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In den schönen, warmen Sommertagen war es eine herrschende Sitte der reichen Stadt Amsterdam geworden, während der Abendstunden auf schön geschmückten Gondeln in dem klaren Bassin des Amstel-Kanals spazieren zu fahren.

Dieser von den südlichen Handelsnachbaren herübergekommene Gebrauch war eine gar anmuthige Sitte, und man konnte an einem warmen Juliabend nichts reizenderes sehen, als diesen belebten Strom, an dessen Ufern sich unter reichen Baumgruppen und Gebüschen die schönsten Blumengarten und die reizendsten Landhäuser hinzogen. Ihre Ballons mit Angelhäuschen und Gallerien zu Tanz und Spiel oder gemächlicher Ruhe einladend, versammelten die fleißigen Bewohner der Vorderhäuser, die ihre Fronten nach der Straße zu hatten, am Abend, und diese belebten als Zuschauer die Ufer – wenn sie nicht vorzogen, ihre Gondeln zu besteigen.

Diese Gondeln waren nach ihren Besitzern und deren Ansprüchen verschieden. Man sah das breite, buntangestrichene, offene Boot mit kleinen bunten Tuchflaggen und eben so bunt angestrichenen hölzernen Bänken, an der Spitze irgend eine grobe, lächerliche Fratze von Holz geschnitten, die den Namen des Eigenthümers ausdrücken sollte, und welches dem geringeren Handwerksstande angehörte, aber nicht selten eine lustigere Gesellschaft von Männern und Frauen trug, deren Gesang und fröhliches Gelächter weit hinschallte – als das anspruchsvollere Boot des reichen Kaufherrn, welches schon seidene Wimpel, weiche Polster, ein steiles Verdeck, Vergoldungen und ausgewählte Musik an Bord führte, und die steifen, wohlhabigen Gestalten in ihrem wahren Nationalcharakter, der bei den Mittelklassen erst recht hervortrat, zeigte, wie sie in ihren feinen Kleidern in tiefer, mienenloser Ruhe sich in ihren Sitzen blähten und diese Lustfahrt wie eine still erduldete Schuldigkeit ertrugen.

Dagegen waren auch hier die Gondeln der Aristokraten der Culminationspunkt des Ganzen. Mit Wappen an den Schnäbeln der Schiffe, mit Sammt und goldenen Baldachinen, mit kostbaren persischen Teppichen belegt, mit Gallerien, welche, mit Blumen bedeckt, einen kleinen Garten über die Wellen zu führen schienen – erschöpften sich Reichthum, Phantasie und Prunksucht an der Ausstattung dieser Gondeln, und man sah sie häufig in ganzen Gesellschaften kommen, und wenn die Damen der hochmögenden Herrn dabei waren, fehlte selten ein voran eilender Nachen in den Farben der Stadt, welcher zum großen Ergötzen der ganzen Wassergesellschaft die Stadt-Musikbande enthielt.

Frau von Marseeven entzog sich schon um ihrer heranwachsenden Jugend willen diesem Vergnügen nicht, und sie gab sich gern hier mit ihren Standesgenossen Rendezvous, und oft endete ein Fest in ihrem an der Amstel gelegenen Gartenhause in Mitte schöner Bäume und Blumen diese Gondelfahrten.

Urica hatte ebenfalls ihre mit blauem Sammt und Silber verzierte Gondel, und wenn die schöne, allbewunderte Frau an der Seite der stillen, unscheinbaren Angela, von Floripes begleitet, und von einigen ausgezeichneten Männern der Stadt, oder von den Fremden, welche sich um Montrose versammelten, umgeben, den Fluß daher kam, flüsterte Alles ihren Namen, die Gondeln drängten sich näher, und wenigstens ihr Gefolge sah sie jedes Mal zum Gegenstande allgemeiner Aufmerksamkeit werden.

Montrose's wachsende Geschäfte verhinderten ihn, so oft er es gewünscht, an diesen Vergnügungen Theil zu nehmen. Urica pflegte zwar an solchen Tagen die Stunde der Hinfahrt gewissenhaft zu halten und sich auch der Gesellschaft der lieben Muhme Marseeven zu zeigen, aber sie brach dann früher als die übrige Gesellschaft von dem Landhause auf; ihr ganzes Gefolge zurücklassend, kehrte sie nur mit Angela und Floripes nach ihrer harrenden Gondel zurück, und hier erlebte sie dann oft die glücklichsten Ueberraschungen – denn wenn sie auf dem jetzt einsamen, in seiner schönen Ruhe so viel erquickendern Strom den Rückweg antrat, kam oft ein kleines Fischerboot mit zweien Ruderern daher und umschiffte immer näher treibend die schöne Gondel, bis ein paar Ruderschläge es anstoßen ließen und Montrose hinausspringend zu Urica's Füßen lag.

Welch' eine bezaubernde Fahrt ward diese Heimkehr dann, die oft bis tief in die Nacht sich ausdehnte und den glücklich Liebenden die wahre Atmosphäre ihrer hohen Gedanken und Träume ward.

Blieb aber Montrose auch einmal aus, trat Urica doch diese Heimfahrt nie ohne die hoffnungsvolle Erregtheit an, ihn zu finden, und oft sagte sie, wenn sie ihn nur erst in ihren gastlich erleuchteten Zimmern wiederfand: »Ich danke dir selbst diese Täuschung; dich immer erwarten, ist ein so süßes Gefühl, daß nur dich zu finden süßer ist.«

An dem Abend des Tages, der Montrose mit Marseeven so ernst vereinigt hatte, kehrte Urica in selber Weise und ohne Montrose von einem Feste der Frau von Marseeven früh über den jetzt einsamen Strom zurück. Sie sah in jedem dunklen Punkte auf der Wasserfläche das erwartete Boot, und Floris, deren Schlafstunde von dem Vergnügen zurückgehalten war, lauschte mit ihr nach dem von ihr so geliebten Montrose.

Je näher dem Hause Urica's, je schmaler ward der Kanal; die Gondel trieb schon zunächst den Weiden des Ufers, und die Stille des Abends ward nur noch unterbrochen durch das säuselnde Singen des durchschnittenen Wassers, als Urica und Floripes zu gleicher Zeit riefen: »Da ist ein Boot!«

Sie waren demselben schon so nah, daß es sie bei den nächsten Ruderschlägen erreichen mußte; die Gondelführer von Urica's Boot machten aber schnell ein ablenkende Bewegung, als wollten sie dasselbe vermeiden. »Was macht ihr,« rief Urica fast ungeduldig – »es wird euer Herr sein.«

»Ein leeres angebundenes Boot euer Gnaden,« entgegnete der Bootsführer – »wir hätten es fast unterseegelt.«

Eben glitt die Gondel dicht daran vorüber. Man konnte bequem hinein sehen und ein Blick Urica's darauf – und sie befahl die Gondel zum stehen zu bringen, denn der Anblick, der sich ihr darbot, schien Anspruch an ihre Theilnahme zu machen.

Es war ein ganz kleines, schmales Fischerboot ohne Sitze und Verdeck. Es hatte weder Seegel, Stricke noch Ruder, es schwebte an einem langen Taue, welches unterhalb der Weidengebüsche befestigt schien. Auf einem Haufen Matten, welche etwas geebnet in den Mittelpunkt des Bootes gelegt waren – lag, lang ausgestreckt wie eine Leiche, ein Kind von etwa fünf bis sechs Jahren. Ein langes weißes Gewand, was unter dem Halse befestigt über die Füße weg hing, hatte das Ansehn eines Leichenhemdes – die dichten braunen Locken, die vom Gesicht getheilt, es doch umgaben, ließen dieses todtenbleich erscheinen – auf einem Holzkloben, dicht neben dem Kopf, stand eine Laterne, deren Licht auf das Gesicht des Kindes fiel – es war ein Mittel, wie es schien, die Aufmerksamkeit zu fesseln.

»Um Gotteswillen,« rief Urica – »was ist das – ich fürchte eine Leiche!« – Schon verließ ihr Kammerdiener und einer der Lakaien die Gondel und bestiegen das Boot. Als sie den Körper berührt, wendete sich der Kammerdiener zu Urica und sagte: »Vielleicht ist noch Rettung möglich – Tod ist das nicht – aber auch kein Schlaf!«

»Bringt das Kind hierher,« rief Floripes, sich fast über die Gondel stürzend, indem schon Thränen aus ihren Augen flossen. – »Tante! liebe Tante! das Kind! Das Kind! das arme Kind! es ist ertrunken – o! bringt es hierher – hierher – wir wollen es aufwecken!«

»Wenn du ruhig bist, soll dies Alles geschehn,« rief Urica ihr zu – »aber nur dann – denn wenn du so heftig bist, werde ich es nicht erlauben.«

»Gleich! gleich, liebe Tante!« rief Floripes und verbarg ihre zuckenden Augen an dem Busen ihrer Mutter. – »Jetzt – jetzt, liebe Tante! sieh doch nur, wie still ich bin – bitte! bitte, liebe Tante! o! das arme, arme Kind!«

Urica hatte schon Befehl gegeben, es nach der Gondel zu tragen. Die Leute legten den bewußtlosen Körper auf einen der Polster der Gondel. Das arme kleine Wesen war entweder schon todt, oder doch gänzlich bewußtlos – es blieb liegen, wie es gelegt ward, und nur daß der Körper biegsam war und nicht so kalt, unterschied es von einer Leiche und ließ Hoffnung, daß es erst seit kurzem in diesem Zustande sei.

In einigen Minuten erreichte man den Garten vor Urica's Hause und da beim Landen immer eine Glocke in Bewegung gesetzt wurde, welche die Ankunft der Herrschaft andeutete, so war der Weg vom Hause bis zum Strande bald mit Windlichtern erhellt, und als Urica, welche noch immer über den kleinen Findling gebeugt da saß, sich erhob und an's Ufer stieg, eilte ihr Montrose schon entgegen.

»O,« rief sie, an seiner Brust erst ihre Erschütterung inne werdend – »was ist uns geschehen, mein Geliebter! Was werden wir erleben!«

Erschrocken richtete Montrose Urica's blasses, betrübtes Gesicht empor; aber sie zeigte auf die kleine Prozession, die eben von der Gondel herkam. Zwei Leute trugen die anscheinende Leiche und Floripes war nicht zurückzuhalten – sie ging lautweinend als kleine Leidtragende dicht hinterher und entzog selbst ihrer Mutter das Händchen, um nicht gehindert zu werden.

»Ein ertrunkenes Kind?« rief Montrose und eilte den Leuten entgegen. –

»Nein, Euer Gnaden,« sagte der Kammerdiener – »vom Wasser hat es nichts weg gekriegt – die Kleider und das Haar sind trocken.«

Noch ehe man das Schloß erreichte, sandte Montrose nach dem Hausarzt und Urica befahl, daß man das Kind nach den Zimmern ihrer Kammerfrauen, welche an die ihrigen grenzten, trage. Nach diesen Anordnungen war ihr vereintes Bemühen darauf gerichtet, Floripes zu entfernen, welches endlich nach dem ausdrücklichen Versprechen gelang, daß sie morgen das liebe Kind selbst pflegen solle.

Montrose und Urica begaben sich nun nach den Zimmern Ulla's und fanden bereits den eben hinzu gekommenen Arzt. Er prüfte und betastete den Körper und sagte dann: »das Kind ist nicht todt, aber es liegt in einem künstlichen Schlaf – es darf, glaube ich, nicht durch die gewöhnlichen Belebungsmittel geweckt werden. Erlaubt, Milord! daß ich es noch einige Zeit beobachte!« Er schob, während er so sprach, das Hemd von der Brust, um den Herzschlag zu suchen; da zeigte sich an einem blauen Bande, mit einer brillantnen Schleife, ein Brief mit großem Wappen, der daran befestigt war.

Jetzt wurde die Sache immer bezüglicher. Montrose löste sogleich selbst das Band und nach einem flüchtigen Blick auf die Adresse, verbarg er den Brief in seinem Wamse und nöthigte Urica, da der Arzt Ruhe und Zeit zu haben wünschte, ihm in ihr Schlafzimmer zu folgen.

»Dieser kleine Findling,« sagte Montrose, nachdem er neben seiner holden, zitternden Gattin auf ihrem Ruhebett Platz genommen – »scheint uns allerdings näher anzugehen, indem ganz bestimmt die Absicht hervortritt, ihn an uns gelangen zu lassen!«

»Das ahnte mir!« riefUrica – »So wie ich das Kind sah, wußte ich, daß es Beziehung zu mir gewinnen würde!«

»Du hast dich nicht geirrt!« sagte Montrose – »Die Adresse dieses Briefes weist ihn dir zu – er ist an dich gerichtet!«

Die Adresse war von einer festen, ihnen unbekannten Hand, in englischer Sprache geschrieben – als Montrose das Wappen eine Zeitlang betrachtet, senkte er nachdenkend den Kopf. »Kennst du es?« rief Urica, eine Gemüthsbewegung auf seinem Gesicht lesend. –

»Ich glaube bekannte heraldische Zeichen darin zu sehen; aber sie sind mit andern Feldern so durchschnitten, daß ich fast glaube, es ist ein absichtlich verworrenes Schild!«

»Erbrich den Brief,« sagte Urica – »mir ist das Herz und das Auge schwer!«

Montrose entfaltete den Brief – auch er war in englischer Sprache geschrieben und lautete so:

»Ich habe kein anderes Mittel, dies Kind zu retten, als daß ich es Dir sende! Urica – Du bist ein festes, edles, muthiges Weib – ich liebe nichts mehr auf der Welt als diesen Knaben, sonst hätte ich Dich vielleicht geliebt! – Rette mir den Knaben und halte von ihm um jeden Preis das katholische Wesen ab – lieber drücke eine Nadel in sein Herz, als daß Du ihn in die Messe gehen läßt. Laß' ihn ein Mann werden – Du verstehst, was das heißt; Montrose ist ein solcher, wie ich meine. Jetzt ist es Dir besser, Du weißt nicht, wen ich Dir sende – aber ich habe dafür gesorgt, daß Du es dereinst erfährst, und Du wirst dann wissen, daß er zu hohen Ansprüchen berechtigt ist, die man ihm aber, wenn man sein Dasein erführe, entziehen würde, und die jemals zurückfordern zu können, man ihn alsdann untüchtig machen würde.

Nenne ihn William Bedfort – und gieb ihm adligen Rang und Erziehung. Aber bewache ihn – bewache ihn mit Deinem rechtschaffenen Herzen! Wenn Du Mutter wärest, würde ich Dich anflehen bei dem Herzen einer Mutter – denn das ist das stärkste Gefühl der Menschenbrust – so mag auch das gelten, denn ein rechtschaffenes Herz ist mächtig, und Du hast es! – Urica, ich habe selten die Gnade der Menschen angefleht, und das heillose Unrecht, was sie mir gethan, stets vergolten, so viel ich konnte. Es ist wenig Gutes in mir; aber ich liebe mit einer, an Wahnsinn grenzenden Mutterliebe diesen Knaben, und dies Gefühl ist so stark, daß ich ihn aus meinen Armen reiße, und mit unendlichen Gefahren Dir übergebe!

Wenn es wahr ist, daß Oneale bei Dir ist, so schütze diesen Knaben vorzüglich vor seinem giftigen Athen – ich habe ihn nicht retten können, und er würde ohne Gewissensbisse, wenn er dies Kind entdeckte, es zerstören.

Urica, ich habe nicht oft zu Menschen gefleht, Dich – Dich flehe ich an – Urica, schütze, rette mir meinen göttlichen Knaben – Montrose wird Dich nicht hindern – er darf nicht!

Heute lege ich dies Kind, durch einen Schlaftrunk an meinem Busen eingewiegt, in Deinen Weg; wenn du wie ein glänzender Schwan auf den Wogen dahin gleiten wirst, so wird sein kleines Boot deinen Weg hindern – und Du wirst ihn aufnehmen. Ich werde wie die Mutter Moses in dem Gebüsch der Weiden knien und du wirst die Tochter Pharaonis sein, die das Kind aus dem ihm drohenden Verderben rettet. – Aber wenn Du ihn forttragen läßt – dies Götterkind – diese Wonne meines blutenden Herzens – dann wird mich der Wahnsinn des Schmerzes erfassen – ich werde Dich hassen, Dir fluchen – und wie die Wölfin, der man ihr Junges geraubt, in die Wälder stürzen, und mein Schmerzensgebrüll wird die anklagen und die Strafe Gottes auf die herabflehen, die mich dazu zwingen!

Urica, ich habe nicht oft zu Menschen gefleht – Urica, ich flehe Dich an, sei meinem Knaben eine Mutter!«

Montrose ließ den Brief erschüttert sinken. –

»Das ist entsetzlich!« rief Urica – »wer kann das sein?«

Montrose drückte sanft ihre Hand – er war sehr blaß geworden – seine Augen wurzelten am Boden und sichtlich rang eine große Erschütterung mit seiner Fassung.

»Sei seine Mutter,« sagte er endlich wehmüthig und mit einem tiefen Seufzer – »ich glaube zu ahnen, daß dies Kind uns nahe angeht. – Verzeihe meine unbegreifliche Schwäche, die mich verhindert, dir jetzt mehr zu sagen.«

»Genug, Montrose,« sagte Urica plötzlich wieder kräftig und belebt – »was habe ich nöthig, als daß du mich autorisirst, dem Kinde eine Mutter zu sein – dazu fordert mich dieser verzweiflungsvolle Brief auf und mein Herz zog mich dazu hin bei seinem ersten Anblick. Doch laß uns jetzt zu ihm gehen, wir wissen, daß er nicht gestört werden darf, daß ein Schlaftrunk seinen Scheintod bewirkte.«

Nachdem der Arzt diese Nachricht empfangen, zeigte er ihnen, wie sich seitdem seine Vermuthungen bestätigt fanden. Von der Ruhe und der Wärme des Bettes war schon die Todtenfarbe verschwunden, die Glieder erwärmten sich und der Puls gab leise an.

Beide Gatten betrachteten lange den wunderschönen Knaben. Der Arzt schätzte ihn sechs Jahr – er hatte die regelmäßigsten Züge, reiche braune Locken, und Gesundheit und Kraft athmete der ganze kleine Körper.

»Wie leicht wird es sein, dies Kind zu lieben,« sagte Urica –

»Gewiß, gewiß!« rief Montrose – er bog sich schnell nieder und küßte die marmorbleiche Stirn des Knaben, als er sich aufrichtete, hatte er einen Thautropfen darauf zurückgelassen und eilte schnell aus dem Zimmer.

Die Diener meldeten die Abendtafel, an der Montrose heute einige Gäste empfing. Als Urica an seinem Arme sich dem Saale näherte, blieb sie plötzlich stehen – »Und Oneale?« rief sie fragend –

»Er wird dir keine Besorgnisse machen, theure Urica,« sagte lächelnd Montrose – »er ist diesen Mitlag mit wichtigen Aufträgen von mir zur See gegangen, ich werde ihn erst in England wiedersehen. Doch glaube mir, diesem Theile des Briefes ist zu mißtrauen – Oneale ist noch so jung, so ganz mit seinem Ehrgeiz beschäftigt, ein großer Mann zu werden.«

»Und dennoch, Montrose,« sagte Urica – »gelobe mir, ein Auge auf ihn zu haben, ihm nicht unbedingt zu vertrauen. Er flößte mir vom ersten Augenblick Mißtrauen ein – ich kann ihn nicht ohne Unbehagen an deiner Seite sehen und nun noch überdies diese Warnung.«

Montrose drückte zerstreut Urica's Hand. Er hatte an dem ganzen Tage so viel zu überwinden gehabt, er hatte gegen Urica die Entdeckung seiner schnell ins Leben tretenden Expedition auf dem Herzen – nicht wie sonst athmete Alles an ihm Ueberzeugung, Leben und Sicherheit. Den Entschluß, seinen Abgang zu beeilen, hielt er fest; aber es lastete eine tiefe Schwermuth auf seinem Geiste, und er rang mit einer Erweichung, die ihn augenblicklich bei Urica's Anblick zu überwältigen drohte.

Es that ihm unendlich wohl, daß Urica, die nichts halb ergriff, von ihren neuen Pflichten zu dem ihr anvertrauten Knaben abgezogen ward, und er benutzte diese Zeit, um die nöthigen letzten Maaßregeln zu seiner Einschiffung so geheim als möglich zu treffen.

Als Urica am andern Morgen von dem Arzte unterrichtet wurde, daß der Knabe bald erwachen werde, und vielleicht ein Nervenzufall dabei eintreten könnte, der sie jedoch nicht erschrecken dürfe, nahm sie Platz an seinem Bette, entschlossen, daß sein erster Blick sie fände.

Der Nervenzufall trat aber früher ein, ehe er die Augen aufschlug; krampfhaft wurde der ganze Körper, besonders die Brust, gehoben, und endlich stürzte ein Strom von Thränen und ein krampfhaftes Gestöhn hervor. Der Arzt flößte ihm einige Tropfen ein, der Zufall ließ nach, die Athemzüge setzten gleichmäßig und kräftig ein, und ein gesundes Kind schlug nun zwei tief dunkelblaue Augen auf, und nachdem es die dicht vor ihm sitzende Urica lange angesehen, dehnte es sich, als wolle es in seinen Körper Bewußtsein bringen, und ein wahres Engelslächeln trat plötzlich auf seinen Wangen hervor.

Urica fühlte sich entzückt – »William,« sagte sie leise und zärtlich –

»Bist du meine neue Mutter?« sagte er sanft und lieblich fortlächelnd, aber in englischer Sprache –

Jetzt wußte Urica, daß der holde Knabe auf sein neues Schicksal vorbereitet worden war, daß er sie erwartete, und das ermuthigte sie sehr.

»Ja,« sagte sie, sich zu ihm beugend – »ich bin deine neue Mutter – sag', willst du mich dazu annehmen?«

»Die Mama sagt, du würdest mich so lieb haben, als sie selbst – du wärest sehr, sehr gut – und hättest Kinder sehr lieb – ich werde dir auch gehorsam sein, und bei dir bleiben.«

Er konnte dies Alles nur flüstern – aber mit einer reizenden Engelsstimme, die von der Ermattung, die noch auf ihm lag, wie eine Geisterstimme zu ihr drang.

»Die Mama hat dir die Wahrheit gesagt – ich werde dich sehr lieben – aber du wirst vielleicht nicht gern bei mir bleiben?«

»Das will ich – denn ich habe es Mama versprochen,« sprach das Kind mit gehobener Stimme – »ich habe der Mama viel versprechen müssen – ich darf dir nichts von Mama erzählen, wegen der bösen Menschen – nichts, woher ich komme – ich soll dich bitten, daß du nach nichts fragst!« Es fing aber dabei an zu weinen.

Der Arzt erinnerte Urica, daß sie das Kind nicht aufregen dürfe. Urica folgte dem Winke und ging zu materielleren Dingen über – der Arzt wünschte dem Knaben ein Bad zu geben, und Urica überließ ihn ihrer treuen Ulla, welche den frühen Morgen zum Einkaufen von Kleidungsstücken benutzt hatte, und es sich ausbat, ihn nach dem Bade, bei dem der Arzt gegenwärtig bleiben wollte, ihrer Herrin zum Frühstück zuführen zu dürfen.

Unterdessen stellte sich Floris ein, mit einem Körbchen voll Obst, kleinen Broten und einem Flacon, welches Alles sie zur Pflege des kleinen Findlings nöthig hielt.

Sie wollte durchaus an sein Bett gebracht sein, und man hielt sie nur mit Mühe zurück. Es war aber sonderbar genug, daß Niemand daran dachte, ihr zu sagen, daß dieser Findling ein Knabe war – und so stand Floripes in sprachlosem Erstaunen, als sich endlich die Thüren öffneten, und Ulla den schönen, blassen Knaben in einem Pagenkleide von violettem Sammt herein führte. – Floris erlebte zwei Täuschungen, erstlich, daß das Kind, welches sie immer nur so gedacht hatte, ein Knabe war und – daß sie nichts zu pflegen behielt, da er auf zwei Beinen ihr entgegen kam.

Angela und Urica riefen den kleinen William zu sich, und nachdem sie ihn begrüßt, und sich seiner Schönheit und milden Traurigkeit durch Blicke erfreut – suchten ihre Augen Floripes, welche in Mitte des Zimmers stehend, so trostlos der Scene vor sich zusah, daß beide Frauen unwillkürlich lachen mußten.

»Komm' doch her, Floris, und begrüße deinen neuen Spielkameraden!« rief Urica –

Aber jetzt brach Floripes in ein lautes Weinen aus, und vor einem fernen Sessel hinstürzend, in dessen Kissen sie ihren Kopf verbarg, rief sie verzweifelnd: »Ach! Mutter, Mutter! Es ist ja ein abscheulicher Junge – und ich kann nichts an ihm pflegen!«

Dessenungeachtet schien sich die Freundschaft zwischen beiden Kindern, die fast in gleichem Alter waren, bald zu machen, und selbst, daß Beide eine andere Sprache redeten, hob das gute Vernehmen nicht auf, sondern gehörte mit zu ihren unendlichen Ergötzlichkeiten, da Eins das Andere auslachte, belehrte und so Beide unwillkürlich die Sprache des Andern verstehen, und weil ihre Umgebungen ebenfalls englisch und holländisch sprachen, sie sprechen lernten, so daß sie selbst nicht mehr wußten, in welcher Sprache sie sich bei ihren Spielen mittheilten.

Bald war das fremde Kind in alle Verhältnisse übertragen, und da keine Art fernerer Auskunft über dasselbe eintraf, und Montrose ein wehmüthiges Schweigen über seine weiter gehenden Ahnungen beobachtete, so benutzte Urica die ihr damit zufallende Freiheit, über ihn nach eigenem Ermessen zu bestimmen, und es ward mit Angela beschlossen, daß beide Kinder ihren Unterricht zusammen nehmen sollten.

 

Montrose betrieb indessen die Expedition der Einschiffung mit allem ihm möglichen Eifer. Die Abreise des Königs nach Breda sollte das Signal sein, Holland zu verlassen.

Um den günstigsten Landungsplatz zu finden, und die Gesinnungen seiner Landleute noch einmal zu prüfen, hatte Montrose Oneale abgesendet, da er ihm durchaus vertraute, dieser ihm selbst den Vorschlag zu diesem gewagten Unternehmen gemacht, dabei Kenntniß und Umsicht auf's Neue gezeigt, und eine Lücke in Montroses Umgebungen damit ausgefüllt hatte, für die er keinen Andern und Bessern zu finden gewußt hätte. –

Schon hatte Montrose Nachrichten von ihm erhalten, die zur Eile trieben, und es weniger wichtig zu machen suchten, was er an Truppen mit brächte, da er ihm überall Anhänger zum Aufstande bereit versprach, und namentlich Montroses größtes Bedenken, sich ohne Cavallerie zu befinden – ihm auszureden suchte, da er sie für den Anfang als für ihn unbrauchbar schilderte, indem er in den Gebirgen sich sammeln müsse, und von dort aus bald das Fehlende organisirt sein könne.

Montrose war weit davon entfernt, sich durch den Rath eines Jünglings, selbst eines so fähigen, leiten zu lassen und nicht von diesem brauchbaren Bericht zu trennen, was er eben der Jugend des Berichterstatters zurechnen mußte; aber es mußte dennoch seine gute Meinung über dessen Fähigkeiten bestätigen, daß er ihm zur ersten Landung die Orkney-Inseln vorschlug, die auch Montrose in der Stille für den geeignetsten Anfang erkannt und von wo aus er beschlossen hatte, sich nach Caithnes zu begeben, wo er seinem Einfluß vertrauend, den Aufstand der Gebirgsbewohner erwarten durfte.

Die Jahreszeit näherte sich schon bedeutend dem Winter, als Herr von Marseeven, Montrose die Mittheilung machte, daß der König den Staaten seine Abreise und die Absicht sich nach Breda zu begeben, habe anzeigen lassen und Marseeven demnach seine Abreise dahin habe festsetzen müssen.

Eine finstere Ahnung beschlich Montrose über den Einfluß, der schon auf den König einzuwirken begann, da er seit lange ohne alle Nachrichten von demselben geblieben und dieser Schritt des Königs so wichtig war, daß es nur die gewöhnlichste Rücksicht erfordert hätte, einen seiner treusten Anhänger und Rathgeber darüber zu befragen, oder ihm doch von dem gethanen Schritt Nachricht zu geben.

Aber keine zu erfahrende Undankbarkeit dieser Art, konnte Montrose auch nur einen Augenblick unsicher machen in seiner aufopfernden Hingebung – und er belastete förmlich Marseeven, den er bald in des Königs Nähe zu sehen hoffte, mit den wahrhaft patriotischen, väterlich liebevollen und zärtlich bittenden Rathschlägen für seinen jungen Herrn, welche dieser nicht ohne Achtung für Montrose's erfahrungsreicher Einsicht, und hingebender Aufopferung alles eignen Interesses, anhören konnte.

Marseeven fühlte sich wahrhaft erschüttert, als er Montrose zum letzten Male umarmte; aber er versuchte nicht mehr ihm von seinem gewagten Unternehmen abzurathen, denn in dem Maaße, wie er dasselbe thöricht und erfolglos halten mußte, in demselben Maaße mußte Montrose, sich seiner genialen Kräfte bewußt, es festhalten – und Marseeven sagte ihm in dieser letzten Umarmung:

»Montrose! Ihr habt mich gelehrt, daß selbst der Irrthum verehrungswürdig sein kann und das Individuum auf seiner rein menschlichen Höhe befestigen, anstatt es herabzuziehen!«

Nun blieb Montrose nur noch nöthig, Urica auf seine Abreise vorzubereiten, und ihre Einwilligung zu ihrem diesmal durchaus nöthig werdenden Zurückbleiben zu erlangen.

Er konnte nicht zweifeln, daß Urica bereits ahne, was in ihm vorging; denn sie hatte einen rührenden Ernst, eine Weichheit, die sie bei oft unbedeutenden Veranlassungen nicht verbergen konnte, eine gewisse Feierlichkeit und Würde, die ihr selbst bei ihren innigsten Mittheilungen verblieb, und ihren Aeußerungen einen Charakter der Ergebung unter die Gebote hoher Pflichten gab, welches Alles Montrose die Vorahnung des Opfers schien, was er genöthigt war, von ihr zu fordern.

Endlich trat der Augenblick unabweislich nah; in wenigen Tagen mußte sich Montrose einschiffen und die ungestörteste Einsamkeit mit der Geliebten seines Herzens suchend, entwarf er ihr ein Bild seiner ganzen Lage, ließ sie mit ihrem männlichen Geist seine Maßregeln prüfen, entwickelte ihr seine Hoffnungen für die Zukunft und verhehlte ihr die Opfer nicht, die ihm bevorstanden, wenn nur einiger Erfolg die ersten Schritte lohnen und dem Unternehmen Ansehn und Vertrauen gewinnen sollte. Er hatte mit der Klarheit des Geistes, mit der ruhigen Energie gesprochen, die ihm eigen war und noch hatte er nichts gesagt, was sich auf den Wunsch bezog, Urica diesmal von sich zu trennen. Aber diese beiden edlen Menschen verstanden sich stets so vollkommen, daß eine gleiche Ueberzeugung fast das Resultat aller ihrer Berathungen werden mußte.

Urica's Auge senkte sich und ihre Wange ward, je länger Montrose sprach, je bleicher – zuweilen schauderte sie zusammen und verlor den Athem, der dann überfüllt einsetzte und einen fernen leisen Schmerzenslaut über die Lippen drängte. – Diese traurigen Verräther ihrer Gefühle machten Montrose erbeben – seine Stimme sank immer mehr – endlich stützte er sie in seinen Armen und alle Kraft dieses sonoren Tones ging in ein leises Gelispel über.

Dann trat eine feierliche Stille ein. – Beide saßen in der Fensternische der Bibliothek und vor ihnen lag, über dem erstorbenen Garten, die See ausgebreitet. Zuweilen erhoben sie die Augen auf dies große, mächtige Element, was sie bald trennen sollte – und als ob es ihre Beklemmung vermehrte, blickten sie dann wieder zur Erde.

Es schien nach dieser Pause, die immer schwerer lastete, daß Beide ihre Stimme fürchteten – die ersten Worte, die das entscheidende Weh aussprechen mußten, vor welchen ihnen Beiden graute.

Urica fühlte in dieser Stunde einen so tödtenden Schmerz, sich so unter der Gewalt desselben gefesselt, daß sie von da an sich eingeweiht hielt für die schwere Bahn großer Leiden und zuerst die Gewalt unabweislichen Kummers heran nahen fühlte!

Plötzlich lag Montrose zu ihren Füßen, und sie sah dieThränen, die sein männliches Gefühl nicht verschmähte, ihr zu zeigen.

»Sprich, Urica,« rief er mit allen Lauten der Liebe – »erstarre nicht so! – Erbarme dich und sprich!«

Da brach ein Schrei des tiefsten Schmerzes Urica's Lippen. –

»Montrose,« rief sie – » wir sind getrennt!«

Beide ergriffen sich in dem Augenblick krampfhaft und klammerten ihre Arme um einander, als wollten sie der entsetzlichen Entscheidung ihres Schicksals widersprechen, und es schien eine Herausforderung an die ganze Macht der Erde, diese festverschränkten Arme zu trennen.

Dennoch erforderten Urica's Leiden dies nach einigen Augenblicken – er trug sie auf den Altan, denn sie rang mit den körperlichen Schmerzen eines brechenden Herzens.

Der Herbstwind zerriß ihren Schleier und sträubte Montrose's Haar in die Höhe. Sie fühlten es nicht – der bleiche Schein des Abends machte ihre blassen Gesichter noch bleicher – als sie sich anblickten, erschraken sie vor einander und verhüllten sich aneinander – endlich weinten Beide heiße bittre Thränen eines Schmerzes, für den es keinen Trost wie keine Rettung gab.

»Ist es denn nöthig?« fragten sich dann Beide – aber selbst diese höchste Aufregung, die sie noch erfahren, machte sie nicht unklar und verworren in ihren Beschlüssen und Handlungen, und plötzlich schien Urica, von einem neuen Gedankenstrom berührt, in ihren Thränen unterbrochen zu werden.

Sie zog Montrose von dem stürmischen Platz auf den Altan zurück, und als sie Beide wieder neben einander saßen, sank Urica vor ihm nieder und rief:

»Vergieb mir meinen sinnbetäubenden Schmerz – vergieb mir, daß ich dich nicht stütze, wo so große Leiden dein Herz zerreißen, vergieb mir, daß ich dir ein Geständniß bis jetzt vorenthielt, was schon, seitdem ich mir dessen bewußt geworden, das Opfer in mir vorbereitet hat, dich allein in die Gefahren dieses schrecklichen Krieges ziehen zu lassen! – Montrose« – rief sie mit einer Stimme, in der Schmerz und Entzücken zusammen bebten – »ich fühle mich Mutter!«

Welch ein Augenblick für Montrose, zu erfahren, daß die höchste Sehnsucht seines Herzens erfüllt sei – Freude – Entzücken – Schmerz – ja ein Anflug von Verzweiflung, wie ihn dies starke Herz noch nicht kannte, zerrissen ihn.

Von allem Diesen trugen die ersten Augenblicke nach dieser Entdeckung noch den Stempel. Aber Urica war nach diesem Geständniß zu dem Punct zurückgekehrt, auf welchem sie Montrose in der letzten Zeit in feierlicher Sammlung gefunden. Zu neu war diese Hoffnung, und der Schmerz der eben erlebten Stunde zu sehr Alles überwältigend, um sie nicht wie alles Andere ausgelöscht zu haben. Mit der Erinnerung daran kehrte ein heiligender Ernst in Urica zurück und die Kraft, Montrose zu stützen.

Es gab von da an Momente, wo Beide mit dem Lächeln des Glücks auf dem bleichen, erschütterten Gesicht einen Sonnenblick in die Zukunft thaten, wo ein großartiges Gottvertrauen ihnen Glauben an die Wiedervereinigung ihres Lebens einflößte – eines Lebens – unter dessen Schutz ein zartes Wesen erblühen sollte, von dem sie sich mit unsäglichem Entzücken wiederholten, daß es ihnen Beiden gehören werde.

Montrose segnete es schon heute mit der feurigen Schwärmerei seines beseelten Herzens. Er bat Gott, auf seinen Knien vor Urica, um Schutz für dies Kind – er bat Gott zuerst um Schutz für sein eignes Leben, um diesem Kinde ein Vater sein zu können – er erflehte seinen Beistand, seinen Segen für Urica mit dem heil'gen Ungestüm eines glaubensvollen Herzens – und vielleicht hatte er keinen größeren Moment, als indem er sich ein ohnmächtiges Wesen fühlte, was mit der Angst seiner Unzulänglichkeit das glühendste Vertrauen zu der Hülfe gewann, die er anrief und über Alles zu verbreiten trachtete, was er bedroht sah und allein auf seinen unzulänglichen Schutz angewiesen.

Es konnte nicht fehlen, daß diese Wendung des Schmerzes sie Beide aus seiner Vernichtung erheben mußte. Ein Frieden kam über sie – als ob sie das Leben schon hinter sich gelassen und, allein vor Gott ruhend, seine Ausgleichung bereits erfahren hätten.

Aber es war nicht leicht, aus dieser Stimmung zum Leben zurückzukehren. Solche Momente gehen freilich dem Herzen, welches sie erlebt, nie wieder verloren – aber das Leben mit denselben Versuchungen, die unser Gleichgewicht aufhob, verflüchtigt die Sammlung, die ihren übersinnlichen Einfluß nicht immer siegend gegen die alten materiellen Störungen behaupten kann – der Mensch bricht unter dem Kreuze zusammen und der Weg nach Golgotha wird ihm zu lang.

Die Zeit, bis Montrose endlich das Boot bestieg, welches ihn nach seiner kleinen Flotte trug – und die Tage, die ihm in Urica's Nähe noch bis dahin vergönnt waren, lösten immer wieder den Verband von ihren tiefen Wunden – und es war diesen kräftigen Naturen nicht vergönnt, die Stärke ihrer Empfindungen zu erschöpfen. Sie schienen sich in jeder Stunde durch eine neue Erfahrung zu vervielfältigen und, indem sie keine Versuche machten, diesen Schmerz von sich abzustreifen, da seine Nothwendigkeit eisern und unverrückt vor ihnen stehen blieb – verloren sie immer mehr den Muth, sich dagegen zu vertheidigen, und lagen nackt und blos wie das geschorene Schaaf vor dem Throne ihres Vaters, mit letzter Kraft Eins für das Andere um milden Sonnenschein flehend.

*


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