Balder Olden
Kilimandscharo
Balder Olden

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Mikatera

Ganz nackte, weiße Kinder sprangen aus dem Schatten der Veranda ins helle Sonnenlicht, kugelten einen Augenblick lang im weichen Rasen, jauchzten Kisuaheliworte in den Tag. So oft sie ins Schattenbereich zurückkamen, stürzte ihr junger Neger-Boy, selbst in weiße Tücher gehüllt, einen Kübel frischen Wassers über jedes blonde Köpfchen, und dann prusteten die Beiden, drehten sich wie Kreisel auf fein bossierten Beinen, daß Regenbogen um sie stäubten. Die beiden Nackten waren kleine afrikanische Baronessen, die ihre Nacktheit zu tragen wußten. Als sie mit tauschimmerndem Haar auf Strohbänken lagen und der Neger ihre Füße untersuchte, ihre Haut trocknete, als ein Boy Hemdchen und Höschen und Kittel, fein geplättet, zurecht legte, lächelten sie wie Sultanstöchter.

Nackt und weiß, waren sie in aller Schöpfung rings herum das Edelste und Schönste. Wer ihnen nah kam, diente ihnen.

Es diente ihnen selbst ihre Mutter, die immer glaubte, sie habe Wunderkinder getragen und geboren. Sie kam heraus, im weißen, kurzen Kleid, 20 den Strohhut wie einen Korb am Arm, Blumen in der Hand. Sie kam, lag auf Knien vor ihrer nackten Brut, küßte die zierlichen Füße, rosigen Bäuche, die Blumenfinger.

Vor dem einstöckigen Pflanzungshaus, dieser lustigen, weiß leuchtenden Villa mit vielen blitzenden Fenstern und farbigen Giebeln, streckte sich kilometerweit ein einziger Garten, die Kaffeepflanzung Mikatera. Niedrige Kaffeebäumchen bildeten ein unendlich saftiges, tiefgrünes Feld, aus dem vom reichen Segen der kommenden Ernte abertausend helltönige Farbflecke, die roten Kirschen der Kaffeefrucht, leuchteten.

Vor ein paar Stunden erst hatte die Arbeit begonnen. Vom Bungalow aus sah man kaum einen der fast nackten, schwarzen, schwitzenden Arbeiter, die, über zahllose Gärten verteilt, mit tiefgebeugtem Rücken Unkraut rauften, Bäumchen beschnitten, gossen und pflegten. Kaum einen Handgriff taten sie, den nicht leiser Gesang begleitete, ein paar Worte in immer gleichem Tonfall, die ihre Arbeit schilderten. So war es, als schwebte ein einziges Lied, ein traurig-feierliches Morgenlied, über dem Garten, das alle Arbeit, die hier geschah, wehmütig adelte.

Wer die Sprache der Wanjamwesi kannte, wußte freilich, daß sie ihren Sang nicht zum Preis der Arbeit angestimmt hatten.

»Ich jäte das Unkraut, aber heut mittag werde ich Bananen essen!«
»Ich hacke, hacke, hacke.« 21
»Wir hacken, hacken, hacken.«
»Aber die gute Frau gibt mir Maisbrei, wenn ich hungrig bin.«
»Wir werden Maisbrei essen, bis wir dicke Bäuche haben, das gibt Kraft in die Glieder.«
»Ich hacke, hacke, hacke.«
»Aber heut abend werde ich einen dicken Bauch haben.«

Sehr nasal, manchmal klirrend wie von den verrosteten Saiten einer alten Zither, wurde diese Elegie von Arbeit und Genießen wohl hundertmal wiederholt, bis aus einer ganz fernen Ecke der Pflanzung plötzlich mit hellen und heftigen Tönen eine Kinderstimme zu neuem Vers ansetzte:

»Der Herr ist nach Moschi gefahren!«
»Aber die Frau ist bei ihren Jungen geblieben!«
»Der Herr ist scharf, aber die Frau ist sanft wie Honig.«

Dann kam als Refrain wieder die Hoffnung auf einen rund gefressenen Bauch, und zum zweitenmal sang der ganze Chorus, gedämpft wie zuvor, jene Strophe von dem wissenswerten Begebnis im Hause des Europäers.

Frau von Isonski hörte schon längst nicht mehr auf den Neger-Sang, obwohl in sechzig Strophen unter hundert sie selbst, ihr Mann oder ihre Kinder die Helden dieser schlichten Balladen waren. Den Gesang aber selbst hörte sie wie der Müller das Rauschen des Wassers überm Rad. Es war Musik, die zu diesen Farben gehörte, zum Grün und Rot des samtenen Gartens, zum funkelnden Blau des 22 Himmels, zu dem weiten Blick in die Steppe hinab, die sich jenseits der Pflanzung golden und geheimnisvoll auftat.

Mikatera lag an den letzten, sanft verlaufenden Hängen des Kilimandscharo, der sich im Rücken der Pflanzung in unbeschreiblich kühnem Bogen wölbte, urwaldbestanden, eine erhabene Wehr vor diesem an Fruchtbarkeit und Arbeit schweren Land.

Ueber dem Kilimandscharo-Bogen hob sich eine Kuppel in streng gotischen Linien und leuchtendem Weiß, edelste Krönung dieses edlen Baues: der Kibogipfel in ewigem Schnee.

Milliarden funkelnder Augen spähten aus diesem Gletscher ins Blau des Tropenhimmels, und Morgen um Morgen empfand es die junge Frau als ein neues, unsagbar wirkliches Glück, zwischen der Pracht dieses Berges und dem Duft der Steppe, die Augen voll vom Grün ihres Fruchtgartens, zu sitzen, ihre Kinder an die Knie gelehnt, um sich den lieben Schatten ihres Hauses.

Ein Spalier hochstämmiger Rosen, ein langes Boskett mit leuchtend farbigen Blumen schlossen Kinder- und Herrschaftsgarten gegen die Pflanzung ab. Die Drei waren hier aufgehoben und ganz geborgen. Bald lagen bunte Seidenkittel wie Blätter um die gesunden Kinderkörper, waren die Haare gepflegt und gestrählt. Kleider, Haare und Haut stäubten ihren Duft aus, etwas wie Pfirsichduft, den Frau von Isonski, erst achtsam prüfend, dann mit halb geschlossenen Augen und entzückt, atmete. Der Neger, der als Kinderfrau diente, machte Salaam, eine tiefe, ehrfürchtige und doch würdevolle 23 Verbeugung. Dann ging er, mit Badegerät beladen, ins Haus, Mutter und Kinder blieben allein in Grün und Blumen und Gesang. Höher stieg die Sonne, mächtiger glühte der Tag.

»Bibi, ein weißer Reiter!«

Ein Feldarbeiter war plötzlich hereingestürzt, der auf schwarzen, krummen Beinen seltsam stackelte. Sein Lendentuch war naß, Finger und Zehen elend verkrümmt, er war alt und brüchig. So tief sein Salaam war, so scheu, der eigenen Häßlichkeit bewußt er auf weitem Abstand verharrte, empörte sein Anblick doch den Schönheitssinn der afrikanischen Herrenkinder.

»Fort, elender Bauer!« schrie die siebenjährige Kandy und war plötzlich kein Kind mehr, Blumen oder jungen Tieren nicht mehr ähnlich.

»Wart draußen, wenn du etwas willst! Wo ist die Peitsche?« dalberte die achtjährige Beatrice, die schön war wie ein Traum von himmlischen Putten. Der alte Neger erkannte sein Unrecht; mit tiefen Verbeugungen, die Hand an der Stirn, stellte er sich in die Sonne hinaus und meldete weiter:

»Der Reiter wird gleich da sein, Bibi, er spornt sein Maultier, er reitet schnell. Vielleicht bringt er Nachrichten vom Kriege.«

Frau von Isonski sah nachdenklich die Straße hinab, auf der ihr Gast einziehen mußte. Die Kinder warfen noch immer böse Blicke auf den klapprigen Boten.

»Boy! Wasser!« rief Kandy schrill und befehlend ins Haus hinein. »Vielleicht hat er Sandflöhe, der häßliche Bauer!« 24

»Willst du mir nicht Backschisch geben, hohe Frau?« bettelte der Arbeiter und wies seine Hände, als wollte er zeigen, wie leer sie waren. »Ich bin sehr gelaufen, ich bin alt, bin aber gelaufen, wie ein Hase.«

Der Negerjunge kam auf den Befehl seiner kleinen Herrin mit einem Kübel Wasser herangestürzt, wusch und fegte über den Sandboden hin, den der Neger betreten hatte. Dann warf er dem Alten ein paar Kupfermünzen zu. Der hob die Hände zu großem Salaam und ging rückwärts ab, ein Dank um das andere wimmernd, mit immer neuen Verbeugungen und tief gekrümmten Knien.

Neben dem Bungalow lag die Küche, ein grün umranktes Steinhäuschen, das eine gedeckte Halle mit dem Wohnhaus verband. Dorthin rief die Baronin:

»Koch, ein Gast kommt!«

In leuchtendem Weiß wie der Kinder-Boy trat der Koch heraus, ein schöner, gepflegter Bursche, und hinter ihm lugte ein winziges Kerlchen von Küchenjungen, das nichts am Leibe trug, als eine Art Gürtel aus knallrotem Kattun.

Während die Baronin noch mit dem Koch über eine Erweiterung des Menüs verhandelte – denn selbstverständlich war jeder Weiße Mittagsgast, der zu dieser Tageszeit ihr Haus betrat –, hörte man von der anderen Seite des Bungalow Hufgetrappel, ein paar hell geschnarrte Kisuaheliworte, und dann kam fast im Laufschritt der Gast mit einer Vehemenz der Bewegung, mit so temperamentvollen Augen und lustigem Gesicht, daß es war, als ob ein ganzer 25 Bergbach großen Lebens in den stillen Garten sprudelte.

»Ich weiß schon, der Hausherr verreist! Hüssen heiße ich, Frau Baronin. Schon seit vielen Wochen im Norden, das bedeutet, ich kenne Sie selbst, kenne den Herrn Gemahl, die Kinder, die Geschichte von Mikatera. Ganz offen gesagt, ich weiß natürlich viel mehr von Ihnen, als Sie selbst wissen und je erfahren werden.«

Er war klein und gelenk, ein frisches Offizierchen in gut gebügeltem Khaki, ohne Abzeichen, und sah mit seinem ängstlich gehüteten Scheitel, dem großen Muschelglas von Monokel, mit seinen heftigen und ganz bewußt eckigen Bewegungen unbedingt aus, als hätte er sich nach dem Simplizissimus, etwa nach einer besonders wohlgeratenen Thönyzeichnung, selbst modelliert und erzogen. Nur blitzte es in seinen grauen Augen von Geist und Teufelei, lag über dem glattrasierten Mund immer ein frohes, ganz ohne Bosheit ironisches Lachen. »Vielleicht ist er kokett und lacht so viel, um seine Zähne paradieren zu lassen,« dachte die Baronin, die für fünf Minuten vor Herrn Hüssens Wortschwall stumm bleiben mußte, ja nicht einmal dazu kam, ihm einen Stuhl anzubieten. Sie selbst hatte wieder Platz genommen, sah erst erstaunt, dann mit unverstecktem Vergnügen den reizvoll schwadronisierenden, kleinen Mann an, wie ein ungeahnt neues Stückchen echter Natur. Nach wenigen Minuten schon ging sie mit feinem Lächeln und Lachen mit, und Hüssen konnte feststellen, daß er gefiel, noch ehe die Frau des Hauses oder die Kinder ein Wort gesprochen hatten. 26

»Ich beschwöre Sie, bleiben Sie sitzen, Frau Baronin, so, das eine Junge an Ihr Knie gelehnt, das andere auf dem Boden! Heiland, ist das ein Bild! Als wären der ganze Kilimandscharo und die Seringetti und Blumen und Bäume nur gewachsen, um Rahmen abzugeben! Also, bei Gott, alles wird übertrieben, was man hier um den Schneemuckel herum erzählt. Sogar der Kilimandscharo wird noch tausend Meter höher gemacht, als er ist! Aber wie reizend Sie mit Ihren Jungen sind, das hat auch nicht andeutungsweise irgendeiner von den Krakeelern zwischen Tanga und Moschi herausgebracht! – Diese Maidelis, dies sonnige Kroppzeug – nein, das sind keine Kinder, das ist eine neue Kreuzung aus Artischocke und Goldfisch!«

Schließlich langte er doch einen Stuhl, warf sich mit einem Ruck darauf, die Beine übereinander, aber in solchem Abstand von der jungen Frau und ihren Kindern, daß er sie weiterhin wie ein seiner Kritik vorgelegtes Bild betrachten konnte.

»Nicht böse sein, gnädigste Frau Baronin, wenn Sie während der ersten Viertelstunde nicht zu Wort kommen! Ich hasse das, diese gewissen Beschnüffelungsmomente – und außerdem, eine schöne Frau, die zuhören kann, ist ja doch tausendmal schöner als die schönste, die gehört werden will. Ich erfahre am meisten, wenn ich selbst spreche. Verstehen Sie's nicht falsch, daß ich gleich so von der Leber weg ziehe, aber einstweilen nehm' ich Sie eben als Bild oder Landschaft oder so etwas! Wie einer, der zum erstenmal so eine Madonna von Rafael sieht, oder 27 – verzeihen Sie, Baronin – Boticelli! Das ist eigentlich der einzige Maler, den ich mir gründlich angesehen hab', und von dem haben Sie etwas! Ganz zweifellos – obwohl seine Frauen eigentlich ein bißchen Satan im Leibe haben, so ein klein bißchen verrucht schmecken! Also ohne dies Paprika! Boticelli ohne haut goût. Und die Kleinen: kindliche Adoranten. Vielleicht ein Spürchen zu zart. – Jetzt lachen Sie natürlich, lachen mich aus! Wissen Sie, daß ich sonst einen Umweg von acht Stunden mache um jede Pflanzung mit weißer Hausfrau? Gar nicht etwa, weil ich Frauenhasser wäre, nein, ich hab nicht einmal was gegen weiße Frauen. Es ist nur so eine gewisse Angst. Wenn man sechs Jahre im Pori steckt, ich meine natürlich Steppe, hab mein bißchen Deutsch verlernt. Wenn man also ein ganz alter Pori-Indianer ist, dann hat man allmählich vergessen, was sich in bestimmten Situationen schickt. Die weiße Dame hat es meist nicht vergessen. Aber diesmal hab ich einen Umweg gemacht, den ganzen Weg von der Aruscha-Straße hier herauf, um, ich versichere Sie, nur um die Maidelis zu sehen! Weiße Kinder, danach hab ich manchmal Sehnsucht! Und jetzt sind Sie selbst so jung und – also Feiertag heute! Höchster Feiertag – verzeihen Sie, Frau Baronin, jetzt sagen Sie ein Wort, gelt? Nur soviel, daß ich merke, Sie sind noch nicht überanstrengt. Dann bitte ich flehentlich um Erlaubnis für eine Zigarette, und dann stell' ich mich vor. So einige Daten aus meiner nicht immer ehrenvollen Biographie, aber nur das unwichtigste und nicht gar zu kompromittierende. Also bitte das eine Wort.« 28

»Sie nehmen sicher ein Glas Scherbet?« fragte die Baronin, »Sie müssen ja furchtbar durstig sein, – ich meine natürlich nicht vom Reiten, sondern von Ihrer Begeisterung.«

Sie rief den Boy, bestellte das Getränk, sah den kleinen Reiter gut und freundlich an. »Sie sind ja verstimmt, Herr Hüssen! Dabei habe ich doch schon mehr Worte gesprochen, als Sie mir zugestanden haben.«

»Jetzt bin ich ganz aus dem Konzept,« erklärte der Gast plötzlich stotternd. »Wissen Frau Baronin, das ist ein Geheimnis. Im Grunde genommen bin ich nämlich schüchtern und nur deshalb so dreist. Um es zu verstecken! Jetzt haben Sie mich anlaufen lassen, ich weiß nicht weiter.«

Dann streckte er plötzlich die Hand nach Kandy aus.

»Liebe Gnädige, pumpen Sie mir für ein paar Minuten eins von den beiden Jungen! Oder beide, dann komm ich gleich wieder in Fluß. Außerdem muß es reizend sein, so etwas Zerbrechliches, unwahrscheinlich Wirkliches in der Tatze zu halten.«

Kandy hatte wohl verstanden, daß der fremde Mann sie rief, fühlte auch die Hand ihrer Mutter, die sanft und deutlich zu ihm wies. Aber nur zwei Schritte weit kam sie ihm entgegen, dann stand sie fest, sah ihn an, in den großen Augen einen gar nicht unfreundlichen, aber doch sehr bestimmt reservierten Ausdruck. Er lockte sie wie ein Huhn, dann wie einen kleinen Hund, endlich bat er in zärtlichen Kisuaheliworten um Freundschaft.

Frau von Isonski kannte ihre scheue Brut. Im Rücken der kleinen Beatrice schüttelte sie lächelnd 29 den Kopf, um Hüssen zu sagen, daß ein Werben aussichtslos war. Ihre Kinder traten dem schwarzen Volk als Gebieter entgegen, vor fremden Europäern fürchteten sie sich wie unbewehrtes Steppenwild.

»Kijikazi mzuri, wä, süßes, kleines Sklavenmädchen,« lockte Hüssen. »Kuya, kuya, komm, komm zu mir!«

Da war es, als hätte er in seinem zweisprachigen Locken ein Zauberwort gefunden. Ganz plötzlich geschah es, daß Beatrice sich ergab! Immer noch Aug in Auge mit dem Fremden, kam sie näher, aus ihrer Haltung schwand die stolze Abwehr, um ihre Schultern lag kein Trotz mehr. Zielbewußt kam sie, lehnte sich an seinen Arm, lächelte ihn an. In dieser Kapitulation lag so viel Würde, daß selbst Hüssen schwieg. Er saß ganz still, voll Angst, sein Zauber könnte plötzlich zerbrechen, die scheue Kreatur ihm wieder entfliehn.

»Unsere hohe Frau ist süß wie Honig,« kam von der Pflanzung das Arbeiterlied. »Schwer und rund werden heut unsere Bäuche sein.«

Dann, als Frau von Isonski rief: »So hab' ich meine Beatrice nie gesehen!«, als auch Kandy sich anschickte, von ihrer Mutter zu dem fremden Mann hinüberzuwechseln, entzog sich Hüssen dem andachtsvollen Staunen. Er nahm das Kind auf seine Knie, drückte es an sich, gleich darauf saß auch Kandy eng an ihn gelehnt. Die Spannung war vorbei, er schwatzte wieder wie ein lustiger Brunnen über das monotone Rauschen des Negergesangs weg.

»Das war acht Stunden Marsch wert, gnädige Frau! Wie das zittert, wie den kleinen Biestern das 30 Herz schlägt! Wart nur, Beatrice, heute abend kennt ihr mich schon, da bekomm' ich Gutenacht- und Abschiedsküsse von euch beiden, viele, viele . . .!«

»Denken Sie, Baronin, ich bin gleich als fertiger Onkel auf die Welt gekommen, zu jeder anderen Familienfunktion absolut unverwendbar. Zweimal bin ich es in Schmerzen geworden, fühle mich momentan zum drittenmal Onkel. Sonst, außer Nichten und Neffen, hab' ich hier im Affenland nichts entbehrt. Familie und Kurmusik und Parade mit keinem Gedanken! Nur daß ich mein Onkelamt nicht ausüben kann! Mein Schwager hat drüben um Freiburg herum eine Weinplantage. Da sitzt man auch so im Schatten, die Sonne brennt auch rings und tut einem nichts, und da sind auch diese kleinen, bunten Dinger von zukünftigen Menschen, bei denen ich meine Bestimmung entdeckt hab'.« –

Jetzt verwandelte sich der Monolog endlich in ein richtiges Gespräch. Es stellte sich heraus, daß man ein paar gemeinsame Bekannte, Erinnerungen und Freunde hatte. Als die Rede auf den Schwarzwald, Schneeschuh und Silvesterfeiern im Schnee kam, wurde die Baronin fast gesprächiger als ihr Gast.

»Das möcht ich noch einmal erleben!«

Hüssen bockte auf: »Es gibt Menschen, so seltsam es klingt, die hier draußen Heimweh nach Europa haben! Ich kann's nicht glauben, daß Sie zu denen gehören, Baronin!«

Sie lachte: »Nein, so etwas wie Heimweh hab' ich in diesen neun Jahren nicht kennen gelernt. Nicht einmal drunten an der Küste, wo ich krank war, in 31 ein paar Jahren eine alte Frau geworden wäre. Aber am Anfang war alles so neu und so phantastisch bunt, ich war nicht einmal dann unglücklich, als ich Malaria hatte. Da gab es Fieberträume, so deutlich und so orientalisch reich, ich glaube, ›Tausend und eine Nacht‹ wären blaß, wenn man das schreiben könnte.«

»Schreiben?« fragte Hüssen mokant.

»Nein, um Gottes willen! Aber gerade deshalb, weil ich selbst in einem Briefe Angst davor hab', ich konnte aus der Rolle einer braven, nüchternen Hausfrau, für die ich bestimmt bin, herausfallen . . . solche Angst, daß alles, was ich sage und schreibe, noch nüchterner wird, als ich selbst es bin. Gerade deshalb vielleicht hab' ich diese Fieberträume geliebt. Ich kam mir darnach immer vor, als hätt' ich etwas geschaffen, eine Art von Kunstwerk, und hatte vor mir selbst eine komische, dumme Bewunderung.«

»Dann sind Sie hier ins Gebirge gezogen und haben keine Malaria mehr gehabt?«

»Nein, jetzt hab' ich nur noch die Erinnerung daran und keine Gelegenheit mehr, mich zu bewundern. Aber hier oben am Kilimandscharo bin ich dann gleich so zu Hause gewesen, daß ich meine Heimat beinahe vergaß. Sie ist auch leicht vergessen, ein Etagenhaus, eine langweilige Straße in einer norddeutschen Stadt. Man schaut kaum zu den Fenstern hinaus, draußen gibt es ja nichts zu sehn! In demselben Stadtteil sind ein paar tausend Wohnungen, in denen man überall dasselbe erlebt, aus deren Fenstern man ebensowenig sieht, die ganz 32 dieselbe Art Heimat bedeuten. – Hier am Kilimandscharo klingt alles zusammen, gedeihen die Kinder, als wären sie hier auf die Welt gekommen. Unsere Pflanzung ist ein Reich, in dem wir Königin und Prinzessinnen sind. Ich natürlich eine sehr bescheidene Königin, denn mir war dies Los ja nicht an der Wiege gesungen. Beatrice und Kandy aber sind von Gottes Gnaden.«

»Dann mögen Sie die Schwarzen!« warf Hüssen ein. »Es gibt keine andere Möglichkeit, Afrika zu lieben. Das bedeutet natürlich nicht, daß man seinen Mohren Marzipan verfüttert. Ich bin nicht einmal dafür, daß sie viel weniger Prügel bekommen, als es momentan der Brauch ist. Aber trotzdem, Baronin, dies schwarze Gesindel, das sind vielleicht die angenehmsten Leute, mit denen ich im Lauf meines Lebens zu tun hatte! Wollen Sie glauben, daß ich richtige schwarze Freunde habe, Freunde in einem Sinn, wie ich sie in Deutschland nicht erlebt habe, in einem beinahe antik-heroischen Sinn! Nicht gerade Orest und Pylades – auch Max und Moritz treffen den Begriff nicht ganz. Aber wahrhaftig, es gibt ein paar Kerle unter diesen Niggern, von denen ich ganz bestimmt weiß, daß sie sich gern für mich totschlagen lassen. Nicht nur sie für mich, auch ich mich für sie! Von meinem Boy zum Beispiel bin ich überzeugt, daß er mich besser kennt als irgendein Weißer, daß er mich völlig versteht, wie ein Hund natürlich, der es nicht sagen kann, der nur so in seiner Ecke liegt und darüber nachdenkt, warum man verkatert oder vergnügt ist. Wenn ich schlechter Laune bin, kriegt er 33 natürlich mal einen Knuff an seinen Wollschädel, so als Aufmunterung. Dann ist er nicht über die Prügel traurig, sondern über mich, denn er weiß, daß ich mich nicht wohlfühle. Aber das ist noch ein ganz gemeiner Buschneger. Droben in meinem Bezirk, unter dem Volk der Watussi, da gibt es Herren, mit denen hab' ich Blutsbrüderschaft gemacht! Das sind keine Neger mehr, sind pechschwarze Römer! –

Wenn der Krieg vorbei ist, besucht ihr mich am Kiwu-See, ihr beiden Prinzessinnen!« schwatzte er wieder auf Kisuaheli zu den Kindern. »Da bau ich euch einen Palast aus Palmblättern und Elefantengras. Ihr könnt einen Watussi-König heiraten. Sogar zwei, jede einen andern!«

Die Kinder hatten auf das Gespräch kaum geachtet. Sie verstanden nur wenig Deutsch und fanden uninteressant, was sich Erwachsene zu sagen hatten. Aber sie lagen rechts und links an seiner Brust mit so zufriedenen Gesichtern, als wäre in dieser Stunde kein Wunsch unerfüllt.

Hüssens Erzählung von seinen schwarzen Freunden hatte die Baronin ernst werden lassen.

»Bis zu Freundschaften mit Schwarzen hab' ich es natürlich nicht gebracht. Ich glaube, so etwas ist auch nur da oben möglich, wo auf hundert Meilen Abstand kein zweiter Europäer sitzt, wo die Stellung des Weißen noch so ist, wie vor zwanzig Jahren hier bei uns. Heute darf man sich keinen Augenblick aus der Hand lassen, einmal der Schwarzen wegen, die zu viel von uns wissen, und für die wir Weißen nichts Geheimnisvolles mehr haben. Dann aber wegen der Nachbarn.« 34

»Prächtige Menschen, Ihre Nachbarn,« rief Hüssen, »jeder Einzelne ein Kabinettstück von knorriger Pflanzerseele! Und famose Frauen, halb Amazone, halb Krankenschwester, samt und sonders sorgfältig für den Kilimandscharo geschnitzt und bemalt. Jeder hat in diesem Paradies nur einen Fehler entdeckt: daß er Nachbarn hat; trägt in seiner Seele nur einen Makel: dies Verhältnis zu seinen Nachbarn.«

»Ich beschwöre Sie, ein anderes Thema,« lachte die Baronin. Aber dann fuhr sie bitter fort: »Wir schließen uns ab, wie wir nur können. Aber sie haben tausend böse Augen und viele Zungen. Es wäre ja gleichgültig, was von uns erzählt wird, – wenn man nicht alles wieder zu hören bekäme. Wenn es nicht immer Freunde gäbe, die es für ihre Pflicht halten, einen zu warnen, einem jeden Klatsch zuzutragen. Dieser Beistand ist das schlimmste.«

»Liebe Baronin, wir wissen doch längst, Afrika ist so groß wie die Welt und kleiner als ein Dorf. Daß man sich daran nicht gewöhnen kann, selbst Sie nicht!«

»Uns trifft es am härtesten,« klagte Frau von Isonski. »Mein Mann . . . alle halten ihn für hochnäsig und schroff und viele für bösartig. Weil man ihn dafür hält, ist er vielleicht wirklich ein wenig feindselig und abseitig geworden. Dabei müßte man Mitleid mit ihm haben. Er hat so lang an der Küste gelebt, ich glaube, daß er von jeder Tropenkrankheit noch einen Bazillenherd im Leib trägt. Er hat sie alle durchgemacht, keine einzige ganz zu Ende kuriert. Was macht er durch! 35 Schlaflose Nächte, Fieber um Fieber, dazu Klatsch und Aerger rings herum! – Was war er für ein frischer, sorgloser Junge, vor ein paar Jahren noch! Ich werde Ihnen Bilder von ihm zeigen, wie ein Kadett sieht er da aus, so fidel, so gutmütig, und jetzt . . .«

»Schicken Sie ihn auf ein halbes Jahr nach Haus, sobald der langweilige Krieg vorbei ist! Sie kriegen ihn gestärkt, geplättet und schneeweiß wieder zurück!«

»Er ist nie zu einer Erholungsreise zu bewegen! Und besonders seit wir Mikatera haben, will er kaum eine Stunde weit über die Pflanzung hinausgehn. Hier steckt alles drin, was wir je besaßen, dazu die Arbeit von so viel Jahren. In zehn Jahren sollen die Kinder große Erbinnen sein, das ist seine fixe Idee! Dabei hat er nie im Leben auf Geld geachtet, erst seit die Kinder da sind. Das wäre ja schön, aber es verdirbt auch sein Verhältnis zu den Schwarzen. Er will alles aus ihnen herausholen. In seiner Ueberreiztheit behandelt er sie natürlich oft falsch. Mich und die Kinder mögen sie gern, aber ihn nennen sie: »Bwana Wütig . . .«

»Sie aber heißen Bibi Honigsüß! Seh'n Sie, Baronin, Sie könnten mir noch stundenlang erzählen, ich würde kein Wort hören, das mir neu ist. Und genau so viel wie von Ihnen, weiß ich aus fast allen Häusern zwischen Tanga und Moschi! Aus dem Gedächtnis könnte ich Biographie, Familienstand und Vermögensverhältnisse von mindestens Dreiviertel aller Europäer am Kilimandscharo schreiben, über die Usambara-Leute weiß ich noch besser Bescheid, in Tanga sind erst recht alle Mauern 36 durchsichtig. Sie wissen doch, daß ich schon seit Wochen im Norden bin!«

»Verzeihen Sie mir,« bat die Baronin, »das heißt, ich müßte mich selbst um Verzeihung bitten. Dieser Vormittag – und mein abgestandenes Gejammere! Dabei ist das sonst nicht meine Art.«

»Das weiß ich auch! Aber um dem Gespräch einen Abschluß zu geben – von jetzt ab haben Sie einen Verteidiger – scharf wie Pfeffer! So schlecht ist kein Ruf, daß man nicht andere damit decken könnte, auch meiner nicht. Und ich hab' eine gewisse Genialität, mir den Mund zu verbrennen. Für Sie verbrenn' ich ihn von nun ab, daß er Blasen kriegt! Ich kann nämlich löwenmäßig grob werden, Baronin! Eigentlich wollte ich sagen ›saumäßig‹, ein badischer Eingeborenen-Ausdruck, wissen Sie. Muß mich nur vor den Kindern in Acht nehmen. Die schnappen so ein Wort auf, wie diese Kolobuß-Aeffchen schon sind. Also Beatrice, Kijikazi, kleines Sklavenmädchen: ›saumäßig‹ wirst du nie sagen, gelt?«

Gestern abend erst hatte Hüssen gehört, daß die kleinen Baronessen in der Boyhütte aufwuchsen wie Negerbrut, fasernackt im Dreck kugelten, kein Wort Deutsch sprachen, daß ihre ganze Existenz eine Schande und den Weißen eine Gefahr sei. Nun hielt er sie auf seinem Knie, die Nase in ihrem Haar wie in Blumensträußen, zwei gepflegte, adelige Kostbarkeiten. Strahlten diese beiden Kinder nicht gerade hier, durch Urwald und Steppe, die letzte, müde Schönheit Europas aus?

Was von dem übrigen Buschklatsch bleiben würde! Daß diese Frau mißhandelt wurde, vor den 37 Schwarzen gedemütigt, daß sie sich rächte und ihren Mann mit Hörnern belud . . . Daß man auf Mikatera die Arbeiter aussaugte, geizte, ungastlich war . . . Dabei klang noch immer über die ganze Pflanzung hin vielstimmiger Negergesang!

Nicht zehn Mann hätte Isonski zur Arbeit gehabt, wäre auch nur ein Fünftel Wahrheit, was man ihm nachsagte. Diese gepflegten, selbstbewußten Kinder hatten keinen tobenden Tyrannen zum Vater, ihre Mutter war keine verprügelte Sünderin.

Schade, daß ich nicht ein paar Tage in der Gegend bleiben kann, dachte Hüssen. Rechts und links, wo man über diese Leute schandmault, auf die Mäuler zu trommeln, diesen ganzen Klatsch, der so lange übertrieben wurde, bis er Basis und Sinn verloren hat, auseinanderzureißen, das wäre ein Vergnügen! Vielleicht findet sich noch einmal Gelegenheit!

Trotzdem . . . als plötzlich einer der weißgekleideten Boys erschien, feierlich grüßte und die Meldung brachte: »Der hohe Herr ist nah!« – konnte der Gast nicht übersehn, daß Frau von Isonski fast ängstlich zuckte. Dies Zucken war ihr bewußt, sie versuchte, es zu verbergen, wollte lächeln, und dabei stieg ihr das Blut ins Gesicht.

Die Kinder aber hatten sich aus Hüssens Armen gerissen und liefen, nicht mit lautem Jubel, aber in der schön gehaltenen Fröhlichkeit, die ihre Art war, dem Vater entgegen.

Einen Augenblick waren Hausfrau und Gast allein. Frau von Isonski trat nahe an den Fremden, hatte die Hände gefaltet. 38

»Nicht wahr, Sie werden gut zu ihm sein? Es würde so viel für uns bedeuten, wenn er nur einen Freund hätte.«

Auch Isonski hatte längst den Namen Hüssen gehört. Als er Mikatera betrat, noch ehe er ihm ins Gesicht gesehen, hatte auch er ein fertiges Bild von seinem Gast: ein Offizier, der nichts erreichen, nicht vorwärtskommen würde, weil er den Mund nicht hielt, der sauber, gradaus und kaltschnäuzig immer heraussprach, was er für saubere, gerade Wahrheit hielt; so sehr der Gegensatz eines Strebers, daß man behauptete, er sei nur Offizier geworden, um seinen Vorgesetzten die Gelbsucht beizubringen. Wo alle Zungen sich schartig rieben, immer im Gegensatz zur klatschenden Masse, lustig, klug – dieser Besuch konnte ein Glück für sein Dach werden. Zumindest brachte er einen frohen Abend, der not tat.

So aufeinander vorbereitet, kamen die beiden Männer sich wie alte Kameraden entgegen. Schon bei der Begrüßung bestätigte sich Hüssen: das war einer, den man in Schutz nehmen muß, auf dem alle herumhackten, und an dem gerade deshalb Wertvolles zu schützen ist. Dieser schmalschultrige, lange Mensch mit fanatischen Augen, ein bißchen knabenhaft, vielleicht unreif in seiner Exaltiertheit, krank und zweifellos degeneriert wie ein hochrassiges Rennpferd – der konnte an alle Ecken stoßen, auf alle Lackschuhe treten, konnte an einem Tage mehr Verkehrtes tun als irgendein Plantagen-Spießer in einem Jahre, konnte sich ewig ins Unrecht setzen. Schließlich war er doch einer, der zu sich selbst hielt, sich auch in der Verzerrung treu blieb und 39 mithin ein Mann. Vielleicht ein Don Quijote von Mann.

Es lag Hüssen auf der Zunge zu sagen: »Ich freue mich! Edle Narren sind meine Spezialität, Herr Baron!«, als er ihm die Hand schüttelte. Was ihm selten glückte: eine solche Bemerkung herunterzuschlucken, gelang ihm diesmal. Dieser arme Teufel von Edelnarr mußte geschont werden, vor allem aber diese saubere, noble Person, seine Frau, die ihn fürchtete, aber auch für ihn fürchtete.

Isonskis ungastlich und geizig? Wenn Hüssen irgendeins der über seine Wirte verbreiteten Gerüchte widerlegt fand, war es dies. In dem kleinen Speisezimmer wurden Kostbarkeiten vertafelt, die seit Erklärung der Blockade den Inhalt einer Schatzkammer bedeuteten. Bei einem geeisten Hummer in Mayonnaise fiel das erste Wort über den Krieg.

»Eine Schmach, wenn etwas wie dieser Hummer dem Feinde so quasi lebendig in die Hände fiele, oder gar eine Flasche mit solcher Medizin!« Dabei trank Hüssen Frau von Isonski zu, hielt das geschliffene Glas mit hellem Rheinwein ins Licht und gab sich sentimental. »Alles Blonde, Baronin! Sie, Ihre Jungen und Ihre Weine!«

»Wie lange wollen Sie uns helfen, dem Feinde seine Beute zu entziehn?« fragte der Hausherr.

Hüssen erklärte mit langem Gesicht, daß er sich nur bis zur Dämmerung dieses Tages dem Vaterland unterschlagen dürfe.

»Sind Sie denn nicht auf Urlaub?« fragte die Baronin enttäuscht.

»Urlaub, Gnädigste? Sie meinen, was die 40 Schwarzen »Rucksa« nennen? Das Wort ist aus dem Lexikon der Aktiven gestrichen. Ich mache momentan eine Truppenbewegung. Soll draußen am Longido eine Kompagnie übernehmen, eine verwilderte Bande von Eisenfressern.«

»Die da draußen haben alle Tage ein Patrouillengefecht oder einen Ueberfall,« erzählte der Baron. »Reiten eine Woche lang, reiten Tier und Mensch kaputt, um sich in irgendeiner stillen Einsamkeit herumzuraufen und zu schießen. Als ob es nur darauf ankäme, daß überall Blut fließt, daß die Steppe sich satt säuft, daß jeder Löwe Menschenfresser wird! Was soll sich hier denn entscheiden, hier draußen? Ob der Friedensvertrag sich darum kümmern wird, wer am letzten Tage auf den Felszacken da draußen herumlungert, wir oder –«

Der Baronin stieg alles Blut in die Stirn, ihre Hände bebten. »Könnten wir nicht – etwas anderes sprechen . . .« bat sie und ihre Stimme klang rührend. Sie suchte Hüssens Blick, als müßte sie für ihren Mann Mitleid fordern.

»Hunderttausend nettere Sachen, von denen wir sprechen können,« kam Hüssen ihr freudig zur Hilfe. »Zum Beispiel, was mir das wichtigste ist: darf ich wiederkommen? Falls ich den Waffenstillstand erlebe: denn um auf Urlaub zu hoffen, bin ich nicht abergläubisch genug. Und so als Revenant würde ich Sie vielleicht erschrecken.«

Die Baronin sah ihn dankbar an, dann fragte sie nachdenklich: »An Revenants zu glauben sind Sie also abergläubisch genug?«

»Aber Baronin! Irgendein dressierter Neger knallt 41 mir ein Stück Blei vors Gesicht, und damit sollte die ganze Karriere abgeschnitten sein? Fromm bin ich nicht, aber daß diese raffinierte Schöpfung mit all' den schikanösen Einfällen eines doch zweifellos talentvollen Schöpfers nur gemacht ist, damit mich, ihren Herrn, die Mistkäfer frühstücken – der Einfall ist zu abstrus! Nein, ohne besondere Meriten, einfach in der Ochsentour, wie ich dereinst Hauptmann werden soll, gedenke ich's irgendwo anders zu einem ganz ansehnlichen Engel zu bringen. Nur beabsichtige ich natürlich, mich im Jenseits viel zurückhaltender zu benehmen, und schon deshalb: erschienen wird nicht! Die Sterberei nimmt ja auch momentan überhand. Wenn nur jeder Dritte gelegentlich zurückkäme, hätte hier unten kein Mensch seine Ruh.«

Bei einem Rundgang durch die Kaffee-Schamba erlebte Isonski erst die rechte Freude an seinem Gast. Der verstand etwas von Afrika und afrikanischer Arbeit, kannte jede Kultur und die Bedingungen jedes Landstrichs! Gab Ratschläge, die immer ins Schwarze trafen: dort oben am Walde könnte man ein bißchen roden und einen Versuch mit Sisal machen! Hier, wo die jüngste Kaffeekultur nicht anschlug, das wäre ja ein Dorado von Kautschuk-Land!

»Und Sie dressieren Neger zu Grenadieren!« rief der Baron. »Sie, der geborene Pflanzer! Wenn ich an meine Nachbarn denke . . .«

»Kein Wunder, daß Sie bei den Nachbarn nicht beliebt sind, Baron Isonski! In Ihrer Schamba wird zu viel geschafft, steckt zu viel Tempo! Da muß die ganze Bande mit, das erbost natürlich. 42 Wenn möglich, sind Sie auch Blaukreuzler? Dann wundern Sie sich, Baronin, daß der Herr Gemahl nicht populär ist wie einer, der zum Frühstück Whisky-Punsch trinkt und um zehn Uhr morgens schlafen geht. Jedes Volk hat seine eigenen Heiligen.«

»Möglich, daß ich auch noch einer hier werde – ein San Sebastian vielleicht! Die Präliminarien haben längst begonnen.«

»Ich hätte nichts dagegen, wenn mein Mann ein klein wenig heiliger nach afrikanischem Maßstab wäre.«

»Nur das eine, wie gesagt, Herr von Isonski: ein paar Hilfskulturen, ein bißchen mehr Experimente! Unsereins setzt auch nicht auf die Kugel als einzige Karte.«

»Sie werden eine Pflanzung aufmachen, wenn Ihr afrikanisches Kommando zu Ende ist?«

»Glauben Sie, daß man nach sechs Jahren Afrika wieder Parademärsche üben könnte, Kommandeusen 'rumtanzen, Kommißstiefel nach Geruch und Farbe sortieren? Europäische Garnisonen, wenn man König im Watussi-Lande war? Gehorsamster Diener, Hoheit! Nein, ich stehe längst mit einem Fuß im Heldengrab, mit dem anderen in der Schamba. Mit dem Herrn Hauptmann a. D. ist mein militärischer Ehrgeiz befriedigt.« – – –

Als quickes Leutnantchen war Hüssen nach Afrika gekommen, den Kopf voll Pferde- und Weibergeschichten, die Armeerangliste als einzige Lektüre im Koffer, daneben ein stattliches Manuskript – »Frau Wirtin und Bonifacius Kiesewetter, eine Blütenlese, zusammengestellt und dem deutschen Volke dargeboten.« 43

Während seiner ersten Monate an der Küste war dies Manuskript wunderbar gediehn. Kameraden fanden sich, die ähnliche Sammelwerke im kleineren Stil angelegt hatten und Austausch boten. Man korrespondierte mit Kongenialen, die im Innern saßen, auf einsamen Stationen in ihrer Oede produktiv wurden. Kapitale Stücke waren da in Hüssens Besitz gekommen: »Bonifaz fuhr nach Uganda,« »Frau Wirtin hat auch einen Boy« und – ein geistreicher Stabsarzt, der an der portugiesischen Grenze die Schlafkrankheit bekämpfte, war unermüdlich.

Dann hatte der Dienst, der hier so ganz andere Bedingungen stellte als in Europa, dem jungen Leutnant Freude gemacht. Das Exerzieren, Drillen und Schießen – schließlich war es gleichgültig, ob man da schwarze oder weiße Gesichter in Schweiß brachte. Man war kurz und wohlwollend, freute sich Tag um Tag, wenn die Geschichte ihr Ende hatte. Aber die Soldaten, diese schwarzen Söldner, aus allen Stämmen Ostafrikas zu einem einzigen Stamm, einer Art ganz neuer Nation zusammengewachsen, führten ein Privatleben, das mit dem Dienst seltsam verschmolz. In Liebes- und Ehesachen, bei Geburt und Tod, ob es sich um ihren Bauch oder ihre Hütte handelte, gab es für sie nächst dem großen M–U–N–G–O, dem Herrn über den Wolken, nach dessen Befehl alles geschah, nur eine Instanz: Bwana-Leutnant. Für allen Gehorsam und alles Vertrauen, das sie ihm gaben, stellten sie Gegenforderungen. Er mußte zu ihnen gehören, von ihm verlangten sie, daß er ihr Kopf 44 und ihr Vater sei. Sie waren hunderttausendmal anspruchsvoller und bedürftiger als drüben in Europa der ärmste Rekrut. Kein Ehekonflikt in irgendeiner Askarihütte, den nicht der Bwana-Leutnant zu entscheiden hatte, keine Krankheit und keine Sorge, die nicht zu ihm kam. Er mußte Doktor und Hebamme sein, wenn der Zufall es fügte, es gab kein Gebiet des Lebens, auf dem er nicht letzte Instanz war. So hatte er aus nackten Wilden musterhafte Gardisten gemacht, Ehen gestiftet und geschieden, kleinen Zukunfts-Askaris zur Welt geholfen, Kranke gesund oder tot kuriert. In kaum einem Jahre afrikanischen Dienstes! Trotzdem dachte er damals noch, er würde nach ein paar Dienstperioden wieder in einer deutschen Garnison sitzen, eine Kompagnie führen, Weiber necken und haben, Pferde trainieren und Rennen reiten.

Dann war das Kommando nach Kiwu-Land gekommen, ein Kommando, das eigentlich kein militärisches mehr war. Er sollte höchster Verwaltungsbeamter in einem Volk von fünfmalhunderttausend Seelen sein, sollte Straßen und Brücken bauen, Steuern erheben, Bücher führen, Berichte schreiben.

Es war nicht lockend, aber eine Abwechslung. Sauber rasiert, gescheitelt, das Monokel im Auge, wie ein Jockei auf sein kleines, zähes Maultier geklemmt, trat Hüssen seine Fahrt ins dunkelste Afrika an. Immer rasiert und gescheitelt, zog er mit wenig Soldaten und Trägern wochen-, monatelang durchs Land, sah durch sein Muschelglas Wüsten und Paradiese, geriet an Weiße, die daheim selbst die Schaufel geführt hatten, hier aber große Herren waren, 45 sah Gärten, die der Wildnis abgerungen wurden, lernte irgendwie dunkel die Zusammenhänge zwischen Gottes Schöpfung und Gottes Geschöpfen begreifen. So zog er, seltsam lebendig gemacht, in seine Herrschaft ein, die kein Weißer vor ihm beherrscht hatte.

Riesige Wilde grüßten ihn gläubig und kindisch, nicht als einen Beamten, als vom Himmel gesandten Regenten. In ihren goldbraunen Augen war der Urwald, war die Wildnis, blickte die unbetastete Seele der Menschheit den kleinen Leutnant an, und es war eine Stille um ihn, in der Jahrtausende schwiegen. Er mußte seinen Regimentspalast selbst bauen, mußte roden und pflanzen. Aber hier durfte kein lärmvoll-frisches Zupacken sein, kein Krähen und »Zug-in-die-Bande-bringen«. Hier war Schöpfungsmorgen, der hatte seine Gesetze.

Hüssen lehrte sein Wakiwu-Volk den Begriff des Geldes und die Last der Steuern, mußte ihre erhabene Welt in die Welt hinüberdrängen, aus der er kam. Er tat es mit Schuldgefühl und weichen Händen. Viel lieber hätte er sich als Wächter vor dies Land gestellt, hätte »Halt, Europa!« geboten.

An dem Bergsee, der in der Kiwusprache »Gottes Auge« heißt, an diesem Perlmutterbecken, im Fächeln jeder Nacht, die von Düften troff, geschah dem armen Leutnantchen, was er nie bekannt hätte. Es ging in ihm etwas auf: Du mußt gut sein! Seine dumme, kecke Seele erlebte die Zerknirschungen eines Heiligen, ein quicker, kleiner Herrenreiter stand da Wange an Wange mit dem Gott der einsamen Fluten und wehrte sich nicht. Dieses Gottes 46 tiefe, tiefe Güte bewältigte ihn, gestaltete neu und erfüllte ganz sein leeres, zähes Herz.

Als der Krieg kam, trugen die Wakiwu noch keine Hosen, hatte noch keiner Schnaps gekostet, wußte noch keiner Schlimmes von den Weißen. Hüssen war dreißig Jahre alt geworden, sah wie ein Fähnrich aus. Das rotwangige Gesicht frisch rasiert, das Muschelglas im Auge, ein blondes Jungchen, zog er mit seiner kleinen Truppe in den Kampf, aufs Maultier geklemmt wie ein Jockei. Aber die riesigen Wilden schlugen sich Stirn und Brust, ihre goldenen Augen weinten, sie drängten sich mit Händen voll von Gaben an seinen Weg. Von Hügel zu Hügel, von Dorf zu Dorf, hallte es durch ein Land, das Hunderttausende von Seelen barg:

»Unser Vater verläßt uns, wir sind Waisen!«

Was Kurt Hüssen aus diesem Kapitel seines Lebens zum besten gab, waren natürlich nur kurze Bruchstücke, die holperig und, von seiner amüsanten Schnoddrigkeit seltsam übertüncht, vor die Hörer purzelten, beide aber, die gütige Frau und der in jedem Organ seiner Seele exaltierte Mann, fühlten heraus, daß der Erzähler tief und brünstig erlebt hatte, hörten viel von dem, was er verschwieg. Sie kamen sich nahe in ihrer Menscheneinsamkeit, ihrer Liebe zum Tropenland.

Freilich führte die Erkenntnis dieser Gemeinsamkeit, das deutliche Bewußtsein, einen irgendwie Gleichgestimmten gefunden zu haben, Isonski zu neuem Fieber und neuen Ausbrüchen seiner gespeicherten Leidenschaft. – Man saß wieder auf der Veranda bei Tee und Toast und Früchten, in 47 einer ganz reinen, friedvollen Gemeinsamkeit, als abermals das Wort Krieg fiel – und der Baron, rote Flecken im Gesicht, den Mund verzerrt, plötzlich auftobte.

»Verbrechen, den Krieg in die Kolonien zu tragen! Hirnloses Verbrechen! Statt das zum Ausdruck zu bringen, statt zu protestieren, sich männlich zu unterwerfen, wenn's sein muß, stürzen wir uns hysterisch in einen Kampf, den kein Mensch uns aufgezwungen hat. Was wollen wir? Wer das Meer hat, hat die Kolonien. Das ist Naturgesetz. Dagegen sich stemmen, blutiger Wahnsinn!«

»Lieber!« bat die Baronin. Aber sein Zorn ging unaufhaltsam nieder.

»Er ist krank!« flehte die Frau Hüssen an, und ihn entzückten ihre klagenden Augen.

»Studentenulk, dieser Buschkrieg! Mein Herr, ich wünsche mit Ihnen zu hängen, – hängt! Und los bis zur Abfuhr. Füchse im zweiten Semester verfügen über unser Blut und Leben, die Arbeit von Jahrzehnten stampfen sie unter ihre Kanonenlackstiefel. Generationen werden lachen über diese Don Quijoterie!«

»Hören Sie nicht zu!« bat die arme Frau.

Aber Hüssen lachte: »Seit vier Monaten ist Krieg, ich hab' noch keine Rede gehört. Ein paarmal das Vaterunser über einem offenen Grabe und im übrigen »Prost, meine Herren!« Das waren bisher die rhetorischen Leistungen dieses Krieges. Dies ist die erste echte Begeisterung, die sich löst. Sie haben Temperament, Baron! Und schließlich sind wir unter uns.« 48

Bald war es für den Soldaten Zeit, aufzubrechen. Schon lag die Sonne hinterm Haus, hing im Gipfel des Kilimandscharo und vergoldete seine Kuppel. Schwarz stand die Mauer des Meruberges im Osten, aus der Pflanzung hörte man kein Schwatzen und Singen mehr. Hüssen hatte eine dem Tier gefährliche Tse-Tse-Gegend zu durchreiten, mußte bald nach Sonnenuntergang davon. Nur diese kurze Dämmerstunde lag noch vor ihm.

Weiß im Gesicht, mit fliegenden Händen war der Baron hinausgerannt, sich zu beruhigen, die blauen Augen voll Flammen. Einen Augenblick war Hüssen mit der Hausfrau allein.

»Sie haben Mitleid mit meinem armen Mann?« bat sie. Hüssen küßte ihre Hand, sah wie ein Kadett in ihre Augen.

»Gute Baronin!«

Dann kamen Beatrice und Kandy zum Gutenachtsagen, im langen Nachthemd, rote Lederpantoffel an den nackten Füßen, das Haar in kleinen Rattenschwänzen. Hüssen hatte nicht zuviel erwartet. Im Laufe des kurzen Tages waren ihm die Kinder vertraut geworden. Sie ließen sich auf sein Knie ziehen, er legte einen Arm um jeden der schmalgliedrigen Körper mit den spitzen Gelenken.

»Ihr weißen Kälblein,« redete er auf Suaheli, »geht ihr schlafen, geht ihr kulala? Zwei weiße Bibilein in einer weißen Kitanda!«

»Kulala, kulala,« sang er tief in die Kinderohren, einschläfernd wie der Sandmann im Märchen.

Als Kandy die Augen zufielen, nahm die Baronin 49 ihm das Kind vom Schoß und trug es fort. Beatrice aber, die blauen Augen ihres Vaters schon umschleiert, aber noch voll vergnügten Genießens, blieb an Hüssens Brust liegen. Er knüpfte den Rattenschwanz auf, den der Kinderboy so kunstvoll gedrechselt hatte, da flossen blonde Locken in ihr kleines Gesicht, legten sich auf die weichen Falten des Nachthemds. Und Hüssen dichtete weiter auf Kisuaheli, dieser Sprache, in der schlafen kulala und essen kukula heißt, Weibchen bibi mdogo und lieb haben kupenda sana, in dieser Sprache, die nur gemacht scheint, um ein Kind in ihren Lauten zu kosen und einzuschläfern. Beatrice sagte fast nichts, sie sang nur manchmal wie ein Vogel »ndio baba wä« – das hieß »Ja, Lieber, ja, du Lieber.«

Da fing Hüssen an, das Kind fester an sich zu pressen. Seit vielen Jahren hatte er nicht mehr geküßt. Seit vielen Jahren war die Zärtlichkeit stumm in ihm, die man einer Schwester und einem Kinde gibt, die heiße Zärtlichkeit, die sich in die Lippen drängt, nur weich liebkosen will. Stirn und Wange der kleinen Beatrice überhuschte er mit Küssen, fühlte jedes Glied des Kindes an seiner Brust. Darüber war es dunkel geworden, nur Beatrices blaue Augen und ihre blonden Haare trugen noch ein wenig Licht der untergegangenen Sonne. Ihre kühlen Finger streichelten sein Gesicht wie Gräser.

Draußen wurde das Maultier vorgeführt, trompetete ins Dunkel. Ein Hausboy brachte dem Gast Koppel und Waffen, er ließ sich gürten, ohne das Kind aus dem Arm zu geben. 50

Als Hüssen im Sattel saß, wurde ihm Beatrice noch einmal zugereicht. Den Karabiner über den Schultern, die Parabellum am Gürtel, den Tropenhelm mit Kokarden fest ans Kinn geschnallt, küßte der Offizier noch einmal das stille, schimmernde Gesicht. Als er das Kind dann seiner Mutter zurückgab, hob auch sie ihm den Mund entgegen.

»Sie reiten vielleicht in den Tod,« sagte die Baronin. Dann durfte Hüssen sie auf den Mund küssen, während er des Hausherrn fiebrige Hand drückte.

»Auf Wiedersehen,« versprach er, »ganz bestimmt! – Wenn's durchaus sein muß – selbst als Gespenst . . .«

Dann ritt er zu, auf seinem Mund den letzten Kuß. Sein starkes Maultier griff aus, das Lederzeug knirschte, hart klapperte sein Kolben an die Gurte. 51

 


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