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Magische Menschenlehre

Wir sollen nicht bloß Menschen, wir sollen auch mehr als Menschen sein. Oder Mensch ist überhaupt soviel als Universum. Es ist nichts Bestimmtes. Es kann und soll etwas Bestimmtes und Unbestimmtes zugleich sein.

Müssen denn alle Menschen Menschen sein? Es kann auch ganz andere Wesen als Menschen in menschlicher Gestalt geben.

 

Mystischer Glaube und mystische Hoffnung

Mystischer Glaube und Anhänglichkeit an das, was einmal da ist, das Alte, Bekannte – und mystische Hoffnung und Freude auf alles, was da kommen soll, das Neue, Unbekannte; dies sind zwei sehr wichtige Charakterzüge der bisherigen Menschheit.

 

Künftiges Leben

Man kann durch das künftige Leben das vergangene Leben retten und veredeln.

 

Magische Ethik

Das gewöhnliche Leben ist ein Priesterdienst

Das gewöhnliche Leben ist ein Priesterdienst, fast wie der vestalische. Wir sind mit nichts als mit der Erhaltung einer heiligen und geheimnisvollen Flamme beschäftigt – einer doppelten, wie es scheint. Es hängt von uns ab, wie wir sie pflegen und warten. Sollte die Art ihrer Pflege vielleicht der Maßstab unserer Treue, Liebe und Sorgfalt für das Höchste, der Charakter unsers Wesens sein? Berufstreue – symbolisches Zeichen unsrer Religiosität, d.i. unsres Wesens? (Feueranbeter.)

Die Erhebung

Der Mensch ist ein sich selbst gegebenes historisches Individuum. Graduelle Menschheit. Wenn die Menschheit die höchste Stufe erreicht hat, so offenbart und schließt das Höhere von selbst sich an.

Die Erhebung ist das vortrefflichste Mittel, was ich kenne, um auf einmal aus fatalen Kollisionen zu kommen. So z.B. die allgemeine Erhebung in Adelstand, die Erhebung aller Menschen zu Genies, die Erhebung aller Phänomene im Wunderstand, der Materie zu Geist, des Menschen zu Gott, aller Zeit zur goldnen Zeit usw.

Das Ideal

Inwiefern erreichen wir das Ideal nie? Insofern es sich selbst vernichten würde. Um die Wirkung eines Ideals zu tun, darf es nicht in der Sphäre der gemeinen Realität stehn. Der Adel des Ich besteht in freier Erhebung über sich selbst; folglich kann das Ich in gewisser Rücksicht nie absolut erhoben sein, denn sonst würde seine Wirksamkeit, sein Genuß, i. e. sein Sieg – kurz, das Ich selbst würde aufhören. Laster ist eine ewig steigende Qual (Negation), Gefühl von Abhängigkeit (Ohnmacht) vom Unwillkürlichen – Tugend ein ewig steigender Genuß (Position), Gefühl von Kraft, Unabhängigkeit vom Zufälligen. So wie es dem Lasterhaften wegen seiner Identität nie an Gelegenheiten fehlen kann, tugendhaft zu sein, so nie dem Tugendhaften an Gelegenheit, zu fehlen. Die Quantität der Dauer hat keinen Einfluß auf den Wert; der Sieg, den der Lasterhafte auf dem tausendsten Grade unter Null über sich erränge, wäre so viel wert als der Sieg, den der Tugendhafte auf dem tausendsten Grade über Null erkämpft. Den Raum ohne die Zeit, die sie trennt, kann ein Augenblick durchfliegen, denn hier sind keine Quantitätsverhältnisse. Es sind zwei absolut getrennte Sphären, die wir uns aber quantitativ vorstellen und jeden Sieg und jede Niederlage als Schritte vor- und rückwärts uns einbilden. Die Gewohnheit ist Erleichterung für den Guten und Erschwerung für den Bösen, und hierin liegt die Differenz des länger und kürzer – die Strafe des längern Bösewichts, die Belohnung des längern Tugendhaften.

Der echte Divinationssinn

Gott und Natur muß man hiernach trennen. Gott hat gar nichts mit der Natur zu schaffen. Er ist das Ziel der Natur, dasjenige, mit dem sie einst harmonieren soll. Die Natur soll moralisch werden, und so erscheint allerdings der Kantische Moralgott und die Moralität in einem ganz andern Lichte. Der moralische Gott ist etwas weit Höheres als der magische Gott.

Wir müssen Magier zu werden versuchen, um recht moralisch sein zu können. Je moralischer, desto harmonischer mit Gott, desto göttlicher, desto verbündeter mit Gott. Nur durch den moralischen Sinn wird uns Gott vernehmlich. Der moralische Sinn ist der Sinn für Dasein, ohne äußre Affektion, der Sinn für Bund, der Sinn für das Höchste, der Sinn für Harmonie, der Sinn für frei gewähltes und erfundenes und dennoch gemeinschaftliches Leben und Sein, der Sinn für das Ding an sich, der echte Divinationssinn. (Divinieren, etwas ohne Veranlassung, Berührung vernehmen.) Das Wort Sinn, das auf mittelbares Erkenntnis, Berührung, Mischung hindeutet, ist hier freilich nicht recht schicklich, indes ist es ein unendlicher Ausdruck, wie es unendliche Größen gibt. Das Eigentliche kann hier nur approximando, zur Notdurft ausgedrückt werden. Es ist Nicht-Sinn oder Sinn, gegen den jenes Nicht-Sinn ist.

Will ich nun Gott oder die Weltseele in den Himmel setzen? Besser wäre es wohl, wenn ich den Himmel zum moralischen Universo erklärte und die Weltseele im Universum ließe.

Moralisch handeln und religiös handeln sind sonach aufs innigste vereinigt. Man soll gänzlich innre und äußre Harmonie beabsichtigen; zugleich das Gesetz und den Willen Gottes, jedes um sein selbst willen erfüllen. Es gibt also ein einseitiges moralisches und ein einseitiges religiöses Handeln.

»Das Herz ist der Schlüssel der Welt«

Das Herz ist der Schlüssel der Welt und des Lebens. Man lebt in diesem hilflosen Zustande, um zu lieben und andern verpflichtet zu sein. Durch Unvollkommenheit wird man der Einwirkung andrer fähig, und diese fremde Einwirkung ist der Zweck. In Krankheiten sollen und können uns nur andre helfen. So ist Christus, von diesem Gesichtspunkt aus, allerdings der Schlüssel der Welt.

Annihilation des Bösen

Die äußern Erscheinungen verhalten sich zu den innern wie die perspektivischen Veränderungen zu der Grundgestalt – und so wieder die äußern und innern Erscheinungen unter sich.

Der Zusammenhang der äußern Zeichen untereinander: sie hängen alternando mit den innern Veränderungen zusammen und diese wieder unter sich. (Schema der innern Veränderungen. Bedeutender Zug in vielen Märchen, daß, wenn ein Unmögliches möglich wird, zugleich ein andres Unmögliches unerwartet möglich wird; daß, wenn der Mensch sich selbst überwindet, er auch die Natur zugleich überwindet, und ein Wunder vorgeht, das ihm das entgegengesetzte Angenehme gewährt, in dem Augenblicke, als ihm das entgegengesetzte Unangenehme angenehm ward. Die Zauberbedingungen, z.B. die Verwandlung des Bären in einen Prinzen, in dem Augenblicke, als der Bär geliebt wurde usw.; auch bei den Märchen der beiden Genien. Vielleicht geschähe eine ähnliche Verwandlung, wenn der Mensch das Übel in der Welt liebgewönne; in dem Augenblicke, als ein Mensch die Krankheit oder den Schmerz zu lieben anfinge, läge die reizendste Wollust in seinen Armen, die höchste positive Lust durchdränge ihn. Könnte Krankheit nicht ein Mittel höhrer Synthesis sein? Je fürchterlicher der Schmerz, desto höher die darin verborgene Lust? Jede Krankheit ist vielleicht ein notwendiger Anfang der innigern Verbindung zweier Wesen, der notwendige Anfang der Liebe. Enthusiasmus für Krankheiten und Schmerzen; Tod eine nähere Verbindung liebender Wesen. Poetik des Übels. Fängt nicht überall das Beste mit Krankheit an? Halbe Krankheit ist Übel, ganze Krankheit ist Lust, und zwar höhere.

Oder ließe sich das Übel in der Welt vertilgen wie das Böse? Soll etwa die Poesie die Unlust wie die Moral das Böse vertilgen?

Übergang des guten Herzens zur Tugend – geht der nicht durch das Böse? nein, aber durch die Philosophie.

Es gibt nichts absolut Böses und kein absolutes Übel. Es ist möglich, daß der Mensch sich allmählich absolut böse macht und so allmählich auch ein absolutes Übel schafft; aber beides sind künstliche Produkte, die der Mensch nach Gesetzen der Moral und Poesie schlechthin annihilieren soll, nicht glauben, nicht annehmen. Nur durch Meinung (welche ein aus Glauben entsprungnes, schaffendes Wissen ist) entstehet und besteht Übel und Böses.

Da Subjekt und Objekt eins sein sollen, so wird das scheinbar objektiv Böse, das Übel, und das scheinbar subjektive Übel, das Böse, usw. auch vereinigt werden und dadurch ipso facto beides für die tugendhaften Dichter vernichtet, weil sie eins mit dem andern notwendig annihilieren. Auf einer gewissen Stufe des Bewußtseins existiert jetzt schon kein Übel, und dieses Bewußtsein soll das permanente werden.

So soll auch der Philosoph den Standpunkt des gemeinen Bewußtseins als den Grund alles logischen Übels der Unwahrheit annihilieren, welches eben dadurch geschieht, daß er den höhern Standpunkt zum herrschenden und endlich einzigen zu machen sucht.

Durch Annihilation des Bösen usw. wird das Gute realisiert, introduziert, verbreitet. Alles Übel und Böse ist isoliert und isolierend, es ist das Prinzip der Trennung. Durch Verbindung wird die Trennung aufgehoben und nicht aufgehoben, aber das Böse und Übel als scheinbare Trennung und Verbindung wird in der Tat durch wahrhafte Trennung und Vereinigung, die nur wechselseitig bestehn, aufgehoben.

Ich vernichte das Böse und Übel usw. durch Philosophieren. Erhöhung, Richtung des Bösen und Übels auf sich selbst, welches beim Guten und der Lust usw. gerade umgekehrt der Fall ist.


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