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Magische Geschichtslehre

 

Das Fatum

Die Forderung, die gegenwärtige Welt für die beste und die absolut meine anzunehmen, ist ganz der gleich, meine mir angetraute Frau für die beste und einzige zu halten und ganz für sie und in ihr zu leben. Es gibt noch viele ähnliche Forderungen und Ansprüche, deren Anerkennung derjenige zur Pflicht macht, der einen für immer entschiednen Respekt für alles, was geschehen ist, hat – der historisch religiös ist, der absolute Gläubige und Mystiker der Geschichte überhaupt, der echte Liebhaber des Schicksals. Das Fatum ist die mystifizierte Geschichte. Jede willkürliche Liebe, in der bekannten Bedeutung, ist eine Religion, die nur einen Apostel, Evangelisten und Anhänger hat und haben und Wechselreligion sein kann – aber nicht zu sein braucht.

 

Der Sinn für Begebenheiten

Glück ist Talent für die Historie oder das Schicksal. Der Sinn für Begebenheiten ist der prophetische, und Glück ist der divinatorische Instinkt. (Die Alten rechneten daher mit Recht das Glück eines Menschen zu seinen Talenten.) Es gibt eine divinatorische Lust. Der Roman ist aus Mangel der Geschichte entstanden. Er setzt für den Dichter und Leser divinatorischen oder historischen Sinn und Lust voraus. Er bezieht sich auf keinen Zweck und ist absolut eigentümlich.

 

Gemeinschaftlicher Wahnsinn

Gemeinschaftlicher Wahnsinn hört auf Wahnsinn zu sein und wird Magie, Wahnsinn und Regeln und mit vollem Bewußtsein.

 

Die Lehre vom Mittler

Die Lehre vom Mittler leidet Anwendung auf die Politik. Auch hier sind der Monarch oder die Regierungsbeamten Staats-Repräsentanten, Staatsmittler. Je geistvoller und lebendiger die Glieder sind, desto lebendiger, persönlicher ist der Staat. Aus jedem echten Staatsbürger leuchtet der Genius des Staats hervor, so wie in einer religiösen Gemeinschaft ein persönlicher Gott gleichsam in tausend Gestalten sich offenbart. Der Staat und Gott sowie jedes geistige Wesen erscheint nicht einzeln, sondern in tausend mannigfaltigen Gestalten; nur pantheistisch erscheint Gott ganz, und nur im Pantheismus ist Gott ganz, überall, in jedem einzelnen. So ist für das große Ich das gewöhnliche Ich und das gewöhnliche Du nur Supplemente. Jedes Du ist ein Supplement zum großen Ich. Wir sind gar nicht Ich, wir können und sollen aber Ich werden. Wir sind Keime zum Ich-Werden. Wir sollen alles in ein Du, in ein zweites Ich verwandeln; nur dadurch erheben wir uns selbst zum großen Ich, das eins und alles zugleich ist.

 

Der Genius des Staats

Jede Person, die aus Personen besteht, ist eine Person in der zweiten Potenz – oder ein Genius. In dieser Beziehung darf man wohl sagen, daß es keine Griechen, sondern nur einen griechischen Genius gegeben hat. Ein gebildeter Grieche war nur sehr mittelbar und nur zu einem sehr geringen Teil sein eignes Werk. Daher erklärt sich die große Individualität der griechischen Kunst und Wissenschaft; wobei doch nicht zu leugnen ist, daß an einigen Grenzen ägyptischer und orientalischer Mystizismus sie angegriffen und modernisiert hat. In Ionien merkt man den erweichenden Einfluß des warmen asiatischen Himmels, so wie man hingegen in der frühsten dorischen Masse die geheimnisvolle Sprödigkeit und Strenge der ägyptischen Gottheiten gewahr wird. Spätere Schriftsteller haben oft diese alte Manier aus romantischem und modernem Instinkt ergriffen und diese rohen Gestalten, mit neuem Geist beseelt, unter ihre Zeitgenossen gestellt, um sie im leichtfertigen Gange der Zivilisation aufzuhalten und ihre Aufmerksamkeit zurück auf verlassene Heiligtümer zu wenden.


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