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II.

Schon sehr, sehr lange hatten die Einwohner von Sucha Dolina Petrusia, die Enkelin der blinden Aksena, in Verdacht, daß sie Kenntnisse und Fähigkeiten besaß, die man ohne Beziehungen zum Bösen nicht haben konnte. Es war zwar lediglich ein unklarer Verdacht, und keiner sprach ihn laut aus, doch das kam daher, daß man, abgelenkt durch die vielen und allzu vielen Sorgen des Alltags, keine Zeit hatte, sich damit besonders zu beschäftigen. Außerdem hatte niemand klare Beweise dafür, daß Petrusia irgend jemandem etwas Böses angetan hatte. Nichtsdestoweniger bestand dieser Verdacht, wenn auch nur im Keime und unausgesprochen. Wie hätte es auch anders sein können, wo doch im Leben von Petrusia vieles ungewöhnlich war und auch einige ihrer Charaktereigenschaften und Wandlungen so ungewöhnlich erschienen, daß man darüber staunen mußte. Sie waren zumindest nicht so wie die der anderen Einwohnerinnen von Sucha Dolina. Alle anderen, um nur ein Beispiel zu nennen, waren in diesem Dorfe geboren, sozusagen vor den Augen der Nachbarn. So konnte sich jede an die Taufe und die Kinderjahre der andern gut erinnern. Dann, nachdem sie geheiratet hatten, lebten sie nicht etwa in Häusern, die einsam im Felde standen, sondern dicht beieinander, in einer Reihe. Man konnte also von dem einen genau das Leben in dem andern beobachten und die Verhältnisse des andern Hauses genau beurteilen. Das Leben der Frauen in Sucha Dolina ging gewiß verschiedene Wege: Streit und Eintracht, Fleiß und Faulheit, Armut und Reichtum – so wie es bei dieser oder jener die Natur und der liebe Gott gewollt hatten. Das kannte man alles im Dorf. Aber so wie Petrusia hatte keine geheiratet und keine gelebt. Keine wußte auch eine solche Menge interessanter Geschichten wie diese Petrusia. Woher konnte sie all diese Kenntnisse haben? Vielleicht von ihrer blinden Großmutter Aksena, die vor vielen, vielen Jahren von irgendwoher ins Dorf gekommen war und, damals noch nicht erblindet, für sich und für das Enkelkind bei den Menschen um Arbeit und Aufnahme gebeten hatte. Nachdem dies erreicht war, d. h., nachdem sie bei verschiedenen Bauern von Sucha Dolina oder auf den Gütern der Umgebung gedient und gearbeitet hatte, erzog sie ihre Petrusia zu einem erwachsenen Mädchen. Man hätte geradezu meinen können, sie habe nur bis dahin gewartet, ehe sie blind wurde. Als sie es wurde, verzweifelte sie nicht laut und weinte nicht, sondern kroch auf den Ofen, wo sie den Spinnrocken und die Spindel ergriff und dann zur Enkelin sagte:

»Jetzt bist du groß und, Gott sei Dank, stark, hast arbeiten gelernt und kannst mich bis zum Ende meiner Tage ernähren, so wie ich dich von klein auf ernährt habe, seit dir Vater und Mutter in einem Jahr starben. Meine Kleidung verdiene ich mir selbst, denn spinnen kann ich auch, ohne zu sehen.«

Sie war damals schon ein mageres, trockenes und altes Weibchen, diese Großmutter, mit einem Gesicht wie aus gelblichem Elfenbein gemeißelt und Augen, die vom grauen Star überzogen waren. Sie hatte eine lange, spitze Nase, trockene und so gelbe Lippen, daß man sie kaum sehen konnte, und eine von tausend Fältchen durchfurchte Stirn. Sie brauchte tatsächlich sehr wenig Kleider, so daß man es ihr schon glauben konnte, wenn sie sagte, sie werde sie sich schon allein mit ihrer Spinnarbeit verdienen. Sie trug einen langen blauen Rock aus selbstgewebtem Stoff, eine Schürze, ein Hemd und eine aus schwarzer Baumwolle gestrickte Haube, die den Kopf so dicht und glatt umhüllte, daß nur wenige milchweiße Haarsträhnen daraus hervorguckten und auf die Stirn fielen.

Zum Beweis, daß sie auch bestimmt zu halten gedenke, was sie vorhin versprochen hatte, setzte sie sich auf den Ofen, hob eine Hand zum Spinnrocken, streckte die andere mit der Spindel weit vor und begann zu spinnen. Sie sah gar nichts und konnte den Tag nicht von der Nacht unterscheiden, doch unter ihren Fingern kam der Faden lang, glatt und dünn hervor. Auch mit gesunden Augen hätte man keinen feineren Faden so ohne weiteres spinnen können. Von Zeit zu Zeit benetzte sie die Finger mit der Zunge und spann nun diese langen, glatten und dünnen Fäden. In ihrer gelben, wie aus Knochen gemeißelten Hand drehte sich die Spindel und surrte gleichmäßig und eintönig; ihre ausgetrockneten Lippen umspielte ein kaum merkbares Lächeln, und die mit dem grauen Star überzogenen Augen schienen auf die Enkelin zu blicken, als ob sie ihr sagen wollten:

»Na, siehst du? Ich bin zwar blind, doch lange noch nicht ganz abgetan! Gib mir nur zu essen, die Kleider verdiene ich mir schon selbst.«

Petrusia, damals ein 17jähriges Mädchen, gesund, rotbäckig, immer noch schlank wie eine junge Pappel und geschmeidig, saß auf dem Rand des Ofens, hatte die Augen voll Tränen und wäre von der großen Verzweiflung über das Unglück ihrer Großmutter fast überwältigt worden. Als sie aber sah, daß die Großmutter nicht weinte, ja sogar etwas lächelte und die Spindel so schnell drehte, daß sie summte und surrte, bückte sie sich, küßte der Greisin Knie und Füße und sagte nur:

»Gut, Großmutter, ich will dich ernähren und wie meine Augäpfel behüten, so wie du mich ernährt und behütet hast seit meiner Kindheit, als Vater und Mutter im selben Jahre starben!«

Bei den letzten Worten schlug sie zur Bekräftigung dessen, was sie sagte, mit der Faust an die Brust und weinte ein klein wenig; doch nicht lange. Denn es lag nicht in ihrer Natur, viel zu weinen, zumal die Großmutter ihr das Haar streichelte und sagte:

»Nun, jetzt geh zur Arbeit, geh! Es ist jetzt keine Zeit zum Erzählen. Die Bäuerin ist heute recht schwach. Sie kann die Kühe nicht melken und die Schweine nicht füttern.«

Petrusia ging, und wie ein geschäftiger Geist des Fleißes versorgte sie allein den Bauernhof. Dieser Hof gehörte Peter Dziurdzia, dessen Frau, die schon seit Jahren kränkelte, sich gerade besonders schlecht fühlte. Da es in seinem Hause keine Tochter gab und die Söhne, ganz junge Burschen, noch nicht heiraten konnten, so hatte früher Aksena die Frauenarbeit verrichtet, d. h. für Essen und Kleidung gesorgt. Jetzt trat Petrusia an ihre Stelle. Peter Dziurdzia war ein durchaus vermögender Bauer und konnte es sich leisten, seine kranke Frau durch eine Dienstmagd vertreten zu lassen. Letzten Endes war er dazu gezwungen, und doch schnitt er dabei nicht am schlechtesten ab. Wie früher Aksena, so erledigte jetzt Petrusia alles, was zu ihren Aufgaben gehörte mit dem Fleiß jener Frauen, die auf Gottes Erde selbst überhaupt nichts besitzen und nun Menschen, die irgend etwas hatten, mit ihrer ganzen Kraft dienen mußten. Die beiden leisteten ihre Dienste, so gut sie es nur konnten. Im Hause von Peter Dziurdzia fanden sie aber nicht nur Arbeit, welche die Güter dieser Erde bewahrt oder vermehrt, sondern auch etwas anderes, etwas, das im Leben zwar nicht unentbehrlich ist, es aber doch angenehmer und lustiger macht. Die beiden Frauen, von denen eine sehr alt und blind war, die andere dagegen jung, lebhaft und schlank, füllten Peters Hütte mit Märchen und Liedern. Aksena kannte viele Märchen, Petrusia eine Unmenge Lieder. Es waren Märchen und Lieder, die in hiesiger Gegend entstanden waren und zu ihr gehörten, aber auch solche, die Aksena aus der Ferne mitgebracht hatte, als sie vor vielen, vielen Jahren hierher kam. Sie wanderte von Ort zu Ort, suchte Arbeit und Zuflucht, bis sie in dieses Dorf kam, hier für sich und das Kind eine Zufluchtsstätte fand und alles, was sie besaß, den Einwohnern von Sucha Dolina gab. An langen Winterabenden erzählte sie die fern in der Welt gehörten Märchen, und die Lieder, die sie selbst nicht mehr singen konnte, brachte sie ihrer Enkelin bei, die ganz aus Bewegung, Lachen und Gesang zu bestehen schien. Woher nahm diese Waise, diese Arme und Heimatlose, eine solche Lebendigkeit und diesen Frohsinn, daß man sie mit dem ewig springenden, durchsichtig klaren Quellwasser vergleichen konnte? Es ist schwer, darauf zu antworten. Wahrscheinlich hat die Natur sie schon so geformt. Viel wird es wohl auch daran gelegen haben, daß sie zwar manchmal Armut und Hunger kennengelernt hatte, doch noch niemals schlecht behandelt worden war. Davor behütete sie ihre Großmutter, die den Menschen diente, damit sie der Enkelin kein Unrecht zufügten, und die das Kind liebte wie ein Wanderer das kleine einzelne Sternchen, das über seinem einsamen und steinigen Weg leuchtet. Auf ihrem steinigen Wege verlor Aksena die ganze Familie: die Tochter, die kurz nach Petrusias Geburt sterben mußte; den Schwiegersohn, den der böse Atemzug der Pest hinwegfegte; den Mann, dem eine Dreschmaschine den Arm zerschmetterte und der kurz darauf in einem Krankenhaus starb; den Sohn, der zum Militär eingezogen wurde, irgendwo ans Ende der Welt, und niemals mehr zurückkehrte – vielleicht war er dort zum Lumpen geworden und im Gefängnis gestorben. Vielleicht hatte man ihn im Kriege getötet … Außer ihren Angehörigen verlor sie aber noch etwas: ihr Heimatdorf. Es stand auf sandigem Boden, besaß überhaupt keine Wiesen und Weiden und war so arm, daß es das Stückchen Brot nicht geben konnte, das man so dringend brauchte. Nicht aus freien Stücken, sondern durch bittere Not gezwungen, ging Aksena in die fremde Welt. Keinen, der das wußte, konnte es deshalb wundern, daß für Aksena die Enkelin jenes kleine einsame Sternchen war, das dem Wanderer über seinem dunklen und steinigen Wege leuchtet. Deshalb schlug sie das Kind auch niemals und beschimpfte es auch nie. Jedoch äußerst selten überhäufte sie die Enkelin mit Küssen und Liebkosungen: sie hatte einfach keine Zeit dazu. Immer körperlich müde, mit starken Muskeln und starken Nerven, fand sie das auch gar nicht notwendig. Doch nicht einen Löffel Nahrung aß sie, ohne vorher die Enkelin gesättigt zu haben. Kein Kleidungsstück kaufte sie für sich, ohne die Kleine vorher sauber und ordentlich eingekleidet zu haben. Nachts nahm sie das Kind mit zu sich auf den Ofen und deckte es sorgfältig mit einer Decke zu. An Sonn- und Feiertagen lehrte sie Petrusia verschiedene Lieder und erzählte ihr von vergangenen Zeiten und alten Menschen, von dem entfernten Heimatland, aber auch von Teufeln, Gespenstern, Räubern und – Engeln, die Waisen beschützen und über sie ihre silbernen Flügel ausbreiten. Petrusia fühlte sich geborgen unter diesen ausgebreiteten Engelsflügeln, und manchmal sagte sie zu ihren Gespielinnen:

»Wie ein Engel ist sie über mir …«

Doch niemals sprach sie den begonnenen Satz zu Ende aus. Entweder fehlte es ihr an Worten, oder sie schämte sich, ihre geheimen Gedanken so mutig und offen auszusprechen. Sie schwieg, senkte die mit langen seidenen Wimpern bedeckten Lider über die grauen Augen und drehte mit den Fingern an einem Zipfel ihrer Schürze herum. Doch wie alles Traurige und Unangenehme hielt auch diese Verwirrung bei ihr nur sehr kurz an.

Traurig, schweigsam und unbeweglich konnte sie nicht lange sein. Beim Gehen hüpfte sie gewöhnlich, als ob sie Lust zum Tanzen hätte; sie sang bei der Arbeit, und sogar beim Essen sprach und lachte sie durcheinander. So war eben ihre Natur! Nach der völligen Erblindung der Großmutter wurde sie einige Tage langsamer und schweigsamer, doch auch das ging schnell vorüber. Aksena klagte nicht. Auf dem Ofen sitzend, spann sie tagsüber und auch am Abend, unterhielt sich mit Bekannten, sobald sich Gelegenheit dazu bot, erzählte ihnen, erteilte Ratschläge, als ob ihr nichts Besonderes zugestoßen wäre. Petrusia trug ihr die Eßschüsseln auf den Ofen, blies auf die Speisen, um sie abzukühlen, zerteilte mit dem Löffel die Kartoffeln in der Graupensuppe und fischte die Speckgrieben aus der Grütze oder der eingerührten Mehlspeise. Geduldig legte sie Löffel und Brot in die nach den Speisen ausgestreckte und suchende Hand der Blinden und sprach zu ihr im Tone guten Zuredens:

»Iß, Großmütterchen, iß! Ich will dir die Schüssel halten.«

An jedem Sonntagmorgen, wenn sie mit ihrer Arbeit im Hause fertig war, kroch sie mit einem Eimer Wasser und einem Kamm in der Hand auf den Ofen und wusch und kämmte eine halbe Stunde lang ihre Großmutter. Mit einem vorher im Wasser eingetauchten Läppchen reinigte und scheuerte sie das Gesicht der Greisin so eifrig, daß es einige Tage hindurch glänzte, als ob es aus einem gelblichen und polierten Knochen gemeißelt wäre. Dann setzte sie auf die weißgrauen Haare eine aus roter oder schwarzer Baumwolle gestrickte Haube. Wenn sie diese – und das geschah meistens am Sonnabend, da sie dann mehr Zeit als sonst hatte – mit einem baumwollenen Band reich garnierte oder mit einer schmalen goldenen Borte schmückte, stellte sie sich vor die Großmutter, bewegte mit Genugtuung und mit sich selbst äußerst zufrieden vor der so geschmückten Großmutter den Kopf hin und her, schnalzte mit der Zunge und wiederholte:

»Ach, wie herrlich, ach, wie schön!«

Das mit roter Garnierung oder glänzender Borte umfaßte knöcherne Gesicht der Alten schien mit seinen erblindeten Augen streng auf das runde, gerötete Gesicht der Enkelin zu blicken. Mit gelbem Finger berührte sie die Haube und fragte:

»Wo hast du die Borte her?«

»Peter ist in die Stadt gefahren und hat sie mir von dort mitgebracht.«

»Und woher hattest du das Geld dafür?«

»Schon seit dem Sommer hab' ich mir's aufgehoben, als ich auf dem Gutshof zur Ernte half.«

Die Alte schwieg. Die Stimme der Enkelin klang aufrichtig. Doch nach einer Weile fragte Aksena sie wieder:

»Bemüht sich denn jemand um dich?«

Den Blick zu Boden gesenkt, antwortete das Mädchen:

»Es bemühen sich welche, gewiß! Ich hab's dir schon am vergangenen Sonntag erzählt.«

»Stefan Dziurdzia?« flüsterte fragend die Alte.

»Ja!«

»Und wer noch?«

»Ich hab's dir ja schon gesagt. Michael, der Schmied.«

»Aha! Nun, das macht nichts. Dafür bist du auch ein Mädchen, damit sich Kavaliere um dich bemühen. Hast du aber auch keine Borte von ihnen genommen, keine Glasperlen oder Geld oder sonst irgend etwas?«

»Nichts!«

»Bestimmt?«

»Wahrhaftig, bei Gott!«

»Denke daran! Du bist eine Waise und nur in Gottes Obhut. Laß dir kein Unrecht antun, denn sonst bist du verloren wie ein Tropfen Wasser im Meere. Ich kann dich jetzt nicht mehr sehen, doch der liebe Gott sieht dich und auch die Menschen. Denke daran, damit du vor Gott keine Sünde begehst und dich vor den anderen Menschen nicht zu schämen brauchst. Wenn dich einer liebt, dann soll er dich heiraten. Doch wenn er dich nicht heiraten will und dir nur irgendwie nahekommen will, dann nichts als ihm eins, zwei, drei: eine schmieren! Fort mit dir! Ein Mädchen muß sauber sein wie eine Glasscheibe, die man im Quellwasser abgewaschen hat. So ist es!«

Lange noch sprach die Alte so zu ihrer Enkelin. Jeden Sonntag. Eines Sonntags aber sagte sie zu ihr:

»Wenn du jemanden lieb gewinnst und ihn unbedingt heiraten möchtest, dann sag es mir. Ich werd' schon Rat finden … Dafür bin ich ja deine Großmutter und deine einzige Beschützerin auf dieser Welt, damit ich dich zu jeder Stunde retten kann …«

Sehr beschämt, aber durch die Worte der Großmutter neugierig geworden, flüsterte Petrusia:

»Und was für einen Rat gibst du mir dann, Großmutter?«

Da begann die Alte ganz leise zu reden:

»Verschiedene Möglichkeiten gibt es dafür. Man kann eine Fledermaus im Ameisenhaufen vergraben. Wenn sie die Ameisen ganz aufgefressen haben, kann man aus ihren Knochen einen einzigen aussuchen. Man kann auch ein Kraut suchen, das Sonnentau heißt und Wurzeln hat, die wie zwei ineinandergelegte Hände aussehen … Man kann auch ein anderes Kraut …«

All das erzählte die Alte mit großem Ernst und tat dabei etwas geheimnisvoll. Sie hätte noch länger erzählt, wenn Petrusia, beschämt und doch gleichzeitig erfreut lachend, sie nicht kräftig an der Schürze gezogen hätte.

»Geh, Großmütterchen!« flüsterte sie. »Geh! Ich brauch' das alles nicht. Ich brauch' weder eine Fledermaus noch den Sonnentau, noch irgendein anderes Kraut. Er wird mich auch ohne diese Dinge heiraten.«

Gespannt horchte die Alte:

»Welcher denn?« fragte sie.

»Michael.«

»Der Schmied?«

»Ja!«

Zustimmend nickte die Großmutter mit dem Kopf.

»Gut«, sagte sie. »Gut, warum nicht? Ein eigenes Häuschen hat er ja, und ein Stückchen geerbtes Land hat er auch. Dabei ist er Handwerker …, ei, ei, ei … Das wäre gut! Wenn er dich nur wirklich heiraten wollte!«

»Ach, ach«, triumphierte Petrusia. »Er wird mich schon heiraten, bestimmt! Hat es ja nicht einmal gesagt, sondern hundertmal.«

Bei diesen Worten stieg ihr die Röte ins Gesicht. Aus ihren lustigen Augen schossen Blitze, und wie Perlen blitzten hinter den roten Lippen die Zähne auf. Eine große, ungetrübte Freude bemächtigte sich ihrer, so daß sie nicht mehr ruhig sitzen konnte, vom Ofen heruntersprang, in der Stube herumtanzte und sang:

»Ach, ich habe meinen Liebsten!
Allen Leuten geb' ich's kund.
Wenn er einmal zu mir käme,
Wär es meine schönste Stund'!«

In der Stube war sonst niemand, denn an jedem Sonntagmorgen fuhr Peter mit seiner Frau in die Kirche, und die Söhne spielten mit anderen Jungen auf der Dorfstraße. Das Lied, das Petrusia sang, hatte auch eine zweite, dritte und vierte Strophe, und das Mädchen sang sie alle, drehte sich wie ein Kreisel in dem leeren Raum umher, wischte zwischendurch mit einem nassen Lappen den Tisch sauber, warf einen Blick in den Ofen, in dem das Essen kochte und scheuchte die Hühner, die in die Stubenmitte kamen, in den dunklen Raum unter den Ofen. Als das Mädchen seinen Gesang schließlich beendet hatte, als das Gackern der Hühner und das Grunzen des in den Vorraum vertriebenen Schweines verstummt war, sagte die auf dem Ofen sitzende Aksena:

»Petrusia!«

»Was denn?«

»Komm doch mal her!«

Sie sprang auf eine vor dem Ofen stehende Pritsche und fragte:

»Was ist denn, Großmütterchen?«

»Nur, daß Michael jetzt bald 21 Jahre alt sein wird.«

»Ja«, bestätigte das Mädchen.

»Das ist eben das Elend. Wie soll er dich denn heiraten, wenn er zum Militär gehen muß?«

Diese Bemerkung der Großmutter erschreckte das Mädchen zunächst sehr.

»Das kann ja nicht sein!« schrie sie.

»Ach, ein Kind bist du, ein richtiger Kindskopf! Hast du denn das nicht gewußt?«

Wie sollte sie denn von irgendeinem Militär etwas wissen? Sie hatte niemals daran gedacht, daß es auf der Welt Militär geben könnte. Und der Liebste hat ihr nie etwas davon erzählt, daß er zu den Soldaten muß – obwohl er es doch genau wissen müßte. Doch auch er war jung, und wenn er das Mädel liebte, wenn er an der Hecke mit ihr flüsterte oder sie umarmte, dann dachte er nicht daran, was ihm die Zukunft bringen würde. Doch die alte Aksena wußte sehr viel und war sehr erfahren. Hat sie denn nur ein einziges Mal einen Burschen gesehen, der Soldat wurde und erst nach langer, langer Zeit zurückkehrte oder manchmal sogar, wie ihr eigener Sohn, gar nicht mehr zurückkam? Wenn auch ein Mädchen entschlossen war, auf einen solchen zu warten, dann erwies sich das sowieso als unnütz. Denn wenn einer wirklich zurückkehrte, dann mit einem anderen Herzen und ganz anderen Gedanken. Und wenn ein Mädchen ihn geheiratet hatte, noch bevor er in die weite Welt hinauszog, dann war es noch schlimmer, denn das Leben einer Soldatenfrau ist von solcher Art, daß uns der liebe Gott davor behüten möge! All diese Dinge und noch vieles, vieles andere flüsterte Aksena dem Mädchen ins Ohr, bis Petrusia mit den Händen die Augen bedeckte und bittere Tränen weinte.

»Nun«, redete die Großmutter auf sie ein. »Dann heirate doch lieber Stefan Dziurdzia. Auch er möchte dich gern haben. Und das ist doch ein reicher Bauer. Du wirst 's gut bei ihm haben.«

Das Mädchen stampfte mit nackten Füßen auf die Pritsche.

»Niemals«, schrie sie. »Es kann kommen, was will, aber Stefans Frau werde ich nie!«

»Warum denn? Er ist doch ein tüchtiger Bauer, jung, groß und stark wie eine Eiche und hat reiche Brüder.«

Petrusia hielt die Hände immer noch vor die Augen und wiederholte unwillig und unzufrieden immer wieder dieselben Worte:

»Niemals! Ich will ihn nicht heiraten. Ich will ihn nicht heiraten! Ich will ihn nicht heiraten!«

Erst auf eindringliche Fragen der Großmutter gab sie den Grund ihrer Abneigung an. Es waren vielmehr zwei Gründe.

»Er ist abscheulich und allzu heftig. Er würde mich schlagen.«

Aksena konnte ihr darauf nichts entgegnen. Sie kannte Stefan Dziurdzia schon seit langem und wußte, daß er heftig war, aufbrausend, zu Streit und Schlägereien allzu schnell bereit. In seinen Augen glühten schon in früher Jugend starke und grausame Leidenschaften. Seine Bewegungen waren rasch und heftig, die Stimme rauh, barsch und tief. Doch er war fleißig, vernünftig im Rat und im Gespräch, betrank sich selten, und auch seinen Hof hielt er in Ordnung und völlig schuldenfrei. Im Dorfe hörte man jedoch nicht gern auf ihn und achtete ihn nicht allzu hoch, denn durch sein aufbrausendes Wesen, durch grobe Beschimpfungen und Neigung zu Gewalttätigkeiten stieß er alle ab, und die Mädchen flohen förmlich vor ihm. Er flößte ihnen geradezu Angst ein. Schon einige Male hatte er seine Brautwerber in verschiedene Häuser geschickt, doch nirgends nahm man ihn an. Die Mädchen schluchzten dann und schrien:

»Er wird mich schlagen, er wird mich schlagen, er wird mich mal totschlagen!«

Sie fielen den Eltern zu Füßen und flehten, sie nicht mit diesem Herodes zu verheiraten. Stefan pflegte dann zu sagen, daß er von diesen Dummköpfen selbst nichts wissen wolle und seine Brautwerber in ein anderes Dorf schicken würde. Doch gerade in dieser Zeit wuchs im Hause seines Vetters Peter die junge Petrusia zu einem stattlichen Mädchen heran, und seit dieser Zeit blickte er kein anderes mehr an. Wenn er sie sah, wandte er den Blick von ihr nicht ab und wurde jetzt zum ständigen Gast im Hause des Vetters. Er kam und blieb manchmal fast ohne Grund eine oder zwei Stunden auf der Bank sitzen. Manchmal mußte gepflügt, gemäht oder gedroschen werden, doch er saß untätig da, beobachtete ununterbrochen das Mädchen, ihre Arbeit, ihr Herumspringen, hörte sich ihren Gesang an, und sein sonst so grimmiges Gesicht bekam einen so milden Ausdruck, daß es ganz weich und gar nicht mehr abstoßend wirkte.

Zum Peter hatte er schon einmal gesagt:

»Mag sie arm sein oder auch nicht. Ich werde jedenfalls die Werber zu ihr schicken.«

»Eine Hergelaufene ist sie«, bemerkte Peter.

»Nun, dann ist sie eben eine Hergelaufene. Mir ist es gleich. Doch die Werber schicke ich zu ihr, sobald ich merke, daß sie mir wohl will.

Doch Petrusia war ihm nicht im geringsten zugetan. So wie sich Stefan in sie vernarrt hatte, so vernarrte sie sich ihrerseits in Michael, den Schmied. So wie die anderen Mädchen zu ihren Eltern, so sprach auch sie jetzt zu ihrer Großmutter und schluchzte dabei bitterlich:

»Ich will nicht! Nicht um alles in der Welt! Er wird mich schlagen, wird mich nochmal totschlagen!«

Als ihr die Großmutter von dem künftigen, unvermeidlichen Schicksal Michaels erzählt hatte, weinte sie sich tüchtig aus, doch bald begann sie wieder in der Stube herumzuwirtschaften und zu singen:

»Dort, wo reiche Leute wohnen,
Gibt's kein Glück und keine Ruh'.
Nur wo Liebe Menschen einigt,
Gegenliebe findest du!«

Plötzlich unterbrach sie das Lied und sagte:

»Vielleicht geht er auch gar nicht zum Militär … Wer weiß es? Vielleicht geht Michael gar nicht zu den Soldaten?«

Dann fügte sie noch hinzu:

»Wenn er doch heute käme …«

Aksena, der es vielleicht leid tat, daß ihre Reden der Grund für die Tränen der Enkelin waren, sagte vom Ofen her:

»Schmeiß doch einen Besen in den Ofen!«

»Warum denn?« wunderte sich Petrusia.

»Schmeiß den Besen ins Feuer!« wiederholte die Alte. »Wenn du den Besen verbrennst, dann kommen Gäste.«

Petrusia warf einen alten Besen ins Feuer, und als am selben Abend Michael, der Schmied, tatsächlich in das Haus von Peter kam, war sie hoch und heilig von der wunderbaren Wirksamkeit dieses Mittels überzeugt und riet seine Anwendung allen anderen Mädchen.

Nicht nur von dieser seltsamen Angelegenheit erzählte Petrusia den anderen Menschen in Sucha Dolina. Sie erzählte noch weit wunderbarere und sonderbarere Dinge. Sie gab auch hier und da Ratschläge, und all das, was sie anderen erzählte, hatte sie von ihrer Großmutter erfahren. Da sie aber ununterbrochen redete und plapperte und deshalb nichts geheimzuhalten vermochte, dachte sie auch nicht daran, irgend etwas vor den Menschen zu verbergen. Doch trotz ihrer Klugheit konnte sie sich einmal eine Prophezeiung, die sie selbst betraf, nicht richtig deuten. Eines Tages holte sie mit der Schaufel Brot aus dem Ofen. Gewöhnlich gelang ihr das Brotbacken sehr gut. Sogar erfahrene Hausfrauen bewunderten laut die Vortrefflichkeit ihrer Backwaren und flüsterten sich zu, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung sein müsse, daß irgendeine dunkle Kraft dem Mädel helfen müsse, wenn sie niemals etwas falsch mache. Diese Kraft war in Wirklichkeit der Fleiß und die Geschicklichkeit des Mädchens, das bei allem, was es tat, mit Leib und Seele dabei war und sich geschickt anstellte. Deshalb erschienen auch jetzt die Brotlaibe nacheinander richtig auf der Schaufel und glitten von ihr auf den Tisch: braun, locker, richtig durchgebacken und so wohlriechend, daß man den angenehmen Geruch bis in den letzten Winkel der Stube verspüren konnte. Und über gutes Brot freut sich der Bauer immer. Peter saß auf der Bank, stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und lächelte auf seine eigentümliche Art und Weise mild und ernst; die immer noch kränkelnde Petrowa, die jedoch am Ofen die grobe und dicke Wäsche wusch, erzählte ihren Nachbarinnen irgend etwas und lächelte dabei. Die beiden heranwachsenden Jungen schrien und tobten in der Stube herum und versuchten mit den Fingern den Grad der Lockerheit des Brotes festzustellen. Nur die Bäckerin selbst lachte nicht, sie lächelte nicht einmal. Eine so wichtige Handlung wie das Herausholen des Brotes aus dem Backofen führte sie immer sehr ernst aus. Ihre Backen glühten vor Hitze, die Hemdsärmel waren über die Ellbogen hochgekrempelt, die Lippen leicht vorgestülpt, die Stirn etwas faltig. Plötzlich schrie sie:

»Ach, ach!«

Und nachdem sie das letzte Brot von der Schaufel geschoben hatte, entglitt ihr diese aus den Händen und fiel auf den Fußboden. Verzweifelt verschränkte Petrusia die Arme.

»Ach mein Gott, mein Gott!« rief sie laut und fast mit Tränen.

Gleichzeitig streckten Peter und Petrowa die Köpfe nach ihr vor, warfen einen Blick auf das Brot und sagten gleichzeitig fragend:

»Geplatzt, oder nicht?«

Sie irrten nicht. Der letzte Laib, den das Mädchen aus dem Ofen geholt hatte, war durch und durch geplatzt, als ob ihn jemand mit einem Messer in zwei Hälften geschnitten hätte.

»Geplatzt«, wiederholte Petrusia.

Einige Minuten dauerte das Schweigen. Da hörte man plötzlich vom Ofen her die Greisenstimme Aksenas:

»Es wird uns irgendeiner verlassen!«

Petrowa berührte mit der Hand ihre Stirn und ihre Brust.

»Im Namen des Vaters und des Sohnes! … Möge uns der mitleidige Gott vor allem Unglück beschützen!«

»Es wird uns irgendeiner verlassen«, wiederholte die Alte.

»Einer aus dem Dorf oder aus dem Haus?« fragte Peter.

Einen Augenblick überlegte die alte Aksena und sagte dann:

»Vielleicht aus dem Dorf, vielleicht aus dem Haus. Doch es ist jemand, der einen aus dem Hause von Peter Dziurdzia sehr, sehr angeht.«

Und in der Tat, es verließ jemand Sucha Dolina, der jemanden im Hause sehr, sehr anging: Michael, der Schmied, zog das Los und wanderte aus dem Dorf – zum Militär. Doch bevor dies geschah, sah man in der Dämmerung zwei Menschen, die sehr, sehr lange auf jenem riesigen bemoosten Stein hinter dem Dorf saßen, dort, wo die vier Wege in vier verschiedenen Richtungen auseinanderliefen und das alte hohe Kreuz einsam stand. Zwei junge Burschen, die vom Gutshof, wo sie beim Getreidedrusch beschäftigt waren, nach Hause gingen, kamen dort vorbei und erzählten nachher im Dorfe, daß Petrusia am Stein unterm Kreuz Abschied nahm von ihrem Schmied. Sie erzählten laut davon und lachten dabei. Es lachten auch die Frauen.

»Soll sie Abschied nehmen«, sagten sie, »denn es ist ja auf ein Nimmerwiedersehen.«

Im Dorf waren sich alle darüber einig, daß Petrusia sich von ihrem Liebsten verabschiedet hatte, um ihn niemals wiederzusehen. Gewiß, er wird einmal wieder zurückkommen, denn er hat ja einige Morgen Land in Sucha Dolina und auch ein Haus. Doch er wird erst in sechs Jahren zurückkommen. Und sechs Jahre sind für ein Mädchen eine Ewigkeit! Entweder wird Petrusia einen anderen heiraten, oder sie wird in dieser Zeit alt, und der Schmied wird sie dann nicht mehr nehmen wollen. Wie könnte es auch möglich sein, daß er sie nach sechs langen Jahren noch zur Frau haben möchte? Mit einem veränderten Herzen und ganz anderen Gedanken wird er aus der Ferne zurückkehren! Sogar die alte Aksena sagt es ihrer Enkelin, die jedoch verneinend den Kopf schüttelt und stets wiederholt:

»Er hat mir gesagt, daß er mich heiraten wird, wenn er wiederkommt. Er hat mir gesagt: Du sollst auf mich warten, Petrusia …«

»Und du wirst warten, du Dumme?«

»Ich werde warten.«

Da wurde die Alte sehr unruhig. Ihre ausgetrockneten Lippen und die knochengelben Wangen bewegten sich seit dieser Zeit sehr oft in einer Weise, als wenn sie mit ihren zahnlosen Kiefern einen harten Bissen zerkauen wollte. Noch einige Male sagte sie zu ihrer Enkelin:

»Nimm doch den Stefan. Vielleicht wird er dich doch nicht schlagen, und was ist schon dabei, wenn er dich auch einmal schlagen würde. Es ist besser im Hause des Mannes zu sitzen, als sich ein ganzes Leben lang bei Fremden abzurackern.«

Doch man konnte Petrusia noch so zureden und sie zu überzeugen suchen, sie hatte nur eine einzige Antwort darauf:

»Ich will nicht, ich will ihn nicht haben.«

Auch Petrowa versuchte sie zu überreden, Stefan doch zu heiraten:

»Er ist reich«, sagte sie, »fleißig, ein guter Bauer. Er trinkt auch nicht. Du wirst bei ihm Kleider aus gekauften Stoffen tragen und das Fett mit Löffeln essen können.«

Das Mädchen antwortete aber:

»Stefans Fett sollen die Schweine fressen!«

Die Überredungsversuche, die von allen Seiten kamen, erregten aber Petrusia. Sie wurde zornig – wohl zum ersten Male in ihrem Leben –, preßte dann die Lippen fest zusammen und antwortete gar nicht mehr. Ganz gleich, was man ihr über den Schmied oder Stefan erzählte – sie schwieg. Die Frauen redeten auf sie ein, doch sie blieb bei ihrer Meinung, und auf alle Überredung, auf Klagen über ihre Dummheit, sogar auf Schimpfworte antwortete sie mit Schweigen. Auch beim Melken der Kühe, beim Wäschewaschen, beim Abfüttern der Schweine oder Anrühren des Teiges zum Brot blieb sie schweigsam. Sie wurde eigensinnig und fast trotzig. Wahrscheinlich in der Meinung, daß die Leute zwar eine Weile reden, doch sie schließlich in Ruhe lassen und sich nicht mehr in ihr Leben einmischen würden. Das wäre auch der Fall gewesen, wenn nur Stefan sie in Ruhe gelassen hätte. Er dachte aber nicht daran. Schon einige Male hatte er versucht, sie zu umarmen und zu küssen – einmal auf dem Hof, das andere Mal im Garten, ein paarmal im Stall. Doch immer war es ihr gelungen zu entfliehen, so daß es zwischen ihnen beiden weder zu Zärtlichkeiten noch zu Streit gekommen war. Doch einmal kam er am Sonntag, als außer ihr und der alten Aksena niemand mehr zu Hause war. Als Petrusia ihn in der Tür erblickte, sprang sie in die Kammer und hantierte dort herum. Sie schüttelte – natürlich nur zum Schein – Erbsen aus dem Sack in einen Topf, als ob sie eine Mahlzeit kochen wollte. Doch bald stand Stefan neben ihr, umfaßte sie mit einem Arm und versuchte mit dem anderen, die Tür der Kammer von innen zuzuschließen. Er sah dabei so furchtbar aus und schalt das Mädchen, das er, wie er sagte, endlich in der Falle habe, so grob und heftig, daß es sogleich laut und ängstlich zu schreien begann. Petrusia wurde von einer heftigen Angst gepackt, und die Sinne begannen ihr zu schwinden. Doch nach einem Augenblick kam sie wieder zu sich, und jetzt fielen ihr plötzlich die Worte und die Ratschläge der Großmutter ein, denn mit krebsrotem Gesicht, glänzenden Augen und zusammengekniffenen Lippen riß sie sich aus der Umarmung des Bauern los und hob beide Hände hoch. ›Eins, zwei, drei: eine schmieren und nichts wie fort!‹ Wie angestochen sprang Stefan aus der Kammer und dann aus dem Hause. Er tat es wohl vor allen Dingen deshalb, weil er aus dem Flur die Schritte von Peter vernahm und keinen Zeugen seiner Niederlage haben wollte. Mit flammend rotem Gesicht und Tränen in den Augen fiel Petrusia der Großmutter zu Füßen. Beim ersten Schrei des Mädchens kroch Aksena vom Ofen herunter und stand jetzt – auf ihren Stock gestützt – vor der Tür der Kammer. Die Kiefer der Greisin arbeiteten und bewegten sich heftig. Die weißen Augäpfel schienen angestrengt in die Ferne zu blicken. Doch auch jetzt blieb sie ruhig, klagte und jammerte nicht. Nur ihre gelben Hände suchten einen Augenblick in der Luft nach dem Kopf der Enkelin. Als sie ihn fanden, umfaßten sie ihn, als ergriffen sie einen teuren verloren geglaubten Gegenstand. Nach einer Weile sagte sie:

»Nun, Petrusia, ich glaube, daß unsere Zeit hier vorbei ist. Du wirst hier nichts Gutes mehr zu erwarten haben. Wir wollen lieber Peter und Petrowa für Brot und Salz einen schönen Dank sagen und anderswohin gehen.«

Brot und Salz, d. h. Unterkunft, fand Petrusia ohne Schwierigkeiten, denn sie war in der ganzen Gegend als eine ausgezeichnete Arbeiterin bekannt. Man nahm sie auf einem kleinen benachbarten Adelsgut als Hofmagd an und erlaubte ihr, die Großmutter bei sich zu behalten unter der Bedingung, daß die Greisin für die Speisen, die man ihr gab, dem Hofe Leinen und Wolle spinnen sollte. Drei Tage nach der endgültigen Antwort, die Stefan Dziurdzia in Form dreier Ohrfeigen von der armen Waise erhielt, ging bei Sonnenaufgang die Tür des Hauses von Peter auf, und Petrusia trat heraus. Sie war in einen kurzen Kittel aus gelbem Tuch, einen blauen Rock gekleidet und trug dazu flache Schuhe und ein rotes Kopftuch. Ihre ganze Habe und auch die der Großmutter hatte sie in einem leinenen Sack untergebracht, den sie über die Schulter warf. Vor der Brust hielt sie den Spinnrocken, den sie ebenfalls in ein Leinentuch gewickelt hatte. Ihr folgte die blinde Aksena, ebenfalls in einem Tuchkittel, in flachen Schuhen und mit einer schwarzen Haube auf dem Kopf. In der einen Hand hielt sie den Stock, mit dem sie ununterbrochen den Boden abtastete, mit der anderen hielt sie sich fest am Ärmel der Enkelin. Sie waren fast gleich groß und beide schlank. Hochaufgerichtet und schweigsam verließen sie das Bauernhaus und gingen ins Dorf. Über ihnen wanderten noch am blauen Frühlingshimmel weiße Nachtnebel. Links und rechts von ihnen standen die verschlossenen Gehöfte und breiteten sich Gärten aus, deren Bäume völlig unbeweglich standen. Die Kühe brüllten nicht, die Hühner gackerten nicht, sogar die Hunde bellten noch nicht. Hier und da ließ sich neben dem Eingangstor, hinter einem niedrigen Zaun, irgend jemand sehen, der heute früher wach wurde als die anderen. Beim Anblick der beiden Frauen, die im bläulichen Licht des Sonnenaufgangs durch das Dorf schritten, grüßte man manchmal mit etwas Mitleid, manchmal mit gleichgültiger Stimme die Vorbeigehenden:

»Geht mit Gott!«

Sie antworteten zu gleicher Zeit:

»Bleibt mit Gott!«

Dann gingen sie weiter. Das rotwangige Mädchen mit den lustigen Augen richtete sich noch höher auf und beschleunigte den Schritt. Das sich an den Ärmel ihres Kittels klammernde alte Großmütterchen trippelte ihr eilig, doch ruhig nach und richtete seine erblindeten Augen in die Welt, die es nicht sehen konnte, deren Berührung es jedoch an der Bewegung des Morgenwindes spürte, der mit dem mehlweißen Haar spielte. Der Luftzug holte einige weiße Haarsträhnen unter der Haube hervor und zerrte an ihnen. Einige weiße Locken fielen auf das knochengelbe Gesicht. Was Petrusia auf dem Adelsgut, drei Werst von Sucha Dolina, erlebte, das wußten die Einwohner von Sucha Dolina nicht allzu genau. Nur daß sie dort diente, nichts mehr. Geheiratet hatte sie nicht. Ein Jahr, nachdem sie das Dorf verlassen hatte, schickte Stefan Dziurdzia in aller Förmlichkeit und so, wie es die Sitte gebot, die Brautwerber zu ihr. Unverrichtetersache kehrten sie jedoch zurück, und Stefan trank im Gasthaus eine ganze Woche hindurch und prügelte sich dort herum, sobald sich eine günstige Gelegenheit dazu fand. Im Ernst begannen jetzt die Leute davon zu sprechen, daß das Mädel ihm etwas angetan haben müßte, wenn er sie so ganz und gar nicht vergessen konnte und sich so nach ihr verzehrte. Wird ihm wohl irgendeinen Trunk gegeben haben, damit er niemals von ihr läßt! Doch warum will sie denn das, wenn sie ihn nicht liebt und nicht heiraten will! Die damals noch lebende Mutter Stefans, erzürnt auf Petrusia des Sohnes wegen, sagte einmal:

»Ist doch klar! Ihre Großmutter ist eine Hexe, die nur danach trachtet, den Menschen irgendwie zu schaden.«

Schließlich heiratete Stefan ein Mädchen aus dem Nachbardorf, und das Gerede der Menschen über Petrusia hörte bald auf. Man sah sie auch selten. Nur manchmal trafen sie die Mädchen aus Sucha Dolina auf dem Wege zur Ernte oder zu einer anderen Feldarbeit oder auf dem Heimweg. Genau wie die anderen trug sie eine Sichel oder eine Hacke in der Hand. Wenn die Dorfmädchen an Petrusia vorbeigingen, die inzwischen über 20 Jahre alt geworden war, begannen sie, scheinbar absichtslos, vor sich hin zu singen, doch im Grunde genommen war es für sie bestimmt:

»Hili, hili, graue Gänschen,
Graue Gänschen auf dem Bach!
Deinen Mann wollt'st du nicht haben,
Jetzt blas Trübsal und denk nach!«

Manchmal traf sie ein alter Bekannter, der mitleidig den Kopf schüttelte oder zu scherzen versuchte:

»Na, und wie ist es denn mit deinem Schmied? Kommt er denn bald oder nicht?«

Er kam zwar nicht bald, doch er kam. Er mußte ja kommen, denn nicht weit vom Dorf entfernt lag sein Acker, sein Haus, das er von den Vätern geerbt hatte und wo inzwischen ein Fremder, angeblich ein Pächter, herumwirtschaftete. Eines Tages, es war ein Sonntag, verbreitete sich im Dorf die Nachricht, der Schmied sei vom Militärdienst zurückgekehrt und rechne jetzt in seinem Hause mit dem Pächter ab. Abends, als das Gasthaus voll war und die Menge tanzte, trank und sich unterhielt, erschien er selber dort. Doch er war so verändert, daß man ihn kaum wiedererkennen konnte. Als er das Dorf verlassen hatte, war er schmächtig, mager, mehr einem heranwachsenden Burschen als einem stattlichen Mann ähnlich gewesen. Dazu war er genauso angezogen gewesen wie die anderen Männer in Sucha Dolina: er hatte einen Kittel aus grobem Tuch oder einen einfachen Überrock aus blauem oder rotem Leinenstoff getragen. Wie anders war er jetzt! In all den Jahren waren durch die militärischen Übungen und Märsche seine Arme stärker geworden, seine Brust war breiter, und das früher so blasse Gesicht trug eine gesunde, tiefdunkle Farbe. Er war jetzt männlicher, größer, strammer. Ein schwarzer Schnurrbart überschattete die Oberlippe, die Augen blickten munter und mutig. Er hatte keinen Kittel, auch keinen Überrock, sondern ein städtisches Jackett aus dunklem Tuch, ordentliches Schuhzeug an den Füßen und um den Hals ein buntes Halstuch. So angezogen, mit einer Zigarette zwischen den Fingern, erschien er im Gasthaus. Von allen Seiten wurde er begrüßt und bewundert, begann dann auch seinerseits alle zu begrüßen und sich laut an alle zu erinnern. Man konnte es ihm leicht anmerken, daß er weit in der Welt herumgekommen war, daß er klüger geworden war, daß seine Umgangsformen sich abgeschliffen hatten, daß er aber doch gern wieder in das Heimatdorf zurückkehrte. Für die alten Bekannten bestellte er ein 3-Quart-Maß Schnaps, trank selbst einige Becher leer, doch mehr ließ er sich auf keinen Fall einschenken. Dabei rauchte er Zigaretten, diskutierte, erzählte, was er in der Ferne gesehen hatte, wo er umhergewandert war und mischte sich schließlich unter die Tanzenden. Beim Tanz drehte er die Mädchen so geschickt und so gern, als ob er das Dorf niemals verlassen hätte. In der Mitte des Tanzsaales erhoben sich so dichte Staubwolken, daß man nur undeutlich die schweren Gestalten der tanzenden Burschen und die bunten Kleider der Mädchen unterscheiden konnte. Doch den heimgekehrten Schmied konnte jeder der Anwesenden in der Staubwolke leicht unterscheiden. Nicht nur an dem dunklen, städtischen Jackett und dem bunten Halstuch, sondern am besten an seinen geschickten, raschen Bewegungen. Er war es, der mit dem größten Temperament »Hu, ha« beim Tanzen aufschrie und mit seiner außer Atem gekommenen Partnerin nach einigen Dutzend Runden noch schneidig, keck und mit Grazie eine Runde um den Saal zugab. Mit jedem Mädchen schäkerte er lachend und ungezwungen. Nicht ein einziges ließ er beim Tanzen aus. Jedem blickte er tiefer in die Augen, und als eines ihm beschämt davonlaufen wollte, ergriff er es noch zwischen Tür und Ofen und drückte dem Ausreißer einige laute Küsse auf die Backen. Nicht mit einem einzigen Wort kam er auf Petrusia zu sprechen und fragte auch niemanden nach ihr. Einige ältere Frauen erinnerten ihn jedoch an sie, als sie ihn aus dem Kreise der Tanzenden förmlich davonschleppten, einen dicht geschlossenen Ring um ihn bildeten und ihrer Zunge freien Lauf ließen. So war es mit Petrusia, sagten sie: das ist geschehen, dies hat sie gemacht, jenes hat sie gemacht; und auch was sich zwischen Stefan und ihr ereignet hat, was ihr die Leute geraten haben, wo sie hingegangen ist, wie sie durch die Leute gefoppt und ausgelacht worden ist und mit welchen Liedern man sie verspotten wollte. Der Schmied hörte dem Gerede der Frauen ruhig zu, lachte dann, daß seine weißen Zähne hinter dem schwarzen Schnurrbart wie Perlen aufblitzten und sein lautes Lachen oft die Worte der Erzählenden übertönte. Doch er sagte kein Wort. Nicht ein einziges Wort sagte er von Petrusia oder von seinen Plänen, sondern bestellte den Frauen Schnaps und als Zubiß Käse, ging dann zu den Tanzenden, drehte sich und sprang noch ausgelassener als bisher. Da wurde es allen klar, daß er an Petrusia nicht mehr dachte.

»Mit verändertem Herzen und anderen Gedanken ist er zurückgekommen«, sagte man allgemein.

Andere fügten noch hinzu:

»Wie soll er auch jetzt noch an sie denken? Eine Zugewanderte ist sie, eine, die nichts hat als ein einziges Hemd am Leibe, dazu ist sie schon alt. Sie wird wohl jetzt bereits 24 Jahre sein. Ja, ja, er könnte wohl jetzt auch irgendein feines Fräulein heiraten …«

Vielleicht hatten die, die so sprachen und dachten, auch recht. Vielleicht erinnerte sich der Schmied nicht mehr an Petrusia und die verflossenen Jahre. Die vielen Erlebnisse hatten ihn wahrscheinlich das Mädchen und das, was er ihm versprochen hatte, vergessen lassen.

Innerhalb der nächsten zwei Wochen sah er sie nicht – er versuchte auch nicht, sie zu sehen. Man sagte, daß er mit seinem Pächter Ordnung mache, was nichts anderes heißen konnte, als daß er ihn aus seinem Hause jagte, und das ging nicht ohne lauten Streit und laute Klagen über den ruinierten Hof ab. Er soll deswegen sogar zum Gericht gegangen sein: Man konnte leicht merken, daß er sich vorgenommen hatte, tüchtig zu arbeiten, und zwar nicht nur als Landwirt, sondern auch als Schmied. Er gab allgemein bekannt, daß er – wie sein Vater und Großvater – das Schmiedehandwerk ergreifen wolle, und lud jeden in seine Schmiede ein. Erst einige Wochen nach seiner Rückkehr, an einem heißen Sommertag, ging er auf die weiten Felder – scheinbar ziellos. Er hatte ein weißes Leinenjackett an, auf dem Kopf eine Soldatenmütze, ging langsam den Feldweg entlang, rauchte eine Zigarette dabei und wiegte den Körper leicht hin und her – ein Junggeselle, ein reicher Kavalier, der sich seiner Klugheit bewußt ist und sich keine Sorgen zu machen braucht … Ganz langsam schlendernd, kam er bis zu einem Birkenwäldchen, das eine der nächsten Anhöhen bedeckte und hinter welchem sich eine weite Strecke ausgereifter Kornfelder ausbreitete. Ausgerechnet heute begann man mit der Ernte. Einige Schnitterinnen bückten sich über die goldene Flut, die sich mit jedem Schritt der Frauen zu ihren Füßen im Gruß zu neigen schien. Der Schmied blieb am Rande des Wäldchens stehen und beobachtete eine der arbeitenden Frauen, die sich eben hoch aufgerichtet hatte und mit ihren kräftigen Armen eine große Garbe Roggen aufhob, sie einige Meter weitertrug und dort hinwarf, wo schon viele andere lagen. Dann sah man die Sichel in der Hand in der Luft aufblitzen, die Frauengestalt bückte sich wieder und begann zu schneiden. Dabei kam sie jener Stelle immer näher, wo der Schmied stand. Doch sie hob den Kopf nicht, und nur ihre Hände bewegten sich schnell, immer schneller, so daß der Stahl der Sichel im Sonnenglanz blitzte. Dem Schmied blieb der Mund halb offen stehen, er starrte die herankommende Frau wie ein Wunder an, warf die Zigarette weit hinter sich und verschränkte die Arme auf der Brust. Einer Säule ähnlich stand er am Rand des kleinen Birkenwäldchens, und unter dem schwarzen Bart begann ein Lächeln seinen Mund zu umspielen. Er bemerkte ganz genau, daß die immer näher kommende Schnitterin, obwohl tief zur Erde gebückt, genau wußte, wer dort am Waldesrande stand. Hier und da warf sie ihm unter den gesenkten Lidern einen schnellen Blick zu, doch sie schwieg, hob den Kopf nicht und ließ ihre Sichel immer schneller und schneller arbeiten. Als sie nur einige wenige Schritte von ihm entfernt war, sprach der Schmied sie an:

»Guten Abend, Petrusia.«

Da reckte sie sich hoch, ließ die Hände mit der Sichel auf ihren Rock fallen und antwortete:

»Guten Abend.«

Sie blickte ihn dabei nicht an. Die langen Wimpern bedeckten ihre Augen fast ganz. Sie stand seitwärts zu ihm und schien auf irgend etwas zu warten oder einfach mitten in der Arbeit ein Weilchen ausruhen zu wollen. Der Schmied lehnte sich lässig an einen hervorstehenden Baumast und sagte mit zusammengekniffenen Augen:

»Ist es denn schön, einem alten Bekannten gegenüber so gleichgültig zu sein?«

Die junge Schnitterin zuckte die Achseln, hob aber die Lider nicht hoch und sagte in einem fast bösen Ton:

»Was heißt hier schon gleichgültig?«

»Aber! Sollte mich denn Petrusia nach so langer Zeit nicht anders begrüßen können?«

»Wenn man mich nicht grüßt, dann habe ich es ja auch nicht nötig.«

Der Schmied ging von dem Baum weg, an den er sich bis jetzt gelehnt hatte, und näherte sich ihr noch einige Schritte. Die Augen der jungen Frau blickten immer noch auf den Boden, und die Hände, in denen sie die Sichel hielt, hingen immer noch an dem blauen Rock. Sie arbeitete schon seit einigen Stunden. Der Tag war heiß, und dichte, große Schweißtropfen perlten auf ihrer braungebrannten Stirn, auf den geröteten Wangen, die jener Mohnblume glichen, die sie in das dunkle Haar hinter dem Ohr eingeflochten hatte. Wie gebannt blickte der Schmied das Mädchen an. Es schien, als ob er unverwandt die Schweißperlen anstarrte, die Petrusias Gesicht so dicht bedeckten.

»Was ist mit dir?« begann er. »Du arbeitest und schuftest, was?«

»Ja, ich schufte«, antwortete sie.

»Wie ein Ochse im Joch?«

»Wie ein Ochse …«

»Bei fremden Leuten?«

»Bei fremden.«

»Und die alte Großmutter ist immer noch bei dir?«

»Ja!«

Noch einen Schritt kam er ihr näher.

»Und warum hast du Stefan Dziurdzia nicht genommen?« fragte er.

»Weil ich ihn nicht wollte«, gab sie zur Antwort.

»Und die Leute wollten dich dazu überreden?«

»Ja, das wollten sie.«

»War die Großmutter dafür?«

»Sie war dafür.«

»Warum hast du ihn denn nicht genommen? Hättest ihn nehmen sollen, hättest jetzt ein eigenes Haus, gekaufte Stoffe und könntest jeden Tag auf Speck gebratene Eier essen!«

Diesmal trat das Mädchen lebhaft von einem Bein aufs andere und gab unfreundlich zurück:

»Sollen doch die Schweine seine gebratenen Speckeier fressen …«

»Und jetzt singen die Mädchen Spottlieder über dich, weil du schon eine Alte geworden bist?«

Sie zuckte die Achseln:

»Sollen sie doch singen.«

Die Augen des Schmiedes begannen zu glitzern, die Hände erzitterten leicht.

»Wie redest du mit mir, als ob du selbst nicht wüßtest, ob du überhaupt reden sollst oder nicht … Wie zu einem Hund … Sagst ein Wort und schweigst gleich wieder und blickst einem nicht einmal ins Gesicht, als ob man etwas Böses getan hätte!«

»Ach, ach! Du hast mir ein Schicksal bereitet! Fürs ganze Leben und den Menschen zum Spott … Schon seit zwei Wochen bist du hier, und an mich hast du noch nicht gedacht. Nicht ein gutes Wort hast du bis jetzt zu mir gesagt. Nicht einmal dort hingesehen hast du, wo ich die ganze Zeit war!«

Sie hielt die Tränen an, die ihr die Augen füllten und ihr auf die Wangen fielen, bückte sich, um die Sichel aufzuheben, und sagte mit einer Bewegung, als ob sie gehen wollte, halb in Tränen erstickend, halb zornig:

»Willst du mich nicht, so will ich dich auch nicht. Geh! Heirate doch die Tochter von Labuda! Sie ist die reichste im ganzen Ort und hat zwei Augen, von denen eines nach links, das andere nach rechts guckt. Geh doch zu der Tochter des Labuda, heirate sie, aber geh weg von mir! Mit Gott!«

Eben die Augen! Die Augen, die bei der Tochter des reichen Labuda scheel und häßlich waren, waren Petrusias schönste Zierde und strömten einen solch wunderbaren Zauber aus, daß keine Hexe ein stärkeres Mittel haben konnte. Sonst war an ihr nichts Außergewöhnliches. So schlanke und gutgebaute Mädchen konnte man viel und oft finden. Doch ihre Augen waren von ganz besonderer Art. Sie schienen selbst zu sprechen, und ihre Sprache zog jeden in ihren Bann. Man fühlte sich angezogen wie durch eine herrliche goldene Schnur. Die Augen spiegelten Petrusias Seele wider, die aus dem Mund nicht reden wollte oder nicht reden konnte. Auch jetzt war in ihren grauen Augen, die den Blick des Schmiedes ergriffen und festhielten, ein solch starker Ausdruck leidenschaftlicher Anklage und klagender Bitte, angeborener Fröhlichkeit und ausdauernder Sehnsucht, daß der Schmied sie am Arm ergriff und leicht an sich heranzog.

»Hast du Stefan nicht genommen, weil du auf mich gewartet hast?« flüsterte er fragend und schnell.

»Auf wen soll ich denn sonst gewartet haben?«

»Es war schwer durchzukommen, was?«

Mit einem Finger, an dem die Sichel oder ein Messer eine rote, lange Druckspur hinterlassen hatte, zerrieb sie eine Träne auf der Wange und sagte:

»Ja, es war schwer.«

»Hast du denn so geschuftet und hast den Spott über dich ergehen lassen, weil du auf mich gewartet hast?«

»Auf wen denn sonst?«

»Schwöre es!«

Sie legte zwei Finger über Kreuz und hob den Blick zu dem glitzernden Himmel empor.

»Bei Gott und der heiligen Jungfrau Maria schwöre ich, daß ich nur die Sehnsucht nach dir kannte und auf dich gewartet habe wie auf jenen Paradiesvogel, der nur zu kommen braucht, damit die Sonne scheint und es Frühling wird …«

Er legte den Arm fest um sie und zog sie in das Wäldchen zwischen die Birken.

»Du sollst nicht umsonst gewartet haben! Denn so wahr es einen Gott im Himmel gibt, so wahr ist es, daß ich dich heiraten und als Bäuerin in mein Haus nehmen werde! Ich habe dich schon etwas vergessen gehabt, das stimmt, doch als ich dich so schwer hab' arbeiten sehen und den Schweiß sah, den du vergießt, da krampfte sich mein Herz zusammen, als ob es jemand mit einer Zange zusammenpressen wollte. Als du mich angesehen hast, da zerging in mir etwas, so süß wie der Honig …«

Unter den grünen Birken, zwischen denen der Wind leicht hindurchwehte, unter dem vielstimmigen Chor der Vögel, drückte er sie stark an seine Brust und wischte mit der Hand, die eher für Hammer und Amboß geschaffen war, die Schweißtropfen und die Tränen von ihrem Gesicht und schloß den schluchzenden und lachenden Mund mit heißen Küssen.

Noch lange redeten die Leute in Sucha Dolina, daß Petrusia auch diesem Mann etwas angetan haben mußte. Denn wo hat man schon davon gehört, daß ein Bursche in weite Ferne auszog und nach sechs langen Jahren das Mädchen nicht vergessen hatte. Dazu noch ein Bursche, dem die reichsten Mädchen nachliefen! Wo hat man denn schon gehört, daß ein solcher Bursche ein Mädchen noch heiratet, das nicht mehr ganz jung und vor allen Dingen so arm ist, eine Zugewanderte, eine Fremde … Stefan hat sie etwas angetan und auch diesem Michael. Nur – daß sie den ersten freigab, den zweiten aber für sich nahm! Die kennt vielleicht so ein Kraut …? Vielleicht noch etwas viel, viel Schlimmeres!


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