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Valentin Chef de Coutras war damals fünfzehn Jahre alt und studierte im Lyzeum Louis le Grand. Gedeon Mößler, welcher selbst nur eine sehr beschränkte, ungenügende Erziehung erhalten, sah einen normalen Unterricht als das höchste der Güter an und hatte darauf bestanden, daß der junge Mann denselben erhalte. Frau Mößler nahm ihn jeden Sonntag zu sich nach Hause und besuchte ihn regelmäßig am Donnerstag; sie verwöhnte ihn nicht und hielt ihm im Gegenteil sehr salbungsvolle Reben, welche den jungen Valentin gründlich zu langweilen schienen. Der Sohn des Grafen Chef de Coutras war ein bildhübscher Bursche; groß, schlank, blond wie sein Vater, mit sanften Augen, einem etwas sinnlichen Munde und weißen Zähnen, hatte er alle Aussicht, einer der verführerischsten Männer von Paris zu werden. Sein Charakter war freilich noch nicht ausgeprägt, schien aber doch eine gewisse Entschlossenheit zu bekunden. Auf eine spezielle Richtung von Scherzen verstand er sich schlecht. Siméon Goldschmied, ein Sohn des Hauses Goldschmied & Bauer, welcher als Externer in einem zweispännigen Wagen ins Lyzeum fuhr und sich von einem livrierten Diener die Schultasche nachtragen ließ, fragte eines Tages nach der Weltgeschichtsstunde, in welcher der Professor über die Regierungszeit Heinrichs IV. gesprochen, nur um einen schlechten Witz zu machen:

»Die Schlacht von Coutras, deren Namen du trägst, ist also von einem deiner Ahnen gewonnen worden?«

»Nein,« erwiderte Valentin ruhig, »der König hat sie gewonnen, da aber mein Ahn die Stadt Coutras besetzte, sagte ihm dieser: »Du hast die Stadt eingenommen, behalte sie, ich schenke sie dir!« Daher unser Name!«

»Gut also, Coutras ist auf eine Schlacht zurückzuführen, aber Chef – leitest du das vielleicht vom Küchenchef ab?«

Die übrigen Besucher des Lyzeums umstanden die beiden Knaben; ein lärmendes Gelächter lohnte den Scherz des reichen und gewichtigen Externen. Valentin sah ihn an, wie er mit lachendem Munde dastand, entzückt durch den Erfolg, welchen sein Witz geerntet. Der junge Graf war totenbleich geworden, preßte die Lippen aufeinander und versetzte ohne vorherige Drohung dem guten Siméon eine derbe Ohrfeige, so daß dieser das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Der Erbe des Hauses Goldschmied & Bauer hob seine im Staube umherliegenden Bücher auf und verschwand mit leichtfüßiger Geschwindigkeit, ohne die Ohrfeige zu erwidern.

Aber die Goldschmieds waren einflußreiche Leute und konnten es sich nicht gefallen lassen, daß, ihre Bedeutung angezweifelt wurde, indem man ihren Sprößling ohrfeigte. Valentin wurde vor den Direktor geladen und mußte eine endlose Strafpredigt über sich ergehen lassen. Er wurde während der nächsten Tage der Woche eingesperrt. Als Frau Mößler wie gewöhnlich am Donnerstag den Adoptivsohn besuchte, fand sie ihn im Karzer; er war in eine Zelle gesperrt, welche zwei Meter im Durchmesser hatte und in deren Tür man geradeso wie bei den Gefängnissen für wirkliche Verbrecher ein Guckfensterchen angebracht hatte. Der junge Graf fügte sich mit philosophischer Ruhe in sein Schicksal. Unter der Aufsicht eines ehemaligen Gendarmerie-Wachtmeisters, den alle Welt »Vater Séguin« nannte, kopierte er hundert Zeilen in der Stunde, und zwar auf liniiertem Papier. Diese Beschäftigung langweilte ihn ganz fürchterlich, aber er kam derselben doch ohne zu murren nach und empfand vollste Befriedigung darüber, so gehandelt zu haben, wie es nach seinem Dafürhalten recht gewesen. Von Zeit zu Zeit steckte der zum Kerkermeister gewordene Gendarm seinen weißen Kopf mit den kurzgeschorenen Haaren durch die Fensteröffnung der Tür und rief mit rollenden Augen:

»Coutras, Sie arbeiten nicht – Coutras, Sie zerschneiden den Tisch mit dem Messer!« Und Valentin senkte das Haupt melancholisch auf das Papier, indem er erwiderte:

»Lassen Sie mich in Ruhe, Vater Séguin – ich bin eingekerkert, man hat mich unter das Dach gesperrt. Man kann mich nicht höher schicken, es sei denn, daß man mich in einen Luftballon stecken wollte! Lassen Sie sich damit genügen, daß ich meine Abschrift richtig mache, und ersparen Sie mir das Vergnügen, Ihr Perückenstockgesicht, das mich stets an den Profosenstock erinnert, zu sehen!«

»Coutras, Sie haben nicht die gebührende Achtung für einen alten Soldaten, Sie werden ein schlechtes Ende nehmen!«

»Vater Séguin, Sie kennen keine Rücksicht für einen Gefangenen, Sie werden als Gendarm zur Hölle fahren, wie Sie als solcher begonnen!«

Während einem dieser sauersüßen Zwiegespräche trat Frau Mößler in das Gebiet der Karzerräume mit den gepflasterten Böden, mit der dachbodenartigen weißgetünchten, schiefen Decke. Als Vater Séguin die kleine, schmächtige, einfach gekleidete Frau eintreten sah, hielt er sie für eine Erzieherin und fragte in nichts weniger als liebenswürdiger Weise:

»Was wünschen Sie?«

»Ich möchte Valentin von Coutras sprechen!«

»Sie kommen vermutlich im Namen der Familie? Ein sauberer Junge, den Sie da haben!«

Die Goldkönigin betrachtete den ehemaligen Gendarm mit kaltem, abweisendem Gesichtsausdruck, zeigte ihm den vom Direktor unterschriebenen Erlaubnisschein und sprach in einem Tone, der keine Widerrede duldete:

»Beeilen Sie sich, ich habe keine Zeit zu verlieren!«

Die Tür wurde sofort geöffnet, und mit einem Freudenschrei stürzte Valentin in die Arme seiner Adoptivmutter.

»Nun, mein Kind, was hast du denn getan, weswegen sah man sich veranlaßt, dich so hart zu bestrafen?«

Valentin berichtete.

»Und deshalb bist du hier? Der Direktor hat mir gesagt, daß du unausgesetzt gegen die Lehrer revoltierst.«

»Jener gemeine Bursche, der Goldschmied, war es, welcher mich bei seinem Vater angeschwärzt hat, und da die Familie sehr einflußreich ist, geruht der Herr Direktor, huldigend vor ihr im Staube zu liegen! So, nun weißt du die Wahrheit!«

Frau Mößler sprach von anderen Dingen, aber der Ausdruck ihres Gesichtes hatte eine Wandlung erfahren, und sie redete viel weniger als sonst; es machte den Eindruck, als ob sie von irgend einem bestimmten Gedanken in Anspruch genommen sei und sich eigentlich nicht mit dem befasse, wovon sie spreche. Ungerechtigkeiten empörten und reizten sie überhaupt, und nun, wo sie fand, daß man Valentin in einer so unwürdigen Weise für eine Handlung bestraft hatte, welche eigentlich naturgemäß und richtig gewesen, kannte ihre Entrüstung keine Grenzen. Nach Ablauf weniger Minuten erhob sie sich und verließ den jungen Burschen, ohne ihm zu sagen, was sie zu tun beabsichtige. Sie kehrte zu dem Direktor zurück, und dieser machte ein sehr verdrießliches Gesicht, als er Frau Mößler wieder bei sich eintreten sah. Er hatte geglaubt, sich ihrer glücklich entledigt zu haben; an den Ofen gelehnt, blieb er stehen, von der Hoffnung beseelt, auf solche Art das Gespräch zu raschem Abschlusse zu bringen.

»Wie kommt es denn, mein Herr,« forschte die Adoptivmutter Valentins, »daß Sie mir ganz falsche Ursachen angegeben haben, wegen welcher mein Mündel bestraft worden ist? Ich weiß jetzt, woran ich mich zu halten habe, und ich muß offen gestehen, daß der Knabe nicht im Unrechte gewesen.«

Dem Direktor war, als sei er dem Ersticken nahe, und er entgegnete lebhaft:

»Ist es wirklich möglich, gnädige Frau, daß Sie einen Moment schwanken können, wenn es sich darum handelt, die unparteiische Erklärung des Meisters der selbstsüchtig ausgeschmückten angeblichen Wahrheit des Schülers gegenüberzustellen?«

Frau Mößler antwortete nicht; sie blickte angeekelt um sich.

»Jener sechste Stock,« sprach sie endlich, »in welchem Sie den Jungen untergebracht, ist sehr heiß, er befindet sich unter dem Dache; man hat das Kind in einen schmutzigen, übelriechenden Raum gesperrt – ich denke, Sie werden sich dazu verstehen, Valentin sofort zu enthaften!«

»Aber gnädigste Frau, eine verhängte Strafe muß ertragen werden!«

Fast hatte es den Anschein, als ob Frau Mößler diese Worte nicht vernommen. Durch das offene Fenster blickte sie in den Hof hinab und musterte die schwarzen, rauchgeschwärzten Gebäude, welche zu dem großen, alten Lyzeum gehörten; dann sprach sie mit unerschütterlicher Nutze:

»Diese Anstalt ist entsetzlich, sie muß ungesund sein! Zu Zeiten von Epidemien werden die Kinder den Fliegen gleich hier sterben. Ich habe Lust, die gesamten Baulichkeiten zu kaufen, um sie demolieren zu lassen und ein neues, den modernen Anforderungen entsprechendes Institut zu erbauen.«

Als der Direktor diesen phänomenalen Vorschlag hörte, stand er sprachlos da; endlich stammelte er verblüfft:

»Aber gnädigste Frau, ein Staatsgebäude – der Staat verkauft niemals!« Er lachte bei diesen Worten, sie aber entgegnete gemächlich: »Wenn ich dem Staate zwei Millionen anbieten wollte, um dieses Rattennest niederzureißen und mich bereit erklärte, es neu zu erbauen, so würden wir sehr rasch einig werden! Valentin Chef de Coutras wird keine Stunde länger hier verweilen! Ich ersuche Sie, ihn sofort holen zu lassen; ich werde in meinem Wagen seiner harren!«

Mit einer leichten Neigung des Hauptes verließ sie das Gemach, ohne sich auch nur umzublicken, ob der Direktor ihr folge; dieser war versteinert.

Am folgenden Tage wurde Valentin, der nun wieder bei seiner Adoptivmutter im Palais der Champs-Elisees wohnte, als Externer in das Lyzeum Condoret eingeschrieben. Der Einfluß, welchen er von jener Zeit an auf Frau Mößler gewann, war ungeheuer. Valentin war allerliebst, legte dabei aber eine wechselvolle Laune an den Tag, welche seine Wohltäterin in steter Sorge erhielt. Sie hatte stets die Empfindung, daß er noch nicht vollständig gewonnen sei und sie noch viel mehr tun müsse, um die Bande enger zu schließen, welche ihn mit ihr verknüpften.

Sie brachte ihm jedes Opfer, überschüttete ihn mit Gunstbezeugungen und schloß sich ihm vielleicht gerade deshalb um so inniger an, weil er ihr gegenüber eine Art leichtlebiger Gleichgültigkeit an den Tag legte. Nicht ein einziges Mal stellte sie sich die Frage, ob er nicht vielleicht herzlos sei, weil er weder Dankgefühl noch Zärtlichkeit in seinem Wesen verriet. Sie sah, daß er elegant, geistreich, verführerisch sei; in seiner sieghaften Persönlichkeit glaubte sie den Vater wieder zu erkennen, den bezaubernden Jacques, an welchen sie in der geheimsten Tiefe ihres Herzens nie aufgehört hatte zu denken. Der junge Mann legte von frühester Jugend an eine gewisse instinktive Bosheit an den Tag; würde er Frau Mößler um Geld gebeten haben, so hätte sie dieser Umstand vielleicht zur Vorsicht gemahnt. Sehr reiche Leute pflegen mißtrauisch zu sein; sie glauben, daß man sie immer mißbrauchen will, und sind deshalb auf ihrer Hut.

Valentin legte gegen das Geld eine Gleichgültigkeit an den Tag, welche Frau Mößler geradezu entzückte. Diese Frau, welche den größten Teil ihres Lebens unter gierigen Goldsuchern zugebracht, bewunderte den Knaben, welcher keine Bedürfnisse zu haben schien, welcher den Luxus hinnahm, ohne ihn besonders zu würdigen, und in seinem Wesen so einfach war als der Mindestbegüterte seiner Kameraden; sie sah in dieser Mißachtung des Geldes einen Beweis seiner vornehmen Gesinnung; sie liebte Valentin, weil er dasjenige verachtete, was das Lebensziel der meisten Menschen gewesen, die sie gekannt. Als er großjährig wurde, ließ sie ihn eines Morgens nach dem Salon mit den japanischen Seidentapeten kommen, in welchem sie durch die Fürsorge des Herrn Eliphas so viele Wohltaten auszuüben pflegte. Sie nötigte ihn, an ihrer Seite Platz zu nehmen, und sprach:

»Mein lieber Junge, du hast nun das Reifealter erreicht; einige Erklärungen sind zwischen uns notwendig, um unser wechselseitiges Verhältnis festzustellen. Bis nun hast du an meiner Seite gelebt, geradeso, als ob du wirklich mein Sohn wärest, und trotzdem knüpft uns kein engeres Band aneinander, als jenes des freien Willens. Du könntest morgen von mir gehen, wenn du es wolltest, und ich könnte mich von dir trennen, ohne daß irgend jemand das Recht hätte, darüber Bemerkungen zu machen. Wir dürften uns selbst nicht einmal anklagen. Du könntest dich über den materiellen Schaden, welchen ich dir zufüge, nicht beschweren, ich müßte zu dem moralischen Unrechte schweigen, welches du mir antun würdest; du weißt, daß dein Vater mich sterbend gebeten hat, über dich zu wachen, und du hast gesehen, daß ich diesem Wunsche nach besten Kräften nachgekommen bin.«

Valentin griff nach der Hand seiner Wohltäterin und zog deren schlanke Finger in zärtlicher Dankbarkeit wortlos an seine Lippen. Frau Mößler fuhr mit etwas unsicherer Stimme fort:

»Von heute an trittst du in das volle Leben, wirst du für deine Handlungen verantwortlich, bist du Herr deines Tuns und Lassens, und eben deshalb möchte ich dir einen Vorschlag machen.«

»Ich höre dich an, liebe Mutter!« sprach der junge Mann mit sanfter, sympathischer Stimme, »wozu aber diese lange Einleitung, welche so ernst klingt? Bezweifelst du etwa, daß, wenn du irgend einen Wunsch hegen solltest, ich Anstand nehmen würde, denselben zu erfüllen?«

»Wärest du sogar bereit, deinem Namen zu entsagen, um den meinen anzunehmen?«

Valentins Antlitz umdüsterte sich, eine Bewegung schmerzlicher Ueberraschung entschlüpfte ihm.

»Ja,« fuhr Frau Mößler fort, »es wäre mein Wunsch, dich zu adoptieren, du würdest mein Sohn, müßtest aber auch Mößler heißen. Gleichzeitig wäre dir unermeßlicher Reichtum gesichert, denn du würdest mein legitimer Erbe; selbst für den Fall, daß Meinungsverschiedenheit oder Uneinigkeit zwischen uns entstünden, könnte ich dir nur mehr die Hälfte meines Vermögens entziehen.«

»Wie magst du nur so reden!« rief Valentin lebhaft; »meinst du, es seien dies die triftigsten Beweggründe, welche mich veranlassen könnten, deinem Wunsche nachzukommen? Kennst du mich so wenig? Ich verstehe sehr gut die zärtlichen Ursachen, welche dich leiten; wenn du mir aber die Wahl freistellen willst zwischen der Anhänglichkeit an den Namen meines Vaters und der materiellen Sorge um meine Zukunft, dünkt mir das doch einigermaßen hart! Ich war auf Aehnliches nicht vorbereitet und bin dadurch bestürzt; trotzdem halte ich an der Ueberzeugung fest, daß ich die Pflicht habe, den Namen weiter fortzuführen, welchen ich bei meiner Geburt erhalten.«

Frau Mößler errötete und ihre Augen leuchteten. Langsam, als liege ihr daran, daß man jedes Wort, welches sie spreche, ganz genau verstehe, sagte sie jetzt:

»Du willst also keine Namensadoptierung, keine Gewißheit einer Erbschaft? Eine unsichere Stellung ist dir lieber?«

»Gnädige Frau,« entgegnete er, ganz gegen seine Gepflogenheit sich dieser förmlichen Ansprache bedienend, »ich glaube nicht, daß irgend jemand mir raten könnte, einen andern Weg einzuschlagen. Sie. wissen selbst, wie hochehrbar ich Ihren Namen finde, wie sehr überzeugt ich bin, daß Sie denselben würdig tragen. Wenn ich aber in diesem Augenblicke auf meinen Namen verzichten wollte, so würde es mir erscheinen, als ob ich des Geldes wegen denselben verleugne. Das liegt nicht in meiner Absicht.«

Allem Anscheine nach mußte die Prüfung, welcher Frau Mößler den jungen Mann unterworfen hatte, nach ihrem Sinne befriedigend ausgefallen sein, denn sie verlängerte dieselbe über alle Gebühr.

»Du weißt, daß du nichts besitzest. Dein Vater hat, als er starb, noch Schulden hinterlassen.«

»Ich weiß auch, daß Herr Mößler dieselben bezahlte, und werde dieser Großmut stets eingedenk bleiben.«

»Du heißest also lieber Chef de Coutras und bleibst arm, als daß du dich Mößler nennen und einer der reichsten Familien von Paris angehören würdest?«

Valentin lächelte und entgegnete leise:

»Ja, gnädigste Frau. Ich hoffe aber, daß, meine Worte Sie nicht allzusehr beleidigen werden.«

Die »Goldkönigin« wurde noch ernster als bisher und sprach bewegt:

»Du beleidigst mich nicht, dein Entschluß bereitet mir sogar Freude, weil er mir den Beweis liefert, daß du die Zärtlichkeit verdienst, welche ich dir entgegenbringe, daß du ein braver Junge bist. Gar manchem Sprößling aus herzoglicher Familie hätte man den Antrag nicht stellen dürfen, welchen du so ritterlich von dir gewiesen. Es würde schwer gewesen sein, die Wahl zu treffen zwischen all den Erben erlauchter Namen, welche des Mammons wegen bereit gewesen wären, denselben zu entsagen. Dein Benehmen ist nicht dasjenige einer niederen Seele, und du sollst durch dasselbe nicht zu Schaden kommen. Was dir durch Adoption nicht anheimfällt, soll dir durch mein Testament zugesprochen werden. Meinen Namen wirst du nicht tragen, aber mein Erbe sollst du trotzdem sein.«

Valentin wehrte sich nicht gegen dieses Versprechen, sondern sagte mit natürlicher Heiterkeit:

»Ich kann es nicht hindern, daß meine Adoptivmutter mich mit Güte überschüttet. Ich bin daran gewöhnt, seit ich in ihrem Hause weile, und ich würde es schmerzlich empfinden, wenn ihre Großmut sich plötzlich von mir abwenden würde; aber wenn sie auch in Wirklichkeit meine Mutter wäre, ich könnte sie nicht lieber haben, als es tatsächlich der Fall ist, und das Geld wird daran keinen Unterschied machen.«

Diese Unterredung übte einen wesentlichen Einfluß auf die Zukunft des Grafen Chef de Coutras aus. Die Erinnerung an seinen ritterlichen Mangel an Eigennutz veranlaßte Frau Mößler, in seinen späteren, schlimmsten Tagen ihm die größten Torheiten zu verzeihen, welche er begangen.

In dem Entschlusse des jungen Grafen lag nichts Gekünsteltes und Unwahres, seine Weigerung ging aus dem ihm angeborenen Stolze hervor, welcher es ihm unstatthaft erscheinen ließ, den Namen eines Abenteurers zu tragen, so reich derselbe auch sein mochte. Er mißachtete Frau Mößler nicht, aber er hätte gefunden, daß es für ihn sehr betrübend sei, wenn er nichts anders gewesen wäre, als eben nur ihr Sohn. Ihre Großmut nahm er als das selbstverständliche Resultat ihres warmen Herzens, ihrer Zärtlichkeit hin, aber zwischen der Annahme dieser Zärtlichkeit und dem Umstande, sich Valentin Mößler nennen zu sollen, lag eine Kluft, die sich durch nichts überbrücken ließ; er ahnte nicht, wie klug er sei, indem er sich mit so stolzer Lossagung benahm; er folgte nur dem instinktiven Empfinden, welches seine angeborenen Vorurteile ihm einflüsterten.

Wäre er nach wie vor in Frau Mößlers Heim geblieben, so hätte er es vielleicht gelernt, vernünftig zu leben, wie er dies in der Vergangenheit getan; bis zu seiner Großjährigkeit wenigstens würde er sich keine sonderlichen Ausschweifungen haben zuschulden kommen lassen, aber er mußte seiner militärischen Dienstpflicht nachkommen, und die damit verbundene Freiheit brachte ihn in eine für ihn nichts weniger als vorteilhafte Umgebung, in welcher er der Langeweile und der Trägheit Gehör schenkte, die bekanntlich immer schlechte Ratgeber sind. Er hatte zu viel Geld zur Verfügung, und so geschah es, daß er verderblich auf das ganze Regiment, ja auf die ganze Garnison einwirkte. Als Valentin sich zu dem dreißigsten Jäger-Regiment nach Nantes begeben sollte, hatte Eliphas der guten Frau Mößler einige sehr vernünftige Ratschläge erteilt.

»Geben Sie dem jungen Manne nicht mehr Geld, als sich für die Stellung eignet, welche er momentan bekleidet; vergessen Sie nicht, daß er schlichter Reiter sein wird in einem Regiment, dessen Offiziere über sehr bescheidene Mittel verfügen; wenn er zu viel ausgibt, werden seine Vorgesetzten ganz und gar nicht mit ihm zufrieden sein, er bekommt in solchem Falle unaufhörlich die verschiedensten Kommandierungen und Sie können ihn dann sehr wenig sehen; überdies wird er höchstens die Melkkuh der Korporale, welche scheinbar seine ergebensten Diener sein werden, um ihn entsprechend auszunützen; wenn wir noch in den alten Zeiten lebten, dann freilich könnten Sie dem guten Jungen ein Regiment kaufen, und alles lebte in vergnügtestem Jubel in den Tag hinein. Er könnte bei Hof paradieren, während sein Oberstleutnant die Manöver kommandieren würde, und die Macht des Geldes könnte in ihrer ganzen Größe zutage treten; aber diese Zeiten haben aufgehört zu sein. Wir befinden uns im Vollgenusse demokratischer Gesetze, welche es jedem jungen Franzosen zur Pflicht machen, drei Jahre lang in Reih' und Glied gewissenhaft zu dienen, ob er nun Millionär sei oder nicht; es gilt dieses Gesetz für den Prinzen ebensogut wie für den mittellosen Proletarier. Suchen Sie also darauf hinzuwirken, daß Valentin gefügig diese Prüfungszeit über sich ergehen lasse, und verwöhnen Sie ihn erst dann nach Herzenslust, wenn er dem gesellschaftlichen und bürgerlichen Leben wieder zurückgegeben ist.«

Frau Mößler stimmte allem bei, was ihr alter Freund sagte, aber sie befolgte doch nur die Eingebungen ihres eigenen Kopfes, und so traf es sich denn naturgemäß, daß der junge Graf der reichste Soldat seiner Abteilung war. Trotz aller pessimistischen Vorgefühle des Herrn Eliphas hatte dieser Geldüberfluß anfangs keine verhängnisvollen Folgen für Valentin; er besaß den Takt, die Empfindlichkeit seiner Vorgesetzten in keiner Weise zu verletzen, und das kam ihm zustatten. Hatte er auch trotz der vorgeschriebenen Kasernierung eine hübsche Wohnung in der Stadt, Dienerschaft und prächtige Pferde, hielt er auch zarte Beziehungen zu der hübschen Schauspielerin Laura Bertier aufrecht, so verstand er doch andererseits, sich so taktvoll und diskret zu benehmen, daß es seinen Vorgesetzten möglich wurde, zu allem, was nicht ganz korrekt war an seiner Handlungsweise, ein Auge zuzudrücken. Er erhielt Urlaub, so oft er ihn begehrte, und hatte dies in erster Linie dem Wohlwollen des Obersten zu danken, welcher ein Freund seines Vaters gewesen war. Weil er die Unteroffiziere mit Geschenken überschüttete, brauchte er unzählige Male keinen Dienst zu machen, wenn die Reihe eigentlich an ihn gekommen wäre. Man erlebte das seltene Schauspiel, daß Quartiermacher und Feldwebel aus goldeingelegten Pfeifchen rauchten, wie man dieselben kaum in den elegantesten Klubs zu sehen Gelegenheit hatte, weil sie für wohlhabende Leute zu teuer gewesen wären. Trotz aller dienstlichen Erleichterungen, welche man Valentin von Coutras gewährte, langweilte er sich ganz schauderhaft, und um sich zu zerstreuen, spielte er.

Mehrere junge Soldaten, welche reichen Familien angehörten, organisierten höchst gefährliche Spielpartien; jeder freie Tag oder freie Abend wurde in Valentins eleganter Privatwohnung zugebracht; man trank, man rauchte, man spielte. Namhafte Summen gingen auf solche Art verloren, und um ernsten elterlichen Vorstellungen oder bedenklichen finanziellen Mißhelligkeiten aus dem Wege zu gehen, baten die vom Unglück Verfolgten den Grafen Coutras um Unterstützung; er gewährte dieselbe stets und erleichterte somit seinen Genossen ihren leichtfertigen Lebenswandel. Gewinn oder Verlust schienen für ihn keinerlei Bedeutung zu haben; er lächelte immer, war stets heiter und in bester Laune. Alle mochten ihn gerne leiden. Man hielt ihn allgemein für gutmütig, und doch legte er in einem ganz speziellen Falle eine Gefühllosigkeit an den Tag, welche alle diejenigen peinlich berührte, die davon Kenntnis erhielten.

Ein Unteroffizier seines Zuges, namens Blanpain, sollte das Regiment in nächster Zeit verlassen. Das Ende seiner Dienstjahre nahte heran, und er wollte sich auf das Land zurückziehen, um ein junges Mädchen zu heiraten, welches er liebte. In der Unverdorbenheit seines Gemütes erzählte er Valentin seine Zukunftspläne, und dieser lachte über den bescheidenen Ehrgeiz des guten Jungen. Ihm machte es Spaß, allerhand Fragen an Blanpain zu stellen und ihn aus seinem Seelenfrieden aufzurütteln.

»Und wenn Sie einmal bei sich zu Hause sind, Blanpain, was werden Sie alles tun und treiben?«

»Ich will das Geschäft meines Vaters übernehmen, welcher Kunsttischler ist.«

»Und Sie werden heiraten?«

»Gewiß, mein ganzes Streben ist darauf gerichtet. Ich habe sechs Jahre gedient, um dieses Ziel zu erreichen. Die Prämie, welche ich dafür erhielt, ist mir heilig. Das Geld soll mir dazu dienen, meinen Hausstand zu begründen.«

Ein teuflischer Gedanke erwachte in dem Geiste des Grafen Coutras, er beschloß, dem armen Burschen die so mühsam erworbene und so hochgehaltene Barschaft abzugewinnen. Am selben Tage noch lud er Blanpain ein, gab ihm tüchtig zu trinken und führte ihn dann an den Bakkarattisch, an welchem Valentins Genossen bereits Platz genommen hatten. Dann sprach er:

»Nun, Korporal, betrachten Sie sich einmal diese Herren; einige derselben sind mit tausend Francs hier eingetreten und werden fortgehen, ohne einen Heller mit sich zu nehmen. Wenn sie nicht besonderes Glück haben, wird ihr ganzer Besitz aus ihren Taschen in jene von Glücklicheren wandern. Da würde sich Ihnen die schönste Gelegenheit bieten, Ihre Ersparnisse zu verzehnfachen; wenn Sie mit einer Riesensumme in Ihre Heimat zurückkehren, so wäre das doch viel besser, als wenn Sie sich als Kunsttischler mühsam Ihr Brot verdienen. Ihr Vermögen wäre gemacht.«

»Sie haben selbst erst vorhin gesagt, Herr, daß viele auch mit leeren Taschen davongehen – zu jenen möchte ich nicht gehören; freilich habe ich nur wenig, aber das Wenige genügt mir. Ueberdies habe ich nie gespielt.«

»Ja, ja, ich weiß, Sie sind ein außerordentlich solider Junge, Blanpain; schade, daß Sie sich nicht bereden lassen. Wer die Karten nie berührt hat, gewinnt immer, wenn er zum ersten Male spielt.«

Die bösen Ratschläge Valentins und der falsche Stolz, welcher fast in jeder Mannesbrust zu finden ist, brachten nach Ablauf einer halben Stunde den Korporal, welcher durch den Genuß des starken Portweines erhitzt war, dazu, zehn Francs zu riskieren; zu seinem Unglück gewann er. Durch den Erfolg ermutigt, setzte er die gewonnene Summe, und bald darauf lagen siebzehntausend Francs vor seinem Platze. Valentin lachte wie toll und fragte den guten Blanpain, was er denn mit einer so großen Summe anzufangen gedenke? Dieser war sehr ernst geworden, antwortete nicht und schickte sich an, nach der Kaserne zurückzugehen. Der sonst so sanfte und ruhige Korporal war plötzlich unruhig und heftig geworden; fast machte es den Eindruck, als ob dieses in häßlicher Weise erworbene Geld die Macht besitze, seinen Charakter umzuwandeln.

Drei Tage später kam er wieder auf Besuch, zu dem Grafen Coutras; er gewann im Laufe eines Nachmittags zwanzigtausend Francs. Von diesem Augenblicke an ließ er sich auf die unsinnigsten Kombinationen ein und redete sehr viel törichtes Zeug, das die anwesenden Söhne reicher Familien nicht wenig belustigte. Blanpain, welcher alles in allem genommen vierzigtausend Francs besaß, redete davon, in seiner Heimat einen Besitz zu kaufen, und als vornehmer Herr zu leben, Pferde zu züchten und Reben anzubauen. Er sprach nicht mehr von seiner Verlobten und war nahe daran, der Meinung Raum zu geben, daß sie für ihn keine hinreichend gute Partie sei; in die Kaserne zurückgekehrt, traktierte er seine Kameraden und versetzte dieselben in nicht geringes Erstaunen, durch die hochmütige Ueberlegenheit, welche er an den Tag legte und die so gar nicht im Einklang stand mit seiner sonstigen schlichten Art. Gegen Abend kehrte er dann wieder zu Valentin Coutras zurück und benahm sich äußerst ungezwungen; er sah schon keinen Unterschied mehr zwischen sich und den jungen Leuten, welche er bis nun doch nicht gewöhnt gewesen war, als seinesgleichen zu betrachten. Valentin, welchen diese Metamorphose königlich belustigte, trug Blanpain das kameradschaftliche »Du« an, sagte ihm, daß er bereit sei, ihn in Paris seinen besten Freunden vorzustellen, ihn in der vornehmsten Gesellschaft einzuführen; er zählte ihm alle Freuden auf, welcher er durch sein Geld teilhaftig werden könne, und schänkte ihm so reichlich Punsch ein, daß der Unglückliche erst recht die Besinnung verlor; im Halbrausche sagte er sich, daß er noch immer nicht reich genug sei, um so glänzend leben zu können, wie er es sich vorstellte, deshalb wolle er weiter spielen, um, wie er sich mit törichter Vertrauensseligkeit sagte, zu dem Gelde, welches er besaß, noch zwanzig- oder dreißigtausend Francs hinzuzugewinnen. Um elf Uhr abends hatte er alles verloren, was er gewonnen, und sich auf Ehrenwort verpflichtet, seine Anwerbungs-Prämie dem Grafen Coutras auszubezahlen, der ihm Geld geborgt. Entnüchtert, durch den Verlust erschreckt, nahezu fassungslos, erhob sich Blanpain endlich und blickte verstört um sich. Tränen traten in seine Augen, während er sich an den Kaminsims lehnte und die Situation überdachte. Valentin, der die Absicht hegte, seinem Korporal am folgenden Tage das verlorene Geld zu schenken, erging sich einstweilen in ironischen Bemerkungen.

»Blanpain, mein Junge, Sie sind zu weit gegangen, Sie haben sich den Schädel bedenklich angerannt; jetzt handelt es sich nicht mehr darum, eine Besitzung zu kaufen oder Pferde zu züchten und Reben zu pflanzen; auch das Geschäft Ihres Vaters, die Kunsttischlerei, können Sie nicht übernehmen, nachdem Sie zuvor die Herzlichste zum Traualtar geführt – jetzt müssen Sie sich von neuem anwerben lassen und wieder ein paar Jahre mittun, um abermals eine Prämie zu bekommen. Während dieser Zeit aber kann Fräulein Clara, Zoë oder wie Ihre Verlobte sonst heißen mag –«

»Marie«, schluchzte der Korporal, indem er das Antlitz in den Händen verbarg. »O Elender, der ich bin. Es erübrigt mir nichts mehr, als mir den Säbel in die Brust zu stoßen.«

»Nur hier nicht, mein bester Blanpain. Auf dem Teppich ist derlei sehr unangenehm. Ja, ja, so geht es, wenn man allzu rasch vorwärtsdrängen will. Sie waren reich genug vor der Abendmahlzeit, nun sitzen Sie wieder auf dem Trockenen. So ist das Leben! Die übrigen Herren haben ihr Geld zurückerlangt, nur ich bin nicht bezahlt.«

»Morgen früh sollen Sie Ihr Geld erhalten, Herr Graf. Der Herr Kapitän hat meine Ersparnisse in Verwahrung.«

Valentin faßte den Korporal am Kinn und blickte ihm unverwandt in die Augen.

»Behalten Sie nur Ihr Geld, einfältiger Junge, ich will es nicht.«

»Es gehört Ihnen, Herr Graf«, erwiderte der Korporal mit Eigensinn.

»Es gehört mir nicht, da ich es Ihnen schenke. Verstehen Sie mich?«

»Ja, aber das hindert doch nicht, daß ich es verloren habe und all meinen Gewinn auch noch dazu?«

»Ja, das ist wahr. Nun, meine Herren, der gute Blanpain ist wirklich vollkommen ausgesackt, ich denke, wir schicken ihn schlafen! Gehen Sie nur und versuchen Sie, kein Gallenfieber mehr zu bekommen. Freilich haben Sie nichts mehr von Ihrem Gewinn, aber Sie haben auch keine Schulden!«

Blanpain entfernte sich in gedrückter Stimmung und kehrte nicht nach der Kaserne zurück; am folgenden Morgen fand man seine Leiche an einem Pfeiler der Nantesbrücke hängen. Schamgefühl, Verzweiflung wegen seines so rasch in die Brüche gegangenen ehrgeizigen Traumes hatten ihm die Lust am Leben benommen. Diese auf so tragische Weise gelöste Episode brachte die täglichen Spielpartien Valentins und seiner Kameraden zu jähem Abschluß. Der Oberst wurde von den genauen Einzelheiten der traurigen Angelegenheit in Kenntnis gesetzt und traf die strengsten Maßregeln seinen Soldaten gegenüber. Die Zeit, welche Graf Coutras noch abdienen muhte, verging sehr eintönig und langsam. Mit Freuden harrte er der Stunde, in welcher er zu Frau Mößler zurückkehren und seinen sieghaften Einzug in Paris halten durfte.

Er war vierundzwanzig Jahre alt, trug einen klangvollen Namen, befaß ein fürchterliches Vermögen und seltene Schönheit. Es erschien folglich nur naturgemäß, daß er überall den Ton angab und zu den vier oder fünf jungen Leuten gehörte, welche die Pariser Gesellschaft lenkten, sie in ihrer frivolen, lärmenden Nichtigkeit erhielten.

Die außerordentlich zurückgezogene Lebensweise Frau Mößlers ließ ihm große Freiheit. Seit dem Tode ihres Gatten hatte die Goldkönigin ihre Salons nicht wieder eröffnet und ging nicht mehr in die Welt. Im Laufe der Saison verbrachte sie höchstens drei bis vier Abende in der Oper; um sie zu einem solchen Entschlusse zu bewegen, mußte ihre Umgebung ihr lange Zeit zureden und ihr die Versicherung geben, es sei eine große Schande, daß sie die Novitäten nicht kenne. Geistig war sie außerordentlich tätig geblieben, obzwar sie körperlich einige Trägheit bekundete; für ihre Werke der Wohltätigkeit legte sie aber stets den gleichen Eifer an den Tag. Des Morgens pflegte sie um acht Uhr aufzustehen und ihre Korrespondenz zu erledigen, welche zwei Sekretären volle Beschäftigung bot. Wenn Herr Eliphas eintrat, fand er schon alle Kleinigkeiten erledigt, welche für seine Beachtung zu unbedeutend gewesen wären. Oftmals begleitete Friedrich Clément seinen Vater; wenn das Haus Pilet & Berger, welches der junge Mann jetzt leitete, seiner langjährigen Klientin Frau Mößler wichtige finanzielle Auskünfte zu erteilen hatte, dann pflegte Friedrich Clément immer persönlich bei ihr zu erscheinen, denn ein unermeßliches Vermögen gleich dem ihren erfordert auch unausgesetzte Wachsamkeit und Mühewaltung.

Zu den Geschäftsstunden trat Valentin niemals bei seiner Adoptivmutter ein; er sparte sich die Zusammenkunft mit ihr für das Gabelfrühstück und für das Diner auf, bei welchem er sie mit den Erzählungen dessen belustigte, was er während des Tages oder des Abends gesehen oder erlebt hatte.

Im Privatleben seiner Adoptivmutter war er der tonangebende Gebieter; niemand wäre imstande gewesen, seinen Einfluß aus dem Wege zu räumen, und er erreichte stets von ihr, was er wollte. Ohne die geringsten Schwierigkeiten zu machen, hatte Frau Mößler dem Grafen unbeschränkten Kredit eröffnet; so oft er Geld brauchte, ließ er sich dasselbe kommen oder holte er es sich auch selbst, entweder bei Pilet & Berger oder bei der Bank. Er verstand es sehr gut, zu rechnen, und seine Bücher waren stets in vollster Ordnung; der Sohn des Verschwenders war allem Anscheine nach vollkommen rangiert, und so lange seine Leidenschaften nicht allzu deutlich zutage traten, bot er in seinem Benehmen nichts Anstößiges.

Im Laufe des Jahres verausgabte er vier- bis fünfmalhunderttausend Francs, aber hätte er denn anders gekonnt und würde Frau Mößler eine größere Einschränkung gewünscht haben? Die Art und Weise, in der ein Graf Coutras, welchen eine Dame gleich Frau Mößler adoptiert hatte, das Geld verausgabte, konnte nicht identisch sein mit jener eines Wechselagenten, und wenn derselbe auch Millionär gewesen wäre. Valentin war kein Verschwender, aber er kannte den Wert des Geldes nicht, er verausgabte es leicht, denn er hatte es niemals verdienen müssen. So lange nur die Rennen, seine Jagd und seine Beziehungen mit Andrée de Taillebourg ihm Geld kosteten, bewegte er sich ohnedies in sehr bescheidenen Schranken.

Später, als er in freundschaftliche Beziehungen zu Frau Bourdon trat, wurde er verschwenderischer. Sie war die Gattin eines Wechselagenten der Börse, früher ein schlichtes Bürgermädchen gewesen, welches auf die bescheidenste Weise im Kloster erzogen worden war und einen Geschäftsmann geheiratet hatte, der beiläufig zwanzigtausend Francs Jahresrente besaß. Die kleine blonde Person mit dem Madonnengesichtchen war im Grunde genommen ein vollendeter Satan. Schon nach zehnmonatlicher Ehe trat sie in sehr intime Beziehungen zu Laboussière, dem unmittelbaren Vorgesetzten ihres Gatten; nach zwei Jahren hatte sie ihren Mann um alles gebracht, was er besessen, ohne daß er selbst so recht gewußt, wie das gekommen. Ihre Madonnenaugen blickten darum nicht trüber, ihre Stirne war nicht weniger rein; sie schien eines unlauteren Gedankens ebenso unfähig, wie in den ersten Tagen ihrer Ehe.

Dann kam eine Zeit, in welcher Laboussière den biederen Bourdon an seinen Geschäften teilnehmen ließ; die Folge davon war, daß er viel Geld verdiente und die junge Frau ein Palais, eine Equipage und einen ganzen Koffer voll Brillanten besaß, die einen Wert von dreimalhunderttausend Francs repräsentierten. Sie führte kein besonders auffälliges Leben, ihr Luxus zog die Blicke nicht auf sich, ihre Toiletten waren von tadellos feinem Geschmack.

Der Gatte befand sich stets in ihrer Gesellschaft, war immer aufmerksam und zuvorkommend, nur ihre Schönheit erregte berechtigtes Aufsehen, denn diese war wirklich blendend. Sie war eigentlich klein, aber so zierlich gewachsen, daß man sich versucht fühlte, sie für groß zu halten; ihre Haut war blendend weiß, ihre Augen blau wie Saphire, ihre Haare blond, natürlich gewellt, sie umrahmten das ovale Antlitz und waren kronenartig über der Stirne gesteckt; in ihrem kleinen Munde sah man blendend weiße, tadellose Zähne. Sie war dreißig Jahre alt, als Valentin von Coutras anläßlich eines Gartenfestes bei der Gräfin Nuno zum erstenmal ihrer ansichtig wurde. Er hatte unter der Leitung der Hausfrau ihre Sammlung der verschiedensten, nicht authentischen Bibelots ansehen müssen und sich erzählen lassen, daß manche derselben mehr als zweitausend Francs wert seien. Plötzlich sah er sich Frau Bourdon gegenüber. Er kannte sie, wie ganz Paris sie kannte, hatte aber niemals Gelegenheit gehabt, das Wort an sie zu richten. Die junge Frau plauderte mit ihrer intimsten Freundin, der Marquise von Plessy; seltsam war es immerhin, daß Frau Bourdon, welche sich anerkanntermaßen keines guten Rufes erfreute, doch allerorten empfangen wurde und die vornehmsten Leute bei sich sah. Valentin trat höflich zur Seite, er lächelte, denn wie hätte man auch einer hübschen Frau nicht zulächeln sollen? Sie betrachtete ihn überrascht, als habe sie ihn nie gesehen, und doch wußte sie ganz gut, wer er sei. Plötzlich hielt sie im Reden inne, es war, als bemächtige sich ihrer eine Empfindung, deren Herr zu werden sie sich unfähig fühle. Regungslos stand sie einen Moment da und wechselte während dieser kurzen Spanne Zeit mit dem Grafen Blicke, welche die Marquise von Plessy später veranlaßten, zu erzählen, sie glaube, daß nur ihre Gegenwart allein den Grafen Coutras daran gehindert habe, Frau Bourdon augenblicklich um den Hals zu fallen.

In der darauffolgenden Woche schon fanden die beiden Gelegenheit, viel zusammen zu verkehren, und Frau Bourdon, welche bisher zahllose Huldigungen entgegengenommen, liebte selbst zum erstenmal wahrhaft. Es handelte sich um eine leidenschaftliche Neigung, welche sämtliche Gewohnheiten ihrer wohlgeregelten Existenz über den Haufen warf und ihren Gatten vollständig aus der Fassung zu bringen drohte. Er bekam seine Frau jetzt fast gar nicht zu Gesicht; sie frühstückte nicht mehr mit ihm, kehrte erst nach Hause zurück, wenn die Mahlzeit bereits aufgetragen war, zeigte sich müde, erschöpft und übel gelaunt. Einem ihrer vertrauten Hausfreunde, Saint-Guilhem, wies sie die Tür, weil sie behauptete, daß er sie langweile, daß er jede Frau, welche bisher mit ihm zusammengekommen, gelangweilt haben müsse. Vergebens trachtete Bourdon, ihr Vernunft zuzusprechen; er bedauerte Saint Guilhems Verbannung, weil er, häufig mit ihm Besique spielend, sein Freund geworden war, doch alle seine Einwendungen fruchteten nichts.

Die gemütlichen Fünf-Uhr-Tees, welche ebenfalls zu den Attributen der vornehmen Kreise gehören und vor der Oper eine so angenehme Zerstreuung sind, wurden abgeschafft. An ihre Stelle traten Landpartien, Besuche der kleinen Schauspielhäuser untergeordneten Ranges, späte Soupers in diesem oder jenem Restaurant, welche der gute Bourdon mitmachen mußte, ob er dazu Lust verspürte oder nicht. Freilich war ihm diese veränderte Lebensweise ein Greuel, aber als gefügiger Gatte kam es ihm doch nicht in den Sinn, sich gegen dieselbe aufzulehnen. Wo immer man auch hinging, Graf Coutras erschien plötzlich; er stattete Besuche in der Loge der hübschen Frau ab, ließ sich von derselben zum Souper einladen, beachtete aber den Gatten kaum, grüßte ihn höchstens mit hochmütiger Herablassung, wie einen Mann, den man aus dem Wege räumt, weil man ihn unbequem findet. Nach der freundlichen Zuvorkommenheit Labussiére's, dem wohlwollenden Wesen des charmais, der zarten Rücksicht Saint-Guilhems war diese seltsame Art dem guten Bourdon doppelt befremdend. Er verabscheute den schönen jungen Burschen, welcher sich als Sieger in seinem Hause breitmachte, ohne daß er den Mut gehabt hätte, ihm die Tür zu weisen. Die niedliche kleine Frau Bourdon hatte es bis jetzt verstanden, ohne je eine Bitte zu stellen, schon manches Vermögen zu verschlingen; sie nahm an, was man ihr darbrachte, und gab sich noch den Anschein, als ob sie es sei, welche eine Gunst erweise, wenn man ihr die unermeßlichsten Opfer brachte. Wäre Bourdon nicht so klug gewesen, jährlich zweimalhunderttausend Francs zur Seite zu schaffen, als Zehrpfennig für die Tage der Not, welche möglicherweise ja auch kommen konnten, hätte man sich vergeblich gefragt, wo denn all die Unsummen hinkämen, welche die schöne Frau verschlang.

Zwei blutsaugende Ungeheuer waren es, welche an ihr nagten – ihr Schneider und ihr Goldarbeiter. Valentin machte sich ein Vergnügen daraus, bei Verlet eine Rechnung von dreimalhundertsechzigtausend Francs zu bezahlen, nur um sie damit zu überraschen. Es war ihre Jahresrechnung; nebstbei aber brachte er in Erfahrung, daß sie eine graue Fuchsgarnitur um dreißigtausend Francs und einen mit Mechelner Spitzen garnierten Rock um dreitausend Francs gerne besitzen würde, und sah es natürlich als einen Vorzug an, ihr diese Kleinigkeiten zu Füßen legen zu dürfen. Im Laufe von zwei Monaten gab er für die hübsche Frau Bourdon, welche sich mit Stolz die Freundin der vornehmsten Damen von Paris nannte, beiläufig eine und eine halbe Million Francs aus. Frau Mößler wurde durch Friedrich Clément und durch Herrn Eliphas von dem Stande der Dinge in Kenntnis gesetzt; sie fühlten sich beide einigermaßen beunruhigt, weil das Geld gar so rasch dahinfloß; Frau Mößler aber erwiderte ruhig:

»Mein Gott, der Junge unterhält sich eben. Ich habe Frau Bourdon im vorigen Jahre bei einem Wohltätigkeits-Bazar gesehen; sie leitete damals mit Frau von Jessac eine Verkaufsbude, war sehr hübsch und brachte ihre Ware zu den höchsten Preisen bei den Herren an.«

»Das gelingt ihr auch jetzt noch«, warf Eliphas trocken ein.

»Wenn Sie vierzig Jahre jünger wären, so würden Sie weniger schroff urteilen«, lachte Frau Mößler. »Haben Sie in früheren Zeiten niemals Frauen in der Art Madame Bourdons gekannt?«

»Bei Gott, nein!«

»Dann beklagen Sie es vielleicht heute?«

»Jetzt nicht mehr.«

»Ich bin überzeugt, mein lieber Eliphas, Sie sind ein arger Sünder gewesen, so lange Sie jung waren; jetzt freilich wollen Sie uns glauben machen, Sie seien ein Puritaner; aber das ist kein besonderes Verdienst, wenn die Jahre uns einmal Mäßigung aufnötigen.«

»Es ist gar kein Verdienst dabei, und Graf Valentin ist im Rechte, wenn er sich keinen Zwang antut, da Sie ihn entschuldigen. Ihr Vermögen gehört Ihnen, und es steht Ihnen frei, dasselbe so zu verwenden, wie es Ihnen am besten zusagt.«

»Glauben Sie, daß ich mich zugrunde richten werde?«

»Das ist unmöglich«, erwiderte Eliphas stolz. »Wir brauchten drei Generationen lang Männer wie den Grafen Coutras, um derartiges zu bewerkstelligen, auch dann könnte es nur geschehen, durch das Börsenspiel.«

»Nun, dann hadern wir auch nicht mit dem Jungen. Ich sage Ihnen, Eliphas, sehr reiche Leute, welche Ersparungen machen, sind Verbrecher; in einer gewissen Hinsicht finde ich sogar, daß die Sozialisten im Rechte sind, wenn sie fordern, das Kapital solle wieder der Menge zufallen. Ein Geizkragen, welcher hunderttausend Francs Rente besitzt und von diesen nur zwanzigtausend verausgabt, betrügt die Menschen um achtzigtausend Francs; würde er seinen Ueberfluß dem Handel oder den schönen Künsten zuwenden, so trüge er wesentlich zum Volkswohlstande bei. Ich tadle die Sparsamkeit nicht, in ihr beruht die Stärke eines Landes, aber die übertriebene Schatzaufspeicherung erscheint mir gleich einer Hemmvorrichtung, welche die soziale Maschine daran hindert, weiter vorwärts zu schreiten, und die somit auch die Tätigkeit eines Landes brachlegt. Um meine Handlungen in Einklang zu bringen mit meinen Ansichten, sehe ich es somit als eine Pflicht an, so viel Geld als nur irgend möglich zu verausgaben.«

»Und es gelingt Ihnen dies in bewundernswerter Weise. Der Graf Coutras steht Ihnen in nichts nach; aber selbst auf dem Fuße, auf welchem Sie beide leben, ermöglichen Sie es gemeinsam nicht, Ihre Revenuen zu verzehren; die Goldminen in Transvaal allein tragen mehr ein, als Sie beim besten Willen auszugeben imstande sind. Ihr errungenes Vermögen gleicht der modernen Einrichtung jener »Schneeballen«, welche man kursieren läßt, und durch die so ungeheure Geldsummen anwachsen.«

Frau Mößler blickte traurig vor sich nieder, sie stützte das Kinn in die Hand und versank in tiefes Schweigen; endlich sprach sie:

»Wie schade, daß Gedeon nicht in die Lage kam, die Verwirklichung seines Traumes zu sehen. Unzählige Male hat er mir, als wir noch in Transvaal waren, gesagt: »Wir werden eines Tages so viel Geld besitzen, daß Könige weniger reich sein werden, als wir!« Dieser Mann aber hat in seinem Leben eine einzige Leidenschaft gekannt – die Arbeit. Er besaß so wenig Bedürfnisse, daß, selbst als wir einen der besten Köche von Paris in unsere Dienste nahmen, er nie mehr als zwei Speisen aß. Der Mann gestand ganz unumwunden, daß er sich vierzigtausend Francs im Jahre verdiene, und daß Mößler ihm eine Schande bereite, indem er seine Kochkunst mißachte.«

»Mein Gott, Sie sind ja ebenso! Was würden Sie brauchen, um ganz ruhig und zufrieden zu leben? Zweitausend Francs monatlich und eine kleine Wohnung von vier oder fünf Räumen. Sie besitzen den kostbarsten Schmuck, die schönsten Spitzen in ganz Paris und tragen doch immer nur ein einfaches schwarzes Seidenkleid und die unscheinbare kleine Brosche, welche ich täglich an Ihnen sehe.«

»Sie war das Hochzeitsgeschenk meines Gedeon; ich trug sie seither mein ganzes Leben lang und will auch mit derselben sterben. Als er mir diesen einfachen Schmuckgegenstand gab, waren wir arme Leute; er hatte denselben in Straßburg bei einer seiner Rundfahrten gekauft und brachte ihn mir triumphierend. Gott weiß, welche Freude er mir damit bereitet hat. Mein Vater hatte mir niemals gestattet, auch nur goldene Ringe in den Ohren zu tragen. Als ich daher endlich jenen Schmuck erhielt, verbrachte ich ganze Tage damit, mich im Spiegel zu bewundern. Oh, es waren schöne, glückliche Zeiten!«

»Sie hatten damals noch keiner Stadt Ihren Namen verliehen.«

»Das Leben ist nicht damit abgetan, mein guter Eliphas, daß man sich ein Wohltätigkeits-Budget entwirft, daß man humanitäre Anstalten bedenkt, daß man all diejenigen aufsucht, welche des Interesses und des Erbarmens wert sind, man muß auch an die Zukunft eines solchen Vermögens denken.«

»Ja, ja,« meinte der alte Clément, »an die Dynastie.«

»Es war dies die Idee, welche Mößler unausgesetzt verfolgte; während seines ganzen Lebens pflegte er unaufhörlich zu sagen: »Wem werden wir hinterlassen, was wir erworben haben?« Sie wissen, wie unglücklich er darüber gewesen, daß wir keine Kinder hatten. Wir besitzen auch keine näheren Verwandten, nur weitschichtige Vettern, die uns fremd sind und dem Bauernstande entstammen gleich uns selbst. Sie wüßten gar nicht, was sie mit einem Vermögen wie dem unserigen anfangen sollten; wenn jeder von ihnen eine Leibrente von dreißigtausend Francs erhält, ist er überglücklich, alles weitere jedoch wäre zu viel.«

»Nun, und Graf Coutras?«

»Ja, er, Valentin – aber nach ihm, was dann?«

»Verheiraten Sie ihn!«

Frau Mößler betrachtete Eliphas ernsthaft.

»Seit einiger Zeit schon gehe ich mit diesem Gedanken um; aber ist er auch klug und gesetzt genug, als daß man daran denken dürfte, ihn zu verheiraten? Sie sehen ja doch selbst, wie er den Vergnügungen nachjagt. Wer vermöchte auch gegen die hübsche Person aufzukommen, in welche er momentan verliebt ist, und die er vielleicht demnächst durch irgendeine andere Schwärmerei ersetzen wird? Man müßte ihm eine junge, schöne, liebenswürdige Frau von vornehmer Herkunft suchen, aber nicht reich; man müßte dieser eine glänzende Existenz sichern; vor allem aber wäre es notwendig, daß sie ihm gefalle. Im Faubourg Saint-Germain gibt es gar viele reizende Mädchen, welche keinen Heller Vermögen besitzen und gerne bergan steigen. All diese vornehmen Familien haben sich zugrunde gerichtet, um den Schein zu wahren. Ich werde meine Salons wieder eröffnen müssen, damit die heiratsfähigen Damen Gelegenheit haben, sich zu zeigen. Wir wollen dann unter ihnen die Wahl treffen, Eliphas.«

»Du grundgütiger Himmel, gnädigste Frau, es hat mir Mühe genug gekostet, meinen eigenen Sohn zu verheiraten, und ich verspüre ganz und gar keine Lust in mir, mich in diesem Sinne auch noch um die Kinder anderer Leute zu bekümmern. Wenn Sie mich um einen Rat fragen, werde ich bereit sein, Ihnen denselben zu erteilen, aber mehr nicht. Ich weise im vorhinein jede Verantwortung zurück.«

Allem Anscheine nach sollte sich ihm gar nicht so bald die Gelegenheit bieten, eine Verantwortung auf sich zu nehmen. Der junge Graf Coutras schien nicht geneigt, sich zu vermählen; er verbrachte seine Zeit bald im Klub, wo er aus Langeweile hoch spielte, bald bei Frau Bourdon. Zu seinem Schaden war er seit seiner Rückkehr vom Regimente in schlechte Gesellschaft geraten; er hatte sich mit Baron Croix-Mesnil, dem jüngeren Sohne einer hochangesehenen Familie, befreundet, welche Frankreich mit Ministern und Marschällen versehen hatte, und diese Freundschaft brachte ihn in die schlechteste Gesellschaft. Hugo von Croix-Mesnil war ein leidenschaftlicher Sportsmann, ein Professionsspieler, welcher durch das Bakkaratspiel die Bedürfnisse seines täglichen Lebens deckte; er verkehrte in den Nachtrestaurants und in all jenen Lokalen, welche sich des schlechtesten Leumunds erfreuten. Er war unzertrennlich von Ferdinand Prieure, dem Sohne jenes Eisenbahn-Unternehmers, der, um für alles gewappnet zu sein, was man gegen ihn ins Treffen führen konnte, eine Zeitung gegründet hatte, welcher er den Namen »Der Scharfschütze« gab, für die er mindestens hundertfünfzigtausend Francs verausgabte und vor deren rücksichtslosen Angriffen die französische Regierung zitterte.

Hugo von Croix-Mesnil, Ferdinand Prieure und Valentin von Coutras bildeten ein ebenso lärmendes als kühnes Kleeblatt, welches man tagsüber bei den Rennen, bei Maxime, auf den Velozipedes sah, und die von ein Uhr nachts an Leben und Bewegung unter die alten Mitglieder der Klubs brachten. Für Hugo von Croix-Mesnil war Valentin ein Erlöser; er zählte zu jenen Spielern, deren Hände man genau überwachte, wenn sie Bank hielten, und er war nahe daran, unterzugehen, als Graf Valentin von Coutras ihn wieder auf die Bildfläche emporhob.

Der junge Mann hatte etwas einschmeichelnd Liebenswürdiges und gefiel Valentin ganz gut. Er hatte es erniedrigend gefunden, daß ein eleganter, hübscher junger Bursche aus gutem Hause, ein begabter junger Mann gleich Croix-Mesnil zur Beute für niedrige Schmarotzer oder zum Werkzeug berechnender Philosophen werden sollte. Er war es daher auch gewesen, welcher dem jungen Manne wieder auf die Füße half, und kaum sah er sich in besseren Vermögensverhältnissen, als er auch wieder den Kopf oben trug und sich stolz und selbstbewußt benahm. Der gedemütigte, verkümmerte Mensch trat bald mit der Sicherheit des Lebemannes auf, dessen Börse wohlgespickt ist. Er war nahe daran, sich in ein Duell mit Ferdinand Prieure einzulassen, welcher in den letzten Stunden des tiefsten Elends seinem Kameraden aus besseren Zeiten eine ekelerregende Ueberlegenheit und Geringschätzung bewies. Hugo hatte ihm spöttisch erklärt, daß er daran ganz gut tue, weil er durch solche Art seine niedrige Herkunft verrate, und Graf Valentin de Coutras hatte einige Mühe gehabt, den Streit zu schlichten. Erst nachdem ihm dies gelungen, sahen sich die drei jungen Leute veranlaßt, ein Friedensfest zu begehen, welches naturgemäß zur Orgie ausartete. Allem Anscheine nach bedurften die abgestumpften Sinne der Lebemänner des höchsten Raffinements der Verderbtheit. Die Sittenlosigkeit, welche sich in dem grausamen Scherz zeigte, den Valentin mit dem unglücklichen Blanpain getrieben, bekundete sich auch in allerhand bizarren Torheiten, welche sogar Frau Bourdon erschreckten, die doch keine Feindin liebenswürdiger Exzentrizitäten genannt werden durfte. So knüpfte Valentin beispielsweise Beziehungen mit jungen Mädchen an, welche man als recht locker kannte, und die Folge davon war, daß Frau Bourdon den Verkehr mit ihm abbrach. Valentin suchte sie nicht einmal zu versöhnen und behauptete vielmehr, des Frauenumganges im allgemeinen gründlich müde zu sein, doch gehörte jener Zeitpunkt fast zu den aufgeregtesten seines Daseins als Lebemann. Er fing an, in den Schankbuden starke, amerikanische Liköre zu trinken, und erschien, lange nach Mitternacht, in einem Zustande in seinem Klub, welcher eigentlich seine Ausweisung zur unmittelbaren Folge hätte haben müssen. Trotz alledem gab er nicht übermäßig viel Geld aus. Die Unmöglichkeit, die Grenze zu finden, bei welcher er sich selbst Einhalt gebieten mußte, hatte entmutigend auf ihn gewirkt. Er glich einem Taucher, welcher es nicht wagte, in unergründliche Gewässer zu steigen, weil er befürchtete, nie auf die Tiefe zu kommen.

Frau Mößler war äußerst gleichgültig, wenn es sich um die Auslagen ihres Adoptivsohnes handelte; sprach man aber von seinem Benehmen, von seiner Moral, dann wurde sie alsbald nachdenklich. Die streng denkende Protestantin regte sich in ihr, und zum erstenmal gab sie ihrer Unzufriedenheit ganz deutlich Ausdruck. Herr Eliphas, welcher für die Wohltätigkeitswerke, die er in ihrem Namen ausübte, eine förmlich organisierte Polizei besoldete, war über Valentins Tun und Lassen ihr getreulicher Berichterstatter. Ohne jede Böswilligkeit, einzig und allein aus Hingebung für Frau Mößlers Interessen ließ der brave Mann Fragen an sich stellen, sagte er die Wahrheit aus; einer Lüge wäre er unfähig gewesen, zuweilen gab es aber doch Dinge, welche er verschwieg, was er nachträglich immer bitter bereute.

Eines Morgens, als Graf Coutras sich wie gewöhnlich bei seiner Adoptivmutter einfand, begrüßte dieselbe ihn nichts weniger als freundlich. Er war nicht daran gewöhnt, düstere Mienen bei ihr zu sehen, und mit der Keckheit eines verwöhnten Kindes beschwerte er sich auch alsbald darüber. Allem Anscheine nach hatte Frau Mößler nur auf diese Gelegenheit gewartet, um eine Auseinandersetzung mit ihm herbeizuführen, und so begann sie denn all ihre Kümmernisse aufzuzählen.

»Ich bin unzufrieden mit dir, liebes Kind; deine Lebensart mißfällt mir im höchsten Grade. Es liegt mir daran, daß du dies erfährst, weil ich hoffen will, daß die Neigung, welche du mir entgegenbringst, dich dazu veranlassen wird, eine gründliche Wandlung deines ganzen Wesens vorzunehmen.«

»Zweifle nicht daran, Mama,« beteuerte Valentin in einschmeichelndem Tone, »aber was wirfst du mir denn eigentlich vor? Ich muß es wissen, damit ich nicht ahnungslos in den gleichen Fehler verfalle, welcher dir bisher Aergernis gegeben hat.«

»Oh, ich bin mit sehr vielen Dingen nicht einverstanden, welche du tust; das Wichtigste aber wäre, dir eine andere Umgebung zu suchen, denn du gehst nur mit heruntergekommenen Leuten um.«

»Wer hat dir wohl solche Dinge von mir erzählen können? Sollten sich in deiner Nähe Menschen befinden, welche mir feindlich gesinnt sind?«

»Du hast keinen anderen Feind als dich selbst. Glaubst du denn, daß es schwer sei, sich über dein Tun und Treiben zu orientieren? Ich brauche ja nur eine Zeitung zur Hand zu nehmen. Ja, ich sehe mich gar nicht genötigt, dieselbe zu kaufen, denn man schickt sie mir sogar rot angestrichen ins Haus, wenigstens jene Stellen, welche dich berühren, sind genau bezeichnet. Da lies selbst im Gil Blas von gestern: »Kürzlich haben auf dem Opernball Herr v. Croix-Wesnil, Herr Prieure und der »schöne Goldsucher« – das bist allem Anscheine nach du – wußtest du, daß man dir diesen Namen beilegt?«

»Ja, liebe Mutter, mit Rücksicht auf deine Goldfelder.«

»Nun denn, mein Junge, wenn du eine andere Haltung einnehmen wolltest, wenn du dich nicht täglich in ganz erbärmlichen Kneipen kompromittieren würdest, so könnte sich niemand erlauben, dich öffentlich mit dieser erniedrigenden Vertraulichkeit zu behandeln.«

»Uebertreib nicht, liebe Mutter. Es liegt nichts Erniedrigendes darin, wenn meine intimen Freunde mich einen »Goldsucher« nennen; es ist vielleicht nicht ganz notwendig, daß jeder Journalist sich so vertraulich gegen mich benimmt, aber ich sehe nichts besonders Schlimmes darin. Den Herzog von Beaufort hat man den »König der Hallen« genannt, und er befürchtete ganz und gar nicht, durch eine solche Bezeichnung kompromittiert zu werden. Er war und blieb doch immer ein vornehmer Herr. Was nun die Kneipen betrifft, von denen du so verächtlich sprichst, so würdest du staunen, wenn du sehen könntest, wer alles in denselben aus- und eingeht.«

»Ich will es glauben, aber das macht die Sache nicht hübscher.«

»Ganz Paris tut nur, was ich tue.«

»Ja, ich weiß, daß die Sucht der Selbsterniedrigung zur Krankheit unseres Jahrhunderts gehört, daß es Männer und Frauen gibt, welche sich von dieser Krankheit dazu hinreißen lassen, Lokale zu besuchen, die zu betreten die Dienerschaft jener Leute sich wohl überlegen würde. Das ist so Modesache. Mir scheint, die aristokratische Gesellschaft trägt durch ihre Haltung das Möglichste zu ihrem eigenen Niedergange bei; sie kann es nicht erwarten, daß man sie mit Gewalt von der Bildfläche verdrängt, sondern stürzt sich selbst kopfüber in den reißenden Strom; sie wird sich eines Tages dadurch selbst unmöglich machen – das ist ihre Sache. Ich bekümmere mich in diesem allgemeinen Wahnsinn nur um deinen ganz speziellen Fall. Ich möchte sehen können, daß du besser bist wie die anderen, und bemerke, daß du schlechter bist. Junge Leute deines Alters besuchen aus Torheit jene Kneipen, du aber gehst dorthin aus Freude am Laster; jene verlieren dort nur ihre Zeit, du verlierst die Vernunft.«

»Liebe Mutter –«

»Es ist mir sehr peinlich, dir Derartiges sagen zu müssen, aber ich muß in deinem eigenen Interesse fortfahren; dein Mangel an Selbstbeherrschung bietet Aergernis. Die Menschen, mit welchen du intim verkehrst, sind es, welche dich so tief erniedrigt haben. Es scheint mir folglich sehr wünschenswert, daß du den Verkehr mit ihnen abbrichst.«

»Man hat dich gegen sie und mich eingenommen.«

»Jener Hugo v. Croix-Mesnil und jener Ferdinand Prieure sind keine Genossen, wie ich sie für dich haben möchte, der eine lebt sogar vollständig aus deinem Beutel.«

»Ich hatte allerdings das Vergnügen, ihm einige Dienste leisten zu können; aber solltest du, die du dein Leben damit hinbringst, die Armen zu suchen und zu unterstützen, mir einen Vorwurf daraus machen?«

»Ich suche wenigstens, daß jene Leute, welche ich unterstütze, dieser Unterstützung wert seien.«

»Liebe Mutter, was gibt es Interessanteres, als einen Mann von guter Familie, welcher an das Wohlbehagen gewöhnt ist und sich vom Elend bedroht sieht!«

»Ist er arbeitsam, so beginnt er ein neues Dasein und weiß sich eine Existenz zu schaffen.«

»Ein solcher Entschluß läßt sich schwer fassen und noch schwerer durchführen.«

»Dein Vater hat es zuwege gebracht und sich dadurch meine Neigung errungen, denn es gab nichts Ehrenhafteres und Rührenderes als den Mut jenes jungen Mannes, welcher sich in die afrikanische Einsamkeit verdammt hatte und durch seine Arbeit all das wiederzuerlangen strebte, was er verloren hatte. Mößler und ich sind Abkömmlinge eines arbeitsamen Geschlechtes, gute Lasttiere, für harte Arbeit geschaffen; er aber, Graf Jacques war für die Trägheit geboren; er arbeitete trotzdem rastlos mit uns in den Goldfeldern und starb dort. Das ist es, was ich nie vergessen werde; das ist es auch, was mich so sehr nachsichtig gegen dich stimmt, aber alles hat seine Grenzen, und ich werde nicht zugeben, daß du diese Grenzen überschreitest.«

Neben all seinen nachteiligen Eigenschaften besaß Valentin auch eine hervorragende Tugend. Er verstand es, sich in der gegebenen Situation zurechtzufinden und gute Miene zum bösen Spiele zu machen. Frau Mößler die Stirne zu bieten, wäre, so sicher er auch seines Einflusses auf sie zu sein glaubte, eine zu ernste Unvorsichtigkeit gewesen; er fühlte, daß er sich fügen und, wenigstens der Form halber, Konzessionen machen müsse, und nachdem er diesen Entschluß einmal gefaßt, führte er ihn auch geschickt aus.

»Du weißt, daß ich dir niemals den Gehorsam versagte; ich bin vollkommen bereit, mich deinen Wünschen anzupassen, und verzweifelt darüber, dir Kummer verursacht zu haben – dieser Umstand allein fällt bei mir schwer in die Wagschale.«

»Gibst du mir von nun an Veranlassung, mit dir zufrieden zu sein, so will ich gerne alles vergessen. Ich wünsche nichts sehnlicher, als daß du dich korrekt benehmen mögest; um das zu tun, mußt du aber ein ganz anderes Leben führen, als es bis jetzt der Fall gewesen ist. Willst du mir einen Gefallen erweisen?«

»Gewiß, sehr gerne.«

»Nun, dann heirate.«

Valentin sprang fast erschrocken auf, dann lächelte er.

»Und das sagst du mir so ohne Vorbereitung? Einen so ernsten Entschluß soll ich von einer Minute zur anderen fassen? Du hattest mir nie davon gesprochen, und nun trittst du so rasch mit einem solchen Ansinnen an mich heran. Ich bin erst sechsundzwanzig Jahre alt.«

»Um zwei Jahre älter als Mößler, da er mich heiratete.«

»Er besaß aber keine Mutter gleich dir, welche ihm ein herrliches Dasein bot.«

»Dein Leben wird, wenn du verheiratet bist, ebenso angenehm und viel regelmäßiger sein.«

»Aber mit wem soll ich mich verheiraten? Hast du schon eine Braut für mich in Bereitschaft?«

»Nein; ich mache mich auf die Suche, sobald wir einig sind.«

Valentin atmete auf; er sah noch eine Frist vor sich, und eine Frist war für ihn die ganze Zukunft, denn er würde sich schon aus der Sackgasse herausreißen, in welche Frau Mößler ihn drängen wollte.

»Du legst Wert darauf, daß ich heirate? Nun, so sei es denn! Ich hegte nicht den Wunsch, meine Freiheit so bald schon zu opfern; da du aber in meiner Gefügigkeit einen Beweis meiner Neigung für dich siehst, so magst du die Versicherung entgegennehmen, daß ich deinem Wunsche nachkommen werde.«

»Ich bin zufrieden, und zwar mehr, als ich es zu äußern vermag, denn es gelingt mir nicht nur, dich dazu zu bewegen, daß du einen Schritt tust, an welchen ich schon oftmals mit Wohlgefallen dachte, sondern ich habe auch die Gewißheit, dadurch dich zu einem würdigeren Leben zu bekehren. Sei unbesorgt, ich will dir ein reizendes junges Mädchen aussuchen; auf Reichtümer lege ich keinen Wert, du bist reich für alle beide, könntest es sogar für viere sein; in jeder anderen Hinsicht aber wünsche ich die Ueberzeugung zu haben, daß sie tadellos sei. Du mußt sie lieben und sie soll deinem Geschmack Ehre machen; verlasse dich nur auf mich.«

»Ich bin bisher daran gewöhnt, dies immer zu tun, und habe mich dabei wohl befunden. Hegst du sonst keine weiteren Wünsche?«

»Keine. Es steht nur fest, daß du dem törichten Leben entsagst, welches du bis jetzt geführt; daß du dich von den beiden Strauchdieben lossagst, welche dich bisher in so unerhörter Weise ausgenützt haben.«

»Ich werde heute noch nach Nizza fahren und dir dadurch die Bürgschaft bieten, daß ich ein anderes Leben zu beginnen die Absicht hege. Ich mache auf meiner Jacht eine kleine Kreuzfahrt und kehre dann, von allen Schlacken gereinigt und losgelöst, zu dir zurück. Sagt dir das zu, Mütterchen?«

»Vollständig.«

Wie Valentin versprochen, so geschah es auch. Er reiste noch am gleichen Abend ab und ließ seine beiden Genossen in Paris zurück. Als sie von der Ankunft des Grafen in Nizza erfuhren, telegraphierten sie ihm, um ihn davon zu verständigen, daß sie sich zu ihm gesellen würden, er aber antwortete ihnen umgehend:

»Ihr habt einen so schlechten Ruf, meine lieben Jungens, daß es euch gelungen ist, mich zu kompromittieren; ich weile nur in Nizza, um euch aus dem Wege zu gehen. Trinkt also in Zukunft euren Cockteil allein. Wenn Ihr euch desinfizieren wollt, indem Ihr Virginiazigarren raucht, so werde ich euch als Schmugglerware von San Remo aus einige Pakete schicken; das für euch zu tun, bin ich noch in der Lage, aber mehr nicht. Mit freundschaftlichem Händedruck

Coutras.«

Die kalte, unbeständige Natur Valentins, zu welcher sich auch ein gewisser wilder Humor gesellte, der seinen Handlungen eine besondere Tragweite verlieh, trat wieder einmal recht klar und deutlich in der rücksichtslosen Art zutage, mit welcher er sich von seinen beiden Spießgesellen lossagte. Er war unzertrennlich von ihnen gewesen, und am folgenden Tage kannte er sie nicht mehr. Er empfand nicht einmal jenes momentane Bedauern, welches unser Herz bewegt, wenn wir uns von Leuten trennen, mit denen wir wochenlang gehaust. Auch die Einsamkeit lastete nicht drückend auf seinem Gemüte. Graf Coutras hatte ganz einfach einen neuen Weg eingeschlagen und kümmerte sich nicht weiter um diejenigen, welche er zurückließ, weil sie in anderer Richtung gingen. Sie waren ihm nicht mehr unentbehrlich, ja sie störten ihn sogar, und die ausgeprägte Selbstsucht, welche den Grundzug seines Charakters bildete, nötigte ihn, ihrer nicht mehr zu gedenken. Es gelang ihm dies auch vortrefflich, während er an Bord seiner prächtigen Jacht »Afrika« zwischen der Riviera und dem Golf von Neapel kreuzte. Neue Empfindungen hatten sich seiner bemächtigt, und er fragte sich überrascht, wie es ihm denn möglich gewesen war, so lange in dem Schlamme des Pariser Lebens zu versinken. Er war weit davon entfernt, an das Versprechen zu denken, welches er Frau Mößler gegeben; er hatte dieses ebenso leicht vergessen, wie die beiden Genossen seiner Freudengelage. Jetzt beschäftigte ihn nur sein Schiff, das weite Meer und die herrliche Luft, welche er in vollen Zügen einatmete.

Frau Mößler ruhte aber nicht während dieser Zeit. Aus den Tagen ihrer Tätigkeit hatte sie die Eigenart der raschen Entschlüsse mit in ihr ruhiges, einsames Witwenleben hinübergenommen; sie steuerte immer gerade auf ihr Ziel los und besaß in Eliphas einen ganz unvergleichlichen Mitarbeiter. Er war es, der Fräulein Henriette v. Pierremont entdeckte. Von einer alten, armen Tante sehr streng erzogen, hatte das junge Mädchen bisher keine andere Zerstreuung gekannt, als ihre Studien. Sie war höchst intelligent und eine wohlunterrichtete Musikerin ersten Ranges. Henriette war hoch und schlank gewachsen, blond, stolz in jeder Bewegung, dabei sehr ernst, aber doch naiv und zärtlich; in ihrem Wesen lag nichts von jener modernen schwatzhaften Art der jungen Mädchen von heutzutage, die sich ganz wie Männer in den Salons bewegen, in ihrem Sprechen derb sind, rauchen, Bicycle fahren und frivole Lieder singen; sie verstand es, zu plaudern, zu arbeiten, in einem Salon in feiner Art die Honneurs zu machen, sie war überdies mit den besten Familien verwandt, und ihre pekuniär bescheidene Lage, sowie das Alter ihrer Tante hielten sie von dem Treiben der großen Welt fern.

Herr Clément versicherte Frau Mößler, daß sich für Valentin nie eine geeignetere Frau werde finden lassen, als Fräulein Henriette. »Sie ist schön genug, um seine Liebe wachzurufen, und dabei doch klug genug, um ihn zu lenken. Wenn wir es ermöglichen, daß sie einen gewissen Einfluß über ihn gewinnt, dann ist unser Spiel gewonnen. Er besitzt genug Ueberlegung, um die seltenen Eigenschaften des liebenswürdigen Mädchens entsprechend schätzen zu können. Er wird in ihr eine Lebensgefährtin finden, wie man derselben heutzutage nur selten begegnet. Wenn Sie das Mädchen kennen lernen, wird dasselbe Sie begeistern; sie ist eine vortreffliche Musikerin, soll auch eine ganz außergewöhnlich gute Sängerin sein, aber ich habe sie nie singen hören, denn sie tut es nur in ganz kleinem Kreise. Man findet sicherlich in Paris kaum zehn Mädchen, welche so viel wert sind wie sie, welche so solide Grundsätze, eine so bescheidene Haltung und so viel Geist aufzuweisen haben.«

Frau Mößler hatte schweigend den Auseinandersetzungen Ihres Ratgebers gelauscht; sie kannte das menschliche Herz genau und sprach daher langsam, fast zaghaft:

»Wenn sie nur nicht gar zu vollkommen ist.«

Die Befürchtungen, welche Frau Mößler hegte, sollten sich aber allem Anscheine nach als unbegründet erweisen. Bei Valentins Rückkehr nach Paris wurde er Fräulein Henriette v. Pierremont vorgestellt, und die junge Dame sagte ihm schon auf den ersten Blick zu. Durch seine Adoptivmutter dazu angeregt, gefallen zu wollen, bekundete Graf Valentin v. Coutras große Liebenswürdigkeit. Es gelang ihm, das Wohlgefallen der alten Tante zu erlangen, die Liebe der Nichte sich zu sichern. Während der zwei Monate, welche seiner Vermählung vorangingen, benahm er sich so tadellos, daß selbst diejenigen Leute, welche am meisten gegen ihn eingenommen gewesen waren, an eine vollständige Umwandlung seines Charakters zu glauben anfingen.

Diese Vielseitigkeit seines Wesens, diese Fähigkeit, die verschiedenartigsten Rollen mit Geschick durchzuführen, sich immer seiner Umgebung anzupassen, stempelte Valentin zu einem Schauspieler ersten Ranges, täuschte aber auch alle Leute in bezug auf seine wirklichen Charakter-Veranlagungen. Ein jeder sagte sich, der junge Mann sei plötzlich ernsthaft geworden und werde ganz gewiß einen vortrefflichen Ehemann abgeben; er selbst war davon überzeugt und gelobte sich, Henriette, dieses reizende, tadellose Geschöpf, recht vom Herzen glücklich machen zu wollen. Die Ehe wurde somit unter den befriedigendsten Auspizien geschlossen. Frau Mößler war glückselig, sie schenkte ihrem Adoptivsohne zwanzig Millionen und das schöne Palais in der Avenue Friedland. Sechs Monate lang war der Graf denn auch wirklich in seine Frau verliebt. Für einen Lebemann, welcher mit Leuten wie Frau Bourdon zu verkehren gewöhnt war, besaß Henriette einen pikanten, neuartigen Reiz. Nach Ablauf eines halben Jahres aber war seine Beständigkeit, die nie groß gewesen, vollkommen erschöpft. Er kehrte zu den Vergnügungen seines Junggesellenlebens zurück und überließ die Gräfin wenn nicht der Einsamkeit, so doch dem friedlichen, intimen Verkehr mit jenen Freunden, welche ihre geistigen Fähigkeiten und ihr Geschmack ihr zugeführt und gesichert hatten. Die Beziehungen zwischen den Ehegatten blieben der Welt gegenüber außerordentlich günstige, denn wenn Valentin auch leichtlebig und treulos genannt werden mußte, so verstand er es doch vortrefflich, den Schein zu wahren, und Henriette war zu stolz, um ihren Schmerz nicht zu verbergen, selbst dann, wenn sie einen solchen empfunden haben würde. Frau Mößler sah und begriff anfangs nicht, es tat ihr nur leid, daß das Ehepaar keine Kinder habe.


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