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Wenn sich in diesem Stadttheile die ganze Bevölkerung Amsterdams zusammen gedrängt hatte, waren dagegen die entlegenen Gegenden, welche kein solches Schauspiel zu bieten hatten, desto einsamer geworden.

Das kleine einfache Jagdhaus, worin jetzt die einst so glänzende Gräfin von Casambort lebte, theilte keinen Vorzug des Festes, als die warmen Strahlen der Sonne, die seine alterthümlichen Giebel vergoldeten und den kleinen Vorbau, in dessen Schutz Urica ihren Tag verlebte, erwärmten. Ihre kranke, immer beklommene Brust machte ihr den Aufenthalt im Freien zu einem Lebensbedürfniß, und selbst in der Nacht, wenn ihre Leiden zunahmen, konnte ihr nur der Genuß der reinen Seeluft Erleichterung gewähren.

Sie war in den letzten Tagen von ihrer einzigen Gesellschaft getrennt gewesen; die Kinder – Floris und William – waren, wie ihr bekannt, in die Festlichkeiten verwickelt worden; Hooft konnte natürlich noch weniger erscheinen, und so blieben ihr, da ihre beiden alten Domestiken sie nie verließen, alle Nachrichten über den Verlauf des Tages aus.

Doch nur Orla empfand dies; denn sie ging den ersten Abend fast weinend zu Bett, weil ihre Floris und ihr William nicht erschienen, und Ulla dachte daran, an dem zweiten Nachmittage dem Kinde eine Zerstreuung zu gewähren und schickte sie mit Urica's Erlaubniß nach einer befreundeten Fischerfamilie, mit deren gesitteten Kindern sie unter Aufsicht der Wärterin am Ufer Muscheln und Steinchen aufsuchen konnte, was Orla's größte Lust war.

Während Orla von ihren jüngeren Gespielinnen mit Jubel begrüßt wurde, hörten sie den Kanonendonner bei der Abfahrt des Königs, und der ältere Bruder kam bald aus der Stadt zurückgelaufen und erzählte den horchenden Kindern von dem Feste, und wie der König und die Prinzessin in die Gondel gestiegen und Fräulein Floripes mit dabei gewesen sei – und die Kinder lachten und jubelten vor Lust, und der junge Erzähler, der vor ihnen auf dem Schnabel des leeren Bootes stand, was auf dem Trocknen lag, und worin die kleinen Kinder des Fischers mit Orla hockten, ward dadurch so belebt, daß er zum hohen Ergötzen seiner Zuhörer mit Händen und Beinen gestikulirte, um ihnen Alles recht klar zu machen.

Da er jedoch mit dem Gesicht gegen das Wasser zugekehrt stand, sah er früher als die Kinder, daß ein kleines Boot heran kam, welches anlegte und woraus ein junger Mann stieg, welcher die festliche Kleidung der jungen englischen Cavaliere trug.

»Ach!« rief der Knabe lebhaft den Kindern zu – »seht! seht! da ist einer von den Vornehmen! Seht, so sehen sie aus.«

Die Kinder fuhren wie ein Bienenschwarm in die Höhe und polterten über den Nachen hinweg und liefen dem fremden Cavalier entgegen. Dieser fragte den Knaben, ob er ihm nicht den Weg zeigen könne nach dem Jagdhause, und dazu waren gleich eben so viel Führer als Kinder bereit.

Auch Orla, deren Wärterin in den Hütten Besuche machte, trat mit den andern Kindern ihm näher, und es konnte natürlich nicht fehlen, daß sie in ihrer feinen Kleidung und bei ihrer Schönheit vor den übrigen Kindern auffallen mußte. Er trat daher noch näher und sagte: »Wer ist dies liebe kleine Mädchen?«

Die Kinder lachten und schämten sich, wie blöde Kinder pflegen, und Eins verkroch sich hinter dem Andern, denn sie konnten wohl neben dem fremden Herrn herlaufen, aber die geringste Frage zu beantworten schien ihnen viel schwerer.

Orla lachte auch; aber über das neckische Wesen ihrer Gespielinnen, und als der junge Mann ihr näher trat und ihr die Hand bot, gab sie ihm das kleine Händchen und sagte: »Ich heiße Orla und wohne im Jagdhause.«

Die Bewegung des jungen Mannes bei diesen Worten fiel selbst dem Kinde auf. »Mein Gott! rief er dann, sich zu ihr niederbeugend – »wer bist du? – wer – wer ist deine Mutter?«

»Ich bitte Euer Gnaden,« sagte die herzu geeilte Wärterin – »die Mutter des Fräuleins ist die Frau Marquise von Montrose.«

»O mein Gott, also doch,« sagte der junge Mann – und er hob Orla vom Boden auf, drückte sie an seine Brust und küßte ihre Stirn, ihre Locken mit einem Ausdruck von Schmerz und Liebe und einer Berechtigung, die ihren Einfluß auf Orla nicht verfehlte; denn sie ließ es ohne Widerstand geschehen und sah ihm freundlich und klug in die Augen, und die Sympathie der Natur webte in diesem ersten Blicke die kleinen Fäden eines Zusammenhanges, der mit nichts Anderem verwechselt werden kann.

»Laß uns zu ihr gehen,« sagte er dann, und da Orla ihn nun führen wollte, setzte er sie nieder, und Beide traten mit gleichem Eifer den Weg nach dem Jagdhause an.

Urica saß wie gewöhnlich in der Vorhalle, und ihr müder Kopf war in die blasse Hand gestützt.

Auch sie hatte nicht ohne Erschütterung den Kanonendonner gehört, der ihr schon am vergangenen Tage die Ankunft und jetzt die Vergnügungen des Königs bezeichnet hatte. Das waren ihre Träume gewesen, wenn sie damals an die glücklichen Erfolge Montrose's gedacht – und jetzt – ach! mit welchen Schmerzen hatte sie nach diesen Hoffnungen die Täuschungen durchgemacht, die endlich mit einer so entsetzlichen Katastrophe schlossen und mit einem tiefen Seufzer sagte sie unwillkürlich laut: »Warum lebe ich, um dies Alles ohne ihn erfüllt zu sehen?«

Wie eine Antwort des Himmels auf diese kühne Frage, die so oft aus dem beladenen Herzen zu dem nachsichtigsten Richter aufsteigt, tönte ihr die Stimme des geliebten Kindes aus dem sie noch verhüllenden Laubgange entgegen.

Ein matter, erheiternder Glanz überhauchte das blasse, leidenvolle Gesicht der armen Mutter, und ihr Auge haftete sich hoffend auf das Blättergeflecht, was bald das luftige, weiße Gewand des Kindes zeigte.

Aber von ihr geführt trat zugleich der Jüngling hervor und – Urica betrachtete ihn mit dem jähen Schreck des Erkennens. Dann stand sie ohne Hülfe auf – sie ging langsam vor, wie ein Geist von der Macht ihres Gefühls getragen – sie streckte die Hände ihm entgegen, und als er – »Urica, meine Mutter!« rief und ihr im selben Augenblicke zu Füßen lag und sie umschlang – sagte Urica mit einer feierlichen Begeisterung, indem sie seinen Kopf mit beiden Armen an ihre Brust drückte: »Ich danke dir, mein Gott, daß du mich hast leben lassen, um Montrose's Sohn zu segnen.«

Dieser Moment räumte alles in Harry's Seele aufgehäufte Uebel weg. Er fühlte an dem Busen dieser sterbenden Urica dasselbe siegende Vertrauen wie damals, als sein Vater ihn aus den Zimmern der Lady Southhesk zu der blühenden schönen Urica hinunter führte und ihn aufforderte, sie zu lieben und zu ehren.

Der Geist seines Vaters schien hier zuerst segnend sein Herz zu berühren; er athmete tief auf, als ob eine Last sich von ihm wälzte, und als sein überströmendes Auge zu den feinen Geisterzügen Urica's aufsah, verschönte ein Lächeln dies junge, so früh von Kummer gezeichnete Gesicht, und er fühlte sich zuerst glücklich.

Wie mußte aber auch die geistige Belebung und die erhabene Stimmung, welche Urica beseeligte und die er als Montrose's Sohn in ihr erweckte, den jungen Mann rühren, der ihrer hinfälligen Gestalt die nahe Auflösung ansehen konnte. Er führte sie in ihren Sessel zurück, dann kniete er vor ihr nieder und hielt ihre Hände, und Beide schienen die große Veränderung, die sie erfahren, nicht genug ergründen zu können, so zärtlich prüfend ruhten Beider Augen auf einander. Hinter Lord Harry stand Orla, die von ihnen vergessen schien, und ihre großen, denkenden Augen waren auf diese auffallende Scene gerichtet; ihre Händchen ruhten zusammengelegt unter dem runden Kinne, und sie hatte die finstere, altkluge Miene, die Kinder in ihrem Erstaunen annehmen.

Noch hatten weder Harry noch Urica außer einzelnen Worten etwas zusammenhängendes gesprochen. Ach, Urica erkannte jetzt die Züge Montrose's in seinem Sohn, und mit zerstörender Hast forschte sie in seinem Gesicht umher und ließ die Wunden bluten, die in dieser Anschauung frische Kraft gewonnen.

Plötzlich richtete sich Harry auf, und als er sich umwendend Orla sah, rief er lebhaft: »O, meine Mutter, ist das meine Schwester?«

Urica streckte ihr nun die Arme entgegen, und Orla flog hinein und drückte ihren Kopf mit eifersüchtiger Liebe an ihre Mutter.

»Orla,« sagte Urica mit einem Lächeln der Hoffnung – »das ist dein Bruder – du wirst nun nicht verlassen sein.«

Der junge Marquis zog erschüttert das ihm schon ergebene Kind an seine Brust. Ach, mit welcher Genugthuung sah Urica dies theure Wesen, das sie bald zu verlassen fürchten mußte, in den schützenden Armen eines Bruders.

»Ich sage dir nichts, mein Harry, mein Sohn,« sagte sie dann – »du wirst es fühlen, was dies Kind dir ist – wie es bald nichts haben wird, als deinen Schutz. O, Harry! welche Verpflichtung für dich – welch' ein Trost für mich!«

»Laß ihn dein Herz beruhigen,« sagte Harry zärtlich – »dies Kind wird mir ein heiliges Vermächtniß sein – mein Vater empfahl es mir in seiner letzten Stunde – du übergiebst es mir mit demselben Vertrauen – o! sei gewiß, ihr Beide werdet euch in eurem Sohn nicht irren!«

»In meinem Herzen ist kein Zweifel!« sagte Urica. – »Wenn du hörst, daß Gott meine Augen zugedrückt, dann komm herüber und hole deine Schwester – sie muß dann ganz Engländerin werden, dem Lande ihres Vaters angehören! Orla versprich mir jetzt, daß du dann deinem Bruder folgen willst und ihm gehorsam sein, als deinem Vormund und besten Freund!«

»Diesem?« fragte das Kind ihn freundlich anblickend – »o! gern Mama – wenn er überdies gewiß mein Bruder ist.«

Beide lächelten und Urica schickte sie zu ihrer Wärterin; denn wie schwer es ihr überhaupt wurde, von Vergangenheit und Zukunft zu sprechen, dem Sohne Montrose's gegenüber, der ihr mit den Zügen seines Vaters, ein volles kindliches Herz entgegen zu bringen schien, fühlte sie sich gekräftigt, die im Stillen getragenen Lasten abzuwerfen, und mit muthigem Geist dem Weh ihres Lebens in die Augen zu sehen!

»Harry,« sagte sie daher, nachdem er von ihr genöthigt, sich zu ihr gesetzt – »Harry, – vielleicht wird dies Kind deiner Großmuth anheim fallen, denn mein Vermögen sank mit deinem Vater! Man sagt mir von Papieren, die es sicher stellen sollen; aber sie hängen von der Ehrlichkeit eines thörichten Mannes ab, den du deinen König nennst, und wenn du meine Bitten ehrst, so wirst du zu stolz sein, ihn an die Wiedergabe dieses Vermögens zu erinnern – er könnte wähnen, er habe damit den Tod deines edlen Vaters gesühnt. Ich wenigstens habe es vorgezogen, hier mit geringem Vermögen in der Abgeschiedenheit zu leben, um der Welt den Vorwurf zu ersparen, den sie geneigt gewesen wäre deinem Vater zu machen, wenn die Auflösung meines Vermögens hervor getreten wäre. Eben so habe ich denen, die mit mir darum wußten, streng verboten, das leichtsinnige Gedächtniß dieses Mannes, der das Wichtigste – den Tod deines edlen Vaters vergessen konnte – für diese seine Verpflichtung aufzufrischen – und ich hoffe, man hat mir gehorcht!«

»Aber nicht allein dies junge Mädchen, deine Schwester, wird deiner Sorgfalt nach meinem Tode zufallen. Ich bitte dich um deinen Schutz für einen Jüngling, der als Knabe auf geheimnißvolle Weise meiner Obhut anvertraut ward. Ich glaube, mein Sohn, daß dein Vater seinen Ursprung kannte; aber mir ist er ein Geheimniß geblieben, denn sein Eintritt in dies Haus fiel mit der schmerzlichen Katastrophe unserer Trennung zusammen und diese ließ mich gleichgültig gegen eine nähere Bestimmung über dies Kind von dessen Mutter, welche ihn mir mit einem leidenschaftlichen Briefe an's Herz gelegt hatte, zumal da ich auch erwarten durfte, später größeres Vertrauen zu erreichen, als sie zu Anfang geglaubt hatte, mir schenken zu dürfen. Diese Hoffnung ist aber getäuscht worden und ich habe nie wieder ein Lebenszeichen von dieser geheimnißvollen Mutter erhalten und bin der Meinung, daß ein schneller Tod sie dem armen Jüngling entzogen hat. Ob ihm ein Vater lebt, ist mir noch weniger je wahrscheinlich geworden, denn dies Kind scheint Niemand anzugehören und blieb mir gänzlich überlassen!«

»Meine Mutter,« sagte Harry – »mein Vater sprach mir in der Nacht vor seinem Tode von euren Hoffnungen und von diesem Knaben; allerdings muß er seine Geburt gekannt haben, aber ein Versprechen, oder andere Gründe, hielten ihn ab, sich darüber zu erklären. Er sagte mir nur, daß dieser Knabe ein Recht an meine Fürsorge habe und gebot mir, ihm dieselbe nie zu entziehen, seine Geburt möge ein Geheimniß bleiben, oder mir aufgeklärt werden. Ich habe ihm versprochen, dies Gebot zu erfüllen und wiederhole es euch!«

»Sonderbar!« sagte Urica nachdenkend – »es bleibt das einzige Geheimniß zwischen mir und meinem Gemahl! – doch das ist unwichtig – ich bin nun auch um seinetwillen beruhigt. Seine Neigung hat ihn früh für den Seedienst bestimmt; er ist Kadett der Marine und also hier wie in seinem Vaterlande am rechten Platz. Du wirst seine Stellung künftig prüfen und ihm deinen Rath geben, denn du wirst Ehre an ihm erleben, wie ich bis jetzt. Dies sind meine Vermächtnisse, mein theurer Sohn – laß' mich jetzt einen Ueberblick über deine Lage thun – vertraue mir an, wie du bisher gelebt – sage mir vor Allem, ob du bereits vermählt bist, oder ob dein Herz doch eine Wahl getroffen, denn du mußt achtundzwanzig Jahr sein und ich hoffe, deine äußeren Verhältnisse sind durch die Umwälzungen in deinem Vaterlande in ihre alten Rechte zurückgetreten.«

»So ist es,« sagte Lord Harry, indem ein auffallender Ausdruck von Unsicherheit und Unruhe seine Stirn bewölkte und seine Augen den Boden suchten. »Meine Besitzungen sind mir schon in der letzten Periode des Protektorats zurückgegeben worden.«

»Nun?« sagte Urica fragend – »soll ich keine andere Antwort bekommen?« denn Harry war in ein düsteres Schweigen versunken. –

»Meine Mutter,« fing Harry an – »es wäre mir unmöglich, dir den Eindruck zu beschreiben, den deine Nähe auf mich ausübt! Ich finde mich nicht mehr in den gewohnten Gedankenkreis zurück und was ich bisher mich gewöhnt habe, als unausweichlich, als das mir bestimmte Schicksal anzusehen, das scheint seine Wurzeln verloren zu haben – es kommt mir nicht mehr so eisern fest vor – ich fühle mich freier, aber – auch unsicherer. Indem ich neben dem gewohnten Gleise noch eine Bahn sehe, fühle ich doch noch nicht, daß es die rechte, die bessere oder die mir bestimmte ist.«

»Was heißt das Alles, mein theurer Sohn?« – sagte Urica – »fasse Vertrauen und erkläre dich deutlich.«

»Ach,« sagte Harry mit einem Ausbruch düsterer Melancholie – »ich bin nicht zum Glück geboren. Mein Gemüth, mein Charakter hat große Fehler. Vielleicht haben die, welche mich mit ihrer bevormundenden Liebe von Jugend auf umgaben, große Schuld an meiner mangelhaften Entwicklung; aber wie könnte ich ihnen deshalb Vorwürfe machen, da ihre Schuld gegen mich die der Liebe ist und meine schwache Natur von Jugend auf der Bevormundung bedurfte.«

»Dazu kam das entsetzliche Schicksal meines angebeteten Vaters – es zerstörte den jugendlichen Wachsthum meiner geistigen Kräfte vollends. Ach, Mutter! wir Beide haben unsere Jugend, unsere Lebenskraft unwiderruflich daran verloren.«

»Du erschreckst mich, Harry!« unterbrach ihn Urica – »welche düstere unnatürliche Richtung hat bei deiner Jugend und deiner Stellung zum Leben dein Schmerz genommen! Das ist weder recht noch natürlich – ich fürchte, es ist aufgenöthigt von einer äußeren Einwirkung.

»Meine Mutter!« rief der junge Mann erschüttert, »laß mich dir Alles sagen; so unklar und verworren es sich jetzt in meinem Kopf gestaltet, vielleicht bin ich doch im Stande, dir auszusprechen, wie ich nach und nach so weit kam.«

»Lady Southhesk nahm uns mit sich nach Irland, und hier entwickelte sich eine größere Kraft und Gesundheit in mir, und bis zum Tode des Master Weston wurden meine Studien nicht mit so großem Eifer getrieben, um meinen Körper anzugreifen. Nach seinem Tode berief die Lady aus einem Jesuiterstift in Dublin einen gelehrten Priester in ihr Haus, der zugleich Arzt war. Meine Mutter! ich ward hier fast ein Gelehrter – aber man mußte zuletzt diese Studien unterbrechen, da ich körperlich fast zu Grunde ging. Oft sprach ich der Lady Southhesk meinen Wunsch aus, den geistlichen Stand zu ergreifen und mich ins Kloster zurückzuziehen, weil meine hinfällige Gesundheit mir keine Aussichten von Glück in den Verhältnissen des Lebens versprach; aber ich fand hier jedesmal den entschiedensten Widerstand, denn sie hoffte immer auf die Wiederherstellung der alten Ordnung, auf die Herausgabe meiner Güter und wollte diese nicht in Lady Jane's Händen sehen, da das Verhältniß Beider sich immer schlechter stellte, und Lady Jane, welche bei meinen Wünschen lange die Vertraute war, von diesen ihr dann zustehenden Rechten mit lebhafter Neckerei sprach, bei der sie sich nie etwas Böses dachte, die aber immer von Lady Southhesk übel empfunden wurde. Ich ergab mich in die Wünsche meiner Großmutter, und auf das Verlangen derselben wurde ich nun auch körperlich durch alle ritterlichen Uebungen entwickelt. Dies äußerte bald einen so günstigen Einfluß auf meine Gesundheit, daß ich selbst einige Hoffnung für das Leben faßte und gern meiner Großmutter das Versprechen gab, nie an den geistlichen Stand für mich denken zu wollen. Wenn Gott mich damals nicht durch das schreckliche Schicksal meines Vaters getroffen hätte, wäre mir vielleicht ein kräftiges Heranreifen zu Theil geworden; aber nach der Nacht, die mich auf ewig von ihm trennte, verfiel ich in eine schwere Krankheit, die sogar meinen Verstand bedrohte, und als ich genas, erfuhr ich den Tod der Lady Southhesk – und meine treue Schwester Jane war mein Schutzgeist, mein guter Engel, meine treue Pflegerin geworden. Sie that Alles, meine unheilbare Schwermuth zu zerstreuen; ich mußte die Klugheit, die Energie anstaunen, mit der sie alle öffentlichen Beziehungen unserer Verhältnisse leitete und Alles von mir nahm, was meinen müden Geist belästigen konnte – und so fügte ich mich auch, da sie eine Reise nach Italien zu meiner Herstellung vorschlug.«

»Hier bekam ich meine Gesundheit ganz wieder – die Liebe meiner Schwester sicherte mir den Genuß der Künste und Wissenschaften, während sie nach wie vor die materiellen Lasten unserer übrigen Verhältnisse trug, und da auch sie ihren Entschluß aussprach, sich nicht zu vermählen, beschlossen wir, uns nie zu trennen und immer auf die vorerwähnte Weise unsere Beschäftigungen einzuteilen. Ihre unermüdliche Thätigkeit für unsere Angelegenheiten ließ sie durch geeignete Agenten in England die Herausgabe unserer Güter betreiben, und als sich Hoffnung dazu zeigte, bestimmte sie mich durch unser persönliches Eintreffen, die Sache zu fördern.«

»Wir kehrten daher nach England zurück. Ich wurde bald darauf in den Stand gesetzt, meine Besitzungen zurückzunehmen, und wir haben seitdem dort gelebt, bis die große Katastrophe meines Vaterlandes mich an die Pflichten des Unterthanen erinnerte, an das Versprechen, was ich meinem Vater gegeben, Alles für die Wiederherstellung des Königs zu thun, wozu mir der Einfluß eben so wenig, als der Wille fehlte. Dies führte mich in die öffentliche Lausbahn ein, und ich wurde zu dem Gefolge gewählt, welches den König abzuholen bestimmt war – und das ist die erste Trennung von Jane, und ich kann sagen, sie nahm sie ungünstig auf. Ihre raschen Schritte seitdem möge Gott leiten; aber sie beunruhigen mich schwer, denn ich fürchte, daß – weil ich ihrem Wunsche nicht nachgab, da es gegen meine Ehre war, von dieser Sendung zum König zurückzubleiben – sie über ihr Leben so schnell, und ich fürchte unglücklich, entschieden hat.«

»Was meinst du, mein Sohn?« sagte Urica, bekümmerter, als sie es zu äußern wagte, über diese trübe Geschichte des armen Harry.

»Meine Mutter! sie hat sich mit einem Manne aus einer Familie verlobt, welche, trotz der Annäherung ihrer jetzigen Häupter, doch zu unsern Feinden gehörte; mit einem Manne, dessen Charakter mir kein Vertrauen einflößt, den Jane nur kurze Zeit kennt, da er bisher an der Seite des Königs im Auslande lebte und nur kurz vor der Zurückberufung unseres Königs mit dem Ritter Granville dahin zurückkehrte und ihr dort eine Aufmerksamkeit bewies, die viel Verdächtiges hatte, da Jane nicht schön geworden ist und seine für sie gezeigte Leidenschaft so wenig Wahrscheinlichkeit hat. Aber Jane hat ihm geglaubt, selbst für ihn eine späte heftige Neigung gefaßt, und wenn wir zurückkehren, wird sie die Gemahlin des Grafen von Laneric werden, dessen Oheim, der mächtige Herzog von Hamilton, einst der bitterste Feind meines Vaters war.«

»Und der jetzige Herzog sein Vater?« sagte Urica rasch von einer Erinnerung erfaßt, der sie doch bisher wenig Raum gegeben und welche gegen ihren Gram wenig Interesse behalten hatte.

»Er schon hat sich auf eine geheimnißvolle Weise in unsere Familie gedrängt. Sein früheres Leben ist den meisten Menschen undurchdringlich, und ich habe ihm wenig Antheil geschenkt. Lady Jane aber scheint mehr davon zu wissen und ist geneigt, ihn hoch zu achten. Unsere erste Berührung war die Nachricht, daß die längst von uns als verstorben betrachtete Schwester meines Vaters, Lady Juliane Graham, noch lebe und mit diesem Manne ehelich verbunden gewesen sei. Der Herzog von Hamilton erließ vor dem Parlament eine förmliche Rechtfertigungsakte, worin er viele Gründe anführte, welche den sonderbaren Entschluß beider Ehegatten, ihre rechtgültige Vermählung so lange verheimlicht zu haben, darlegen sollten. Er konnte aber die Stimmung nicht für sich gewinnen, denn Alle waren überzeugt, daß er grade das nicht sagte, was der alleinige Grund sei. Er wußte aber die Vermählung durch alle nöthigen Beweise außer Zweifel zu stellen und erklärte damit die Geburt eines Sohnes, der unter anderem Namen erzogen worden war, als vollständig legitim.«

»Lady Juliane, unsere Tante, unterließ nicht, nach unserer Rückkehr aus Italien, wo wir diese Umstände erfuhren, in verwandtschaftliche Beziehungen zu uns zu treten, und da unsere Besitzungen grenzen und sie auf dem Stammgute in großer Zurückgezogenheit lebte, sahen wir sie oft, und wir hatten auch das traurige Schicksal, daß sie auf unserm Grenzschloß, wo wir damals wohnten, in unsern Armen verschied, da sie, vom Schlage getroffen, auch kein Zeichen des Lebens mehr von sich gab und doch einen Augenblick früher uns ihren Entschluß kund gegeben hatte, ihrem Gemahl und ihrem Sohn – welche Beide damals in Breda beim König waren – einen Besuch zu machen, bevor sie nach Spanien abgingen, welches damals schon als letzter verzweifelter Versuch des Königs beschlossen war.«

Urica war in das trübste Nachdenken verfallen, und das Lebensbild ihres armen Harry, was vor ihr da lag, hatte sie mit den muthlosesten Vorstellungen für ihn erfüllt.

Sie zweifelte keinen Augenblick, daß er das Opfer von Lady Jane's Herrschsucht, wenn nicht noch eines schlimmeren geworden war; daß diese zurückgehaltene Selbstständigkeit, diese aufgenöthigte Kränklichkeit, dieses Beschützen seiner Lieblingsneigungen, die ihn bei dem Betrieb gelehrter Studien und den Schwelgereien der Kunst immer mehr dem thätigen Leben entfremden mußten, ein wohl überlegter Plan der Lady Jane war, wodurch er genöthigt blieb, ihr die Verwaltung seiner großen Berufsthätigkeit, die ihn zum Bewußtsein der in ihm schlummernden Kraft geführt haben würde, gänzlich zu überlassen.

Seufzend dachte sie, wie diesem herrlichen jungen Manne, der von der Natur so reich ausgestattet schien, der Vater gefehlt hatte; ja in diesem Augenblick noch, wo er, sich aufgebend, die Knechtschaft nicht bemerkte, an die er sich langsam gewöhnt, fühlte Urica – ein Vater wie Montrose würde noch die Kraft besessen haben, ihm die Binde von den Augen zu reißen und ihn dem Leben wiederzugeben.

Traurig sinnend blickte sie vor sich hin. Von Allem, was sie gehört, blieb ihrem Herzen nur Harry's bedrohtes Lebensglück im Gedanken. – »Ach,« dachte sie – »hättest du ihn früher um dich gehabt, so wäre es dahin nicht gekommen.«

Natürlich entstand daraus die liebreiche, aber doch vorwurfsvolle Frage: Ob er nie an sie gedacht, ob er nie gewünscht habe, zu wissen, ob und wie sie lebe, und ob hier ein Wesen mit Geschwisterrechten an ihn existire.

Doch wurde Urica von dem Grade der Bestürzung und vorwurfsvollen Aufregung, welche diese milde Frage dem jungen Manne verursachte, fast erschreckt, denn er warf sich ihr zu Füßen, bedeckte ihre Hände mit Küssen und brach in Vorwürfe über sich aus, die Urica für die Veranlassung zu stark schienen.

»Mein Sohn,« sagte sie sanft – »so war es nicht gemeint. Was mich zu dieser Frage hinlenkte, war das Gefühl – wenn ich dich früher gekannt und du mir einigen Einfluß gegönnt hättest, du nicht zu dieser trüben Unthätigkeit, einem großen und wichtigen Beruf gegenüber, gekommen wärest. Daß ich dich gebeten haben würde, nicht auf Kosten deiner übrigen Pflichten, die du jetzt Lady Jane überließest, das Leben bloß genießen zu wollen, wie es deine noch genährte träumerische Sinnesart dir leicht machte – daß du dann das Leben nicht so muthlos ansehen würdest, als jetzt, nicht den unpassenden Entschluß gefaßt haben würdest, unvermählt zu bleiben, sondern vielleicht, wie es dein Alter fordert, schon eine Familie begründet hättest. Harry,« fuhr sie milde fort, da sie fühlte, daß er sein Gesicht in ihre Kleider verborgen habe, um zu weinen – »Harry, täusche ich mich – oder ist diese kurze Trennung von deiner herrschsüchtigen Schwester schon hinreichend gewesen, dich zu überzeugen, daß du bisher in einer falschen Stellung warst?«

»O du!« rief Harry in heftigster Bewegung – »du, die Tugend, die Wahrheit selbst – du, an deren Worten sich die schnellste, klarste Erkenntniß des Rechten aufhellt, als fielen in die tiefste Nacht Sonnenstrahlen hinein! – dich – dich habe ich so grausam verkannt, habe dich verleumden hören, ohne zu widersprechen, habe mein Wort mir fast entreißen lassen, dich nicht hier aufzusuchen, um dich zu kränken und zu strafen für ein vermeintlich des Namens Montrose unwürdiges Leben.«

»Armer Harry,« sagte Urica mit dem Erbarmen einer Heiligen – »welchen Zwiespalt, welchen Schmerz muß dir das gemacht haben, und welch' ein trauriger Beweis ist es mir, wie man bedacht war, jeden Einfluß von dir abzuhalten, der dich frei dir selbst zurückgeben konnte.«

»Verstoße mich nicht, meine Mutter! Laß mich das Bekenntniß meiner Vergehen vor dir vollenden und vergieb mir dann, und nur dir will ich von da an gehorsam sein, nur dir folgen, dir angehören mit meiner ganzen Ueberzeugung!«

»Nein, nein Harry,« sagte die Marquise sanft aber bestimmt – »du mußt mich schonen – ich will deine Bekenntnisse nicht hören; die Welt liegt weit ab von mir – sie kann mich nicht mehr erreichen – nur meine Liebe zu Montrose's Sohn richtet heute meine Blicke mit der alten Kraft auf die Verwickelungen der Leidenschaften, und diese Liebe schärft mein müdes Urtheil noch einmal, und was es vermag, soll dir nützlich werden. Dein Bekenntniß, daß man uns getrennt erhalten wollte, bestätigt meine Befürchtungen, und diese Verleumdungen, denke ich, wurden nur erdacht, um diese Trennung zu bewirken. Du wirst nicht wollen, daß ich sie widerlege, und ich brauche sie daher auch nicht zu kennen.«

»O nein, o nein! wie könnte ich ein Wort der Vertheidigung aus deinem Munde hören, ohne vor Schaam zu deinen Füßen zu verzweifeln. Aber Mutter, es reißt die Binde von meinen Augen; wie unmännlich und entnervt muß ich sein, daß ich mich nicht früher mit Abscheu von Allem gewendet habe, was mich so elend feige bleiben ließ, daß, indem ich es ertrug, wie man dich verleumdete, ich auch das Andenken meines Vaters beleidigen ließ.«

»Ich will dich nicht hindern, deine Lage scharf aufzufassen und deine bisherigen Handlungen ernst zu prüfen,« sagte Urica – »denn ich glaube selbst, daß deine jetzige starke Aufregung, die deine Ausdrücke entschuldigt, aus dem Grunde entspringt, daß du lange versäumt hast, Wahrheit mit dir zu reden. Aber Lady Jane's Vermählung sprengt das Schloß von deinem Gefängniß, und Gott hat dir in dieser Krisis deines Lebens die Kraft gegeben, ihr zu widerstehen – er hat dich hierher geführt, wo du eine treue Freundin findest, die Wahrheit mit dir reden will.«

»Ja, ich will mich dieses Winkes vom Himmel würdig zeigen! Ich fühle seit gestern eine große Umwandlung in meinem Innern, und obwohl sie mir zuerst durch ein junges Mädchen kam, die ich beim Feste traf, war es doch ihre Aehnlichkeit mit dir, die sie bewirkte – und ihre unschuldigen Erzählungen von dir – die mich zu dir herführten, um mich nun so wohlthuend zu erschüttern.«

»Gott kennt die Wege,« sagte Urica – »er giebt keinen Irrenden auf – und seine Mittel liegen über unserm Urtheil. – Du hast Floripes gesehen – meine Nichte.«

»Ja,« sagte Harry verwirrt – »eine Nichte, die dir gleicht, wie eine Tochter ihrer Mutter.«

Es lag in dem Tone des jungen Mannes etwas Auffallendes. Urica hob die Augen zu ihm auf – er zog die Seinigen, die ängstlich forschend auf Urica ruhten, erröthend zurück. Urica verstand ihn nicht ganz; sie wußte nicht, daß dies Kind der Gegenstand der Verleumdungen war und glaubte eine entstehende Neigung des jungen Mannes zu entdecken.

So unsicher aber, wie ihr in diesem Augenblicke Harry's Charakter erscheinen mußte, so ungewiß wie es blieb, ob er im Stande sein werde, sich den Einfluß Lady Jane's selbst nach ihrer Vermählung abzuhalten, schauderte sie innerlich, wenn sie an das Schicksal einer jungen Frau dachte, die unbeschützt vielleicht von Harry's noch schwankender Festigkeit in ein solches Verhältniß eintreten müsse – und ihre Liebe zu Floripes war so groß, daß sie dies ihr vielleicht näher rückende Verhältniß von ihr abzuhalten beschloß, so lange als möglich. Um aber nicht voreilig, ehe sie selbst geprüft hatte, einzuschreiten, ließ sie, ohne Floripes weiter zu erwähnen, den Gegenstand fallen und fragte ihn nach seinem Verhältniß zum König.

Dies war anscheinend gut; aber Harry war durch den frivolen, ausschweifenden Ton, der unter seinen leichtfertigen Umgebungen herrschte, und in welchen der König mit dem würdelosesten Uebermuth nur zu oft einstimmte, tief verletzt, und ertrug diese Gesellschaft wie eine Last, und Urica sah bald ein, er werde sich nach der Rückkehr nur zu schnell davon losmachen, damit eine öffentliche Thätigkeit aufgeben und in seine alten Gewohnheiten zurückfallen – sogar mit einem Scheine der Berechtigung, wenn er die Verhältnisse, die er mit Abneigung verließ, damit verglich.

Aber diese Betrachtungen entmuthigten Urica, wenn sie dachte, daß er höchst wahrscheinlich in seine alten Verhältnisse zurückgekehrt, den kurzen Eindruck einer wahren Erkenntniß bald würde in sich verschwinden fühlen und sinnend drängten sich eben die Worte über ihre Lippen: »Du müßtest von London aus sogleich und allein eine Reise nach Frankreich machen, nicht nach dem weichen Italien, sondern nach dem anregenden, thätigen Frankreich« – als Harry's Antwort abgeschnitten wurde durch ein lautes Gespräch, welches aus dem Laubgange, der die Nahenden noch verbarg, zu ihnen herüber drang und einiges Erstaunen bei Urica erregte, da man diesem Trauerhause niemals geräuschvoll nahte.

Lord Harry verstand den Blick seiner Mutter und stand schnell auf, um sich nach dem Laubgange zu begeben – da trat schon eine Gruppe von Herrn daraus hervor, denen – Herrn Cornelius Hooft und all' seine Begleiter zurückwinkend – der König voran eilte und ehe ein Wort, eine Bewegung Uricas möglich war, stand er dicht vor ihr, zog das Baret vom Haupte und neigte sich vor der bleichen Witwe seines großen Anhängers mit einer Ehrfurcht, wie vor einem gekrönten Haupte.

Urica unterbrach durch nichts diese feierliche Huldigung des Königs. Ihre Schwäche, welche die Erschütterung vermehrte, hätte sie ohnedies am Aufstehen verhindert; aber sie gehörte auch außerdem bis zum letzten Hauche ihres Lebens zu den Menschen, für die große, ungewöhnliche Vorfälle vollkommen zu passen scheinen und sie nicht überwältigen, sondern in volle Ruhe und in den Besitz ihrer Kräfte versetzen. Dieser Besuch des Königs ging klar und besonnen in Urica's Vorstellung über, aber auch sogleich mit dem Schlusse – er gehöre dem Andenken Montrose's, das auszudrücken ihm jetzt Bedürfniß werde.

»Euer Majestät,« sagte Urica mit ernster, feierlicher Stimme – »sind gekommen, um die Witwe Montrose's zu ehren!«

»Madame,« sagte der König und zog ein Tabouret vor sie hin, um sich zu setzen – »ich kann den endlichen Sieg meiner guten Sache nicht feiern, ohne mit allen Gefühlen der Dankbarkeit des großen Mannes zu gedenken, der sein edles Leben auf's Spiel setzte, um mir diese Gerechtigkeit schon zehn Jahr früher zu verschaffen – noch heute glaube ich, ist es nur die Vollendung derselben Sache, die er mit so großem Muth einleitete, die mich auf meinen Thron zurückführt!«

»Euer Majestät sind Ihrem großen Anhänger nur gerecht!« sagte Urica – »und ich, die Vertraute seiner kühnen Pläne, die nächste Zuschauerin der erhabenen Fähigkeiten, mit denen er zu den gewagtesten Unternehmungen gerüstet war, kann die ganze Wahrheit dieser Ueberzeugung nur theilen! Ich fühle, wenn zu diesem einsamen Sitze der Donner der Geschütze und der Jubelruf eines theilnehmenden Volkes herüber dringt, es ist der Triumph Montrose's – aus seinem Märtyrerblut sproßte die Saat auf, die Euer Majestät jetzt erndten!«

Erschüttert blickte der König auf die würdige Witwe dieses Helden – und er, dessen Herz und Geist die seltenste Fähigkeit – zu verstehen – hatte, welcher nie in den frivolsten Augenblicken seines Lebens ohne Gefühl für die erhabenen Fähigkeiten eines edlen Charakters blieb, ward unter Urica's Worten das wirklich, was er leichtsinnig und klug bloß hatte scheinen wollen: ein dankbarer König, der um einen großen Unterthanen trauern will.

»Ihr seid eine Erquickung des Schmerzes für die, welche Herzleid tragen um euren Gemahl! Das sind die Gesinnungen, die den Stachel des Todes brechen und ein unzerreißbares Band fortwirkenden Einflusses zwischen hier und jenseits weben. O glaubt mir! meine Thränen sind im Geheim innig und heiß um ihn geflossen – aber von einem Könige, der so über alle Grenzen der Erfahrung hinaus von eignen Unterthanen gedrängt wird, wie ich, wird auch noch das trockene Auge, das verleugnete Gefühl gefordert!«

»Gefordert!« sagte Urica – »aber ein König hat vor allen Menschen zuerst das Recht zu verwerfen, was mit seiner menschlichen Würde nicht verträglich ist!«

»Ihr zürnt mir und erspart mir nicht euren Vorwurf,« sagte der König fast traurig – »aber ich habe keinen Zeugen für mein wahrstes und innerstes Gefühl für Montrose, als mein Wort und diesen Augenblick! Laßt ihn gelten! denkt mit Nachsicht des jungen, schlecht berathenen Mannes, der eines Montrose entbehrte, als er gedrängt von allen Seiten den erfolglosen oft bereuten Entschluß faßte zu unterhandeln.«

»Ha!« unterbrach ihn Urica mit der alten Leidenschaftlichkeit und verhüllte einen Augenblick mit beiden Händen ihr Gesicht. Dann faßte sie mit Kraft seinen Arm und mit einem Ton, der das jahrelange Todesweh dieses Herzens zu umschließen schien, rief sie: » Unterhandeln hieß Montrose's Todesurtheil unterschreiben!«

»Heil'ger Gott!« rief der König in Wahrheit entsetzt – »sagt das nicht – wer nähme solche Schuld von meiner Seele?«

Urica schwieg – die Aufregung war vorüber – langsam sank ihre Hand von des Königs Arm – ihr Auge blickte mild vor sich nieder. Ihr Schmerz hatte seine irdische Ausgleichung und Versöhnung gefunden, die Schuld war gesühnt an dem Schuldner, sie hatte Montrose's Andenken genug gethan und ihre Seele kam wie aus einem Tempel, worin sie das sühnende Opfer niedergelegt.

Als ihr Auge den König erreichte, sah sie ihn in der Wahrheit eines tiefen Gefühls leiden – sie war versöhnt und sie wußte, Montrose war es früher. Wenn Urica auf dem Gipfelpunkt ihrer Jugend und Schönheit einst mächtig war, so stand sie vielleicht eben auf dem Gipfelpunkt ihrer geistigen Vollendung. Montrose schwebte versöhnt an ihr vorüber, der Friede der Vergebung erfüllte erwärmend wie mit balsamischer Erquickung ihr Inneres. Als der König sie anblickte, traf ihn die Macht dieser geistigen Verklärung und er rief entzückt: »O sagt! darf ich euren Augen vertrauen – wollt ihr mich frei sprechen – soll durch euch diese Schuld von mir genommen sein?«

»Das soll sie,« sagte Urica und bog sich mit einem Engelslächeln zu ihm vor, indem der König mit der größten Innigkeit ihre beiden Hände an seine Brust drückte – »ich – ich darf euch vergeben, denn ihr habt eure Schuld empfunden, und wenn ich euch vergebe – dann hat die Welt keinen andern Richter mehr.«

Der König küßte ihre Hände, und sie ließ es zu, daß er ihre Stirn küßte. Dann sagte er leise und bewegt: »Ich danke euch! ich danke euch! – Nehmt noch das Geständniß, daß der Moment mir wichtiger und theurer geworden, als ich es für möglich hielt. Laßt mich nun noch erwähnen, daß ich euch mit meinem königlichen Worte verantwortlich bin für die äußeren Opfer, welche ihr mit eurem Vermögen meiner Sache gebracht habt.«

»Ihr werdet meine Tochter, eure Unterthanin, nicht vergessen,« sagte Urica ruhig. – »Nach meinem Tode wird sie zu ihrem Bruder nach England gehen, und ihr werdet dann für ihre Unabhängigkeit Sorge tragen. Ich empfehle sie eurem Schutz – die Liebe ihres Bruders wird ihr nicht fehlen. Und nun will ich Eurer Majestät aus der Fülle meines Herzens sagen, mit welcher Befriedigung mich die Gerechtigkeit des Himmels gegen euer gekröntes Haupt erfüllt, und wie ich jetzt den segensvollen Zeitraum für England heraufsteigen sehe, von dem Montrose träumte.«

»Das gebe Gott,« sagte der König, in welchem der Ernst geweckt war. – »Aber die Menschen haben mir so wenig Vertrauen gelassen – ich sehe auf Alles, als wären es hohle leere Komödien – und daher fehlt mir auch die rechte Theilnahme.«

»Sie wird sich aber finden, wenn ihr das Vaterland wiederseht,« sagte Urica. – »Auch kommt euch so viel guter Wille entgegen – ihr werdet viel ausrichten können – und die hohen Mächte des übrigen Europa sind euch ja alle versöhnt, und ich höre von ihren Freudenbezeigungen durch ihre Gesandten.«

»Ja,« sagte der König bitter – »und kurz vorher hatte keiner mehr Raum, ein Feldbett für mich zu stellen, und Frankreich hätte am liebsten die Tochter seines großen königlichen Helden, meine edle Mutter, aus ihrem Vaterlande verstoßen.«

»O,« sagte Urica, »aber jetzt! Welch ein Strahl des Glücks ist in ihr von Kummer verdüstertes Herz gefallen. Ich habe ihr seit eurer Thronberufung geschrieben und ihre Antwort empfangen – wir sind nie ohne Briefe geblieben – unser ähnliches Schicksal hat uns nur fester geknüpft. Habt ihr sie schon zu euch eingeladen?«

»Ah!« sagte der König – »man widerräth mir damit zu eilen, da die Stimmung wegen ihrer Religion so ungünstig gegen sie ist. O! das ist noch einer von den geheimen Schmerzen, die ich mir bei meiner jubelnden Umgebung nicht darf merken lassen. Wann schreibt ihr wieder?« fragte er eifrig – »wollt ihr der theuren Mutter sagen, wie Alles steht, damit sie mich nicht verkennt?«

»Und,« sagte Urica – »müßt ihr nicht Gegengesandtschaften schicken an alle diese gratulirenden Höfe?«

»Ja,« sagte der König gleichgültig – »ich höre, man beschäftigt sich schon damit.«

»Wählen Euer Majestät den Gesandten für Frankreich auf diesem Tabouret,« sagte Urica fast mit ihrer alten bezaubernden Anmuth.

»Er ist gewählt, wenn ihr mir den Namen sagt,« rief der König, angenehm überrascht von dem Gedanken, dieser edlen Versöhnten durch etwas gefällig werden zu können.

»Mein Sohn, der Marquis von Montrose!« sagte Urica schnell.

»Das ist entschieden,« – sagte der König und wandte sich auf seinem Sitze um, denn auch Lord Harry hatte sich zum Herzog von Hamilton, Herrn Hooft und William Bedfort begeben, welche in ehrerbietiger Entfernung sich so weit zurückgezogen hatten, um das Gespräch des Königs nicht mehr hören zu können.

»Der König ruft euch, Milord,« sagte der Herzog, der dessenungeachtet jede Bewegung der Sprechenden verfolgt hatte.

Lord Harry eilte den Hügel hinan, der König streckte ihm die Hand entgegen und sagte lebhaft: »Marquis von Montrose, eure Mutter, diese unsere edle Freundin versichert uns eben, daß ihr uns den Dienst leisten werdet, unserm getreuen Bruder von Frankreich unsern Dank zu überbringen für seine Freudenbezeigungen bei unserer Thronerlangung und der Königin, unserer vielgeliebten Mutter, unsere Privataufträge. Was sagt ihr dazu.«

Ein lebhaftes Roth stieg auf den Wangen des ergriffenen jungen Mannes empor – ein leuchtender Blick der Liebe und Freude traf seine Mutter – er beugte das Knie einen Augenblick, um die Hand des Königs zu küssen, und sagte dann lebhaft:

»O meine Mutter, wie fühle ich mich gehoben durch eure großmüthige Fürsorge – wie regt sich die Kraft in mir, diesem Vertrauen zu entsprechen, und wie gelobe ich es feierlich, daß ihr euch keines Unwürdigen angenommen haben sollt.«

»Das ist ein gesegneter Tag,« sagte Urica mit einem Lächeln, was diesen hinsterbenden Zügen seit lange fremd geblieben war, und der König, der bei ihrem ersten Anblick von der Verwandlung dieser glänzenden Schönheit entsetzt gewesen war, fühlte sich von dem geistigen Zauber, der jetzt auf diesem zarten fleischlosen Gesicht hervorgetreten, so ergriffen, daß es ihm schien, sie wäre noch schön.

»Milord von Hamilton,« rief der König nach einer Pause – die noch der gegenseitigen Dankbarkeit gehörte. – »Wir haben unsern Gesandten nach Frankreich ernannt – ihr werdet dem Marquis von Montrose seine Depeschen ausfertigen.«

»Euer Majestät haben bereits den Grafen von Laneric dazu ernannt,« sagte der Herzog kalt.

»Wir werden ihn alsdann nach Spanien schicken,« entgegnete der König bestimmt – »wir haben Ursache zu glauben, daß unserer Mutter der Sohn ihres besten Freundes willkommen sein wird.«

Hamilton verbeugte sich und trat zurück – aber der König rief ihm zu: »Nicht doch, Milord – wir wollen euch nicht der Ehre entziehen, der Gemahlin eures Schwagers eure Ehrerbietung zu bezeigen. Ihr wißt doch, Frau Marquise, daß eure launische Frau Schwägerin lange im Geheimen die rechtmäßige Gemahlin des damaligen Grafen von Laneric war, und diese Verbindung erst erklärt wurde, als der Tod des ältesten Bruders ihren Gemahl zum Herzog von Hamilton machte?«

»Ich hörte davon,« sagte Urica und richtete ihre Augen nicht ohne einige Neugier auf einen Mann, von dem sie schon so viel gehört hatte, und dessen äußere Erscheinung einen ungewöhnlichen Eindruck machte; denn der Herzog war ein schöner alter Mann mit einer kräftigen, ungeschwächten Gestalt, die ihn sogar jünger erscheinen ließ. Sein Gesicht war edel und regelmäßig gebildet, aber ein düsterer, entschlossener Geist lag drohend auf der hohen, stolzen Stirn, und der Mund hatte etwas grausames und unerbittliches. Einen Gegensatz bildeten die schönsten Augen, welche, vielfach gesenkt, den früheren geistlichen Stand verriethen, und wenn sie, ohne von Leidenschaften bewegt zu sein, sich hoben, einen sanften, schwärmerischen Ausdruck haben konnten.

Als er sich Urica jetzt nahte mit diesem Blick, mischte sich noch ein besonderes bewegtes Gefühl in ihren Ausdruck. Er schien froh, daß der König ihm erlaubte, ihr seine Ehrfurcht zu bezeigen.

»Milady,« sagte er mit einem ganz anderen Tone der Sprache, als mit dem er dem Könige früher entgegnet hatte – »ich fürchte, ihr werdet mir das Gefühl von Bewunderung und Verehrung, mit welchem ich euch nahe, kaum gestatten; ihr werdet mich um Rechenschaft fragen über ein Gefühl, welches eine größere Beimischung der Verwandtenliebe hat, als ihr dem Gemahl der Lady Juliane werdet zugestehen wollen.«

»Ich würde freilich keinen Anspruch darauf zu machen gehabt haben,« sagte Urica mit Anmuth – »aber was könntet ihr mir außer eurem berühmten Namen nennen, was mich näher anginge, als die nahe Beziehung zu meinem Gemahl. – Aber ich höre, ihr seid Witwer.«

»Ja,« sagte Hamilton, und es lag Wahrheit in seinem Ausdruck – »in dem Augenblicke, als ich eines besseren Glücks an ihrer Seite mich zu erfreuen hoffte, als unser vergangenes Leben uns Beiden gewährt hatte, beendete der Tod dies so vielfach bedroht gewesene Verhältniß, was nicht ohne gegenseitige Schuld den sonderbarsten Anschein nach Außen trug – und von zwei Menschen, die vielleicht zum vollkommensten Glück durch einander bestimmt waren, dieses doch bis zum letzten Augenblick fern hielt.«

»Ich weiß, Milord,« sagte Urica theilnehmend – »daß Lady Julianens Schicksal eine so schmerzliche Wunde in dem Herzen meines Gemahls war, daß ich nur selten wagte, sie zu berühren.

Da der König, während dieser Antwort sich auf Lord Harry lehnend, dem Herrn Cornelius Hooft genaht hatte, um mit ihm ein Gespräch anzufangen, überzeugte sich der Herzog mit einem raschen Blicke von seiner Entfernung, und plötzlich näher tretend, sagte er mit wankender Stimme: »Kanntet ihr Lady Juliane nicht persönlich – standet ihr in keiner Verbindung mit ihr?«

Obwohl ein wenig überrascht, antwortete Urica doch mit Ruhe in seine forschenden Augen blickend – »Nein, Milord, ihr müßt das auch wissen. Als ich in England war, galt Lady Juliane sogar für todt – und später erfuhr sie vielleicht kaum die zweite Vermählung ihres Bruders, oder dachte vielleicht so ungünstig darüber, als ihre Tante Lady Southhesk.«

»Nein, nein, Milady,« sagte Hamilton mit derselben bewegten Stimme – »sie theilte nicht diese Meinung über euch; sie verehrte euch. Ihr großer, feuriger Geist faßte euch auf, wie ihr es verdientet – sie sprach diese Meinung bei jeder Gelegenheit aus, und ich hoffte heimlich diese Gesinnung hätte sich euch durch irgend etwas kund gegeben.«

»Vielleicht, Milord,« entgegnete Urica mit voller Unbefangenheit – »hatte sie sich vorgenommen, mir diese verwandtschaftlichen Gesinnungen bei ihrer Anwesenheit in Holland, welches sie vor ihrem Tode zu besuchen beabsichtigte, persönlich auszusprechen. So aber bin ich um diesen wohlwollenden Beweis des Antheils gekommen, den ich von Montrose's Schwester gern erfahren hätte. Vor einer Stunde erfuhr ich zuerst durch meinen Sohn, daß Lady Juliane gelebt habe und in welchen Verhältnissen sie sich zu euch erklärt hatte.«

Bei diesen Worten senkte Hamilton, wie von einer getäuschten Hoffnung bekümmert, das Haupt – »Ich habe mich also geirrt,« sagte er – »verzeiht mir meine dringenden Fragen. Ich bin gewiß, ihr habt keinen Grund zu verschweigen, wenn es anders wäre.«

»Gewiß nicht, Milord,« sagte Urica mit Ernst und Aufrichtigkeit – »gern würde ich euch noch Mittheilungen über die Entschlafene machen, wenn ich dazu im Stande wäre.«

Der König führte gerade jetzt William Bedfort zu Urica, und diese sah überrascht an seinem Barett, was er ihr mit komischer Koketterie und dem feurigsten Lächeln der Freude zukehrte, einen kostbaren, mit Perlen gestickten Handschuh wie eine Agraffe befestigt, und der König nannte ihn den Ritter vom Handschuh und erzählte mit gutmüthiger Heiterkeit, auf welche muthige und geschickte Weise er ihn sich verdient hatte und fügte zum Schlusse hinzu: »Er höre, daß Milord von Hamilton ihm schon Vorschläge gemacht habe, in die englische Marine über zu treten, und er frage, was seine Pflegemutter dazu sage, da er höre, der junge Mann habe keine Eltern mehr und sie sei zugleich seine Vormünderin.«

Urica schwieg; der Antrag kam ihr unerwartet – indessen näherte sich ihr Hamilton und sagte: »Wenn ihr, Frau Marquise, mir den Knaben anvertrauen wollt, so will ich in England Vaterstelle bei ihm vertreten und seine Laufbahn auf dem Wege, den er einmal eingeschlagen, nach allen Kräften zu fördern suchen.«

Wieder ruhte dabei sein Auge beobachtend, ja mit einem unheimlichen Lauern auf Urica; als sie aus ihrem Nachdenken erwachend, die Augen aufschlug, begegnete sie diesem Blicke, und er traf ihre Erinnerung wie ein Blitz. Dem fanatischen Katholiken, von dem die unheimlichsten Handlungen aus dem Berichte der Mistreß Crafton ihr eben gegenwärtig wurden – dem sollte sie den Jüngling anvertrauen, der ihr mit der Zuversicht übergeben war, sie werde ihn gegen den von seiner Mutter so gefürchteten Katholicismus schützen. Plötzlich stand eine ganze Reihenfolge von Schlüssen vor ihrer Seele; konnte dieser verschlagene Mann nicht den Ursprung Williams kennen – konnte sein Antheil nicht gerade daher entspringen, daß er es bewirken wollte, was diese, wie es schien, von Feinden zur Verzweiflung gebrachte Mutter von ihm abzuhalten getrachtet hatte. Urica erinnerte sich jetzt, daß Oneale der Graf von Laneric sei, der Lady Jane zu heirathen dachte, und der in dem Briefe von Williams Mutter als sein größter Feind bezeichnet war.

Diese Betrachtungen traten fast zu gleicher Zeit vor Uricas Geist, und die Veränderung, die sie auf ihrem Gesichte hervorriefen, konnten dem Beobachter nicht entgehen.

Plötzlich wendete sie sich gegen den König, der harmlos die kurze Zeit verplaudert hatte und sagte: »So lange ich lebe, darf ich dies Kind nicht aus meiner Obhut lassen; ich bitte es mir als eine Gnade von Euer Majestät aus, daß es ihm dermaleinst, wenn er in sein Vaterland zurückkehrt, nicht zur Last gelegt wird, daß er es erst spät betritt; für den Beruf, den er erwählt, werden die Studien in der holländischen Marine gewiß so ausreichend sein, daß man ihm kein Versäumniß wird nachrechnen können, wenn er später seine Dienste dem Vaterlande anbietet.«

»Das ist außer Zweifel,« sagte der König wohlwollend – »wir haben heute ein Pröbchen von seinen Künsten bekommen, das nicht übel war, und wir freuen uns, Milady, euch in irgend etwas durch unser königliches Wort dienen zu können und euch über die Zukunft dieses jungen Mannes, der euch so nah am Herzen liegt, beruhigen zu können. Wahrscheinlich sind euch seine näheren Verhältnisse oder seine Eltern bekannt?«

»Ich habe alle mütterlichen Rechte über ihn,« antwortete Urica ausweichend, indem ihr Auge mit einem gewissen Stolze auf dem herrlich gerathenen Jüngling haftete. – »Er hat sich auch dieser Autorität bis jetzt durch nichts entziehen wollen, und ich bin überzeugt, daß er noch immer sich meinem Willen ohne Bedenken unterwirft.«

»O meine Mutter,« sagte William, indem er einen Augenblick knieend, die Hand Urica's küßte – »wie könnte ich euch und Orla verlassen wollen! Auch haben wir ja Frieden. Was ich hier lerne, wird meinem Vaterlande kein Schaden werden.«

»Bravo! bravo!« rief der König – »du hast das Herz auf der rechten Stelle.«

»Und doch ist es das nicht, was ich wünsche,« fuhr Urica fort. – »Er ist zu einem Punkt in seinen Studien gekommen, die während des Sommers eine Unterbrechung unschädlich machen. Ich wünsche von ihm die einseitige Beschränkung abzuhalten, welche durch strenge wissenschaftliche Studien erzeugt wird und in dem Umgang mit einer kranken lebensmüden Frau wenig Unterbrechung erfahren konnte. Geben Euer Majestät ihm Erlaubniß, den Marquis von Montrose nach Frankreich zu begleiten; sein Rang als Edelmann, der ihm zusteht, berechtigt ihn zu dieser Ehre, wenn sonst kein Hinderniß obwaltet – die Erlaubniß der Admiralität will ich erwirken.«

»Und meine Einwilligung hat er gewiß,« sagte der König heiter und sich verbindlich zu Urica wendend, fügte er hinzu: »Milady! welche wunderbare Frau seid ihr! wie weise leitet ihr die Erziehung eines Jünglings, welch ein höheres, freieres Einsehn habt ihr in das, was für eine solche Entwicklung nöthig wird! Warum, meine Freundin, seid ihr nicht in England – ich würde euren Rath einholen wie einst den meines edlen Montrose.«

»Meine Gebeine werden bald in der vaterländischen Erde ruhen,« sagte Urica ernst und gefaßt. – »Ihr irrt euch, Sire, über das Wesen, welches durch die ungewöhnlichen Erlebnisse dieses Abends aus dem trüben Kreis der Krankheit und des Geistes herausgetreten ist, in welchem es allein noch existirt. Das Leben ist mir durch die Liebe zu diesen jungen, mir zugehörenden Männern vielleicht zum letzten Male nahgetreten; wenn mich diese Aufregung verläßt, wird der Körper wieder in seine Rechte treten – und diese werden mit jedem Tage despotischer.«

Hamilton war ein stummer, aber aufmerksamer Zuhörer dieser Scene, und seine Lippen preßten sich immer fester auf einander – er verschmerzte nur mit Mühe eine Zurückweisung, die ihn mehr verletzte, als er selbst begriff, denn seine Augen richteten sich immer wieder wie mit Zauber auf den Jüngling – eine Leidenschaftlichkeit – eine Wuth regte sich in ihm bei dem Gedanken, daß er ihm entzogen war – er hätte ihn packen mögen und entführen – und er hatte das gesenkte Auge nöthig, um die Glut zu verbergen, die darin aufloderte.

Urica fühlte, sie sei ihm eine Antwort auf den gemachten Vorschlag schuldig geblieben. »Wenn dieser Jüngling dann ein Mann geworden ist,« sagte sie und wandte sich zu ihm – »dann soll er den Herzog von Hamilton an sein Anerbieten erinnern, und er wird an die Auszeichnung, die er ihm eben zudachte, so Gott will, dann einen Anspruch mitbringen, der sie weniger gewagt macht, als in diesem Augenblick.«

Hamilton hatte nicht den Muth, zu sprechen – er verneigte sich tief und fragte den König, ob er vorangehen solle, um zu sehen, ob das Boot, was ihn hergebracht und ihn jetzt nach der Admiralität zum Feste tragen sollte, bereit sei und eilte, vom Könige entlassen und von Hooft begleitet, so hastig als möglich aus dem Garten zu kommen.

Als der König nach einigen Augenblicken Abschied nehmen wollte, gingen die beiden jungen Männer, die seit der Aussicht, Reisegefährten zu werden, sich mit wahrer Liebe ansahen, auf einen Wink Urica's den Hügel hinunter zum Laubgang. – Urica aber nahm die Hand des Königs und sagte:

»Euer Majestät haben heute viel mit meinen Bitten zu thun – aber es sind die ersten und zugleich die letzten, denn dieser Mund wird bald für immer verstummt sein.«

»So bitte ich denn Euer Majestät um die Gnade, den Milord von Montrose von hier aus zu beurlauben und daß es die Nachricht eurer glücklichen Einschiffung sei, die er der Königin Mutter zu bringen habe.«

»Aber,« sagte der König unsicher – »ich höre, alle Gesandten sollen erst nach meiner Ankunft in London abgesendet werden.«

»Das konnte ich erwarten,« entgegnete Urica – »und nur mit dem Gesandten, der nach Frankreich geht, kann diese Ausnahme Statt finden, denn der Sohn kann der Mutter nicht früh genug Boten senden – und die officiellen Sendungen der andern Gesandten haben kein derartiges Interesse zu vertreten.«

»Das hat viel für sich,« sagte der König. – »Er brauchte erst als Gesandter an den König aufzutreten, wenn ihm die Depeschen über meine Thronbesteigung von London aus zugegangen sind.«

»So wird mir also der Sohn noch einen Tag erhalten bleiben,« sagte Urica sichtlich erfreut.

»Es kann kein Grund vorhanden sein,« unterbrach sie der König, »daß ihr ihn nicht noch einige Tage hier behaltet, denn es möchte nicht gut sein, wenn seine Sendung an meine Mutter mit der an den König zu weit auseinanderfiele.«

»Jeder Tag wird ein theures Geschenk für mich sein,« sagte Urica – und jetzt nahm der König Abschied von ihr, und Beide trennten sich mit der Ueberzeugung, sich nie wiederzusehen – aber Beide mit dem tröstenden Gefühl der Versöhnung.

*


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