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Friedrich Clément, an Stelle seines Vaters Leiter des Bankhauses Pilet & Berger, hatte sich ein Jahr vor dem Grafen Coutras mit der Tochter des Herrn Vavasseur vermählt, welcher Direktor im Finanzministerium war. Céline Vavasseur war durch ihren Vater, einen Mann von bedeutender Fähigkeit, aber von methodistischen Anschauungen, sehr strenge erzogen worden und hatte eine freudlose Jugend gehabt. An dem Tage, an welchem man ihr den jungen Friedrich Clément vorstellte, fühlte sie sich versucht, ihn liebenswürdig, schön, geistreich zu finden, vielleicht alles nur, weil er geneigt schien, sie aus der Umgebung herauszureißen, in welcher sie sich seit ihrer frühesten Jugend ganz entsetzlich langweilte. Schön und geistreich war ihr Verlobter freilich nicht, dafür aber so liebenswürdig und so gutmütig, als sich dies nur irgend wünschen ließ, dabei vielleicht ein wenig ernst, aber doch den Frohsinn der anderen nicht störend. Die Gewohnheit der Arbeit, sein Geschäft, welches er als den Hauptzweck seines Lebens ansah, all das hatte ihn der Freude an dem Treiben der Welt einigermaßen entfremdet, feindlich aber trat er demselben auch nicht entgegen.

Friedrich Clément war hochgewachsen, blond, etwas kahlköpfig, hatte blaue Augen und einen kalten, festen Blick, mit welchem er sich über Menschen und Dinge im ersten Augenblicke schon sein Urteil bildete, ohne sich in demselben zu täuschen. In Sachen des Gefühls war er so naiv, wie die meisten Leute, welche verhältnismäßig wenig von den Freuden des Lebens genossen haben; dafür bekundete er umso viel mehr praktisches Verständnis, wenn es sich um Geldfragen handelte. In bezug auf Handel und Industrie hatte er sich einen Namen gemacht, aber auf die Börse ging er nie, Spekulationen gab es für ihn nicht; er weigerte sich systematisch, sich an der Emission von Aktien zu beteiligen, so oft man ihn auch bat, für dieses oder jenes Unternehmen eine Zahlstelle zu gründen. Seit er das Bankhaus in der Rue de la Victoire leitete, waren in demselben nur Diskontgeschäfte oder Wechselangelegenheiten betrieben worden. Friedrich hatte über die Moralität gewisser Unternehmungen Ansichten, welche aus dem vorigen Jahrhundert stammten und mit der Philosophie der Jetztzeit nicht in Einklang zu bringen waren. Die Strenge seiner Grundsätze verbot es ihm, einen größeren Gewinn anzustreben als jenen, welchen er mit größter Ehrlichkeit erreichen konnte. Nach seinen Anschauungen gab es auch für Vorteil und Verdienst gewisse Grenzen. Zu all seinen übrigen guten Eigenschaften gesellte sich bei Friedrich auch noch jene der vollständigsten Unzugänglichkeit, wenn er in seinem Rechte war und man danach strebte, ihn zu übervorteilen.

Zwischen Friedrich und seinem Vater bestand eine Charaktergleichheit, eine Aehnlichkeit der Anschauungen, welche es dem einen gestattet haben würde, für den anderen das Wort zu ergreifen, so sicher waren sie gegenseitig ihrer Anschauungen und Gefühle. Jene beiden scheinbar etwas kalten, dabei doch weichfühlenden und pflichttreuen Männer waren die würdigen Abkömmlinge jener Hugenotten, welche treu zu Heinrich IV. standen, und deren Verbannung, die Ludwig XIV. als notwendig betrachtete, die französische Revolution zu vertragen imstande war.

Friedrich betete seine junge Frau an, deren Geschmacksrichtung und Ansichten aber von den seinen doch grundverschieden waren. Als die reizende Céline Vavasseur sich von der mumienhaften Umgebung befreit sah, in welcher ihr Vater sie ihre ganze Jugend hatte verkümmern lassen, schüttelte sie mit großer Elastizität die verdüsternden Gewohnheiten ihres bisherigen Lebens ab; sie wußte bald genauen Bescheid über die pekuniäre Lage ihres Gatten; hinter der gesuchten Einfachheit entdeckte sie rasch die Basis eines gesicherten Vermögens, und in verhältnismäßig kurzer Zeit gelang es ihr, im äußeren Leben des Hauses Clément große Wandlungen einzuführen. Der Luxus, nach welchem sie strebte, wurde ihr gewährt, und als Herr Eliphas sie in zärtlichem Wohlwollen darauf hinwies, daß sie Friedrich zu Auslagen verleite, die an Verschwendung streiften, warf sie lachend ein:

»Aber Väterchen, du darfst mich doch nicht tadeln, weil ich für die Reformation bin.«

Kopfschüttelnd umarmte der alte Mann die junge Frau und tröstete sich über das verausgabte Geld mit dem Bewußtsein, daß sein Sohn glücklich war. Und man mußte ihn auch tatsächlich so nennen. Freilich empfand seine Frau für ihn keine leidenschaftliche Zärtlichkeit, aber er hatte auch nichts an sich, was geeignet gewesen wäre, derartige Empfindungen wachzurufen; seiner Güte und Zärtlichkeit wegen war sie ihm aber von Herzen zugetan. Sie fühlte, daß er ihr Sklave sei; so sicher sie aber dessen auch war, so mißbrauchte sie doch ihre Herrschaft nicht. Die ersten beiden Jahre ihrer Ehe vergingen in einem wahren Glücksrausch. Der Himmel schenkte ihnen einen Sohn, dessen Geburt Herrn Eliphas begeisterte, und die in Frau Mößlers Seele eine Regung der Eifersucht erweckte. Zu jener Zeit war es, als der Gedanke, Valentin zu verheiraten, zum ersten Male im Herzen der »Goldkönigin« gebieterisch Wurzel schlug. Sie begriff, wie nutzlos ihr Vermögen sei, wenn kein Erbe da war, dem sie es hinterlassen konnte, von dem sie die Ueberzeugung hegen durfte, daß er es nach ihrem Tode nicht auf Fremde, auf Gleichgültige übergehen lassen werde. Sie hätte einen hohen Preis dafür bezahlt, wenn es ihr möglich gewesen wäre, Friedrichs Kind zu jenem Valentins zu machen; aber war sie, die so viel auf Erden konnte, auch imstande, Schicksal und Lebenslauf zu ändern?

Nach der Vermählung des Grafen Coutras machte es sich ganz von selbst, daß die junge Frau Clément auf intimem Fuße mit dessen Gemahlin verkehrte. Henriette und Céline standen beiläufig im gleichen Alter, sie boten aber sowohl in ihren Charakteren als auch in ihren äußeren Erscheinungen grelle Kontraste. Frau Clément war klein, hatte dunkle Haare und verriet in ihrem Wesen Lebhaftigkeit, sowie heiteres Temperament. Gräfin Henriette Coutras war blond, groß, etwas ernst und sehr ruhig; beide waren Künstlerinnen, wenn auch in grundverschiedenem Sinne. Friedrichs Gattin war sehr aufgeklärt und schrak auch vor gewissen Exzentrizitäten nicht zurück. Valentins Gemahlin war durch und durch klassisch gebildet und bot übertriebenen Anschauungen sehr vernünftigen Widerstand.

Frau Friedrich Clément brachte in die sehr eleganten, sehr modernen, sehr auserlesenen Salons der Gräfin Coutras ein belebendes Element, welches jene Keime erstickte, die vielleicht sonst ein wenig zu geschraubt gewesen sein würden. Lachend hatte Frau Clément selbst zu wiederholten Malen bemerkt:

»Ich bringe etwas Leben in diese Räume nach dem Stile Ludwigs XIV.«

Sie wurde als das verwöhnte Kind des Hauses angesehen; die ernste Henriette behandelte sie wie eine muntere jüngere Schwester, welcher man manche Laune gerne verzeiht; sie hatte deren auch tatsächlich ziemlich viele. Trat sie gegen fünf Uhr bei ihrer Freundin ein, so entstand im Salon alsbald reges Treiben, und Heiterkeit trat an die Stelle des Ernstes. Sie besaß das Privilegium, alle Welt durch den Zauber ihres Wesens hinzureißen, und sogar alte Leute begrüßten sie mit gefälligem Lächeln; sie war ruhelos und ein wenig phantastisch, aber es lag ein solcher Zauber in ihrer Art, sie schien eine so ehrliche Aufrichtigkeit an den Tag zu legen, daß es niemandem in den Sinn kam, Schlechtes von ihr zu denken.

Anfangs legte sie in ihrem Verkehr mit dem Grafen Coutras die äußerste Zurückhaltung an den Tag; so zart auch die Anspielungen waren, welche ab und zu, solange Valentin noch ledig gewesen, zwischen ihrem Schwiegervater und ihrem Gatten in bezug auf ihn ausgetauscht wurden, begriff sie doch, daß er sich der Achtung dieser beiden Männer nicht erfreue. Aus den ab und zu aufgefangenen Bruchteilen von Gesprächen ging nach ihrem Dafürhalten hervor, daß Frau Mößlers Adoptivsohn eine Art Teufel sei, welchem man mit großer Vorsicht aus dem Wege gehen müsse.

Als sie seiner zum ersten Male ansichtig wurde, fand sie, daß er lange nicht so schrecklich sei, als sie ihn sich vorgestellt. Sie kam von ihrer Hochzeitsreise zurück und war zu einem Diner bei Frau Mößler geladen. Mit einfacher, natürlicher Eleganz trat Graf Coutras ein, küßte seiner Adoptivmutter die Hand, benahm sich ihr gegenüber einem ehrerbietigen Sohne gleich und fand Gelegenheit, als er der jungen Frau vorgestellt wurde, ihr auf die natürlichste Weise der Welt, in wenigen Worten von all jenen, die sie liebte, Gutes zu sagen. Durch sein gutmütiges Aussehen ermutigt, wagte sie jetzt auch, ihn genauer in Augenschein zu nehmen, und kam zu der Ueberzeugung, daß der vermeintliche Teufelsjunge ein hübscher Bursche sei mit äußerst sympathischen, einnehmenden Manieren, der durch seine feine Lebensart vorteilhaft von allen jungen Leuten abstach, welche sie bisher kennen gelernt hatte.

Sie plauderte wiederholt mit ihm, fand ihn stets heiter, anspruchslos, natürlich; es lag eine gewisse Sorglosigkeit in seinem Wesen, die ihn sehr vorteilhaft kleidete. Sie, die von morgens bis abends nur von Zahlen reden hörte, fand Vergnügen an der Begegnung mit dem jungen Manne, welcher einen wahren Abscheu vor jeder ernsthaften Beschäftigung zu haben schien, der nur von Kunst, von Literatur oder vom Sport sprach. Valentins Assimilations-Vermögen leistete ihm in dieser Hinsicht gute Dienste, denn er las niemals, verabscheute Kunstausstellungen und bildete sich sein Urteil nur nach einem oder zwei Zeitungsartikeln. Mit Rücksicht auf den Sport freilich war das etwas anderes, da brauchte er nicht zu heucheln, denn da besaß er reelles Wissen.

Als er die Entdeckung machte, daß Céline sich für die Geheimnisse des Trainierens interessiere und an den Rennen Vergnügen fand, stellte er ihr eines Tages den Antrag, sie in seiner Mailcoach nach dem Rennplatze zu fahren.

»Was Ihnen nicht einfällt!« rief sie lebhaft. »Und mein Mann – was würde denn der dazu sagen?«

»Ihr Mann – er wird uns begleiten. Die vornehmste Gesellschaft von Paris trifft dort zusammen; alle Wagen fahren von der Place de la Concorde aus weg, an dem Klub der Rue Royale vorbei; wer nur etwas Schick hat in Paris, der will sich bei dieser Gelegenheit zeigen. Sie sollen an meiner Seite sitzen, das ist der Ehrenplatz.«

Mit neckischer Bosheit blickte sie ihm unverwandt in die Augen.

»Wird auch Frau Bourdon bei der Gesellschaft sein?« fragte sie scheinbar ganz unbefangen.

»Nein«, entgegnete er, ohne die Fassung zu verlieren. »Frau Bourdon wird nicht zugegen sein, wenn ich mich Ihrer Gesellschaft erfreuen darf.«

Sie tat, als verstehe sie die Unverschämtheit nicht, welche in dieser Antwort lag, und entgegnete ruhig:

»Arme Frau! Ich will sie aber eines Vergnügens nicht berauben. Man erzählt sich ohnehin, daß Sie ihr manche unangenehme Stunde bereiten.«

»Wer mag Ihnen denn so schlechte Auskünfte erteilen?«

»Die allgemeine Stimme.«

»Dann ist dieselbe sehr falsch unterrichtet, denn ich stehe schon seit Wochen in gar keinem Verkehr mit Frau Bourdon.«

»Ach, weswegen denn? Sie ist ja doch so hübsch.«

»Lassen wir das. Sie wird keinesfalls von der Partie sein. Darf ich Sie somit zum Rennen abholen?«

»Gewiß nicht. Sie haben einen viel zu schlechten Ruf, als daß es mir angenehm sein könnte, mich in Ihrer Gesellschaft zu zeigen.«

»Und wie wäre es, wenn ich plötzlich ein braver Mensch würde?«

»Wenn Sie sich als vernünftiger Mann betragen wollten, hm – das ließe sich in Erwägung ziehen. Heiraten Sie doch!«

»Wie, auch Sie tun diesen Ausspruch? Meine Mutter quält mich schon unaufhörlich damit, daß ich meiner Freiheit entsagen solle; mir will scheinen, als ob ich da einer Verschwörung auf die Spur komme.«

»Nachdem Sie einen gar so nützlichen Gebrauch von Ihrer Freiheit machen, finde ich es allerdings ziemlich begreiflich, daß Sie sich weigern, derselben zu entsagen.«

»Wollen Sie, daß ich Ihnen angebe, wie ich meine Zeit verwende?«

»Oh nein, ich bin gar nicht neugierig.«

Mit einer Gebärde des Schreckens flüchtete sie vor ihm zu Frau Mößler. Es gab stets kleine Scharmützel zwischen ihnen, bei denen ihr kameradschaftlicher Ton durch den rückhaltlosen Freimut ihres Verkehrs zum Ausdruck kam. Eines Abends trat Valentin im Salon seiner Adoptivmutter auf die junge Frau zu und sprach:

»Ich habe Ihnen eine Neuigkeit mitzuteilen; Sie können in diesem Jahre in meiner Mailcoach die Rennen mitmachen, denn ich heirate.«

Sie lachte laut auf.

»Hoffentlich entschließen Sie sich dazu nicht nur, um mich zu den Rennen fahren zu können?«

»Nicht deshalb allein, sondern weil alle Welt mich quält. Ich langweile mich; das Leben, welches ich führe, widert mich an, und ich möchte überdies meiner Mutter gerne eine Freude bereiten.«

»Sie sprechen ja sehr hübsch. Ich dachte immer, daß Sie nicht halb so schlecht sein könnten, als die Leute Sie schildern.«

»Wenn ich mir so viel Mühe gebe, werde ich vielleicht nach und nach noch ein brauchbares Glied der menschlichen Gesellschaft.«

»Sie können immerhin darauf zählen, daß die Menschen Ihnen bei diesem Läuterungsprozesse helfen werden; man bringt Ihnen sehr viel Sympathie entgegen.«

»Pah, ich weiß, wie ich dieselbe zu taxieren habe; an Banalität wird es nicht fehlen. Man wird meine Ehe reizend finden, und wenn sie nicht ganz gut abläuft, dann sagt zweifelsohne ein jeder, daß man Aehnliches längst vorausgesehen. Aber mein Gott, ich weiß selbst nicht recht, wie ich mich in dieser Situation zurechtfinden soll.«

»Spielen Sie den interessanten Märtyrer! Aber wie wäre es, wenn wir uns mit dem jungen Mädchen befassen wollten? Dieses ist es, welches das Glück eines ganzen Lebens auf das Spiel setzt. Wer ist denn die Betreffende, wenn man fragen darf?«

»Ihr Schwiegervater hat sie entdeckt.«

»Das ist schon eine vortreffliche Bürgschaft.«

»Für ihre Moralität vielleicht, aber ob sie angenehm ist, wird dadurch noch lange nicht festgestellt.«

»Er hat sehr viel Geschmack. Auch ich wurde von ihm entdeckt.«

»Das beruhigt mich einigermaßen.«

»Kennen Sie die junge Dame, welche man Ihnen zur Lebensgefährtin bestimmt hat? Sind Sie ihr bereits vorgestellt worden?«

»Gestern; sie ist sehr schön, sehr imponierend, sehr ernsthaft, und scheint für mich beiläufig ebenso zu passen, wie Sie für Ihren Gatten.«

»Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß ich mich mit Friedrich sehr gut verstehe – er tut alles, was ich will.«

»Wenn ich alles werde tun müssen, was meine Frau wünscht, glaube ich nicht, daß unser Leben sich zu einem besonders heiteren gestalten dürfte.«

»Begehe ich eine Indiskretion damit, wenn ich Sie frage, wie Ihre Zukünftige heißt?«

»Durchaus nicht. Die mir bestimmte Braut ist Fräulein Henriette v. Pierremont.«

»Dann sind Sie glücklicher, als Sie verdienen. Ich bin der jungen Dame mehrmals in befreundeten Familien begegnet und weiß, daß sie geradezu reizend ist.«

»An meiner Stelle also würden Sie nicht zaudern, sie zu heiraten?«

»Ich wäre sogar glücklich, wenn sie mich nehmen wollte.«

»Ach, Ihr Frauen, Ihr zögert nie, wenn es aufs Heiraten ankommt. Der ledige Stand scheint Euch so langweilig zu sein, daß Ihr mit Feuereifer Euch der Wandlung in die Arme stürzt, durch die Euch die Freiheit gesichert wird. Wir aber, die wir aller Vorteile der Freiheit ohnehin teilhaftig sind, wir müssen entweder sehr verliebt oder pekuniär sehr zugrunde gerichtet sein, vielleicht auch uns krank fühlen, um uns mit einer andern Existenz zufrieden zu geben und den Wünschen unserer Eltern oder Vormünder zu gehorchen. Ein alleinstehender Mann braucht sich um nichts zu bekümmern, wenn er aber Frau und Kinder besitzt, dann lastet eine schwere Sorge, eine große Verantwortung auf ihm.«

»Frau Mößler wird Ihnen schon behilflich sein, dieselbe zu tragen«, meinte Céline lachend. »Ihre Mittel gestatten ihr das ja glücklicherweise.«

»Kann man bei den heutigen Zeiten mit Bestimmtheit auf irgend etwas zählen? Alltäglich setzen uns die Sozialisten auseinander, daß sie, ehe wir uns dessen versehen, jedes Kapital an sich reißen werden. Was also soll dann mit den Leuten geschehen, welche die Schwäche besitzen, nicht leben zu können, ohne sehr viel Geld auszugeben? Seien Sie überzeugt, daß ich der Ehe nicht entgegengehe, als ob dieselbe ein Fest wäre; auch bin ich nicht davon überzeugt, daß es mir wirklich gelingen wird, einen guten Gatten abzugeben.«

»Ach was, schlechter wie die anderen sind Sie vermutlich auch nicht, trotz Ihres Leichtsinns, und wenn Sie Ihre Frau lieben würden –«

»Ach, mein Gott, ja das ist es ja eben. Das Fräulein v. Pierremont erscheint mir wie eine erhabene Göttin – sagen wir, wie eine Juno.«

»Sie wird sich auch zu menschlichen Empfindungen herbeilassen; an Ihnen ist es, dieselben in ihr zu wecken.«

»Mir scheint fürwahr, eine jede Frau ist eine geborene Ehestifterin, und auch Sie zaudern nicht, wenn es gilt, mich in den Abgrund zu stoßen. Hüten Sie sich – wenn ich mich unglücklich fühlen sollte, sind dann Sie verpflichtet, mir Trost zu gewähren.«

»Und wie sollte ich das?«

»Indem Sie mich so innig lieben, als es überhaupt in Ihrer Natur liegt, lieben zu können.«

»Das würde mich zu keinem großen Gefühlsaufwande verpflichten. Sie ahnen nicht, wie wenig leidenschaftlich ich bin. Ich glaube, Sie würden, wenn Sie Ihrer Juno abtrünnig wären, dann nur zu Minerva Ihre Zuflucht nehmen.«

»Wie, auch Sie behaupten, eine kalte Natur zu sein? Dann würde ich ja wahrlich besser daran tun, mich nach Transvaal zu flüchten.«

Frau Mößler, welche sich den Kopf darüber zerbrach, was die beiden jungen Leute wohl so angelegentlich miteinander sprechen mochten, verließ einen ihrer Gäste, mit dem sie bis nun geplaudert, und trat langsam an die junge Frau heran.

»Was erzählt er Ihnen denn so angelegentlich, dieser kopflose junge Bursche?« forschte sie mit etwas gezwungenem Lächeln.

»Daß er nach den Goldfeldern auswandern will, gleich seinem Vater.«

Ernsthaft richteten sich Frau Mößlers Augen auf den jungen Grafen, und mit einer Stimme, der es an festem Klang gebrach, sprach sie zu Valentin:

»Hast du so wenig Neigung für jene, welche sich für dich interessieren, daß du in dem Augenblicke daran denkst, sie zu verlassen, in welchem sie sich nur mit dem Gedanken abgeben, dir deine Zukunft zu sichern.«

»Nein, liebe Mutter, aber ich möchte den Verpflichtungen gewissenhaft nachkommen können, welche diese für mich übernehmen, und das macht mich sorgenvoll.«

»Mit traurigen Gefühlen darf man nicht in die Ehe treten«, warf Frau Mößler ein. »Du würdest dann besser daran tun, Junggeselle zu bleiben; aber du wirst glücklich werden, wenn du recht klug und vernünftig bist. Sieh' dir Friedrich Clément an.«

»Mein Gott,« entgegnete Valentin, »warum hast du mir nicht angetragen, seine Frau zu heiraten, die hätte mir gepaßt.«

»In meiner Gegenwart dieses Bekenntnis abzulegen, das ist wirklich etwas stark,« rief Frau Clément, »und ich mache mich aus dem Staube, um nicht noch mehr zu hören.«

»Trachten Sie Witwe zu werden, und alles wird sich auf das vorteilhafteste in Einklang bringen lassen – ich werde warten.«

»Er ist verrückt«, sprach Céline lachend zu Frau Mößler, indem sie sich entfernte.

Sechs Wochen später vermählte sich der Graf Coutras mit Fräulein v. Pierremont, und es rief ganz und gar nicht den Eindruck hervor, als ob er damit ein schweres Opfer bringe. Die Braut mit dem klaren, intelligenten Geiste, der überlegenden Vernunft gewann bald Einfluß auf ihn, und er wäre geneigt gewesen, zu beschwören, daß er aufrichtig in sie verliebt sei, als er an ihrer Seite die Kirche des heiligen Philipp de Roule verließ. Die Hochzeitsreise, welche das junge Paar nach Spanien unternahm, dauerte drei Wochen, und Valentin fing an, sich während dieser Zeit ganz greulich zu langweilen. Sevillas Pracht ließ ihn ebenso kalt wie jene von Cordova und Madrid; er nahm den Eindruck mit sich nach Hause, daß das spanische Volk ebenso traurig wie unreinlich sei, daß es schlechte Küche führe und die unbequemsten und langsamsten Eisenbahnen von ganz Europa in Spanien zu finden seien. Von den Frauen sprach er gar nicht; obwohl er jenseits der Pyrenäen manche andere betrachtet hatte, als nur seine Frau allein, besaß er doch den gutem Geschmack, darüber zu schweigen.

Nach Paris zurückgekehrt, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus und schien sich in seiner prächtigen Behausung der Avenue Friedland vollkommen glücklich zu fühlen; er zeigte sich nicht im Klub, vergaß das Bakkaratspiel und richtete sich einen Fechtsaal in seinem Palais ein, in welchem er jeden Morgen um zehn Uhr die besten Fechter von Paris empfing. Seine Frau machte ihn durch ihren wahrhaft vornehmen Salon Konkurrenz, in welchem sich binnen kürzester Zeit ein geistig bedeutender, künstlerischer Kreis zusammenfand, bei dem Aufnahme zu finden sich jeder zur Ehre anrechnen mußte. Man wurde aber nicht leicht zu demselben zugezogen; jene auserlesene Gesellschaft, welche sich da fast täglich zusammenfand, sprach es unverhohlen aus, daß sie durchaus keine Lust in sich verspüre, sich von einem zu großen Kreise überfluten zu lassen. Die Gräfin, welche nur mit wenigen Bevorzugten gerne Umgang pflegte, stimmte ihren Freunden bei, und ihr Salon wurde somit bald nur mehr die Kapelle der Avenue Friedland genannt.

Der Hohepriester dieser Kapelle war Vignot, der berühmte Komponist, welcher der Gräfin Coutras die größte Verehrung entgegenbrachte. Der Romanschriftsteller Dauziat erzählte dort die reizendsten Episoden, welche er niederzuschreiben beabsichtigte, und die von dem Maler Feraud mit dem Pinsel auf die Leinwand gezaubert wurden. Um diese drei hervorragenden Männer gruppierte sich nach und nach ein ganzer Kreis von Künstlern, und selbst der berühmte Schauspieler Baradan ließ sein Licht gerne im Salon der Avenue Friedland leuchten.

Valentin selbst zeigte sich nur zuweilen in den Kreisen seiner Frau. Er liebte Schriftsteller nicht absonderlich, er haßte sogar die Musiker, Maler mochte er jedoch nicht ungerne leiden. Er war liebenswürdig gegen alle Welt und schien großen Wert auf die Künstlerdiners zu legen, welche seine Gemahlin alle Samstag veranstaltete. Sie besaß den seltenen Takt, sich nicht als inspirierende Muse hinstellen zu wollen, sondern nur ihre Talente als Hausfrau entsprechend zur Geltung zu bringen. Mit anmutiger Einfachheit empfing sie all ihre Gäste, verstand es, den Künstlern ihr Haus behaglich zu machen, so zwar, daß auch die übrigen Freunde sich doppelt wohl fühlten, wenn sie sahen, daß die Künstlernaturen sich rückhaltlos so gaben, wie nun einmal ihre natürliche Veranlagung war. Niemals aber hatte es den Anschein, als ob sie mit den hervorragenden Spitzen des geistigen Lebens, welche ihr Haus besuchten, besonderen Staat machen, als ob sie dieselben gewissermaßen zur Schau stellen wolle.

In ihrem Salon tat ein jeder, was ihm behagte; Vignot, welcher ein vortrefflicher Erzähler war, berichtete von seinen Eindrücken im Seminar zu Rom, denn er hatte einst davon geträumt, Priester werden zu wollen, ehe er seine leidenschaftliche Musik komponiert hatte. Feraud zeichnete an irgendeiner Tischecke, während Dauziat seine Verse zu Papier brachte. Der Salon Coutras war eine Art Dekameron, wo ein jeder sich nach eigenem Vergnügen beschäftigen konnte, aber nur unter der Voraussetzung, daß er mit den übrigen auf intimem Fuße stand, denn sobald ein Fremder sich einschlich, um der Dame des Hauses seine Huldigung darzubringen, waren alle Anwesenden wie gelähmt.

Friedrich Clément und seine junge Frau gehörten gewissermaßen zu den Stammgästen; der alte Vignot inszenierte ein harmloses Kokettieren mit der schönen Céline und verstand es, alle seine musikalischen Verführungskünste zur Geltung zu bringen. Er ging von Mozart auf Wagner über, fügte auch seine eigenen Partituren hinzu, durch welche er sein Auditorium auf den höchsten Gipfel der Kunst zu versetzen pflegte. Niemals sprach irgendeine Menschenseele mit so großer Begeisterung vom göttlichen »Don Juan« und dessen reichen melodischen Klängen wie er. Feraud selbst, welcher diese Schöpfung als das Meisterwerk des Spinetts zu bezeichnen pflegte, war durch seine Leistungen verblüfft. Wenn der große Musiker, seinen mächtigen weißen Bart bewegend, mit verklärtem Blick alle menschlichen Schmerzen auf dem Klavier zum Ausdruck brachte, hielt sogar Dauziat in seinen Träumen inne, fing er an, Zweifel zu hegen an den neuen Theorien Wagners. Valentin allein fand den alten Komponisten unausstehlich; er behandelte ihn wie einen Aufschneider und Betrüger und erntete deshalb von seiner Gemahlin und Frau Clément die heftigsten Vorwürfe. Er pflegte dann lachend zu erwidern:

»Ihr versteht vielleicht, was er sagt, was er spielt und singt, ich aber verstehe es nicht. Ich denke, man muß von frühester Kindheit an dazu gedrillt worden sein, diese musikalische Gymnastik zu erfassen. Ihr behauptet, daß die Melodien Sinn und Symphonie verraten; ich hingegen finde, sie sind nur ein widerwärtiges, lärmendes Geräusch. An dem Tage, an welchem alle Welt die musikalische Sprache begreifen würde, ist es um den Ruhm der Musiker geschehen; man wird dann bemerken, daß sie die Noten aneinanderreihen und daß der Zusammenhang der ganzen Geschmacklosigkeit fehlt. Meine Mutter hat mich, als ich noch jung war, zuweilen mit sich ins Konservatorium genommen; um der Langeweile aus dem Wege zu gehen, welche sich meiner bemächtigte, las ich das Programm, las ich die Erläuterungen, welche der Komponist zu seiner Musik hinzufügte. Mein Gott, ich fand dann immer, daß die Melodien nach einer solchen Erklärung noch unverständlicher seien als vorher.«

»Ja,« fiel ihm Frau Friedrich Clément heiter ins Wort, »der junge Poet kehrt nach einer Eifersuchtsszene nach Hause zurück und schläft ein; er träumt, daß er zum Tode verurteilt sei, daß man ihn aufs Schafott führe, daß man ihn hinrichte, und er hört, wie der Trauermarsch gespielt wird, welcher diesen Akt begleitet. Nun, lieber Graf, dieser Stoff ist im Grunde genommen nicht törichter als irgendein anderer.«

»Und mir sagt die Musik, wenn ich den Text nicht gelesen habe, der bei derselben angegeben ist, vielleicht etwas ganz anderes. Ein guter Bürger kehrt, nachdem er im Restaurant ein feines Diner eingenommen, etwas angeheitert nach Hause zurück; er zündet mit seiner Kerze die Bettvorhänge an und schlägt Feuerlärm; die Löschmannschaft kommt hinzu, die Dampfspritzen lassen ihre abscheulichen Trompeten erklingen und das Sturmläuten schallt durch die Lüfte. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß die Musik für jenes Thema sich ebensogut eignet wie für dieses; wünschen Sie noch ein drittes? Während die Frauen des Negerherrschers nach der Bambusflöte singen –«

»Um des Himmels willen, Valentin, halt' ein! Du wirst in den Augen meiner jungen Freundin geradezu hassenswert erscheinen«, rief Frau Mößler.

»Ich schweige; ich wollte Ihnen nur den Beweis liefern, daß auch ich eine Ansicht habe, die nicht zu unterschätzen ist.«

»Im Grunde genommen«, gestand Frau Friedrich Clément zu, »muß man Sie loben, weil Sie überhaupt eine selbständige Ansicht haben, wenn diese auch irrig ist. Es gibt so viele Gecken, welche sich zu immer größerem Enthusiasmus hinreißen lassen, je weniger sie das verstehen, was sie zu bewundern vorgeben. Mir ist ein aufrichtiger Mäkler immer lieber, als ein Fanatiker auf Kommando; Vignot bleibt aber trotzdem ein Mann von Genie.«

»Reden wir nicht weiter von ihm.«

Solange die kleinen Scharmützel zwischen Céline und Valentin nur das Gebiet der Musik berührten, gab sich die junge Frau denselben mit dem ganzen Freimut ihrer Natur hin. Sie empfand nicht die geringste Unruhe. In dem Tone und in dem Wesen des Grafen Coutras lag so viel kameradschaftliche Natürlichkeit, daß jeder Hintergedanke an ein galantes Abenteuer ausgeschlossen zu sein schien; meistens war auch Henriette Zeugin bei diesen Kämpfen. Alles verlief so harmlos als nur irgend möglich, und Valentin war seiner Frau gegenüber sehr aufmerksam; er erwies ihr tausenderlei kleine Rücksichten, und niemand wäre berechtigt gewesen, anzunehmen, daß er sie nicht zärtlich liebe.

Zwei Jahre hindurch fand keine namhafte Veränderung in der Situation statt. Der Graf und die Gräfin Coutras lebten wie die Mehrzahl der Leute in ihren Kreisen, vielleicht etwas intelligenter, dank der feinen Geschmacksrichtung Henriettes und dank der überaus weitgehenden Großmut Frau Mößlers; doch die gleichen Rahmen umgaben die gleichen Bilder. Das junge Paar besaß seine Jacht, welche es zu Meerfahrten benutzte; es lebte auf dem Schlosse Sauvigny zu den Zeiten, in welchen man dem Wild nachstellte; während des Winters hauste man in Paris, machte vielleicht einen kleinen Abstecher nach Cannes und ließ die »Afrika« stets vor Anker liegen, da sie immer bereit sein mußte, auf den Befehl ihres Eigentümers in See zu stechen.

Henriette war allem Anscheine nach mit ihrem Schicksal zufrieden. Valentin war heiter und guter Laune, aber man durfte das kein sicheres, dauerhaftes Glück nennen. Zwischen den Eheleuten gab es nicht das rechte Band der Zärtlichkeit, nicht jene gleiche Geschmacksrichtung, welche die beiden unlöslich aneinanderketten konnte; sie war geistig zu bedeutend, um sich lange in Illusionen über den moralischen Wert ihres Mannes einzuwiegen; er hingegen besaß zu viel Leichtsinn, um den edlen Ernst seiner Lebensgefährtin entsprechend zu würdigen. Sie mochten sich gerne leiden, weil sie beide jung und schön waren, weil sie einander gefielen, aber diese Zärtlichkeit besaß bei dem Manne nur die Dauer einer flüchtigen Laune, konnte bei der Frau nach der ersten Enttäuschung nicht mehr bestehen. Nicht lange währte es, so betrog Valentin seine Frau. Diese bemerkte es bald, und da sie stolz war, gewährte sie dem Gatten eine Freiheit der Bewegung, welche zu mißbrauchen er keinen Anstand nahm.

Eines Abends, als Frau Friedrich Clément mit ihrem Gatten im Vaudeville-Theater einer Premiere beiwohnte, sah sie in einer Proszeniums-Loge eine sehr hübsche dunkelhaarige Frau, welche vom ersten Augenblicke an ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Im Zwischenakte trat der Graf Coutras bei der Fremden ein; sie bot ihm in einer Weise die Hand, welche dartat, daß sie sehr viel mit ihm verkehren müsse, und wendete alsbald ihre ganze Aufmerksamkeit wieder dem Stücke zu. Valentin nahm inzwischen Platz und blickte mit seinem Opernglase in dem gutbesetzten Hause umher. Als er Herrn und Frau Clément ansichtig wurde, ließ er das Glas sinken und wich in den Hintergrund der Loge zurück. Frau Friedrich fühlte, wie ihr das Blut zu Kopfe stieg, wie eine seltsame Ungeduld sich ihrer bemächtigte. Sie neigte sich ihrem Gatten zu und flüsterte leise:

»Hast du den Grafen gesehen?«

»Gewiß.«

»Wer ist denn die Dame, in deren Loge er sich befindet?«

»Fräulein Adrienne Corail vom Varieté-Theater.«

»Eine Komödiantin?«

»Allerdings, in ihren Mußestunden.«

Céline betrachtete ihren Gatten überrascht.

»Wie kommt es, daß du so wohlunterrichtet bist?«

»Mein Gott, liebes Kind, wenn man auch nur ein Geschäftsmann ist, so kennt man Paris deswegen doch, überdies genügt ein zeitweiliger Spaziergang auf den Boulevards, um Fräulein Corail zu kennen. Man steht ihr Bild in der Auslage eines jeden Photographen in allen nur möglichen Stellungen und Toiletten aus den verschiedensten Rollen und aus ihrem Privatleben.«

»Und der Graf zeigt sich öffentlich mit dieser allem Anscheine nach nur zu bekannten Dame?« –

Frau Friedrich Clément schwieg eine Weile, dann griff sie nach ihrem Opernglase und musterte aufmerksam ihr Gegenüber.

»Sie ist auffallend hübsch«, sprach sie endlich.

»Das ist kein Grund, der ihm die Berechtigung gibt, so viel mit ihr zu verkehren.«

»Man glaubt also, daß die beiden in sehr intimen Beziehungen zueinander stehen? Arme Henriette!«

»Mein Gott, diese oder eine andere, das ist im Grunde genommen einerlei. Valentin gehört nicht zu jenen Menschen, welche sich durch den Zauber der Schönheit, durch die Vorzüge des Geistes, durch den Edelmut der Empfindungen dauernd fesseln lassen; seine Laune hascht nach Unvorhergesehenem, nach Niedrigem, nach der Würze des Lasters. Seiner Frau gegenüber ist der Graf Coutras zu einem gewissen Dekorum genötigt, er muß das, was er spricht und tut, überlegen und bewachen; bei der kleinen Corail kann er sich gehen lassen, und die Männer haben zuweilen solchen Hang nach Ungebührlichem.«

»Du aber, Friedrich,« warf die junge Frau ein, »du bist nicht gleich solchen Männern?«

»Wer weiß, vielleicht hat sich mir nur noch keine Gelegenheit dazu geboten.«

»Wie – Ungeheuer, du willst mich glauben machen, daß du solcher Schlechtigkeit fähig wärest?«

»Ich behaupte es nicht und leugne es auch nicht. Gewiß sein, daß ein Mann keine Torheiten begeht, das kann man wohl erst nach seinem Tode.«

Einige Tage später ging Frau Friedrich Clément durch die Avenue Friedland und beschloß, ihre Freundin, die Gräfin Coutras, aufzusuchen; sie fand dieselbe in einem kleinen Salon im Halbdunkel, da man die Stores an den Fenstern niedergelassen hatte. Die Gräfin erhob sich beim Eintritte der jungen Frau, warf rasch ihr Taschentuch auf einen kleinen Tisch, welcher in ihrer unmittelbaren Nähe stand, und rief, rasch auf sie zueilend, in sichtlich erregtem Tone:

»Welch glücklicher Zufall führt dich hierher?«

»Ich fragte im Vorübergehen, ob du zu Hause seiest, man bejahte mir das, und so bin ich eingetreten. Hast du vielleicht die Absicht, auszufahren, so benutze meinen Wagen.«

»Nein, ich fühle mich etwas unwohl und bleibe zu Hause.«

»Es ist wahr; ich bemerke erst jetzt, daß du ganz verstört aussiehst. Sollte sich irgend etwas Unangenehmes zugetragen haben?«

»Nichts, ich kann dich dessen versichern.«

Während die Gräfin diese Worte sprach, traten aber Tränen in ihre Augen.

»Ah! Was soll das heißen? Du versuchst mich zu täuschen, mein liebes Kind«, warf Céline ein. »Hegst du keine Freundschaft mehr für mich? Oder habe ich plötzlich dein Vertrauen verscherzt? Ich finde es sehr unrecht von dir, Geheimnisse vor mir zu haben.«

Die stolze Frau schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Ich bin eine Törin, da es mir nicht gelungen, mich besser zu beherrschen. Die Kümmernisse, welche ich habe, sind rein persönlicher Natur; ich soll und will niemanden damit langweilen. Freilich muß ich gestehen, daß sie mir gänzlich unerwartet gekommen sind, daß der Schlag, welchen man gegen mich geführt, mich deshalb mit doppelter Grausamkeit getroffen.«

»Aber um was handelt es sich denn?«

Frau von Coutras ging auf den kleinen Tisch zu, nahm eine Photographie und einen Brief, welche sie mit ihrem Taschentuch bedeckt hatte, und bot beides Frau Friedrich Clément dar.

»Da, sieh dir dieses Bild an und lies!«

Auf den ersten Blick erkannte Céline das Porträt des Fräuleins Corail; sie trug eine lange griechische Tunika, welche tief ausgeschnitten war und weite Aermel hatte, so daß die tadellosen Formen ihrer Arme vorteilhaft zur Geltung kamen; auch sah man ihren ausnehmend hübschen Fuß. Unter der Photographie stand zu lesen: »Adrienne Corail des Varieté-Theaters als Hebe«.

Die beiden jungen Frauen sahen sich ein paar Sekunden lang ernst und traurig in die Augen, dann umspielte ein wehmütiges Lächeln Henriettes Lippen, während sie sprach:

»Nun lies den Brief. Man hat mir keinerlei Illusion lassen wollen.«

Das Schreiben hatte den gewöhnlichen falschen, dummen und frechen Inhalt der anonymen Briefe; es verriet der Gräfin die Beziehungen ihres Gatten zu der hübschen Schauspielerin; es war das niedrige Machwerk irgendeiner eifersüchtigen Berufsgenossin, welche dem Fräulein Corail den Reichtum und Aufwand neidete, den sie selbst nicht machen konnte; vielleicht auch die Rache irgendeines Verehrers, den sie vor die Tür gesetzt, um Valentin durch seine Anwesenheit nicht zu reizen – jedenfalls hatte das Gift seine schädliche Wirkung nicht verfehlt.

»Bist du aber auch ganz sicher, liebe Freundin, daß dieser unwürdige Brief nicht ein Lügengewebe sei?«

»Ganz gewiß; er stimmt mit all meinen Bemerkungen überein und bestätigt jenen Verdacht, welchen ich schon seit langem gehegt. Das Wesen meines Gatten hat eine bedeutende Wandlung erfahren. Ich besitze längst das Gefühl, daß zwischen ihm und mir eine Entfremdung stattgefunden, wenn ich auch nie gewußt, woher dieselbe rühre; ich fühlte seine Untreue, ohne sie ihm beweisen zu können. Ein untrüglicher Instinkt hat mir dieselbe gesagt, noch bevor man sich die Mühe genommen, sie mir zu verraten; ich glaube, daß ich so ziemlich anzugeben imstande sein würde, seit wann die Untreue meines Gatten zur Wirklichkeit geworden. Trotz der Hochachtung und Artigkeit, welche er mir gegenüber an den Tag legte, schien mir Valentin mit einem Male vollständig umgewandelt. Er war nicht mehr der aufmerksame, zärtliche Gatte, welcher er bisher gewesen, sondern ein höflicher, dienstbereiter Fremder. Sein ganzes Wesen flößte mir eine gewisse Kälte ein, aber ich verstand nicht, wo dieselbe herrühre; jetzt freilich ist mir alles nur zu deutlich klar geworden.«

»Und was gedenkst du zu tun? Wirst du es zu einer Auseinandersetzung mit ihm kommen lassen?«

»Niemals! Wenigstens niemals aus freien Stücken. Es gibt Worte, welche vor ihm auszusprechen ich erröten würde und die zu hören mir Abscheu einflößen müßte. Ich bin nicht der Charakter, welcher sich leicht in Klagen ergeht, und würde mich schämen, wenn die Untreue meines Gatten mich dazu veranlassen könnte, meiner Heftigkeit die Zügel schießen zu lassen; ich schweige lieber und werde nichts Derartiges tun. Vielleicht kann ich auf diese Art wenigstens meine Würde wahren, und das wäre mir auch schon etwas wert.«

»Und Frau Mößler?«

»Vor ihr möchte ich in allererster Linie verbergen, was ich weiß. Sie würde sich noch schmerzlicher berührt fühlen als ich, und in meinen Augen ist sie eine tadellose Frau, welche ich von ganzem Herzen liebe. Sie wollte mein Glück; ist es ihr nicht gelungen, mir dasselbe zu sichern, so kann sie keine Schuld treffen.«

»Kann ich irgend etwas für dich tun in dieser ganzen tragischen Angelegenheit?«

»Nichts, als mir mein Geheimnis wahren.«

Frau Friedrich Clément hielt Wort und erwähnte die Entdeckung, welche sie gemacht, nicht einmal ihrem Gatten gegenüber; nur im Verkehr mit Valentin glaubte sie nicht zu der gleichen Diskretion gezwungen zu sein. Als er an einem Samstagabend noch ungeduldiger als gewöhnlich eine lange Abhandlung Baradans über die Pflichten der Künstler gegen das Publikum anhörte, nahm sie an der Seite des Grafen Platz und fragte, indem sie ihn mit ihren klugen Augen verstohlen betrachtete:

»Sie unterhalten sich allem Anscheine nach nicht sonderlich?«

»Offen gestanden, nein. Dieser Baradan mag der geistvollste aller Menschen sein, wenn er die Ideen anderer versinnbildlicht; bringt er aber seine eigenen zum Ausdruck, dann ist er der unerhörteste Aufschneider. Der Komödiant gehört auf die Bühne, er soll aber auch dort gelassen und nicht in den Salon geführt werden.«

»Wenn es sich um eine Komödiantin handeln würde, wären Sie wahrscheinlich in Ihren Anschauungen viel nachsichtiger.«

»Ich glaube kaum.«

»Lassen Sie's nur gut sein; wenn plötzlich ein sehr hübsches Mädchen hier eintreten würde, sagen wir beispielsweise Fräulein Corail –«

Valentin zuckte zusammen und betrachtete die junge Frau mit forschendem Gesichtsausdruck.

»Warum gerade sie?«

»Weil ich glaube, daß sie sich Ihrer besonderen Sympathie erfreut.«

»Und wie kommen Sie auf diesen Einfall?«

»Durch die Beharrlichkeit, mit welcher Sie ihr alle möglichen Aufmerksamkeiten erweisen.«

»Das tue ich gar nicht«, entgegnete der Graf mit abweisender Kälte.

»Dann wäre also sie es, welche diese Aufmerksamkeiten Ihnen entgegenbringt?«

»Ich kenne die Dame gar nicht, von welcher Sie sprechen.«

Wortlos blickten die beiden einander eine Weile in die Augen, dann sprach Frau Clément in vorwurfsvollem Tone:

»Es ist nicht hübsch, zu lügen; ich habe Sie erst vor einigen Tagen in der Theaterloge bei jener Dame gesehen. Wenn Sie nicht wollen, daß man wisse, mit wem Sie verkehren, dann müssen Sie sich besser verbergen.«

Valentin schwieg einen Augenblick, sein Gesicht nahm einen träumerischen Ausdruck an, dann beugte er sich zu Céline nieder und sprach leise:

»Wenn Sie Fräulein Adrienne gesehen haben, dann dürfte es Ihnen auch kaum entgangen sein, wie sehr ähnlich sie Ihnen ist.«

Das Blut stieg Frau Friedrich Clément zu Kopfe, und indem sie sich erhob, sprach sie in spöttischem Tone:

»Sie sind schlecht orientiert, mein Herr; Sie ahnen nicht wie viel besser ich bin als jene.«

»Ganz richtig«, entgegnete Valentin kalt; »kann man aber ein Original nicht besitzen, so muß man sich wohl mit einer guten Kopie begnügen.«

Die junge Frau antwortete nicht; sie wendete sich vielmehr auf dem Absatze um und entfernte sich mit raschen Schritten. An diesem Abend kam der Kreis im Salon der Gräfin Coutras nicht zu einer der gewöhnlichen Gesellschaften zusammen: es war eine besondere Anziehungskraft in Aussicht gestellt, welche alle Freunde der Gräfin veranlaßt hatte, ja recht pünktlich zu erscheinen.

Ein neuer Gast sollte eingeführt werden, der die Aufmerksamkeit in vollstem Maße verdiente, welche man ihm von allem Anfange an entgegenbrachte. Es handelte sich um Oberst Redel, den berühmten Erforscher des Königreiches Bornu, der sich durch seine Verdienste in Tonking und Dahomey schon rühmlich bekannt gemacht hatte. Nach seiner heldenmütigen Verteidigung von Nam-Byhm mit vierunddreißig Jahren zum Bataillonskommandanten ernannt, war er nach seiner Rückkehr von Bahanzyn zum Oberstleutnant befördert worden. Seinem unermüdlichen Eifer genügte das Garnisonleben nicht; er hatte sich zur Mission nach Bornu freiwillig gemeldet, und nach blutigen Kämpfen gegen die Neger gelang es ihm, den Tschad-See zu umzingeln, Baghirmi gründlich zu durchforschen und Dokumente von beispiellosem Wert als Beute mit heimzubringen. Er war ein Mann von neununddreißig Jahren, mittelgroß, dunkel gefärbt, mit kaltem Gesichtsausdruck, aber trotzdem glühenden, unergründlichen Augen, aus denen eine Heldenseele zu sprechen schien. Frau Mößler führte ihn im Salon Coutras ein. Redel war der Sohn einer ihrer Jugendgespielinnen, welche gleich ihr nach der Annexion von Elsaß ausgewandert, und die sie vollständig aus dem Gesicht verloren hatte.

Der Zufall der Geschäftsverbindungen in Transvaal hatte die beiden wieder in Berührung gebracht, und Frau Mößler sah sich in die Lage versetzt, ihrer einstigen Jugendfreundin einen Dienst zu erweisen. Nun lebte Frau Redel schwer krank in einem alten Palais in Versailles und suchte nach besten Kräften für ihren Sohn Ersparnisse zu machen. Als dieser den Salon Coutras betrat, bemerkte man sehr bald, daß die allgemeine Aufmerksamkeit sich heute nur ihm zuwenden werde, und daß die übrigen Sterne, welche sonst am gesellschaftlichen Himmel der Gräfin Coutras leuchteten, in nichts versinken würden neben diesem Meteor von seltener Größe. Der martialische Kopf Redels schien durch die Wüstenstürme dunkel gebeizt zu sein; sein Schnurrbart war rabenschwarz; in seinen Zügen lag der Ausdruck hohen Mutes, und aus seinen Augen sprach eine ruhige Energie, welche nicht verfehlen konnte, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Frau Mößler stellte ihn in jener einfachen Weise vor, welche seinem Werte und seiner Bedeutung am allerbesten entsprach; er war liebenswürdig ohne Affektion und redete mit jedem der anwesenden Künstler in einer Art, welche dartat, daß er Verdienste zu würdigen verstand; der einzige, gegen welchen er Kälte bekundete, war der Herr des Hauses. Mochte es nun überlegte Vorsicht oder unwillkürliche Schüchternheit sein, jedenfalls ließ es sich nicht in Abrede stellen, daß er sich vor dem Grafen nur mit kaltem Anstande verneigte und ein paar gleichgültige Worte murmelte. Valentin selbst, der so leichtlebig war und es so gut verstand, sich mit anmutig einschmeichelnder Grazie zu bewegen, dabei auch Worte zu sprechen, die in ihrer Banalität gar keinen Wert besaßen und doch hübsch klangen, blieb Oberst Redel gegenüber kalt und zurückhaltend. Baradan, welchem Redel die wärmsten Lobsprüche gespendet, deren Aufrichtigkeit man förmlich fühlte, neigte sich gegen Feraud und flüsterte diesem zu:

»Mit dem Hausherrn wird er nicht recht fertig.«

»Nein,« erwiderte Feraud, »der eine ist zu oberflächlich, der andere zu ernst, das läßt sich naturgemäß nicht gut in Einklang zu bringen. Aber sehen Sie nur diesen schönen Kriegerkopf; ich bin gerne bereit, sein Porträt zu malen, wenn er sich nur dazu herbeiläßt.«

»In der Uniform, mit der Brust voll Orden?«

»Nein, das wäre ja eine ganz theatralische Idee, ohne Dekorationen und ohne Gallonen, in seinem Forscheranzug, mit der korkgefütterten Sturmhaube; das Kolorit des Cordowaleder bildet einen hübschen Kontrast zu der lichten Kopfbedeckung, nicht wahr?«

»Gewiß. Sie werden einen ebenso großen Erfolg damit erzielen als mit jenem Bilde, in welchem Sie mich als Ruys Blas dargestellt haben.«

Redel hatte an der Seite der Gräfin Platz genommen und plauderte mit ihr von seiner letzten Expedition, aber er redete nur kurze Zeit davon und hatte, indem er es tat, nur den Wünschen Frau Mößlers nachgegeben, welche sein Licht gerne leuchten lassen wollte. Mit einer geschickten Wendung verstand er es bald, auf andere Gegenstände überzugehen; er plauderte mit Vignot über Musik und wußte in der einfachsten Weise, durch seine poetischen und feinen Gedanken, den alten Künstler zu entzücken. Plötzlich trat dieser, ohne daß man ihn darum gebeten, an das Klavier und spielte, gewissermaßen um seine Ansichten zu versinnbildlichen, Beethoven, so wie nur er allein den Meister wiederzugeben imstande war. Dann wurde das Gespräch von neuem aufgenommen, zuweilen durch die Produktion des einen oder des andern Musikstückes unterbrochen, und Redel war in allem so wohlunterrichtet, so verständnisvoll, daß es den Eindruck machte, als habe er diesem Kreise, in welchem er heute zum ersten Male erschien, von jeher angehört. Er spielte selbst afrikanische Weisen von packender Originalität, und während diese Harmonien den Salon durchklangen, glaubte man unter den von der niedergehenden Sonne geröteten Palmenbäumen, zwischen den Bananengruppen, die mit ihren Spießen und Schildern bewaffneten wilden Krieger zu sehen, welche den Nationaltanz aufführten, um ihren Häuptling damit zu belustigen.

Redel besuchte die Gräfin häufig. Dieser Einsiedler, welcher der Welt entflohen und anfangs nur davon gesprochen hatte, wie lästig es ihm sei, in Paris bleibenden Aufenthalt nehmen zu sollen, wie sehr er den Wunsch hege, der Hauptstadt den Rücken wenden zu können, zeigte sich plötzlich in den Salons und nahm einen Posten im Kriegsministerium an, durch welchen er mindestens zwei Jahre lang an die Hauptstadt gefesselt blieb. Als Vorwand für diesen Gesinnungswechsel gab er die Tatsache an, daß seine Mutter alt und kränklich sei, daß sie ihn gerne bei sich behalten wolle und ihm hinlänglich Zeit erübrige, die Wüste zu durchstreifen, wenn er einmal wirklich allein stehe. Man lauschte seinen Worten, ohne denselben zu widersprechen, und ein jeder glaubte davon so viel, als ihm gerade paßte. Jene Menschen, welche sich immer nicht wenig darauf einbilden, gut unterrichtet zu sein, erklärten, daß der Minister Redel in seiner Nähe habe behalten und ihm einen großen Generalstabsposten anvertrauen wollen, weil er in ihm einen der hervorragendsten künftigen Armee-Oberkommandanten sehe. Andere, welche stets so tun, als ob sie nichts wissen und nichts begreifen, raunten sich heimlich zu, Redel habe sich so leidenschaftlich in Frau v. Coutras verliebt, daß er den Gedanken an eine Trennung von ihr nicht ertragen könne.

Henriette führte das gewohnte geistig rege Leben nach wie vor weiter. Sie verbarg ihre Schmerzen, wenn sie solche besaß, mit großer Geschicklichkeit, zeigte ihren Freunden stets ein frohes Gesicht, war anmutig und nachsichtig gegen den Gatten und erreichte es offenbar, in die fieberhafte und stets erregte moderne Gesellschaft die köstliche epikuräische Ruhe früherer Zeiten einzuführen. Graf Valentin seinerseits war zu allen Torheiten seines Junggesellenlebens zurückgekehrt; er gab sich denselben mit größtem Eifer hin, eben weil er ihnen eine Zeitlang ferngeblieben war.

Einen Zwischenfall, welchen er mit Frau Friedrich Clément gehabt und der einen gewissen Einfluß auf ihre gegenseitige Stellung ausübte, trug nicht wenig dazu bei, ihn wieder zu jenem lockeren Zeisig werden zu lassen, welcher er früher gewesen. Das Kriegsgeplänkel, welches schon seit langer Zeit zwischen ihm und Céline bestand, war wohl an sich so unbedeutend, daß die junge Frau glaubte, es fortführen zu können, ohne sich in ihren eigenen Augen zu kompromittieren; in den letzten Monaten aber nahm dasselbe zuweilen einen so beleidigenden Charakter an, daß Frau Friedrich nicht umhin konnte, ernstlicher darüber nachzudenken. Sie fühlte sich dem Grafen Coutras gegenüber nicht mehr so ganz sicher; der gute Kamerad, welcher harmlos mit ihr kokettiert hatte, verwandelte sich zuweilen in einen kühnen Ritter, der sich in gewagter Huldigung gefiel und die Gelegenheit zu derselben suchte.

Sie fing an, Valentins Absichten zu erraten, und seit sie begriff, daß sie länger, als gerade unumgänglich notwendig gewesen wäre, mit dem Feuer gespielt habe, zog sie sich vorsichtig zurück und wagte nichts mehr. Sie vermied jedes intimere Gespräch, jedes höfliche Scharmützel, jede spöttische Diskussion über dies oder jenes. Sie verstand es, den Grafen in gemessener Entfernung zu halten. Seit dem Tage, an welchem er die Kühnheit gehabt, ihr zu erklären, er huldige dem Fräulein Corail nur, weil dieses ihr ähnlich sehe, hatte sie nur mehr in größerem Kreise mit erhobener Stimme, so daß alle es vernehmen konnten, mit ihm gesprochen. Sie stellte sich sogar die Frage, ob sie nicht vollständig jeden Verkehr mit ihm abbrechen solle, aber sie würde dann gezwungen gewesen sein, ihrem Gatten, ihrem Schwiegervater und Frau Mößler Erklärungen abzugeben und der Gräfin dadurch neuen Schmerz und neue Demütigung zu bereiten. Aufregungen, Szenen, Skandale, ja Haß und Rachedurst vielleicht gingen aus einem unglückseligen Nichts hervor, welches im Grunde genommen ja keine Folgen haben konnte. Sie hielt sich für sehr klug, wenn sie derlei Unannehmlichkeiten auswich, aber sie legte in ihrem Benehmen gegen Valentin mit voller Absicht die größte Kälte an den Tag; Henriette bemerkte es und stellte ihre Freundin zur Rede.

»Es ist nichts,« beteuerte Frau Friedrich Clément, »der Graf hat mich einmal mit irgendeinem schlechten Witz geärgert, ich habe ihn zurechtgewiesen, und er grollt mir nur; es wird vorübergehen.«

Und es ging vorüber. Der Graf grollte nicht lange, ja er verdoppelte sogar seine freundschaftlichen Aufmerksamkeiten der jungen Frau gegenüber; er benahm sich so, als ob er ihr, um ihr sein Vertrauen zu beweisen, intime Mitteilungen mache, nach denen sie nicht fragte, die sie aber doch belustigten, wenn sie sich auch stets in der Defensive verhielt und bereit war, im Falle der Not das Kriegsgeplänkel wieder aufzunehmen. Nie gestattete sie ihm, sich an ihrer Seite niederzulassen, und nur ganz flüchtig durfte er dieses und jenes mit ihr plaudern. Eines Tages fand er aber doch ein Gesprächsthema, welches sie sehr gerne weiter erörtert haben würde, wenn sie den Mut dazu besessen hätte. Während Oberst Redel im Salon lebhaft mit der Gräfin plauderte, war Valentin an Céline herangetreten und hatte ihr mit mürrischem Gesichtsausdruck »guten Abend« gewünscht, da er im Begriffe stehe, sich zu entfernen. Frau Friedrich Clément schien überrascht.

»Wie,« hatte sie mit einigem Befremden geforscht, »Sie verlassen Ihr Haus, wenn Sie Gäste haben?« »Wird denn meine Anwesenheit überhaupt bemerkt?«

»Die Gräfin dürfte dieselbe doch wohl bemerken.«

»Meinen Sie? Ich dächte, ihre Augen seien nach anderer Seite hin allzusehr in Anspruch genommen.«

»Was sollen diese Worte bedeuten?«

»Nichts als das, was Sie selbst hinlänglich beobachten können.«

Er wies bei diesen Worten mit den Blicken nach seiner Frau hinüber, welche angelegentlich mit Oberst Redel konversierte.

»Sie würden wirklich verdienen, daß sich Henriette im Geiste mehr mit anderen befassen würde als mit Ihnen«, sagte Frau Friedrich lebhaft.

»Ich danke verbindlichst.«

»Sie haben alles getan, wodurch es Ihnen nach aller menschlichen Voraussicht hätte gelingen müssen, ein solches Resultat zu erzielen; aber Ihre Frau ist zu ehrlich.«

»Anfangs gibt sich jede Frau den Anschein, der höchste Inbegriff der Ehrlichkeit zu sein.«

»Jene Frauen, mit welchen Sie in der Regel verkehren, besitzen diese Tugend wohl eigentlich nicht – freilich sind sie aber auch zumeist von niederer Herkunft.«

»Sie haben immer noch die arme Adrienne Corail im Sinne, wenn Sie solche Worte reden; aber ich habe längst aufgegeben, mit ihr zu verkehren, ich kenne sie kaum mehr.«

»Was Sie nicht sagen.«

»Von dem Tage an, da Sie mir zu verstehen gaben, daß Sie meinen Geschmack nicht begreifen, habe ich dem Umgang mit ihr entsagt.«

»Sind Sie verrückt? Was kümmert es mich, mit wem Sie verkehren! Ihr unverschämtes Zurschautragen der Rücksichtslosigkeit gegen Ihre Frau, das war es, was mir mißfallen hat und auch heute noch mißfällt. Ich sollte meinen, Ihr Kammerdiener müsse besser erzogen sein, als Sie es sind.«

»Sie schmähen mich unaufhörlich. Was ich auch sagen möge, nichts ist nach Ihrem Geschmack. Ich werde in allem falsch beurteilt.«

»Sie sagen und tun aber auch nur Dinge, die ungebührlich sind.«

»Gestatten Sie, gnädige Frau, daß ich mich entferne.«

»Wohin gehen Sie denn?«

»In den Klub. Dieser Minnesänger aus der Wüste reizt mich.«

»Seien Sie nicht langweilig und bleiben Sie zu Hause.«

»Wollen Sie zur Belohnung dafür nett mit mir sein?«

»Es kommt darauf an, was Sie darunter verstehen.«

»Oh, nicht viel; nur das Recht, Ihnen mein Herz zu offenbaren.«

»Dann gehen Sie immerhin in den Klub und offenbaren Sie Ihr Herz den Spielgenossen.«

»Gut, ich willfahre Ihrem Befehl.«

Zu wiederholten Malen berührte er ihr gegenüber mit einer gewissen Reizbarkeit, wie unangenehm es ihm sei, Redel soviel bei der Gräfin zu finden, wie wenig er die Sympathie verstehe, welche diese ihm entgegenbringe.

»Lassen Sie diese langweiligen Geschichten doch endlich ruhen«, erwiderte sie ihm eines Tages gereizt. »Henriette und der Oberst sind reine Geister. Bekümmern Sie sich nicht um jene beiden.«

»Nun, dann zerstreuen Sie mich.«

»Ich wüßte nicht wie.«

»Ich will es Sie lehren.«

Aergerlich ließ sie ihn stehen und sprach acht Tage lang nicht mit ihm.

In der folgenden Woche wurde in der Oper die Premiere von »Lohengrin« gegeben. Frau Mößler lud Friedrich Clèment und seine Gattin in ihre Loge. Der Bankier hatte gerade an dem in Rede stehenden Abend eine wichtige Liquidation durchzuführen und bat seinen Vater, der mit dem jungen Paare gespeist hatte, Cèline in das Theater zu führen, wo er sie um elf Uhr abholen wollte. Eliphas befand sich nicht in Gesellschaftstoilette, begleitete seine Schwiegertochter folglich nur bis in den ersten Stock, fragte die Logenschließerin, ob Frau Mößler schon zugegen sei, erfuhr von dieser, daß das Ehepaar Coutras mit Herrn Vignot sich allein in der Loge befände und entfernte sich, nachdem er Cèline guten Abend gewünscht.

Valentin hatte sich erhoben, um Frau Clèment behilflich zu sein, in dem geräumigen, halbdunklen Vorraume ihren Pelz abzulegen. Henriette und Vignot, welche im Vordergrunde saßen, plauderten lebhaft. Das Orchester harrte nur des Zeichens, um die Ouvertüre zu beginnen; gespannte Aufmerksamkeit herrschte im Publikum, man sah nicht einmal im Saale umher.

»Es ist schön, daß Sie zeitig kommen«, bemerkte Valentin, der sich so gestellt hatte, daß er die junge Frau vollständig deckte.

»Die Vorstellung lohnt sich schon der Mühe, mit einiger Aufmerksamkeit behandelt zu werden«, entgegnete sie, indem sie langsam den Mantel herabgleiten ließ, wodurch die feinen weißen Schultern aus dem schwarzen Sammetkleide leuchtend hervortraten. Sie stellte sich vor den Spiegel und schob mit den rosigen Fingerspitzen eine Feder an ihrem Kopfputze zurecht, zuckte aber peinlich berührt zusammen, als sie bei diesem Anlasse das über sie hinwegragende, in Leidenschaft erglühte Antlitz des Grafen gewahrte, welcher sich ihr zuneigte. Wie zu Stein erstarrt stand sie einen Augenblick da und fühlte plötzlich Valentins seidigen Bart in ihrem Nacken, fühlte, wie er einen leichten Kuß auf ihre Schulter drückte. Sie stieß keinen Schrei aus, sondern preßte die Zähne nur fest aufeinander, griff nach ihrem Fächer, der auf einer Konsole lag, und wollte mit diesem dem Unverschämten ins Gesicht schlagen, aber er parierte den Hieb mit der Hand, und der Fächer brach entzwei. Frau v. Coutras und Vignot hatten sich umgewendet, aber schon trat die junge Frau mit einem Lächeln auf den Lippen, nach dem Vordergrunde der Loge.

»Was ist denn geschehen, liebes Kind?« fragte die Gräfin ein wenig beunruhigt.

»Dein ungeschickter Mann ist auf meinen Fächer getreten.«

»Ich hoffe, Sie gestatten mir, Ihnen morgen einen andern dafür zu schicken.«

»Nein, ich danke, ich will keine Geschenke von Ihnen.«

»Dann erlaube mir, daß ich dir diesen Fächer darbiete«, sprach die Gräfin, indem sie der jungen Frau einen von Boucher gemalten Fächer aus der Zeit Ludwigs XV. überreichte, welcher unschätzbaren Kunstwert besaß.

»Behalte diese Kostbarkeit!« rief die junge Frau in etwas herbem Tone. »Wolltest du die Torheiten deines Gemahls in solcher Weise wieder gutmachen, so hieße das nur, ihn zu veranlassen, neue zu begehen.«

Frau v. Coutras blickte ihre Freundin forschend an, schüttelte melancholisch den Kopf und sprach, plötzlich ernst geworden:

»Cèline, du darfst mir nicht grollen wegen der Torheiten des Grafen.«

Frau Friedrich Clèment lächelte, obwohl ihr Tränen in den Augen standen. Sie faßte nach den Händen ihrer gütigen Freundin, welche sich ihr entgegenstreckten, und sprach:

»Du hast recht, meine gute Henriette, gib mir deinen Fächer.«

Ernst, feierlich, harmonienreich präludierte das Orchester. Die Damen schwiegen. Mit gelangweilter Miene lehnte Valentin in seinem Fauteuil im Hintergrunde und schickte sich an, einzuschlafen.


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