Balder Olden
Kilimandscharo
Balder Olden

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Bwana Scheitani

Wir sprechen uns wieder, meine Herren!« hatte der bewußtlose Hinkeldey vernehmbar geächzt, als auf Kommando des Zechgenossen Pfisch sein schuldloses Steißbein dröhnend gegen den Urwaldboden schlug. Es war sein Lieblingswort, die Melodie, auf die er schon ganze Jahre seines Lebens gestimmt hatte. Vielleicht lagen wieder einmal Wochen vor ihm, vielleicht Monate und Jahre, die er nach dem Klang dieser sechs Worte durchleben mußte. Er war ihm gewachsen – das Bewußtsein auch nur einer unbeglichenen Abrechnung, eines ungefeierten Rachefestes, spannte den Bogen seines Wollens zur letzten Probe.

Der Nacht seiner Abschiedsorgie, von Flammen und Glut durchlodert, war ein bleiern friedvoller Morgen gefolgt.

Fast leblos die Budenstadt! Nur ein paar weiße Männer, die Dienst hatten und diesen Dienst wirklich tun mußten, krochen aus ihren Graswänden, gingen dumpf, sprachen nicht, als schämten sie sich ihrer Pflichttreue. Sie schleppten sich so recht in Kater- und Khakifetzen aus dem Lager der 100 reitenden Berserker, Hinkeldeys wilder, versoffener Jagd, einer Halde zu, aus der ihre lieben, unverkaterten Vierbeiner, Pferde, Maultiere, Esel weideten. Fast jedes Stück war dem Feinde in heißer Schlacht entrissen oder unter maßlosem Aufwand von Witz und Kaltblütigkeit gestohlen. Jedes mit Schweiß, manches mit dem Leben guter Kameraden bezahlt. Der Tierarzt ließ sich Patienten vorführen, der Unteroffizier vom Dienst zählte ab, ein Anderer kontrollierte die Askari der Pferdewache, stellte fest, ob die Stallburschen ihren Dienst getan. Ein Dritter verteilte Mais für Askari, Träger und Tiere.

Dann schlugen sie sich in den Urwald, ein schön ausgetretener Walroßwechsel tat sich auf, kühl und feierlich, den wankten sie entlang. Manchmal begegnete ihnen ein Träger, der sich mit tiefem Salaam verneigte, oder ein Askari, der morgendlich und ausgeschlafen glänzte, zur Seite sprang, die Knochen aneinanderriß. Sie nahmen die Ehrenbezeugung, die nur ihrer weißen Haut galt, müde und etwas verschämt entgegen.

Bald tat der Wald sich auf, rauschte es von Kaskaden – in weißer Pracht trommelte der Bergbach auf nackte Felszacken und glattgeschliffene Platten, stäubte bunt im Glanz der Morgensonne, füllte gischtend eine offene Mulde und schwang sich weiter zu Tal.

Auf dem Rand der schimmernd nassen Platte, weißlich fett, ein imposant mächtiger Klumpen Menschenfleisch, saß einer, der nichts von Kater wußte: Hinkeldey. Als die brüchigen Männer sich näherten, ließ er sich gerade, schwerfällig wie ein Rhino, 101 in den Kessel voll schäumender Kühle fallen, schlug mit gewaltigen Armen um sich, prustete ungeheuer. Sein kantenlos glattes Gesicht trug einen Ausdruck von Verzücktheit.

»Mein Abschiedsbad,« schnaufte er die Unteroffiziere an, die in all ihrem Haarweh, ihrem Sonntagselend stramm standen. »Aber wir sprechen uns wieder, meine Herren!« Er hatte etwas Souveränes, triumphierte die Männer an, in seinen kleinen, gelatinebläulichen Augen war nur Heiterkeit, Wohlwollen, Herablassung. Die Drei aber standen da, wie von schlechtem Gewissen in Bande geschlagen.

Später sah man irgendwo Hinkeldeys weißes Hemd, in dem von seinen Untergebenen zumindest zwei Platz gefunden hätten, mächtig gebreitet ins Licht funkeln. Anspruchsvoll dehnte sich daneben das Gewölbe seiner neuen, ganzen Khakihose, ein Doppelposten krachneuer, mächtiger Reitgamaschen stand davor Wache. Hinter einem Felsstück aber, schamvoll zerknäult, lag aller Jammer der drei Mannen: braune Hemden, mit vielfarbigen Fetzen beflickt, durchgerissene, abgescheuerte Gehäuse für asketisch dürres Beingestell, ein schlottriges Häuflein fadenscheiniger Stoffgamaschen, Schuhzeug mit fingertiefen Gramfalten, Rissen, die kein Meister heilen würde.

Nun glitten die bärtigen Gesellen, braun, stockhager, beinahe geräuschlos in die eiskalte Flut: Deitelbold, Schukrin und Wallosch.

Tierarzt Deitelbold war im Frieden Leiter einer Hagenbeck-Farm, Zoologe, kannte Gedankengänge, Seele und Leib jedes Wildes wie kein Arzt Seele 102 und Organe des Menschen. Er verstand es, Löwen und Elefanten unverletzt zu greifen, an Gefangenschaft zu gewöhnen, sie bis zur Duzfreundschaft anzubändigen. Die Menagerien Europas waren stolz auf untadelige Stücke, die er ihnen zahllos erbeutet, seine Beobachtungen klassisches Material der Professoren, seine Sammlung an Insekten, Vögeln, Bälgen und Fellen würde einmal Nationalschatz sein. Er schoß wie ein Künstler, hatte im Ringkampf mit einem angeschweißten Löwen zwei Finger verloren – saß er am Maschinengewehr, dann ging nicht eine Patrone nutzlos ins Weite.

Schukrin, der war Missionspastor zu Bulotti, hatte bei Kriegsbeginn die Reservisten seiner Landschaft ins Feld gesandt, seine Gedanken nicht von ihnen losreißen können. Mit dem nächsten Trupp war er als Kriegsfreiwilliger an der Front erschienen. »Meine Gemeinde, ich hab' meine Gemeinde im Stich gelassen,« jammerte er manchmal, besonders laut in Rausch und Kater – denn er tat überall mit, fünfzig Jahre alt, ein bewährter Rattenfänger schwarzer Seelen, tiefüberzeugter Gegner des Kriegs. Tat mit bei Scharmützel und Wachdienst, beim Bahnsprengen, Pferdestehlen, Seite an Seite mit Rieke und Fritzchen Hartlieb, den entlaufenen Sekundanern, mit Mitzkopf, dem Bauernknecht aus Schwaben, mit den Askari »Bumbum«, »Knallbüchse«, dem schwarzen Korporal »Fünfundzwanzig hinten drauf.«

Schukrin tat alles, mit allen mit – er hatte die Beförderung zum Unteroffizier erst angenommen, als er für den Fall längerer Weigerung mit 103 Kriegsgericht bedroht wurde und zudem Dreiviertel aller Weißen der Kompagnie schon Chargierte waren.

Von Wallosch, dem Baron, behauptete man, er sei infolge alten Adels des Schreibens und Lesens nicht mächtig. Es war Uebertreibung – Egbert von Wallosch konnte schreiben, hatte der Bühnenkünstlerin Miezerl da Costa aus Wien-Josefstadt geduldig zweiundsiebzig tropenheiße Briefe geschrieben, war nach Afrika gegangen, um Löwen zu morden, als sie ihm auf den dreiundsiebzigsten antworten ließ: sie sei selbst nicht orthographisch gebildet und liebe deshalb einen Tragödiendichter. Er möchte sich in eine Frauenrechtlerin mit Doktortitel verlieben, gleich und gleich gelte auf dem Gebiete der Liebe nicht als gute Gesellschaft. Wallosch hatte von Geburt ein knüttelsteifes Bein, ein schwaches Auge, schlechte Zähne. Man hatte ihn nicht zur Truppe nehmen wollen, er mußte Reverse unterschreiben, auf Entschädigung, Beförderung verzichten, mußte eigene Pferde reiten, weil er mit den starren Knochen jeden Gaul kaputt drückte. Ausschweifend tapfer, adelsstolz und gutmütig, bekam er täglich zu hören: »So ein Mann gehört nicht an die Front« – und blieb. Rein Spaßes halber hatte Hinkeldey ihn, ohne Zwischenstufen, zum Sergeanten befördert. Er war der Verzweiflung nahe, heulte, aber blieb.

»Wenn ich jetzt falle, als Sergeant!« jammerte er. Immer dachte er sich den Familientag der Wallosche droben beim lieben Gott. Alles Generäle, Admiräle, Stiftsdamen, Johanniter – die Tür geht, er kommt hereingehinkt, frisch von der 104 Walstatt. Die Wallosche springen auf, breiten die Arme – »Unser Afrika-Held!« – Dann schamvolles Schweigen. Ein Wallosch als Sergeant!

Diese drei Männer also: Deitelbold, Schukrin und Wallosch, versteckten sich und ihre tapferen, hageren Glieder, während Hinkeldey sich im Licht von Gottes unerbittlicher Sonne aufpumpte wie ein Jahrmarkts-Luftballon.

Die drei Beschämten hießen mit Tropennamen: Bwana Löwe, Bwana heiliges Buch, Bwana Steifbein. Hinkeldey aber: Bwana Scheitani! – Scheitani bedeutet viel mehr als Teufel, ist die Verkörperung aller unreinen Geister, aller schlechten Prinzipien, des Zerstörungstriebs, der Grausamkeit. Bwana Scheitani war alle Tage besseren Muts als Löwe, Buch und Steifbein am heiligen Ostertag.

In der letzten Nacht hatte er – bis ihm Schnaps, den man gewaltsam in seinen Rachen stieß, die Zunge lähmte – die Zähne auseinandergerissen und in ein paar Worten voll Schamlosigkeit sein ganzes Innere, drei Viertel seiner schmachvollen Vergangenheit enthüllt. Nicht zum erstenmal – er hatte es nie ernstlich versucht, ein Herz aus seiner Löwengrube zu machen. Abgründisch gescheit war dieser Geselle Hinkeldey, bluffte wie ein Mormonen-Bischof beim Poker – mit Witz, mit Kameradschaft, mit Güte sogar.

Vielleicht waren Kameradschaft und Güte seiner Seele nicht einmal fremd – stärker als sie aber die Gier, zu herrschen, die Lust zu unterwerfen. Krieg – das war der Traum seiner Knabenjahre 105 gewesen, eine Atmosphäre, in die er sich einatmete, als hätte sie ihn immer umgeben.

Irgendwo im britischen Ostafrika hatte er Elefanten und Löwen geschossen, Urwald gerodet, ein paar Male als »Volonteer« geholfen, Eingeborenenaufstände niederzuschlagen. Da waren Negerdörfer in Flammen aufgegangen, in nackte schwarze Leiber hatte sein Maschinengewehr gefegt, über bebende Aufrührer hatte er zu Gericht gesessen und den Strick verordnet, wie ein Tropenarzt Chinin verschreibt.

Man wußte wenig mehr von ihm, als er selbst erzählte. Viele behaupteten, er hieße nicht Hinkeldey, sei ein Graf, ein Prinz, irgendein sensationeller Prozeß habe ihn aus Europa vertrieben. Sicher war, daß Leidenschaften ihn hetzten, die er nur im tiefsten Busch austoben konnte – Krieg und Busch zusammen erst bildeten die Lust, die ihm wohl tat.

Trotz Grausamkeit und Unbeherztheit gab es Neger, Boys und Askari, die zu ihm hielten – vielleicht spürten sie einen Urinstinkt, wie er ihre menschenfressenden Vorfahren beseelt hatte.

Als Führer eines kleinen Trüppchens Deutscher hatte er sich in den ersten Kriegstagen über die Grenze geschlagen, durch endlose Durststeppe, ungerodeten Urwald, ohne Proviant, ohne Träger. Hatte sich und diese wenigen Kämpfer beritten gemacht, Freiwillige um sich geworben – ehe noch der Kolonialkrieg so recht erklärt war, saß er schon in den Grenzbergen, eine frische Rotte unbekümmerter Draufgänger um sich. Aufs erste Signal hin wetterte er in den annoch schläfrigen Feind. Man sprach von ihm, man sang von ihm – die 106 Stunde brauchte Helden, er lieferte den Stoff zu Heldensagen.

Bis er kein trotziger Freischärler mehr war, sondern anerkannter Offizier, Abteilungsführer, sein Name berühmt war. Da verließ ihn die Besinnung – Männer, die ihm als Kameraden, als freiwillig erwählten Führer gefolgt waren, hielt er jetzt wie Schachfiguren in der Hand. Er setzte sie ein wie Schachfiguren, ließ sie nicht im Dienste des Krieges, nur noch im Dienst seines Namens kämpfen. Nicht, daß er ihnen vorgesetzt war, empörte – wohl aber, daß er andere als ihre Ziele verfolgte, die gemeinsame Sache ihn nichts anging, daß er im Schatten des Krieges einen Zivilprozeß führte, den Helden mimte, anderer Heldentum in bare Münze auswechselte, die ihm in die Tasche floß! Er mußte nicht viel getrunken haben, um laut zu erklären:

»Das Eiserne Erster brauch' ich einfach! Aber was nützt es mir, wenn ich tot bin?« – dachte es, sprach es aus und handelte danach.

Aus den Sturmgesellen der Anfänge wurden – je mehr seine Stellung sich festigte – Untergebene, Kerls, Kanonenfutter. Nachts, auf allen Vieren, blieb er Kamerad. Bei Tag, im Dienst, so lange, bis Eisen durch die Luft flog, wurde er Befehlshaber und Despot, raunte, tobte, strafte – und kündete in telegraphischen Berichten seinen Schlachtenruhm. –

Zu korrumpieren war die Bande entschlossener Kerle nicht, die er befehligte. Ein Zufall hatte diese Abenteuerfrohen, diese Pori-Indianer, Fährtenleser, Kunstschützen zusammengebracht. Sie schlossen sich 107 enger, wurden immer mehr zur Einheit, je mehr sie im Führer den Feind sahen. Viele hatten ihn geliebt und gern gesehen, daß ihre Taten seinen Namen deckten. Sie blieben im Geleise, auch jetzt, als dieser Name ihnen verhaßt wurde. Sie fluchten und verschworen sich: »Kein Freiwilliger mehr! Kein selbständiger Gedanke mehr!« Wenn der Augenblick kam, besaß er doch wieder ihren Witz, ihre Lebensverachtung, durfte er mit kalter Berechnung über ihr Draufgängertum verfügen. Ihn aber empfanden sie mehr und mehr als schlechte Luft. Man war im Gefühl menschlicher Würde gedrückt, weil er der Führer war, aus der Kampflust wurde berauschtes Desperadotum: der Einsatz des Lebens, den jeder brachte, sank furchtbar im Wert.

Hätte Hinkeldey sich nur Herrn Pfisch erhalten! Herrn Pfisch, der für sich keinen Orden, keinen Titel, keinen Ruhm erkämpfen wollte, nur ein sauberes Ende mit glattem Herzschuß. Solange Herr Pfisch, der nicht nur captain at night time, sondern Taktgeber, geistiger Lenker von Hinkeldeys wilder Jagd-Koppel war, solange der ihn deckte, war Hinkeldey sicher. Der Teufel ritt ihn, sein Mütchen gerade an Herrn Pfisch zu kühlen, seinem Gefährten aus jedem Gelage und jedem Scharmützel seit dem ersten Tage dieses romantischen Buschkriegs.

Herr Pfisch dachte nicht daran zu streiken. Solange er lebte, wollte er sterben – und richtig sterben, im Kampf, auf Posten. »Aber der muß weg!« schwor er, schwor es, zwei bananendicke Finger ins Licht gehoben, das Mundstück zum rechteckigen Schlitz auseinandergefletscht. 108

Pakete von Klagen waren gegen Hinkeldey abgesandt worden, die ihm Uebergriffe, Pflichtversäumnis, Würdelosigkeit vor weißen und schwarzen Untergebenen zum Vorwurf machten. Sie erschütterten seine Stellung nicht.

Da unternahm Herr Pfisch seinen Staatsstreich: er zog mit sechs Verwogenen hinaus und brachte vierzehn Pferde, vierzehn Sättel, eine Apotheke, sechs englische Träger mit Alkohol-Lasten nach Hause. Dann fing er Hinkeldeys Meldung ab . . . Berichtete selbst – niemand erfuhr, wie er es anfing. Aber Hinkeldey wurde plötzlich durch Hüssen ersetzt.

»Wir sprechen uns wieder, meine Herren!«

Hinkeldey nahm sein letztes Bad, waltete noch einen Vormittag lang seines Amtes.

Er sah wohlgenährt, rasiert und zufrieden aus. Seine abgetriebenen, bärtigen Kampfgenossen gingen ihm scheu aus dem Weg. Nie in seinem Leben hatte er einen Kater gehabt, nie in seinem Leben eine Stunde lang bereut.

Vor seinem Zelt traf ihn Hüssen, als er noch einmal Justiz übte. Ein schwarzer Kerl lag auf dem Boden, wurde gepeitscht. Der Askari-Unteroffizier zog aus, er war nicht sehr groß, aber er hob sich auf die Zehen und liebte das Handwerk. »Sauber! Sauber!« kommandierte Hinkeldey, stand breitbeinig da, genoß die Stunde. Der Delinquent, ein magerer Träger, jammerte, drei andere Verurteilte warteten, an die Reihe zu kommen, rieben sich beklommen die Rücken.

In dem ganzen Bild war ein Zug, der Hüssen anwiderte. Unter ein paar hundert Schwarzen, 109 Soldaten, Trägern, Köchen, Boys mußte natürlich ab und zu etlichen die Rückseite poliert werden – es war auch afrikanisch, daß Hinkeldey die von ihm verhängten Strafen noch selbst vollziehen ließ. Trotzdem – dieser weißlich-blonde Koloß wiegte sich so zufrieden in den Hüften, hatte einen Zug von so herausfordernder Sattheit um den weichlichen Mund!

Hüssen grüßte, verschwand ins Kompagnie-Büro, schickte eine Ordonnanz: Herr Oberleutnant Hinkeldey möchte den Strafvollzug unterbrechen und sich zu ihm bemühen.

Alles weitere erledigte sich in herzlichem Einverständnis. Hinkeldey übergab Kommando und Akten an seinen Nachfolger, lachte mit herzhaftem Keuchen: »Mitten aus den Sielen heraus, wie Sie gesehen haben! Pflichttreu bis zur letzten Minute!«

»Ich werde die Strafen eventuell später vollstrecken lassen.«

»Aber darum möchte ich doch dringend gebeten haben! In Ihrem Interesse . . .« Hinkeldey mußte wieder lachen, obwohl ihm nichts Komisches einfiel: »Hoho, im Interesse der Kompagnie!«

Als er zum letztenmal vor der Front stand, vergnügt, aber mit bösen Augenschlitzen, fett, zufrieden – und neben ihm der rassige, kleine Hüssen mit seinem sauberen Bubengesicht, das klug und frivol war, so bis ins Letzte ohne Feierlichkeit, daß aus seinen Händen und sogar Füßen etwas Schnoddriges sprach, mit dem Monokel, das ihn selbst karikierte – hatte sich eigentlich der ganze Prozeß 110 innerer Umstellung in den Herzen dieser buschigen Kilimandscharo-Blaßgesichter schon vollzogen.

Ein paar Tage später stand Herr Pfisch stramm vor Hüssen, Herr Pfisch, ein Soldat an Tapferkeit und Disziplin, um den – zwischen seinem letzten Kater und nächsten Rausch – alle Häuptlinge der Kolonie sich raufen konnten. Sein braves Herbergsvaterantlitz war verschwollen, als hätte er die kummervollen Nächte auf seinem Bette weinend gesessen, aber es war von durchgekämpftem Kampf und einem neuen Entschluß geadelt.

Herr Pfisch bezog den Posten »Säufer-Genesungsheim«, auf seinen Wunsch, den er in dienstlicher Form eingebracht hatte.

Der zuckerhutförmige Muckel, auf dem dieser Posten stationiert war, lag kaum drei Kilometer vor der zwischen Kilimandscharo und Meru weit gespannten Front, ganz kahl, ganz schroff, in schwelender Sonne. Wer diese Wände überklettert hatte und in einen der kühlen Unterstände tauchte, der schwor sich zu, den Weg so bald nicht wieder zu machen, – selbst wenn aus dem Lager heraus Fackelbrände und Gesang von noch so wilden Festen sprachen. Im Sturm war diese Naturfestung kaum zu nehmen, viele Marschstunden weit konnte man durch scharfe Gläser khakibraunes Getier wie einen weißen Afrikaner, ja selbst einen nackten Wilden, ein Stück Vieh oder ein Pferd »ausmachen«. Mit dem Schweiß einer starken Kompagnie Schwarzer war in wochenlanger Arbeit der Kegel zur Frontseite hin glattgeschliffen worden, und zu alldem lag der Feind ja meilenweit fern. So gehörte kein Heldenmut dazu, diesen Posten 111 freiwillig zu beziehen, in Herrn Pfischs Lage aber dennoch letzte Tapferkeit der Selbstbezwingung: jener Posten lag unter Alkoholsperre!

Es mündeten im Säufer-Genesungsheim alle Telegraphenlinien der Longido-Front. Alle Vorposten sandten ihre Heliogramme und Azetylengasbriefe auf diesen Zacken zur Weitergabe an die Kommandos, alle Meldungen und Befehle bekam er und hatte sie weiterzusenden. Mit acht Augenpaaren mußte vom ersten Licht bis zum letzten Abendrot die Steppe abgesucht werden, auch die Sicherung des ganzen Abschnitts hatte hier ihren Stützpunkt.

Daß Herr Pfisch einen solchen Posten freiwillig übernahm, war ein Symptom des großen Sieges, den Hüssen über »Hinkeldeys wilde, versoffene Jagd« errungen hatte.

Herr Pfisch wollte zu sich selbst kommen, wollte sich seelisch umstellen. Er, der Kapitän bei Nachtzeit, der die Gemüter seiner Kameraden kommandierte, brauchte ein paar Wochen Anachoretentum!

Eine solche Karenzzeit genoß inzwischen auch, als schlichter Privatmann und Offizier außer Diensten, Hinkeldey. Er trug sie, wie alle Schläge, die ihn getroffen, mit schöner Elastizität. Seine Zeit würde kommen – Alle würde er wieder sprechen, auch Hüssen. 112

 


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