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Frau Mößler und ihr Wohltätigkeits-Minister sahen sich nie mehr wieder. Wie Herr Eliphas es vorausgesehen, mußte der Tod Valentins für immer die Bande ihrer alten Freundschaft zerreißen. Untröstlich und doch ergeben, da sie in dem tragischen Ende das unwiderrufliche Verhängnis erkannte, schloß Frau Mößler sich ganz in sich selbst ab und gab sich noch leidenschaftlicher als früher der Linderung unverschuldeten Elends hin. Sie empfing nur Frau von Coutras und zuweilen Oberst Redel. Die beiden Damen lebten in tiefster Abgeschiedenheit während des Sommers und einen Teil des Herbstes in Chapelle Sauvigny. Erst als der Schnee mit seiner weißen Decke den Rasen verhüllte, und die Aeste der Bäume im winterlichen Sonnenscheine glitzerten, kehrten sie nach Paris zurück.

Henriette wollte nicht mehr in der Avenue Friedland wohnen, sondern zog zu Frau Mößler; sie war ihr eine hingebende, treue, zärtliche Tochter und von so unbegrenzter Güte, daß, als die alte Frau eines Abends in melancholische Träume versunken am Kaminfeuer saß, sie ganz plötzlich und unversehens das Schweigen brach, und zu Henriette gewendet sagte:

»Liebes Kind, ich sehe mit Bedauern, daß du an der Seite einer alten Frau, wie ich es bin, ein trauriges Dasein führst. Du hast bis jetzt nicht viel Glück im Leben kennen gelernt und verdienst es doch, wie kaum ein Weib auf Erden. Ich trage Schuld an den herben Enttäuschungen, an den bitteren und grausamen Qualen, die du im Leben zu ertragen hattest; ich möchte, so weit dies in meiner Macht steht, das Böse wieder gutmachen, welches ich dir sehr gegen meinen Willen zugefügt habe.«

Die junge Frau hob die schönen Hände mit flehender Gebärde empor und unterbrach Frau Mößler:

»Ich beschwöre dich, klage dich nicht an; ich weiß, wie gut du bist, und wie alle deine Absichten vereitelt wurden. Mache dir keine Vorwürfe, denn du bist schuldlos, und das Leben allein kann für unser Leid verantwortlich gemacht werden.«

»Ich danke dir, daß du solche Worte zu mir sprichst,« rief Frau Mößler; »dein großmütiges Herz tritt hier abermals zutage, denn ich habe einen großen Fehler begangen; ich wollte die Macht des Geldes an die Stelle geistiger und moralischer Fähigkeiten bringen; ich habe gemeint, der Reichtum werde alles ersetzen, und bin zu der demütigenden Ueberzeugung seiner vollständigen Wertlosigkeit gekommen. Was sage ich, er war mehr als wertlos, er war verhängnisvoll; in schlechte Hände gelegt, hat er nur zum Verderben geführt, nur Opfer gefordert.«

Die alte Frau verharrte ein paar Augenblicke in tiefem Schweigen, dann, als kehre sie von Erinnerungen, die weit hinter ihr lagen, erst wieder zum wirklichen Leben zurück, sprach sie langsam:

»Mößler sagte mir eines Tages: »Geliebtes Weib, ich fürchte mich fast davor, daß wir so reich sind; ist das wohl nützlich? Wenn man einmal eine gewisse Summe überschritten hat, dann wird das Vermögen eine Schimäre, und ich fürchte, der Mensch versteht es besser, dieselbe zum Bösen als zum Guten auszunützen; geben wir die Jagd nach dem Gelde auf und pflanzen wir wieder unsern Kohl. Mit hunderttausend Francs Jahresrente haben wir weit mehr, als wir benötigen; was darüber ist, wird uns nur im Wege sein. Vielleicht lernen wir sogar noch bedauern, daß wir es besitzen.« Er war nicht im Unrecht mit diesem Ausspruche.«

Eine Pause entstand. Frau Mößler trocknete eine Träne, welche über ihre Wangen perlte, und fuhr dann fort:

»Unter allen Kümmernissen, welche ich im Leben erduldet habe, ist es vielleicht das größte Weh, mir sagen zu müssen, daß ich an deinem Unglück mit Schuld trage. Glücklicherweise bist du noch jung genug, um ein neues Leben beginnen zu können. Derjenige, für welchen du sichtlich bestimmt gewesen bist, liebt dich noch immer und harrt nur eines Wortes von dir, um dir seinen Namen zu geben; ich glaube, daß du aus Rücksicht für mich zögerst, dieses vielsagende Wort auszusprechen, und ich habe es daher an deiner Stelle getan. Es war dies der Lohn, den ich dir schuldete, und ich bin von ganzer Seele froh und dankbar, daß es noch in meiner Macht liegt, dich glücklich zu machen.«

»Wie, Mutter, du wolltest –« stammelte Henriette fassungslos.

»Ich will, daß du Redel heiratest; ich sichere auf diese Art dein Glück und das seine; ich habe ihn gebeten, heute abend zu mir zu kommen, damit ich mit ihm sprechen könne.«

In diesem Augenblicke vernahm man in dem stillen Hause das Läuten einer Glocke.

»Horch, da ist er!« rief Frau Mößler.

Die Tür ging auf, und der Oberst trat auf die beiden Frauen zu; er küßte Frau Mößler die Hand, verneigte sich vor Frau von Coutras und erkundigte sich nach ihrem Befinden.

»Ich fühle, daß es mit mir zu Ende geht, mein lieber Freund,« sprach die Goldkönigin in sorglosem Tone; »bei dem Alter, welches ich habe, und angesichts der Tatsache, daß es für mich auf Erden eigentlich nichts mehr zu tun gibt, braucht man darüber nicht den Kopf zu verlieren; hier aber ist eine junge Frau von einigen zwanzig Jahren, welcher das Leben, welcher die Zukunft noch manche gerechte Entschädigung schuldet; es liegt mir am Herzen, ihr diese selbst zu bieten, und ich möchte sie einem braven und ehrenwerten Manne zuführen, der sie so liebt, wie sie geliebt zu werden verdient. Ich glaube mich nicht zu täuschen, Redel, wenn ich Sie für diesen Mann halte.«

Der Oberst war sehr bleich geworden. Er richtete seine fragenden Blicke auf Henriette; sie neigte ernst das schöne blonde Haupt, dann kniete sie vor Frau Mößler nieder, schloß zitternd vor Erregung die alte Frau in ihre Arme und sprach mit bebender Stimme, die aus der Tiefe ihres Herzens emporstieg:

»Habe Dank, meine Mutter!«

Ende.


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