zeigte!

Sie wählte nicht lang und hing fast im selben Augenblick in den ihr entgegen gestreckten Armen Urica's. »Mein Engel! Mein süßes Leben!« rief diese entzückt, sie immer wieder auf's Neue liebkosend. –

»Aber du!« rief Floripes mit dem Versuch zu schmollen – »warum bist du so unartig wie die Andern – wollten denn die Andern nichts wissen von deiner Floris – wollten sie nicht thun, wie du wolltest?«

»Nein,« sagte Urica bewegt von der Frage – »Keiner wollte thun wie ich es wollte! Aber Alle hatten Recht und allein deine Urica hatte Unrecht.«

»O glaub' das nicht,« rief Floripes und klammerte unter vielen Küssen ihre Arme um Urica's Hals – »du hast immer Recht und ich will bloß thun, was du willst! Was du willst, das ist immer so schön – so leicht – so lustig – bitte! bitte, liebe Mama!« rief sie, sich nach Angela wendend – »laß mich thun, was Tante Urica will – es gefällt mir besser als alles Andere!«

Sanft faßte Angela das dargebotene Händchen und sagte milde: »Willst du es auch thun, wenn deine Mutter es dir für schädlich hielte und betrübt darüber würde?«

Ihre Stimme bebte bei den letzten Worten und das Kind sprang augenblicklich von dem Schooß der Tante und stürzte sich in die Arme seiner Mutter und rief, sie liebkosend:

»Nein! nein, Mama! Floris will dich nicht betrüben! Nein! nein! ich will nichts von der lieben, süßen Tante – nichts – nichts, wenn du traurig darum wirst.«

»Daß dich,« rief Nees zwischen Lachen, Zürnen und Weinen und drehte sich auf dem Absatz herum – »ich dachte schon, wir kriegten sie herum!«

»Es ist ein Nachspiel mit derselben Entscheidung,« sagte Cornelius Hoost. –

»Und wir müssen es beendigen,« sagte Angela – »es greift meine liebe Tante zu sehr an! Der Abend ist ja selbst in diesem kleinen Hofe schön – nehmt die Erfrischungen, die Susa dort aufstellt und hört – eben klopft es, das ist meine liebe Muhme Marseeven!«

Sie war es wirklich – und als auch diese unter der Linde Platz genommen hatte und Alle sich an der vortrefflichen Milch, den schönen Früchten und dem gelungenen Backwerck erquickt – hellte sich der dämmernde Hof plötzlich von der leuchtenden Kugel des Mondes auf, welcher über dem Wasser schwebend, die Mauer des Hofes überstieg und Alles mit seinem weichen Licht erhellte.

Floris verließ, durch seinen Strahl berührt, wie von einem Spielkameraden abgerufen, mit einem Freudenschrei ihr kleines Mahl, und sogleich ihr Ueberkleidchen von blauem Damast abstreifend, rief sie: »Nun – nun muß ich mit dem Monde tanzen! Gieb Acht, wie ich das machen werde – er hat es so gern, Urica – du glaubst nicht, wie ich auch springe und mich drehe – husch! husch! überall ist er dabei und guckt mir über die Schulter! Wir können uns was gut leiden – ich und der Mond!« – Dabei streckte sie ihre Händchen nach ihm aus, und nickte lächelnd hinauf.

»Ach! ich glaub' es,« rief Urica – »war ich der Mond, ich freute mich auf den Abend, wo ich dich wiedersehen könnte!«

»Er auch,« sagte Floris sicher und ernst mit dem Köpfchen nickend, während sie von den kleinen Armen das Hemdchen aufkrempte.

Caas ward nun gerufen, und man denke, was er empfand, er, der jetzt genöthigt war, vor dem hochmögenden Oberschulzen, dem Herrn Schöffen und so vornehmen Damen spielen zu müssen. Stolz und Verzweiflung rissen sich um dies arme, junge Virtuosenherz! Lieber – dachte er – wär mir's, sie hetzten am Kanal alle Hunde auf mich, oder ich ließe Nees das Kalophonium, so schade es wäre, als daß ich hier die Fiedel streichen soll vor denen, die selbst die Stadt-Musik-Bande im Hofe können spielen lassen! Aber es ist um hinterher, wenn ich sagen kann: ich hab' vor dem Schulzen und Schöffen gespielt – dann bin ich was!« Außerdem war Caas ein uneigennütziger Bursche, der seinen kleinen Liebling Floripes so zärtlich liebte, daß er die Kränkung ihrer Absperrung noch nicht überwunden hatte; nun wollte er – nahm er sich vor – wacker aufstreichen, damit Floris recht schön darnach tanzen könnte, und die Andern das Einsehen kriegten, was sie abgesperrt hatten.

Er wichste daher zum Oefteren mit seinem großen Stück Kalophonium, was er wegen Nees, welcher immer das Auge darauf hatte, an einem abgelegten Schnürbande von Floris um den Hals trug, und strich nun scharf und ohrzerschneidend die ersten Töne an, um Floris anzuzeigen, daß er fertig sei.

Da lief diese noch zu guter Letzt queer über den jetzt aufgeräumten Platz, wo ihre Zuschauer umher saßen, auf Nees zu, und begehrte ihre Pantöffelchen. Das gab nun ein lächerliches Zwischenspiel, denn Nees mußte wirklich die Pantöffelchen, die er immer in seinen Pluderhosen trug, daraus hervorziehen; und es war ihm nicht Recht, und er grunzte etwas vor sich hin, weil er nah' daran war, sich zu schämen. Aber das konnte nicht vorhalten, da Floris sie ihm fast in ihrem Eifer entriß, schnell hinein schlüpfte, und nun den Mond in's Auge fassend, sich ihm gegenüber stellend, ihren phantastischen, selbst erdachten Mondscheintanz begann, der aus Nees bald alles Bewußtsein seiner niedrigen Natur zog, und in ihm für diese kurze Zeit nichts zurückließ, als ein entzücktes Vaterherz.

Aber auch die andern Zuschauer fühlten sich wie bezaubert, und von einem Hauch des Unbegreiflichen – Geisterhaften berührt! Denn was Floris fest glaubte, schien nachgrade Allen wahr zu werden – der Mond tanzte mit Floris – sie war nicht allein – sie hatte einen Gefährten, mit dem sie jauchzend, springend, neckend, lachend, liebkosend und umschlingend ihre süßen Scherze trieb, und so wunderliebliche Stellungen machte, zu den künstlich fliehenden Füßchen so holdselig ihr Köpfchen bog und hob, und in die runden Bewegungen der Arme verflocht, daß Alle die Poesie der Empfindung zu verstehen glaubten, in der dies holde Wesen, ahnungslos davon beherrscht, sich ausdrückte. Dabei sprach sie zuweilen ein paar Worte, als necke sie den Mond oder antworte ihm; sie lachte auch hell auf, wenn sie durch einen leichten Sprung aus einer ruhenden Stellung übergegangen war, daß er sie nicht hatte erwischen können, und wenn sie beide Arme wie einen Rahmen um das blonde Lockenköpfchen schlang, und zu ihm aufsah, als locke sie ihn, wenn sie wieder auf den Zehen schlich, als solle er sie nicht gleich sehen, so bekam auch für die Zuschauer der stille Geist über ihnen, an seinem dunklen Himmelszelt, Leben, Gefühl und Beziehung zu dem holden Kinde, das ihm all' die Theilnahme zutraute, die er ihr einflößte.

Sie unterbrach ihren Tanz heute nicht wie sonst durch Ausruhen – ihre Phantasien waren nicht zu unterbrechen, sie brachte aber, wenn sie nicht mehr tanzte, ruhigere Bewegungen hinein, in denen sie mit ihrem Gefährten, dem Mond, auszuruhen schien, und dies war eine Pantomime, die nicht zu stören war – als fühlte sie aber die Sorge der Mutter, sagte sie dann, ohne daß man inne werden konnte, ob sie sich ihrer Zuschauer noch bewußt war: »Er will noch nicht aufhören!«

Mit einem Male huschte ein Silberwölkchen wie ein Schleier vor den Mond; der Glanz, der sie umgab, erblindete, und mit einem Schrei und fröhlichem Gelächter stürzte Floris in die Arme ihrer Mutter, und rief: »Nun ist er fort! nun geht er zu Bett!« Alle bemühten sich jetzt von Floris ein Gleiches zu fordern, und da sie sich müde getanzt, ließ sie sich endlich bereitwillig finden, und von Susa geleitet, nahm sie schon halb schlaftrunken von Allen Abschied, und ließ ahnungslos ein ganz berauschtes Publikum zurück.

Herr von Marseeven aber, der nichts übersah, redete Caasian an und bestellte ihn andern Tages zu sich. Von da an lernte Caas bei dem Stadtmusikmeister in der Lehrschule desselben auf einer ganz anderen Fiedel diese nach Noten streichen und hatte dazu einen schmucken Anzug bekommen, und mußte die Freischule besuchen und zum Prediger gehen; da zeigte sich erst, was Caas für ein fähiger Bursche war. Dem Nees gefiel er aber nicht mehr so, denn das nahm Alles viel Zeit weg, und er hatte es bald geändert; aber Nees hatte Furcht vor dem Oberschulzen, und wie er ihm gelegentlich einen Vortheil zukommen ließ, so wußte er wohl, daß er ihn eben so gut hindern und zwingen konnte, wovon Nees nichts wissen wollte.

Von dem Tage an hörte der Herr von Marseeven voll Achtung zu, wenn seine edle Gemahlin von Angela sprach, und Cornelius Hooft war zu Urica's unendlichem Ergötzen nahe daran, sich in Angela zu verlieben, denn er fand sie jetzt sogar schön und war mehrere Tage zerstreut und übernahm alle Aufträge an Angela in Person.

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