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III.

Petrusia kannte in der Tat außerordentlich viele Mittel, mit denen man sich im Leben sehr gut helfen konnte. An ihrer Wirksamkeit zweifelte sie nicht einen einzigen Augenblick und wandte sie dort an, wo sie anderen helfen konnte. Das sollten Peter Dziurdzia und Jakob Schischko gleichzeitig, doch auf ganz verschiedene Art und Weise erfahren. Der erste gehörte zu den reichsten Bauern in Sucha Dolina. Entweder war ihnen ein besserer Boden als den anderen zugefallen, oder waren sie fleißiger und nüchterner als die übrigen Bauern – auf jeden Fall galten in Sucha Dolina sein Großvater, sein Vater und auch er selbst als sehr reiche Leute. Kurz nach der Befreiung baute sich Peter eine Hütte, die durchaus den Eindruck eines ordentlichen Häuschens machte. Sie hatte einen Schornstein, zwei große Fenster, einen kleinen Vorbau vor dem Eingang und von außen weiß gestrichene Wände. Im Inneren konnte man auf den ersten Blick nichts Besonderes feststellen: ein Vorraum, eine große Wohnstube und eine geräumige Vorratskammer; in der großen Wohnstube ein riesiger Ofen, in dem man die Speisen kochte und das Brot buk, Sitzbänke, Tische, ein Webstuhl und hölzerner Hausrat – nichts mehr; alles war so wie bei den anderen Bauern. Doch nur ein Blick in die Kammer, in den Vieh- und Pferdestall oder in den Speicher genügte schon! Was man dort sah, das war schon recht ungewöhnlich. Sogar in den Jahren der schlimmsten Mißernte fehlte es hier nicht an Korn, und von einem Jahr zum anderen blieb immer etwas als Vorrat übrig, und der Überfluß des einen deckte den Mangel des anderen Jahres. Vier Kühe, zwei Pferde, von welchem das eine, eine Stute, jedes Jahr ein Junges brachte, sechs Schafe, dazu Schweine, Hühner, Tauben, die auf dem Dach ihre Nester hatten. Im Garten sah man ein ganzes Wäldchen Kirschbäume, untermischt mit wilden Birnbäumen, deren Früchte für den Winter ausgezeichnete Teigbirnen lieferten. In der Kammer türmten sich auf Regalen und auf dem Boden Säcke und Töpfe voll von allerlei Gut; die eine Wand erschien durch aufgehängte Zwirnsträhnen fast schwarz, die an den Wänden stehenden Truhen waren bis an die Ränder voll von Frauen- und Männerkleidung, von Ballen noch nicht zugeschnittenen grauen Leinens und steifer, auf dem Webstuhl selbst angefertigter rot- und blaugestreifter Stoffe. Es war aber nicht allein ungewöhnlicher Wohlstand, der in Peters Hütte herrschte; es herrschte hier auch eine ungewöhnliche Ruhe. Peters Charakter war durchaus phlegmatisch. Seine Bewegungen waren langsam, seine Worte ernst und überlegt; seine Frau war eine große, schöne und milde Person. Noch in ihrer Jugend erkrankte sie an Rheuma und irgendwelchen anderen Krankheiten, wodurch sie noch langsamer und zum Streit noch weniger schnell bereit wurde als die anderen Frauen. Sie stöhnte oft, klagte weit und breit, wem sie nur konnte, ihr Leid, ließ sich gern Rat erteilen, und wenn die Schmerzen allzu heftig wurden, weinte sie in einer Ecke der Stube oder klagte laut. Doch niemals stritt sie mit ihrem Mann. Wie sollte sie auch mit ihren geschwächten Beinen und verkrümmten Fingern, sie, die jetzt so unbeholfen war, daß sie sich wie eine Dame in der Arbeit vertreten lassen mußte, noch an Streit denken? Es war schon ein großes Glück für sie, daß ihr Mann sie nicht aus dem Hause vertrieb, daß er sie ob ihrer Ungeschicklichkeit nicht schalt, ja, daß er sie sogar oft bemitleidete, kummervoll den Kopf über ihr Unglück schüttelte und so menschlich mit ihr sprach. Sie war gescheit genug, um das anzuerkennen und den Willen des Mannes so hoch zu achten, als wäre es Gottes Wille. Die Überlegungen, die sie dabei leiteten, waren ganz einfach. In ihren mitteilsamen Augenblicken sagte sie wohl zu ihren Nachbarinnen:

»Warum hat er mich denn geheiratet? Nicht wegen der Mitgift, denn ich hatte ja gar keine, sondern um eine gute Hausfrau zu haben. Ach! Und was für eine Hausfrau bin ich ihm denn? Zur Arbeit zieht es mich wie ein Pferd zum Brunnenwasser, doch ich kann nur ganz wenig schaffen. Wenn mich die Krankheit packt, dann vermögen die Hände nicht mehr zuzugreifen. Und er tat mir dafür bisher noch gar nichts an, nicht ein einziges böses Wort hat er mir bis jetzt gesagt. Er leidet nur und schweigt. Manchmal sagt er sogar: ›Vielleicht brauchst du irgend etwas, Agathe? Vielleicht sollte man dich wieder mal zum Quacksalber bringen?‹ Ein guter Mensch! Deshalb widerspreche ich ihm auch niemals. Möge ihm der allerheiligste liebe Gott in allem gnädig sein! …«

Andererseits war es aber auch gar nicht so einfach, Peter in einer Sache zu widersprechen. Auch er hatte manchmal Anfälle von Wut und Zorn, selten, doch um so furchtbarer. Man könnte sagen, daß in dieser ruhigen und ernsten Natur die Stürme um so fürchterlicher ausbrachen, je langsamer und länger sie sich gesammelt hatten. Früher, in seiner Jugend, war Peter seinen Eltern ein gehorsamer Sohn gewesen, der für ihr Alter sorgte. Als ihm jedoch die Mutter, die im Alter etwas komisch und grillenhaft geworden war, durch ständige Streitereien mit der Schwiegertochter allzu sehr zusetzte und die Kammer vor der Jungen verschloß, so daß er keine gekochte Mahlzeit vorfand, wenn er von der Arbeit auf dem Felde nach Hause kam, und hungrig bleiben mußte, versetzte er ihr einmal einen so heftigen Hieb, daß die Alte krank wurde, einige Zeit auf dem Ofen liegenblieb und schließlich starb. Vielleicht war der Hieb des Sohnes gar nicht die Ursache ihres Todes gewesen, denn schon vorher hatte sie gar keine Kräfte mehr gehabt, jedoch Peter nahm sich die Sache derart zu Herzen, daß er lange Zeit keine Ruhe fand und fast von Sinnen war. Seiner Frau und einem Gevatter, den er sehr gut leiden konnte, sagte er damals, daß er vor sich selbst eine solche Angst hätte, als ob er seine Seele dem Teufel verpfändet hätte. Von dieser Zeit an wurde er sehr fromm. Er fuhr zur Kirche, beichtete öfter, als es die anderen taten, flüsterte, wenn er hinter dem Pflug schritt, manchmal leise Gebete, und jeden Feiertag legte er am Kirchenaltar reiche Opfergaben nieder – riesige Brotlaibe und dicke Bündel Leinenstoffe. Es war, als hätte der Gedanke, das der Mutter zugefügte Unrecht habe seine Seele dem Teufel überliefert, ihn restlos mit Furcht und mit dem Verlangen erfüllt, sich vor Gott zu rechtfertigen. Mit der Zeit erwuchs daraus eine mystische Neigung, die sich zwar durch die ununterbrochene und schwere körperliche Arbeit nicht voll entfalten konnte, die jedoch in dem etwas schwärmerischen Blick sichtbar wurde, mit dem seine grauen Augen unter den buschigen Augenbrauen manchmal die Welt anblickten, und in dem besonderen Interesse und der Vorliebe für Wunder, Zauberei und alle Erzählungen über geheimnisvolle und übernatürliche Dinge. Diese Neigung wurde durch ein Ereignis aus der Kindheit seines jüngeren Sohnes Johann noch verstärkt. Der Junge kam zur Welt gerade in der Zeit, als Peters Frau zu kränkeln begann. In den ersten fünf Jahren seines Lebens magerte der kleine Hans völlig ab. Seine Haut wurde so gelb, daß er eher einer Wachsfigur ähnelte als einem kleinen Kinde. Seine Beine waren nach innen verrenkt, sein Mund stand ewig weit offen, und wenn er wie die anderen Kinder laufen wollte, fiel er jedesmal lang hin. Klemens war dagegen ein gesunder, starker Bursche und wuchs auf mit ungestümer Kraft – sowohl in die Breite als auch in die Höhe. Über den kleinen Hans weinte die Mutter oft. Die Nachbarinnen schüttelten über ihn bedauernd die Köpfe, und der Vater, der nach seiner Gewohnheit leise und langsam irgend etwas undeutlich vor sich hinmurmelte, ließ so manches Mal bei seinem Anblick den Kopf hängen. Es kam so weit, daß Agathe die dauernde Kränklichkeit und die ununterbrochene Pflege des Kindes, das durch viele Jahre eigentlich nicht aufgehört hatte, ein Säugling zu sein, mit der Zeit anzuekeln begann. Einmal sagte sie in ihrem Zorn und Leid zu den Nachbarinnen:

»Ach, vielleicht wäre es besser, wenn ihn der liebe Gott zu sich nehmen wollte …«

Da geriet Peter wiederum in unbändige Wut. Nach dem Tode der Mutter war er einige Jahre lang ganz ruhig geblieben. Jetzt wurde er aber durch den Zorn übermannt und hätte seine Frau bestimmt geschlagen, wenn sie ihm nicht weinend in den Arm gefallen wäre und um Mitleid mit ihrer Krankheit und ihrem Schicksal gebeten hätte. So schrie er sie an und schimpfte fürchterlich, doch er schlug nicht. Dann vertrieb er in beleidigender Weise die Nachbarinnen aus dem Hause, die mit ihrem Gerede das mütterliche Leid Agathes nur aufgestachelt hatten. Kurz nach diesem Auftritt setzte er sich mit dem kranken Kind auf den Wagen und fuhr mit ihm in einen durch Wunder bekannten Ort zum Ablaßgottesdienst. Wenn der liebe Gott an anderen Menschen seine Wunder wirken ließ, warum sollte er es an seinem Kinde nicht tun? Irgend jemand sagte ihm, daß man eine jener Wachsfiguren kaufen muß, die in den Vorhallen mancher Kirchen zum Kauf angeboten werden, und diese als Opfer auf den Altar legen soll. Nur so könnte man sich von Gott die Gnade seiner Wohltat erbitten. Peter kaufte eine solche Figur und ließ eine Messe für sein krankes Kind lesen. Kniend hörte er sie an und sprach seine Gebete laut und mit einem andächtigen Eifer, wobei sich tiefe Seufzer seiner Brust entrangen und der Betende sich kräftig auf die Brust schlug. Als die ministrierenden Knaben zur Hostienerhebung zu läuten begannen, hob er mit beiden Händen, die halb in den Ärmeln eines dicken Schafpelzes steckten, seinen Jungen hoch empor, als ob er ihn dem mitleidigen Gott näherbringen wollte. Er selbst erhob sein braunes, von einem dichten Bart umgebenes Gesicht hoch und blickte mit einem träumerischen Ausdruck in den Augen den dahinschwebenden bläulichen Rauchwolken nach, die über den Köpfen der Versammelten, über dem glänzenden Kerzenschimmer und den Verzierungen und Plastiken des Altars hoch unter die düstere Wölbung der Kirche emporzogen. Das Kind kehrte von dem Kirchenfest nach Haus so zurück, wie es weggefahren war – dürr, gelb, schwach, mit krummen Beinen und offenstehendem Mund. Bald jedoch, kaum einige Monate danach, begann sich sein Zustand sichtlich zu bessern, die Haut verlor die gelbliche Färbung und wurde weißer. Der Knabe nahm zu, hielt sich jetzt gerade. Kurz gesagt – er lebte geradezu auf. Dies geschah zwar in einer warmen und sonnigen Frühlingszeit, in der alles auflebte und aufblühte, was auf dieser Welt war – Bäume, Gräser, Blumen und auch Kinder. Außerdem hatte Aksena, die gerade damals in Peters Hütte Unterkunft gefunden hatte, der Frau des Bauern geraten, den kleinen Hans jeden Tag auf jene Sandbank zu bringen, die sich wie ein weißer Streifen am Ende des Dorfes erstreckte:

»Soll doch der Arme in diesem Sand spielen« – sagte sie – »denn wenn ihn die Sonnenstrahlen schön warm machen, dann wird er auch gesund. Es steckt in dem warmen Sand eine so heilige Kraft, daß er kranke Kinder zu heilen vermag …«, schloß Aksena und ließ Petrusia, die damals noch ein kleines Mädchen war, den kleinen Hans auf die Sandbank führen, mit ihm dort spielen und auf ihn aufpassen. Hans wurde zwar niemals so stark, so hübsch und so klug wie der nur etwas ältere Klemens, doch er wurde gesund, kränkelte und ächzte nicht mehr so wie früher und fiel nicht bei jedem Schritt hin. Mit der Zeit begann er mehr und mehr zu sprechen und bekam eine weiße Hautfarbe. In Peters Haus sprach man oft von dieser Genesung und überlegte, was die Gründe dafür gewesen sein möchten. Einige der Frauen falteten andächtig die Hände auf dem Schoß und sprachen:

»Das ist das Opfer, das Peter zum Kirchenfest am Heiligen Ort gebracht hat …«

»Der Sand ist es, zu dem Aksena geraten hatte …«

Jedoch Peter sagte darauf:

»Das Opfer zum Kirchenfest war es, und der Sand war es auch. Doch alles hatte der liebe Gott so gewollt; denn«, so sprach er mit großem Ernst weiter, »wenn der Sand eine solche heilige Kraft hat, dann hat sie ihm der liebe Gott gegeben. So ist es.«

»Es gibt aber auf der Welt auch eine böse, eine Teufelskraft«, bemerkte eine der Frauen.

»Das gibt's«, bestätigte Peter mit Überzeugung, und nach langem Nachdenken fügte er noch hinzu: »Doch in dem Sand ist eine göttliche Kraft gewesen, denn er hat ja Gutes getan, hat geholfen. Und wenn in ihm eine teuflische Macht gesteckt hätte, dann hätte er nur Böses bewirkt.«

Er überlegte noch eine Weile, hob den Zeigefinger und schloß:

»Die teuflische Macht hat dem Menschen nur immer Böses angetan und die göttliche nur Gutes. So ist es.«

Deshalb suchte Peter auch das göttliche Wohlwollen durch regelmäßige Fahrten in die Kirche an den Sonntagen, durch eifrige Gebete und Opfer für die Kirche in Gestalt von Broten, großen Käsestücken und Leinenstoffen zu gewinnen. Die Macht des Teufels fürchtete er sehr, obwohl er ihre Wirkung an seiner eigenen Person, wenigstens auf sichtbare Art, nicht erfahren hatte. Er spürte vor dieser Kraft einen großen Ekel und haßte sie aus tiefstem Herzen. Wenn in seiner Anwesenheit von Menschen gesprochen wurde, die wie Hexen und Zauberer aller Art mit Hilfe des Bösen anderen Menschen boshafte Streiche spielten, dann spie er voll Ekel und Haß durch die Zähne vor sich hin und sprach:

»Daß sie sich die Glieder verrenken! Möge ihnen die Todesstunde fürchterlich werden! Mögen sie das göttliche Himmelreich niemals sehen!«

Vom Reiche Gottes sprach Peter oft. Wahrscheinlich war dieses Reich jenes Gebilde, das sich irgendwo ganz oben, in verschwommenen und unklaren Umrissen, über ihm in jenen Augenblicken befand, wenn unter den dichten, hervorstechenden Augenbrauen seine Augen nachdenklich und sogar etwas träumerisch wurden.

Doch obwohl in seiner Vorstellung das himmlische Reich die seltsamsten Formen annahm, kümmerte er sich auch um das irdische. Seinen Hof bewirtschaftete er fleißig und vorsorgend und freute sich sehr, als ihm die Einwohner von Sucha Dolina das Amt des Dorfschulzen übertrugen. Im Zusammenhang damit wurde es augenscheinlich, daß auch er einen gewissen Ehrgeiz hatte und daß die Ehre, die ihn traf, seinem Stolz angenehm schmeichelte. Vordem hielt er sich ein klein wenig gebückt; jetzt, nachdem er Dorfschulze geworden war, wurde sein Rücken gerade, und er lächelte so breit und frei wie niemals zuvor. Trotzdem schritt er noch ernster als früher und begann mit sichtlichem Wohlgefallen, beinahe feierlich, an der äußeren Wand seiner Hütte eine blaue Tafel anzunageln, auf der, mit großen Buchstaben geschrieben, folgende Inschrift zu lesen war: »Peter Dziurdzia – Dorfschulze.« Um die öffentlichen Angelegenheiten, deren Pflege die Nachbarn ihm anvertraut hatten, kümmerte er sich eifrig und mit großer Geduld. Wenn ihn die Last der Mühen und Widerwärtigkeiten, die mit seinem Amt verbunden waren, allzu schwer drückte, pflegte er mit reumütiger Stimme zu sagen:

»Herr Jesus hat mehr gelitten« oder »Herr Jesus wird mich dafür im Himmelreich belohnen.«

So tat er seine Pflicht und Schuldigkeit, ohne auf die Widerwärtigkeiten, die ihm die anderen bereiteten, und auf die Mühen seiner Arbeit zu achten. Doch oft wurde er auch von einem rein menschlichen Stolz übermannt. Dann hob er die Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger und sagte in der ihm eigentümlichen, langsamen Art:

»Jetzt bin ich hier der Erste und höher gesetzt als alle anderen, so wie Er das wollte.«

Manchmal sprach er belehrend zu seinem älteren Sohn:

»Sieh zu, Klemens! Sei so wie ich, dann wird dir der allerheiligste Herrgott irdische Herrschaft und das himmlische Königreich schenken. Trinke nicht, verlange nicht nach fremdem Eigentum, tu, was dir zu tun gebühret, und laß dich nicht mit teuflischen Mächten ein. Vertraue dich der Macht Gottes an, denn – wie Er es sagte – sonst wirst du den Hof verlieren und der Seele verlustig werden. So ist es.«

Das für das Leben von Peter so wichtige Ereignis, die Wahl zum Dorfschulzen, fand einige Jahre nach der Hochzeit des Schmiedemeisters mit Petrusia statt. Aber schon kurz danach ereignete sich etwas, was den Einwohnern des Dorfes neuen Stoff für ihr Gerede lieferte. Das Dorfmagazin, in dem man Vorräte für Jahre der Mißernte aufhob, war schon so alt geworden, daß sein gänzlicher Verfall drohte. Die Polizei hatte schon einige Male auf die Notwendigkeit hingewiesen, endlich einen neuen Speicher zu bauen, und die Einwohner von Sucha Dolina sahen diese Notwendigkeit selbst ein. Doch sie zögerten mit dem Bau und verschoben ihn von Jahr zu Jahr. Gewiß, sie fürchteten die Kosten, die dadurch entstehen mußten, und hatten auch gar keine Lust, sich neue Sorgen und Mühen aufzubürden. Doch schließlich war es so weit gekommen, daß man nicht mehr zögern durfte. Gewollt oder ungewollt – der Speicher mußte gebaut werden. So lautete auch die ganz bestimmte und unwiderrufliche Anordnung von der Obrigkeit. Im Hause des Dorfschulzen wurde es ganz dunkel von den vielen Menschen, die dort zur Beratung dieser kostspieligen und ziemlich komplizierten Angelegenheit zusammengekommen waren. Peter Dziurdzia leitete die Versammlung mit dem gewöhnlichen Ernst und so vernünftig, wie man es immer von ihm gewohnt war. Er gab Hinweise, wann und wie das für den Neubau nötige Geld gesammelt werden sollte, wo und welche Holzsorten dafür gekauft werden müßten und zu welchem Preise die Vermessung jenes Bauplatzes vorzunehmen sei, auf welchem das neue Gebäude errichtet werden sollte. Bei diesen Überlegungen und Berechnungen half ihm sehr wirkungsvoll sein Vetter Stefan, der zu den besten, fähigsten Köpfen des Dorfes zählte – wenn er nicht betrunken und nicht in Wut und Zorn geraten war. Er war den anderen auch darin überlegen, daß er flott rechnen konnte. Niemand hatte ihm das jemals beigebracht, doch er besaß von Natur aus die Fähigkeit dazu und konnte es ganz von selbst. Da er diesmal nüchtern war und auch auf niemanden böse, dazu noch den Plan gefaßt hatte, bei der nächsten Wahl Dorfrichter zu werden, so saß er jetzt neben Peter und sprach breit und vernünftig, zählte schnell verschiedene Zahlen zusammen, multiplizierte und dividierte sie; mit einem Wort: er vergaß alles, was ihm in seinem privaten Leben fehlte und ihn ärgerte und gab sich ganz den Angelegenheiten des öffentlichen Wohles hin. Bei dieser Tätigkeit erhellte und beruhigte sich sein vorzeitig gealtertes und meist düsteres und zorniges Gesicht. Aber trotz der Vernünftigkeit und des Ernstes der beiden Brüder Dziurdzia brach in der Stube oft ein derartiger Lärm aus, daß die Versammelten einander nicht verstehen konnten. Alle begannen dort gleichzeitig zu reden, stießen sich mit Ellbogen und Armen von dem Tisch weg, hinter welchem der Dorfschulze saß, führten langwierige Streitereien um jeden Groschen, widersetzten sich jedem vorgebrachten Vorschlag. Peter ließ dies alles geduldig geschehen. Er setzte einigen aufmerksamen Zuhörern seine eigene Meinung auseinander, und nur manchmal, wenn ihn die Nachbarn zu beschimpfen und zu verfluchen begannen, murmelte er leise:

»Herr Jesus hat mehr gelitten!«

»Verfluchtes Vieh! Der Teufel und alle Wetter sollen euch holen«, schrie der hitzige Stefan und stieß die Heftigsten und Ungestümen mit der Faust vom Tisch weg. Allmählich geriet er mehr und mehr in Wut. Plötzlich wurde der Lärm der zankenden und streitenden Männer von einer kreischenden und verzweifelten Frauenstimme jäh unterbrochen. Es war die Frau von Peter, die wie von Furien gehetzt aus der Kammer heraussprang, sich verzweifelt nach beiden Seiten neigte und erbärmlich mit lauter Stimme schrie: »Mein Gott! O Gott! O mein Gott! Ach, du mitleidiger Gott!«

Da sprang auch die Magd, die jetzt Petrusias Stelle einnahm und in der Wirtschaft half, aus der Kammer heraus, raufte sich die Haare auf dem Kopf, lief in der Stube hin und her und begleitete die Bäuerin mit einer Stimme, die noch lauter und kreischender war:

»Ach, du allerheiligste Jungfrau Maria! Erbarme dich, erbarme dich über uns Unglückliche!«

Die Männer wurden ganz still, das Gerede und der Streit hörten mit einem Male auf. Mit geöffneten Mäulern standen sie versteinert wie Säulen da und folgten mit ihren Blicken den Frauen, die, wie von heftigen Krämpfen befallen, in der Stube umherliefen. Es dauerte ziemlich lange, bis es dem Hausherrn gelang, zuerst durch gutes Zureden, dann mit Drohungen, daß er ihnen den Buckel mit der Faust bearbeiten wolle, die Frauen soweit zu bringen, daß er fragen konnte, was eigentlich geschehen war. Es hatte sich in der Tat etwas recht Betrübliches ereignet. Aus der Kammer waren zwei Speckseiten verschwunden, zwölf Wurstpaare und zehn Ballen frischgewebtes Leinen. Alles das war gestohlen worden, zu einer unbestimmten Zeit gestohlen, durch irgend jemanden, der den inneren Fensterladen mit einem entsprechenden Werkzeug durchgesägt, den Verschlußriegel beiseitegeschoben hatte, durchs Fenster in die Kammer gekrochen war und alle die genannten Sachen mitgenommen hatte. Das Fenster der Kammer ging auf einen Garten hinaus, der in dieser vorgeschrittenen Herbstzeit leer und verschlammt war. Die Nächte im Herbst sind lang und dunkel …

Peters Frau war verzweifelt. Er selbst nahm sich den Verlust, den er da erlitt, offensichtlich weniger als sie zu Herzen, doch auch ihn betrübte er. Vor allem ergriff ihn eine heftige Empörung gegen den unbekannten Täter. Die Menschen, die sich hier zur Beratung versammelt hatten, waren mit ihren Auseinandersetzungen noch nicht zu Ende gekommen. Sie sollten auch während der nächsten Zusammenkünfte damit noch nicht fertig werden. Jetzt gingen sie langsam auseinander. Peter blieb in der Stube. Er saß nachdenklich am Tisch und stützte die Ellbogen auf die Platte. Drei Frauen standen vor dem Ofen, in dem das Feuer mit heller Flamme brannte, und unterhielten sich laut über den unangenehmen Vorfall. Es waren drei Frauen aus der Familie Dziurdzia: die Frauen von Peter, Stefan und Simon Dziurdzia. Es waren auch drei verschiedene Typen von Bauersfrauen, die drei gänzlich voneinander verschiedene Frauenschicksale verkörperten. Peters Frau, nicht mehr ganz jung, krank, doch ruhig und noch recht hübsch – die Frau eines guten Mannes, Bäuerin in einer wohlhabenden Hütte und Mutter zweier heranwachsender Söhne. Sie legte vor der Brust die Arme übers Kreuz, schüttelte jetzt nur traurig den Kopf über den erlittenen Schaden und wiederholte ganz leise:

»Was für schlechte Menschen! Ei, ei! Welch nichtswürdige Menschen gibt es!«

Flink wie eine Natter, schwarzäugig, dunkelhäutig und feurig war die Frau Stefans. Dazu eine in der ganzen Gegend weit und breit bekannte Klatschbase, von der übrigens alle wußten, daß sie der Mann nicht leiden konnte und daß sie ihn immer schlug oder von ihm geschlagen wurde. Gleich bei der ersten Nachricht über das, was sich im Hause von Peter ereignet hatte, ließ sie das unlängst geborene und in vier Jahren des ehelichen Zusammenlebens einzige Kind allein zu Hause und kam zu Peter gelaufen. Sie schrie, verfluchte die Diebe und gebärdete sich so gefährlich im Lärmen, als ob sie selbst von einem dazu noch hundertmal schlimmeren Unglück befallen worden wäre.

Simons Frau schleppte sich nur mühsam und langsam bis hierher, mit einem Kind auf dem Arm, das schon das sechste oder das siebente war. Sie war noch nicht alt und auch nicht unschön, doch furchtbar abgezehrt, mit einer runzeligen Stirn und mit einem ewigen Zug der Unzufriedenheit um den Mund. Peters Frau, obwohl älter und durch Krankheiten angegriffen, sah weit besser aus als sie. Kein Wunder – es war doch die Frau eines Säufers, der bei einem jüdischen Schenkwirt bis über die Ohren in Schulden steckte. Sie wohnte immer noch in einer alten Rauchhütte, die mit Kindern überfüllt war, wogegen die Kammer leer stand. Kein Wunder, daß sie nicht lustig schwatzen konnte.

In Agathes Gesicht und Wesen spiegelten sich klar und deutlich Ruhe und Wohlstand. Rosalka, Stefans Frau, merkte man einen hitzigen, durch das schlechte Eheleben fast bis zur Wut erglühten Charakter an. Die dritte, die Frau des Säufers Simon, gekennzeichnet durch Armut und Kummer, hieß Paraska. Sie wiegte und kuschelte das Kind, das in der Brust der Mutter nur wenig Nahrung finden konnte und laut zu schreien begann. Ununterbrochen wiederholte sie mit Bewunderung, die mit einer Art von gottesfürchtiger Hochachtung gefärbt war, immer wieder dieselben Worte:

»Zwei Speckseiten und zehn Ballen Leinenstoff! Ach, mein Gott, mein Gott! Zwei Speckseiten, zehn Ballen Leinen und zwölf Wurstpaare … Ach Gott! Mein Gott!«

Über einen solchen Reichtum, über die Tatsache, daß soviel Sachen aus der Kammer gestohlen wurden, ohne daß die Geschädigten einer gänzlichen Verarmung anheimfielen, konnte sie sich nicht genug wundern und erfreuen. Sie beneidete die Verwandten nicht. Nein, es tat ihr sogar leid, daß sie so geschädigt worden waren; und doch füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie konnte daran ihre eigene Armut ermessen, denn der Diebstahl ließ diese um so spürbarer erscheinen. Rosalkas Augen dagegen erglühten immer mehr. Sie blitzten auf und flogen umher wie die Augen einer Irren. Doch ihre Zunge bewegte sich noch schneller als ihre Pupillen. Die schrecklichsten Flüche warf sie über das Haupt des unbekannten Diebes, doch es war schon allgemein bekannt, daß sie immer jemanden oder etwas beschimpfen mußte. Angeblich sollte ihr das eine Erleichterung in dem Kummer bringen, der sich bei anderen in Tränen auslöste, sie dagegen entflammte und erhitzte.

Die traurige, doch schon inzwischen wieder sanft gewordene Stimme Agathes drang durch den kreischenden Redeschwall Rosalkas:

»Da kann kommen was will«, sagte sie, »und ich werde doch wissen, wer dieser Dieb war!«

Sie wandte sich an Peter:

»Peter!« sagte sie mit einer Stimme, aus der man ein gutes Einvernehmen und ein freundschaftliches Verhältnis zum Mann heraushören konnte, »geh doch mal zu Aksena … Frag sie doch … Vielleicht weiß sie etwas, um diesen Dieb zu entdecken.«

Wider Erwarten der Frauen widersprach Peter mit keinem einzigen Wort diesem Wunsche, sondern stand gleich auf, setzte die große Schafpelzmütze auf den Kopf und ging aus dem Hause.

Es war ein dunkler Herbstabend. Der Wind heulte im Garten und zerrte an den Bäumen. Unter dem Himmel hingen dunkle Wolkenfetzen, die wie schwere Vögel dahinflogen, die Sterne abwechselnd verdeckten und sie dann wieder dem Blick freigaben. Auf dem schlammigen Pfad, der sich zwischen den Wänden der Viehställe und Scheunen und zwischen den Gartenumzäunungen hindurchschlängelte, ging der breitschultrige Bauer, in Pelz gekleidet, die Schafpelzmütze auf dem Kopfe. Sein Rücken war leicht vorgebeugt, sein Schritt schwer. Er ging in Richtung des Schmiedehofes. Schon von weitem konnte man die Schmiede sehen, aus der ein rotes Licht kräftig hervorbrach, und konnte das Rattern der wegfahrenden Wagen hören. Vor dieser Schmiede war immer eine Bewegung wie zur Kirchmeß oder zum Jahrmarkt. Aus der ganzen Gegend kamen die Menschen zum Michael, denn einen solchen Schmied gab es nirgends. Doch jetzt war es Abend geworden, und diejenigen, die ihre Pferde hier hatten beschlagen, die Wagenräder bereifen, eine Axt sich schmieden oder ihre Wagen und Pflüge ausbessern lassen, fuhren jetzt nach Hause. Sie fuhren auf dem Wege, den die großen Weidenbäume säumten. Darinnen hatten sich Nachteulen und Käuzchen eingenistet, die jetzt heulten. Vor der offenen Tür der Schmiede war niemand mehr zu sehen. Nur der Schlamm lag hier knöchelhoch, durch Wagenräder und durch Pferdehufe breitgeschmiert und vertieft. Peter Dziurdzia blieb in diesem Schlamm stehen und blickte eine Weile mit einem gewissen Vergnügen in das Innere der Schmiede. Vom roten Licht erfüllt, zeichnete es sich scharf und deutlich von der draußen herrschenden Dunkelheit ab. In diesem Licht konnte man sehr gut die Gestalt des jungen Schmiedes sehen, der mit seiner Arbeit noch nicht aufgehört hatte. In Hosen und im Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren, erhob der starke und gutgebaute Mann rasch die sehnigen Arme und schlug kräftig mit dem Hammer auf das erglühte Eisen. Wie ein feuriger Regen sprühten die Funken unter dem Hammer, fielen zu Boden oder spritzten fächerartig nach oben, so daß das dunkle Gesicht mit dem schwarzen Schnauzbart und der dunkle Schopf des Mannes von einem roten Schein umgeben waren. Er arbeitete schnell und mit Lust, vor allem mit großer Lust. Von Zeit zu Zeit sprach er etwas zu dem helfenden Knaben, sang manchmal irgend etwas, und wenn der Schlag geschickter und stärker als gewöhnlich sein sollte, dann rief er beim Heben und Senken des Armes wie im Tanz aus: »Hu, ha!«

Mit einer gewissen Zufriedenheit blickte Peter eine Weile auf diese forsche und lustige Arbeit. Dann ging er noch etwa zwanzig Schritte weiter und verschwand in dem Hause des Schmiedes.

Die Stube war in diesem Haus fast so wie bei Peter, groß, mit gedieltem Fußboden und völlig rauchfrei, da der Rauch durch eine lange Esse hochstieg. Nur daß man hier einige Neuerungen finden konnte, die es zu Urgroßvaters und Großvaters Zeiten nicht gegeben hatte. Außer den Tischen und Bänken standen da noch zwei hölzerne Stühle. An den ziemlich großen Fenstern sah man in Vasen das Grün einiger niedriger Pflanzen, auf einem kleinen Schrank mit zwei Scheiben glänzte ein metallener Samowar. Diese Neuerungen hatte der Schmied aus der großen Welt mitgebracht. Vielleicht hatte sie auch Petrusia kennengelernt, während sie als Gutsmagd auf dem Adelshof in der Nähe gearbeitet hatte. Diese Freisinnigkeit ging jedoch nicht soweit, daß man den riesigen Ofen mit dem verrauchten Inneren an einer anderen Stelle aufgebaut hätte. Jetzt brannte darin – wie um diese Zeit in jeder anderen Bauernhütte – ein großes Feuer. Auch zu Kerzen oder Lampen hat sich jene Freisinnigkeit nicht emporgeschwungen. In den Ritzen zwischen den Ziegelsteinen des Ofens steckten brennende Kienspäne, die mit ihrem verqualmten und roten Schein die Gestalt der alten Aksena beleuchteten, und zwar so, daß sie jedem, der die Stube betrat, zuerst in die Augen fallen mußte. Nach seiner alten Art saß das knochengelbe Großmütterchen auf dem Ofen, in einem grauen Kittel und mit einer schwarzen Haube auf dem Kopfe. Sie saß in aufrechter Haltung, zog mit der einen Hand aus der Kunkel den Leinenfaden und drehte mit der anderen den Spinnrocken. Petrusia trug in der Stube ein einjähriges Kind hin und her und suchte es mit halblautem Gesang einzuschläfern. Freundlich und ernst erklang jetzt in der Tür der Stube die Begrüßung Peters:

»Gelobt sei der Herr!«

»In alle Ewigkeit …«, antwortete Petrusia, sichtlich erfreut. Mit dem Kind auf dem Arm, mit Augen, in denen die Zufriedenheit glänzte, lief sie dem Gast entgegen und küßte ihm die Hand. Aksena, die seit ihrer Erblindung ein sehr scharfes Gehör hatte, erkannte Peter an der Stimme. Sie hörte einen Augenblick auf zu spinnen und nickte zum Zeichen der Begrüßung so heftig mit dem Kopfe, daß ihre weißen Haare um die schwarze Haube flatterten. Dann dankte sie ihm mit der rauhen und durch den Ausfall der Zähne lispelnden Stimme dafür, daß er zu Besuch gekommen sei. Inzwischen hatte Petrusia das eingeschlafene Kind in die Wiege gelegt, wischte mit der Schürze einen der Stühle ab und bat ihren ehemaligen Bauern, darauf Platz zu nehmen. Freudig lächelnd, zeigte sie dabei eine Reihe blendend weißer Zähne. Peter sah sich den Stuhl an, als ob er mit dem Blick prüfen wollte, ob er unter seiner Last zusammenbrechen würde. Doch mit einer gewissen Vorsicht setzte er sich schließlich.

»Nun« – begann er und blickte sich in der Stube um – »ganz herrschaftlich habt ihr's hier, schön … Stühle haben sie sich ausgedacht und auch einen Samowar … Ach, ach!«

»Herrschaftlich oder auch nicht herrschaftlich«, fiel Aksena ein. Ihre kaum sichtbaren Lippen zogen sich vor lauter Zufriedenheit von einem Ohr zum anderen auseinander. »Gott sei Dank, fehlt es aber an nichts … Es ist alles da … Brot gibt's genug, und eine heilige Eintracht herrscht hier, so, wie es sein soll … So, wie es der liebe Gott befahl …«

»Und ein Sohn ist auch da …«, fügte Peter hinzu und blickte mit einer scherzenden Gutmütigkeit Petrusia an.

Sie schämte sich nun etwas und ließ den Blick sinken. Doch immer noch lustig lächelnd, antwortete sie ihm:

»Ja, auch einen Sohn haben wir.«

»Und der zweite kommt bestimmt noch dazu«, scherzte der Dorfschulze weiter.

Diesmal wurde die junge Ehefrau krebsrot, wandte das Gesicht weg von ihm und lachte leise. Auch Aksena lachte auf dem Ofen mit ihrer alten Stimme, die an das trockene Klappern einer hölzernen Schnarre erinnerte.

»Soll es etwa nur noch einer werden? Ach! Ach! Das wird noch mehr als einer«, sagte sie.

»Gott gebe, daß alles glücklich bleibt«, schloß Peter wohlwollend, und in demselben Augenblick kam der Schmied in die Stube herein. Bevor er die Schmiede verließ, hatte er einen grauen Spenzer angezogen, der mit einer grünen Borte benäht war. Dieser Anzug war recht kleidsam, er sah gut darin aus. Sein Gesicht war gerötet und durch die Arbeit verschwitzt. Als er Peter erblickte, freute er sich sehr und küßte ihm beide Arme. Weder er noch Petrusia hatten es vergessen, daß die alte Aksena und ihre Enkelin einige Jahre lang in Peters Haus Unterkunft gefunden und sein Brot gegessen hatten. Sie hatten es zwar nicht umsonst gehabt, doch es war gut und durch die Freundlichkeit der beiden Bauersleute noch schmackhafter gewesen. Daß es später anders wurde und die beiden wieder in die Fremde ziehen mußten, daran war Peter nicht schuld.

»Petrusia!« rief der Schmied seiner Frau zu, »mach doch mal für den Onkel Tee …«

Peter rückte sich auf dem Stuhl zurecht. Er trank sehr gern Tee, aber auch sehr selten. Nur manchmal, wenn er in das Städtchen fuhr, wo er zur Kirchenfeier oder zum Jahrmarkt mußte. In seinem eigenen Hause wollte er aber keinen Samowar haben, denn seine Urgroßväter und Großväter hatten auch keinen gehabt.

»Oho!« bemerkte er, »ihr macht's ja wie die Herrschaften – ihr trinkt Tee …«

»Jeden Tag trinken wir nicht, doch manchmal tun wir es«, antwortete der Schmied … »Was soll man denn tun? Schnaps nehmen wir so gut wie gar nicht in den Mund, und so muß man doch mit etwas anderem manchmal den Bauch aufwärmen … Auch der alten Großmutter verlängert dieses Kraut das Leben. Wenn sich ein Gast einfindet, dann ist es ebenfalls gut, etwas anzubieten …«

»Gewiß ist es gut. Warum auch nicht?« bestätigte Peter und begann den Schmied nach verschiedenen Neuigkeiten zu fragen, von denen dieser eine ganze Menge wußte. Ein gut Stück Welt hatte der Schmied ja gesehen, und auch jetzt kam er, wie jeder Handwerker, mit sehr vielen Leuten zusammen. Michael brauchte man auch nicht lange zu einer Unterhaltung einzuladen, denn er war von Natur aus gesprächig und lustig. So begann er jetzt seinem Gast breit und behäbig von irgendeiner Stadt zu erzählen, in der er als Soldat einige Jahre verbracht hatte. Petrusia hatte inzwischen das Wasser im Samowar gekocht und goß nach einigen Minuten aus einem tönernen Teekessel den Tee in drei dicke, grünlich schimmernde Gläser. In jedes legte sie einen Zinnlöffel hinein, und auf eine weiße Untertasse warf sie einige Zuckerwürfel. Die Gefäße und den Zucker nahm sie aus dem Schränkchen heraus und lief jetzt barfuß, flink und geschickt, so geschäftig und schnell in der Stube umher, daß die Gläser und Löffel in ihrer Hand klirrten. Zwei Gläser mit eingegossenem Tee stellte sie für den Gast und ihren Mann auf den Tisch, sprang dann auf eine Bank und stellte das dritte auf den Ofen. Während sich die beiden Männer ununterbrochen unterhielten, goß sie den Tee aus diesem Glas auf eine Untertasse und blies mit runden Backen, laut und mit aller Kraft, um ihn abzukühlen. Dann berührte sie mit den Fingerspitzen die Flüssigkeit, und als sie sich überzeugt hatte, daß sie wirklich nicht mehr heiß war, setzte sie den Rand der Untertasse der Großmutter an die Lippen und sagte:

»Trink, Großmütterchen, trink!«

Sie saß auf dem Rand des Ofens und gab der blinden Großmutter Tee zu trinken. Zu Hause trug sie kein Tuch auf dem Kopf. Die dunklen Haare fielen gelöst um ihr Gesicht. Ihre Stirn war so glatt und heiter, in den Augen glänzte soviel Munterkeit, daß sie einem jungen Mädchen glich, obwohl in der Kinderwiege ein etwa einjähriger Knabe schlief. Michael unterhielt sich weiter mit Peter, doch er sah ein- oder zweimal seine Frau an, unterbrach für einen Augenblick das Gespräch und seine Erzählung und fragte:

»Petrusia, du trinkst wohl keinen Tee?«

Sie blies die Lippen etwas vor, trommelte mit nackten Füßen an die Wand des Ofens und gab zur Antwort:

»Ich will nicht, ich mag keinen Tee trinken! Das ist ja ein scheußliches Kraut! Mir schmeckt die Mehlsuppe mit Speck weit besser!«

Diese Bemerkung über Speck erinnerte Peter an das eigentliche Ziel seines heutigen Besuches. Er stützte also den Ellbogen auf die Tischplatte, legte das Gesicht auf die flache Hand und begann jenen unangenehmen Vorfall zu erzählen, der sich in seinem Hause ereignet hatte. Die Anwesenden wunderten sich und bemitleideten ihn. Besonders beschäftigte sie die Frage, wer es gewesen sein könnte – dieser Dieb. Da erinnerte sich der Schmied, daß er gestern, gerade auf dem Heimweg vom Nachbardorfe, wohin er geschäftlich hatte gehen müssen, irgendeinen Menschen gesehen hatte, der mit einem Sack über der Schulter schnell an den Zäunen entlanggelaufen war.

»Und wie sah er aus, dieser Mensch,« fragte Peter neugierig. Der Schmied sagte ihm, daß es ein kleiner, magerer Mann war, der – wie es ihm schien – einen grauen Bart hatte. Dieses letztere Merkmal schien ihm jedoch nicht ganz sicher zu sein, denn es war ja Nacht, als er ihm begegnete. Andererseits hatte er ihn aber aus ziemlicher Nähe gesehen, und da die Sterne gerade hell schienen, glaubte er trotzdem, daß der Unbekannte einen grauen Bart hatte. Zuerst wurde Peter nachdenklich, doch dann sagte er:

»Das sieht ja so aus, als ob es Jakob Schischko wäre.«

In dem Verdacht, der jetzt gegen Jakob Schischko ausgesprochen wurde, war nichts Außergewöhnliches. Schon einige Male in seinem Leben war diesem ein Diebstahl nachgewiesen worden, und vor kaum zwei Jahren hatte er sechs Monate im Gefängnis verbringen müssen, weil er über das Dach in die Gutsscheune eingebrochen war. Doch jetzt war es nur ein Verdacht. Peter blickte in das blinde Gesicht Aksenas.

»Ich bin mit einer Bitte zu Euch gekommen«, sagte er. »Vielleicht kennt Ihr irgend so ein Mittel, um diesen Dieb zu finden …«

Die Frau schwieg eine Weile und begann dann nachdenklich mit ihrer rauhen, heiser klingenden Stimme, mit ihrem zahnlosen Munde zu sprechen:

»Warum sollte ich denn so ein Mittel nicht kennen? Ich kenne schon eins. Nehmt ein Sieb, stecht in dieses eine Schere hinein, und dann müssen zwei Menschen die Finger durch die Griffe der Schere stecken und verschiedene Namen nennen, die ihnen gerade einfallen … Bei wessen Namen sich das Sieb zu drehen beginnt, der ist der Dieb gewesen … Und das ist ganz bestimmt wahr, was ich sage. Ich hab's nicht nur einmal gesehen. Hundertmal habe ich das mit eigenen Augen gesehen …«

Sie schwieg jetzt, streckte den Arm aus und drehte mit ihren gelben Fingern einige Male die Kunkel. Der Schmied begann laut zu lachen:

»Das ist ja Dummheit«, sagte er.

»Michael!« die Stimme Petrusias klang beinahe erschrocken, »du bist immer so! Bei dir ist alles gleich Dummheit. Ach, du Ungläubiger!«

Die Ungläubigkeit des Mannes empörte sie so, daß sie im Gesicht ganz rot wurde. Er aber nahm ihren Vorwurf sehr nachsichtig hin und murmelte jetzt noch ganz leise:

»Ach, die Weiber, die dummen Weiber!«

Doch Peter hörte mit außerordentlicher Aufmerksamkeit und großem Ernst den Worten Aksenas zu, die den Arm mit der Kunkel herunterließ und noch hinzufügte:

»Man kann mit einem Sieb den Dieb herausbekommen, aber man kann es auch mit einem Evangelium tun … Das ist nun halt überall verschieden … Mancherorts macht man das mit dem Sieb, mancherorts aber mit dem Evangelium … Das ist schon ganz leicht … Es ist auch ganz egal … Wie es eben einer haben will.«

Peter fuhr sich mit der Hand durch die Haare:

»Dann möchte ich lieber mit dem Evangelium«, sagte er und fügte nach einer Weile noch hinzu, »es ist immerhin eine göttliche Sache und eine göttliche Kraft im Evangelium.«

»Nun, dann muß man genau so wie in das Sieb in das Evangelium die Schere hineinstechen …«, belehrte die Großmutter.

»Dummheit!« lachte der Schmied wieder auf. Petrusia sprang an ihn heran und schloß ihm den Mund mit der Hand. Er aber faßte sie um die Taille, drehte sich mit ihr zweimal im Kreise und kitzelte sie dann so kräftig, daß sie laut und unbeherrscht lachte und auf eine Bank fiel. Peter beachtete das lustige Treiben der jungen Leute nicht. Ihm lag etwas viel Wichtigeres auf dem Herzen, und dazu erfüllten ihn alle Gespräche über Wahrsagungen, Wunder und Zauber immer durch und durch mit einer geheimnisvollen und furchteinflößenden Feierlichkeit. So erhob er sich von seinem Stuhl und begann mit einer gewissen Verlegenheit zu sprechen:

»Ich danke Euch, Aksena, für Euren Rat … Nur – wie soll man es machen? … Das müßte ja schon jemand machen, der sich darauf auskennt und der das versteht.«

»Ich werde es für Euch machen, Onkel!« rief Petrusia, die sich plötzlich von der Bank erhob. »Warum soll ich's denn nicht tun? So viele Jahre habe ich Euer Brot gegessen und sollte Euch jetzt diesen Dienst nicht erweisen …? Ich gehe gleich mit.«

Und schon war sie dabei, die Schuhe anzuziehen. Niemals ging sie ohne Schuhe ins Dorf. Ihr Mann hatte große Freude daran und war stolz darauf. Er kaufte ihr auch allerlei Kleider, und auch Petrusia selbst gefiel es sehr, sich mit ihrem Glück vor diesen Menschen zu zeigen, unter welchen sie früher die Allerärmste und Allerletzte gewesen war. In Schuhen also, in einem gekauften Rock aus buntem Perkalstoff, in einem hübschen neuen Kittel und einem buntgeblümten Kopftuch ging sie einige Minuten später in das Haus des Dorfschulzen hinein, verneigte sich tief vor ihrer ehemaligen Bäuerin und küßte ihr die Hand. Den zwei anderen Frauen, die in der Stube standen, nickte sie dagegen nur mit dem Kopfe zu. Sie wußte ganz genau, daß sie für die beiden anderen etwa dasselbe bedeutete, was ein Salzkorn für ein gesundes Auge ist. Die eine machte sie für ihre unglückliche Ehe verantwortlich, die andere beneidete sie um des Wohlstandes willen. Im Augenblick vergaßen aber beide ihren Groll gegen Petrusia, denn ihre Neugierde erwies sich stärker als ihr Haß. Sie versammelten sich um die Neuangekommene und stellten ihr viele, viele Fragen. Die junge Frau begann sich jedoch sogleich mit den beiden noch unerwachsenen Söhnen des Bauernpaares zu unterhalten und mit ihnen zu lachen. Sie kannte beide beinahe seit dem Säuglingsalter. Sie kniff Klemens in die rote Backe und steckte Hans den Finger in den Mund, der meistens offenstand. Dafür packten sie die beiden Burschen so an den Füßen, daß sie in der Mitte der Stube längs hinfiel. Jetzt hielten sich die Frauen und die Kinder vor lauter Lachen die Bäuche. Es war ja überall bekannt, daß dort, wo Petrusia hinkam, gleich viel geredet, gesungen und gelacht werden mußte. Einzig und allein Rosalka dachte nicht ans Lachen. Sie setzte sich auf einen Holzklotz vor den Ofen, stützte das Kinn auf die flache Hand und verfiel in ein düsteres, schweigsames Nachdenken. Plötzlich wurde es mäuschenstill in der Stube. Peter kam aus der Kammer heraus. Er trug in der Hand ein kleines Büchlein in einem zerrissenen Einband, mit gelb gewordenen Blättern. Es war das Evangelium, das er seit vielen Jahren ehrfurchtsvoll ganz unten in der Truhe aufbewahrt hatte. Er hatte es einstmals von einem sehr, sehr alten Väterchen geerbt, das von Gut zu Gut zog und schließlich in Sucha Dolina in Peters Hause starb. Peter zimmerte dem alten Mann eigenhändig einen Sarg aus vier Brettern und ließ ihn ordentlich begraben. Das Buch des alten Bettlers behielt er aber in seinem eigenen Hause, weil er in ihm einen heiligen Gegenstand sah. Da er selbst sich nicht aufs Lesen verstand, schlug er es niemals auf und vertiefte sich nie darein, doch er sah in der Tatsache, daß es tief in der Kiste verborgen lag, eine Art Sicherung seines Hauses vor jeder unlauteren Kraft.

Jetzt holte er das Buch mit tiefer Ehrfurcht aus der Kammer, brachte es in die Stube und reichte es schweigend Petrusia. Diese holte aus der Tasche des Kittels eine Schere hervor, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, und wurde in diesem Augenblick so ernst, daß man in ihr niemals die junge Frau hätte erkennen können, die erst vor einigen Augenblicken mit halbwüchsigen Burschen in der Stube umhergetollt und Purzelbäume geschlagen hatte. Ihr Gesicht wurde ernst, sie zog die Stirn leicht in Falten, und die nach oben gerichteten Augen nahmen einen Ausdruck an, als ob sie betete. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. Nach ihr seufzten auch die anderen Frauen, sogar Rosalka. Peter schlug das Kreuzeszeichen auf der Brust, und dasselbe taten auch seine beiden Söhne – der groß gewachsene und gesunde Klemens, dessen Augen neugierig glühten, und der kleine und blasse, magere Hans. Der Mund des letzteren stand diesmal noch weiter offen als sonst. Plötzlich stieß Petrusia mit einer einzigen schnellen Bewegung die geöffnete Schere in den Rücken des Buches, fuhr mit dem Zeigefinger in den einen Griff, wies auf den anderen hin und sagte zu der Frau von Peter Dziurdzia:

»So haltet doch, Tante!«

Diese tat jetzt, was man ihr sagte. Das Buch hing an den Spitzen der Scherenschneiden, seine vergilbten Blätter öffneten sich breit und fächerartig nach unten.

»Jetzt müßt ihr sprechen!« entschied Petrusia. »Nennt verschiedene Namen, die ihr gerade nennen wollt. Bei wessen Namen sich das Evangelium zu drehen beginnt, der ist der Dieb.«

Rosalka kam als erste mit ihrer Frage:

»Anton Budrak?« sagte sie fragend und wünschte sich dabei von ganzem Herzen, daß das Buch die angekündigte Bewegung vollführen möchte, denn gerade gestern hatte sie sich mit Budraks Frau beim Spülen der Wäsche am Teich geschlagen. Doch das Buch rührte sich nicht.

»Leonhard Kuziauka?« fragte mit hoher Diskantstimme die Frau von Simon Dziurdzia, denn Leonhard gehörte zu den ungeduldigsten Gläubigern ihres Mannes. Doch das Buch blieb auch jetzt unbeweglich. Ein Name nach dem anderen fiel jetzt aus dem Munde der Frauen und Jungen, die sich überglücklich fühlten, bei dieser so wichtigen Handlung auch eine gewisse Rolle zu spielen. Doch das Buch gab bis jetzt keine Antwort. Schließlich sagte Peter, der als einziger bis jetzt noch gar keinen Namen genannt hatte, mit seiner gedämpften Baßstimme:

»Jakob Schischko?«

Nicht umsonst war vor einer halben Stunde im Hause des Schmiedes der Verdacht auf einen Menschen gefallen, der diesen Namen trug. Petrusias Finger erzitterte so leicht, daß dieses Zittern von keinem der Anwesenden beobachtet werden konnte. Auch sie selbst merkte nichts davon, doch das Buch beschrieb jetzt eine geringe, kaum sichtbare und langsame Wendung im Halbkreis.

»Aha!« sagten im Kreis sieben Stimmen.

Langsam und bedächtig zog jetzt Petrusia die Scherenspitzen aus dem Rücken des Buches, verneigte sich in Andacht und küßte den alten Einband des Evangeliums. Ihrem Beispiel folgten alle anderen. Der Reihe nach küßten das Buch die Frauen und die beiden Jungen, die es so inbrünstig taten, daß es wie ein Schmatzen beim Essen klang. In einem langen und demütigen Kuß berührte Peter mit seinen Lippen das Büchlein und trug es danach wieder in die Kammer zurück, wobei er sich mit einem Kienspan leuchtete. Dann sagte der Chor der Frauen und Jungen noch einmal: »Aha!«, und aus diesem Ausruf konnte man die verschiedensten Gefühle heraushören: Entrüstung, Freude und auch Dankbarkeit für etwas, was ihnen ermöglicht hatte, den Dieb zu entdecken. Was dieses »Etwas« eigentlich war, danach fragten sie nicht und suchten es auch gar nicht zu ergründen. Sie fühlten nur und dachten sich, daß es eine besondere Kraft gewesen sei, die ihnen durch Petrusias Vermittlung geholfen hatte. Noch an demselben Abend lief die feurige Rosalka im Dorf herum, und auch die niedergeschlagene Paraska ging mit ihrem wimmernden Kind auf dem Arm von Haus zu Haus. Beide erzählten jetzt um die Wette alles das, was sich im Haus von Peter Dziurdzia abgespielt und im einzelnen dort zugetragen hatte – nur daß die eine es schnell und hitzig erzählte, die andere aber langsam und tölpelhaft wie immer.

Danach gingen aber nur undeutliche Gerüchte um, was zwischen Peter und Jakob vorgefallen war. Angeblich sollte der erstere in einem bei ihm selten vorkommenden, doch um so heftigeren Wutanfall Jakob in dessen eigener Hütte tüchtig verprügelt und ihm mit einer Gerichtsverhandlung gedroht haben, falls er die Schuld nicht zugeben und die gestohlenen Sachen nicht sofort zurückerstatten werde. Jakob wußte aus eigener Erfahrung, daß es nicht immer gelingt, sich vor dem Gericht herauszureden, und verspürte auch keinerlei Lust, auf seine alten Tage zum dritten Male ins Gefängnis zu wandern. Als außerdem noch seine Schwiegertöchter und Töchter mit den kleinen Kindern auf dem Arme dem erzürnten Dorfschulzen zu Füßen fielen und ihn baten, den Hof nicht zu ruinieren, da fing der alte Übeltäter an zu weinen, bekannte Peter seine Tat und gab ihm zwei Speckseiten und fünf Ballen Leinen zurück. Von dem fehlenden Rest behauptete er aber, daß er ihn irgendwo verloren haben müßte. Die Würste sollten ihm durch irgend einen Zufall die Hunde aufgefressen haben. Er weinte dabei, schlug sich zur Bekräftigung seiner Worte mit der Faust auf die Brust und schwor beim Heil seiner Seele, daß es wirklich so gewesen sei. Die Schwiegertöchter und die Töchter Jakobs wußten, daß er die Unwahrheit sprach. Sie standen dichtgedrängt in einer Ecke der Stube und schwiegen. Vielleicht wird Peter doch dem Alten glauben, und die fünf Ballen Leinen und die Würste werden in der Stube bleiben! Peter glaubte zwar nicht, doch sein Zorn hatte sich inzwischen etwas gelegt. Er mußte auch schließlich bemerkt haben, wie arm die Hütte von Jakob war und welche große Schar von Menschen hier beisammenwohnte. Es waren wohl an die dreizehn Seelen, alte, junge und kleine. So viele Menschen für die Schuld eines einzigen büßen zu lassen und selbst noch große Scherereien mit dem Gericht zu haben – das wollte Peter nicht. Deshalb winkte er resigniert mit der Hand ab und nahm das mit, was man ihm zurückgab. Über die Sachen, die zurückbehalten worden waren, murmelte er nur leise durch die Zähne:

»Der allerheiligste Herrgott wird mir dieses Unrecht im himmlischen Reiche vergelten …«

Auf diese Weise war die Angelegenheit für ihn erledigt. Doch die anderen Einwohner von Sucha Dolina konnten den Vorfall lange nicht vergessen. Vor allem vergaß ihn aber Jakob Schischko nicht, der von dieser Zeit an, so oft er Petrusia sah, jedesmal zur Seite ausspie und murmelte:

»Daß du zugrunde gehst! Verschwinde, du Teufelskraft!«

Nichts in der Welt hätte ihn in der Überzeugung erschüttern können, daß dieser Frau eine geheimnisvolle und nur ihr allein bekannte Macht seine Tat verraten hatte. Er begann Petrusia zu hassen und zugleich zu fürchten. Auch einige der Frauen im Dorf begannen sich vor Petrusia zu fürchten, doch es gab auch solche, die sie sehr gut leiden konnten und auch lieb hatten. Der jungen Labuda zum Beispiel, die von einem heftigen Fieber arg mitgenommen wurde, riet die Schmiedefrau, das erste im Frühling ausgebrütete Hühner- oder Entenkücken anzusehen und in demselben Augenblick, so schnell wie nur möglich, einen Knoten in die Schürze oder in ein Tuch zu binden.

»Wie mit der Hand weggenommen, so verschwindet das Fieber«, versicherte sie der Kranken.

Und in der Tat – wie mit der Hand weggenommen, so schnell verschwand auch wirklich das Fieber. Die junge Labuda, die allmählich immer magerer und häßlicher geworden war und alle Kräfte verloren hatte, wurde wieder gesund. Da sie einen jungen Mann und eine nörgelnde Schwiegermutter hatte, die viel Arbeit von ihr verlangte, so war sie Petrusia für die Heilung sehr dankbar. Einer anderen Frau, die eine schwere Geburt hatte durchmachen müssen, gab sie ein Getränk, das aus zehn verschiedenen Kräuterarten zubereitet war, aber Neunblättertrunk genannt wurde. Es erwies sich auch als sehr wirksam. Zu Hause hatte sie immer eine Menge getrockneter Kräuter liegen, von denen jedes zur Bekämpfung einer anderen Krankheit dienen sollte. Gegen Halsschmerzen gab sie Brunellenkraut, gegen Husten Malve und Königskerze, gegen Rückenschmerzen Schafgarbe, gegen Bauchweh Pfefferminze und Quendel. Gegen manche Krankheiten empfahl sie weißen Klee und Kirschbaumrinde, die von oben nach unten heruntergerissen werden sollte. Gegen andere sollte nur roter Klee und ebensolche Rinde, die jedoch von unten nach oben vom Baum zu kratzen war, helfen. Kinder, die an konvulsiven Gliederkrämpfen litten, legte sie auf ein Brett inmitten eines mit Kreide gezeichneten Kreises, und solche, die vom Keuchhusten gequält wurden, fütterte sie mit Rübensaft, der aus keinem anderen Gefäß getrunken werden durfte als nur aus eben derselben Rübe, die nach der Art eines Kelches ausgehöhlt wurde. Mit einem Wort: Nie fehlte es ihr an Mitteln zur Bekämpfung der unter den Einwohnern des Dorfes am meisten verbreiteten Leiden. Nicht nur, daß sie solche Mittel kannte, nein, sie war auch gern mit Rat und Tat zur Stelle, so oft man sie brauchte. Eine andere hätte sich für diese Hilfe Eier, Flachs, Leinwand, Korn und Gott weiß was noch für Dinge geben lassen – sie nicht. Für ihre Ratschläge verlangte sie niemals etwas zur Belohnung, und wenn ihr eine oder die andere der Frauen manchmal irgend etwas in der Schürze oder unter dem Tuch mitgebracht hatte, nahm sie es niemals an. Alles wies sie zurück und sagte:

»Ich will nicht, es ist nicht nötig, wozu brauche ich denn das? Ich mach's ja nur so aus Zuneigung …«

Und sie war den anderen gegenüber wirklich immer zuvorkommend und wohlwollend. Wenn sie manchmal durch das Dorf ging und irgendein armes Weibchen oder ein krankes Kind sah, blieb sie stehen und fragte:

»Und was ist denn das? Wo tut's denn weh? Vielleicht kommt es von irgendeinem Kummer oder einer Sorge? Und was für'n Kummer habt ihr denn?«

Nachdem sie alles ausgefragt hatte, gab sie oft ein Kraut oder auch einen Ratschlag gegen das Leid. Wenn sie keinen Rat wußte, dann unterhielt sie sich mit den Erwachsenen wenigstens über ihren Kummer und schüttelte mitleidig den Kopf. Kinder nahm sie aber auf den Arm, wiegte sie ein Weilchen, gab ihnen einen Kuß auf den abgemagerten Körper und ging dann ihrer Wege weiter. Die alte Aksena hörte, daß die Leute immer wieder zu ihr kamen und sich Rat bei ihr holten. Die ersten zwei Jahre sagte sie nichts dazu, doch schließlich wurde sie aus irgendeinem Grunde unruhig und begann über die Enkelin zu murren. Von der Höhe des Ofens sagte sie ihr einmal:

»Warum rennst du eigentlich in dem Dorf umher, als ob du keine Ruhe finden könntest, und hältst den Mund nicht? Immer nur das oder das läßt du trinken, das oder jenes machen. Du wirst noch erleben, wie man es dir danken wird. Man wird dich noch zu einer Hexe stempeln.«

Petrusia stützte den Ellbogen auf den Besen und wurde nachdenklich. Nach einer Weile begann sie langsam und überlegen:

»Nun seht, Großmutter. Mir scheint es, daß ich diese Welt sehr lieb gewonnen habe, nachdem mir der liebe Gott soviel Glück gegeben hat … Auch vorher hatte ich sie lieb. Doch seit Michael mich geheiratet hat, ist sie mir noch lieber geworden als früher … Und wie ist es jetzt? Michael ist jeden Tag besser zu mir … Auch an Hab und Gut haben wir immer mehr und auch an Kindern. Es geht mir auf dieser Welt immer besser und besser, und ich liebe sie deshalb von Tag zu Tag mehr. Auch alles, was es auf der Welt gibt, liebe ich – die heiligen und warmen Sonnenstrahlen, die schönen hellen Sterne, die rauschenden Bäume, die duftenden Blumen und alle Menschen und auch jedes andere Lebewesen … Alles und alle liebe ich … Auch den Kusy habe ich gern … Kusy–Kusy … Na komm doch her, hier ist etwas für dich!«

Sie warf dem häßlichen, weiß und schwarz gefleckten Köter ein Stück altbackenes Brot hin, streichelte sein hartes Fell und begann dann wieder die Stube zu fegen. Dabei sang sie laut:

»Dort im Tale an dem Berghang
Hat man Hirse ausgesät.
Ach, schau hin, wie dort der Johann
Barfuß zu den Mädchen geht!«

Aksena murrte noch weiter:

»Ja, ja, jung ist sie und deshalb noch dumm«, flüsterte sie, doch die durchs Fenster fallenden Sonnenstrahlen trafen wärmend ihr altes Haupt, und in der Stube verbreitete sich der Geruch des im Ofen gebratenen Specks, und so munter erklang der laute Gesang der Enkelin, daß sie schwieg. Was sollte man da diesem glücklichen Flatterweibchen irgendwelche Belehrungen erteilen oder ihr etwas Böses prophezeien. So spannten sich ihre schmalen Lippen zu einem glücklichen Lächeln fast von einem Ohr zum anderen. Die Greisin neigte den Kopf leicht zur Seite und hörte eifrig hin, ob die kleine Christine in der Wiege nicht zufällig wach geworden war oder zu weinen begonnen hatte. Die Hände taten ihr von dem langen Spinnen schon so weh. Wie schön wäre es doch, die kleine Urenkelin auf die Knie zu nehmen und mit ihr zu spielen!


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