Balder Olden
Kilimandscharo
Balder Olden

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Am schwarzen Stein

Hüssen sollte mit seinen feuergefräßigen Reitern den Feind angreifen, wo er ihn traf, fliehen, die Verfolger in eine satanisch gebaute Falle schleppen. Der Befehl eiligst abzureiten, hatte ihn per Azetylen spät nachts erreicht, als echter Scotsch und Pirnstiels autobiographisches Heldenlied, Kapitel sechzehn, wetteiferten, sein Leid, seinen Witz und alle Sehnsucht einzuschläfern. Die alte Suse mußte in tiefer Nacht hergeben, was nur in ihr steckte.

Naß und mager trafen beide im Kompagnielager ein. Das kochte von Lebendigkeit. Kein Reiter, kein Askari, noch Koch, der nicht alle Hände voll Arbeit hatte, um für einen Ritt, der Wochen dauern konnte, zu rüsten.

Auf Hüssens Feldtisch lag der Zettel, den Lisas verzweifelte Hand beschrieben hatte. »Sie einziger Freund, kommen Sie!« Naß und mager war ein paar Stunden vor ihm Fritzchen Hartlieb eingetroffen, hatte den Brief abgegeben, sich dann mit Eifer daran gemacht, zusammenzusuchen, zu tauschen, stehlen, was ein für jeden Fall gerüsteter 198 Patrouillenreiter brauchte. Es sah wieder einmal nach echtestem Ernst aus, ade ihr Träume der Liebe!

Der Abteilungsführer, ein junger Major, kam aus dem benachbarten Biwak der Dreiundzwanzigsten angejagt, preschte durchs Lager, sah im Südwester, einen Krückstock im Arm, dem alten Fritz lächerlich ähnlich. Mund und Nase scharf, bewußt, die Stirn auf Tatsachen gestimmt, seine lauernde Haltung mit etwas hochgezogenen Schultern, das Visionär-Verträumte in den blauen Augen wie bei Menzel: »Bonsoir, messieurs!«

Major von Treppow war Hüssens Freund, kurz, zynisch, im geheimen Winkel seines Herzens sentimental wie er, beide ganz Soldat ohne Schablone. Er sprang vom Gaul, rief den Negergruß »Hodi!«, wetterte herein: »Na, Hüssen, das ist ein Auftrag?«

Hüssen saß an seinem Tisch und starrte auf Lisas Zettel.

»Hüssen, in die Matumbatu-Berge rein, nachts in die englische Stellung – an dies Mordsding von Fort, das die Kerls da gebaut haben! Ein paar Vorposten überrannt, Telegraphenlinien zerschnitten, reingebullert nach Noten, mit dem ersten Licht raus! Halten Sie sich zehn Minuten, bis die Kerls zur Verfolgung ansetzen. Dann los, rausgefegt, Zehnkilometerrennen wie beim Derby. Und wer Ihnen auf den Fersen bleibt, den kriegt meine Dreiundzwanzigste – Hüssen! Zum Satan, Hüssen, sind Sie krank?«

Hüssens Augen liefen an dem Major vorbei, sahen nichts. 199

»Ich bitte um zwei Tage Urlaub, Herr Major!«

»Fehlt Ihnen was, oder treiben Sie Schindluder mit mir?«

»Zwei Tage . . .«

»Boy, Wasser! Whisky! Heiaheia, schnell!«

Hüssen war mit blutleerem Gesicht zurückgetaumelt, hielt sich am Tisch fest.

»Soll ich Ihnen den Arzt schicken?«

»Ich bin gesund, Herr Major!«

»Dann sprechen wir in einer halben Stunde weiter.«

Als Hüssen wieder zu Atem kam, befahl er den Gefreiten Hartlieb zu sich.

»Erzählen Sie, Hartlieb, alles!«

»Jawohl, Herr Oberleutnant. Ich hatte einen Malaria-Anfall, gerade bei dem Massai-Kraal am –«

»Blech! Was war in Mikatera?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant. Baron Isonsky ist durch den Unteroffizier Timm verhaftet worden, als er sich weigerte . . .«

Noch ehe die halbe Stunde vorbei war, stand Hüssen vor seinem Major, einen festen Plan im Kopf, feste Worte im Mund. Er sollte Lisa nicht wiedersehen, diesmal nicht und vielleicht nie. Aber er mußte helfen und konnte es vielleicht.

»Ich ziehe mein Urlaubsgesuch zurück, Herr Major.«

»Das hatte ich erwartet, Hüssen!«

»Darf ich eine andere persönliche Bitte vortragen?«

Dann mußte Hüssen ein Kanossa durchmachen, 200 mehr verraten, als er je aus seinem Leben verraten hatte.

»Ich bin es Isonsky schuldig, mich bis zum Letzten für ihn einzusetzen.« Treppow verstand ihn.

Als Telegramme und ein Bote nach Moschi gesandt waren, Briefe an Lisa und Isonsky, als Hüssen, fast über das Mögliche hinaus, alles getan hatte, was er tun konnte, strich er mit letztem, verzweifeltem Willensakt aus seinem Hirn, was ihn seit Tagen ganz allein beherrschte. Studierte Karten, beriet, kommandierte, hatte nur noch Dienst und Pflicht im Kopf. Morgen wurde ein Streich geführt, der nur gelingen konnte, wenn ein Rekordritt glückte, Keiner versagte, auf Minuten und Meilen präzise Tat sich an Tat schloß. Er dachte an nichts mehr, als an die Aufgabe, die ihm bei diesem Kraftstück im Wild-Ost-Krieg zugefallen.

Inzwischen sollte Isonsky kapitulieren, zum Kalbfell schwören. Ein besonderer Wunsch des Majors reklamierte ihn zu seiner Abteilung, zu Hüssens Kompagnie. Hüssen versprach ihm passende Verwendung, sorgfältige Untersuchung durch den Stabsarzt der Abteilung . . . Er sollte an Frau, Kinder, Zukunft denken – und kommen. Es hieß: »Sie werden etwa in ein paar Wochen ein Magazin verwalten, Säcke und Fässer zählen, dann als Gerechtfertigter nach Mikatera heimziehn. Statt Kriegsgericht und . . .!«

Am nächsten Morgen war Truppenschau, drunten in der Steppe zwischen den Lagern der beiden Kompagnien.

Als erste Staffel Hüssens weiße Reiter, auf 201 erbeuteten Pferden, Maultieren, Zebroiden, sechzig wilde Männer, von denen keiner eine Uniform hatte, Chargierte ohne Abzeichen, Veteranen ohne Orden, Buben und Graubärtige, die keine Schwenkung, keinen Griff militärisch ausführen konnten. Sechzig Männer, die sich so allein und kantig in ihrem Wesen fühlten, daß Europa ihnen zu eng war, daß ihnen erst wohl wurde, wenn sie zehn Kilometer weit im Umkreis keinen anderen Europäer wußten. Jetzt saßen sie seit mehr als einem Jahr in Klumpen beisammen, es konnte keiner husten, ohne daß die neunundfünfzig anderen es hörten – und vertrugen sich! Ihre bärtigen Gesichter, feine und grobe, spitznasige und bernhardinerhaft stumpfe, hatten einen gemeinsamen Zug bekommen in diesem Jahr voll Kampf, geteilter Nöte und Räusche, im Chorgesang durchluderter Nächte, zu einem Schicksal verschweißter Einsamkeit, Wut und Sehnsucht.

Alle waren sie Selbständigkeit gewöhnt, beherrschen, ihren Willen durchdrücken. – Jetzt waren sie Masse und wirklich Masse geworden, ohne Drill, nur aus einem Gefühl gemeinsamer Not, gemeinsamer Ehre, gemeinsamer Bestimmung.

Hinter ihnen die dreiundzwanzigste Feldkompagnie. Drei Züge schwarzer, grimmiger Gesichter, kaum jedes zwanzigste ein weißes, Kämpfer von Tanga und Jassini, die Einer gegen Zehn gesiegt hatten – in Schlachten, von denen Europa sprach.

Hätten die Askari geahnt, daß man sie drüben bestaunte, deutsche Schulkinder von ihnen träumten, englische Zeitungen ihr Bild brachten, und 202 hätten sie begriffen, was das in einer Zeit bedeutet, in der jeder Marktflecken der Welt seine Helden zählte, sie hätten über die breiten, schwarzen Gesichter gegrinst, in tiefen, poltrigen Tönen gelacht und hätten diese Wirkung ihrer Kriegstaten unsagbar komisch gefunden. Aber hätten sie selbst begreifen können, was ihr Ruhm bedeutet, sie würden doch nie begriffen haben, wie gerade sie zu diesem Ruhme kamen.

Sie waren Landsknechte, aus allen Stämmen, allen Dörfern Ostafrikas zusammengewürfelt, Sudanesen, belgische Kongomänner, englische Somali standen mit ihnen im Glied, und keiner dachte an seinen Stamm oder gar so etwas wie die Nationalität des Landes, für das er kämpfte.

Sie exerzierten und rasselten Griffe für zwanzig Rupie Monatslohn. Wenn sie ins Gefecht gingen, dachten sie an Beute und Beutegeld, wenn sie den Feind sahen, erwachte in ihnen der Instinkt reißender Urwald-Tiere, die allerherzlichste Freude am Wüten, der Stolz darauf, besser geschult und besser geführt zu sein als ihre Gegner. Aber wenn der Gegner sich besiegt gab, das Feld räumte, wenn er gar floh: dann schlugen sie sich auf die Schenkel und fanden das Kriegführen von Herzen komisch. Sie waren Fatalisten in solchem Grade, daß klaffende Verluste in ihren Reihen, daß auch Wunden und der nahe Tod sie nicht erschüttern konnten. »Mungo will es,« sagten sie. Viel dachten sie nicht an diesen Mungo. Sie wußten nur, daß alles geschah, was er wollte, und daß es deshalb ganz gleich gefährlich war, ob man am Breitopf lagerte oder 203 ins Feuer lief. Nur eins konnte Mungo unmöglich wollen: daß der Askari nichts zwischen die Zähne bekam, nachdem er seine Pflicht getan hatte, daß er sich dauernd ohne Weib behelfen sollte, – daß irgendein schwarzer Zweibeiner kein tiefes Salam machte, wenn er sich zeigen tat, der Bwana Askari, Goldknöpfe am Khakirock, in Wickelgamaschen, den adlergezierten Tarabusch auf dem Kopfe, den Karabiner im Arm! Der Salam war ihnen nie verweigert worden, mochten ihre Knöpfe noch so blind, ihr Khaki noch so rissig sein. Brei und Fleisch und Weib hatte ihnen Mungo zuweilen vorenthalten, aber dann war es eben sein Wille, daß sie sich all' das recht bald neu eroberten, und wenn es ans Hungern ging, konnte man sie nur durch Gefechte und Sturmangriffe beruhigen. Sie kämpften nicht für den deutschen Gedanken in der Welt, die Freiheit der Meere, sie wußten den Teufel, worum es in diesem ganzen Krieg ging. Viele hatten schon in den Kolonialtruppen der Feinde gedient, und, abgesprengt oder gefangen, verschrieben sich manche wieder dem feindlichen Kalbfell. Sold, Beute, die Lust des Kämpfens, darum ging es ihnen, denn sie waren Landsknechte, Wilde, denen im Gefecht Schaum vor dem Munde stand, die nach dem Gefecht als Wilde johlten.

An einem Führer, der sich bewährt hatte, hingen sie mit demselben Fatalismus, mit dem sie sich dem Mungo unterstellten. Ein Bwana Hauptmann, dem sie trauen konnten, war diesem höchsten Wesen ziemlich nahe. Aber ein Führer, der einmal im Gefecht versagt hatte, war dafür auch ganz unten 204 durch, diese musterhaft disziplinierten Soldaten konnten Achtung und Mißachtung ausdrücken wie Kinder. »Du mußt dich schonen, du bist unser Kopf,« sagten sie dem Weißen, der sich der Gefahr mehr preisgab, als ihnen ratsam schien. »Wir sind die Arme, aber was sollen wir tun, wenn uns der Kopf fehlt?« Einem andern aber, der ihr Vertrauen enttäuscht hatte, schrien seine Askari zu: »Geh du voran!«, als er sie ins Feuer kommandierte. Dabei waren sie so militärisch, daß mancher buchstäblich mit der Hand an der Hosennaht starb, wenn sein Vorgesetzter bei ihm stand.

Als letzte Staffel waren Träger und Boys aufgestellt, vom »alten Stock« kommandiert, der sich für diesen Zug – als ob's ein Kirchgang wäre – das eckige Kinn glatt rasiert, den rostroten Schnurrbart hoch gebürstet hatte. Sie schleppten Nahrung für Pferde und Menschen, Buschmesser, um schwierige Wege zu erzwingen, mußten als Troß, unbewaffnet, nackt, hinein in die grimmige Steppe und alle Gefahren des Kriegs. Je zwei und zwei trugen sie die Last eines rüstigen Esels – sie konnten länger Durst ertragen, der Sonne trotzen, ihrem Führer gehorchen als Esel. Schrien nicht wie Esel, wenn sie Wasser oder Stuten witterten, trieben weniger Staub auf, konnten Reisig sammeln, Wasser schöpfen, Pferde hüten, wenn biwakiert wurde und sie die Last vom Schädel nehmen durften.

Es waren gute Leute ausgesucht, aber unter den Jungen mit blanker Haut standen doch ganz klapprige Gestalten. Gesichter mit grauem Bartgefussel, Rücken, die sich unter der Last krümmten, Rippen, 205 die wie Fremdes vom Leibe standen. Gerade diese Alten, Elendigen waren manchmal wundervolle Sklaven, die wie Pferde gingen und trugen, bis sie am Ziel oder tot waren. Menschen, die ihre Last auf dem Schädel schleppten, wie ein König regiert oder ein Dichter denkt: aus Bestimmung heraus, ehrgeizig, unentwegbar. Sie versteckten sich, wenn's knallte, denn Krieg und Feind gingen sie nichts an. Aber sie verloren ihre Last nicht aus dem Auge, luden sie wieder auf, wenn das Schießen vorbei war, hatten keinen Blick für ihre mit Blei abgewürgten Kameraden, schleppten weiter – sei's auch nun im Dienste des Feindes. Bis zum Ziel oder Tod: ehrgeizig, unentwegbar. Wenige von ihnen hatten Namen oder Gesicht, die irgendein Europäer, einer ihrer Herren kannte. Ein paar pflegten die Hoffnung, dereinst Boy oder gar Askari zu werden – nur ein paar. Die meisten hatten gar keine Hoffnung, glaubten auch nicht mehr, daß dieser Krieg jemals ein Ende nähme. Jeder Weiße, jeder Askari, jeder Boy kommandierte sie, sie unterwarfen sich jedem Befehl, solange sie Atem hatten. Dämmerte jemals eine Ahnung von Widerstand in ihnen auf, denn kleidete er sich in den Gedanken an Tod. Wenn sie tot waren, schleppten sie nichts mehr, brannte der Kiboko nicht mehr, brauchten sie nicht mehr zu gehorchen. »Ich geh' ein!« war ihre Drohung, wenn sie Unmögliches leisten sollten. Sie unternahmen es, natürlich, sie gehorchten. Aber des höchsten menschlichen Rechtes, einzugehen, waren sie sich in allem Jammer bewußt.

Die Boys an ihrem Flügel, das war eine andere 206 Sorte Mohr! Knirpse wie Sandflöhe und Schlagetote durcheinander, alle aber ihrer Wichtigkeit, ihrer Talente, ihrer Stellung bewußt. Jede Geltung richtete sich nach der seines Herrn – der Pferdebursch des großen Herrn Hauptmann wäre um Nichts Leibkoch bei Rieke, dem Rekruten, geworden. Aber unter schwarzem Volk waren sie doch alle geadelt durch ihre intime Stellung bei den Weißen, aus deren Nähe allein man Geist und Wunderkraft entnehmen mußte. Auch geschmückt waren sie, mit Stiefeln, die man bei wirklichem Marsch über die Schultern hängen konnte, Wickelgamaschen, Khaki; sie trugen Rucksäcke mit manchmal spiegelnden Riemen, trugen eine Kopfbedeckung! Tags die Mütze, abends den Tropenhelm ihres Herrn, jeweils unzweckmäßig, immer Auszeichnung und Zier. Sie trieben Politik, sagten frei heraus, daß die Engländer böse sind, ihren Sündern nicht fünfundzwanzig, sondern dreißig hinten drauf brennen, daß sie drüben in Europa Lasten tragen, ohne Kopfbedeckung Rickschah ziehen, während die Deutschen natürlich, Zigarette im Mund, in Weiß oder Rohseide, Krokodile schießen und in der Rickschah gezogen werden. Von den Boys konnte selbst ein Askari etwas lernen! Wie sie von den Askari gelernt hatten: das Kugelpfeifen nicht zu hören, im Gefecht noch Dienst zu tun, ihrem kämpfenden Herrn Patronen und Wasser zuzuschleppen, wenn er sich verschossen hatte oder durstig war. Wenn er fiel, sein Gewehr zu nehmen und zu handhaben.

Wer nicht zur Parade kam, weder Stellung noch Haltung kannte, waren die Ilmoran, die jungen 207 Massai-Späher. Sie waren plötzlich da, mit Schild und Lanze, ein Stück Fell um die Schulter, einen Fetzen rohes Fleisch im Gürtel, mit ihren düsteren Adlerköpfen, verhangenen Augen, ihren Gesichtern voll Würde und Geheimnis. Sie tauchten auf wie aus der Steppe gewachsen, ein Schwarm, eine Wolke, schlossen sich um die Parade, wurden Schnabel, Fittich, Schwanzfeder des Zuges. Schnell wie Pferde, fernsichtig, sollten sie Schutz, Verbindung, Deckung sein.

»Herr Oberleutnant, darf ich eine Meldung machen?«

Fritzchen Hartlieb war auf einmal ins Hirn geblitzt, was er bei den Massai gesehen hatte. Er liebte diese Nihilisten der Steppe, hatte sich in ihrem Kraal gehegt, an ihren Frauen entzündet. Aber es wäre sinnlos, zu verschweigen, daß sie als entschlossene Feinde ihrer Verbündeten im Zug marschierten.

»Raus damit, Hartlieb!«

»Ich war ein paar Tage im Massai-Kraal . . .«

Jetzt hatte Fritzchen sein raffiniert blödes Grinsen im Gesicht und erlebte ihn wieder, den Hörselberg der Steppe.

»Feixen Sie nicht so geil! Ihre Minnefahrt kommt später zur Diskussion!«

»Herr Oberleutnant, unsere Ilmoran steh'n in Verbindung mit den feindlichen Ilmoran.«

»Haben Sie Beweise?«

»Zu Befehl, Herr Oberleutnant . . . nein! Ich weiß es nur!«

Plötzlich wußte es auch Hüssen »nur«! Auf dem 208 Eukissai, gestern, im Abreiten, hatte er wie im Traum gesehen, daß ein Ilmoran dem genialen Pirnstiel etwas überreicht hatte, ein Bündel, länglich, sorgsam getragen, sichtlich angstvoll erwartet . . .

Das war die schottische Wunderquelle! Kein vergrabener Schatz, kein vom toten Eukissai-Farmer vererbtes Hamstergut – die Kundschafter hüben und drüben hatten mitten im Kampfgebiet eine Börse etabliert, an der sie Schmuggelware gegen Rupie und militärisches Geheimnis tauschten! Mit einem Schlag wußte er's, hatte den Schlüssel zu hundert dunklen Ereignissen, kannte den Grund mancher Enttäuschung, schlimmer Verluste und böser Ueberraschungen . . .

Die Ilmoran zogen nicht mit ins Feld, gehörten schon tags darauf wieder ihrem Stamm. – Kein Weißer fand fürderhin den Kraal der Jungfrauen offen und einsam, wie Fritz Hartlieb ihn gefunden, betreten, genossen hatte. Man beriet sogar später, ein paar Ilmoran-Führer aus Gründen des Dekorums zu hängen. Aber kaum gefangen, bohrten sie sich wie Maulwürfe aus dem Gefängnis, überlisteten alle Posten, wie sie viele Monate lang die Alleswisser, Allesversteher von weißen Männern beider Parteien überlistet hatten – – –.

Dann begann die große Expedition, ein Marsch von vielen Tagen, ungeseh'n an feindlichen Spähern und Wachen vorbei. Kam der Vorstoß von Hüssens Reitern, ihr tolldreister Sturm mit Karabiner-Spielzeug gegen Betonmauern, die kanonengespickt waren, ihre Flucht, die Verfolgung.

Am »Schwarzen Stein« rannten Hüssens 209 Verfolger in die ausgebauten Linien aus Bum-bum-Maschinen. Der »Schwarze Stein« war eine senkrecht ragende Platte, die weithin Schatten warf, Dornbusch und Stachelakazien zu ihrem Fuß, Kaktuswälder und Kunstverhaue. Ein unheimliches Versteck, Brutplatz für Schlangen und Panther, von gierig-bösen Geistern bewacht. Dort hatte man sich schon oft geschlagen, dort hatten Angeschossene, ins Dickicht Versprengte, sich mit Nägeln und Sporen die Bäuche aufgerissen, um nicht lebendig Löwenfraß zu werden, dort hatte man Gehenkte gefunden, ohne Spur dessen, der sie gehenkt hatte, als seien sie voll Ekel über diese Welt viele Meilen weit in die Steppe gerannt, um hier, wo Aas und Mord natürlich schienen, ihr Leben von sich zu werfen.

Es rannten ins Feuer und töteten einander: Pflanzer, Jäger, Forscher, Missionare, Freunde und Schwäger. Es töteten einander und wurden getötet: Bantu-Neger aller Stämme, auf beide Parteien verteilt wie zum Kriegsspiel, dazu Sudanesen mit semitisch-europäischen Gesichtern, die im Kampfe vor Wut brüllten, Somali, Schokolade-Riesen mit traurig-schönen Gesichtern, die ihren Feinden das lebendige Herz aus der Brust fressen, aus ihrer Heimat verschleppte Hindu-Soldaten, die den Kampf weigerten, zu Wischnu, ihrem Gott der Güte, heulten, gar nicht schossen, sich nur abknallen ließen; mohammedanische Reiter aus den Himalayabergen, mit langen Bärten, an deren Bambus-Lanzen Fähnchen flatterten, die schön wie Bronzebilder ins Gefecht gingen, aber in Reihen fielen, weil sie zum Feinde überlaufen wollten. 210

Das Dickicht am »Schwarzen Stein« saugte sich voll mit Blut. Es fiel der junge Major, der wie Menzels Alter Fritz aussah (»Bonsoir, messieurs«), Schukrin, der Missionar aus Bulotti, viele Askari, Träger, Signal-Junge, Boys. Darunter Funza, der war erst zwölf Jahre alt, ein Kletter-Aeffchen, ein lachendes Nagetier. Der wollte seinem Herrn den verlorenen Hut bringen und bekam einen Bauchschuß. 211

 


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