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V.

Peters Haus wurde tatsächlich durch ein Unglück heimgesucht. Doch geschah dies nicht gleich und auch nicht in der Art, wie Rosalka es vorausgesehen hatte. Die geräumige Stube war an einem sonnigen Oktobertag mit Menschen gefüllt, die hierhergekommen waren, um Rat zu geben oder zu trösten. Obwohl Peter schon seit einigen Jahren das Amt des Dorfschulzen nicht mehr bekleidete, so genoß er doch die besondere Hochachtung der Einwohner von Sucha Dolina, die ihm wegen seines Ernstes im Umgang, wegen der Klugheit seiner Rede, vor allen Dingen aber, weil er so wohlhabend war, freundlich gesonnen waren. Als die Nachricht von dem Unglück, das ihn getroffen hatte, sich im Dorf verbreitete, da kam dieser oder jener Bauer auf seinen Hof, um nach den Einzelheiten zu fragen, mit dem bekümmerten Nachbar einige Worte zu wechseln, mit ihm zu seufzen und den Kopf zu schütteln. Das geschah um so öfter, als die Sommer- und Herbstarbeiten so gut wie vollendet waren und es den Bauern leichter fiel, sich vom Dreschflegel oder der Tenne zu trennen, als etwa eine Stunde den Pflug und den Acker zu verlassen. Peter ließ den jüngeren Sohn in der Scheune den Roggen dreschen und war selbst im Begriff, mit dem Pflug aufs Feld zu ziehen, um Kartoffeln auszupflügen. Doch es ging schon auf die Mitte des Tages zu, und er saß immer noch zu Hause. Immer wieder dachte er an die Kartoffeln, und einige Male öffnete er schon die Tür, um hinauszugehen und die Pferde vor den Pflug zu spannen, doch jedesmal kehrte er in die Stube zurück und setzte sich wieder auf die Bank an der Wand. Er klagte nicht laut, ja er seufzte nicht einmal. Nur die Arme fielen ihm kraftlos und schlapp auf die Knie herunter. Er hatte gar keine Lust, irgend etwas zu tun, und seine Stirn legte sich in tiefe Falten. Die Grüße der eintretenden Nachbarn beantwortete er nur mit einem kurzen »In alle Ewigkeit!« und verfiel wieder in tiefes Schweigen. Manchmal hob er die Hand zur Stirn, und seine Lippen begannen sich zu bewegen, als ob er das Kreuzeszeichen geschlagen und Gebete geflüstert hätte. Die Nachbarn blieben vor ihm stehen oder nahmen auf einer Bank Platz. Nachdem sie einige Fragen gestellt, einige Worte der Verwunderung ausgesprochen und die Köpfe geschüttelt hatten, seufzten sie einige Male auf und gingen weg. An ihre Stelle kamen andere. So war es mit den Männern; die Frauen verhielten sich aber ganz anders. Scharenweise standen sie um die Pritsche herum, auf der der Kranke lag, unterhielten sich, berieten und jammerten laut beim Anblick von Agathe, die auf dem Boden zu Füßen der Pritsche kauerte und leise weinte. Der Kranke war Klemens. Den hübschen Burschen hatte irgendein heftiges Fieber umgeworfen, so wie der Sturm einen Baum fällt. Unter der karierten Zudecke lag er unbeweglich wie ein Holzstamm mit einem glühendheißen Gesicht und rief ununterbrochen mit klagender und jammernder Stimme nach der Mutter. Peters Frau erhob sich dann vom Boden, nahm einen neben ihr stehenden Wasserkrug in die Hand, kroch auf dem Boden an das Kopfende der Pritsche heran und näherte den Krug den Lippen ihres Sohnes. Er trank gierig, und der Frau liefen die Tränen an dem vom Kummer ganz gelb gewordenen Gesicht herunter. Doch sie schrie nicht, rang nicht die Hände und wechselte nur selten ein Wort mit den Nachbarinnen. Schon immer war sie die ruhigste Frau im Dorfe gewesen – so wie sie es an der Seite ihres ernsten Mannes und in ihrem ruhigen Haus gewöhnt war. Andere Frauen dagegen, die dicht gedrängt um die Pritsche standen und sie umringten, blickten neugierig auf den Kranken und schwatzten wie auf einem Jahrmarkt oder lamentierten wie zu einem Begräbnis. Labuda, eine ebenso reiche Bäuerin wie Agathe und ebenso angesehen wie diese, predigte:

»Er hält es nicht aus! Ich weiß, daß er das nicht aushält. Ich hab' mindestens zehn Menschen gesehen, die dieselbe Krankheit hatten, und kein einziger hat es ausgehalten.« Die Mutter des Kranken fing jetzt heftig an zu weinen, verbarg ihr Gesicht in den Handflächen und wiegte sich in ihrem Kummer hin und her. Doch Maxims Frau, Theodora, eine korpulente, kräftige Frau, stieß die Unheil verkündende Nachbarin von der Pritsche weg:

»Warum soll er das nicht aushalten? Hat denn der liebe Gott etwa gar kein Mitleid mit den sündigen Menschen? Der Allerheiligste wird gnädig sein und ihn gesund werden lassen! Agathe, gebt mir doch einen Milchkübel her, aber rasch! Hört Ihr, Agathe? Man muß ihm einen Milchkübel auf den Schoß legen.«

Paraska, die Frau Simons, stand mit einem kleinen Kind auf dem Arm und zwei älteren, die sich immer an ihrem Rock festhielten, ebenfalls dort. Ihr schossen die Tränen rasch in die Augen, denn sie war immer hungrig und bekümmert. Jetzt verwischte sie die Tränen mit den Fingern auf ihren gelben Wangen und stöhnte:

»Ach, so reiche, so glückliche Menschen, und doch kommt jetzt die Sorge zu ihnen. Ach, Klemens, Klemens, wärest du doch besser nicht auf die Wiese gefahren! Noch dazu bei diesem Regen! Du wärest nicht so naß geworden und hättest nicht auf diesem faulen Heuhaufen geschlafen! Ach, ach, aus diesem verfaulten Heuschober ist ja die Krankheit herausgekommen und hat dich befallen … Ach, du armer, armer Bursche!«

Der junge Bursche war tatsächlich vor einigen Tagen auf eine ziemlich weit entfernte Wiese gefahren, um das vorher schon gemähte Grummet einzubringen. Unterwegs wurde er durchnäßt, da ein sehr heftiger Herbstregen fiel, und durchschlief die Nacht auf einem kleinen Haufen feuchtfaulen Heus. Am nächsten Tage kehrte er nach Hause zurück und zog einen Pelz an, denn er bekam Schüttelfröste. Da aber an dem darauffolgenden Tage die Dorfburschen mit Netzen im Teich Fische fangen sollten, ging er mit ihnen, zog sich am Ufer aus und watete bis fast an die Arme ins Wasser. Auf diese Weise half er einige Stunden hindurch die Netze ziehen. Unmittelbar danach mußte er sich aber auf die Pritsche legen, und schon seit zwei Tagen konnte er nicht mehr aufstehen und sein Lager verlassen. Zwar war er bei voller Besinnung, doch klagte er manchmal über heftige Schmerzanfälle. Jetzt stöhnte er plötzlich so heftig auf, daß Labuda die Hände wie zum Gebet ineinanderflocht, etliche Male von einem Bein auf das andere trat und sich dann an Agathe mit der Frage wandte:

»Habt ihr denn keine Weihkerze im Haus? Man müßte dem armen Kerl doch eine geweihte Kerze in die Hände legen.«

Die Budrak rief ihrerseits gleichzeitig nach einem Milchkübel, der dem Kranken auf den Schoß gelegt werden sollte. Die anderen Frauen flüsterten sogar vom Geistlichen und den allerheiligsten Sakramenten. Ein junges, schlankes Mädchen, in einem dünnen, feinen Hemd und mit einer gelben Blume hinter dem Ohr, stand in der Nähe des Fensters, blickte den kranken Klemens wie ein Wunder an und stöhnte laut:

»O mein Gott, mein Gott!«

Es war die Tochter von Maxim Budrak, das hübscheste und reichste Mädchen des Dorfes. Sie kam hierher unter dem Vorwand, die Mutter abzuholen, in Wirklichkeit aber aus Angst um den hübschen Burschen. Jetzt stand sie beschämt und schweigsam in der Nähe des Fensters. Immer noch weinend, erhob sich Agathe schwer vom Boden und ging in die Kammer, um den Milchkübel und die geweihte Kerze zu holen. Die phlegmatische Paraska folgte ihr Schritt auf Schritt mit allen drei Kindern. Mit der Sturheit dummer und schlampiger Naturen wiederholte sie immer dieselben Worte:

»Ach, wäre er doch niemals auf diese Wiese gefahren! Wäre er doch bei diesem Regen nicht so naß geworden! Hätte er doch nicht auf diesem verfaulten Heuhaufen übernachtet!«

Da ertönte zwischen den schwatzenden Frauen und direkt hinter dem Rücken von Agathe, die gerade der Budrak den Milchkübel reichte und sich mit einem Stück Weihkerze zu den Füßen des Sohnes auf den Boden gesetzt hatte, eine alles übertönende, scharfe und zischende Frauenstimme:

»Ach was! Sollte diese Krankheit von der Wiese, von dem Regen oder von dem Heuschober über ihn gekommen sein? Die kam von etwas ganz anderem, und es ist auch gar nicht göttlicher Wille, daß er krank ist, sondern ein ganz anderer!«

Diese Äußerung kam von Rosalka, die an jenem Tage schon einige Male in Peters Haus hineingestürmt war, jedesmal eine Weile auf den Kranken geblickt hatte und dann wieder schnell hinausgeeilt war, um nach einer Viertelstunde oder nach einer Stunde wieder zurückzukehren. Aus ihrem beweglichen, stark geröteten Gesicht war zu erkennen, daß sie sich über etwas sehr wunderte und durch irgend etwas in Verlegenheit gebracht wurde. Sie hatte etwas völlig anderes erwartet als das, was sich ereignete. Vor dem Eingangstor zum Gehöft Peters blieb sie plötzlich stehen, legte den Zeigefinger an die Lippen und geriet für einige Zeit in tiefe Nachdenklichkeit. Dann lief sie wieder nach Hause, um die Mahlzeit zu bereiten und wenigstens etwas Flachs zu brechen, denn es war gerade die richtige Zeit für solche Arbeiten. Rosalka hatte Flachs überaus gern und konnte ihn trotz allem, was sie jetzt bewegte, nicht vergessen. Dazu rief ihr Stefan durch die Tür der Scheune, wo er gerade den Roggen drosch, schon einige Male zu, daß sie sich nicht von zu Hause entfernen sollte, da sie mit ihm gleich aufs Feld gehen müsse, um Kartoffeln zu lesen. Sie war an diesem Tage also nach allen Seiten hin beschäftigt. Hier wollte sie den Flachs brechen, dort rief sie der Mann zur Arbeit, andererseits hatte sie aber auch im Hause des Schwagers eine sehr wichtige Angelegenheit zu erledigen. Von allen Dingen, die es auf der Welt gab, lag ihr gerade diese Angelegenheit am meisten im Sinn. Deshalb lief sie noch einmal in das Haus von Peter Dziurdzia. Als sie jetzt hörte, was Paraska für die Ursache der Erkrankung ihres Neffen hielt, rief sie aus:

»Ach was! Diese Krankheit kam nicht von der Wiese oder von dem verfaulten Heuschober, auch nicht vom Regen. Daß er krank wurde, ist nicht Gottes Wille gewesen, sondern der eines anderen.«

Und als fast alle anwesenden Frauen einschließlich der Budrak, die sich mit dem Milchkübel gerade über den Kranken bückte, ihre Blicke auf sie richteten, legte sie über der Schürze ihre dunklen, kleinen und beweglichen Hände ineinander und sagte:

»Das ist gemacht!«

»Was?« fragte ein Chor von Frauenstimmen.

»Diese Krankheit! Die hat ihm jemand gemacht.«

Jetzt wurden einige Männer, die schweigsam Peter gegenübersaßen, und auch Peter selbst aufmerksam und hörten der Unterhaltung der Frauen zu. Sogar der Kranke richtete seine durch das Leid verdunkelten, doch klaren Augen auf die Sprechende.

»Ah, ah, ah!« riefen einige Frauen verwundert.

»Und wer hat denn das gemacht?«

Rosalka trat von einem Bein aufs andere. Als sie zu sprechen begann, glitzerten ihre Augen.

»Ich weiß, wer es gemacht hat. Es war dieselbe, die ihm irgendein Kraut für die Liebe gegeben hat. Und dieses Kraut war wohl nicht so, wie es sein sollte. Deshalb hat es auch nicht Liebe, sondern Krankheit gebracht.«

Einige Männer winkten geringschätzig mit den Händen ab, und Klemens, der einen Augenblick Rosalka angeblickt und sein Kinn beschämt unter der Zudecke versteckt hatte, platzte trotz seiner Schmerzen mit einem kurzen, lauten Lachen heraus. Die Nachricht, daß ihm irgend jemand ein Liebeskraut gegeben haben sollte, beschämte ihn etwas, doch sie erfreute ihn um so mehr. Jetzt stöhnte er wieder auf, da er heftige Schmerzen im Rücken verspürte. Dabei richtete er aber seinen verschleierten Blick auf die hübsche Tochter von Budrak, als ob er ihr sagen wollte:

»Siehst du! So einer bin ich!«

Doch das muntere Mädchen erblaßte vor Schreck und blickte ängstlich auf Rosalka. Die anderen Frauen sperrten zuerst vor Verwunderung den Mund auf, doch bald begannen sie, die Frau, die ihnen diese sonderliche Offenbarung verkündete, mit Fragen zu überschütten. Diese wandte sich jetzt mit der ihr eigenen Lebendigkeit an Peter:

»Komm doch her, Peter!« rief sie, »dir will ich's sagen. Einem anderen sage ich's nicht, doch du sollst es von mir erfahren. Du bist doch der Vater und hast ein Recht darauf, dich für das Leid, das man deinem Sohne zufügte, zu rächen.«

Peter stand auf und ging hinter der Frau, die ihn an der Hand faßte, in den Vorraum hinaus. Und hier, im Halbdunkel, sprachen sie eine Viertelstunde leise miteinander. In der Stube wurde es inzwischen ganz still. Die Budrak legte dem Kranken den Milchkübel auf die Magengegend, und es sah aus, als ob sie einen großen Schröpfkopf in der Hand hielte. Draußen auf dem Hofe ließ sich jetzt eine laute Männerstimme hören, die ungeduldig nach Rosalka rief. Diese antwortete ihm laut schreiend aus dem Vorraum:

»Sofort, sofort!«

Stefan blieb mit dem Pflug, der von zwei Pferden gezogen wurde, vor dem Hause des Vetters stehen, und da er immer noch vergeblich auf seine Frau warten mußte, fluchte er fürchterlich über sie. Erst nach einer Viertelstunde kam Peter in die Stube zurück, sichtlich erregt und erschüttert. In seiner Stirn gruben sich noch mehr tiefe Furchen als gewöhnlich ein, und die sonst so sanft blickenden Augen warfen unter den zusammengezogenen buschigen Augenbrauen scharfe Blitze. Zuerst sagte er jedoch nichts, sondern setzte sich mit gekrümmtem Rücken und gesenktem Kopfe auf die Bank, spie vor sich aus und murmelte nur:

»Daß du zugrunde gehst, du Satanskraft!«

Dann blickte er aufmerksam seinen Sohn an und fragte:

»Klemens! Hast du vor kurzem mit der Franziska, der Enkelin von Jakob, Met getrunken? Wie? Hast du getrunken oder nicht? Antworte doch!«

Dem Burschen fiel es schwer, auf diese Frage zu antworten. Er schämte sich, und schon einige Male hatte er sein Kinn und seinen Mund unter der Zudecke versteckt.

»Quält mich doch nicht, Vater! In den Knochen tut's mir doch so weh!« stöhnte er.

»Ich frage nicht, um dich zu quälen, sondern um es zu erfahren«, antwortete Peter und fügte mit einer schon fast bittenden Stimme noch hinzu: »Ich frage dich wie ein Vater: Hast du im Gasthaus mit Franziska, der Enkelin von Jakob, Met getrunken?«

Der hübschen jungen Budrak stieg dabei eine flammende Röte ins Gesicht. Sie wußte, daß Klemens mit der unschönen und armen Franziska manchmal herumgeschäkert hatte. Schon oft hatte sie ihm deswegen böse sein wollen, hatte es jedoch nicht fertiggebracht. Ihrer Natur lag das Zürnen und Bösesein nicht. So drehte sie sich jetzt wieder zum Fenster und wischte sich mit den Fingern laut die Nase. Dabei hörte sie aber sehr eifrig zu, was aus der Unterhaltung werden sollte.

»Nun?« forschte Peter den Sohn weiter aus, »hast du getrunken oder nicht?«

»Ja, ich hab' getrunken«, antwortete Klemens. »Und was ist denn schon dabei, daß ich den Met getrunken habe?«

Mit einer verzweifelten Bewegung warf Peter den Kopf hoch:

»Nun, dann hast du«, sagte er, »zusammen mit dem Met auch die Krankheit getrunken. Das Mädel hat dir in den Becher irgendein häßliches Kraut hineingeschüttet. Zum Sterben und nicht zum Leben, für den Untergang und nicht für die Liebe gibt die Hexe den Menschen Kräuter zu trinken …«

Einige Frauen klatschten laut in die Hände. Peters Frau blickte den Mann mit ihren müden und verweinten Augen an, in denen man Verzweiflung, ja beinahe Wahnsinn lesen konnte.

»Die Hexe!« ertönte es jetzt von allen Seiten.

»Die Schmiedefrau war es!« zischte durch zusammengebissene Zähne Peter. Dann erhob er sich von der Bank und ging in die Kammer hinaus.

Nach einer Weile kam er zurück und hielt in der Hand jenes Evangelium, mit dessen Hilfe Petrusia seinerzeit den Dieb erraten hatte. Er trat an den Sohn heran, schlug in der Luft das Kreuzeszeichen und legte das alte Büchlein auf das Kissen, direkt über den Kopf des Sohnes. Dabei flüsterte er:

»Vielleicht wird sich der liebe Gott über uns Unglückliche noch erbarmen. Vielleicht wird die göttliche Macht den Teufel noch überwinden. Vielleicht wirst du, mein Junge, noch gesund werden und dich an dieser Feindin des Menschengeschlechtes selbst rächen für all das Unglück, das sie über dich heraufbeschwor. Vielleicht werde ich noch mit dir zusammen im Frühling pflügen gehen können, vielleicht werde ich noch deine Hochzeit erleben …«

Unzählige Male schlug er in der Luft, über dem Kopfe des Sohnes, das Kreuzeszeichen und drückte ihm das heilige Büchlein an die Stirn. Einige große Tränen rollten von den Augen über die angespannten, zusammengebissenen und etwas erbleichten Wangen. Klemens erschrak tüchtig über die Nachricht von der Ursache seiner Krankheit und über die Worte des Vaters. Er war tief gerührt, sein Gesicht rötete sich noch mehr als vorher, und die Augen bekamen einen stechenden Glanz. Das Bewußtsein begann ihm zu schwinden. Er stöhnte fürchterlich und fluchte grob. Auch die Frauen fingen jetzt an, laut zu weinen und zu schreien, und riefen, daß nun alles vorbei sei und daß man schicken müsse, um den Geistlichen zu holen. Manche meinten sogar, daß der Kranke die Ankunft des Geistlichen gar nicht mehr erleben würde. Die Labuda brannte die Weihkerze an und steckte sie dem Kranken zwischen die Finger; die hübsche Budrak fiel am Fenster auf die Knie, begann heftig und laut zu weinen und rief dabei:

»Herr im Himmel, gib seiner Seele die ewige Ruh!«

Peter verlor fast vollständig den Kopf und ging schon hinaus, um die Pferde anzuspannen und den Geistlichen zu holen. Kummer und Sorge ergriffen ihn so sehr und so heftig, daß er am ganzen Körper zitterte und von Zeit zu Zeit zwischen den zusammengepreßten Zähnen die schrecklichsten Schimpfworte hervorstieß:

»Daß sie sich die Beine bricht; daß sie vor lauter Sorgen und Kummer die Welt gar nicht mehr sehen kann – diese verfluchte Hexe, diese Gottesfeindin! Eine Christenseele, die sich dem Teufel verkaufte!«

Beim Anblick der brennenden Weihkerze, die zwischen den Fingern des Sohnes steckte, schrie die Mutter zum ersten Male laut und schrecklich auf. Dabei ergriff sie mit einer raschen Bewegung ihr Kopftuch, warf es sich über die zerzausten Haare und lief aus dem Hause. Zuerst rannte sie die Dorfstraße entlang, bog aber dann auf jenen schmalen Pfad, der sich zwischen den Wänden der Scheunen und den Einzäunungen der Gärten hinschlängelte und in das Haus des Dorfschmiedes führte.

Es war ein schöner, heller Sommertag. Über der Erde wölbte sich das blasse und doch so reine und klare Firmament, so daß man selbst nach dem kleinsten Wölkchen umsonst gesucht hätte. Die helle Sonnenscheibe, die kleiner als sonst zu sein schien, ergoß eine Flut ungetrübten Lichtes über die dunklen Felder, deren Kahlheit von den schlanken Schatten der schon halb entlaubten Bäume nicht verdeckt werden konnte. Die auf den Hügeln zerstreuten Wäldchen standen in ihrer herrlichen goldenen Pracht, in einem Kleid von vielgetöntem Purpur. Die Luft, durchdrungen von belebender und trockener Frische, war so ruhig und sauber, daß nicht die geringste Erschütterung die Spinnweben bewegte, die an den Zweigen der Bäume, an den Feldsträuchern und den Pflanzenstengeln im Garten hingen, und der Horizont sah aus wie ein rundes Schild, das man mit kleinen, erhabenen Schnitzereien bestreut und dann mit einer Glocke aus durchsichtigem Kristall bedeckt hatte. In dieser kristallklaren und ruhigen Luft, im Lichte der milden Sonnenstrahlen, stellte das zwischen einer großen Fläche gepflügten Ackers und dem von trockenen Stengeln fast ganz erfüllten Garten liegende Haus des Schmiedes ein Bild ungetrübter Ruhe dar, die nur durch die glänzenden Fenster belebt wurde, in denen sich die Sonnenstrahlen brachen. Ein tiefer Frieden lag über den Feldern, über dem Garten, über der dahinterliegenden, weiß schimmernden Sandbank und über der noch weiter hinter dieser Sandfläche liegenden silbernen Scheibe des Teiches. Nur zwei Geräusche unterbrachen diese Ruhe, zwei Geräusche, die bewiesen, daß hier gearbeitet wurde: die gleichmäßigen, harten und starken Schläge des Schmiedehammers und die ebenfalls gleichmäßigen, doch weitaus schnelleren und nicht so lauten Schläge der Flachsbreche. Es hörte sich an, als ob die Geräusche der Flachsbreche eine leisere Begleitung der lauteren Hammerschläge sein sollten. Die schweren Schläge des Hammers, das schnellere Klappern der Flachsbreche, die Rauchwolke, die über dem Schornstein schwebte, die Feuerstrahlen, die hier und da hinter der geöffneten Tür der Schmiede aufblitzten, die Kinderstimmen, die vom Garten her zu hören waren, und das laute Krähen der Hähne, die die Stimmen der Kinder von Zeit zu Zeit übertönten, strömten in die milde Harmonie und die herrlich ruhige Natur ein unsichtbares Fluidum gesunden und fleißigen Lebens.

Michael war in der Schmiede damit beschäftigt, die durch das herbstliche Pflügen beschädigten Geräte zu reparieren. Aksena saß unter einem goldig schimmernden Apfelbaum im Garten und wärmte sich in den letzten warmen Sonnenstrahlen ihre alten Knochen. Neben ihr saß der kleine Stanislaus und blies zum Ergötzen der beiden kleineren Mädchen eine hölzerne Flötenpfeife, aus der er quietschende, durchdringende und schrille Töne hervorbrachte. In der Stube des Hauses, die durch die niedrige Decke, die vor den Fenstern hängenden Gardinen aus bunt bemaltem Perkalstoff und die davorstehenden Blumentöpfe mit Geranien, Myrte und Margaretenblumen ihre persönliche Note erhielt, war außer dem in der Wiege schlafenden Kind niemand mehr. Auf dem Fußboden, auf den Bänken und Schemeln, ja sogar auch auf den Paradestühlen türmten sich dunkle Garben gewässerten und getrockneten Flachses. Eine Ecke des ziemlich großen Vorraumes war noch ausgefüllt mit einem Haufen weißer Krautköpfe. Nicht umsonst werden diese letzten Tage der Sonne und des guten Wetters Altweibersommer genannt. Die Dorffrauen werden in dieser Zeit von der Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes überschüttet. Petrusia hatte seit dem Sonnenaufgang die Krautköpfe geschnitten und sie ins Haus getragen. Jetzt stellte sie an der Hauswand ein langes und hohles Gerät auf, stopfte es mit Flachs voll und schlug darauf mit einem Brett, das an der einen Seite eine runde Verstärkung hatte. So löste sie die weichen Fasern der Pflanzen von der harten und trockenen Hülle. Sie stand da in einem etwas hochgeschürzten Rock und einem groben Hemd, barfuß, mit einer runden Haube von rotem Baumwollstoff, unter der die dunklen und dichten Haare hervorguckten und ihr auf Hals und Stirn herabfielen. Schnell, immer schneller schlug sie mit dem Brett der Flachsbreche, und die trockenen Flachsfasern flogen hoch in die Luft und fielen dann auf ihre Kleider herab, so daß sie in eine Wolke eingehüllt war, die im Sonnenlicht goldig schimmerte. Die Arbeit war schwer; der trockene Staub würgte im Hals, und so atmete die Frau laut und schnell. Dicke Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn und ihren Wangen. Auf einer ihrer Hände waren kleine Verletzungen zu sehen, die bluteten. Doch nicht für einen Augenblick unterbrach sie die Arbeit, sie war darin so vertieft, daß sie nicht hörte, wie das Tor des kleinen Vorhofes geöffnet wurde; auch den Tritt der rasch herankommenden Frau vernahm sie nicht. Sie hob den Kopf erst, als einige Schritte von ihr entfernt eine durch Zorn und Tränen heisere Stimme sagte:

»Helfe dir der Satan! Hoffentlich webst du aus diesem Flachs die Totenhemden für dich und deine Kinder!«

Sie hob den Kopf, und ihr Blick traf die glänzenden Augen Agathes. Sie richtete sich hoch auf, die Hände fielen am Rock tief herunter. Die Worte Agathes erschreckten sie sichtlich. Schon gestern war Franziska zu ihr mit der Nachricht von der Erkrankung des jungen Klemens gekommen. Sie wäre am liebsten gleich zu ihren ehemaligen Bauersleuten gelaufen, um zu erfahren, worum es sich handelte. Sie wollte trösten, vielleicht sogar helfen, doch sie wußte, daß man von ihr dort nur Böses sprach und ihren Besuch gar nicht haben wollte. Jetzt kam Peters Frau selbst zu ihr und begann sogleich mit Flüchen. An Scheltworte und Geschrei nicht gewöhnt, stand die verzweifelte Mutter mit gelbem, abgezehrtem Gesicht vor ihr. Sie hatte flache Schuhe an und ein großes Tuch um den Kopf. Agathe tobte nicht, wie das ganz bestimmt andere Frauen getan hätten, sondern stand beinahe reglos da und blickte Petrusia nur streng an. Diese Unbeweglichkeit, dieser starr auf sie gerichtete Blick und die ihr entgegengeschleuderten Fluchworte machten auf die Schmiedefrau einen derartigen Eindruck, daß sie laut aufstöhnte und wie vor einem Gespenst einige Schritte zurückwich.

»Was wollt Ihr denn, Tante?« stotterte sie.

Jetzt schüttelte die alte Bäuerin den Kopf und wiederholte einige Male dieselben Worte – als ob ihr vom langen Sprechen der Atem weggeblieben wäre:

»Ach du! Ach du! Ach du!«

»Ach du Nichtswürdige!« brach sie schließlich hervor. »Du hast doch so viele Jahre unser Brot gegessen, und wir haben dich wie einen guten Menschen geliebt und für dich gesorgt … Warum hast du uns jetzt den Sohn vergiftet, was?«

Petrusia klatschte in die Hände:

»Ich hab' euch den Sohn vergiftet, ich?«

Agathe trat jetzt einen Schritt vor und kam so nahe an sie heran, daß nur die schmale Flachsbreche die beiden trennte. Sie streckte den Kopf weit vor und blickte mit giftigen, glänzenden Augen starr in das Gesicht der jungen Frau. Wie ein Zischen kamen aus ihrem Mund die Worte:

»Was hast du ihm gemacht? Sag, was hast du gemacht? Was für ein Kraut hast du dem Mädel gegeben, damit sie es ihm zum Trinken geben sollte? Oder hast du etwa nichts gegeben, was? Sag, daß du nichts gegeben hast! Lüge doch, was schadet es dir? Du bist ja sowieso schon verloren und hast dich dem Teufel verschrieben! Brauchst also keine Angst mehr zu haben, daß du den lieben Gott damit beleidigen könntest. Sag, daß du dem Mädel nichts gegeben hast!«

Über das durch die Arbeit erglühte Gesicht Petrusias flog eine feurige Röte. Sie schlug die Hände zusammen und rief:

»Aha!«

Jetzt hatte sie verstanden, warum man ihr die Schuld für die Krankheit von Klemens im Hause Peter Dziurdzias zuschrieb, und ein jäher Schrecken umklammerte plötzlich ihr Herz, das heftig zu schlagen begann. Vielleicht kam es in der Tat von diesem Kraut? Vielleicht ist er wirklich von diesem Kraut krank geworden? Die erschrockenen Augen füllten sich mit Tränen. Sie wandte das Gesicht so ab, daß sie Agathe ihr Profil zukehrte, und stand unbeweglich wie eine Säule und zutiefst erschüttert vor der alten Frau.

»Aha!« rief jetzt Agathe, »du kannst also nicht schwören, daß du dem Mädchen nichts gegeben hast! Du hast eben etwas gegeben. Jetzt sehe ich auch an deinem Gesicht, daß das, was Rosalka erzählt hat, wahr sein muß. Nun, wenn es so ist, dann mach doch wieder gut, was du verbrochen hast! Hörst du? Gib ihm irgend etwas, was ihm das Gift aus dem Leibe vertreibt. Wenn du schon eine Hexe bist, dann weißt und kannst du alles … Wenn du Böses tun kannst, dann kannst du auch Gutes tun … Mach wieder gut, was du getan hast! Hörst du? Mach es wieder gut …«

Beide Hände streckte sie über die Flachsbreche zu der Frau hin, die, wie versteinert, wortlos dastand, und zerrte sie am Hemd und an den Armen. In ihrem Blick zeigte sich neben Zorn und Haß auch der Ausdruck der Angst und der Bitte. Mit haßerfüllter, dann aber bittender Stimme wiederholte sie:

»Du weißt … Du kannst es … Wenn du es getan hast, dann mach es doch wieder gut …«

Petrusia fuhr herum, riß ihr das Hemd aus den Händen und stöhnte händeringend auf:

»Was soll ich denn machen? Laßt mich doch in Frieden!«

Jetzt sprang die Mutter von Klemens, obwohl durch Kummer und Weinen geschwächt, blitzschnell auf, fiel vor ihr auf den Boden und umfaßte mit beiden Händen ihre Knie.

»Petrusia! Liebste, Teuerste! Rette ihn doch! Gib ihm irgend etwas, was ihm das Gift aus dem Leibe zieht … Wenn du es getan hast, dann mach's doch wieder gut … Ich will dir alles dafür geben …, was du nur haben willst … Flachs will ich dir geben und Wolle und Eier, Stoff, Geld – was du nur willst. Mein Mann und ich, wir werden nicht knauserig gegen dich sein – nur mach es wieder gut, was du getan hast … Er soll doch weiterleben, unser liebes Täubchen, unsere einzige Stütze für die alten Tage … Du weißt doch …, der Johann ist so gut wie zu nichts zu gebrauchen … Und dieser hier war ja unsere rechte Hand …, unser bester Arbeiter … Rette ihn doch … Du kannst es, und du weißt, wie man das machen kann … So wie du es getan hast, so kannst du es auch wieder gutmachen.«

Sie umarmte heftig die Knie der jungen Frau und begann den Saum ihres Kleides zu küssen. Der tiefe Kummer dieser Mutter, dieses verzweifelte Bitten hatten Petrusia heftig erschüttert. Sie war doch selbst Mutter, und gerade mit dieser Frau hatte sie einst in Ruhe und Eintracht einige Jahre lang gelebt. Sie griff sich mit beiden Händen an den Kopf und begann verzweifelt zu stöhnen:

»O mein Gott, o Gott! Was soll ich nur tun? Ich hab's ja nicht getan und kann es auch nicht wieder gutmachen!«

Da sprang Agathe hoch und fragte mit einer jetzt wieder zischenden Stimme:

»Du hast es nicht getan? Kannst du es vielleicht beschwören, daß du es nicht getan hast?«

Petrusia wandte wieder den Kopf von ihr weg und stand sprachlos da. Die Sinne begannen ihr zu schwinden, es wurde ihr dunkel vor den Augen wie in einer Herbstnacht. Wie ein Sturm sausten in ihrem Kopf die Worte:

»Ich hab's gemacht und auch wiederum nicht gemacht … Vielleicht ist es davon, vielleicht aber auch nicht …«

Diese Qual konnte sie nicht lange mehr ertragen. Sie sprang von der ihr drohenden Frau zurück und rief halb im Zorn, halb im Leid:

»Laßt mich in Ruhe … Was wollt Ihr denn eigentlich von mir? … Geht doch zu einer Quacksalberin, um Euch Rat für Euren Sohn zu holen, und nicht zu mir!«

Jetzt brach der Zorn in Agathe vollends durch, und in ihrer Wut nannte sie Petrusia einige Male eine Hexe. Sie fluchte nicht allzu heftig, da sie es nicht gewöhnt war und es auch gar nicht richtig konnte, sondern beschwor den Zorn Gottes über sie und ihre Kinder und drohte dann mit der Rache Peters und aller anständigen Menschen. Mit den Fäusten drohend, rief sie mit zusammengebissenen Zähnen:

»Warte nur! Warte nur! Warte nur! Du wirst schon alles heimgezahlt bekommen – für alles Unrecht, das du uns angetan hast … Alle werden es dir heimzahlen. Auch dein Freund, der Satan, wird dich nicht retten können, wenn die Menschen Rache an dir nehmen werden! …«

Da dachte sie daran, daß ihr Sohn zu Hause vielleicht schon tot läge, während sie sich hier herumzankte, griff mit beiden Händen nach ihrem Kopf, sprang aus dem Gehöft auf die Straße und lief zum Dorf. Petrusia aber sank dort, wo sie bis jetzt gestanden hatte, auf den Boden, verdeckte das Gesicht mit den Handflächen und fing laut und heftig an zu weinen. Sie weinte jedoch nicht lange. Aus der Stube hörte man die klagende Stimme des aufgewachten Kindes; sie sprang auf und lief ins Haus. Dort mußte sie wohl das Kind gestillt und einige Zeit mit ihm gespielt haben, denn es war zu hören, wie sie zärtlich zu ihm sprach, einige Lieder zu singen begann und ihren Gesang manchmal durch ein kurzes Auflachen und lautschmatzende Küsse unterbrach. Wahrscheinlich brachte sie das Kind mit ihren Worten zum Lachen. Die ungeschickten Bewegungen der kleinen Kinderhände zogen die Lippen der Mutter an, so daß sie den Kleinen küßte und herzte. Als der kleine Adam wieder eingeschlafen war, kam Petrusia mit einer Handvoll frischgewaschener Wäsche auf den Hof heraus. Bevor das geschah, hörte man einige Zeit die gleichmäßigen Schläge einer schaukelnden Kinderwiege; und schließlich wurde es in der Stube ganz still. Der Tag war herrlich, und die Frau mußte noch vor dem Abend die Wäsche im Teich ausspülen. Dieser kleine Teich war nur einige hundert Meter von den letzten Häusern des Dorfes entfernt. Auf der einen Seite des Wassers streckte sich jene Sandbank aus, auf welcher seinerzeit, auf den Rat der alten Aksena, der kranke Sohn von Peter Dziurdzia tagelang gespielt hatte. Darum lag im Halbkreis ein schmaler Wiesenstreifen, hinter dem sich dunkle Getreidefelder dehnten; sie endeten erst auf den dahinterliegenden Höhen. Der Wiesenstreifen wurde schon seit längerer Zeit als Viehweide benutzt. Dieses Teichufer war im Sommer vom grünen Dickicht überwuchert und erfüllt von dem lustigen Zwitschern zahlreicher Vögel und dem Quaken vieler Frösche, es war überwachsen von blauen und gelben Blumen und den schimmernden Beeren der Holundersträucher. Die weit ausholenden, herabhängenden Zweige der Weidenbäume schwebten über dem Wasser, und in ihrem Schatten glänzte hier und da die weiße Rinde der schlanken Birkenbäume auf. Unter den Birken, die sich auf dem Hintergrund des blauen Himmels wie zarte, aus Gold gemeißelte Säulen abzeichneten, unter den rosa schimmernden Espen, deren Blätter ständig zitterten, unter den Weidenbäumen, die ihre ergrauten Äste bis ins Wasser herunterließen, auf dem ausgetrockneten und unter den Füßen knisternden Gras, auf welchem verwelkte Blätter und graue, wollige Distelfasern herumlagen, bückten sich jetzt etliche Frauen über die ruhige, glatte Wasserfläche. Sie waren mit dem Schwenken oder Spülen der schon fertiggewaschenen Wäsche beschäftigt. Die Klänge ihrer Unterhaltung und die trockenen, rhythmischen Schläge der Waschknüttel waren weit und breit auf den leeren Feldern zu hören. Weit und breit, so weit das Auge reichte, konnte man auf dem Feld nur zwei arbeitende Menschen sehen: einen Bauern, der den Pflug führte, und eine Bäuerin, die ihm in Entfernung von einigen Schritten folgte und die ausgepflügten Kartoffeln in die Schürze sammelte. Sobald diese voll war, schüttete die Frau den Inhalt geschickt in die aufgekrempelten Säcke. Die Ackerstreifen, auf denen die beiden arbeiteten, berührten die schmale Weidefläche. Der Bauer hinter dem Pflug war Stefan Dziurdzia, und die Bäuerin, die die Kartoffeln sammelte, seine Frau Rosalka. Beide bildeten ein düsteres Paar. Er, nur leicht über den Pflug gebückt, ging schweigend, stark und finster hinter den Pferden, die er nur von Zeit zu Zeit mit gedehnter Stimme antrieb:

»Ho, ho, ho!«

Rosalka war so zur Erde gebückt, daß ihr dunkles Gesicht fast den Boden berührte. Manchmal rutschte sie auf den Knien die Ackerfurche entlang, wühlte mit ihren dunklen Händen in der Erde und machte dabei mit ihrem biegsamen Körper den Eindruck eines auf dem Boden kriechenden Wurmes. Die Arbeit, obwohl schwer, schien ihr jedoch, da sie gemeinsam mit ihrem Mann schuftete, nicht unangenehm zu sein, denn ohne in ihrer Beschäftigung auch nur für einen einzigen Augenblick aufzuhören, sprach sie den vor ihr schreitenden Mann mit einer wohlwollend leutseligen Stimme an:

»Da! Gott sei Dank, die Kartoffeln sind dieses Jahr groß wie die Rüben!«

Manchmal wieder:

»Möchte mal wissen, wie es Klemens geht. Ob er schon gestorben ist? Oder lebt er noch?«

Oder auch:

»Stefan! Am nächsten Sonntag müßte man in die Kirche fahren und den kleinen Kasimir mitnehmen, um ihn dem lieben Gott zu empfehlen, damit er gesünder wird …«

Der Mann antwortete nicht, als ob er die Worte gar nicht gehört hätte. Trotzdem waren in ihrer Stimme, die meistens zischend und aufbrausend war, diesmal herzliche Töne zu hören. Sie neckte ihn, wollte ihn zu einer Unterhaltung bewegen; einmal lachte sie sogar laut auf, kniete auf dem Acker nieder und warf ihm eine Kartoffel direkt auf die Schulter. Er aber blickte sich nur um, murmelte leise etwas vor sich hin, stieß dann den Pflug weiter und trieb mit seiner düsteren Stimme die Pferde an: »Hü!«

Er wurde zwar nicht böse, doch sein verschlossenes Gesicht blieb auch weiterhin finster. Nicht ein einziges gutes Wort hatte er für die Frau übrig. Sie bückte sich wieder über den Kartoffelacker, und wie ein gequälter Wurm begann sie jetzt schweigend und traurig über den dunklen Acker zu kriechen. Auf einmal hob sie den Kopf. Stefan, der jetzt mit dem Gesicht dem Teich zugewandt stand, war plötzlich stehengeblieben, hielt die Pferde an und tat, als ob er an dem Pflug etwas zu tun hätte. Dabei blickte er in die Richtung, aus der, am Ufer des Teiches entlang, eine Frau mit einem Haufen nasser Wäsche in den Armen herankam. Er blickte die Ankommende mit einer solchen Anstrengung an, daß sich die Muskeln seines Gesichtes straff spannten und glätteten. Ein etwas dummes, in Wirklichkeit aber seliges Lächeln erhellte plötzlich sein Antlitz. Auch Rosalkas Augen wanderten zum Teich hin. In der ankommenden Frau erkannte sie Petrusia, und in demselben Augenblick fuhr sie wie unter der Berührung eines erglühten Eisenstabes auf.

»Was bist du denn auf einmal so stehengeblieben, als ob du Wurzeln bekommen hättest?« schrie sie den Mann an. Ihre Stimme wurde immer schriller. Sie forderte den Mann auf weiterzugehen. Der Schmerz ihres ganzen Lebens, ein heftiger Schmerz, begann sie wieder zu quälen und weckte in ihr die Furien des Zornes.

Petrusia, die sich den über das Wasser gebückten Frauen näherte, grüßte die Nachbarinnen freundlich. Aber nur eine einzige Stimme erwiderte ihren Gruß – dazu noch leise und schüchtern. Es war die junge Labuda, die Schwiegertochter eines der reichsten Bauern des Dorfes. Vom Mann und der ganzen Familie geliebt, wagte sie es, hier und da, obwohl etwas schüchtern, der Schmiedefrau ihre Zuneigung zu zeigen. Die anderen Frauen dagegen schlugen entweder mit ihren Waschschwengeln schweigend auf die im Wasser liegende Wäsche ein oder hoben ihre Köpfe und warfen der Neuangekommenen Blicke entgegen, in welchen Neugierde und Ängstlichkeit sich mit Zorn und Abscheu mischten.

Petrusia verstand ganz genau, was das alles zu bedeuten hatte, und stellte sich abseits von den anderen unter die breiten Zweige der Weide, an die mit einem Strick ein Boot befestigt war, das jetzt auf dem ruhigen Wasser schaukelte. Es war das Boot, mit dem die Dorfjungen fuhren, wenn sie mit ihren Angeln Plötzen und Karauschen fingen. Manchmal wurde es auch von Frauen benutzt, wenn sie, um den Weg zu kürzen, von der einen Seite auf die andere hinüberruderten. Sie blieb neben dem Boot stehen, tauchte die mitgebrachte Wäsche ins Wasser und begann sie – genauso wie die anderen Frauen – mit dem Waschschwengel zu schlagen und zu spülen. Diese Beschäftigung hinderte sie jedoch nicht daran, der Unterhaltung der Nachbarinnen zu lauschen. Diese flüsterten zuerst nur leise miteinander, doch das dauerte nicht lange. Wie wäre es ihnen auch möglich gewesen, ihre Gefühle allzu lange zu zäumen und ihre Stimmen zu dämpfen! So begannen sie auch recht bald, laut zu reden. Sie sprachen davon, was heute das ganze Dorf beschäftigt hatte: von der Krankheit des jungen Klemens und von den Ursachen dieser Krankheit. Sie erzählten, daß Peter einen Geistlichen holen gegangen sei, daß man dem Kranken schon zweimal eine geweihte Kerze in die Hand gelegt habe, daß die Mutter vor Gram und Leid dem Tode nahe sei und daß der Hof von Peter Dziurdzia zugrunde gehen würde, wenn Klemens sterben sollte, denn er selbst werde sehr bald ganz alt werden, und der jüngere Sohn sei, wie allgemein bekannt, ein Dummkopf und unbeholfen.

»Arme, arme, unglückliche Menschen!«

Eine der Frauen fing mit einer weinerlichen Stimme und lauter als die anderen zu sprechen an:

»Wer das getan hat, der müßte keine ruhige Minute mehr im Leben haben. Für das Leid, das er anderen zugefügt hat, müßte er selbst zugrunde gehen und seine eigenen Kinder sterben sehen!« Es war Paraska. Während sie so sprach, schielte sie zu Petrusia hinüber.

»Schaut doch mal«, fügte sie nach einer Weile noch hinzu, »wieso hat denn die Schmiedefrau den gekauften Rock und das Kopftuch aus dem schönen halbseidenen Stoff heute nicht an?«

Ja, dieser gekaufte Rock und das halbseidene Kopftuch, mit welchem sich Petrusia von Zeit zu Zeit schmückte, waren der armen Paraska schon sehr, sehr lange ein Dorn im Auge. Sie selbst wässerte ja im Augenblick die abgetragenen und alten Lumpen im Wasser, die ihr selbst und ihrer Familie gehörten.

Da ertönten auf dem Felde plötzlich schrille Schreie und grobe Scheltworte. Die Frauen begannen zu lachen. Stefan Dziurdzia zankte sich wieder einmal mit seiner Frau. Sie zankten sich schon so oft miteinander, daß sie dafür von manchem sehr streng gerügt, von anderen wieder verspottet wurden. Aus dem, was man bis hierher hören konnte, war zu schließen, daß es ihnen um irgendeinen Kartoffelsack ging, den zu holen Stefan seine Frau nach Hause schicken wollte. Vielleicht wollte er nur erreichen, daß ihn seine Frau in diesem Augenblick allein ließe, während sie ihn jetzt um nichts in der Welt allein lassen mochte? O Gott! Wie unglücklich fühlte sie sich! Das Bewußtsein des Unglücks schien sie wie auf Flügeln über den Boden zu tragen – so schnell lief sie jetzt zum Teich. Sie hielt die Hände hoch über den Kopf und lief direkt auf Petrusia zu, die gebückt über dem Wasser stand, und stieß die Schmiedefrau so stark, daß sie taumelte und bestimmt hingefallen wäre, wenn sie sich nicht an den Zweigen des Weidenbaumes festgehalten hätte. Durch Haß und Eifersucht fast wahnsinnig geworden, begann Rosalka jene Frau zu beschimpfen, in der sie eine Rivalin sah. Sie überschüttete Petrusia mit einer Flut grober Schimpfworte, unter welchen sich am häufigsten das Wort »Hexe« wiederholte. Die Schmiedefrau machte zu Anfang eine Bewegung, als ob sie sich auf die Angreiferin stürzen wollte, um die Beleidigungen, die ihr die andere ins Gesicht schleuderte, zu erwidern. Man merkte ihr jedoch an, daß sie sich einer Schlägerei bald zu schämen begann und daß sich ihr Zorn schnell legte. Dafür wurde sie aber von dem Gefühl der Angst und Scham ergriffen. Jede Farbe wich aus ihrem Gesicht und machte einer tiefen Blässe Platz. Sie bückte sich wieder über das Wasser und versuchte, durch das Klopfen mit dem Waschschwengel Rosalkas Schreie zu übertönen. Diese sprang aber wütend hin und her, drohte ihr mit den Fäusten und überschüttete sie weiter mit einem wahren Hagel von Flüchen und Schimpfworten. Manche der Frauen, die hier am Teich ihre Wäsche wuschen, lachten und scherzten laut, und zwar sowohl über die Angreiferin wie auch über die Angegriffene. Andere zuckten wiederum die Schultern, spuckten vor sich aus und nannten Rosalka, auf die sie mit den Fingern zeigten, eine Verrückte, ein böses Reptil oder ein wild gewordenes Frauenzimmer. Die junge Labuda schrie die Bäuerin sogar an, daß sie die unschuldige Petrusia, die von Rosalkas Mann gar nichts wissen wolle, endlich in Ruhe lassen solle. Eine der Budraks, die Schwiegertochter des Dorfschulzen, zog die wütend gewordene Frau sogar heftig an Hemd und Rock und schimpfte auf sie wegen ihrer Bosheit und übertriebenen Wut; Doch alles das hatte gar keinen Erfolg. Erst als Rosalka ihren Mann erblickte, der sich im Laufschritt näherte und in der einen Hand dieselbe Peitsche schwenkte, mit der er seine Pferde antrieb, setzte sie sich wie ein verwundeter Vogel in Bewegung und lief wie von Flügeln getragen, schreiend und mit den Armen fuchtelnd, auf das Dorf zu. Noch lange konnte man ihre verzweifelten, wimmernden Schreie hören, vermischt mit Scheltworten und Drohungen gegen Petrusia.

Was weiter am Teich geschah, wußte Petrusia nicht, sie wollte es auch gar nicht wissen. Sie hob den Kopf nicht und blickte nicht ein einziges Mal auf, denn sie schämte sich vor den Blicken der Menschen und wurde von einer heftigen Angst gepackt. Lieber wollte sie schon die Frauen gar nicht erst anblicken, die eine Weile ihrer Verwunderung laut Ausdruck gaben, sich noch etwas miteinander unterhielten, schließlich ihre Wäsche vom Ufer aufhoben und einzeln oder in kleinen Gruppen ins Dorf zurückgingen. Bald erriet sie an der Stille, die über dem Teich herrschte, daß alle fortgegangen waren. Jetzt richtete sie sich hoch auf, und als sie die Augen hob, bemerkte sie Stefan, der, einige Schritte von ihr entfernt, unter der rosa schimmernden Espe auf dem Stumpf eines abgebrochenen Baumes saß. Er stützte die Ellbogen auf die Knie, legte das Kinn in die Handflächen und blickte sie starr und unverwandt an. Die Frau kehrte ihr Gesicht von ihm ab und begann schweigend die ausgerungene Wäsche in das am Ufer stehende Boot zu legen. Da sagte er:

»Schon lange habe ich dich nicht gesehen, Petrusia, und auch mit dir nicht gesprochen. Ja, es wird wohl schon ein Jahr her sein, daß du mich aus deinem Hause hinausgeworfen und die Tür vor mir verriegelt hast. Seit dieser Zeit bin ich nicht mehr zu euch gekommen und hab' dich auch immer in Ruhe gelassen!«

»Es soll ja auch gar nicht anders sein«, murmelte die Frau zornig und bückte sich über das Boot. Der Bauer sprach aber weiter:

»Vielleicht soll es so sein, vielleicht auch nicht. Und doch muß es so sein … So hast du mich eben gemacht, daß meine Wünsche und Pläne bei dir sind und auch alle meine Gedanken … Wenn du nicht wolltest, daß es so sein soll, warum hast du mich denn da so gemacht? … Hast du denn das zu meiner ewigen Verdammnis gemacht, wie?«

Diesmal wandte sie ihm ihr Gesicht zu, in dem zwei erschrockene, aber zornfunkelnde Augen glänzten:

»Wenn ich irgendein Mittel wüßte, dann hätte ich es so gemacht, Stefan, daß ich dich niemals mehr zu sehen brauchte – bis ans Ende meines Lebens. Siehst du, das hätte ich gemacht, wenn ich nur wüßte, wie man es machen kann. Aber obwohl ihr mich alle eine Hexe nennt, weiß ich das Mittel nicht. Zu meinem eigenen Unglück!«

Wieder begann sie, die Wäsche in das Boot zu legen. Ihre purpurroten Lippen verzogen sich wie bei einem erzürnten Kind, und die Augen füllten sich mit Tränen. Stefan rückte auf seinem harten Sitz und begann dann zu sprechen, ohne aber den Blick von ihr zu wenden:

»Ob du eine Hexe bist oder nicht, auf jeden Fall gibt es im ganzen Dorfe keine bessere, sanftere und fleißigere als dich, Petrusia. Was heißt hier schon im Dorf! Vielleicht sogar in der ganzen Umgebung und vielleicht gar auf der ganzen Welt. Vielleicht hast du mir irgendwann so ein Kraut zu trinken gegeben, wie es Klemens durch deine Vermittlung von der Franziska zu trinken bekam. Vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das Kraut, das mir in den Knochen sitzt, nichts anderes als deine Sanftmut und deine Lustigkeit. Als du noch ein Mädchen warst, da war es so, daß ich selbst ein ganz anderer wurde, wenn ich dich ansah, wenn ich deinen Gesang und dein Lachen hörte. Ein ebenso sanfter, ruhiger und lustiger Mensch wie du bist …«

Eine Weile schwieg er und sagte dann:

»Ich habe lustige und ganz ruhige Menschen sehr gern. Siehst du, mit Peter und Agathe vertrage ich mich sehr gut, weil zwischen ihnen immer die heilige Eintracht herrscht und weil sie so gut zueinander sind. Auch den Klemens habe ich recht gern, weil er den Älteren gegenüber immer gehorsam und sonst immer lustig ist. Ich selbst bin jähzornig und unruhig wie der Sturm und düster wie der Himmel nach dem Regen – ich weiß es … So wurde ich wahrscheinlich schon geboren, mit dieser Krankheit in der Seele. Und von dieser Krankheit konnte mich nicht einmal die Mutter kurieren – dieses böse Weib, das mich beschimpfte und schlug, so daß ich an meine Kinderjahre gar nicht mehr zurückdenken mag. Auch der Bruder kurierte mich nicht, der mich wegen dieses Stückchens Erde, das mein Eigentum ist, vor die Gerichte zerrte … Auch nicht meine Frau, dieses Reptil, und auch nicht der Schnaps, den ich in die Kehle schüttete … Niemand und nichts hat mich kuriert.«

Er sprach langsam und traurig. Seine Augen starrten auf den Boden, doch nach einem Augenblick schaute er wieder auf Petrusia.

»Du hättest mich von dieser Krankheit kurieren können, doch du wolltest es nicht«, fügte er hinzu.

Beruhigt durch seine milde, sanfte Stimme, vielleicht durch seine Traurigkeit erschüttert, antwortete die Frau, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen:

»So war es anscheinend bestimmt! Doch was für ein Unglück bedrückt dich denn? Du klagst umsonst, und umsonst beleidigst du den lieben Gott. Was fehlt dir eigentlich? Du hast doch ein ordentliches Haus und einen ordentlichen Hof … Eine Frau und ein Kindchen … Du müßtest dem lieben Gott danken und zufrieden sein … Du müßtest es …, wenn du es nur wolltest! …«

»Das ist wahr!« antwortete Stefan. »Meine Frau ist ja so gut und mein Sohn so kräftig und gesund! Er wird mal ein tüchtiger Arbeiter und eine kräftige Stütze für mich! Ach!«

In seiner Stimme tönte eine große, doch schmerzhafte Ironie. Er lachte laut auf und stieß einen leisen Fluch aus. Vielleicht fluchte er nur deshalb so leise, um die Frau nicht zu verscheuchen, die seit langer Zeit heute, zum ersten Male mit ihm reden wollte.

»Ich will dir mal die Wahrheit sagen, Petrusia. Sogar mein Hof ekelt mich schon an. Für wen soll ich denn arbeiten und mich abmühen? Ist denn mein Haus voller Kinder? Nur ein Kind habe ich, und dazu noch eins, dessen Atmen man ständig beobachten muß, um zu wissen, ob es hoch lebt, und mehr Kinder werde ich nicht haben. Die Frau bedeutet für mich nichts. Es ist, als ob ich gar keine hätte. Ich will sie nicht mal ansehen, will sie überhaupt nicht sehen. Wenn ich vom Feld nach Hause komme, lege ich mich wie ein Hund gleich schlafen, ohne mit irgend jemandem auch nur ein einziges Wort zu sprechen. Es ist nur gut, wenn sie schweigt und mich in Ruhe läßt mit ihrem Zorn oder mit ihrer Liebe. Sonst heulen wir wie zwei Wölfe, die man zusammen eingeschlossen hat … So sieht mein Glück aus. Die Leute lachen über mich, als ob ich der Schlechteste wäre … Auch den Hof wird bald der Teufel holen … Denn ich habe zu nichts mehr Lust und möchte am liebsten die ganze Welt verfluchen!«

»Schäme dich!« rief Petrusia. »Du müßtest dich schämen, so zu reden, Stefan, und auch so zu handeln. Du solltest lieber deinen Hof richtig besorgen und mit deiner Frau so leben, wie es der liebe Gott befohlen hat: in Frieden und in Eintracht, so wie ich mit meinem Mann lebe. Bei uns gab es noch nie Zank und Streit, und nicht einen einzigen Augenblick gab es Haß zwischen uns beiden …«

»Erinnere mich nicht an deinen Mann!« warf Stefan dazwischen, und seine Augen blitzten auf. Doch sie hatte ihn nicht angesehen und bemerkte die heftige Leidenschaft nicht, die ihn ergriff.

»Wenn du zu deiner Frau so wärest, wie mein Mann zu mir ist, dann wäre auch sie besser!« bemerkte Petrusia.

»Die sollen beide ersaufen! Ihre Augen dürften die Welt nicht mehr lange sehen!« knurrte Stefan finster.

»Pfui! Was für ein böser, nichtswürdiger Mensch du bist! Du wünschst den anderen den Tod!« Die Frau spuckte aus und stand vor ihm mit gefalteter Stirn und zornfunkelnden Augen. Als sie den Rest der ausgerungenen Wäsche vom Boden aufhob und in das Boot warf, fügte sie noch hinzu:

»Es war schon ganz klug von mir, daß ich dich nicht nehmen wollte! … Einen guten Mann hätte ich da jetzt! …«

Als er sah, daß sie im Begriff war, ins Boot zu steigen, um davonzufahren, sprang er von seinem Sitz und stellte sich dicht vor sie hin.

»Warte noch, Petrusia, warte noch ein Weilchen«, flüsterte er, »wir wollen uns noch ein Weilchen unterhalten … Was schadet es dir? Nur noch einen kurzen Augenblick! Zu dir wäre ich ganz anders als zu dieser … Mit dir wäre ich zahmer geworden und so ruhig, wie ein Hund, der seinen Herrn erkennt … Du hättest mir meine Kinder ganz anders gepflegt … Du hättest für mich im Hause gelacht und gesungen wie der Rothänfling im Nest … Und ich hätte deine Füße und deine Hände mein ganzes Leben lang geküßt. Ich hätte mit dir zusammen gearbeitet, daß mir die Hände davon bluten sollten. Ach, Petrusia, meine liebe, liebe Petrusia … Laufe doch wenigstens diesmal nicht von mir weg! … Ich will mich nur eine einzige Minute an dir erfreuen …«

Mit flammenden Augen und einem Lächeln verliebter Leidenschaft drang er auf sie ein und stieß sie unter die breiten Äste der Weide. Sein heißer Atem brannte auf ihrem Hals und ihren Schultern. Wie ein eiserner Ring preßte sich sein Arm um ihre Taille. Erschrocken und erzürnt sprang die Frau wie ein Reh auf, stieß einen lauten Schrei aus, ergriff das Ruder und trat im nächsten Augenblick das Boot vom Ufer ab. Kaum eine Minute war vergangen, als das Boot in sicherer Entfernung vom Teichufer war. Über die glatte Oberfläche flog es schnell und gleichmäßig dahin, fast ohne zu schaukeln. Die große und schlanke Frau, die sich in rhythmischen Bewegungen nur ganz leicht, kaum merklich, über das Ruder bückte, das gleichmäßig das Wasser teilte, suchte das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Die unter dem roten Kopftuch hervorschauenden Haare verdeckten ihr Gesicht, so daß man die flammende Röte der Wangen kaum erkennen konnte. Ihre fast bis an die Knie entblößten Beine und die Arme, die das Ruder hielten, überschüttete die untergehende Sonne mit einem rosaroten und goldenen Schimmer. Die Augen des am Ufer stehenden Mannes glühten und funkelten wie Feuer. Das verliebte Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, das sich gleich wieder mit unzähligen Falten des Zornes und des Kummers bedeckte. Ein Ausdruck der Grausamkeit und des Grolles huschte über seine Lippen.

»Wenn es so ist«, rief er der davonfahrenden Frau nach, »dann bist du wirklich eine Hexe. Mit teuflischer Kraft ziehst du die Menschen an dich und überläßt sie dann dem ewigen Verderben! Warte nur, du! Du wirst dein Teil schon bekommen! Ich werde schon wissen, wie ich mich für mein Leid an dir zu rächen habe! Du Hexe! Verflucht sei deine Seele!«

Sie war noch nicht weit vom Ufer entfernt, so daß sie seine Schreie hören mußte. Aber sie antwortete nicht darauf. Nur das Boot schaukelte auf einmal gewaltig unter ihr, als ob es durch ein heftiges Erzittern ihrer Beine bewegt worden wäre. Dann fuhr sie wieder gleichmäßig und rasch weiter. Über das braune Gesicht des im Schatten der Weidenzweige stehenden Mannes huschte ein gehässiges, grausames Lächeln. Von seinem schattigen Platz aus erschien ihm die in den flammend roten Sonnenstrahlen auf der blauen Fläche des Teiches im Boot fahrende Frau vielleicht wie ein schreckliches, feindseliges, aber gleichzeitig auch strahlend helles und reizvolles Wesen.

»Eine Hexe! Bei Gott, eine Hexe!« flüsterte er, und als sie den weißen Sand am gegenüberliegenden Ufer des Teiches erreichte und mit schnellen Schritten heimwärts lief, wandte er sich mit geballten Fäusten wieder seinem Pfluge zu und setzte noch hinzu:

»So dürfte sie auch auf dieser Gotteserde nicht mehr herumgehen! Das dürfte sie nicht!«

Ihren Mann fand Petrusia nicht zu Hause. Stanislaus, der ihr bis an das Ufer entgegengekommen war, watete jetzt durch den weißen Sand und hielt sich dabei an ihren Kleidern fest. Schon unterwegs plapperte er davon, daß der Vater ins Gasthaus gegangen war, um mit dem Pächter zu reden. Sie wußte, daß der Pächter ihm eine große und rentable Arbeit in einem der in der Nachbarschaft liegenden Gutshöfe vermitteln wollte, und wunderte sich deshalb nicht, war auch keinesfalls beunruhigt, daß Michael nicht zur gewohnten Zeit nach Hause gekommen war. Das Geschäft war wichtig, und es gab viel darüber mit dem Juden zu besprechen. Während sie die Abendmahlzeit kochte und die Kinder in einer Ecke der Stube auf einer kleinen hölzernen Flötenpfeife spielten und trockene Sonnenblumenkerne mit den Zähnen knackten, berichtete sie mit leiser Stimme ihrer Großmutter den Verlauf ihres Gesprächs mit Peters Frau und alles das, was sich am Dorfteich abgespielt hatte. Zu Beginn dieser Erzählung spann Aksena immer rascher und rascher ihren Faden, doch bald begann ihr dieser am Rocken zu reißen, und die Spindel entglitt ihren Fingern. Sie faltete die Hände auf den Knien und saß hochaufgerichtet, kerzengerade da. Obwohl Petrusia mit ihrer Erzählung schon längst fertig war, sagte sie noch kein einziges Wort. Nur ihre gelben Kinnladen bewegten sich schneller als gewöhnlich und kauten den tiefempfundenen Gram. Auch die weißen Augäpfel blickten mit größerer Anstrengung als irgendwann vorher gerade vor sich hin – als ob sie den vom Halblicht der Flamme erleuchteten Raum der Wohnstube durchdringen wollten. Obwohl das Abendessen fertig war, saßen die beiden Frauen und warteten mit dem Essen auf den Hausherrn, der jeden Augenblick heimkommen mußte. Das Feuer im Ofen ging langsam aus, die Kinder beruhigten sich. Sie schlummerten an der Wand und bildeten neben dem dort aufgestellten Flachsbündel eine Gruppe durcheinanderliegender unbeschuhter Füße und kleiner rosiger Gesichter.

Petrusia holte vom Hof die Flachsbreche, stellte sie in den Vorraum, hantierte noch eine Weile in der Stube umher, bis sie schließlich laut aufseufzte und sich ebenfalls auf den Fußboden hinsetzte. Den Rücken lehnte sie an die Flachsbündel an und blickte nachdenklich irgendwohin in die Ferne. In der Stille, die jetzt in der Stube herrschte, ertönte nach einer Weile die heisere und heute aus irgendeinem Grunde besonders zitternde Stimme der alten blinden Frau:

»Petrusia!« rief sie.

»Was ist denn, Großmutter?«

»Verbrenne die Kräuter. Alle Kräuter, die du in diesem Jahre auf den Feldern gesammelt hast, und auch alle anderen, die vom vergangenen Jahre übriggeblieben sind. Alle, die zu Hause sind, mußt du verbrennen!«

»Warum denn, Großmutter?«

»Verbrenne sie!« Die Alte schrie fast. Etwas ruhiger, doch zornig murmelte sie dann noch: »Die Dumme! Fragt noch warum!«

Petrusia erhob sich vom Boden, überlegte eine Weile, schüttelte einige Male verwundert den Kopf und ging dann in die Kammer. Aus der Kammer, vom Dachboden, aus dem Vorratsraum trug sie in der Schürze oder in großen Leinwandtüchern eine Menge getrockneter und brüchig gewordener oder nur welker und noch duftender Blumen. Sie schüttete alle vor den Ofen auf den Boden. Dann schürte sie das Feuer wieder auf und begann die Kräuter mit beiden Händen ins Feuer zu werfen. Alles das tat sie schweigend, mit glühenden Augen und fest aufeinandergepreßten Lippen. Aus ihrem Gesicht konnte man entnehmen, daß sie Angst und Schmerz empfand. Diese Pflanzen, deren Farbenpracht und deren Duft ihre Sinne schon seit der frühesten Kindheit liebten, die lilafarbigen Blüten des Quendels, die gelben Königskerzen, die Girlanden der ineinandergeflochtenen Gräser und Stengel wurden jetzt von den feurigen Zungen der Flammen ergriffen, in blaue Rauchschwaden eingehüllt, die in den Schornstein hineingesogen wurden. In der Stube verbreitete sich ein starker, berauschender Duft. Als einige Bündel der getrockneten Kräuter im Ofen verbrannt waren, hob die junge Frau den Kopf, blickte in die Höhe des Ofens und fragte:

»Warum denn das, Großmutter?«

Die Alte antwortete nicht, Sie war so sehr in ihre Gedanken vertieft, daß sie die Frage der Enkelin vielleicht gar nicht gehört hatte. Erst einige Zeit später ertönte von der Höhe des Ofens die heisere und leicht zitternde Stimme Aksenas:

»Viele seltsame Wunder habe ich schon auf der Welt gesehen und von vielen gehört. Ich weiß, was das für Folgen haben kann … Die alte Prokopen habe ich plötzlich erblickt. Sie erschien auf einmal vor meinen blinden Augen so klar, als ob ich sie in Wirklichkeit sähe. Ganz genau habe ich auch die Tränen gesehen, die über ihr altes Gesicht rollten und rollten …«

Je länger die Alte sprach, um so monotoner wurde ihre Stimme, um so mehr ähnelte das, was sie sagte, einem gesungenen, traurigen Rezitativ.

»Es lebte einmal, vor sehr langer Zeit, in einem großen, aber nicht gerade reichen Dorf die Prokopen, eine Soldatenfrau, eine arme Tagelöhnerin, die weder ihr eigenes Haus noch irgendwelche Verwandte hatte. Ihr Mann wurde irgendwo in der weiten Welt in einem großen Krieg erschlagen, und nur ein kleiner, armer Sohn war ihr geblieben, der Prokop hieß. Er hieß genauso, wie sein Vater geheißen hatte. Dieser kleine Prokop war sehr arm, von allen, außer von seiner Mutter, verlassen. Er hätte keinen Vater, keine Brüder, er hatte weder eine Hütte noch eigenes Land. Nackt kam er auf die Welt wie der biblische Adam, und als er groß wurde, mußte er zu fremden Leuten arbeiten gehen. So mußte er unter fremden Menschen in der Welt umherirren und bei Fremden arbeiten. Dabei war er ganz arm, blickte böse auf fremdes Eigentum und wurde mit der Zeit so trüb wie eine Herbstnacht. Wenn auch alle anderen um ihn herum lustig waren, so blieb er für sich ganz, allein wie ein Wolf. Manchmal ging er umher und blickte unverwandt auf die Erde, als ob er für sich selbst ein Grab ausheben wollte, und dachte über irgend etwas nach. Die Menschen konnten ihn, wegen seiner Düsterkeit und weil er immer ein Einzelgänger war, nicht gut leiden und achteten ihn nicht. Wie es so Waisenkindern und Einzelgängern immer geht, für die sich keiner einsetzen kann. Bis auf einmal irgend jemand den Bauern ihre Pferde zu stehlen begann. Dem einen Bauern ging sein Pferd verloren, dem anderen ging eines verloren, und auch einem dritten. Im ganzen Dorf begann man zu verzweifeln und zu schimpfen, denn die Leute waren dort nicht reich, und die Tiere, ohne die sie in der Wirtschaft nicht auskommen konnten, fehlten ihnen sehr. Man suchte überall den Dieb, fragte überall nach, paßte auf – aber man konnte nichts erreichen. Der Dieb war nicht zu fassen – als ob ihn die liebe Mutter Erde verschluckt hätte. Und die Pferde wurden genauso gestohlen wie früher. Eines Tages hatte irgend jemand bemerkt, daß der junge Prokop von Zeit zu Zeit aus dem Dorf verschwand. Es kam vor, daß er einen, zwei – drei Tage fehlte. Manchmal verging sogar eine ganze Woche, und er blieb immer noch vom Dorfe weg und streifte in der Gegend umher. Man hatte auch gesehen, daß er mit irgendwelchen ungläubigen Juden im Walde Unterhaltungen führte. Im Städtchen hatte man ihn gesehen, und wie er im Gasthaus saß und Schnaps trank oder auf dem Marktplatz für ein Mädchen bunte Bänder kaufte. Woher er das Geld dazu hatte, das konnte keiner sagen. Da kam allen der Gedanke, daß es der junge Knecht Prokop war, der die Pferde gestohlen hatte. So hat man ihn auch vors Gericht gebracht. Das Gericht hörte sich alles genau an, hörte und hörte und sagte schließlich, daß Prokop ins Dorf zurückkehren sollte, da man nicht wissen könne, ob er die Pferde gestohlen hätte oder nicht. Man hatte keine Gewißheit, daß er es war – sagte das Gericht. Verschafft uns bessere Beweise gegen ihn – sagte es noch dazu … So kam der junge Prokop wieder ins Dorf zurück, und die Pferde verschwanden genauso wie früher. Da ergriff die Leute im Dorf ein großer Zorn wegen ihres verschwundenen Eigentums. Einmal paßten die Dorfleute ihn am Waldrand ab, als er für seinen Bauern einen Wagen Holz fuhr, faßten ihn und hieben mit Stöcken auf ihn ein …«

»O Jesus!« ertönte in der Stube die Stimme Petrusias, die mit einer von Kräutern gefüllten Schürze unter dem Ofen stand. Die eine Hand versenkte sie in den Haufen ausgetrockneter Pflanzen, ihre Augen standen weit offen. Sie zitterte am ganzen Körper.

»Mit Stöcken!« stöhnte sie, besann sich dann aber und begann wieder die Kräuter in den Ofen zu werfen.

Die Flamme sprang lebendig hoch, und durch die Stube zog ein blauer, duftender Dunst. Von der Höhe des Ofens wiederholte jetzt die Stimme der alten Aksena:

»Ja, mit Stöcken. Die Rippen haben sie ihm gebrochen, die Arme und die Beine. Sein Gesicht war dann mit Blut übergossen; und der Bursche blieb tot auf dem weiten Felde liegen, auf dem leeren Felde, unter dem weißen Schnee, den Raben und Krähen zum Fraße.«

In der Stube blieb es eine Weile ruhig, und dann setzte die blinde Großmutter ihre Erzählung fort:

»Und die Soldatenfrau, die Frau vom alten Prokop, wurde vor Gram um den Tod ihres einzigen, armen Sohnes irrsinnig. Aus Mitleid haben ihr die Menschen zu essen gegeben und ihr Kleider geschenkt, und sie kroch manchmal in eine dunkle Ecke und erzählte ununterbrochen von ihrem Burschen, dem jungen Prokop. Sie erzählte und erzählte, und über ihr altes, durchfurchtes Gesicht liefen Tränen – ununterbrochen, als ob irgend jemand Erbsen ausgeschüttet hätte. Auch ich war dort, hab' ihre Erzählungen gehört und ihre Tränen gesehen. Jetzt erschien das alles vor meinen blinden Augen, als ob ich es jetzt noch vor mir hätte …«

Als die heisere, klappernde und gleichzeitig singende Stimme der Alten schwieg, wandte sich Petrusia an sie:

»Großmutter!«

»Was denn?«

»Hat denn dieser Prokop tatsächlich Pferde gestohlen?«

Nach kurzer Überlegung antwortete die Alte:

»Vielleicht hat er sie gestohlen, vielleicht auch nicht. Das weiß man nicht. Ganz sicher weiß das niemand … Doch die Menschen hatten Verdacht gegen ihn geschöpft und wurden zornig …«

»Sie wurden zornig!« … wiederholte wie ein Echo die junge Frau, die vor dem Ofen stand und jetzt schnell den Rest der getrockneten Kräuter in die Flammen des großen Ofens warf.

Nach einer Weile begann die Alte wieder:

»Petrusia!«

»Was ist's denn, Großmutter?«

»Du sollst es wirklich nicht mehr wagen, von jetzt ab irgend jemandem aus dem Dorf einen Rat oder Kräuter zu geben …«

»Ich tu' es nicht!«

»Niemandem, denke daran! Wenn man dich noch so sehr bitten sollte! Hörst du, was ich dir sage?«

»Ich mach's nicht mehr!«

»Sei ruhig und so stumm wie die Fische im Wasser, damit dich die Leute vergessen!«

»Gut, Großmutter!«

Die in die Stube führende Tür ging plötzlich auf, und der Schmied trat ein. Petrusia blickte ihn an und schrie laut auf:

»Ach du lieber Gott! Was ist denn dir zugestoßen, Michael?«

Es mußte ihm in der Tat etwas Böses zugestoßen sein. Sein Gesicht stand in Flammen, das eine Auge war verquollen, auf der Stirn und auf den Wangen dunkelten einige blaue Flecke. Er nahm die Mütze von den zerzausten Haaren und warf sie auf den Tisch. Die Kinder, die gerade wach wurden und zu ihm liefen, schickte er zornig weg. Dann setzte er sich auf die Bank und wandte sich an seine Frau. Mit etwas heiserer Stimme begann er zu sprechen:

»Es ist mir etwas zugestoßen, was mir noch nie im Leben passiert ist. Ich war Soldat und hab' mich sechs Jahre lang in der Welt herumgetrieben, doch nicht ein einziges Mal habe ich mich mit jemandem geschlagen. Hier in diesem Dorf lebe und arbeite ich nun wieder sieben Jahre, und die Menschen haben Achtung vor mir gehabt, weil ich mich selbst geachtet habe. Ja – und heute habe ich mich vor dem Gasthaus mit den Bauern herumgeschlagen. Deinetwegen, Petrusia! Wegen dir bin ich in die Sache verwickelt worden. Pfui, eine Schande ist es und eine Kümmernis!«

Er spie aus, wandte sein Gesicht von der Frau weg und bedeckte das mißhandelte Auge mit der Hand. Seine Frau schwieg, stand immer noch unbeweglich vor dem Feuer und sah ihn mit weitgeöffneten Augen an. Die Arme hingen an ihrem Körper schlaff herunter. Nach kurzem Schweigen sagte er:

»Ich hab' mit dem Pächter über das Geschäft gesprochen, als ich plötzlich hörte, daß vor dem Wirtshaus die Bauern von dir herumredeten. Sie schrien, daß du den Klemens Dziurdzia krank gemacht hast. Simon Dziurdzia war dabei und auch der alte Dieb Jakob Schischko. Dann kam Stefan und begann genau dasselbe zu reden. Die Weiber, die vom Kartoffellesen am Gasthaus vorbeigingen, blieben ebenfalls stehen und begannen jetzt auch zu krähen und zu schreien: ›So ist die Schmiedefrau, und so ist die Schmiedefrau, und dies hat sie gemacht, und jenes hat sie gemacht, den Kühen hat sie die Milch genommen und jetzt Klemens vergiftet.‹ Eine Weile habe ich mir das angehört, bis ich nicht mehr ruhig bleiben konnte, vor das Gasthaus hinauslief und mich deinetwegen zu zanken begann. So ging's von Wort zu Wort, bis es zur Schlägerei gekommen ist. Ich hab' sie geschlagen, und auch sie schlugen auf mich ein … Pfui, eine Schande ist es. Ich arbeite wie der letzte Knecht, führe mich wie ein ordentlicher Mensch, habe Achtung vor mir selbst und den anderen, und jetzt kommt, weiß Gott woher, so etwas Häßliches über mich … Ja, ist es etwa angenehm zu hören, daß man die eigene Frau eine Hexe und Teufelsgeliebte schimpft und dann noch im Gesicht die Spuren der Fäuste solcher Diebe und Spitzbuben tragen muß? Mein Gott, weshalb mußte ich denn einen solchen Schmerz erleben und solchen Kummer!«

Obwohl er beschämt und betrübt war, so klang doch in seiner Stimme ein leiser Groll gegen seine Frau. Sie schwieg immer noch, so erschrocken, daß die Hände, mit denen sie den Speisentopf aus dem Ofen geholt hatte, merklich zitterten. Mit gesenkten Lidern brannte sie die Lampe an und stellte die Abendmahlzeit auf den Tisch. Als sie nach alter Sitte den Laib Brot und das Messer ihrem Mann reichte, hielt er die eine Hand immer noch vor dem geschwollenen Auge und blickte sie mit dem anderen aufmerksam an.

»Petrusia!« sagte er, »was hast du eigentlich den Menschen getan, daß sie über dich herfallen wie die Raben über das Aas? …«

Sie zuckte langsam die Schultern:

»Wie soll ich's wissen?« flüsterte sie.

»Ganz ohne Grund kann es doch nicht sein, wie?« sagte er noch.

Die Frau, der man solche Fragen stellte, wurde immer nachdenklicher:

»Wie soll ich's wissen?« wiederholte sie.

Wahrscheinlich konnte sie das Rätsel ihres Schicksals selbst nicht lösen; ob die Wurzeln ihres Schicksals in ihr selbst zu suchen waren, dessen war sie nicht sicher. Trotz dieser Ungewißheit hätte eine andere sich jetzt in Verneinungen ergangen, in Schwüren, in Entschuldigungen für sich selbst und Verwünschungen gegen andere Menschen. Sie tat es nicht. Ihren Mann hatte sie noch nie belogen. Sie lebten miteinander ohne Geheimnisse; das eine durchschaute genau die Seele des anderen wie zwei klare, nebeneinander fließende Bäche, und jetzt müßte sie ihn anlügen, wenn sie ihm erzählen wollte, daß sie ganz sicher wäre. In ihrem Inneren regten sich Besorgnis und Angst, nicht so sehr vor den Menschen, sondern vielmehr vor etwas Unbestimmtem, Geheimnisvollem, Drohendem.

»Wie soll ich's wissen?« wiederholte sie. Als sie den Kopf von ihrem Manne wandte, standen auf ihrer Stirn zwei tiefe Falten.

Er sah sie an, und als ob er sich über etwas wunderte oder traurig über etwas nachdachte, wiegte er einige Male den Kopf hin und her. Dann rief er die Kinder zu sich heran, zu ihr aber sprach er an diesem Abend kein einziges Mal und nannte sie auch nicht seinen Kuckucksvogel, übelgelaunt und schweigend legte er sich schlafen.

Dunkelheit und tiefe Stille herrschten jetzt in der Stube, bis sich um Mitternacht in der Dunkelheit und Stille das Schlurfen menschlicher Schritte hören ließ und irgend jemand auf den Ofen hinaufkroch.

»Großmutter! Großmutter, schläfst du?«

Auf der Höhe des Ofens ließ sich Flüstern vernehmen, in dem die Angst deutlich zu hören war.

»Ich schlafe nicht, mein Kind, ich schlafe nicht! Immer muß ich an dich denken«, antwortete Aksena, der ihr Alter seit einiger Zeit schlaflose Nächte brachte.

»Großmutter!« stöhnte die andere Stimme, »irgend etwas hat mich heute so furchtbar gewürgt … Auf Leib und Brust hat es sich gelegt und mich so gewürgt, daß ich dem lieben Gott die Seele bald ausgehaucht hätte …«

»Was ist denn das?« wunderte sich die Alte, und nach einer Weile fragte sie:

»Vielleicht hast du am heiligen Sonntag etwas getan, was nicht erlaubt ist?«

»Hab' es nicht getan, Großmutter, am heiligen Sonntag nicht; nie hab' ich etwas getan …«

»Erinnere dich nur! … Vielleicht hast du doch etwas getan? Denn wenn du es getan hast, dann ist es nichts anderes, als daß der Sonntag zu dir kam und dich würgte dafür, daß du ihn beleidigt hast … Solche Dinge gibt es auf der Welt … Ich hab' selbst einen Menschen gekannt, der am Sonntag immer alles machte. Bis einmal der Sonntag zu ihm kam, so groß wie die goldene Sonne, sich auf ihn legte und ihn würgte …, bis er tot war. Erinnere dich nur richtig, ob du – Gott möge es verhütet haben – etwas am Sonntag getan hast …«

»Ich hab' nichts getan, Großmutter. Kann es schwören, daß ich am Sonntag nichts getan hab' …«

»Na, was könnte dich dann heute gewürgt haben?«

Eine lange Zeit herrschte völlige Ruhe, bis dann eine junge und erschrockene Stimme in der Dunkelheit zu flüstern begann:

»Großmutter, ich hab' gehört, daß der Teufel, wenn er sich an einen heranmacht, genauso würgt.«

Auf dem Ofen raschelte etwas heftig. Vielleicht setzte sich die blinde Frau auf ihrem Strohsack hoch auf.

»Bekreuzige dich, Kind, schlage schnell das Zeichen des heiligen Kreuzes …«

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.«

Wieder wurde es für einige Augenblicke ganz ruhig in der Stube. Dann lispelte die alte Aksena:

»Großer Kummer und schwere Sorgen waren es, meine liebe Petrusia, die dich heute Nacht gequält haben.«

»Ja«, flüsterte die andere zustimmend zurück.

»Michael war heute so zornig und schlecht gelaunt


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