Martin Opitz
Buch von der Deutschen Poeterey
Martin Opitz

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Das V. Capitel

Von der zuegehör der Deutschen Poesie / vnd erstlich von der invention oder erfindung / vnd Disposition oder abtheilung der dinge von denen wir schreiben wollen.

WEil die Poesie / wie auch die Rednerkunst / in dinge vnd worte abgetheilet wird; als wollen wir erstlich von erfindung vnd eintheilung der dinge / nachmals von der zuebereitung vnd ziehr der worte / vnnd endtlich vom maße der sylben / Verse / reimen / vnnd vnterschiedener art der carminum vnd getichte reden.

Die erfindung der dinge ist nichts anders als eine sinnreiche faßung aller sachen die wir vns einbilden können / der Himlischen vnd jrrdischen / die Leben haben vnd nicht haben / welche ein Poete jhm zue beschreiben vnd herfür zue bringen vornimpt: darvon in seiner Idea Scaliger außfürlich berichtet. An dieser erfindung henget stracks die abtheilung / welche bestehet in einer füglichen vnd artigen ordnung der erfundenen sachen. Hier mußen wir vns besinnen / in was für einem genere carminis vnd art der getichte (weil ein jegliches seine besondere zuegehör hat) wir zue schreiben willens sein.

Ein Heroisch getichte (das gemeiniglich weitleufftig ist / vnd von hohem wesen redet) soll man stracks von seinem innhalte vnd der Proposition anheben; wie Virgilius in den büchern vom Ackerbawe thut:

Quid faciat lætas segetes, quo sidere terram
Vertere, Mæcenas, vlmisque adiungere vites
Conueniat; quæ cura boum, qui cultus habendo
Sit pecori, atque apibus quanta experientia parcis,
Hinc canere incipiam.

Vnd ich (wiewol ich mich schäme / das ich in mangel anderer deutschen exempel mich meiner eigenen gebrauchen soll / weil mir meine wenigkeit vnd vnvermögen wol bewust ist) in dem ersten buche der noch vnaußgemachten Trostgetichte in Widerwertigkeit des Krieges:

Des schweren Krieges last den Deutschland jetzt empfindet /
Vnd das Gott nicht vmbsonst so hefftig angezündet
Den eifer seiner macht / auch wo in solcher pein
Trost her zue holen ist / soll mein getichte sein

Nachmals haben die heiden jhre Götter angeruffen / das sie jhnen zue vollbringung des werckes beystehen wollen: denen wir Christen nicht allein folgen / sonden auch an frömigkeit billich sollen vberlegen sein. Virgilius spricht weiter an gedachtem orte:

                Vos, o clarissima mundi
Lumina, labentem coelo quæ ducitis annum,
Liber, & alma Ceres, &c.

Vnd ich:

Diß hab ich mir anjetzt zue schreiben fürgenommen.
Ich bitte wollest mir geneigt zue hülffe kommen
    Du höchster trost der welt / du zueversicht in not /
    Du Geist von GOtt gesandt / ia selber wahrer GOtt.

Gieb meiner Zungen doch mit deiner glut zue brennen /
Regiere meine faust / vnd laß mich glücklich rennen
    Durch diese wüste bahn / durch dieses newe feldt /
    Darauff noch keiner hat für mir den fuß gestelt.

Wiewol etliche auch stracks zue erste die anruffung setzen. Als Lucretius:

Aeneadum genetrix, hominum diuumque voluptas,
Alma Venus, &c.

Vnd Wilhelm von Sallust in seiner andern woche:

Grand Dieu, qui de ce Tout m'as fait voir la naissance,
Descouure son berceau, monstre-moy son enfance.
Pourmeine mon esprit par les fleuris destours
Des vergers doux-flairans, où serpentoit le cours
De quatre viues eaux: conte-moy quelle offence
Bannit des deux Edens Adam, & sa semence.
Gott / der du mich der welt geburt hast sehen lassen /
Laß mich nun jhre wieg' vnd kindheit jetzt auch fassen /
Vnd meinen Geist vnd sinn sich in dem kreiß' ergehn
Der gärte vol geruchs / hier wo vier flüsse schön'
Hinrauschen mitten durch: erzehl vmb was für sachen
Sich Adam vnd sein sam' auß Eden muste machen.

Doch ist / wie hier zue sehen / in der anruffung allzeit die proposition zuegleich begrieffen. Auff dieses folget gemeiniglich die dedication / wie Virgilius seine Georgica dem Keiser Augustus zuegeschrieben. Item die vrsache / warumb man eben dieses werck vor sich genommen: wie im dritten buche vom Ackerbawe zue sehen:

Cetera, quæ vacuas tenuissent carmina mentes,
Omnia, jam vulgata;

vnd wie folget. Dem ich in den Trostgetichten auch habe nachkommen wollen:

Das ander ist bekandt. wer hat doch nicht geschrieben
Von Venus eitelkeit / vnd von dem schnöden lieben /
    Der blinden jugendt lust? wer hat noch nie gehört
    Wie der Poeten volck die grossen Herren ehrt /

Erhebt sie an die lufft / vnd weiß herauß zue streichen
Was besser schweigens werth / lest seine Feder reichen
    Wo Menschen tapfferkeit noch niemals hin gelangt /
    Macht also das die welt mit blossen lügen prangt?

Wer hat zue vor auch nicht von riesen hören sagen /
Die Waldt vnd Berg zuegleich auff einen orth getragen /
    Zue stürtzen Jupitern mit aller seiner macht /
    Vnnd was des wesens mehr? nun ich bin auch bedacht

Zue sehen ob ich mich kan auß dem staube schwingen /
Vnd von der dicken schar des armen volckes dringen
    So an der erden klebt. ich bin begierde voll
    Zue schreiben wie man sich im creutz' auch frewen soll /

Sein Meister seiner selbst. ich wil die neun Göttinnen /
Die nie auff vnser deutsch noch haben reden können /
    Sampt jhrem Helicon mit dieser meiner handt
    Versetzen allhieher in vnser Vaterlandt.

Vieleichte werden noch die bahn so ich gebrochen /
Geschicktere dann ich nach mir zue bessern suchen /
    Wann dieser harte krieg wird werden hingelegt /
    Vnd die gewündschte rhue zue Land vnd Meer gehegt.

Das getichte vnd die erzehlung selber belangend / nimpt sie es nicht so genawe wie die Historien / die sich an die zeit vnd alle vmbstende nothwendig binden mußen / vnnd wiederholet auch nicht / wie Horatius erwehnet / den Troianischen krieg von der Helenen vnd jhrer brüder geburt an: lest viel außen was sich nicht hin schicken wil / vnd setzet viel das zwar hingehöret / aber newe vnd vnverhoffet ist / vntermenget allerley fabeln / historien / Kriegeskünste / schlachten / rathschläge / sturm / wetter / vnd was sonsten zue erweckung der verwunderung in den gemütern von nöthen ist; alles mit solcher ordnung / als wann sich eines auff das andere selber allso gebe / vnnd vngesucht in das buch keme. Gleichwol aber soll man sich in dieser freyheit zue tichten vorsehen / das man nicht der zeiten vergeße / vnd in jhrer warheit irre. Wiewol es Virgilius / da er vorgegeben / Eneas vnd Dido hetten zue einer zeit gelebet / da doch Dido hundert jahr zuevor gewesen / dem Keyser vnd Römischen volcke / durch welches die stadt Carthago bezwungen worden / zue liebe gethan / damitt er gleichsam von den bösen flüchen der Dido einen anfang der feindschafft zwischen diesen zweyen mächtigen völckern machte. Ob aber bey vns Deutschen so bald jemand kommen möchte / der sich eines volkommenen Heroischen werckes vnterstehen werden / stehe ich sehr im zweifel / vnnd bin nur der gedancken / es sey leichtlicher zue wündschen als zue hoffen.

Die Tragedie ist an der maiestet dem Heroischen getichte gemeße / ohne das sie selten leidet / das man geringen standes personen vnd schlechte sachen einführe: weil sie nur von Königlichem willen / Todtschlägen / verzweiffelungen / Kinder= und Vätermörden / brande / blutschanden / kriege vnd auffruhr / klagen / heulen / seuffzen vnd dergleichen handelt. Von derer zugehör schreibet vornemlich Aristoteles / vnd etwas weitleufftiger Daniel Heinsius; die man lesen kan.

Die Comedie bestehet in schlechtem wesen vnnd personen: redet von hochzeiten / gastgeboten / spielen / betrug vnd schalckheit der knechte / ruhmrätigen Landtsknechten / buhlersachen / leichtfertigkeit der jugend / geitze des alters / kupplerey vnd solchen sachen / die täglich vnter gemeinen Leuten vorlauffen. Haben derowegen die / welche heutiges tages Comedien geschrieben / weiter geirret / die Keyser vnd Potentaten eingeführet; weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zuewieder laufft.

Zue einer Satyra gehören zwey dinge: die lehre von gueten sitten vnd ehrbaren wandel / vnd höffliche reden vnd schertzworte. Ihr vornemstes aber vnd gleichsam als die seele ist / die harte verweisung der laster vnd anmahnung zue der tugend: welches zue vollbringen sie mit allerley stachligen vnd spitzfindigen reden / wie mit scharffen pfeilen / vmb sich scheußt. Vnd haben alle Satyrische scribenten zum gebrauche / das sie vngeschewet sich vor feinde aller laster angeben / vnd jhrer besten freunde ja jhrer selbst auch nicht verschonen / damit sie nur andere bestechen mögen: wie es denn alle drey Horatius / Juuvenalis vnnd Persius meisterlich an den tag gegeben.

Das Epigramma setze ich darumb zue der Satyra / weil die Satyra ein lang Epigramma / vnd das Epigramma eine kurtze Satyra ist: denn die kürtze ist seine eigenschafft / vnd die spitzfindigkeit gleichsam seine seele vnd gestallt; die sonderlich an dem ende erscheinet / das allezeit anders als wir verhoffet hetten gefallen soll: in welchem auch die spitzfindigkeit vornemlich bestehet. Wiewol aber das Epigramma aller sachen vnnd wörter fähig ist / soll es doch lieber in Venerischem wesen / vberschrifften der begräbniße vnd gebäwe / Lobe vornemer Männer vnd Frawen / kurtzweiligen schertzreden vnnd anderem / es sey was es wolle / bestehen / als in spöttlicher hönerey vnd auffruck anderer leute laster vnd gebrechen. Denn es ist eine anzeigung eines vnverschämten sicheren gemütes / eines jetwedern / wie vnvernünfftige thiere thun / ohne vnterscheidt anlauffen.

Die Eclogen oder Hirtenlieder reden von schaffen / geißen / seewerck / erndten / erdgewächsen / fischereyen vnnd anderem feldwesen; vnd pflegen alles worvon sie reden / als von Liebe / heyrathen / absterben / buhlschafften / festtagen vnnd sonsten auff jhre bäwrische vnd einfältige art vor zue bringen.

In den Elegien hatt man erstlich nur trawrige sachen / nachmals auch buhlergeschäffte / klagen der verliebten / wünschung des todes / brieffe / verlangen nach den abwesenden / erzehlung seines eigenen Lebens vnnd dergleichen geschrieben; wie dann die meister derselben / Ouidius / Propertius / Tibullus / Sannazar / Secundus / Lotichius vnd andere außweisen.

Das ich der Echo oder des Wiederruffes zue ende der wörter gedencke / thue ich erstlich dem Dousa zue ehren / welcher mit etlichen solchen getichten gemacht hat / das wir etwas darvon halten; wiewol das so Secundus geschrieben (wie alle andere seine sachen) auch sehr artlich ist: darnach aber / weil ich sehe / das sie bey den Frantzosen gleichfalls im gebrauche sein; bey denen man sich ersehen kan. So sind jhrer auch zwey in meinen deutschen Poematis, die vnlengst zue Straßburg auß gegangen / zue finden. Welchen buches halben / das zum theil vor etlichen jahren von mir selber / zum theil in meinem abwesen von andern vngeordnet vnd vnvbersehen zuesammen gelesen ist worden / ich alle die bitte denen es zue gesichte kommen ist / sie wollen die vielfältigen mängel vnd irrungen so darinnen sich befinden / beydes meiner jugend (angesehen das viel darunter ist / welches ich / da ich noch fast ein knabe gewesen / geschrieben habe) vnnd dann denen zuerechnen / die auß keiner bösen meinung meinen gueten namen dadurch zue erweitern bedacht gewesen sein. Ich verheiße hiermitt / ehestens alle das jenige / was ich von dergleichen sachen bey handen habe / in gewiße bücher ab zue theilen / vnd zue rettung meines gerüchtes / welches wegen voriger vbereileten edition sich mercklich verletzt befindet / durch offentlichen druck jedermann gemeine zue machen.

Hymni oder Lobgesänge waren vorzeiten / die sie jhren Göttern vor dem altare zue singen pflagen / vnd wir vnserem GOtt singen sollen. Dergleichen ist der lobgesang den Heinsius vnserem erlöser / vnd der den ich auff die Christnacht geschrieben habe. Wiewol sie auch zuezeiten was anders loben; wie bey dem Ronsard ist der Hymnus der Gerechtigkeit / Der Geister / des Himmels / der Sternen / der Philosophie / der vier Jahreszeiten / des Goldes / &c.

Sylven oder wälder sind nicht allein nur solche carmina, die auß geschwinder anregung vnnd hitze ohne arbeit von der hand weg gemacht werden / von denen Quintilianus im dritten Capitel des zehenden buches saget: Diuersum est huic eorum vitium, qui primùm discurrere per materiam stylo quàm velocissimo volunt, & sequentes calorem atque impetum ex tempore scribunt: Hoc syluam vocant; vnd wie an den schönen syluis die Statius geschrieben zue sehen ist / welche er in der Epistel für dem ersten buche nennet libellos qui subito calore & quadam festinandi voluptate ipsi fluxerant; sondern / wie jhr name selber anzeiget / der vom gleichniß eines Waldes / in dem vieler art vnd sorten Bäwme zue finden sindt / genommen ist / sie begreiffen auch allerley geistliche vnnd weltlicht getichte / als da sind Hochzeit= vnd Geburtlieder / Glückwündtschungen nach außgestandener kranckheit / item auff reisen / oder auff die zuerückkunft von denselben / vnd dergleichen.

Die Lyrica oder getichte die man zur Music sonderlich gebrauchen kan / erfodern zueföderst ein freyes lustiges gemüte / vnd wollen mit schönen sprüchen vnnd lehren häuffig geziehret sein: wieder der andern Carminum gebrauch / da man sonderliche masse wegen der sententze halten muß; damit nicht der gantze Cörper vnserer rede nur lauter augen zue haben scheine / weil er auch der andern glieder nicht entberen kan. Ihren inhalt betreffendt / saget Horatius:

Musa dedit fidibus diuos, puerosque deorum
Et pugilem victorem, & equum certamine primum,
Et iuuenum curas, & libera vina referre.

Er wil so viel zue verstehen geben / das sie alles was in ein kurtz getichte kan gebracht werden beschreiben können; buhlerey / täntze / banckete / schöne Menscher / Gärte / Weinberge / lob der mässigkeit / nichtigkeit des todes / &c. Sonderlich aber vermahnung zue der fröligkeit: welchen inhalts ich meiner Oden eine / zue beschliessung dieses Capitels / setzen wil:

O d e
                  Ich empfinde fast ein grawen
    Das ich / Plato / für vnd für
    Bin gesessen vber dir;
    Es ist zeit hienauß zue schawen /
    Vnd sich bey den frischen quellen
    In dem grünen zue ergehn /
    Wo die schönen Blumen stehn,
    Vnd die Fischer netze stellen.

Worzue dienet das studieren /
    Als zue lauter vngemach?
    Vnter dessen laufft die Bach
    Vnsers lebens das wir führen /
    Ehe wir es innen werden /
    Auff jhr letztes ende hin;
    Dann kömpt (ohne geist vnd sinn)
    Dieses alles in die erden

Hola / Junger / geh' vnd frage
    Wo der beste trunck mag sein;
    Nim den Krug / vnd fülle Wein.
    Alles trawren leidt vnd klage /
    Wie wir Menschen täglich haben
    Eh' vns Clotho fortgerafft
    Wil ich in den süssen safft
    Den die traube giebt vergraben.

Kauffe gleichfals auch melonen /
    Vnd vergiß des Zuckers nicht;
    Schawe nur das nichts gebricht.
    Jener mag des heller schonen /
    Der bey seinem Gold vnd Schätzen
    Tolle sich zue krencken pflegt
    Vnd nicht satt zue bette legt;
    Ich wil weil ich kan mich letzen.

Bitte meine guete Brüder
    Auff die music vnd ein glaß
    Nichts schickt / dünckt mich / nicht sich baß
    Als guet tranck vnd guete Lieder.
    Laß ich gleich nicht viel zue erben /
    Ey so hab' ich edlen Wein;
    Wil mit andern lustig sein /
    Muß ich gleich alleine sterben.


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