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Bis zu dem Tage, an welchem Henriette v. Coutras in Oberst Redels Leben getreten war, hatte er nur für seinen Beruf gelebt; er war Soldat mit Leib und Seele und kannte keine höhere Befriedigung als jene, vor dem Feinde zu kommandieren. Mit sechzehn Jahren hatte er sich als Freiwilliger anwerben lassen, hatte den Feldzug bei der Loire-Armee mitgemacht und sich in der Schlacht von Coulmiers seine Offiziersepauletten verdient. Beim Abzuge nach der Vendôme erhielt er die Kriegsmedaille, und als der Friede von Bordeaux unterzeichnet wurde, ernannte man ihn, den einzig Uebriggebliebenen unter all den niedergemetzelten Offizieren, zum Oberleutnant. Bei der Einnahme der Barrikade von Chateau d'eau, bei welcher die Kommunisten ärger metzelten und wüteten als die Preußen, fuhr ihm eine Kugel in den Schenkel. Sein Benehmen während all dieser Kriegsereignisse hatte ihm so viele Belobungen eingetragen, daß ein jeder sich genötigt sah, vor diesem siebzehnjährigen Offizier die Mütze zu ziehen.

Seit diesem Tage hatte es kein Schlachtfeld gegeben, auf welchem er nicht werktätig mitgewirkt; er machte alle Feldzüge mit, und sein hoher Mut paarte sich würdig mit seinen hohen technischen Kenntnissen. Als Generalstabschef des tapferen Négrier in Tonking hatte er die Armee gerettet, nachdem der General bei Langson kampfunfähig geworden. Nach Frankreich zurückgekehrt, bat er darum, in Algier dienen zu dürfen; dort aber wurde er bald der Untätigkeit müde und nahm eine Mission nach Zentralafrika an. Nun lebte dieser tapfere Krieger, welcher ein müßiges Dasein nie geduldig hatte ertragen können, in Paris, und er, der leidenschaftliche Freund aller Uniformen, welcher früher nie Zivilkleider getragen, zeigte sich jetzt in geschmackvollem Salonanzug und verschmähte sogar die Eleganz nicht. Ein Frauenblick hatte genügt, um diese Metamorphose zustandezubringen, um den Löwen zu bändigen. Er kam alle Samstag zu den Empfangsabenden im Hause Coutras, er nahm an den ästhetischen Gesprächen teil, er zeichnete Stammbuchblätter und lauschte mit Andacht den Auseinandersetzungen Baradans.

Die Stunden, welche er im intimsten Kreise der Gräfin verbringen durfte, entschädigten ihn für alles. Dort zeigte sich der Gatte nicht, jener unausstehliche »Weiberknecht«, an den die reizende Frau gebunden war, die so mächtigen Einfluß auf ihn besaß; es fügte sich häufig, daß er mit ihr allein war, daß er sich an ihrer Anmut und Schönheit erfreuen konnte – das war alles, wonach er begehrte. In seiner ehrlichen, zarten Seele hatte nie ein häßlicher Gedanke, nie eine unlautere Hoffnung Raum gefunden. Er dachte nicht, daß Henriette ihm angehören könne, er tat nichts, um ihr zu gefallen; er begnügte sich damit, sie zu bewundern, sie zu bedauern und sie anzubeten.

Selbst um den Preis, sie zu besitzen, würde er nicht gewollt haben, daß sie die Reinheit ihrer Seele einbüße; ein solches Glück hätte ihn verzweifeln lassen, und sogar die Wonne, von ihr geliebt zu werden, hätte ihn nicht für die Enttäuschung entschädigt, die ihm das Bewußtsein bereitet haben würde, daß sie ihren Vollkommenheits-Nimbus nicht verdiene.

Er verachtete Valentin von ganzer Seele, denn seine Freunde hatten ihn davon in Kenntnis gesetzt, welch erbärmliches Dasein der junge Graf führe; er verwünschte das Schicksal, welches eine so erhabene Frau an einen so schlechten Mann gebunden. Er grollte Herrn Eliphas und Frau Mößler ernstlich, weil er ihnen den Vorwurf machte, daß sie in selbstsüchtiger Weise Henriette dem Wunsche zum Opfer gebracht hatten, Valentin auf bessere Bahnen zu lenken. Mit Frau Friedrich Clément und deren Gatten war er auf das innigste befreundet, sprach aber mit beiden niemals von der Gräfin; seine Diskretion war eine so große, daß er lieber unter tausend Qualen gestorben wäre, als daß er auch nur ein Wort gesprochen hätte, durch welches diejenige kompromittiert worden wäre, welche er anbetete. Seine Verehrung war eine so ehrerbietige, daß Frau Mößler sie gar nicht bemerkte und die Mitglieder der literarischen Gesellschaft im Hause Coutras daran keinen Anstoß nahmen. Es dünkte ihnen natürlich, daß man die Gräfin liebe; alle waren ihr zugetan – vom weißbärtigen Vignot mit den verzückten Augen angefangen bis zu Feraud. Es bedurfte der verderbten Scharfsichtigkeit Valentins, um die Leidenschaft in der Huldigung des Obersten zu entdecken; es bedurfte auch der instinktiven Antipathie des nutzlosen Müßiggängers für den strebsam Schaffenden. Ohne mehr miteinander zu sprechen, als einen gelegentlichen Morgen- oder Abendgruß, hatten die beiden sich erkannt, haßten sie sich gegenseitig.

Bis zu dem Moment, in welchem Redel auf der Bildfläche erschienen war, hatte Valentin große Aufmerksamkeit für seine Frau gehabt; er fand es angebracht, sie zu täuschen und zu betrügen, aber er war liebenswürdig mit ihr. Er hatte all jene Rücksichten für sie, welche treulose Ehemänner ihren verlassenen Frauen meist zu erweisen pflegen. Nun plötzlich aber ging in seinem Wesen eine große Wandlung vor. Es war, als ob er Henrietten mit hineinziehe in seinen Haß gegen Redel, als ob er sie verantwortlich mache für die Empfindungen, welche sie demjenigen einflößte, den er verabscheute; gleichzeitig versuchte er auch Célinen gegenüber seine Huldigungen wieder aufzunehmen. Die Laune, welche ihn zu der einen dieser Frauen hinriß, ließ die Kälte, die er gegen die andere bekundete, noch deutlicher hervortreten. In dem rastlosen Treiben des Pariser Lebens waren übrigens selbst die Eingeweihten kaum dazu gekommen, die Entfremdung zwischen den Ehegatten zu bemerken; man sah sich von Zeit zu Zeit eine Stunde. Die Salons, in denen dies geschah, waren aber zumeist neutraler Boden, auf welchem man, von Freunden umringt, die wechselseitige Entfremdung nicht so recht zur Schau zu tragen Gelegenheit fand; als aber das Frühjahr zur Neige ging, brach der Sommer an. Frau Mößler reiste nach ihrer herrlichen Besitzung Chapelle Sauvigny im Departement Seine-et-Marne, in unmittelbarer Nähe des Waldes Senart, am Ufer der Seine, und als die Jagdzeit begann, lud sie alle Freunde Valentins und Henriettes auf ihr Schloß. Dort, wo das Ehepaar Gelegenheit hatte, viel zusammen zu verkehren, mußten ihre intimen Feindseligkeiten sich auf die gefährlichste Art entwickeln.

Das Schloß von Chapelle Sauvigny war von Frau von Pompadour erbaut worden und gehörte zu den luxuriösesten Besitzungen in der unmittelbaren Nähe von Paris. Es stand inmitten eines Parkes, welcher einen Teil der Domäne bildete, die dreitausend Hektare umfaßte. Ein prächtiges Blumenparterre breitete sich zu Füßen der von massiven antiken Eisengittern umgebenen Terrassen aus; die Fenstergesimse waren mit kostbaren Skulpturen geziert; ein Teich stand mit der Seine in Verbindung, erhielt von ihr stets frischen Zufluß und breitete sich am Ende einer großen, prächtigen Wiese aus; zierliche weiße Barken fuhren nach einer kleinen Insel inmitten dieses Teiches, und ein von Säulen getragener Tempel bot auf dieser einen herrlichen Fernblick über die ganze Umgebung; majestätische Schwäne bewegten sich unter dem Schatten hundertjähriger Bäume, welche an den Ufern standen, auf dem Wasser hin und her.

Frau Mößler hatte diese großartige Behausung, in welcher die tiefe Stille herrschte, welche weite Räume kennzeichnet, stets sehr geliebt. Wäre Chapelle Sauvigny nicht von Paris aus so leicht mit dem Wagen zu erreichen gewesen, so hätte man meinen sollen, daß man sich in der allerentferntesten Provinz befinde. Bis zum Zeitpunkte der Heirat ihres Adoptivsohnes hatte die Goldkönigin immer nur einige Wochen in dieser Einsamkeit zugebracht, welche dem natürlichen Ernst ihres Temperaments entsprach. Sie empfing dort Herrn Eliphas, und zuweilen brachte Valentin einen oder zwei Freunde zum Beginn der Jagdsaison dorthin. Mit dem Einzüge der jungen Gräfin wich die Melancholie bald dem regen Verkehr; die geräumigen Salons wurden bevölkert, und man sah helle Roben in den einst verlassenen Bosquets; das Lachen der Jugend machte dem Gesange der Vögel Konkurrenz.

Der einst so schlichte Hausstand, welcher mit der Pracht der Räume und der Großartigkeit des ganzen Besitzes nicht so recht im Einklang stand, war in kurzer Zeit glänzend und lebhaft geworden. Die Stallungen hatten sich mit kostbaren Pferden gefüllt, die von einer ganzen Reihe von Stallknechten und Kutschern bedient wurden. Die Lakaien des Grafen Coutras erschreckten mit ihrem Zynismus die weitaus einfacheren Diener Frau Mößlers. Ein Küchen-Chef installierte sich mit vier Gehilfen in den Küchen, in welchem einst der Herzog von Choiseul die Mahlzeiten für seine Favoritin zubereiten ließ; ein zweispänniger Wirtschaftswagen fuhr täglich nach Paris, um die Mundvorräte zu holen, deren man für die Gäste Frau Mößlers bedurfte. Man hätte eine Armee von Feinschmeckern mit den Leckerbissen sättigen können, welche herbeigeschafft wurden. Glücklich darüber, frohe Gäste im Hause zu haben, stellte Frau Mößler ihr ganzes Heim Valentin zur Verfügung, sich nur das Recht vorbehaltend, einzelne Einladungen ergehen zu lassen, und so kam es, daß sowohl Redel als auch Frau Friedrich Clément sich unter den Gästen von La Chapelle Sauvigny befanden. Der Gatte dieser letzteren fuhr jeden Morgen nach Paris, um seinen Geschäften nachzugehen, und kehrte jeden Abend nach dem Tuskulum seiner mütterlichen Freundin zurück. Feraud malte Frau Mößlers Bild, und Vignot komponierte unter dem Säulengange des Tempels, welcher am Ufer des Flusses stand, die Musik zu seinem neuen Oratorium »Die Auferstehung«. Valentin seinerseits pflegte nach dem Frühstück entweder in seiner Mailcoach oder in seinem Phaëton nach Paris zu fahren, von wo er nicht immer zum Speisen zurückkehrte; telephonisch verständigte er den Küchen-Chef von seinem Kommen oder von seinem Fernbleiben, und ob er nun anwesend war oder nicht, die Stunden vergingen doch in friedlicher und glücklicher Weise. Wäre es möglich, Umschau zu halten in den innersten Falten menschlicher Gewissen, so ließe sich vielleicht sogar feststellen, daß Henriette größere Ruhe empfand, wenn ihr Gatte nicht in ihrer Nähe weilte; jedenfalls wandelte er im Kreise der Gäste nicht lächelnd philosophisch umher, und es gelang ihm auch nicht, sich der allgemeinen Sympathie zu versichern. Mitunter kam es wohl auch vor, daß er zwei oder drei Tage in La Chapelle blieb, ohne sich von dort fortzurühren, und um sich zu zerstreuen, veranstaltete er Partien, zu welchen er die Gutsbesitzer der Umgebung einlud. Es wurden dann tolle Fahrten durch Wald und Flur unternommen, welche mit Wasserfahrten und improvisiertem Komödienspiel abwechselten; plötzlich aber sagte sich Valentin dann wieder von allem los, um, mürrisch und in sich gekehrt, sich wieder nach Paris zu begeben und sich von jeder Zerstreuung fernzuhalten. Während der Tage, die er auf dem Lande zubrachte, sperrte sich Valentin zuweilen mit Frau Mößler ein; die würdige Dame aber pflegte nach solchen geheimen Beratungen sehr bleich und angegriffen auszusehen, als habe sie eine fürchterliche Pein über sich ergehen lassen müssen. Herr Eliphas seinerseits fand an solchen Tagen weder Zeit noch Lust, auch nur einen einzigen Augenblick ein freundliches Gesicht zu machen. Mit fest aufeinandergepreßten Zähnen ging er umher, warf dem jungen Grafen entrüstete Blicke zu, während dieser, befriedigt und entzückt von dem Resultate seiner geheimen Konferenz, nur mehr an das Vergnügen dachte und ohne viel Ueberlegung so rasch als nur irgendmöglich nach Paris zurückkehrte. Im Monat September, fast zu Ende des Monats war es, als nach einer dieser langen, geheimen Beratungen zwischen Frau Mößler und Valentin die Mutter ernst und entschlossen, der Sohn sichtlich bestürzt war. Eine nervöse Erregung schien sich seiner bemächtigt zu haben, und um sich Zerstreuung zu verschaffen, erteilte er den Befehl, anzuspannen, um nach dem Frühstück zum Camaldulenser-Kloster nach Saint-Froud hinüber zu fahren. Es war dies eine alte, zwischen Senart und Brie-Comte-Robert gelegene Ruine. Frau Mößler entschuldigte ihr Fernbleiben von der Partie durch Unwohlsein; Herr Eliphas, welcher die unschuldigste Miene der Welt aufsetzte, schützte vor, daß er seine Korrespondenz erledigen müsse, und zog sich deshalb in die Bibliothek zurück. Henriette verlangte für sich und Vignot einen Landauer; Redel, Feraud, Dauziat und Frau Friedrich ritten in Gesellschaft des Grafen.

Céline sah als Amazone sehr hübsch aus und wußte das auch. Feraud war ein leidenschaftlicher, aber sehr schlechter Reiter; Redel freute sich der Gelegenheit, sich in gewohnter Weise auf dem Rücken seines Pferdes umhertummeln zu können, hatte aber trotzdem den festen Entschluß gefaßt, den Wagen, in welchem Frau von Coutras fuhr, nicht aus dem Gesichte zu verlieren; es machte sich somit von selbst, daß Valentin sich auf die Gesellschaft der hübschen Frau Clément allein angewiesen sah. Anfangs schien es, als ob er sich dieses Umstandes gar nicht entsinne. Auf dem Waldwege setzte er sein Pferd in Trab und ritt, offenbar in tiefste Gedanken versunken, hinter dem Wagen seiner Frau her. Nach und nach aber schlug er ein langsames Tempo an und blieb zurück; die übrigen wollten sich nicht den Anschein geben, als ob sie ihn vernachlässigten, und blieben anstandshalber ihm zur Seite. Nur Redel und Feraud ritten, unbekümmert um ihn, zu beiden Seiten des Wagens, in welchem Frau von Coutras sich befand, weiter. Dauziat plauderte mit Frau Friedrich Clément und beschäftigte sie so sehr, daß sie allem Anscheine nach die sehr merkliche Verwirrung Valentins nicht beachtete.

Als man die Mühle von d'Argentray erreichte, mußte man eine schmale Furth durchreiten, das Wasser reichte den Pferden nicht bis zu den Kniestollen, und der Durchgang ließ sich somit sehr leicht bewerkstelligen. Als aber Dauziat den Weg bereits zu drei Vierteilen zurückgelegt hatte, machte Frau Friedrichs Pferd plötzlich allerhand Schwierigkeiten; das Wasser, welches seine Beine bespülte, schien dem Tiere lästig zu sein. Einige vom Ufer herabrollende Steine erschreckten es, und es machte infolgedessen mit der jungen Frau einen mächtigen Satz nach rückwärts. Valentin, welcher hinter ihr ritt, rief den Genossen zu:

»Setzt euren Weg nur fort; das einfältige Tier verdient es nicht, daß ihr euch seinetwegen einem unfreiwilligen Fußbade aussetzt. Etwa zweihundert Meter von hier entfernt befindet sich ein bequemer Wegübergang; wir werden zu demselben zu gelangen suchen und treffen in fünf Minuten in Argentray wieder mit euch zusammen.«

Den steilen Abhang verlassend, welcher zu der Furt hinabführte, geleitete Valentin Frau Friedrich Clément zu einer schmalen Brücke, welche zu einem Weidengehölz führte, auf dem die Ochsen, im hohen Grase liegend, schwerfällig dem Geschäfte des Wiederkauens oblagen. Er hatte während des zurückgelegten Weges nicht ein einziges Wort mit seiner Gefährtin gewechselt, aber seine böse Laune schien sie zu beunruhigen; sie ahnte deren Ursache ja nur zu gut und empfand Mitleid mit dem Manne, gegen den sie sich nicht hinreichend verteidigen zu können glaubte. Sie sagte sich, daß er alles besitze, um glücklich zu sein, und scheine doch dieses Glück mit Füßen zu treten.

Freilich hätte sie eine hinreichende Anzahl von Gründen gehabt, um ihm zu grollen, aber sie wagte sich selbst kaum zu gestehen, daß sie derselben nicht gedenken wolle, einen so großen, bisher nicht gekannten Zauber übte Valentin auf sie aus. Sie erreichten Argentray, ohne daß Valentin allem Anscheine nach bemerkte, daß Frau Clément ihm folge. Er legte keine Galanterie, ja nicht einmal die gewöhnlichste Höflichkeit gegen sie an den Tag; man kam zu den Wagen, und wieder hielt sich der Graf fern, den düstersten Gedanken Raum gebend. In Saint-Froud angelangt, fand man die Hitze so unerträglich, obzwar es ja schon September war, daß Vignot unter der schattigen, von Clematis umrankten Laube eines kleinen Wirtshauses rasten wollte, um zu trinken und sich einigermaßen zu erholen. Die Gräfin ließ einen Korb mit Mundvorräten auspacken, welchen sie im Wagen gehabt, und während der Diener die Weinflaschen in den Wassereimer des Brunnens steckte, um sie abzukühlen, waren alle Hände beschäftigt, um den Tisch zu decken. Als man ausgeruht und erfrischt war, erging sich Vignot, mit der Zigarre im Munde, in ästhetisch-musikalischen Gesprächen, verglich den Zug der leichten Wölkchen am Himmel mit den halben und Vierteltönen der Noten. Feraud aber rief plötzlich:

»Und die Camaldulenser? Werden wir sie denn gar nicht besuchen? Ich habe auf ein Weltwunder gerechnet und sehe nun hier nichts als ein gewöhnliches, kleines Gartenhaus.«

»Legen Sie großen Wert darauf, die Camaldulenser zu Gesicht zu bekommen?« fragte Valentin, durch die schwerfällige Beharrlichkeit und die breitspurigen Theorien des alten Professors gelangweilt.

»Gewiß lege ich Wert darauf.«

»Und Sie, Dauziat?«

»Ich nicht minder.«

»Dann begleite ich die Herren,« rief Frau Friedrich Clément lebhaft, »die Gräfin bleibt wohl in Gesellschaft jener Herren zurück, welche keine Lust verspüren, sich zu rühren.«

»O nein«, warf Vignot ein. »Wir befinden uns momentan alle in weicher Stimmung, wir sollen uns nicht so leicht aus derselben reißen lassen!«

Man debattierte noch länger hin und her und kam schließlich dahin überein, daß sich die Unternehmungslustigsten von der Gesellschaft in den Sattel schwingen und, von dem Grafen geführt, nach einem mit Bäumen bewachsenen Hügel reiten sollten, welcher von der Ruine des einstigen Camaldulenser-Klosters gekrönt war. In einer Viertelstunde hatte man das Ziel erreicht; man ließ die Pferde unter der Obhut eines mitgenommenen Dieners zurück und kletterte mutig auf steilem Pfad zu einer auf festen Grundmauern stehenden Pforte empor, durch welche man das Innere des Klosters gelangen konnte. Säulen mit alten Skulpturen, an denen man noch die Züge einzelner Göttinnen erkennen konnte, legten Zeugnis ab für den einstigen römischen Ursprung des Tempels. Das Christentum hatte sich hier wie in so vielen anderen heiligen Orten auf heidnischer Grundlage erhoben.

Die Reiter sprangen von den Pferden; Feraud ließ sich auf einen von Efeu umrankten Felsblock nieder und traf seine Vorbereitungen, um zeichnen zu können. Dauziat erging sich in literarischen Beifallserklärungen über das Bild, welches sich seinen Blicken bot, während Valentin und Céline sich schweigend in den herrlichen Anblick vertieften, welchen die üppige Landschaft gewährte. Die mächtigen alten Bäume des Waldes von Senart dehnten sich bis zu der in verschiedenfarbiger Nuancierung sich dahinstreckenden Hügelkette aus; die Seine, an deren Ufern man in der weiten Ebene einzelne Dörfer zerstreut liegen sah, schlängelte sich, einem silbernen Bande gleich, durch das Tal. Von der nahegelegenen Heerstraße herüber klang das Geräusch der Wagen, die Glocken, welche die Pferde trugen, sandten ihr Geklingel in die tiefe Stille der Umgebung. Es war eine belebte, reizende und doch tief melancholische Einsamkeit.

Nach einem kurzen Augenblicke träumerischer Betrachtung sonderte Valentin sich von den anderen ab; er ging mit großen Schritten auf und nieder und schlug sich mit der Reitpeitsche auf die Jagdstiefel, ohne seiner Gefährtin auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Gesenkten Hauptes, mit finster gefurchter Stirne schritt er dahin. An einer Böschung angelangt, blieb er plötzlich stehen und ließ sich auf das Gras niedergleiten. Einige Minuten war er regungslos in der gleichen Stellung geblieben, als plötzlich Frau Friedrich an ihn herantrat; er hob den Blick mit dem Ausdruck so unverhohlener Trauer zu ihr empor, daß sie nicht umhin konnte, zu fragen:

»Was fehlt Ihnen denn? Seit ich Sie kenne, sehe ich Sie heute zum ersten Male mit einem gelangweilten Gesicht.«

Er antwortete nicht mit seinem gewöhnlichen spöttischen Ton, sondern sehr sanft:

»Ja, ich fühle mich heute ernstlich verstimmt.«

»Geschäfte, welche sie mit Frau Mößler hatten?«

»Angelegenheiten, welche einen fast ernsten Charakter angenommen haben.«

»Ihre Adoptivmutter tut vermutlich einmal nicht, was Sie wünschen?«

»Nein, es handelt sich nicht allein darum.«

»Also keine Geldfrage?«

»Doch – gerade eine Geldfrage ist es.«

»Frau Mößler ist doch so großmütig!«

»Man nimmt sie gegen mich ein und redet ihr soviel vor, bis sie mir ihr Wohlwollen entzieht.«

»Wer sollte das tun?«

»Ihr Schwiegervater in erster Linie.«

Wieder entstand eine Pause; auf Valentins Lippen schwebten offenbar allerhand Schmähungen, die Herrn Eliphas galten, welche er aber aus Rücksicht für Céline unterdrückte. Sie wußte ihm für diese Aufmerksamkeit Dank.

»Was treiben Sie nun? Wodurch ermöglichen Sie es nur, die reichen Geldmittel zu erschöpfen, über welche Sie verfügen?«

»Mein Gott, ich treibe alle möglichen Torheiten, Kindereien, wenn Sie es so nennen wollen. Ich bin der größte Tor auf Erden. Mindestens zwei Monate sind es her, seit ich vollständig den Kopf verloren habe.«

»Wenn Sie das einsehen, so ist das schon ein Zeichen zurückkehrender Vernunft.«

»Das glauben Sie selbst nicht«, entgegnete er barsch. Ich bin weit davon entfernt, mich zu bessern.«

»Sie wollen also durchaus den Ihren Schmerz bereiten?«

»Was kümmern Sie sich um mein Tun und Lassen? Die Meinen mögen mich ja doch nicht leiden.«

»Sind Sie gewiß, alles getan zu haben, was Liebe erwecken kann?«

»Sie wissen selbst, daß alles nutzlos wäre. Sind Ihnen jemals Menschen vorgekommen, welche man ihrer Tugenden wegen liebt? Man verhöhnt oder verachtet die Guten nur. Weit klüger ist es, ein Tiger zu sein, anstatt eines Lammes; man wird dann wenigstens auf Erden gefürchtet.«

»Ein trauriger Vorzug, jenen anderen Schmerz zu bereiten. Sind Sie denn schlecht? Ich hielt Sie für leichtsinnig, aber für gutmütig.«

»Weiß ich denn, was ich bin? Wäre ich arm geblieben und in einer harten Lebensschule großgezogen worden, wie dies eigentlich meine Bestimmung gewesen, nachdem ich den Vater verloren, so hätte ich, aller Wahrscheinlichkeit nach, ein braver und ehrlicher Bursche werden können. Ich wäre im Heeresverbande geblieben und hätte in der Armee meinen Weg gemacht, denn ich fürchte weder die Gefahr, noch bin ich törichter als ein anderer; auch trage ich einen klangvollen Namen, was immer ein großes Hilfsmittel ist. Ich hätte den Lebenszweck gehabt, vorwärts zu streben, und wäre glücklich gewesen in dem Ringen nach Stern und Ruhm; anstatt dessen bin ich einem Prinzen gleich verzärtelt worden, bin ich von unerhörtem Luxus umgeben aufgewachsen; ich brauchte nur einen Wunsch zu äußern, so war derselbe auch schon erfüllt. Die Befriedigung, wünschen zu dürfen, habe ich eigentlich niemals kennen gelernt; wenn ich träumte, so konnte ich auch alsbald der Realisierung meines Traumes gewiß sein. Ich war übersättigt, und die Freuden, welche das Glück und das Streben der meisten ausmachten, besaßen keinen Wert mehr für mich. Das Geld galt mir nichts. Es wurde mir zur zweiten Natur, dasselbe mit vollen Händen hinauszuwerfen; besaß ich keine Mittel mehr, so forderte ich neue Hilfsquellen, und der Born, aus welchem mir dieselben zuflossen, war unerschöpflich.

Was erreicht man nicht alles im gegenwärtigen Jahrhundert, wenn man den richtigen Preis dafür bezahlt! Alles ist käuflich! Es ist unmöglich, wenn man über viel Geld verfügen kann, sich Illusionen zu bewahren, über was immer es sei. Man lernt die anderen und sich selbst verachten, man empfindet nur Ekel und unbegrenzte Skepsis.

»Ohne eine geradezu haarsträubende Undankbarkeit an den Tag zu legen, können Sie doch nicht in Abrede stellen, daß Frau Mößler nur Ihr Glück wollte.«

Valentin lachte mit nervöser Unruhe.

»Sie hat in erster Linie das ihre gesucht«, sprach er rauh. »Sie wollte Erben haben, wollte das Schicksal ihrer Millionen sicherstellen, das war ihr das Wichtigste.«

»Und sie hat Ihnen ihre Millionen gegeben?«

»Ich habe sie mir nicht gewünscht. Sie hat mir einen törichten Geschmack, wahnwitzige Bedürfnisse anerzogen, und nun weigert sie sich, dieselben zu befriedigen, meinen Bedürfnissen nachzukommen.«

Frau Friedrich Clément schüttelte lachend den Kopf.

»O das also ist das Geheimnis Ihrer Unzufriedenheit? Man hat Ihnen zum ersten Male Schranken angelegt, Sie in Ihrer Verschwendungssucht gehemmt. Was haben Sie denn verbrochen, wodurch sich diese Strafe zugezogen?«

»Man wirft mir vor, daß ich keinen soliden Lebenswandel führe, daß ich mich von meiner Frau abwende. Was soll ich denn anderes tun, da sie mir ausweicht, wo sie nur kann? Sie liebt mich nicht; ich gehöre nicht zu jenen, welche dazu geschaffen sind, ihr Wohlgefallen zu erwerben. Man muß entweder Schöngeist sein oder eine erhabene Seele besitzen, um Gnade vor ihren Augen zu erringen. Beides ist nicht nach meinem Sinn. Wissen Sie, was sich ereignen wird, wenn man mich meinen Gläubigern gegenüber in der Tinte läßt, wenn man mir nicht die Mittel bietet, dieselben zu bezahlen? Ich werde meine Rennpferde verkaufen und mit dem Gelde, welches ich auf diese Weise erziele, auf meiner Yacht eine Weltumseglung unternehmen. Meine Frau, Mama Mößler, Papa Eliphas, kurzum, die ganze Sippe werde ich im Stiche lassen. Wollen Sie mich begleiten?«

»Sind Sie toll?«

»Ich glaube es selbst, wahrhaftig, aber mich trifft keine Schuld; ich war sehr vernünftig.«

»Werden Sie es wieder!«

»Zu spät!«

»Mit einigem guten Willen.«

»Weshalb sollte ich allein denselben an den Tag legen?«

Der Ausdruck seines Gesichtes war ein ganz anderer geworden, als er diese Worte sprach. Er schien nicht mehr entmutigt oder erschöpft, sondern heftig und ungewöhnlich erregt.

»Niemand sorgt sich ernstlich um mich. Man glaubt, mich mit Wohltaten überschüttet zu haben, indem man mir den Reichtum gegeben. Der Reichtum allein aber ist nichts; ich bin mir dessen klar bewußt, und hasse ihn. Es gibt Augenblicke, in denen ich wünsche, auf den Grund all dieser Millionen schöpfen zu können, aber das ist unmöglich, sie scheinen stets neue Zuflußquellen zu haben. Sie machen sich gar keine Vorstellung von diesem Goldsprudel. Und wegen einiger erbärmlicher Millionen macht Frau Mößler jetzt Anstände. Natürlich trägt nur Herr Eliphas Schuld daran; er haßt mich.«

Valentin erhob sich plötzlich und rief lebhaft:

»Kommen Sie, lassen Sie uns ein Stückchen weiter gehen; wir wollen die Ruinen in der Nähe besichtigen. Wo sind Feraud und Dauziat?«

Man rief laut nach den beiden; Feraud antwortete aus der Tiefe, daß er unten zeichne und Dauziat ihn eben erst verlassen habe. Valentin und Céline drangen daraufhin in der Ruine weiter vor und traten endlich in den Raum, welcher einst die Kapelle gewesen sein mochte. Eine kleine Treppe, mit ausgetretenen Stufen führte in einen Turm hinauf, in welchem sich wohl einst Zellen befunden hatten. Sie kletterten dieselbe empor und befanden sich bald acht Meter hoch in einer kleinen Loggia, welche die Aussicht in einen verhältnismäßig gut erhaltenen Schlafsaal bot; die Pfeiler standen noch fest, aber sie brauchten kein Deckengewölbe mehr zu tragen, denn es war eingestürzt.

»Vielleicht ist es nicht ganz klug, hier zu verweilen«, bemerkte Frau Friedrich Clément.

»Warum nicht?« fragte Valentin lachend.

»Wenn irgend ein Stein von dem Mauerwerk sich losmachen würde.«

»Der Epheu hält die Steine fest. Sehen Sie nur, wie diese Mönche und Nonnen es allerorten verstanden haben, sich ihre Heimstätten zu wählen. Gibt es einen reizenderen Ort als diesen? Der Fluß zu ihren Füßen, in welchem sie nach Belieben fischen konnten; der Wald in nächster Nähe, welcher ihnen Wildbret geliefert hat; ringsumher Dörfer, die ihnen Naturalien abgeben mußten. Und dieser Frieden, diese Ruhe! Da ließe sich leben, nicht wahr?«

»Man müßte aber in dieser Abgeschiedenheit allen Freuden der Welt entsagen.«

»Es läßt sich alles entbehren, mit Ausnahme der Frau, welche man liebt.«

»Was dann aber, wenn man gleich Ihnen seine Liebe an viele verteilt?«

»Sie wissen recht gut, daß mein Herz im Grunde genommen nur einer gehört.«

Er war an sie herangetreten und versuchte, knapp neben einem halb eingestürzten Fenster stehend, sie zu umarmen; sie drängte ihn von sich fort.

»Lassen Sie mich in Ruhe, seien Sie vernünftig!« bat sie leise.

Er aber war sehr bleich geworden, und seine Augen leuchteten in fast unheimlichem Feuer; sie empfand plötzlich Furcht und versuchte an ihm vorbeizuschlüpfen, um zu den anderen zu gelangen. Er aber haschte nach ihr und fing sie in seinen Armen auf. Sie wollte einen Schrei ausstoßen, Valentin aber versiegelte ihr den Mund mit seinen Lippen; vergeblich suchte sich die junge Frau nochmals loszureißen, um Hilfe zu rufen, aber unter dem wolkenlosen, blauen Himmel, in der tiefen Einsamkeit, welche sie umgab, bemächtigte sich ihrer eine Art Wahnsinn, in der Gesellschaft des Mannes, den sie bisher geflohen, und in diesem Zustand, der halb aus Liebe, halb aus Haß hervorgehen mochte, ließ sie ihn gewähren.

Endlich richtete sie sich auf; sie raffte ihren ganzen Mut zusammen, und es gelang ihr auch, Valentin von sich zu drängen. Ihre Zähne fest aufeinanderpressend, brachte sie kein Wort hervor, aber der Ausdruck tiefen Schmerzes sprach deutlich aus ihren Zügen; sie machte eine Bewegung, als wollte sie in die Tiefe hinabspringen, und er mußte sie mit Gewalt zurückhalten, um sie daran zu hindern. Verzweifelnd, machtlos, unfähig, sich selbst zu töten, hatte sie die Empfindung, als müßte sie wenigstens dem Manne, welcher als Versucher an sie herantreten wollte, um sie dem Pfade der Tugend zu entführen, ein Leid antun, und nach einem Steine greifend, schleuderte sie denselben mit aller Kraft nach der Richtung hin, in welcher Valentin stand, um ihn dadurch zu hindern, daß er ihr folge. Das improvisierte Geschoß traf ihn an der Schläfe, so daß er blutete, er aber regte sich nicht; es war, als ob er darauf warte, ob sie ihre Steinigungsversuche fortsetze. Doch ihre letzten Kräfte waren erschöpft, sie schwankte, und sich an die Mauer lehnend, stand sie regungslos, von ihrer eigenen Heftigkeit erschreckt, da, unfähig, zu erfassen, was sie eigentlich getan; Valentin wischte sich das Blut von der Stirne und lächelte ihr zu. Herannahende Schritte brachten die beiden zur Besinnung; Dauziat war es, welcher den einstigen Schlafsaal von der anderen Seite aus erreichte, aber mit der nötigen Umsicht weiter vordrang, weil bei jedem Schritt, welchen er machte, das morsche Mauerwerk sich abbröckelte und ein Stein zu seinen Füßen niederfiel.

»Mein Gott,« rief er, näher tretend, »Sie haben ja die Stirn voll Blut, lieber Graf.«

»Ich bin ungeschickt gefallen, während ich die Treppen emporklimmen wollte«, entgegnete Valentin unbefangen. »Frau Clément dachte schon, daß ich tot sei, und war einer Ohnmacht nahe; ich bin ihretwegen weit mehr erschrocken, als um meiner selbst willen.«

»Lassen Sie uns hinabgehen; Sie werden unten doch frisches Wasser bekommen, um Ihre Wunde zu reinigen, sie schmerzt wohl sehr?«

»Nein!« erwiderte Valentin, indem er Frau Friedrich Clément ansah. Einer Hellseherin gleich, als sei sie von geheimen Wächten dazu getrieben, folgte ihm die junge Frau. Dauziat schritt die morsche Treppe zuerst hinab, und während Céline mit den Fußspitzen nach Steinen suchte, die möglichst fest waren, fühlte sie, wie Valentin mit leichter Hand das eine oder das andere Stückchen Moos entfernte, das an ihrem Kleide hängen geblieben war. Ein leichtes Beben durchlief ihren Körper; ihr Herz zog sich in schmerzlichster Bewegung zusammen. Eines flüchtigen Augenblicks der Schwäche wegen, den er mißbraucht hatte, sollte er also nun das Recht besitzen, sich unausgesetzt mit ihr zu beschäftigen, ihr gegenüber den Herrn und Meister herauszukehren. Nein, das konnte und durfte nicht sein; sie wollte es nicht. Bei dem bloßen Gedanken an solche Möglichkeit bemächtigte sich ihrer ein so heftiger Zorn, daß sie fühlte, sie sei imstande, ihm öffentlich eine Beleidigung zuzufügen, die kein Blut mehr imstande gewesen wäre, hinwegzuwaschen.

Langsam schritt sie hinter Dauziat her, unaufhörlich ihre Rachepläne überlegend. Eine Stimme in ihrem Innern war es, welche ihr zuflüsterte, sie müsse selbst einsehen, daß unvermeidlich gewesen sei, was sich zugetragen habe. Diese Stimme sagte ihr: »Er liebte dich schon lange und verfolgte dich mit seiner Huldigung; du selbst aber bist vor ihm nur zum Schein geflohen, als es notwendig war, um einer momentanen Gefahr zu entrinnen; du hast nicht dein Möglichstes getan, um für immer alle Beziehungen abzuschneiden; du hast mit dem Feuer gespielt; du warst kokett und bist nun in die Falle gelaufen, welche er dir gestellt hat. Hast du Vorwürfe zu machen, so dürfen sich dieselben nur gegen dich selbst richten, denn du wußtest, daß die Männer keine Bedenken hegen und sich nur von ihren Launen lenken lassen. Du hattest von einem Manne somit keine Großmut zu erwarten. Wessen beklagst du dich also jetzt?« obwohl sie sich im Geiste selbst die härtesten Worte sagte, wehklagte Céline im stillen doch, bedauerte sie es, daß sie ihren Stolz als besiegt ansehen mußte.

Vor den Menschen war sie gezwungen, ihrem Antlitz einen lächelnden Ausdruck zu verleihen, die Falten von ihrer Stirne zu verscheuchen. Endlich war die Stelle erreicht, an welcher unter der Obhut eines Dieners die Pferde harrten. Céline sah sich genötigt, ihr Taschentuch in das rieselnde Wasser des klaren Baches zu tauchen, um die Wunde wegzuwaschen, welche sie selbst geschlagen. Durch Dauziats Anwesenheit dazu genötigt, mußte sie ihren Zorn verbergen, nachsichtig, milde und sanft sein, Valentin beistehen, während sie ihn am liebsten ermordet hätte und dann entflohen wäre.

»Ach, es ist ja nur eine Hautabschürfung ohne Belang, an der Sie diesmal noch nicht sterben werden«, rief der Gelehrte lächelnd. »Mit dieser Binde über die Schläfe sehen Sie wie ein im Zweikampf verwundeter, unglücklicher Liebhaber aus.«

Valentin betrachtete Céline und sprach mit bitterem Lächeln:

»Ja, wie ein sehr unglücklich Liebender.«

Man bestieg die Pferde von neuem und begab sich nach Argentray zurück, wo die Gräfin und ihre Gefährten in der Laube friedlich der Ausflügler harrten. Mit gemächlichem Bedauern nahm man den Bericht des Grafen entgegen, dessen »Unfall«, von ihm selbst erklärt, wirklich nichts sonderlich Interessantes an sich hatte. Da der Weg, welchen man bis Chapelle Sauvigny zurücklegen mußte, ein ziemlich weiter war, so rüstete man sich bald zum Aufbruch. Abends, zur Stunde der Mahlzeit, ließ Frau Friedrich durch ihren Gatten mitteilen, daß sie zu heftiges Kopfweh habe, um erscheinen zu können, und blieb in ihrem Zimmer.

»Das kommt davon, wenn man den ganzen Morgen bei so entsetzlicher Hitze umherreitet«, meinte Herr Eliphas in tadelndem Tone.

»Daran trage ich die Schuld«, warf die Gräfin ein. »Ich habe ihr angetragen, mit ihr zurückzufahren, sie wollte aber nicht, und ich hätte sie zwingen sollen.«

»Es ist viel wahrscheinlicher, daß Frau Clément erschrocken ist, als sie sah, wie der Graf in den Ruinen stürzte und er dann das blutüberströmte Antlitz emporhob«, warf Dauziat ein.

»Ah, meine Schwiegertochter ist also zu den Ruinen des Camaldulenser-Klosters gegangen?«

»Gewiß, ich und Feraud ebenfalls; ich fand Herrn von Coutras, ganz gehörig zerschlagen, an einen Fels gelehnt, und Frau Clément war halb ohnmächtig.«

Herr Eliphas warf Valentin einen Blick zu; dieser war undurchdringlich, schien aber plötzlich verstimmt und beteiligte sich gar nicht mehr an dem Gespräche, welches Redel allein führte. Frau Mößler hatte vom Kriege und von den Unternehmungen ihres Gatten berichtet, als dieser der Unterhändler Gambettas gewesen; der Oberst seinerseits schilderte den Zustand der damaligen französischen Armeen, welche ausgehungert gewesen und bei zwanzig Grad Kälte in ihren leichten Tuchmänteln vor Frost mit den Zähnen klapperten, während die Preußen wie vornehme Herren gekleidet und fast überfüttert gewesen waren; sie wärmten sich an dem Feuer der in Brand gesteckten Städte. Als Friedrich Clément sorgenvoll fragte, ob man jetzt für den Fall eines Krieges besser vorbereitet sei und ein Widerstand möglich wäre, erwiderte der Oberst lebhaft:

»Ja freilich besitzen wir Mittel und Wege, um uns zu verteidigen. Alles hängt aber von den ersten Scharmützeln ab. Wenn wir bei diesen Glück haben, so werden wir rascher am Rhein sein, als die Deutschen in Nancy. Wenn wir aber gleich am Anfange geschlagen werden, dann wird der Kampf erbarmungslos sein. Die französische Seele ist besser gewappnet als die deutsche, sie wird eine größere Reihe von Schicksalsschlägen ertragen. Das haben die Franzosen im Jahre 1871 bewiesen. Niemals würden die Deutschen bei einer Niederlage so lange die Kraft des Widerstandes besessen haben. Der nächste Krieg wird so entsetzlich werden, so mörderisch ausfallen, so ergiebig sein im Verderben aller Art, daß ich mir nicht vorstellen kann, wie unsere Feinde demselben lange Stand bieten sollen. Lang aber wird dieser Krieg währen müssen; Siege und Niederlagen werden einander auf dem Fuße folgen.«

»Ja,« warf Friedrich ein, »der Wille wird da sein, was aber wird man mit dem Magen anfangen? Wird man genug zu essen haben? Wird die Intendanz ihr Möglichstes tun, um die Truppen zu nähren und ihnen keine Fastenzeit aufzunötigen?«

»Pah,« erwiderte Redel sorglos, »die französischen Soldaten haben sich immer mit leerem Magen geschlagen. In Malplaquet war man eben im Begriffe, das Brot zu verteilen, als das Zeichen zum Angriff gegeben wurde; sie mußten die Nahrung von sich werfen, um sich dem feindlichen Feuer auszusetzen. Trotzdem werde ich es im Notfalle immer unerläßlich finden, ein oder zwei meiner Soldaten vor der Truppe niederschießen zu lassen, um den anderen ein Exempel zu statuieren!«

»Derlei Dinge tut man heutzutage nicht mehr.«

»Napoleon zögerte niemals und war doch gut bedient.«

»Zweifelsohne gibt es auch heute Menschen, welche alle Eigenschaften besitzen, um die gleiche Rolle zu spielen, aber es fehlt an der Gelegenheit, seinen tollkühnen Mut zur Schau tragen zu können. Für solche Pflanzen bedarf man eines wohlgepflegten Bodens. Die argwöhnische und eifersüchtige, demokratische Partei, welche sich jetzt am Ruder befindet, würde es niemals zugeben, daß ein einzelner General sich sehr in den Vordergrund dränge. Sie schreckt heute noch vor der Erinnerung an Boulanger zurück. Man bedarf also eines Krieges, damit ein von der Vorsehung Gesandter sich hervortue und in der Begeisterung, in welche das ganze Land durch einen Sieg versetzt werden würde, in die Lage käme, die Leitung des Ganzen an sich zu reißen; man wäre trotzdem nicht sicher, ob die Volksvertreter nicht den Versuch machen würden, ihn zu stürzen oder wenigstens niederzudrücken. Man findet noch immer solche Scheusale wie jene, an denen Hoche gestorben ist.«

»Wenn er vergiftet wurde, so ist das nur durch Vendéer geschehen.« »Man behauptet, Bonaparte sei der Urheber seines Endes gewesen.«

Das Gespräch ging auf andere Gegenstände über und verlor sich in wenig authentischen Anekdoten. Valentin empfand es als Erleichterung, als man sich von der Tafel erhob, um sich in das Rauchzimmer zu begeben. Er konnte sich dort wenigstens in einen Fauteuil sinken lassen, an sein Abenteuer denken und dabei die Augen schließen. Als er in Erfahrung brachte, daß er Céline an diesem Abende nicht mehr sehen werde, hatte ihn das mit tiefer Verstimmung erfüllt. Er hatte sich im voraus schon darauf gefreut, die junge Frau im Salon wiedersehen zu können, an ihrer Seite Platz nehmen zu dürfen und sie anzublicken, indem er gleichgültige Worte sprach. Die gleiche Luft mit ihr atmen zu können, schien ihm schon namenloses Glück; er wußte ja, daß sie allein imstande sein werde, dieses oder jenes hingeworfene Wort, diesen oder jenen verstohlenen Blick zu verstehen. Nun, wo sie nicht zugegen war, empfand er eine Leere und Verlassenheit, als ob er in fremdem Kreise sei; es bemächtigte sich seiner eine Entmutigung, als ob er wisse, daß dieses absichtliche Ausweichen ihrerseits die erste Kundgebung eines Widerstandes sei, den zu brechen nicht in seiner Macht lag.

All seine Liebesabenteuer waren bisher sehr einfach gewesen; er war stets ohne besondere Mühe als Sieger aufgetreten. Bot man ihm Widerstand, so reizte ihn das, und vielleicht hatte er nach Céline nur begehrt, weil sie es verstanden, ihn entsprechend fernzuhalten. Nun sehnte er sich plötzlich mit einer Leidenschaft nach ihr, wie er dieselbe bisher noch nie erfahren. Von ihr getrennt, wünschte er nur den Augenblick herbei, in welchem es ihm vergönnt sein werde, wieder mit ihr zu sprechen, ihr seine Gedanken und Hoffnungen zu offenbaren. Man begab sich zeitig zur Ruhe, denn der Ausflug, welchen man tagsüber unternommen, hatte alle Schloßbewohner ermüdet. Valentin zog sich unter dem Vorwande, daß seine Wunde ihn schmerze, zurück und sperrte sich in sein Zimmer ein.

Als er am folgenden Morgen gegen zehn Uhr in die Geschäftsräume hinabkam, mußte er zu seinem Verdrusse hören, daß Frau Friedrich Clément mit ihrem Gatten nach Paris gefahren sei. Offenbar war sie vor ihm geflohen; es verdroß ihn dies nicht wenig. Er, der vom Schicksal bisher verwöhnt worden war, empfand es gewissermaßen als Kränkung, daß eine Frau die Tugend hochstellte und sich ihm versagen wollte, nachdem sie doch allem Anscheine nach gerne bereit gewesen war, ihm ihre Huld zuzuwenden. Frau Friedrichs Zurückhaltung steigerte seine Leidenschaft so sehr, daß er sich nicht abgeneigt fühlte, ihr abnorme Ziererei zum Vorwurf zu machen. Er wollte sich mit ihr auf das Klarste auseinandersetzen, sobald sie nur am Abende zurückkehrte.

Diese Befriedigung sollte ihm aber nicht zuteil werden. Frau Friedrich blieb mit ihrem Gatten, der durch dringende Geschäfte in Paris zurückgehalten war, ebenfalls in der Stadt und kehrte erst vier Tage später nach Chapelle Sauvigny zurück. Der Zorn, welcher Valentin während dieser Zeit zu verzehren drohte, zeigte sich im Verkehre mit den übrigen Gästen von Sauvigny doch nicht. Er trug ein lächelndes Antlitz zur Schau, und da Frau Mößler sich wunderte, daß er es so lange aushalte, ohne sich nach Paris zu begeben, erklärte er mit liebenswürdigem Lächeln, daß die Ruhe des Landlebens ihm vortrefflich zusage und er erst jetzt einsehe, wie unvernünftig er gewesen sei, dieselbe nicht schon längst früher zu genießen.

Endlich wurde ihm die Befriedigung zuteil, des Wagens ansichtig zu werden, mit welchem Herr und Frau Clément in den Schloßhof fuhren; er sah, wie derselbe vor der Freitreppe anhielt und sie, die er längst erwartete, leichtfüßig zu Boden hüpfte. Von einem der Fenster des Rauchzimmers aus beobachtete er sie, ohne selbst gesehen zu werden.

Er konstatierte, daß keinerlei Wandlung mit ihrer äußeren Erscheinung vorgegangen sei, daß sie mit unerschütterlicher Ruhe zusah, wie man ihre verschiedenen Päcke und Päckchen aus dem Wagen nahm, als ob niemals etwas ihren Frieden gestört hätte. Er wollte ihr nicht entgegeneilen, denn er meinte, daß zuviel Eifer irrig gedeutet werden könne. Im Laufe des Abends würde sich ihnen ja Gelegenheit bieten, einander zu sehen. Die Zeit aber schlich langsam dahin, und er, der sonst einer der Letzten war, welche im Salon zu erscheinen pflegten, traf heute vor allen anderen dort ein, und plauderte mit seiner Adoptivmutter, was diese in höchste Seligkeit versetzte, denn er pflegte sonst mit solchen Aufmerksamkeiten zu geizen.

Um sieben Uhr endlich trat Frau Friedrich ein; sie ließ sich von Frau Mößler umarmen, gab der Gräfin die Hand und reichte dann auch Valentin ihre schlanken Finger, ohne daß der Graf ein Beben derselben empfunden hätte. Sie war so unbefangen, als ob nie irgend etwas zwischen ihnen vorgefallen wäre. Mit ihren klaren Augen blickte sie ihn unverwandt an, und er fand in ihrem Blick nicht die leiseste Rückerinnerung an den Zorn, welchen sie früher an den Tag gelegt. Sie schien ganz und vollständig vergessen zu haben, und es bemächtigte sich seiner schrankenlose Wut. Er stellte sich die Frage, ob es denn wohl möglich sei, daß sie sich gänzlich von ihm loszusagen beabsichtige, ob sie glaube, daß er sich in solcher Art abfertigen lassen werde. Das sollte und durfte nicht geschehen; er gestand sich, daß ihm alles daran gelegen sei, in möglichst kurzer Zeit schrankenlose Macht über sie zu erlangen. Dann überlegte er und sagte sich, daß ihre Art nur Verstellung sei, darauf berechnet, die Leute zu täuschen, ihnen die Gefühle zu verbergen, welche sie bewegten. War sie nur erst mit ihm allein, dann würde eine große Wandlung mit ihr vorgehen; dessen glaubte er gewiß sein zu können.

Nach und nach beruhigte er sich und kam zu der Ueberzeugung, daß er besser daran tue, keinen voreiligen Entschluß zu fassen. Er begnügte sich damit, Céline zu beobachten, die niemals hübscher und verführerischer gewesen war, als in dieser Stunde. Sie legte eine schwermütige Sanftmut an den Tag, welche an das nachsichtige Mitleid ihrer Umgebung zu apellieren schien. Man hätte meinen sollen, sie stelle die Frage, wie man denn so hart und brutal sein könne, ein armes, schwaches, sanftes Geschöpf zu mißhandeln. Wer unter euch allen, schien sie zu fragen, wer würde den Mut dazu haben? Ich stelle an euch alle diese Frage, auch an Sie, lieber Valentin, können Sie diese Möglichkeit fassen? Sie richtete zweimal ihren klaren Blick auf ihn, und er glaubte in demselben eine stumme Bitte zu lesen, die aber gar flehend war. Ihr Blick machte ihn kalt und mißtrauisch; er fragte sich, ob sie nicht nur eine Komödie spiele, welche darauf berechnet war, sein Mitleid wachzurufen. Er verstand Célinens Aufregung nicht, er ahnte nicht, welch leidenschaftlicher Dankbarkeit sie fähig gewesen sein würde, wenn er auf ihr Sehnen eingegangen und bereit gewesen wäre, die momentane Schwäche zu vergessen, von welcher sie sich hatte hinreißen lassen und deren sie sich nun schämte. Er aber besaß diesen Edelmut nicht, er war nur darauf bedacht, sich zu unterhalten, wo sich ihm dazu Gelegenheit bot.

Nach der Mahlzeit gelang es ihm, durch allerhand schlaue Winkelzüge in ihre Nähe zu kommen; bevor er sie aber ansprechen konnte, wich sie ihm mit einer Geschicklichkeit aus, welche deutlich dartat, welch großen Wert sie darauf lege, einem Zwiegespräche mit ihm aus dem Wege zu gehen. Seine Kühnheit trug trotzdem den Sieg davon, und durch eine unerwartete Wendung gelang es ihm, sie in einer Ecke des Salons derart in die Enge zu treiben, daß sie nicht imstande war, ihm auszuweichen, ohne die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auf der einen Seite stand ein mit Albums bedeckter Tisch, auf der anderen eine Pflanzengruppe, so daß sie keinen Ausweg fand. Sie war seine Gefangene, dabei aber doch vollkommen ruhig und selbstbewußt, das ging aus ihrer stolzen Haltung, aus der vornehmen Würde ihrer bleichen Züge hervor. Valentin ließ sich nicht in lange Vorreden ein, sondern steuerte gerade auf sein Ziel los.

»Céline,« fragte er leise, sich den Anschein gebend, als ob er von gleichgültigen Dingen rede, ,»warum sind Sie vier Tage lang fern von mir geblieben?«

Sie sah ihm mit hochmütig abweisendem Gesichtsausdrucke unverwandt in die Augen.

»Habe ich Ihnen über mein Tun und Lassen Rechenschaft zu geben? Das ist eine Zumutung, die mir ebenso neu wie unerwartet erscheint.«

»Hätten Sie nicht vor mir die Flucht ergriffen, so brauchte ich keine Fragen an Sie zu stellen. Die Haltung, welche sie mir gegenüber einnehmen, gibt mir das Recht, in solcher Art mit Ihnen zu reden.«

»Sie besitzen gar kein Recht; ich bin vor Ihnen geflohen, und die Haltung, welche ich einnehme, ist die durchaus richtige.«

»Wollen Sie mich also wie Ihren Feind betrachten?«

»Allerdings, wenn Sie sich gegen mich auch nur die geringste Freiheit herausnehmen.«

»Sie können aber doch nicht hinwegleugnen, was gewesen, können nicht in Abrede stellen, daß wir einander nahegestanden haben!«

»Verzeihung – es liegt in meiner Absicht, das vollständig zu vergessen!«

Bei dieser klar und deutlich abgegebenen Erklärung, welche einen besonders ernsten Eindruck machte, weil sie sehr leise und bestimmt ausgesprochen wurde, erbebte Valentin vor Zorn und erwiderte, indem er die Zähne fest aufeinanderbiß:

»Hüten Sie sich! Reizen Sie mich nicht! Sie sollen und müssen mir angehören; ich will alles zerstören, was trennend zwischen uns steht!«

Wie von unsichtbarer Kraft getrieben erhob sie sich, und indem sie mit unerschrockenem Lächeln seinem Blick begegnete, erwiderte sie:

»Nun, so beginnen Sie Ihr Zerstörungswerk, ich bin gewappnet!«

Dann schritt sie ruhig an ihm vorüber und nahm an Frau Mößlers Seite Platz. Valentin konnte ganz gut hören, was die beiden Frauen zusammen sprachen:

»Was hat er Ihnen denn gesagt, der große Tor?« fragte Frau Mößler.

»Unsinniges Zeug«, erwiderte Céline mit unerschütterlichem Gleichmut.

»Wie? Hat er Ihnen ernstlichen Verdruß bereitet?«

»Ach nein! Ich fürchte ihn ganz und gar nicht, er ermüdet mich bisweilen ein wenig.«

Der Zorn, welcher sich Valentins bemächtigte, als er diese Worte vernahm, war so groß, daß er sich aufrichtete und auf Céline zueilen wollte; er fragte sich, ob er sie nicht angesichts aller in seine Arme reißen solle, unbekümmert um alles, was daraus entstehen könne. Einem Wahnsinnigen gleich eilte er einige Schritte vorwärts; sein Antlitz war vollständig verstört und er sah, daß die Augen der jungen Frau sich mit erschrecktem Ausdruck auf ihn richteten, daß ihre Lippen bebten. Er erkannte an ihrem Wesen, daß sie Furcht empfinde, daß sie ihn nicht so sehr verachte, als sie sich den Anschein geben wollte, es zu tun, und das beruhigte plötzlich seine schrankenlose Wut. Er fühlte, daß sie nur eine Scheidewand zwischen sich und ihm auftürmen wollte, weil sie ihn liebte. Wozu also durch seine Heftigkeit sie einschüchtern, um sie vielleicht für immer zu verlieren? Er zwang ein Lächeln auf seine Lippen, und anstatt fassungslos auf Frau Friedrich Clément loszustürzen, wie dies ursprünglich in seiner Absicht gelegen, sprach er mit weltmännischer Gewandtheit:

»Man weiß wahrlich nicht, wie man Sie zufriedenstellen soll. Ist man ernsthaft, so klagen Sie, daß man Sie langweilt, scherzt man, so finden Sie, daß man Ihre Nachsicht mißbraucht. Ich denke, man würde Ihnen am besten gefallen, wenn man sich gar nicht mit Ihnen befassen wollte.«

Sie richtete ihre schönen Augen mit flehendem Ausdrucke auf ihn, als wolle sie ihm sagen, er möge großmütig sein und sich wirklich nicht weiter um sie bekümmern, er aber fuhr fort:

»Würde man sich aber dann nicht den Anschein geben, ein Murrkopf zu sein, ein Mann ohne Lebensart? Man muß also Ihre schroffen Zurückweisungen ertragen, sich so benehmen, wie man glaubt, es tun zu müssen, und Ihrer Launen nicht achten. Vielleicht gelingt es, Sie auf diese Weise zu entwaffnen.«

Mit zurückhaltender Miene entgegnete sie: »Das ist nicht wahrscheinlich.«

»Pah, ich wage den Versuch; was kann mir denn Schlimmeres geschehen, als daß Sie mich behandeln, wie es jetzt der Fall ist!«

Frau Mößler lauschte befremdet dem Gespräche; ihr war es, als ob sie hinter den anscheinend leicht hingeworfenen Worten einen tieferen Sinn zu suchen habe. Sie beobachtete die beiden aufmerksam und bemerkte eine Erregung an ihnen, welche sich durch ihre Worte nicht erklärte. Unwillkürlich stellte sie sich die Frage, ob diese Worte nicht einen Doppelsinn haben konnten? Gab es zwischen Céline und Valentin Grund zu ernstlicher Feindschaft? Und woraus war dieselbe hervorgegangen? Der Charakter und die Gewohnheiten ihres Adoptivsohnes boten Frau Mößler nur eine zu schwerwiegende Erklärung; da Frau Mößlers Mißtrauen aber einmal wachgerufen war, begnügte sie sich anscheinend mit den Aufschlüssen, welche die beiden Gegner ihr unbewußt boten. Sie nahm sich jedoch ernstlich vor, sich auf gründliche Beobachtung zu verlegen. Für Frau Friedrich Clément hatte sie große Zuneigung, überdies war die junge Frau ein Gast ihres Hauses, und Frau Mößler wollte die Gewißheit haben, daß man unter ihrem Dache physisch und moralisch geschützt sei.

Sie suchte Friedrich Clément und fand ihn mit seinem Vater und Feraud am Whisttische. Im Geiste verglich sie diesen ernsten jungen Mann mit dem vorzeitig kahlen Kopfe, mit den kalten Augen, den Zügen, welche man häßlich hätte nennen müssen, wenn sie nicht so intelligent gewesen wären, mit der feinen, anmutigen, verführerischen Céline. Welches mächtige Band konnte diese Frau an den Gatten binden, zu dem sie so wenig paßte? Mußten nicht Liebe und Leidenschaft groß genug sein, um jedes Band zu zerreißen? War sie denn für Friedrich geschaffen, für ihn, der, stets beschäftigt, nur seinem Berufe nachging? Nein, sie, diese Pariserin, welche nur für das Vergnügen zu leben schien, taugte ganz und gar nicht zu ihm.

In leicht begreiflicher Gedankenverbindung befaßte sich Frau Mößler im Geiste nun auch mit Valentin und Henrietten, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf diese beiden. Bestand nicht die gleiche moralische Verschiedenheit auch bei diesem Ehepaar? War die überlegende, kunstsinnige, geistvolle Frau nicht der vollständigste Gegensatz zu dem leichtlebigen Manne, welcher nur für materielle Genüsse Sinn und Verständnis hatte? Herrschte in diesen beiden Ehen nicht ein beklagenswerter Mangel an Harmonie? Bot sich nicht alle Aussicht, daß die so wenig zueinander passenden Paare noch allen nur denkbaren Stürmen und Unannehmlichkeiten ausgesetzt sein würden? Frau Mößler empfand eine momentane Besorgnis, aber dieselbe war nicht von langer Dauer. Ihr Gewissen fand moralische Beruhigungsmittel, welche ihrem Geiste erneuten Frieden gaben. Bestand denn nicht gegen jede Art von Versuchung ein mächtiger Schutz in der Liebe zur Pflicht, in der Treue zu dem Glauben, in welchem man großgezogen worden war? Frau Mößler wußte sehr genau, daß, wenn sie vor Valentin oder selbst vor den Freunden ihrer Schwiegertochter von ihren veralteten spießbürgerlichen Anschauungen gesprochen hätte, sie nur einen Heiterkeitsausbruch hervorgerufen haben würde. Sie selbst aber stand noch unter dem Einflüsse der guten Grundsätze, welche ihr als Kind eingeimpft worden waren, und sie nahm infolgedessen die Uebertreibungen der modernen Skeptik nicht ernst. Alle Heldentaten der Phrase mußten nach ihrer Anschauung in nichts versinken, sobald es sich um ernste Prüfungen handelte. Sie war überzeugt, daß auch alle jene, welche noch so sehr dem Freigeiste huldigten, zu dem verleugneten Glauben ihrer Kinderjahre zurückkehren würden, wenn sie einer Stütze gegen den Zweifel, eines Trostes im Schmerze bedurften.

Nicht sie allein dachte so, auch Herr Eliphas huldigte derartigen veralteten Anschauungen. Er klammerte sich an dieselben mit dem ganzen Eifer einer reinen Seele und eines frommen Herzens. Wenn Frau Mößler ihn in die Enge getrieben und ihn aufgefordert haben würde, seine Ansichten über einen so ernsten Fall zum Ausdrucke zu bringen, hätte er nur das ausgesprochen, was sie selbst empfand, würde er nur dasselbe Vertrauen gehegt haben. Die alte Dame aber war sehr weit davon entfernt, ihn in dieser Angelegenheit um Rat zu fragen. Der bloße Gedanke, Herrn Eliphas zum Vertrauten der Sorgen zu machen, welche sie inbezug auf Friedrichs Glück hegte, beunruhigte sie ernstlich. Die ohnehin schon so große Feindseligkeit, welche ihr Wohltätigkeitsminister gegen Valentin hegte, würde sich in so hohem Grade gesteigert haben, daß jeder Verkehr zwischen ihr und ihrem alten Freunde zur Unmöglichkeit hätte werden müssen. Wie trostlos hätte sich aber Frau Mößlers Leben gestaltet ohne die stets wache Aufmerksamkeit des guten Eliphas.

Diese Frau, welche sich in ihrer zurückgezogenen Lebensweise glücklich fühlte, erbebte bei dem Gedanken, daß sie der Zerstreuung beraubt werden könne, welche die täglichen Besuche des älteren Clément ihr boten. Wenn dieser gewiegte Geschäftsmann aufhören würde, ihr Beistand zu leisten, hätte sie sich auch ganz unfähig gefühlt, die vielen Werke der Wohltätigkeit durchzuführen, bei denen er jetzt ihre rechte Hand war. Sie konnte nicht durch zehn Sekretäre den wohlwollenden Verteiler all ihrer Spenden ersetzen. Die anderen, welche sie dazu beriefe, seine Stelle zu vertreten, würden sie mit Fragen bestürmen, würden sie ärgern und verdrießen und dadurch den Armen Schaden bringen, denen sie Gutes tun wollte. Im Geiste sah sie alle die Sorgen vor sich, welche durch eine Unvorsichtigkeit Valentins hervorgerufen werden konnten; sie beschloß daher, jede beginnende Intrigue, jede erwachende Laune im Keime zu ersticken.

Das einfachste Mittel war, wenn sie Valentin am folgenden Morgen zu sich beschied, ihn dazu veranlagte, ihr zu beichten, und ihm dann unverhohlen ihre Meinung sagte. Sie wußte, daß er zu leichtlebig sei, um ihrem Willen ernstlichen Widerstand entgegenzusetzen. Freilich würde es einigen Kampf kosten, ihn zum Gehorsam zu zwingen, aber was kümmerte sie der Preis, welchen sie bezahlen mußte, wenn sie nur erreichte, was sie wollte. Das Geld war in Frau Mößlers Augen seit allzu langer Zeit nur ein Mittel, welches dazu diente, ihrer Autorität Geltung zu verschaffen oder ihren Einfluß durchzusetzen. Valentin gegenüber war das Geld bisher denn auch ein untrügliches Mittel gewesen. Sie fühlte sich durch ihr ernstes Nachdenken einigermaßen beruhigt, erhob sich und nahm von ihren Gästen Abschied, denn sie war gewohnt, sich frühzeitig in ihre inneren Gemächer zurückzuziehen. Als Valentin ihr den Gutenachtkuß bot, sprach sie, zu ihm gewendet:

»Wenn du die Absicht hast, morgen nach Paris zu fahren, so sprich vorher bei mir vor; ich habe mit dir zu reden.

Da Frau Mößler ihrem Adoptivsohn schon mehrere Tage hindurch ein unfreundliches Gesicht zeigte, weil er von ihr verlangt hatte, sie möge eine ansehnliche Schuldenlast für ihn ordnen, wozu sie sich zum ersten Male im Leben nicht bereit gezeigt hatte, mutmaßte Valentin, daß sie ihn nun doch wieder in Gnaden aufnehmen wolle, und entgegnete, darob nicht wenig erfreut in liebenswürdigem Tone:

»Liebe Mutter, ich will dich durchaus nicht zu früher Stunde stören, sondern werde gerne deiner Befehle harren.«

Frau Mößler betrachtete ihn wohlgefällig, sie fühlte sich durch seine liebenswürdige Art gleich wieder für ihn eingenommen und schüttelte nur leise den Kopf, als wollte sie damit andeuten, daß sie seiner einschmeichelnden Art nicht unbedingten Glauben schenke.

»Gut, abgemacht! Ich werde dich rufen lassen, sobald ich bereit bin, dich zu empfangen. Schlafe wohl und suche mit guten Absichten zu mir zu kommen.«

Sie erfaßte Eliphas Cléments Arm und verließ den Salon.


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