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Das Zimmer, welches Frau Mößler im Schlosse am meisten zu bewohnen pflegte, war jenes, welches Frau von Pompadour einst innegehabt; der erhöhte Platz, auf welchem einst das Bett des berühmten Glückskindes gestanden, das sich der Gunst eines mächtigen Herrschers zu erfreuen gehabt, war zu Zeiten des Senators Grafen Bertrand unter dem ersten Kaiserreiche schon entfernt worden. Die Dekorationen aber, welche man dem Pinsel Lancrets verdankte, waren verschont worden, sie bestanden aus reizenden Schäferbildern, welche auf schmale Pfeiler gemalt worden waren und die man seither auf manchen Gobelin gestickt hatte. Auf dem Kamin standen eine Pendeluhr und zwei Marmorvasen, welche Caffieri gemeißelt und die mit Bronzeverzierungen ausgestattet worden waren. Die Einrichtung bildeten zwei eingelegte Schubladenkästchen, dann zwei Kommoden in Veilchenholz, von seltener Form, ein geschnitzter und vergoldeter Tisch und kleine gestickte Fauteuils, welche von Frau Mößler in Berlin gekauft und mit schwerem Gelde aufgewogen worden waren. Der Boden war mit einem kostbaren Gobelinteppich bedeckt, vor den Fenstern hingen silberdurchwirkte Vorhänge, die durch amarantfarbene Brokatstreifen vorteilhaft gehoben wurden.

Gegen zehn Uhr morgens saß Frau Mößler in einer der Fensternischen und sah den diensttuenden Fischern zu, welche in zwei Booten auf dem Weiher manövrierten; sie zogen ein langes, mit Fischen schon gefülltes Netz hinter sich her, welches zu schwer geworden, um es in eines der kleinen Boote heben zu können. Feraud und Dauziat standen, trotz des Morgentaues, im feuchten Grase und folgten jeder Bewegung der Boote; sie sprachen und gestikulierten laut, sie riefen den Fischern bald diese, bald jene Bemerkung zu. Der von leichten Wölkchen bedeckte Himmel, das in verschiedenen Schattierungen abgetönte Gras, all das bot ein bewegtes und malerisches Bild, und Frau Mößler würde kaum müde geworden sein, dasselbe zu betrachten, wenn nicht die Tür ihres Zimmers hastig aufgestoßen worden wäre und sie dadurch von der sie sonst stets in gleichem Maße belustigenden Beschäftigung abgelenkt gesehen hätte. Sie erhob sich und trat dem Grafen Coutras entgegen, der mit liebevollem Blicke und zärtlichem Lächeln auf sie zukam.

»Du hast den Fischern zugesehen, liebe Mutter,« sprach er, »es ist wirklich seltsam, wie viele Hechte es in dieser so kleinen Wasserfläche gibt. Seit einer Stunde hat man schon mehr als zwanzig ans Land gebracht, und dabei wirft man die kleinen immer wieder ins Wasser zurück. Du kannst all deinen Armen für Freitag eine Fastenspeise schicken.«

»Ich habe den Befehl gegeben, daß man die Hechte einfange, weil sie wie die Haifische die hübschen kleinen Moschusenten vertilgt haben, welche du mir geschenkt und die ich so gerne unter meinen Fenstern dahinschwimmen sah.«

»Ich werde dir andere Enten bringen, liebe Mutter; einer meiner Freunde, Saint-Giron, hat eine seltene Gattung, man könnte sie fast für gemalt halten, so verschiedenartig und lebhaft sind ihre Farben.«

Frau Mößler schlug mit ihrer schmalen Hand den Adoptivsohn leicht auf die Wange und bemerkte dabei den roten Fleck, welchen er auf der Stirne trug.

»Du hättest dich gründlich entstellen können bei deinem Sturz«, bemerkte sie. »Das wäre ein großes Unglück, denn was bliebe dir, wenn du nicht mehr deine Schönheit hättest.« Er fing zu lachen an.

»Mein Gott, es bliebe mir doch immer noch deine Neigung, denn du, die doch so gut gegen alle Unglücklichen ist, du würdest dich doch nicht von mir abwenden, weil ich häßlich anzusehen wäre.«

»Gewiß nicht, aber die anderen Frauen –«

»Ich würde nicht viel verlieren, wenn ich mich nicht weiter mit ihnen befassen wollte.«

Frau Mößler sah Valentin ernst und forschend an und sprach in einem Tone, der nichts Scherzhaftes mehr an sich hatte:

»Wie wäre es, wenn du gleich damit beginnen wolltest, die anderen Frauen nicht mehr anzusehen?«

Der Graf mühte sich, in einen scherzhaften Ton überzugehen.

»Wie? So ohne Vorbereitung, ganz plötzlich? Die Unglücklichen! Weswegen bist du ihnen denn so böse gesinnt?«

»Im Gegenteil, ich will ihnen wohl, oder richtiger gesagt, ich will einer von ihnen wohl.«

Valentins Züge veränderten sich merklich. Er begriff, daß es sich um einen Angriff handeln werde, und nahm an Frau Mößlers Seite Platz.

»Liebe Mutter, ich verstehe dich nicht. Was du da andeuten wolltest, hat also einen ernsten Hintergrund? Ich dachte, du scherzest nur.«

»Nein, ich scherze nicht, sondern spreche in vollstem Ernst.«

»Dann muß ich bitten, dich deutlicher zu erklären, denn ich begreife nicht recht, was du andeuten willst.« »Bist du aufrichtig, wenn du diese Erklärung abgibst?«

»Dir gegenüber bin ich immer aufrichtig.«

»Würdest du mir einen begangenen Fehler oder die Absicht, einen solchen zu begehen, eingestehen?«

»Stelle deine Fragen.«

»Nun denn, ich glaube seit einiger Zeit beobachten zu müssen, daß deine gewohnten, fast täglichen Scharmützel mit Frau Friedrich eine neue Gestalt annahmen, daß du lebhafter und sie reizbarer geworden. Mir machte es den Eindruck, als ob das Spiel gefährlich sein könne, weil du dich zu sehr dabei aufregtest und deine Partnerin nicht minder, du im Sinne der Huldigung, sie in feindlicher Art. Ich zog daraus den Schluß, daß du ihr lästig wirst, und ich wollte dich darauf aufmerksam machen. Du weißt, daß ich Céline aufrichtig liebe und ihrer Familie sehr zugetan bin. Ich möchte um keinen Preis, daß sie in meinem Hause irgendeiner Zudringlichkeit, irgend etwas Unangenehmem ausgesetzt sei. Ich will nicht glauben, daß du in sie vernarrt bist. Ihr kennt euch so lange, daß du nicht bis heute gewartet haben würdest, um sie zu begehren. Ihr waret immer gute Kameraden, und wenn du ihr gegenüber etwas lebhafter wirst, als es eigentlich notwendig wäre, so vermute ich, daß es aus müßigem Zeitvertreib geschieht. Männer wie du finden auf dem Lande schwer Unterhaltung; du interessierst dich für nichts, du kannst dich nicht beschäftigen. Wenn man nicht jagt, spielt oder reitet, so weiß man nicht, was man mit dir anfangen soll. Ich vermute, daß Céline, welche fühlt, daß du ihr aus müßigem Zeitvertreib den Hof machst, deshalb ärgerlich wird. Mich aber beunruhigen solche Scherze, und ich wäre froh, wenn du denselben ein Ende machen wolltest.«

Valentin nahm sich die Zeit, einen Augenblick nachzudenken, und sprach dann ernsthaft:

»Du hast von mir verlangt, ich sollte dir ehrlich antworten, liebe Mutter; hast du auch in aufrichtigem Sinne deine Fragen an mich gestellt? Hast du mir alles gesagt, was du mir zu sagen hattest? Wurde nichts ausgelassen? Handelt es sich nicht um ein Mißverständnis? Stellst du aus eigener Eingebung diese Fragen an mich? Hat man dir nichts angedeutet? Hat Frau Friedrich mit dir gesprochen?«

Er war sehr unruhig, während er all diese Fragen stellte, und hatte sorgfältig jedes Wort überlegt, denn die Antwort, welche er bekommen würde, mußte nach seinem Dafürhalten die Situation aufklären. Wenn Céline sich Frau Mößler gegenüber beklagt hatte, und er wußte, daß sie dessen fähig sei, wie viel oder wie wenig mochte sie gesagt haben? Wie weit war ihr Geständnis gegangen? Die Lage, in welcher er sich befand, hing von dem ab, was Frau Mößler wußte, und er mußte daran ermessen, ob er mehr oder minder aufrichtig, mehr oder minder pathetisch sein könne. Er mußte Komödie spielen, und nur wenn er über die Rolle orientiert war, welche das Schicksal ihm zuwies, konnte er wissen, wie er sich benehmen mußte, um den richtigen Ton anzuschlagen. Er forschte in Frau Mößlers Zügen, um den Ausdruck ihres Gesichtes zu erspähen; mit Spannung harrte er der Antwort, welche sie auf seine Fragen geben werde. Seine Adoptivmutter legte aber ganz und gar keine Verwirrung an den Tag, sondern erwiderte vollständig unbefangen:

»Niemand hat sich beklagt, weder Céline noch sonst irgend jemand.«

Valentin atmete erleichtert auf und entgegnete, fest entschlossen, zu leugnen.

»Ich wäre auch vom Gegenteile überrascht gewesen. Aber man muß, ja auf alles gefaßt sein. Du allein bist es also, welche sich beunruhigt. Du mußt zugestehen, daß ich das Recht hätte, mich über dein allzu großes Mißtrauen zu beschweren. Weil ich ein wenig mit dieser jungen Frau kokettierte, der Einzigen, welche in diesem Hause einige Heiterkeit an den Tag legt, beschuldigt man mich alsbald der schlimmsten Dinge. Du hast wahrlich eine zu schlechte Meinung von mir, liebe Mutter. Ich weiß sehr genau, daß ich kein Tugendspiegel bin, daß ich dir häufig Veranlassung gebe, da und dort in meine Angelegenheiten eingreifen zu müssen. Wenn es aber auch gerecht sein sollte, daß du mich für manche Torheit bestrafst, welche ich vielleicht begangen haben mag, so ist es doch jedenfalls übertrieben, mich wegen Dingen zu verurteilen, an denen ich vollkommen unschuldig bin.«

»Mein Junge, das Leben macht uns mißtrauisch. Du hast so viele Torheiten begangen, daß eine mehr bei dir nicht in die Wagschale fallen kann. Dein Rücken ist breit, man kann denselben schwer belasten, ohne dir Unrecht zu tun!«

»Ich begreife nicht recht, was an meinen harmlosen Gesprächen mit Frau Friedrich eigentlich tadelnswert sein könnte.«

»Nur der Umstand, daß diese Gespräche ihr nicht zu behagen scheinen.«

»Sie sind doch wahrlich unschuldig genug.«

»Ihr Mann wird dieselben schließlich bemerken und daran Aergernis nehmen.«

»Warum sollte Friedrich Clément gar so streng sein? Man sieht es doch täglich, daß ein Mann einer Frau den Hof macht; man sieht, daß es vor den Augen des Gatten geschieht, ohne daß dieser sich beleidigt fühlt. Hast du nur Augen für die ehelichen Verhältnisse anderer, liebe Mutter, und siehst du nicht, was mein Hauswesen berührt?«

Frau Mößler preßte die Lippen fest aufeinander, ihre Augen glühten förmlich, und mit zitternder Stimme erwiderte sie:

»Ich bekümmere mich nicht um deinen Haushalt, weil derselbe, soweit er deine Frau berührt, mit einer Regelmäßigkeit und Würde geführt wird, welche nachzuahmen für dich nur sehr ratsam wäre. Henriette bedarf keiner Bewachung, sie kann nur einem jeden als Beispiel vorgeführt werden.«

»Da möchte ich denn doch wahrlich wissen, weshalb«, höhnte Valentin, der vor Zorn leichenblaß geworden war. »Meinst du, die Tugend Frau Friedrichs sei leichter anzutasten als jene Henriettens, oder hast du in Oberst Redels Benehmen größeres Vertrauen als in das meine? Woher kommt es denn, daß dieser Fremde bei dir Rechte genießt, welche du deinem Sohne verweigerst? Trägt die Uniform Schuld daran? Oder meinst du, er sei durch die Feldzüge, welche er mitgemacht, vor der Zeit gealtert und dadurch vertrauenerweckender?«

»In meinen Augen ist er vertrauenerweckend, weil ich ihn als einen tadellosen Ehrenmann kennen gelernt habe.«

»Du redest eine seltsame Sprache, liebe Mutter; was hat denn die Ehrenhaftigkeit in derlei Dingen zu tun?« warf Valentin lachend ein. »Meinst du, dieselbe habe je einen Mann daran gehindert, nach dem Weibe seines Nächsten zu begehren? Fürwahr, liebe Mutter, fast hat es den Anschein, als ob du absichtlich mit mir Streit suchen wolltest. Ich glaube, daß selbst Herr Eliphas, welchen du doch für das Muster aller biblischen und theologischen Tugenden hältst, sich durch nichts abschrecken ließe, wenn in seiner Seele die glühende Leidenschaft zu einem Weibe erwachen würde. Ehrenhaftigkeit – du willst sie als eine Bürgschaft ansehen! Mein Gott, die Ehrenhaftigkeit ist ein sehr dehnbarer, relativer Begriff. Wenn ich für Frau Friedrich Clément gefährlich bin, möchte ich wohl wissen, weshalb Oberst Redel es für meine Frau nicht sein soll? Weil er dein Freund ist? Der Grund mag dir triftig erscheinen, mir genügt er nicht. Es gibt da nur zwei Auswege, entweder du quälst mich nicht mehr mit Hirngespinsten oder ich nehme die Huldigungen ernsthaft, welche der schöne Oberst meiner Frau darbringt. Du wirst dann in der kürzesten Zeit erkennen, was daraus entsteht.«

Frau Mößler hatte es nie erlebt, daß Valentin ihren Wünschen Widerstand entgegensetzte, mit ihrem Willen nicht einverstanden war. Die Haltung, welche er plötzlich einnahm, war also ganz danach angetan, sie in Erstaunen zu versetzen. Sie, diese Frau mit dem ruhigen und klaren Gesichte, nahm keinen Anstand, sofort gegen seine Art anzukämpfen, aber sie tat es in schlauer Weise. Sie sagte sich, daß, wenn sie zu scharf vorgehe, er imstande sein könne, ihr die Stirne zu bieten, und dadurch ein Bruch unvermeidlich werden würde. Zum allgemeinen Wohl mußte das vermieden werden. Valentin würde, wenn er schmollen wollte, sich nach Paris zurückziehen; seine Frau sah sich dann genötigt, sich zu ihm zu gesellen. Der Landaufenthalt war somit allen verdorben und an Kommentaren würde es nicht fehlen. Es galt somit, alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, und zu diesem Zwecke mußte vor allem die reizbare Stimmung des unvernünftigen Jungen besänftigt werden. Wäre seine Kasse besser gespickt, so würde er zweifelsohne das Leben weniger schwarz ansehen und ihre Vorstellungen gefügiger hinnehmen.

»Du bist doch wohl selbst davon überzeugt, daß ich deine Drohungen nicht ernsthaft nehme. Wenn du in der Laune wärst, sie zu verwirklichen, brächtest du dich selbst wohl dadurch in die allergrößte Verlegenheit. So sehr du auch vom Gegenteile überzeugt sein magst, gibt es doch Leute, welche, ohne es darauf abgesehen zu haben, Achtung einflößen, und man überlegt es sich zweimal, ehe man dieselben angreift. Nicht als ob man sich vor ihnen fürchten würde; ich weiß, daß du imstande bist, dem Teufel entgegenzutreten, aber es gibt gewisse Dinge, welche zu tun man sich schwer entschließt, weil man deren Ungerechtigkeit empfindet. Wenn du im gegenwärtigen Augenblicke nicht so schlecht gestimmt wärest, so würdest du mit mir übereinstimmen. Du aber bist unzufrieden, weil ich dich diese Woche ein wenig kurz gehalten habe, und du läßt andere den Aerger fühlen, den du gegen mich empfindest. Das ist nicht hübsch, und wenn ich einen so heftigen Charakter hätte, wie du, könnten wir beide die Sache auf die Spitze treiben, uns zanken und schließlich kein hübsches Resultat herbeiführen. Ich habe dich heute nicht nur zu mir bescheiden lassen, um dir Moral zu predigen, sondern es lag auch in meiner Absicht, dir jene Mittel zu bieten, deren du bedarfst, um deine Angelegenheiten zu ordnen. Einige Tage hindurch wollte ich dich in Angst schweben lassen, um dir Gelegenheit zu bieten, über dein Benehmen nachzudenken. Dasselbe ist geradezu ungeschickt. Früher bist du vernünftiger gewesen, du begnügtest dich damit, mich um die Summen zu bitten, deren du bedurftest, wenn du mit deiner Jahresrente nicht ausgekommen bist. Jetzt leihst du da und dort Geld und läßt dich von Wucherern betrügen. Das geht mir wider den Strich. Deine Passiven belaufen sich auf drei Millionen und sechsmalhunderttausend Francs. Herr Eliphas hat das festgestellt. Ich bin überzeugt, du hast dafür keine zwei Millionen an Bargeld erhalten. Ist das vernünftig? Was tut es mir, ob ich dir mehr oder weniger Geld gebe? Du brauchst es nur von mir zu verlangen, laß dich aber nicht einem Toren gleich von Wucherern ausbeuten.«

Valentins Antlitz hatte sich einigermaßen aufgeklärt und er sprach in sanftem Tone:

»Ich danke dir, liebe Mutter; es war mir allerdings sehr peinlich, daß ich die Wucherer nicht befriedigen konnte, welche mir Geld geliehen. Je verächtlicher jene Leute mir waren, desto mehr hatte ich das Gefühl, daß ich ihnen gegenüber den Zartsinn übertreiben müsse. Meinen Verpflichtungen nicht rechtzeitig nachkommen zu können, ist mir diesen Schurken gegenüber die höchste Demütigung.«

»Ist dein Jahreseinkommen nicht hoch genug? Möchtest du, daß ich dasselbe verdopple?«

»Ich würde es sehr dankbar annehmen.«

»Dessen bin ich gewiß. Ach, wenn du mir nur die Befriedigung gewähren würdest, dich als soliden, achtbaren Familienvater betrachten zu können. Wie glückselig wäre ich, wenn du mir eines Tages einen Erben deines Namens in die Arme legen wolltest. Ich würde ihn dir mit Gold aufwiegen und die Mutter des Kindes reich mit kostbarem Geschmeide und Brillanten beschenken.«

Valentin fing zu lachen an.

»Du hättest mir dann keine Frau aussuchen müssen, die nur ein Schöngeist ist und von sinnlichen Empfindungen nichts versteht, nichts davon wissen will. Wenn wir Kinder haben könnten, wie Jupiter und Minerva dieselben hatten, nur durch die Macht des Geistes, dann könnte die Hoffnung bestehen, daß auch Henriette denselben das Leben schenken würde! Sie ist für meinen Geschmack eine zu künstlerisch veranlagte Natur. Ich befinde mich nicht auf der Höhe ihres erhabenen Geistes und möchte wetten, daß ich dieselbe auch nie erreiche.«

»Ich denke aber, daß du deine Frau doch etwas weniger vernachlässigen könntest, als es tatsächlich der Fall ist. Sie ist jung, reizend, liebenswert!«

»Ja – aber es liegt eine Kälte in ihrem Wesen, welche mich abschreckt.«

Frau Mößler schüttelte in tiefer Entmutigung den Kopf.

»Ich sehe wohl ein, daß es im Leben nicht genügt, daß man alles daran setzt, um den Dingen eine günstige Wendung zu geben, man muß auch mit dem Unvorhergesehenen rechnen, das oft die schönsten Pläne über den Haufen wirft. Ich meinte, daß, wenn ich jenes vernünftige, anmutige junge Mädchen mit einem Tollkopf gleich dir verbinde, ich deinen Naturanlagen in erfreulicher Weise nachhelfen, dich klug und vernünftig machen werde. Die Dinge haben sich aber ganz anders gestaltet. Gerade jene Eigenschaften, welche ich suchte, verhindern, daß die Dinge sich meinen Wünschen entsprechend abspielen. Wenn ich dir eine Frau gesucht hätte, welche ebenso frivol ist wie du, so würdest du sie vielleicht angebetet haben. Ich fange an, der Meinung zu sein, daß man nicht allzu klug sein darf, doch werde ich mit Henriette sprechen. Vielleicht ist sie ihrerseits strenger und schroffer gegen dich, als unerläßlich notwendig wäre.«

»Ich will sie nicht beschuldigen, liebe Mutter; ich kann ihr nichts vorwerfen, und es sollte mir leid tun, wenn sie berechtigt wäre, anzunehmen, daß ich über sie geklagt habe.«

»Sei ruhig, ich werde ihr so viel sagen, als mir unerläßlich notwendig erscheint!«

Valentin sah diese Worte als eine Verabschiedung an; er begriff, daß er, nachdem ihm gelungen war, das Unwetter von sich fernzuhalten, welches ihm seit einigen Tagen drohte, und nachdem er alle Vorteile erreicht hatte, die er angestrebt, nichts anderes tun könne, als sich entfernen. Er trat auf Frau Mößler zu und sprach, indem er ihre Hand erfaßte:

»Du zürnst mir doch nicht, liebe Mutter?«

»Vergessen wir alles Böse, was zwischen uns liegt, ich stelle aber die Bedingung, daß du in bezug auf Céline meine Wünsche respektierst!«

Valentin antwortete nur durch eine ehrerbietige Neigung des Hauptes. Er küßte die Hand seiner Adoptivmutter und entfernte sich rasch. Frau Mößler beschloß, ohne weitere Zeit zu verlieren, das auszuführen, was sie im Sinne hatte, und begab sich nach den Gemächern der Gräfin. Sie fand die junge Frau in der Nähe des Fensters an einem Tischchen sitzen und eifrig ein Miniaturbild malen. Es war das Bildnis Vignots, welches geschmackvoll aus einem himmelblauen, mit Notenköpfen gezierten Rahmen hervortrat. Der Kopf des alten Komponisten war von sprechender Aehnlichkeit. Als Henriette Frau Mößler eintreten sah, schob sie ihre Arbeit zur Seite und erhob sich lächelnd. Sie trug ein Hauskleid von schillernder Farbe, mit Venetianer Spitzen garniert; ihr schönes, goldiges, natürlich gewelltes Haar brachte das rosige Kolorit ihres Gesichtes, den leuchtenden Glanz ihrer Augen noch mehr zur Geltung. Sie war von so stolzer Schönheit, daß man unwillkürlich ihrem Gatten recht geben mußte, wenn er von ihrem kalten Zauber sprach. Sie versinnbildlichte eher eine Königin oder eine Göttin, als eine schlichte Sterbliche.

»Wie, liebe Mutter, schon auf?«

»Ja, und du bist nicht die erste, mit welcher ich mich heute befasse, meine schöne Henriette, dein Gatte hat schon eine lange Unterredung mit mir gehabt.«

Die Gräfin zuckte mit keiner Wimper; sie schien fest entschlossen, für nichts Interesse an den Tag zu legen, was Valentin berührte. Die Zurückhaltung ihres Wesens war so deutlich bemerkbar, daß Frau Mößler davor erschrak. Die alte Dame blickte sich im Zimmer um, und als sie des Miniaturbildes von Vignot ansichtig wurde, rief sie lebhaft:

»Ah – welch sprechende Aehnlichkeit! Ist das ein Geschenk, welches du ihm zu machen gedenkst?«

»Nein, liebe Mutter, ich habe das Bild für mich selbst gemalt, um stets eine sprechende Erinnerung an diesen bewundernswerten Freund zu besitzen.«

»Hast du sonst keine Arbeit in Angriff genommen?«

Henriette öffnete ein Schubfach und entnahm demselben eine kleine Elfenbeinplatte.

»Doch, ich habe hier dieses Bild des Obersten Redel, aber es ist erst skizziert.«

Frau Mößler betrachtete ihre Schwiegertochter und sprach mit wiedergewonnener Selbstbeherrschung:

»Ist das auch ein Andenken, welches du dir aufheben willst?«

»Nein, liebe Mutter«, entgegnete die Gräfin, ohne die schönen Augen zu senken. »Dieses kleine Bild soll nicht in meinen Händen bleiben, es ist für die Mutter des Obersten bestimmt.«

Frau Mößler weidete sich an der edlen, vornehmen Ruhe der jungen Frau. Dann sprach sie sanft:

»Henriette, vielleicht würde es besser gewesen sein, diese Arbeit nie begonnen zu haben. Vignot ist ein Greis, ein berühmter Mann, dein alter Freund; es gibt eine ganze Reihe von Gründen, welche deinen Wunsch rechtfertigen, sein Miniaturbild zu machen: mit Gustav Redel aber ist es etwas anderes.«

»Wie, liebe Mutter, du tadelst mich wegen eines so einfachen und natürlichen Vorgehens?«

»Ich tadle dich nicht, Henriette«, unterbrach Frau Mößler ihre Schwiegertochter. »Erstens, weil ich damit im Unrechte wäre, zweitens, weil meine Neigung für dich dies nicht zuließe, selbst wenn ich es tun dürfte. Ich kann dir aber wohl ohne Tadel eine Bemerkung hinwerfen, und so deute ich dir denn mit aller Rücksicht an, daß ich befürchte, ein allzu intimer Verkehr mit Redel könne dir unliebsame kritische Bemerkungen eintragen.«

Die Gräfin schüttelte das Blondhaupt und sprach mit stolzem Lächeln:

»Du weißt, liebe Mutter, mit welcher Ehrfurcht ich allem lausche, was du mir sagst. Wenn du findest, daß ich im Unrechte sei, füge ich mich wortlos deinem Urteilsspruche; wenn aber irgendein anderer sich erlaubt, an meinem Wesen zu mäkeln, so beachte ich seine Meinung nicht und werde fortfahren, so zu tun, wie es mir beliebt. Jenen nicht zu widersprechen, welche man liebt und verehrt, scheint mir ein absolutes Gebot des Herzens, andererseits aber lege ich gar keinen Wert auf das Urteil der Menge.«

»Liebe Kleine, die Unabhängigkeit ist ein schönes Ding, aber sie darf nicht so weit auf die Spitze getrieben werden, daß sie aufhört, passend zu sein. Daß gerechter Tadel manches Unangenehme im Gefolge hat, mußt du selbst ganz gut wissen. Abgesehen von mir, mit der du sehr viel Ähnlichkeit im Empfinden hast, die mich beglückt, darf doch auch dein Gatte nicht vergessen werden.«

Henriette runzelte die Stirne und fühlte sich diesmal trotz all ihrer Charakterkraft wirklich seltsam bewegt.

»Er ist nicht empfindlich in Dingen, die mich berühren, das hat er nur zu deutlich dargetan; ich meine, es sei ihm vollkommen gleichgültig, was ich tue, ob es sich nun um Gutes oder um Böses handelt.«

»Wenn du solche Worte redest, mein Kind, verrätst du eine große Bitterkeit, welche ein vollkommenes moralisches Zerwürfnis bekundet.«

»Das nur allzu gerechtfertigt ist.«

»Hast du denn wirklich Ursache zu so ernsten Klagen gegen deinen Gatten?«

»Du staunst nur, liebe Mutter, weil ich es stets unter meiner Würde gefunden habe, mich zu beschweren; ich ehrte deine Ruhe, deinen Frieden und will auch sehr gerne fortfahren, dies zu tun. Wozu nützen denn auch Beschuldigungen? Die Tatsachen werden dadurch in keiner Weise gebessert, ich tue somit am klügsten daran, zu schweigen.«

Frau Mößler neigte das weiße Haupt und sann ein paar Augenblicke nach; aus dem Parke schollen die Rufe der Fischersleute empor, welche ihre Netze einzogen, und der Frohsinn, der sich dort draußen regte, ließ das düstere Schweigen, welches in dem Gemache herrschte, noch deutlicher zutage treten; der Kontrast zwischen dem freien, sorglosen Leben jener armen Menschen und dem traurigen, geknechteten Dasein dieser Reichen mußte sich unwillkürlich der Aufmerksamkeit eines jeden in den Weg drängen.

»Ich weiß,« fuhr Frau Mößler fort, »daß Valentin ganz und gar nicht jenes Muster von Klugheit und richtigem Taktgefühl ist, wie du berechtigt gewesen wärest, es zu wünschen; ich verstehe, daß du alle Ursache hattest, ihm über seinen Leichtsinn Vorwürfe zu machen, aber ich bin trotzdem nicht darauf gefaßt gewesen, dich in deiner Stimmung gegen ihn so erbittert zu finden.«

»Du glaubtest eben vermutlich, daß ich weniger gut unterrichtet sei von all seinem Tun und Lassen; unglücklicherweise bot er mir keinerlei Möglichkeit, seine Handlungen zu ignorieren, denn er hat sich mit vollständiger Hintansetzung alles dessen, was er sich selbst und mir schuldig ist, an den Pranger gestellt; ich weiß, daß er sich in der unpassendsten Gesellschaft an den belebtesten Orten von Paris gezeigt hat. Es blieb mir kein Zweifel darüber, daß er mich betrüge; zu den verschiedensten Zeitpunkten wurden mir auch von verschiedenen Personen Briefe geschrieben, die mich davon in Kenntnis setzten. Ich war zu stolz, um mich über seine Untreue zu beschweren, zu sehr von seinem Benehmen angeekelt, um mich mit Geschöpfen niederster Art in sein Herz teilen zu wollen, ich zog mich also immer mehr in mich selbst zurück, ich tat mein möglichstes, um meine Freiheit wiederzuerlangen, und wenn ich auch entschlossen bin, von derselben keinen Gebrauch zu machen, werde ich doch jedem Versuche, sie zu beschränken, beharrlichen Widerstand entgegensetzen. Ich habe mich mit einem kleinen Kreise aufopfernder Freunde umgeben, welche mich durch Anregung des Geistes die Enttäuschungen des Herzens vergessen lassen, Oberst Redel gehört zu den besten dieser Freunde, und du kannst unmöglich behaupten, daß er nicht auch einer der achtbarsten sei. Ich empfange ihn gerne bei mir und behandle ihn mit jener Rücksicht, welche er in so hohem Maße verdient. Du selbst hast ihn mir vorgestellt, ich wüßte somit wirklich nicht, was du an unseren Beziehungen Tadelnswertes finden könntest, und ich mache dich in aller gebührenden zärtlichen Rücksicht darauf aufmerksam, daß ich in diesem Punkte keine Vorwürfe dulde.«

»Meine liebe Henriette, kein Mensch denkt daran, dir irgendeinen Zwang auferlegen zu wollen, und Valentin hat nur von dir gesprochen, um dich zu loben. Mich aber quält die Entfremdung zwischen dir und deinem Gatten, welche du ja selbst zugestehst, und ich würde mich glücklich schätzen, wenn es mir vergönnt sein sollte, eine Wandlung in eurem Verkehr zu bewerkstelligen. Freilich find die Vergehen, welche Valentin sich dir gegenüber zuschulden kommen ließ, sehr ernster Natur, mir aber, der alten Frau, welche die Fähigkeit besitzt, dieselben leidenschaftslos zu beurteilen, will es doch vorkommen, als ob all seine Sünden noch verzeihlich wären. Je älter du wirst, mein Kind, desto mehr mußt du einsehen lernen, wie notwendig es ist, gegen die Männer im allgemeinen und gegen die Gatten im besonderen große Nachsicht walten zu lassen. Es wird Frauen geben, welche dir sagen können, daß sie die Untreue, deren du Valentin beschuldigst, als große Erleichterung empfinden, weil dieselbe sie einer Pflicht entbindet, welche ihnen unerträglich erschien. Mir will es in bezug auf dich dünken, als ob die Kunst dir zu ausschließlichen Trost geboten, und ich möchte sogar die Frage aufwerfen, ob die geistige Anregung, von welcher du vorhin gesprochen, dich nicht ein klein wenig dazu veranlaßte, jene Herzensergüsse zu vernachlässigen, die dein Gatte vielleicht mit Berechtigung von dir hätte wünschen oder erwarten können. Ja, ja, ich weiß, mein Kind, was du sagen willst, daß ihn schwere Schuld trifft. Bist du aber vollständig frei davon? Warst du nicht vielleicht zu gleichgültig gegen ihn, hast du ihn nicht eben durch diese deine Gleichgültigkeit gedrängt, Zerstreuung außerhalb des Hauses zu suchen? Freilich ist es notwendig, daß der Geist erhaben sei über die Materie, aber man muß nicht gar zu ätherisch sein, sonst findet uns der Gatte nicht, welcher uns auf Erden sucht und nicht bis zum Himmel emporreicht. Entziehen wir uns seinen Blicken, so wendet er sich eben ab und sucht Zerstreuung, wo immer sich dieselbe ihm bietet. Mißverstehe mich nicht, mein Kind, ich will dich nicht verdammen, ich bespreche nur das, was du selbst mir anvertraut hast. Aus deinen Mitteilungen scheint hervorzugehen, daß zwischen dir und deinem Gatten ein Mißverhältnis bestehe, und ich flehe dich an, dein möglichstes zu tun, damit dasselbe aufhöre.«

Henriette versank in ernstes Nachdenken, sie konnte die guten Absichten Frau Mößlers nicht verkennen, aber es widerstrebte ihr, der armen Mutter alles zu sagen, was sie in bezug auf Valentin dachte. Ihr dünkte es eine Schwäche, wenn sie das Versprechen geben sollte, ihre Haltung gegen ihn etwas zu mildern; weigerte sie sich aber, ein solches Versprechen zu leisten, so wollte es ihr andererseits scheinen, als ob sie damit eine schlechte Handlung begehe. Ihre ehrliche Natur sträubte sich aber doch gegen eine Täuschung, und sie beschloß, aufrichtig zu sein, jetzt wie immer.

»Liebe Mutter, ich verstehe ganz gut, was du andeuten willst, du wünschest, daß ich mit meinem Gatten von neuem Bande knüpfe, welche er allein gelöst. Richtest du mit seinem Einverständnis diese Bitte an mich?«

»Sage nur, daß du zu einer Versöhnung geneigt bist, und ich verpflichte mich, ihn zu jeder Konzession zu bewegen.«

»Du beantwortest meine Frage nicht klar und bündig!« rief die Gräfin, »und wenn du auf solche Winkelzüge gerätst, muß mein Gatte dir durchaus keine Sicherheit geboten haben. Nicht er ist es, welcher diese Versöhnung wünscht, sondern du; ich weiß somit, was ich von derselben zu erwarten habe; er wird dir gehorchen, um sich bei dir einzuschmeicheln. Aber der Eifer, welchen er dabei an den Tag legen dürfte, ist nicht aufrichtig zu nehmen, und ehe vierzehn Tage um sind, ist er zu seinen Freunden zurückgekehrt; ich aber werde für meinen guten Willen und meine Nachsicht nur eine Demütigung mehr zu verzeichnen haben!« Frau Mößler antwortete nicht gleich, aber ihre zuckenden Lippen unterdrückten mit sichtlicher Anstrengung die Worte, welche sie gerne ausgesprochen hätte, und die ihrer Anschauung gemäß ein überzeugendes Argument sein mußten. Endlich vermochte sie dieselben nicht länger zurückzuhalten und rief, von einem leidenschaftlichen Wunsche hingerissen, mit leuchtenden Augen:

»Was ist denn schließlich an mancher kleinen Sünde deines Gatten gelegen? Versinkt dieselbe nicht im Vergleiche zu dem grenzenlosen Glück, welches dir erwachsen würde, wenn du Mutter sein könntest? Ein Kind, welches uns angehören, unser Leben ausfüllen würde, welches uns Ersatz bieten könnte für alles bisher Verlorene. Von einem Kinde haben wir keinen Verrat zu befürchten; es würde uns alles ersetzen, wir könnten es nach unserem Gutdünken groß ziehen und brauchten Jahre hindurch keinen Verrat zu befürchten. Selbst wenn dieses Kind sich später als undankbar erweisen sollte, würde es uns doch wenigstens während seiner ganzen Kinderjahre volles Glück sichern. Du weißt, Henriette, daß ich dich liebe, als seiest du in Wirklichkeit meine Tochter, und trotzdem fühle ich, daß du meinem Herzen noch tausendmal näher stehen würdest, wenn du einen jener rosigen kleinen Engel in deinen Armen hieltest, die das ganze Glück eines Frauenlebens ausmachen; bedenke nur, es ist die einzig wahre, unverfälschte Freude, deren wir Frauen hier auf Erden teilhaftig werden. Jedes andere Glück ist eitler Wahn; ich habe für mich selbst so sehnsüchtig gewünscht, Mutter zu sein, daß auch die Mutterfreuden anderer mir heilig sind, und ich sogar für ein fremdes Kind ganze Schätze der Zärtlichkeit im Herzen trage.«

Bei diesem glühenden Geständnisse ihrer geheimsten Hoffnungen, bei diesem Ausbruche der Selbstsucht, welcher fast erhaben genannt werden mußte, weil er zu aufrichtig war, zuckte die Gräfin zusammen; dunkle Röte stieg ihr in die Stirne und mit entrüsteter Stimme, die sie vergeblich zu mildern bemüht war, sprach sie:

»Liebe Mutter, du verfügst über mich, als sei ich –. Es soll um jeden Preis ein Kind herbeigeschafft werden, und fast hat es den Anschein, als sei es dir ganz nebensächlich, woher dieses Kind komme, wenn es nur da ist! Ich habe andere Anschauungen als du in bezug auf das Glück, sich Mutter nennen zu dürfen; ich verlange, daß das Kind, welchem ich das Leben schenke, auch von der Beachtung, von der Zärtlichkeit, von der Liebe eines Vaters umgeben sei, ich will keinen Sohn haben von einem Manne, welchen ich verachten muß, der heute mit dieser, morgen mit jener Frau lockere – Beziehungen anknüpft. Ich würde es als eine Demütigung ansehen, vor der ich erröten müßte, einen solchen Mann als den Vater meines Kindes betrachten zu müssen. Was ließe sich beispielsweise auch von einem Sohne erwarten, der seine Entstehung nicht einmal der Liebe seiner Eltern zu danken hat, sondern nur der Rücksicht auf irgendein materielles Interesse? Ein Kind, welches unter solchen Verhältnissen heranwächst, kann nur einen leeren Kopf, ein leichtsinniges Herz haben und wird früher oder später ein gewissenloser Lebemann gleich dem Vater. Der Himmel bewahre mich davor, einem solchen Kinde das Leben zu schenken; ich will lieber einsam, verlassen, freudlos sein, als daß ich mir später den Vorwurf machen muß, einen Unglücklichen mehr in die Welt gesetzt zu haben.«

»Deine Worte«, sprach Frau Mößler schmerzbewegt, »ersticken die schönste Hoffnung meines Lebens im Keime.«

»Wenn du durchaus ein Kind haben willst,« warf Henriette, vom Zorne hingerissen, ein, »so veranlasse Graf Valentin Coutras, ein solches zu adoptieren, es ist dies wahrlich das wenigste, was er für dich tun kann, und er erkennt damit alles an, was du ihm Liebes erwiesen. Nur mich laß bei deinen Erbfolgeberechnungen aus dem Spiele, ich bin zu gut für die Rolle, welche du mir aufnötigen möchtest, und habe mich deiner Familie nicht einverleiben lassen, um auf deren Fortpflanzung bedacht zu sein.«

Frau Mößler erbleichte, Tränen perlten aus ihren Augen, und in tiefer Bewegung trat sie auf die junge Frau zu:

»Habe ich dich denn so schwer gekränkt, Henriette, daß du es für nötig hältst, mir mit solcher Heftigkeit zu antworten? Es lag dies nicht in meiner Absicht, und ich bitte dich, mir zu verzeihen.«

Die Gräfin erkannte in diesen Worten die Güte, welche Frau Mößler ihr stets bewiesen, sie fühlte, wie all ihr Zorn dahinschwand, und indem sie sich der großmütigen Frau in die Arme warf, rief sie lebhaft:

»Nein, entschuldige dich nicht, liebe Mutter, ich war eine Törin, weil ich mich von meiner Heftigkeit so weit hinreißen ließ; das kommt davon, weil das Thema, welches du berührt hast, für mich ein äußerst schmerzliches genannt werden muß. Ich weiß, daß ich dir Enttäuschung bereite, daß ich die Dankesschuld gegen dich nicht entsprechend abtrage, denn, indem ich mich weigere, mich mit meinem Gatten zu versöhnen, betrüge ich dich um deine liebsten Hoffnungen. Du hast mich, das arme, zukunftslose Mädchen, deinem Adoptivsohne zugeführt, damit ich die Mutter seiner Kinder werde, du hast mir Reichtum und Ueberfluß geboten, ich aber vermag das nicht zu erfüllen, was man als selbstverständlich erwartete, gib mich frei, ich flehe dich darum an, laß mich in stolzer Abgeschiedenheit leben, und ich will dir eine liebevolle, eine hingebende Tochter sein; du kannst von mir doch nicht verlangen, daß ich jedes Opfer bringen soll, und mein Mann keines! Ich dünke mir selbst zu gut, um nur seinen flüchtigen, vorübergehenden Launen zu dienen; lieber will ich in die Ferne ziehen und in tiefster Abgeschiedenheit leben, wenn ich dabei nur unabhängig sein kann und die Selbstachtung nicht verlieren muß!«

Was Henriette forderte, war sehr gerecht, und sie forderte es in einer so edlen Form; sie war dabei in der Keuschheit ihres Wesens, die sich aufbäumte gegen alles Rohe, so schön und so edel, daß Frau Mößler fühlte, daß ihre Sache verloren sei. In ihrem Innern regte sich eine Stimme, welche ihr sagte, daß die junge Frau im Rechte war; sie hatte dieselbe für ihren Sohn gekauft, und er war es gewesen, der sie nie entsprechend zu würdigen verstanden. Henriette schuldete ihm keine Rücksicht, der Mutter blieb nichts anderes übrig, als ihren Plänen und Berechnungen zu entsagen und nicht sie, die schuldlose, junge Frau dafür zur Verantwortung zu ziehen, sondern ihn, den tollen Lebemann mit dem leeren Kopfe und dem eisigkalten Herzen, ihn, der alle Schuld trug an ihrem Kummer und an ihrem Leid.

Von tiefer Trauer bewegt, senkte Frau Mößler ihr von weißem Haar umrahmtes Antlitz und sprach leise zu ihrer Schwiegertochter:

»Du hast recht, Henriette, und ich bin es, welche tadelnswerte Selbstsucht an den Tag gelegt hat; nie mehr sollst du ähnliche Worte aus meinem Munde vernehmen. Lebe so glücklich, als du es vermagst, mein armes Kind, da die Freiheit dir das Glück ersetzt!«

Die Gräfin bot der alten Dame ihre Stirne zum Kusse dar und sprach mit tiefem Ernste:

»Habe Dank, liebe Mutter!«

Mit leisen, geräuschlosen Schritten verließ Frau Mößler das Gemach.

Zur gleichen Stunde war es Valentin endlich geglückt, auf der Schloßterrasse, in der freien Luft und doch vor indiskreten Blicken geschützt, Céline zu sprechen. Sie war mit ihrem Gatten herabgekommen, um dem Schlußergebnisse des Fischfanges zuzusehen, und während Friedrich vortrat, um die silberschillernden Fische, welche sich in dem triefenden Netze gefangen hatten, besser sehen zu können, hatte sie sich traurig und in sich gekehrt auf der Steinbalustrade der Terrasse niedergelassen. Warme Sonnenstrahlen durchzitterten die Luft, und die junge Frau blickte zerstreut nach dem Bilde hinüber, welches sich ihren Blicken bot. Herannahende Schritte, welche auf dem Kies knisterten, veranlaßten sie, das Haupt zu wenden, ein leiser Schreckensruf trat auf ihre Lippen und sie erblaßte. Valentin stand hinter ihr; sie machte eine hastige Bewegung, als ob sie sich entfernen wollte, er aber faßte sie vertraulich am Arme und zwang sie lächelnd zu bleiben. Gleichzeitig sprach er:

»Hüten Sie sich davor, Aufregung zu verraten; man sieht uns von allen Seiten; sollten Sie die Absicht haben, mir zu entkommen, so werde ich Sie mit Gewalt zurückhalten, unbekümmert um alles, was daraus entstehen könnte. Sie behandeln mich als Ihren Feind, wundern Sie sich folglich auch nicht, wenn ich als solcher handle.«

Schwer atmend, mit unstetem Blick, nicht imstande, einen Entschluß zu fassen, zitternd, wie das Vögelchen vor dem Geier, stand sie vor ihm.

»Es ist unerläßlich, daß wir fünf Minuten zusammen reden, im Zwiegespräche werden Sie mir vielleicht weniger kühn ausweichen, als vor Zeugen. Ich will klar und deutlich mit Ihnen reden.«

Mit halberstickter Stimme rief sie:

»Wollen Sie mich dazu zwingen, Dinge anzuhören, welche ich nicht hören will?«

»Mehr noch, gnädige Frau, ich will Sie nötigen, mir zu antworten.«

»Steht es mir frei, mich zu entfernen, wenn ich Ihnen geantwortet habe?«

»Vollständig frei.«

»Dann fragen Sie rasch.«

Mit spöttischem Lächeln erwiderte Valentin:

»Jedenfalls kann man Sie der Heuchelei, Ihre Empfindungen zu verbergen, nicht zeihen. Nach einer solchen Erklärung hätte ich, im Grunde genommen, keine weitere Frage an Sie zu stellen, wenn ich ganz sicher wäre, daß Sie sich nicht einer Täuschung hingeben.«

Die junge Frau errötete vor Zorn, ihre Lippen preßten sich fest aufeinander, dann aber stieß sie plötzlich in fassungsloser Entrüstung hervor:

»Oh nein, ich bin sehr aufrichtig und weiß genau was ich sage, wenn ich es unumwunden ausspreche, daß ich Sie hasse und verabscheue. Sie sind der Elendeste, der Niedrigste, der Schändlichste der Menschen, und wenn ich mein Leben gegen das Ihre in die Schanzen schlagen könnte, so würde ich mit grausamer Freude danach streben, Sie zu töten.«

Er blickte ihr mit unverwandter Ruhe in die Augen.

»Ja, Sie hassen mich so, wie Sie es sagen, es ist die Stimme Ihrer Vernunft, welche ich vernommen; neulich aber hörte ich diejenige Ihres Herzens, und aus dieser sprach kein Haß. Seither haben Sie sich emporgerafft, haben Sie sich mit Vernunft und Entrüstung gesagt, daß Sie mir um keinen Preis angehören wollen; in jenem kurzen seligen Augenblicke aber, in welchem ich Sie in meinen Armen hielt, da bebten Sie nicht vor Entsetzen. Meine Liebe mag Sie mit Entrüstung erfüllt haben, aber Sie erwiderten dieselbe; ich möchte sogar darauf schwören, daß Sie bedauern würden, nicht empfunden zu haben, daß ich Sie liebe. Die flüchtige Trunkenheit, der Eindruck eines Augenblickes, welchem lange Stunden der Reue folgten, läßt sich doch nicht aus dem Gedächtnisse verwischen, und unwillkürlich kehrt die Erinnerung immer wieder zu jener flüchtigen Trunkenheit zurück, stellt man sich die Frage, ob es für dieselbe keine Wiederholung geben könne.«

»Nein, nein, nur das nicht, alles andere eher.«

»Was wissen Sie davon, Sie kennen sich selbst nicht, in Ihnen leben zwei verschiedene Wesen, eine Frau, welche tugendhaft ist bis zur äußersten Ueberspanntheit, welche den bloßen Gedanken an ein Unrecht schon als ein solches betrachtet, welche sich an die Pflicht klammert und von derselben nicht abweichen will. Ich befinde mich jetzt in Gesellschaft dieser Frau, und der Empfang, welchen sie mir bereitete, sollte mich nicht ermutigen, sie anzubeten. Die zweite Natur, welche in Ihnen lebt, ist glühend, leidenschaftlich, läßt sich von den Sinnen beeinflussen, ist diejenige, welche ich neulich in meinen Armen gehalten. Sie waren in jener Stunde so schön, so begehrenswert, daß, um Sie so, auch nur für Sekunden, wiederzufinden, ich bereit wäre, jede Beleidigung, jede Mißachtung auf mich zu nehmen. Ich grolle der tugendhaften Frau nicht, weil sie mir das leidenschaftliche Weib fernhalten will, im Gegenteile, ihr Widerstand reizt mich, ihr Mut spricht mich an, und je leidenschaftlicher sie kämpft, um sich von mir loszusagen, desto inniger wünsche ich, sie zu besiegen, denn ich kenne sie und ich weiß, daß ein Augenblick der Trunkenheit an ihrer Seite mehr wert ist als ein ganzes Menschenleben.«

Hocherhobenen Hauptes stand die junge Frau da, so sehr fürchtete sie, daß eine einzige Gebärde sie denjenigen, welche sie möglicherweise aus der Entfernung sehen konnten, verraten würde. Dabei weinte sie leise vor sich hin. Tränen perlten über ihr bleiches Antlitz und fielen auf das Taschentuch, welches sie krampfhaft in den Händen hielt. Valentin erwartete einen Einwurf, einen lauten Aufschrei, ja selbst eine Beleidigung oder eine Bitte, aber sie schwieg mit eigensinniger Beharrlichkeit genau so, als wollte sie alles, was er ihr gesagt hatte, als nicht gesprochen ansehen. Er verlor die Geduld, und indem er sie leicht an der Schulter berührte, fragte er:

»Nun, Céline, haben Sie mir nichts zu sagen, nichts zu antworten?«

Still vor sich hinweinend schwieg sie noch immer; ihre Brust hob und senkte sich in mühsam unterdrücktem Schluchzen, obwohl sie alles tat, um sich wenigstens scheinbar zu beherrschen. Von Heftigkeit hingerissen, rief er endlich:

»Treiben Sie mich nicht zum Aeußersten, Sie pochen auf meine Liebe; ich will die Hoffnung, Sie früher oder später zu besitzen, nicht aufgeben, und Sie sollen mir jetzt Rede und Antwort stehen, und sei es auch nur, um mir »Nein« zu sagen.«

Sie wendete ihm nicht einmal ihr Antlitz zu, langsam und weinend, ging sie an ihm vorüber und ließ ihn, besiegt und vernichtet durch dieses Schweigen, welches tiefe Verachtung bekundete, allein zurück.


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